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Full text of "Globus; illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde"

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Globus 



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LOBU 

XCI. Band 



GLOBUS 



Illustrierte 

Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 

Vereinigt mit den Zeitschriften „Das Ausland'' und „Aus allen Weltteilen" 
Begründet 1862 von Karl Andree 

Herausgegeben vou 

II. Singer 
K in und neunzigster Bund 

Braunschweig 

Druck und Verlag ton Friedrich Vieweg uud Sohu 

19 0 1 



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Inhaltsverzeichnis des XC1. Bandes. 



Allgemeines. 

F t i t s c Ii , Über die Verbreitung der 
östlichen Urbevölkerungen und iura 
Beziehungen zu den Wandervölkern. 
Mit Abbild. IL iL IL Geologische 
Probleme de» Alpengobirges 
Die sprachliche Verwandtschaft der 
Orakoltalar Iii. HalbfaB, Die 
Kruge nach der Zukunft der Deut- 
schen Geogrnphentage LH. Radloff- 
Festscbrift LfliL Kin Brief Alexander 
v. Humboldts 20* . Dia mittlere Dauer 
des Kroate« auf der Krde 1LL 1»40. 
l'aasarge, 0[ibir und die Siinbabye- 
kultur iLUL Die GröO« der alten 
Kontinente üä. Die Heilgötter der 
Ägypter und Griechen 'H'> Der 
XVI. Deutsche Geographentag in 
Nürnberg A&Ü. Interessante tiergeo- 
graphische Fülle SäiL X>ie territori- 
ale Kntwickelung der europäischen 
Kolonien 3*0. 



Europa. 

Allgemeines. Beschreibung einer Reise 
von Wien nach Lissabon 1730 
Unuptwege d*» niirnhergischen Han- 
del* im Sp&tmittelalter l»5- Der 
Kultus der Menhirs bei den Kellen 
aa8. Das älteste Denkmal der räto- 
romanischen Sprache '2UL Vulkano- 
logische Studien aus Island, Böhmen, | 
Italien ä?e:. 

Deutschland, Österreich -Ungarn n» ' 
Schweiz. HalbfaB, Das Frisch» 
Haff Mi Die Beziehung Braun- 
achweig* zu den tintiirlichen Rieh- | 
Hingen der mittelalterlichen Handels- 
straßen 6£L Kaiudl, Neuere Ar- 
beilen zur Völkerkunde, Völker- 
heschreibung und Volkskunde von 
Galizien, Russisch -Polen und der 
Ukraine ffii 7JL Der Rheingletscher 
fiä. Der Kanton Thurgau als Ge- 
wittergebiet fii. Die obere Greuze 
der nienschlichen Siedelungen in der 
Schweiz liX Land - und Seewinde : 
an der deutschen Oslwekuste tiiL < 
Breu, Der ehemalige Königs-, Te- 
gern- und Kochelsee 11JL Weitere 
Durchforschung der Statte von La 
Tene l is. Die Seen und solle Neu- 
Vorpommerns nnd Rügens l ir. Sc-I- 
chesuntersuebungen an den Seen des 
Salzkammergutes L1L Mehlis, Das 
römische Grenzwcbrsystem in der 
Nordschweiz. Mit i Karte i- r >9 Die , 
glazialen Erscheinungen int Oden- 
wald l'U. Der diluviale Mensch von 



Krapina I7ft. Forderung nach Er- 
richtung einer biologischen Reichs- 
anstalt (Deutschland) Iii. Haupt- 
wege des nürnbergischen Handels im 
Rpfttmittclaher vili- Rütimeyer, 
Ober Masken nnd Maskengebräuche 
im Lötschental (Kanton Wallis). Mit 
Abbildg. und 1 Tafel als Sonderbei- 
lage 2UL 'IIA. 30& Übersieht über 
das Klima von Halle a. 8., vorn Saal- 
und Mansfelder Seekreis 2üä. Die 
Kegenverhaltni.se Ungarns £iüL All- 
gemeiner Bericht und Chronik der 
im Jahre 1904 in Österreich beob- 
achteten Erdbeben 'jin. Der Nephrit 
des Bodensees 211L Die Einwirkung 
der Trockouperiode im Sommer UHU 
auf die biologischen Verbilltnisse der 
Elbe bei Hamburg '2LL Der Stutt- 
garter Talkessel von alpinem Eise 
ausgehöhlt iü 2L jähriges Bestehen 
der geographischen Gesellschaft zu 
Greifswald n-JB. Die Borener Markte 
bis zum Dreißigjährigen Kriege 22tL 
Zur Siedelungskunde des nördlichen 
subherzynischen Hügellandes '-'44. 
Mosor, Kin Ausflug nach der Sand- 
insel Snnseg>>. Mit Ahhildgn. •!**. 
Überblick über die schweizerische 
Volkskunde 2,*i7. Die Hauptstatiou 
für Erdbebenforschung nui physika- 
lischen 8tnatslaboral«riuin zu Hnm- 
burg -Sa Beitrlkge zur Klimatologie 
von MeiOen 9&Q Breu. hydrographi- 
sche Untersuchung des Kochel- und 
Tegernsees '-'Hn Diu älteslcn ge- 
schichtlich nachweisbaren Einwohner 
der Altmark 'iSSL Tetzner, Die 
Slowenen. Mit Abbild. 2Äi_ Unter- 
suchungen über die morphomel rischi-n 
Verhältnisse der westpreuülschen Seen 
'-»7. r i. Die Binnenwanderungen im preu- 
Dischen Staat SLliL Die mährischen 
Karst taler ÜIL Mühlhofer, Die 
ErforschungdesMagdaleDCnschachtes. 
Mit Abbild, und 1 Karle tü. Neue 
Fahrt des Reichsforschungsdarapfers 
.Poseidon" 'äSiü. Langhaus' Naliona- 
litatenkarte der Provinz Ostprenllen 
.'loa. Häberlin, Flechten und We- 
llen auf Ffthr und den Halligen. Mit 
Abbildg. IM. Schell, Abwehr- 
zauber am bergischrn Hause. Mit 
Abbildg. «sr.. 31LL Die pflanzungeo- 
grnphischeu Verhältnisse der FlatUm- 
■ee-Bulatonsee-tiegend 3.'i4. Die Eis- 
verhaltnisse der Elbe und ihrer 
NebentlÜMc M. lk*r KinlluS der 
Vorkehrswege der Flußlaler um Mün- 
den auf Anlagt*, und Entwu-keluiig 
der dortigen Siedelungen 3.W Ver- 
such einer ptlauzengeographischcii 



Umgrenzung und Einteilung Nord- 
deutschlands UM. Pflanzengeographi- 
sche Skizze der Sudeten 'All. Jaeger, 
Das Gasteiner Tal illi Die Ent- 
wicklung des Kartenbildes von Bi'ih- 
men "*7 Die Schiffahrt auf dem 
Genfer See USA. 

Skandinavien, Dänemark, Belgien, 
die Niederlande und tiroBbrltan« 
ulen. Geplante Verlegung des Ob- 
servatoriums von Greenwich LB. 
Einige für Norwegens Fauna neue 
Vögel 'iSL Loroutzen. Die Fische 
im Tr«<ms0-8utid XL Lorenzen, 
Die Mollusken in den Kreideablage- 
rungen Danemarks LH. Tempera- 
turuntersuchungen im Loch Ncsa 
'-'■'»9 Keine Einführung des metri- 
schen MaD- und Gewichtssystems in 
England 307. .Schwarzer Hegen* 
in Pembrokeshire 308. Walther von 
Knebels neue Forschungsreise nach 
Island :i.*>4. Moderuer Druidenachwin- 
de) in Wales UM. 

Frankreich, Spanien, Portugal und 
Italien. Die Fahrt des Freiballons 
.Jupiter" bei Gelegenheit der totalen 
Sonnenfinsternis am älL August 19US 
(Burgos) lft. Die Ergebnisse der 
V' olkszählung in Frankreich LLi 
llandabdriicku in der Hohle von Gar- 
gas LUL Atislotung von drei Seen 
im Zirkus von Rabuons 13a. Prä- 
historisches von Capri 1*7. Zur Ne- 
phritfmge (Ligurien) 22h. Die Be- 
völkerung der Provinz Com» SÜL 
Die blaue Orotte auf t'apri *t7<i. 

Kuropillsrhes Ruliland sind die Bal- 
kiinlinllilusel. Bemerkungen über 
die russische Bauemwohnung äh. 
Kaindl, Neuere Arbeiten zur Völ- 
kerkunde, Volkerbesehreibung und 
Volkskunde von Galizien, Russisch- 
Polen und der Ukraine tLL 1H. Eine 
dialektologische Karte RuUlands 132. 
Die dekorative Kunst Kretas im 
Iironzezeitalter 2utL Die Flüthörn- 
eben in den russischen Ostseepmviu- 
zen '-'4* Das Erdbeben von Seinncha 
in Knukiisit'ii '■'■Mt We i Be n her g, 
Krankheit und Tod bei den südrussi- 
seben Juden. Mit Abbild. 3.*>7 



Asien. 

Kleinasien, Vorderasien, Iran and 
Arabien. Winckler* Forschungcu 
üln*r die hethitiseha Kultur iü Din 
Judenkolonien in PnlAstiua äü, Mau- 
rer, Die AblösungsforuiPii im Alten 
und Neuen Testament III. Regulie 



402309 



VI 



Inhaltsverzeichnis de« XC1. Bande«. 



rung der Grenz« zwischen Ägypten 
und Syrieu 115. Abergläubische Vor- | 
Stellungen und Gebräuche dei Volke* 
in Anatolien 114. Goldstein, Die 
Herkunft der Juden 1-4. Kurdischer 
Regenzauber Die persischen 

Hilfen Bnschir und Bender Abbat 
1«3. Der KameUatlel bei den Bedu- 
inen 180. Die Stellung Armeniens 
im Gebirgsbau von Vordcrasieu »2.1. 
Volland, Aberglauben in Armenien 
und KurdUtan. Mit Abbild. 341. 
Asiatische* Rußland. Die Natur- 
schätze der Insel Sachalin 20. Ar- 
chäologische Kunde in der Umgegend | 
dos lasyk-Kul 51. Buturlin* Kap«- ' 
dilion an die Kulyma 192. Der neue 
sibirische Handelsplatz Nowo Nikola- 
jewka 324. 

ClilneslHches Reich, Tibet, Japan 
mit Korea. Graf de Marsays Reise 
im westlichen Szetschwan 19. Die 
Naturschätze der Iuse] Sachalin 20. 
Calverts Reise durch das westliche 
Tibet 36. Die Tibetreise Dr. Erich 
Zugmayers 52. .Die grüßte arebäo. 
logische Entdeckung seit Layard und 
Rawlinsou* (Ostturkestan) 68. Dr. 
Steins letzte Forschungen in Ost- 
turkestan 90. Zugtnayer, Kine 
Heise durch 0»tturk««Un und West 
tibet- Mit Abbildgn. 133. Sven v. 
Hedius TibetreUe 147. 344. Dr. Ta- 
fel» Tibetreise 147. 292. Die Japaner 
auf Sachalin 211. Der Bernstein in 
China 224. Deutschlands Wirtschaft 
liche Stellung in Sildi-hina 254. Pel- 
liots Mission nach Ostturkestan 25t*. 
Die pflanzengeographische Bedeutung 
Ostaaiens »5». Neue chinesische Eisen- 
bahnen 27«. Wingate* Reisen in der 
chinesischen Provinz Kganhwei 292. 
Frhr. v. Reitzeusteiu, Hakoue, 
ein Sommersitz des Mikado. Mit 
Abbild. 31«. Der Pamrgoug Sc© 340. 
Die Entwicklung von Kiautschou im 
Verwaltuugsjahr 1. Oktober 11105, 0« 
372. 

Vorder- und Hinterindien, Indo- 
nesien. Workmans Glel»chcrsludieu 
und Bergbesteigungen in Kaschmir 
16. Hegendauer uud Regenstarke in 
Hatavia 84. Körperstrafen in den 
Hindu- und Tamilcnsclmlon l«0. He- 
gers St udieurcisc uach Niederlihidi«eli- 
Indie.n 181. Stolk* Reise in den zentra- 
len Teil vou Borueo 13'.'. Krau Selen- 
kas Reise nach Java 1 £»*• . Bildung 
einer neuen vulkanischen Insel an 
der Küste von Arakan 212. F. u. P. 
Surasin, Die Steinzeit der Weddus 
255. Kurtz, Kennzeichen von Ni 
veauändorungen in <len Philippinen. 
Mit Abbild. 271. Die Urbilder für 
die Messinghelme in Indonesien 324. 
Seidenadels Grammatik der Sprache 
der Bontoc-Igoroteii auf l.uzon am. 
Der Panggong-See .140. Der neue 
französisch siamesische Vertrag 371. 
(iräkoromanische Einflüsse in Indien 
»73. Die Khasi in Asram Mit Ab 
bildg. 384 Die häufige Errichtung 
neuer Hauptstädte in Burma 3*8. 



Afrika. 

Alliri-melnes. Selbstmord bei den Ne- 
gern 103. Abstammung und Heimat 
der Negerhirse 184. Pnrallclismus j 
zwi&chuu der ('anidenfmma des ii<|Ua- 
t.iruilen Afrikas und der Südamerika* 
195. Verbreitung des Kadenspiels in 
Afrika 210. 

Nordafrika und die Sahara. Kapitän 
Touchards Zug durch das IjukI der 



Asger-Tuareg zur Oase Dschauet 14. 
Der Saharazug des Oberst Laperrine 
von Tuat nach Taodeni (Marz bis 
Juli 190«) 1». .122. Pobeguin* Unter- 
suchung des Sebu 20. Prof. de Ca- 
lassanti-Motylinskis Reise in das Ge- 
biet der Hoggar Tuarcg »5. v. Kleist, 
Die Oase Biluia 85. Neue französi- 
sche Forschungen in der westlichen Sa- 
hara »3. Haus Visehers Reise durch 
dl« Sahara 100... Regulierung der 
Grenze zwischen Ägypten und Syrien 
115. Die wirtschaftlichen Verhält- 
nisse Tripolitaniens 147. Kapitän 
Mangius Zug nach Borku 244. Die 
Erhöhung des Nildammes bei Assuan 
307. Karutz, Tunisische Dolmen. 
Mit Abbildg. .10». Die Kunst des 
Kinbalsaimereiis der Leichen im alten 
Ägypten 324. Goldsteiu, Di« The- 
saurierungspolitik der Sabarabevölke- 
rung »7«. Französische Saharaxiige 
im Jahro lPOf» 38«. 
Westafrlka mit Kamerun. Butter, 

Bauium. Mit Abbildgn. 1. 28. 44. 
SpieO, Das Gehöft des Gottes Za- 
kadza iu Nogokpo. Mit Abbildg. 8. 
Scherer, Kine Schädelstätte im Boa- 
bab (Seuegambicn). Mit Abbild. 15. 
Das Maneugubaplateaii 18. Das 
Kiesengrab von Küssen 50. P. Spri- 
gades Togokarte, Blatt Atakpnme «7. 
Moisels Studienreise nach Kamerun 
100. Fetischismus iu Togo 131. 
Marqunrdsen, Der Berg Mindif 
iu Adamaua 138. Struck, Ist der 
Große Kamerunberg noch tatigY IUI. 
Untersuchung de« Mixen. Tuburi- 
Wasserweges durch d'Adhemar und 
Auduin 1*4. Die monolithischen 
Denkmäler bei Toudidaro 25b. Ca- 
tors Mitteilungen über das Gebiet 
südwestlich vom Niger— Denue-Zu- 
saminonfluS 258. Sprigades Togo- 
karta, Blatter Bistuarckhurg und 
Taniberma 291 . Der Kopf des Ba- 
mumherrschers Sango 307. Ermor- 
dung de* Dr. Walter Volz im Hinter- 
laude von Liberia 30*. v. Kleist, 
Die Verkehrswege von Französiseh- 
Westafrika 318. Das vulkanische 
Gebiet im Norden und Nordosten 
des Knmerungchirges »23. Kdinoud 
Perregaux' Arbeit ul«r die Aschanti 
324. Kreydenbergs Mitteilungen über 
den Tsadsee 3*9. Die Ostkamerun- 
Grcuzexpodition 3H7. 
Äquatoriales Afrika (mit Osthorn) 
nnd der Sudan. Kaiser, Die 
wirtschaftliche Entwü-kelung der 
Ugandahahn-Länder. Mit Abbild. 53. 
«9. 85. 101. Die Ngunibergc 84. 
Festlegung der englisch kongiwtaat- 
lichen Grenze nördlich vom Albert - 
Kdwardsee 99. Bahtiprojekt für 
Kranzosisch-Kongo 11*. Dr. Jägers 
und Prof. Dr. Weules Studienreisen 
iu Deut«cli-Ostjifrika 131. Das eug- 
lisch-französisch-italienischc Abkom- 
men über Abessinien 148. WeiB, 
Land und Ix-ute von Mpororo III u. 
IV. Mit Abbildg. 153. 105. Unter 
suchung de* sogen. Tuburi -Wasser- 
weges durch d'Adhemar und Audoin 
114. Ausbruch eines der Kiwuvul- 
kane 180. I'feilgifte in Westafrika 
(Angola) 180. Die Eisenbahn Lobito 
(Benguela) — Kntauga 195. AbwhluO 
der Alexanderschen Kxpeilition durch 
Afrika 198. Karte von Deutsch Ost- 
afrika mit Angabe der nutzbaren 
Bodenschätze 198. Fnbry, Aus dem 
Leben der Wapogoro. Mit Abbildg. 
uud 1 Karte 197. 218. Kine erneute 
hydrographische Untersuchung des 
Kauiolondo-Lualaba 201». Smith' Be 



riebt über die deutsch- englische 
Grenzexpedition (ISOV'OS) von Ka- 
rungu bis zum Nordabbang des Ki- 
limandjaro 212. Powell Cottons Reise 
durch den Osten dos Kongostaalet 
227. Sprigades und Moisels Karte 
von Deutsch-Ostafrika. Blätter Bis- 
marckburg, Kalambo-Mündung und 
NeuLangenburg 227. Gutmann, 
Die Fabelwesen in den Märchen der 
Wad«chaggn 239. Expedition de« 
Herzogs Adolf Friedrieh zu Mecklen- 
burg nach dem Nordwesten Deutach- 
Ostafrikas 244. Förster, Die Ru- 
wenzori - Ferner. Mit 1 Karte 245. 
Die Ababua 275. Nordoat-Bhodesia 
290. Steigen nnd Fallen des Njaasa- 
sees 292. Das Tsadaeebecken und 
das System des Hahr el Ghasal 322. 
Starrs ethnographische Heise im In- 
nern de* Kongostaat« 358. Freyden- 
bergs Mitteilungen über den Tsad- 
see 36». Die Ostkamerun - Grenz- 
vxpedition 387. 

Südafrika. Die Ausnutzung der Kraft 
der Victoriafälle des Sambesi 47. 
v. Luxchans Bericht über eine Reise 
in Südafrika 115. Geutz, Die Ein- 
führung von Kamelen nach Deutsch- 
Sudwestafrika 143. Ptianzenfonna- 
tionen von Transvaal und Hhodeaia 
184. Gessert, Wasserwirtschaft- 
liches im Ambolande und im deut- 
schen Teile der Kalahari 205. Pas- 
sar g u . Ophir und die Simbabyo- 
kultur 229. 

Afrikanische Inseln. Die Pflanzen- 
welt von A*cen»ion 35. Zur Kliuia- 
tulogie der Kanarischen Inseln 280. 



Amerika. 

Allgemeines. Friederioi, Die Wir- 
kung des Indianerbogens 325. 

Britisch- Nordamerika and Alaska. 

MacGregors Besuch der Oatküste von 
Labrador »8. Das Zurückgehen der 
Niagarafillbi 179. 
Vereinigte Staaten. Kalifornische 

Höhlenforschung 20. Paläontologi- 
sch". Forschungen in Wyoming 52. 
Beobachtungen über das Krdellipaoid 
in den Vereinigten Staaten Ü4. 
Menschliche Reste im LöU vou Ne- 
braska 148. Das Zurückgehen der 
Niagarafälle 179. Wissenschaftliche 
Arbeiten der Phillips- Akademie in 
Andover, Massachusetts 211. Henrys 
Klimatologie der Vereinigten Staa- 
ten von Nordamerika 212. Primi- 
tive Sulzbereitung bei den Indianern 
de* Miasissippilale* 2S3. Die Bildung 
des Saltonsees iu Sddkalifomien 274. 
340. Die Muschelabfallhaufen an 
der atlantischen Küste der Vereinig- 
ten Staaten 35ft. 

Mexiko, Zentralamerika nnd We*t- 
Indlen. Die Republik Kuba 36. 
K. Th. Preuß' Forschungen in Mexiko 
82. Spring. Ik-r Glockenberg vou 
Heniiosillo 95. Das Knibeben von 
Jamaika 14». 198. Zürn. Resiede- 
lungamoglichkeiten in Mexiko 181. 
1'reuU, Die Hochzeit des Maises 
und andere liexehichteii der lluichol 
Indianer. Mit Abbild. 185. Sapper, 
(Ireuadit. Mit Abbild. 232. Prowe 
und Lehmann, Quich^ Sagen 30.V 
Lehmann, Die altmexikanischen 
Mosaiken de* ethnographischen Mu- 
seums iu Kopenhagen. Mit Abbild. 
332. Hauer, Die Guatemala- Nord- 
bahn. Mit Abbild. 378. 

Südamerika. Heinings Besteigung de* 
Aencagua 52. Hans Steüen üt>er 



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Inhaltsverzeichnis de* XCI. Bande«. 



du Erdbeben iu Mittel - Chile 67. , 
UerrmannsPilcomayoExpedition 100. j 
F r i f , Hntiiba<|Ui - Forschungen im 
Hafen Ton Antonius (Parann). Mit j 
Abbildgn. und 1 Karte 117. Erland 
Nordenskiölds archäologische Unter- 
suchungen in dun Grenzgebieten von 
Peru und Bnlivia 132. Diu Technik 
des Federschmuckes der Slidameri- 
kaner 14t». Die Makü-Indianer 180. 
Parallelismus zwischen der Caniden- 
faona de« äquatorialen Afrikas und 
der Südamerika» 195. Abschluß der 
französische» Gradmessung in Keua- 
dor 210. Die Indianer Burinam« 27«. 
Linguistische Arbeiten über südame- 
rikanische Indianer: Koch' Grünberg. 
Die Uitoto; Hühner, Die Yauspery 
2912. Die .Steinströme* auf den , 
Palklandsinseln 323. Goeldis Rück- 
tritt von der Leitung des Staats- 
inuseums in Part 324. 

Australien u. Ozeanien. 

Das Festlaad. Bewäs»eningsprnjekt 
für Neusüdwale* 84. Die Murrhison- 
und Davenportketteu iu Zentral- 
australien 180. Uposimndecken mit 
eingekratzten Eigentumsmarken 228. 
Freiherr v. Leonhard!, Ober 
einige religiöse und toteuii«ti*rhe 
Vorstellungen der Aranda und Lo- 
ritja in ZvntralausU-alien 285. 

Die Inseln. Die Zahl der Buwohner- 
aebaft Neukalcdonieiis 36. Brand 
eis. Ethnographische Beobachtungen 
über die Nauru-Insulaner. Mit Ab- 
bild. 57. 73. Die Einwohnerzahl von 
Neuseeland 84. Der neue Vulkan 
auf Savaii 84. Senfft, Die Bechts- 
sitteu der Jan-Eingeborenen 130. 149. 
171. Albrecht, Chinesen in Samoa i 
174. Die Bedeutung der Meeresströ- j 
mungen für die Besiedelung Mela- 
nesiens 195. Schultz' .Sprichwört- 
liche Redensarten der Samoaner- 
210. Bemerkungen dajtu von W. v. 
Bftlow 347. Wirtschaftliche Verhält- 
nisse im östlichen französischen Oze- 
nien 243. Seidel, Die politische u. 
wirtschaftliche Lage auf den Neuen 
Hebriden. Mit Abbild. I u. II 2*1. 
280. Benucll Island 276. IC Parkin- 
sons Buch .Dreißig Jahre in der 
Südsee' 306. Hahl, Das mittlere 
Neumeckleuburg 31U. v. Bülow, 
Die Lage der vulkanischen Ausbruch- 
steilen von l»n2 und 1905 auf Savaii 
321. FluUtviseu im Südwesten von 
Niederländisch-Neugninea 323. 



Polargebiete u. Ozeane. 

Nord, mnd SSdpolargeblet. Ein bis- 
her unbekannter Eskimostamm ( Prinz 
Albertland) «5. Berniers Kahrt nach 
dem arktischen Amurika 131. Die 
neue belgische Südpidarexpetlitinn 
unter Arctowski 147. 211. Die neue 
englische Südpolarexpedition unter 
Sbackleton 147. 227. Die Nord- 
lichter in Island und Oriinlund 179. 
Fahrt des Herzogs Philipp vou Or- 
leans in die sibirischen Gewisser 
212. Charcota neue Südpolarcxpedi- 
tion 244. 291. Die Mikkelsen «ehe 
Folarexpedttion 27«. Wellmans Po- 
larexpetlitioti MO. Von Amundsena 
Folarexpedition 3*7. Lei ners geplante 
Expedition zar Entscheidung der 
Frage, ob das 14 1 1 1 ist . oder Gile«laiid 
existiert 372. Nansen ül>er Sunl- 
polarprobleme 38*. 



O/eane. Erforschung der oberen Lnft- 
achichten zwischen den Wendekreisen 
im Altlantischen Ozean 35. , Die 
größte bis jetzt im Indischen Okean 
gelotete Tiefe 51. Die geologischen 
Verhältnisse der Oonghinsel 52. Die 
Forschungsreise des .Planet* 178. 
Lotungen im Stillen Ozean zwischen 
Schanghai — Yap, Yap — Guam und 
Yap— Metiado 275. 

Hydrographie, 
Meteorologie, Geophysik. 

Die Fahrt des Freiballons , Jupiter* 
Im>1 Gelegenheit der totalen Sonnen- 
finsternis am »1. August 1905 (Bur- 
gos) 11». Erforschung der oberen 
Luftschichten zwischen den Wende- 
kreisen im Atlantischen Ozean 35. 
Die größte hi* jetzt Im Indischen 
Ozean gelotete Tiefe 51. Der Rhein- 
gletscher 68. Der Kanton Thurgau 
als Gewittergebiet 68. Die Entstehung 
de« Grundeises *3. Land- und See- 
winde nn der deutschen Ostseekttste 

83. Wind und Schnee 84. Hegen- 
starke und Kegendauer in Batavia 

84. Beobachtungen über das Eni- 
ellipsoid in deu Vereinigton Staaten 
84. Die Seen und Solle Neuvnrpnm- 
merus und Rügens 115. Die Eis- 
wirkung an Seeufurn 11*. Seiches- 
untersuchungen an den Seen des 
Salzkammergnte* 131. Auslotting von I 
drei Seen im Zirkus von Rabuons 132. 
F.intinß offener Gewässer auf den 
Orundwasserstand 163. Die glazia- 
len Erscheinungen im Odenwald 1*4. 
Die Nordlichter in Island uud Grön- 
land 17». Die Bedeutung der Mee- 
resströmungen für die Besiedelung 
Melanesiens 195. Übersicht über das 
Klima von Halle a. S., Tom Baal- 
und Manwfelder Seekreis 20». Die 
Regenverhnltnlsse Ungarns 20». Ab- 
■chluU der französischen Grndmessung 
in Ecuador 21u. Die Einwirkung der 
Trockenperiode im Sommer 1904 auf 
die biologischen Verhältnisse der Klbe 
bei Hamburg 211. Die mittlere Dauer 
des Frostes auf der Erde 211. 340. 
Henrys Kliniatologie der Vereinigten 
Staaten von Nordamerika 212. 'lern- 
peraturuntersuchungeu im Loch Ncs* 
259. Beitrüge zur Kllmatnlogie von 
MeiBen 259. Dreus h>drogra]ibische 
Untersuchung des Kochel- und Te- 
gernsees 260. Wasserfälle und Strom- 
schnellen 2*0. Zur Klimatologie der 
Kanarischen Inseln 2*0. Lotungen 
im Stillen Ozean zwischen Schanghai 
— Yap, Yap — (Juam und Yap' — .Me 
nado 275 v Untersuchungen über die I 
morphologischen Verhältnisse der 1 
westpreußischeii Seen 275. Steigen 
und Fallen des Njassasees 292. 

, Schwarzer Hegen" in Perabrokwliire 
308. Das Ende des Wctterschi. ttens 
340. Die Eisverlittllnlss« der Klbe 
und ihrer Nebenllü«»e 355. Wetter- 
lage und Vogelzug 3*1. Geodäsie 
für Geographen 3*2. Klimatologische 
Probleme im Lichte moderner Seen- 
fnrschting 387. 



Geologie. 

Iiic geologischen Verhältnisse der 
(ionghiusel 52. Palilontologische 
Forsuhungen iu Wyoming 52. Hans 
Steffen über das Erdbeben in Mittel 



Chile *7. Zonen an sandigen Ufern 

67. Der Rheingletscher 68. Geolo- 
gische Probleme des Alpengebirges 

68. Der neue Vulkan auf Savaii 84. 
Breu, Der ehemalige Königs-, To- 
gern- und Kochelsee 110. Das Erd- 
beben von Jamaika 148. 196. Mensch- 
liche Reste im Löö von Nebraska 
148. Struck, Ist der Große Kame- 
rnuberg noch tätig? 161. Die gla- 
zialen Erscheinungen im Odenwald 
1*4. Lorenzen, Die Mollusken in 
den Kreideablagerungen Dänemarks 
177. Das Zurückgehen der Niagara- 
fälle 17». Ausbruch eines der Kiwu- 
vulkane 180. Allgemeiner Bericht 
und Chronik der im Jahre 1904 in 
Österreich beobachteten Erdbeben 2 1 0. 
Der Nephrit des ßodenseet 210. Der 
Stuttgarter Talkessel von alpinem 
Eis« ausgehöhlt 212. Bildung einer 
nenen vulkanischen Insel an der 
Küste von Arakan 212. Zur Nephrit- 
frage (Ligurien) 225. Die Größe der 
alten Kontinente 259. Das Erdbeben 
von Semacha in Kaukasien 259. 
Kurtz, Kennzeichen von Niveau- 
Änderungen in den Philippinen. Mit 
Abbildg. 271. Die Bildung des Sal 
tons««s in Südkalifornien 274. 340. 
Antike Vulkankunde 275. Vulkano- 
logische Studien aus Island, Böhmen, 
Italien 27«. Die mährischen Karst- 
tälor 276. v. Knebel, Theorien des 
Vulkanismus 277. 303. v. Bülow. 
Die Lage der vulkanischen Aus- 
bruchstellen von 1902 und 1905 Hilf 
Savaii 321. Die Stellung Armeniens 
im Qebirgsbau von Vorderasien 323. 
Die .Steinströme" auf don Falk- 
landsinseln 323. Das vulkanische Ge- 
biet im Norden und Nordosten des 
Kamvruugebirges 323. Fossile Dü- 
nen 356. Einfluß des Bodens auf die 
Vegetation 371. Die Ursachen der 
Erdbeben 372. 

Botanisches und Zoo- 
logisches. 

F.inige für Norwegens Fauna noue Vö- 
gel 20. Lorentzen, Die Fische im 
Troms0-Sund 33. Die Pflanzenwelt 
von Ascension 35. Pal&ontologische 
Forschungen in Wyoming 52. Amci 
sen und Pflanzen 1*2. Pflatizenfor- 
mat innen von Transvaal und Rho- 
desia 1*4. Abstammung und Heimat 
der Necerhirse 1*4. Lorenzen, Die 
Moll unken in den Kreideablagcrungen 
Dänemarks 177. Q engl er, Der 
Kreuzschnabel als Hausarzt 193. Die 
Verbreitung der Wildhunde 195. Par- 
allel isinti» zwischen der Canideu- 
fauua des Äquatorialen Afrika» und 
der Südamerika» 19ä. Forderung 
nach Errichtung einer biologischen 
Reichsanslalt 195. Die Einwirkung 
der Trockenperiode im Sommer U'04 
auf die biologischen Verhältnisse der 
Elbe bei Hamburg '.'II. Die Flug 
hörm-lien in den russischen Ostsee' 
proviuzen 244. Die pHanzengoogra- 
phische Bedeutung Ostjtnietis 259. 
Die pflnnzengeugraphlseheii Verhalt- 
nisse der Plattensee-BaJatonsee-Ge- 
gend 354. Interessante tiergeographi- 
sehe Falle 356. Versuch einer pllan- 
zeugeographischen Cnigrenzung und 
Einteilung NorddeuUcUlands 35*. 
EintluO des B. Kiens auf die Vegetation 
371. Pflanzengeographische Skizze 
der Sudeten 370. Wetterlage und 
Vogelzug 371. 



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VIII 



Urgeschichte. 

Weitere Durchforschung der StAtto von 
La Teno IIS. Handabdrücke In der 
Hoble von Gargas 116. Prahistori- 
•eben von Capri 147. Gegen das 
ehemalige Vorhandensein einer Kup- 
ferzeit 147. Der diluvial« M*n*ch 
von Krapina 179. Der Nephrit de* 
Bodonsees 210. Per Kultus der Men- 
hirt liei den Kelteu 21 A. ¥. und P. 
Harasin, Die Steinzeit der Wedda« 
255. Die monolithischen Denkmäler 
bei Tondidaro 25«. Primitive Salz- 
beroitung t>ei den Indianern des 
Misahnlppitalea 258. Karutz, Tu- 
nisische Dolmen. Mit Abbild«. 309. 
Die Muschelitbfallhaufen an der at- 
lantischen K liste der Vereinigten St»»- 
teu »5«. 



Anthropologie. 

Kritsch. über die Verbreitung der 
öy.lichrn vi)lli-Tii;iji-i; und ihn- 

Ke/teiiimyt n zü m 1 1 \V;ii:ilri'\ < ■] K -e r ;l~ ' 
Mit Abbilden. 8. 21. 37. Gold - 
stern, i'ie Hei'-, -,mtt der Juden 

Ui. Mrii«i-Idir he Ufte in, vnu 

Nrbrnnka 14H. T>i*t Herkunft rlwr 
hlulrlfli .lüden - J 1 . 



Ethnographie nebst 
Volkskunde. 

Spielt, Das Gehöft des Gottes Zaka- 
tl/.s. Mit Ali>iil.l. I». l'nfu-li, Uber 
die Verbtcituij^ der i.wiHWiLiii Ur - 
b'ividkernnevn '-'t.'l ihre He/lehnn-ty-n 
71] iL :l Wiiiide|-y,ilkern. Mil Abbild. 

«. 21. 37. Scherer, Kine SchUdel- 
»tatie im lioiih,!.::. ?Sem ^ambi-m I. Mit ■ 
Abbild, 1 *>. VaiiHitiin in der nn-ii^-h 
lu'beu Kultur lit. Wj;;.-klcr» 1' -r - 
nWuine.m über die het int i -u-lif Kul - 
njf l'.iu bi-her unhr Aiihiirt-r K* - 

kimoatamm (Prinz Albertland i 35. 
IWnit?rkiitiK'-u tibi-r ti it.- ra^ in- he 
Bauern wohr.mig 33. !>]'■ Berich ung 
l>raine.Wm '■];;> zu den nal in heben 
Hiebt ü 1 1 ; ' r n der mittelaltel liehen Huri - 
didSr-tralj'en ''<' ltiir K je--- Ii i; l L a b V"U 

K u?*eri M. Arvtiiio.i -Lusche Funde 
in der I ' tni;»'L"'ii'' dr- l-<\k Kul älT 
1- bergan r; dir malten Ilnu»nniik'-u 
und Kira-titiiiu>zeu-hen zu der. Wnp - 
l'tm Dr.i inieiti, F.thii 'p;raphisrhe 
i-t- oiiKclitui'.jjL'ti über die Nauru Imu 
Inner. Mit Abbild, f-7. 7Ji. Kaii.di, 
N'euere ,\ rit'-iti'i) zur \ 7 dke i k u n de, 
Vr-lkei^-eM- hi L-ibuu^ un l YedkHl-.uieie 
vnii ttalizi.'n, K'iq>i-rh IVd. n und der 

1 kra i-'. 7-.. .Ibi' i.TiH.;,j nrctiai. 

higisebe Kutdeckuug seit Layard im i 
Raa liiisim" (Ontturkestan) US. K. 
Th. l'fiiiili' FitslIiuii^cii in Meviko 

ü Dir .In-lenl-ail mini 111 Palästina 

83. Der kriminelle Aberglaube in 
p"iiut llede'.ituiiy fur dir grrii-'ntliclie 
Medizin »II. S t ■ r ' f ' . l*er < ' ]■ -i U <_Tl - 
h'ir Vol. Iii I iiiiiMli.i l'.'i. K -t | l-T - I 

hlJllft:» III •■lflJ llili'li. lili i 'i'illil ilt-.U- I 

uchulen l'H). Maurer. Die Ablb- i 
»i.ni;-!''!!':!!'.':, im Ali<;n und Neuen 

' '^tiiinr nt : II v I .iim b w- li.. r .-Ii' 
üli^r i-ine lteiw» in Sndafrlla nfi. 
Abergläubische Vorstellungen und 
'bduHijc::. y.,.iKr.> in AinU' Ii-:it 

l I '' r'ric, tjambn<|iii- K'irsfhuDKen 

IUI II Ht'rll ■■ ■ TL Allli .IIHi.l I 1'ar.lV, l ; 

Mit Ahlidd. Li. 1 Kuli-' I : 7. Kur.ii - 
»fher ByK«ii/-nitwr 1^1. KKischis - 
nr:- ;n ■:-.> 1 : ; Krhm-t N"rd'"i 



ikiolds archaolctgirchi) 1 titersuchnpg 

■ u don Ciieti^rfbirtrn vnu lVru unil 
Bnlivis l Sunfft, lbr Kf-i-Ut«- 
sitten der Jai>-Eingeborenen 139. 149. 

171 Tlio TVwtinifc Ha« KcHomrhmiir-L"^ 

der Sü<i.imrnkaner I4 a . WeiB. I.apil 
lirnl I.fiiti> vnu M [Lirvir.' III tliid IV 
Mit Abbild^, l.ilt. Ii'.'.. Hwlb.itui.ird 
lui drn St^itni Ii;;;. lins Miiz/nT 
f.-,i i]t t- .In b-n zu (Utfru 171-, 1'fiTT 
gifte in Wetttafrika (Angola) 180. 

llrr k;il7-.rb;ifnl drr lirdllini-n lrjn. 

Ihr Muk'i lndiiuirr iat>. FreuB. 
Dir Hivh7fit tiw. Mni^t-s und Kinlar» 

f iiKiOiinhtcn Aar llnirhfil Inrliuni r 

Mit Abliiidg. 195. Gen«ler. Der 

Krpii:'M-lmnli,.| als llifinir/t !_!ÜL- 

Kaiiry, Aus dem I.ebeu der Watio- 
yin-Li. Mit Abbi'.dg. u. 1 Ksrti- 1i'7. 
21B. KiitimeTer. über Ma»Ken 
und Mtifk'.iiik—ln-iiu.-lit' nn 1,':Ki-!iuii 
tai ihalit.in ' \\ »1 lin i. Mit Abi.|!d~ 

■■ Tlltrl llU S..tldrrhr|l;,.r,. Ml, 2i:-- 

il^i I'ii- ilrki'i-alivr Kuüit KrvUn 

im Uronzateitalter 2JÜ Üc h'ii '.r' 

.Sprichwörtlich« Bt»d<.'n»t«rU'p der Sa- 

llliiiirnr" -.'In lk-llirrl. migrii dii.'TT 
vcirs \V. v. TTT Vt-rbreituiii; 

Vadrin.!.:.-!» ii. Af;ikn L'l" "\VTT 
^i tiüch-tf i lii-h-j Arl'ril'.'ii ib--r l'hil'ii'- 

A ^iHrnnr III A lid <\ M; t sn;tr'lili<rt l^ 

-II. D it I l ri nst i-L i i iii < h i:.n .:i. 

Oliiwjiiindi-i.'krii mit eingekrauten 
Kigetituinmnarkeii 228. Der Kultus 
der Menhirs »n i den Kelten ~^HT 
Passant-, 'Jiiltir und die 8imbitbye- 
k .iUur t. u l in. hui. Die } ii'..-l 

»e»en iu den Mkrrhen der Wii- 

dsclmgga 239. Zur tsiedelungskunde 

■ It-s t'iii dlii:lirij Hiibtirr/ynisrliru Mir 
gebnin.lL'^ - 4 -t . Übrrblii-k illi-T dir 
"-hwriyrriM'.lu- Y..,lk-.lmiilft '-'. r '7. I'r: 
mitive Salztitreitung bei den India - 
m-rii de» Misfissippitak* :'<•. I ' t >- 
tr<t"ii t'r.-rtii. hi l .rli r..i '- h -.u I-- 1 m v n 
l'.t'Wnbtinr ilii Alliinirk 'i»>. Ii-'/ 
ner. Die Sloyeiien. Mit Abbildgti. 
■JiVi. l)lr Hrll-i -ttrl- dfl A^yptri- 
und (ii irrlitjii 'JT-j. Iii.. Almhna i7. r . 
Dia Indianer Surinams '-»7(t. Die 
l'.irmnm uiidrriiti^rn im ),ri-n3i»chen 
M I i- -7lr l-'rlir- v. l. r r. m Ii a r d i , 
(.ilirr riljj^r lt'h;;l.^r lllld tubnjIS-T 

i*.-hr V...I ^- 1 - l'.i.n u; dri A:.tiii:t lind 
Iji'ritjix ir, /iMitiviJLi'.istrikl vn -; w "r l >rr 

Kn]if Iblinundlrrrs. hrrs S;uiL r Ti 

'■h7. I.itngli:.ti»" N'ni' ..im! it.il- i.l. nf r 

■Irl- rt.ninz l >M|H i LILirn ;-,.■!.. H.iirn 

I'h.h iiiit'l"f. Nei.t^H'rklt'iiV.urg 

Ine I rbildri- fur M.."i'ii,-:h»Ti7^ 

in luiliii.r«iiMi l>r. kiin»t dm 

}.'-.ul|.,.*:i]].i"l ru- ilnr L. |;-hr:-. im ullrii 
Ärytten 324. Kdmond l'-ri rr:< n\ 

Atlvit nbrr dir A-oln\nti ..-.:4 I ' ue 

r i i' i . lKr Wirkm.^ drs lr.d uiri,i-- 
btjtfyns 325. Hähertin, Flechten 

lind Wrbfii Hilf l'nlil und dru Hill- 

ligen. Mit Abbild. o3ü. Lehmann. 
Mir a Jujr.vikaiii-i li'-n M>iiniken di--; 

rt li:|iirril|iln<rhrli Ml]^ril;:.H in KnjiPlr 

hnrrn Mit Aliluld. 3JI2. Scholl, 
At:m-l.f?.i>ut-er am liri riM iiru Huum.. 
Mit A):.bi:d;:. .t -. V ■> I I n. d . 

A'n.r^;]au|inii iu Ariz—nirn und Kin - 
'Ü ' lM I, ■ A tibili] , Hl, P r Km 
flnU der Vorkehr»« eure der h'lu>it>il«.r 

li::l Mili'rn .Ulf AlK.l|;r i.ll.il Kill 

w i-k- lui:^ drt di.r. ,'fti Hj.-di luut'eu 
liö.V Das Wal iryjigtjii aus dem Schul - 

1 1- 1 1 ■ 1 iV nur-, -;ii.-. -Ii- |,..: I'i.j 

M ij 1 h-: ■ 1 1 ■[ ;•■ I ■ h ;l 1 1 :'■ i , i,n ■ i ■ - 1- jil;i.-.:i- 



schen Kiinte der Vereinigten Staaten 

■■■■-r ^'.«1 Ii- ■ ■ 7 I i 1 i i y : ,> ] 1 1 1 1 - r 1 1 r II .j-. 



im Innern des K>>u 




W. iUenbere, K'ran 


klitit iimi 'l' .d 



1,-1 ,-i-n -inl, ii'-ivln Ii -I i' lt : . .'Cl 



A lihiM. 3.S7. nräliinitrlimiai-he Kin- 

Mfl«B [n Iniii-ii 372. Goldstein. 
Die They-iurin un^iipolitik der Ba- 
liArnbevölkeruiig H.l'. Die Khasi in 
A..»m Mi» ShhiM Mi« ).»■■■ 

fi>;e Krnchtmn' linier llaiiptstädtc m 
Hu :ni Ii >s M ■di rn.-r l.'ruidoi, - 
Bchwindel in Wi>les 38H. 



Sprachliches. 

Die .»[intchliche V-jrwaii'l'schaft iler 
Cii-ik'.-It.iler 174. Knie <liali-»;<-ibic~ 
ai-he Karti: UuUlands Das itlto- 

st« Denkmal der iaU>i i aianUclieii 
Sprache 276. Lit^'m-tiich-; Arb.jjtt.ii 
lilt, r wiMlamri ;k.iljirirbe lniK;i:;'T ; 

Koch-Orünberg. Die L'itoto; Hübiier, 
Iii»- Yau:ipri\ -i' 1 -. I'r'>Wr und 
Lehmann ^ui che Sagen :>>.<!>. bei - 
drnadt-ds LI laintu.'il ik di r Sprache der 
Hrntnc-l^iiriitrn m.f I,u.'i_,n UtT 

Biographien. Nekro- 
loge. 

Konsul a. D. Dr. Karl Ochseniu» t 34. 
Kniii- Ain-UHtr Hmily f 35. liriif 
Kuiten Zii-hy t ' l '" lf 1>r - Alfre.l 
Kirrhlviift i Alli-rdu rinivenPf 

■.;7. Ilm rb a n , Litiur alw Kthin.lrme 

■-t»:i. Albelt S:i::iuvl iint>:-|irt \ :M->. 
t.idn imint Dl, Arthur Ibuillli-r | Ittia. 
Krmordung des Dr. WaUer Volz im 
UiLlU l liUl '<: v"b l.'- b' . -tn. S'JS. Karl 
Ludolf Griesbach t 324. Edmund 
l'errrtr.-im <■ :)'-'4, 

Kar te n und Pläne. 

Diu Sur-bnijUK im Hafen von An 
tefi'.mi I I'ai-Hini i 117. Dm r;>iin«rtiii 
(li-eiv/wehi-ny >tein i; ; der > ■ t l.n-lm n7 

Irl. Lirlurt d er \V a poi;- uri) 1 1-7. 1 ):e 

Uiiiveti zi ir,- Kern er niudi den Kunriiuu " 
g^n de^ Iii r/<>|^s der Abruzzen 247. 
Sliim.-nii.Wies in-ii.-ft bei Hann 'Jf.fi. 
SliiWrn:-<.||e (i eil- dt.^nliigo .-in der 
kr..:itl.i rlien iiren/.p -;ii7. Skizze ifr7 
M:»;:il»lem»iii<-h;»flite. und de- neu er - 
f'.'l-dil-.-n n .U b .Ti r'ü'"-ben l'o.kl.i ^ 



Abbildungen. 

Europa, llidzuiasken au« dem Löt- 
scheuLal. Hunderbeilage zu Nr. 13. 
Maskenkostüm aus dem Lötschental 
202. Uafin von Santiego. l'ntrrer 
Ort. Im Hintergründe die Rand- 
terrawn San. Blick auf die Haud- 
terrafHen »u« dein neuen Ilafeu von 
Sausegn 210. Abstürze im Sande 
von Baiiseg«' SM. Krauen und was- 
sertrugeinle Mädchen von Sansego 
252. Nord«'estkü«te von Kansego. 
Knlklmnis und Handterrassen 252. 
Protil von Sansego von Ost nach 
Weit 25.H. Slowenische Harfen oder 
Uarpfen 2*S. Slowenische Harfe mit 
Dachanbuu, Seitenansicht 20g. Ab- 
stieg iu den Mugiliilenenschacht 209. 
Heim Olmenfnnc in der CeniK-jama 
3oy. Passieren der Strenge (Magda- 
ltnensehacht) 300. Heim Klußtrans- 
port in der l'iuka jaina 7101. An- 
wirbt «.ii* der Martel- Galerie 302. 
Fleiihten von Litzen mit den Tun- 
telsM:<kr-u ; llatulweben mit dem Wetie- 
brett (Halligen) 3:10. Litzholz, Ile- 
giun des Flechten» (Halligen) 331. 



IX 



Hilden der ersten Masche (Halligen) 
SSI. Handhaltuug beim Flechten; 
ein Stück fertiger Litze (Halligvu) 
331. Ein Amulett sndrussischer Juden 

357. Jüdischer Friedhof, ßhdrußland 

358. Erinnerungs- nnd Erkennungs- 
zeichen (auf einem jüdischen Fried- 
hof in Südrußland) 359. Hürnor- 
Symbole an bergUchen Häusern 384. 
Giebel eines Bauernhause« auf GroO- 
Berrenberg bei Gummersbach 385. 
Motiv aus Soest 385. 

Asien- Wedda-Maun au» Ceylon 9. 
Chuang aus Vorderindien 10. Land- 
bebauender Tamil aas Ceylon 10. 
Benoi-Mann aus Malakka II. Wilde 
Iiieng au« Kambodja 12. Gruppe 
vnn Eingeborenen der Andamanen 
13. Kubu-Mann aus Sumatra 22. 
Aetaa-Frau aus Nord Lmon 41. Ne- 
grito-Mann von Luzon 41. Ibalao 
von Luzon 42. Ncgrito (Besisi) der 
Halbinsel Malakka 42. Alfuru von 
Celehes 43. Paß Hu Baschi 134. La- 
ger am Sagüs Kul 135. Landschaft 
in Westtibet 137. Zelt tibetanischer 
Nomaden 137. Faßhöhe des Ki 8u : 
La IST. Die Insel Baltassr aus Bnd- 
ost 271. Nordostecke der Insel Bai- j 
tatJar 271. Südwestecke der Insel 
Bttltasar 271. Bück von Südost auf 
Balta*ar 271. Kryptonierien - Ailoe 
bei Hakoue 316. Schloß Hakone 317. 
Hakonesee mit dem Fu)i-no-yama 
317. Jasylytas; beschriebene Schale 
(Zauberschale) 341. Tierköpfe aus 
Stein Uber dem Eingang der arme- 
nischen Kirche zu TU am oberen 
Euphrat 342. Drei Abschnitt« aus 
einer bemalten armenischen Papier- 
rolle 343. Orientalische* zusammen- 
gesetzt«* Amulett 344. Teufelsfratze, 
als Amulett dienend 344. Der grolle j 
Monolith von Nartiang im Kuasi- 
lande 385. 
Afrika. Blick auf efnen Teil der Stadt 
Bamum 1. ProBI durch die West- 
hälfte des Konkäraassivs von Süd- 
südwest nach Nordnordost 4. Palm- 
rippenfloS auf dem Nun 5. Penis- 
futteral der Badyuigim 5. Das 
Zakadza-Gehöft in Nogukpo 7. Die 
Skeletteile vor dem Eingang zum 
Boabab (Svncgainbien) 15. Joja, Ln- 
mido von Bamum, vor seinem alten 
Palast« 27. Die zum alten Palast 
(Bamum) führende Hauptstraße 2*1. 
Frontseite eines Ortsvorsteherbauses 
(Bamum) 28. Kot Ischtrommel in 
Bamum 29. Profil der Verteidigungs- 
gräben der Hauptstadt Bamum 29. 
Außenanslcht eines Bamumhauses : 
29. Eigenartige Hausbauweise in 
einem Fischerdorf am Nun 2«. Der 
neue Lamidopalast (Bamum) nebst 
freiem Platz und einem Teil der 
Häuser für das Hofgefolge 30. Der ' 
neue Lamidopalast (Ilamuni) 30. 
Laubvngang zum Pavillon an der 
Rückseite des neuen Lamidopalastes 
(Bamum) 31. Industrie-Erzeugnisse 
vnn Bamum (Geflochtener Strohteller; 
Geflochtene Basttasche; Ornamentierte 
Kalabassenschale-, Ruitorlauze; Fuß- 
gängerspeor; Mit Fellstreifeu über- 
zogenes und aus Därmen hergestell- 
tes Gefäß, zur Aufnahme von Flüs- 
sigkeiten bestimmt; Pfeife aus Bronze; 
Gummi; Haumesxer nebst Scheide; 
Geflochtene* Körbchen; Ornamen- 
tierte Löffel; Aus Baumwolle ge- 
strickte, weiß-blau gestreifte Mütze; 
Aus Holz geschnitzter Stöpsel, drei 
Köpfe darstelleud) 45. Geflochtener 
Stuhl 46. Wakambamanner 53. Wa- 
kambafrauen 54. Massonic-Uotel in 



Nairobi. Straße mit Eucalyptus 
bäumen 55. Kikuyu -Krieger 71. 
Viehfarm des südafrikanischen Bied- 
lem London am Ngnre Rongal 85. 
Fort Eldoma (Schimon!) mit Enca- 
lypt us-Anlagen 88. Klgeyo-Gebiet 86. 
Podocarpus- und Juniperus Hochwald 
boi Schimoni, von Lianen durch- 
wachsen 87. Beneciourt auf dem 
Guasso Ngisrhu-Hochlaiide 88. Aka- 
zienhain am Oberlauf der Nsoia 88. 
Sirgoiberg, Guasso Ngischu- Plateau 
89. Alte Befestigung (Moguan) in 
der Pirgoi-Ebene 90. Sirgoisec. aus- 
getrocknet 91. Wandernde Musai | 
VI. Klein vieh weide im Norden des . 
(iuasso Ngischu-Hochlandes 98. Esoi- 
Sambuberg 101. WakuaA vom Kl- 
gon 102. Wakawirondo, Krauen und 
Mildchen 103. Häuptling der Ka- 
brasch 104. Rousenflscherei am Vic- 
toria Niansa 106. Kotikomädchen 
107. Wahimamädchen 154. Wahi- 
maweiber in gewöhnlicher Tracht 
und junges Mädchen mit Bruder 155. 
Bewaffnete Watussi (Wnhima) 156. 
Wahima- (Watussi-)Kinder, Mpororo 
156. Dorf des Sultans Kissilorobo, ! 
Mpororo 158. Wahimakinder 165. j 
Watussi, Haartrachten und Narben 
166. 167. Watuwi (Wahima) 168. 
Die Königin Mumusa in ihrem Trag- 
korbe mit ihrem ersten Minister lö». j 
Die Königin Niawingi mit ihren Töch- 
tern und erstem Minister 170. Wapo- 
goro-Haus 198. Querschnitt der Kei- 
tenwand eines Wapogoro-Hauses 199. 
Ttirverarhluß eines Wapogoro-Hauses 
109. Wapogoro- Schnittnarben 199. 
Axt und Uandsensc der Wapogoro 
199. Strickfalle der Wapogoro 200. 
Zwei Wapogoro, zum NgomaUuz ge- 
schmückt 21». Wapogoro-Weiber, zum 
Ngomatanz geschmückt 220. Ngoina- i 
tanz der Wapogoro 221. Musikkapelle 
der Wapogoro 222. Puppe für Wa- 
pt>gi>ro-Frauen 223. Dolmen zwischen 
Eulida ville und Kairouan, Tunisien 

Amerika. Samha<(ui - Austernschalen 
118. Felszeichnungen von 8t. Do- 
mingo bei Corumba (Bolivia) 11». 
Schädel im Sambaqui famillo 120. 
Petroglyphe in der Nahe von Anto- 
nina 121. Huichol aus Sa. Caiarina, 
aufgenommen in der Mcsa de Naya- 
ritl85. Tempel, zwei Gotteshftuschen 
und zwei Hütten in Sa. Barbara 186. 
Tempel in Sa. Gertrudis 180. Der 
Billiger vor der Trommel sitzend 
(Huichol) 187. Zeremonie vom Fest 
der calabazas und jungen Maiskolben 
in Sa. Barbant 188. 18». Grand 
EUng S33. St. Oeorge's von der Ca- 
renage aus 234. St. George'a und 
Carenage von Süden 235. Charlotle- 
town von Süden 236. Mosaik I 
(Mexiko) aus der ethnographischen 
Abteilung des Nationalmuseums in 
Kopeuhagen 332. Mosaik II (Mexiko) 
aus der ethnographischen Altteilung , 
dos Nationnlmuseums in Kopenhagen I 
MS. Larva Indica variis lapillis ex- 
ornata instar Lithostroti (Mexiko) 
334. Mosaikmaske (Mexiko) aus dem 
Besitz des Arzt«« Ul. Aldrovandus 
334. Brückenbau im Zuge der Gua- 
teinala-Nordhahn 379. 

Australien nnd Ozeanien. Queens- 
lander 21. Südaustralier 23. Papua- < 
Mann vom Hyon-Golf, Neuguinea 37. 
Eiugeborenengruppe von Buka. Kalo- 
mouinselii 3!*. Frauen und Kinder 
aus Neumecklenburg 38. Eingebo- 
rene der Gazellen - Halbinsel von 



loider Eingeborener der Neuen He- 
briden 40. Junger Häuptling, Nauru 
58. Gemästete Tochter dos Häupt- 
lings Jim, Nauru 5». Junge Frau 
mit Kind, Nauru 59. Junges Mäd- 
chen mit Blumenschmuck, Nauru 60. 
Junge* Mädchen mit Blumenkranz, 
Nauru 61. djidera, Tanz mit kleinen 
Stockchen, Nauru 74. Mann mit Ta- 
bakspfeife und Korbchen, Nauru 75. 
Alter angesehener Mann, Nauru 76. 
Knabe mit Negerblut 77. Port Vila 
auf der Insel Va»« 2«3. Eingeborene 
von Merena 281. Kingelxirene von 
der Insel Matlikolo 282. ltorftrom- 
meln von den Neuen Hebriden 283. 
Kanus von der Issel Vao bei Malli- 
kolo 284. 

Botanisches und Zoologische». Po- 
docarpus- und Juniperus • Hochwald 
bei Schimoni, von Lianen durch- 

Guasso Ngischu-Hochlande 88. Aka- 
zienhain am Oberlauf der Nsoia 88. 
Sanibai|Ui-Austernschalen 118. Wa- 
hima- (Watuasi-)Rinder 157. Kryp- 
tonierien- Allee bei Hakone 316. 
Urgeschichte. Dolmen zwischen En- 
fidaville und Kaironan, Tuuisien SO». 
Ethnographie, Anthropologie nnd 
Volkskunde. Palmrippenflofl auf 
dem Nun 5. Penisfutteral der Ba- 
dyuigim 5. Das Zakadza-Gehöft in 
Nogokpo 7. Wedda-Mann aus Cey- 
lon 9. Chuang aus Vorderindien 10. 
Landbebauender Tamil aus Ceylou 
lt>. Senoi-Mann aus Malakka II. 
Wilde Hiengau* Kambodja 12. Gruppe 
von Eingeborenen der Andamanen 
13. Queensländer 21. Kubu-Mann 
aus Sumatra 22. Sttdaustralier 23. 
Joja, Lamido von Bamum, vor sei- 
nein alten Palaste 27. Frontseite 
eines Ortsvorateherbauses (Bamum) 
28. Fetischtrommel in Bamum 29. 
Profil der Vertridigungsgraben der 
Hauptstadt Bamum 8«. Außenansicht 
eines Bamumbauses 29. Eigenartige 
Hausbauweise in einem Fischerdorf 
am Nun 29. Der neue I«midopal*>st 
(Bamum) nebst freiem Platz und 
einem Teil der Häuser für das Hof- 
gefolge 30. Der neue Lamidopalast 
(Bamum) 30. Laubengaug zum Pa- 
villon an der Rückseite des neuen 
Lauiidopalastes (Bamum) 31. Papua- 
Mann vom Hyou-Golf, Neuguinea 37. 
Eingeborenengruppe von Buka, Salo- 
moninseln 38. Frauen und Kinder 
aus Neu-Mecklenburg 38. Eingebo- 
rene der Gazellen-Halbinsel von au- 
straloidem Aussehen 39. Australoider 
Eingeborener der Neuen Hebriden 40. 
Aetas-Frau aus Nord-Luzon 41. Ne- 
grito-Mann von Luzon 41. Ibalao 
vou Luzon 42. Negrito (Besisi) der 
Halbinsel Malakka 42. Alfuru von 
Celebes 43. Industrie -Erzeugnisse 
von Bamum (Geflochtener Strohteller; 
Geflochtene Basttasche: Ornamen- 
tierte Kalabassenschale; Reiterlnnze; 
Fußgängerspeer; Mit Fellstreifen über- 
zogenes und aus Därmen hergestell- 
te» Gefäß, zur Aufbewahrung vou 
Flüssigkeiten bestimmt; Pfeife aus 
Bronze; Gummi; Itaurnesser liehst 
Scheide; Geflochtene« Köroehen; Or 
namontierto Löffel; Aus Baumwolle 
gestrickte , weiß - blau gemusterte 
Mütze; Aus Holz geschnitzter Stöp- 
sel, drei Köpfe darstellend) 45. Ge- 
flochtener Stuhl 46. Wakambamän- 
ner 53. Wakambafrauen 54. Junger 
Häuptling, Nauru 58. Gemästete 
Tochter des Häuptlings Jim. Nauru 
5». Junge »au mit Kind, Nauru 



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X 



Inhaltsverzeichnis des XCI. Bunde». 



5». .langes Madchen mit Blumen- 
schmuck, Nauru 60. Jung«! Mädchen 
mit Blumenkranz, Nauru öl. Kikuyu- 
Krieger Tl. djidera, Tum mit klei- 
ne!) Stackeben, Nauru 74. Maua mit 
Tabakspfeifo und Körbchen, Nauru 

75. Alter angesehener Man», Nauru 

76. Ku.be mit Negerblut 77. Alte 
Befestigung (Moguan) in der Sirgui- 
Ebene »0. Wandernde Masai 91. 
WakuaA von Klgon 1012. Wakawi- 
roodo, Frauen und Mädchen 103. 
Häuptling der Kabrase h 104. Rcusen- 
flscherei am Victoria Niansa 106. 
Sotiknmädchen 107. Kel*2eichnungen 
von 6t. Domingo bei Corumba (Boli- 
vi«) 11». Schädel im Sambaqui Ca- 
millo 120. Petroglyphe in der Niibe 
von Antonina 131. Zelt tibetanischer 
Nomaden I.H7. Wfthimamadchau 154. 
Wahimaweitier in gewöhnlicher 
Tracht und junges Mädchen mit 
Bruder 155. Bewaffnet« Watuasi 
(Wahuna) 156. Dorf de* Sultans 
Kissilerobo, Mporr.ro 158. Wahima- 
kinder 165. Watussi, Haartrachten 
und Narben 166. 167. Watussi (Wn- 
hima) 160. Die Königin Mumusa in 
ihrem Tragkorb« mit ihrem ersten 
MI unter 16». Die Königin Niawingi 
mit ihren Töchtern und erslem Mi- 
ni»ter 170. Huk-hol au* Sa. Cata- 
rina, aufgeuommen in der Maia de 
Kayarit 185. Tempel, zwei Gottes- 
häuschen und zwei Hütten in Sa. 
Barbara 186. Tempel in Sa. Gertru- 
dia 1*6. Der Säuger vor der Trom- 
mel sitzend 187. Zeremonie vom 
Fest der calabazas und jungen Mais- 
kolben in Sa. Barbara 188. 189. Wa- 
pogoro Haus 19«. Querschnitt der 
Soitvuwuud eine« Wapogoro- Hauses 
1Ö9. TUrverschluß eines Wapogoro- 
Hauses 199. Wapogoro-Schnittnarben 
199. Axt und Handsente der Wapogoro 
199. Strickfalle der Wapogoro 200. 
Holzmnsken au* dein Lolschental. 
Honderbeilage zu Nr. 13. Masken- 
kostüm aus dem Löt*chental 203. 
Zwei Wapogoro, zum Ngotuatanx ge- 
schmückt 219. Wapogoro -Weiber, 
zum Ngomatanz geschmückt 330. 
Ngouiatanz der Wapogoro 331. Mu- 
sikkapelle der Wapogoro 222. Puppe 
für Waporo-Kraucu 22:t. Krauen und 
wassertragende Mädchen von San- 
sego 353. Slowenische Harfen oder 
Harpfen 368, Slowenische Harfe mit 
Dachanbau, Seiteuansicht 368. Ein- 
geborene von Merena 2*1. Kinge- 
borene von der Insel Mallikoto 282. 
Dorftrommeln von den Neuen He- 
briden 283. Kanus von der Iusol 
Vao bei Mallikolo 284. Flechten von 
Litzen mit den Tuntelstöcken; Hand- 
weben mit dem Webebrett (Halligen) 
330. Litzholz, Beginn des Klechlem 
(Halligen) 331. Bilden der ersten 
Masche (Halligen) 331, Handhaltuug 
beim Flechten; ein Stück fertige 
Litze (Halligen) 331. Mosaik 1 (Me- 
xiko) aus der ethnographischen Ab- 
teilung des Natiounlmuseuras in Ko- 
penhagen 332. Mosaik II (Mexiko) 
aus der ethnographischen Abteilung 
des Nationalmuseums in Kopenhagen 
33:i. Larva lndica lapilli* exornnta 
instar Lilho«troti (Mexiko) 334. Mo- 
saikmnske (Mexiko) aus dem Besitz 
de* Arztes Ul. Aldrovandus 334. Ja- 
sylitas; beschriebene Schale (Zauber- 
schale) 341. Tiorküpfe aus Stein Uber 
deui Eingang der armenischen Kirche 
zu Til am oberen Euplirat 342. Drei 
Abschnitte aus einer bemalten arme- 
nischen l'apierrolle 343. Orientali- 



I i 

sehe* zusammengesetztes Amulett 344. ' 
Teufelsfratze, als Amulett dienend j 
344. Kin Amulett südrtissischer Juden 1 
357. Jüdischer Friedhof in Südruß- 
land 358. Erinnerung*- und Erken- 
nungszeichen (auf einem jüdischen 
Friedhof in Südrullland) 359. nörner- 
symbole an borgisch«) n Hausern 364. 
Giebel eines Bauernhauses auf Groß- 
Berrenberg bei Gummersbach 365. 
Motiv aus Soest 365. Der groOe Mono- 
lith von Nartiang im Khaaiiande 385. 



Bücherschau. 

Alemann. Am Bio Negro 207. 

Anthropophyteia, Bd. III 48. 

Anzeiger der ethnographischen Abtei- 
lung des ungarischen National- 
■nuseums, Jahrg. III, Ueft 2 1". 

Arudt, Die parlamentarischen Studien- 
reisen nach West- und Ostafrika 144. 

Baedeker, The Dominion of Canada. 
3. Aufl. 208. 

ßaltzer, Dia Architektur der Kunst- 
lxauten Japans 2iio. 

Bielefelds Die Geest Ostfricslands 162. 

Bockel, Psychologie der Volksdichtung 
146. 

v. Brandis, Deutsche Jagd am Victoria 

Nyanza 256. 
Brandtstetter, Ein Prodromus zu einem 

vergleichenden Wörterbuch der ma- 

laio-polynesischen Sprachen 291. 
de Carvalho, Estudos Pernambucanos 

257. 

Conway, My Pilgrimoge to the Wi»e 

Men of tho Fast 257. 
Crookc, Native» of Northern India 257. 
Daenelt , Geschichte der Vereinigten 

Staaten von Amerika 256. 
Decorse, Du Oongo au Lac Tchad 114. 
Den nett, At the Back of the Black 

Man's Mind 114. 
Ein Land der Zukunft 34. 
Kelix, Die Leitfossilien aus dem Pflan- 
zen und Tierreich 226. 
Förderreuther. Die Allgauer Alpen 113. 
Korke, Die Völker Chinas 354. 
Fred, Indische Reis.- 178. 
Külleborn, Das deutw.be Njassa- ttud 

Ruwumagebiet 113. 
van Geunep, Mythes et legendes d'Au- 

stralie 130. 
Geikie, Physikalische Geographie. 

6. Aufl. am. 
Gerland, Immanuel Kant 50. 
Grottie, Zur Landeskunde von Rumil- 

nien 226. 

Grund, Landeskunde von Österreich- 
Ungarn 34. 
Gugenhan, Die Vergletscherung der 

Erde von Pol zu Pol 16. 
Gurdon, The Khasi* 384. 
Hahn, Blicke in die Getsterwelt der 

heidnischeu Kols 17. 
Henning, Der Helm von Baldeuheim 274. 
v. Hesse -Wartegg, Indien und seine 

Kürstenhöfe 13«). 
Uickmaun . Geographisch - statistischer 

Univerxal-TAschen-Atlas 308. 
Hirt, Die Indogermanen, 3. Bd. 146. 
Jackson, Persia Fast and Present 97. 
Johnson, The Stone Implements «f 

South Africa 339. 
Joübert, La nomeoclatiira geographica 

delle coste africana 17. 
Kaindl. Geschichte der Deutschen in 

den Karpathvnländern, Bd. I 374. 
Krause. Die Puchln-Indianer :i06. 
Kruufeld, Der Weihnachtsbaum 178. 
Kropatscheck , De auiuletorum apud 

autiquos usu capita duo 353. 
Langhan«, Wandkarte von Afrika zur 

Darstellung der ßmluiibcdeckung 98- 



Lemke, Die Belsen de* Venezianers 

Marco Polo im 13. Jahrhundert 20«. 
Leonard, The Lower Niger and ist 

Tribes 177. 
Loffler, Dänemarks Natur und Volk 161. 
Meier, Die Bau- und Kunstdenkmaler 

des Herzogtums Braunschweig, III, 

1 u. 2 145." 
Meyers Reiaebücher: Das Mittelmeer 

und seine Küstonstädte. 3. Aufl. 208. 
Meyers Rciseb.icher: Riviera, Süd- 

frankreich, Korsika, Algerien und 

Tunis. 7. Aufl. 208. 
Mogk, Germanische Mythologie 48. 
Nachod, Geschichte von Japan, I, 1 

353. 

Naue, Die Denkmäler der vorrötuischeu 

Metallzeit im ElsoB 162. 
Opitz, Die Medizin im Koran 50. 
Duc d'Orleans, A travern la banquise 

98. 

Peisker, Neue Forschungen zur Sozial- 
und Wirtschaftsgeschichte der Sla- 
wen 1 129. 

Pollack , Über Erfahrungen im Lawi- 
nen verbau in Osterreich 113. 

Radunz, 100 Jahre Dampfschiffahrt 
1607—1907 369. 

Randall-Maciver. Mediaeval Bhodesia 
229. t 

Kasmussen, Neue Menschen 49. 

Regel, Geographie für Handels- und 
Realschulen 33». 

Reinhardt, Vom Nebelfleck zum Men- 
schen, Bd. I, 339. 

Kosen, Eine deutsche Gesandtschaft in 
Ahessinieu 307. 

de Rougemont, Coutas licencieux de 
l'Alsace 66. 

Rumpelt, Sizilien und die Sizilianer 49. 

Snlmou und Charleville, Le Maroc 291. 

Schillings, Der Zauber des Elolescho 
256. 

Schlaginhaufen, Ein Beitrag zur Kra- 

niologie der Semang :<70. 
Schmidt, Geschichte des Welthandels 

207. 

Schneider, Kultur und Denken der alten 

Ägyptor :i70. 
Schönemann, Das ElsaO und die El- 

süsser von den ältesten ZeiU-n bis 

zum Jahre 610 n. Chr. 306. 
Schoenfeld, Die Halbinsel dos Sinai 225. 
Schüller, Geogrntla nsica y esferica de 

las provincias del Paraguay y Mi- 

siones Guarauies 161. 
Schultze, Die Eroberung von Mexiko 

25«. 

v. Schweiger - Lerchenfeld , Kultur- 
geschichte 225. 
Skeat und Blagden, Pagan Races of 

the Malay Peninsula 108. 
Suouck-Hurgroujo, The Achinc*» 4«. 
Solberg, Beitrage zur Vorgeschichte der 

Ost- Eskimo 339. 
Sprigade und Moisel, Großer Deutscher 

Kolonialatlas, Lief. 5 66. 
Stephan, Südseekunst 145. 
Stephan und Oraehner, Nen-Meckieu- 

burg 145. 
The Voyage of the „Seotia" 99. 
Thurston. Ethnographical Notes in 

Southern India 98. 
Tozzer, A Comparative Study of the 

Mayas and the Lucandone* 273. 
Türkische Bibliothek, Bd. VI und VII 

272. 

Tweedie, Porllrio Diaz 34. 
Tyrka, Saneyoschi im Ocoident 33. 
Vainbery, Westlicher Kultureinfluß im 
Osteu 16. 

Weinschenk, Gnindzüga der Gesteins- 
kunde. 2. Aufl. 354. 

Wcinscheuk, Die gesteinsbildenden Mi- 
neralien. 2. Auri. 370. 

Wei mert, Dte Insel Sizilien 49. 



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Werner, TheNalives of British Centn»! 
Afriea 2ÜÄ. 

Werth, Die Vegetation der subantark- 
tischen Inseln lin. 

Wirtschaftet las der deutschen Kolo- 
nien 1*7. 

Wiszwianski, Die Fakturen der Wilsten- 
bildung fifL 

Witte, Wendische Zu- und Familien- 
namen aus mecklenburgischen Ur- 
kunden und Akten Ii. 

Wossidlo, Mecklenburgische Volksüber- 
lieferungvn. X Bd. IM. 

Zotnmrich , Landeskunde de» König- 
reich» Sachsen HZ» 

v. Zepelin, Her Ferne Osten, 1 3i. 



Mitarbeiter. 

Acheli», Th., Prof., Dr., Bremeu Lfi. ifi. 

-J9S 

Adler, Bruno, Dr , 8t. Petersburg UJ& 
Albrochl, Fritz, Leutnant, Frledrich«- 
orf LH. 

Andree, Richard. Prof., Dr.. München 

17 19 911 4* Sil VJ fit', H4 9H IOO. 

IfiT. III. 1 IS 1 lrt. I :< I U.S. Uli. 

1)7. Iii Iii LH. Hb. 1TB- Läü. miL 

■? 1 H "1 1 1°i 92H. - 'S7 9f«* '>74 97S 

•>?■; 9<tn ^nii 't"A ?<j.ri ,m, rt.s>; ;t7o. 

:i7-j ,H14 .HKH. 
Bauer, Fritz, Guatemala 2IJL 
Brande)«, Antonie, Herlin- Westend il. 

za. 

Breu, Georg, München 1 10. 
v. Biilow, W., Mntapoo, Sninoii t'Jl 212. 
ßuschau, Georg, Dr., Stettin •M'.i. 
(.'rasselt, F.. Dr., t'harlottenburg u>* 
Deecke, W., Prof., Dr., Freiburg L Br. 
12. 

Fnbry, Dr. med., Assistenzarzt in der 
Schutztruppe für Deutsch Ost afrika, 
Mnhenge IST. 218. 

Förster, Brix, Oberstleutnant a. D., 
Mönchen iL LiL 1LL2. iiü ILHil V.»E. 

Fric, Vujtech, zurzeit auf Uelsen in 

Brasilien Iii. 
Friederici, Georg, Dr., Hauptmuun a.D., 

Kiel 2isL 2Ü. 22k. 
Fritsch, Gustav, Prof., Dr., Geh. Medi- 

rinalrat. Groß Lichterfelde fi. iL Ü2. 



Gengier, .1., Dr., Metz liLL 

Gentz. Oberleutnant, Merchingen LL3L 

Gessert, Ferdinand, Inachab, Doutsch- 

giidwostafrika '-'öS. 
Goldstein. Ferdinand, Dr., Charlotten- 

burg L2i. aiSL 
üoldziher. L, Prof., l>r., Budapest 222. 
Graebner, F., Dr., Köln LilL 
Grcitn. G„ Prof., Dr., Darmstadt La. IB. 

iL. ü. -ilo. '-> I ü. '.'2i>. 2SJL 27 r>. 

9 Tri 9H1 193 Xitt 37" MS 7. 
Gntmunn. Missionar, Mnsama (Deutsch- 

Ostafrika) 202. 
Hälwrlin, Dr. med., Wyk (Föhr) 330. 
Hahl, Albert, Dr., Kais. Gouverneur, 

llertiermhöhe 310. 
Hnlbfaß. Wilhelm. Prof.. Dr., Xeuhal 

densleW'U S2. 1 LS. I lrt- !•-'•■!■ LH. l.S'J. 

g.'iH. 9.MI. "HQ 221. ..'7.S, 
Uarttnann. Albert, Mönchen XiÄ. 
Uutler, Franz. Ilatiptinaun a. D., zur- 
zeit Dvut«eh-9üdwo»lafrika L 2iL LL 
Jaeger, Julius, Gotier.ildireküoiisral 

a. D., Miinclien 3*3. 
Kaindl. B. F., Prof., Dr., Ozeruowitz 

69.. HL 

Kiuser, Alfred, zurzeit Nordafrika 5ü 
Hit ai. im 

Karutz, R., Dr.. Lübeck :-">a 

v. Kleist, Oberstleutnant a.D., Steglitz- 
Berlin sLi. 

v. Knebel, Wnlther, Dr., Privatdozent, 
zurzeit Island üi. 222. äiLi. aiSL Iii. 
370. 

Kurtz. Kapitanleutnant, au Bor) S. M. 
f. .rinnet- JLLL 

Lehmann, W., Dr., Berlin 22L aüi. i22. 

KreilieiT v. Leonhardi, M., Groll- Karben 
(Hessen) 2ai. 

Iyorentzen. F., Kiel Zü. 2jL 

Ijorettz^n, A., Kiel 1^1. 177. 

Mai'i(UHrdsen , Hauptmann und Kom- 
pagnie Chef , Brieg (Bezirk Breslau) 
i :iw 

Maurer, Friedrich, Dr.. Pfarrverweser, 

Ausbaeh in 
Mehlis, Carl, l*rof., Dr., Neustadt a. iL 

1.V> l«19 

Moser, L. Karl, Prof., Dr., Triest 2A1L 
Miihlbofrr, Franz, I/eutnant, Triest 

Passarge, 8., Prof.. Dr.. Breslau iüL H3». 
Pech, r . U'ipzig äh. m. LS2. 



Planert, W., Dr., Berlin iüLL 

PreuO, K. Th., Dr., Museamsassutent, 

zurzeit auf Reisen in Mexiko 
Prowe, lij Dr., Guatemala 305. 
Freiherr v. BeiUenstein, Bodo, Berlin 

Bliamm, Karl, Braunschweig L2aL 
Both, K., Dr., Otwrbibliothekar, Halle 
äiL tL7_ fiJL Hl- 6A. 1 1 I. IIa. I ri^t ifia. 
HU 178. lWt». 1 2lt». 211. '214. 9 .SU 
•''■■> 2I£. ÜÜ. aü. Mtll Mrtg 

. , . . i i \ . . v ■ '.? . 

Riitimeyer, L. , Prof., Dr., Basel iiLL 

2LX. 

Sajiper, Carl, Prof., Dr., Tübingen S-i-- 
27:t 

8ar.t»in, F., Dr., und Dr. P. Sarasin, 

Basel iäi. 
Schell, OtU), Elberfeld a3i. läi 
Scharer, Jos., cand. med., München LS. 
Schmid, O.. Dr. 8t. Petersburg iüi. 
Schnee, Dr. med., Gr<<6' Lichterfelde 

Ml aiü 

Seidel, IL, Rektor, Berlin 2tLL 2J& 
Senfft, Arno, Bezirksnmtmanu, Kaiserl. 
Regierungsrat, Jap L1S. LÜL iZL 

Sievers, W., Prof., Dr., Gießen 101. 

Singer, iL Redakteur, Schöncberg- 
Berlin LA. 18. Ltt. 'In. ±L 3A. xs. 
■t<l. 47. ±2. iii. iL ü. tiü. tLT_ &tL 
BiiLLfl4.äi.jä« 1 2I.2a.a<L '"" 
LLL LIi. Iii. Litt. L2Ü ÜL Iii. 
Uli 147. UH. im. ioi. 177 17W. 17'i. 
1 XII lfl.S . tfllt 9Q7 9AH 9<IH 9111 ■'! 1 
91-.» 99.S. 907 yjH. <UA og. <j',j 

g.Sit. 'JS7 -JSH 972. -2711 t!91. 307. 

:hos. :iu:t. aü. :vt.v :iu .ir-4 
ili. aal '7 1 .t7 g. :<.sb. :^7. skh. 

SpieB, C, Missionar, Togo £, 

Spring, Johann A., Kapitän, Los An- 
geles 2Ä. 

Tetzner, Fr., Dr.. Oberlehrer, I^eipzig 
Volland, Dr. med., Oberarzt, Bielefeld 

■141 

WniQ, Olwrleutnnut, zurzeit Deulech- 

Oslafrika l.S:i. lfl.S. 
Weißenberc, S., Dr., Klisabethgi'ad 3iJ_ 
Wiedemann, A., Prof., Dr., Bonn 32£L 
Wollemann, A., Dr., Braunschweig Ii. 
Zugnmyer, Kricb, Dr., Wien ULL 
Zürn, Ralph, Oberleutnant, Berlin- 
Grunewald DLL 



Berichllgungen zum X( l. Bande. 



S. 'J44. Hp. 2, Z 22 von oben lies Kinehstein statt Kirchstein, 
n 863. > 2j , & . untpn „ Jingö . Juigö. 

. 3iB u. sind die Unterschriften der beiden Abbildungen 
zu vertausche». 



GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dt. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG A SOHN*. 



Bd. XCI. Nr. i. BRAUNSCHWEIG. 

Kachdruck nur uuch ÜlKreinkunfl mit d»r V<.rl»gi.li»nilltuM| «*«UH«I. 



3. Januar 1907. 



Bamum. 



Von Hauptmann n. D. Huttur. 



Als ich im Jabre 1 8f'2 als Stationscbef auf der Re- 
gierungsstation Haiiburg, dem damals vorgeschobensten 
Posten im Hochlande von Nordkainerun, sali, erzählte mir 
unser getreuer Freuud und Blutsbruder Garega, der alte, 
kluge Balihäuptling, deB öfteren von einem mächtigen 
Herrseber im Osten und seiner großen Hauptstadt Bamum. 
Diese sei mit (traben und Mauern umwallt und besitze 
eine solche Ausdehnung, daß, wenn vor den Toren auf 
der einen Seite ein Kampf entbrenne, dio Leute im ent- 
gegengesetzten Studteil davon gar nichts hörten und 
ruhig ihren Geschäften nachgingen. Der König dieses 
I^andes besäße viel l'ferde, und ein grolier. breiter Strom 
gleichen Na- 




Abb. 1. Bllrk auf einen 

f*t»:iuilftriU£e der nt-ueu Kctiideiiz. Ihe 



mens durch- 
fließe es; in 
ihm und den 
ihn umgeben- 
den großen 
Sümpfen gäbe 
es viel Fluß- 
pferde. Die 
Bali - Hagarn 
(ein östlich 
von Bali sit- 
zender Volks- 
teil gleichen 

Stammet) 
Mini' 1 11 in 
Hanuelsbezie- 
hungen zu 
Bamum; die 

Entfernung dorthin betrüge einen halben Mond (also 
14 Tage). 

Diese Mitteilungen, deren Wichtigkeit im allgemeinen 
ich bei der außerordentlichen Land- und l.eutekeuutnis 
und den auagedehnten politischen und kommerziellen 
Verbindungen der Bali nicht im mindesten bezweifelte, 
und die sich, ausgenommen die Entfernung, auch tat- 
sächlich bis in alle Einzelheiten als zutreffend erwiesen 
haben, erweckten naturgemäß damals in mir den lebhaften 
Wunsch, dieses merkwürdige (iraslandreich zu besuchen 
und so in den großen weißen Fleck eine Bresche zu legen, 
der noch zwischen der /intgraffseben und Morgenschen 
Route, den einzigen damals von Europäern beschrittenen 
Wegen im südlichen Adamaua, lag. Die im Jabre zuvor, 
1891, von Morgen entdeckte Sultansstadt Banyo ließ mich 
allerdings vermuten, daß das „ Bamum" der Bali viel- 
leicht identisch mit eben diesem Banyo sein könnt«. Der 

Globiu XCI. Nr. I. 



.große breite Strom' 1 wäre dann als der Mbum anzu- 
sprechen gewesen ; die „Sümpfe" ließen aufs neue an die 
Möglichkeit des Vorhandenseins des Libasees denken, 
der ja noch bis zu Zintgraffs Zug nach Vola 1 H*9 sich 
mit großer Hartnäckigkeit auf den Karten eben dn-m' 
in Frage kommenden Gebiete erhielt. 

Denn man darf nicht vergessen, daß gerade Kamerun 
noch zur Zeit seiner Erwerbung als deutsche Kolonie 
1885 nahezu vollkommen unerforscht war, daß insbe- 
sondere das in biet zwischen Küste, Benuö. oberem Sburi 
und Ubangi — die etwa 100 km südlich des Henne lau- 
fende Route Flegels ausgenommen — als sog. I. ibagebiet 

zu den drei 
bis jetzt noch 
total unbe- 
kannten Län- 
derstrecken 
Afrikas ge- 
burto, auf 
die allmäh- 
lich die nega- 
tive Kenntnis 
des ältesten 
Erdteils redu- 
ziert war. 

Doch wie- 
der zurück zu 
Bamum; aber 
ich hielt es 
für nicht un- 
interessant, 

kurz darauf aufmerksam zu machen, welche Hypothesen 
noch vor 15 Jahren an ein Gebiet geknüpft werden 
konnten . das heute schon als vorläufiges Endziel einer 
Bahn ins Auge gefaßt ist, und damit zu zeigen, was 
für eine achtunggebietende Forschung»- und Aufklärungs- 
arbeit in einer kleinen Spanne Zeit geleistet worden ist. 

Meinem ihm gegenüber geäußerten Wunsche, Bamum 
zu besuchen, setzte tiarega sichtliches Widerstreben und 
gleichen passiven Widerstand entgegen, wie er es Zint- 
gvaff gegenüber bei seinem beabsichtigten Vordringen 
nach Norden getan und wodurch er ihn ja auch fast ein 
halbes Jahr davon zurückgehalten hat. Er sagte mir 
auch unumwunden den Grund seines Widerstrebens: 
„Wenn du diesen großen Häuptling und seine Stadt 
gesehen hast, so bleibet du bei ihm, und ich und Bali 
sind dann lächerlich gemacht im ganzen Laude." Ich 
war noch viel mehr als seinerzeit Zintgraff auf die 



Teil der Stadt Humum. 

HiUftcr auf der Hütic ^cli'jrcu Doch dazu. 



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2 



Hauptmann n. I>. Mutter: Itanium. 



aktive Unterstützungdes Baliherrschers angewiesen; Zint- 
graft hatte doch eioige hundert eigene angeworbene 
Träger au» Liberia und anderen Orten unter sich, ich 
könnt« nur mit liali, aIbo Untertanen den widerstreben- 
den Häuptlings, rechnen. Auch an derartig«), damals an 
der Tagesordnung gewesene, das Vordringen und damit 
die Forschung hoinmeudo Moniente möchte ich als alter 
Afrikaner einmal wieder erinnert haben ; der heutzutage 
Luit einer von Schutztruppeudetncbenjents begleiteten 
Expedition nach Beliel>en kreuz und quer marschierende 
Fuhrer bat davon schlechterdings kaum eine Vorstellung. 

So mußte denn auch hiur Geduld, jene afrikanische 
Kardinaltugend, die nach des großen Nachtignl so wahrem 
Ausspruch im dunklen Kontinent das Geheimnis eiuus 
jeglichen Erfolges in sich birgt, geübt werden: mit ihr 
und klugem , immer wieder bei .geeigneter Gelegenheit 
einsetzendem Zurückkommen auf mein Vorhaben war ich 
nicht im Zweifel, schließlich Garega dafür zu gewinnen. 
l>a kam Auffing 1S93 der amtliche Auflösungsbefehl für 
die Stationen im Nordhinterlaude und damit jäher Ab- 
schluß aller weiteren Forscherpläno. 

Die expausive koloniale Tätigkeit in Kamerun war 
endlich wieder aufgenommen worden : mit deui Aufaug 
de« neuen Jahrhunderts erhob sich die Hamendastation, 
einen Tagoomrsch ostlich von Bali, die das Erbe unserer 
einstigen Haiiburg antrat, die Fulbeherrscber der Ada- 
mauasultanate waren durch rasch und energisch durch- 
geführte Zügu dur mittlerweile geschaffenen uud ver- 
stärkten Schutztruppe überrumpelt und zur hoffentlich 
andauernden Anerkennung deutscher Herrschaft ge- 
zwungen worden, und mehrere Stationen in Adamaua: 
Banjo, Yoko usw. wurdou angelegt. 

Hauptmann a. 1>. Hamsay, der als Generalbevollmäch- 
tigter dar Gesellschaft Nordwestkamerun deren ausge- 
dehntes Konzossionsgebiet bereiste uud erschloß, unter- 
nahm 1002, wie er schreibt, „gemeinsam mit dem Statious- 
clief von Ltnnyo , Oberleutnant Saudrock, Von Ngambe 
aus durch die bisher ganz unbekannte und unerforschte | 
Gegend von Uukumba und Ditaui" — also von Ngnmbe 
Dach Süden ausbiegeud und von Süden her die Bunium- 
landschaft betretend — „die höchst interessante Heise 
nach Bamum (oder Batu oder Bakum oder Batock?)", 
wo sie am 6. Juli als die ersten Europäer eintrafen. 

Seitdem ist Bamum wiudcrholt von Sehnt /trappen- 
detachements , von Kaufleuten und Missionaren besucht 
worden-, vorübergehend war auch ein Offizier dort statio- 
niert, um Bamumleute zu Soldaten heranzubilden; zur- 
zeit ist die von Ramsay dort errichtete Faktorei der oben 
genannten Gesellschaft meines Wissens der einzige stän- 
dige weiß« Hosten. Anläßlich meines neuerlichen Auf- 
enthalt«» iu Boll im Jahre 1906 hin auch ich zu der 
Stadt hinühermarschiert, von der ich vor 1 5 Jahren so viel 
bereits gehört hatte. Par renommeo war ich, wie ich zu 
meiner Verwunderung vernahm, bereits bekannt. Der 
Sultan, oder vielmehr seine Eltern, hatten seinerzeit viel 
von dem -big massa", wie Dr. Zititgraff damals im Lande 
genannt wurde, und von dem „offirer", der die Bali 
schießen lehrte (das war ich) gehört; und als ich mich 
nun als den letzteren vorstellen konnte, war das Inter- 
esse an mir groß. 

Leider konnte ich mich nicht lange aufhalten, so daß 
meine Beobachtungen nicht Uber flüchtigo Marscbauf- 
zeichnungeu hinausgehen. Auch von anderer Seite liegen 
nicinos Wissens keine sonderlich ausführlichen Mitteilun- 
gen über dieses hochinteressante Graelaudreieh vor 1 ). Ks 
wäre eingebender Forschung wert; und wirklich schade. 



') Siehe übrigen* den kurzen Aufsatz im (Holms, Bd. 88 

(1 •.!'>:•). Nr. 17. 



wenn sich keine Mittel finden ließen, die dortigen ethno- 
graphischen Schätze zu fixieren und zu retten , bevor 
auch dieses Land dem Schicksal dos nivellierenden, die 
Eigenart so rasch zerstörenden europäischen Einflusses 
verfällt 

Die Hauptstadt Bamum (Abb. 1), so ziemlich in der 
Mitte des Meiches, liegt unter 5» 43' 42" nördl. Hr. (nach 
Hanisay) und etwa 10" 50' östl. L., also um etwa 10' süd- 
licher und um 1 Längengrad (etwas mehr als luOkm) 
östlich von Bali. Im Osten und Westen sind seine natür- 
lichen Grenzen der Mbain bzw. dessen Zufluß Nün oder 
Nun; im Norden dürfte es bis au dun Fuß des nord- 
östlich von Bali liegenden ausgedehnten Kumboplateaus, 
zur großeu bis vor kurzem unabhängigen Landschaft 
Hansso gehörend, sowie bis zu der bereits dem Sultan 
von Bnnyo tributpflichtigen Landschaft Nteni reichen; 
im Süden ist vielleicht der Zusammenfluß des Mbam und 
Nun seine natürliche Grenze Somit besitzt es eiueu 
Flächeninhalt tun annähernd 7000 qkui ( westöstliche Aus- 
dehnung etwa 70, nordsüdliehe Ausdehnung etwa 120 km ) 
uud liegt auf dem sog. zentralafrikanischen Hochplateau 
in einer durchschnittlichen Meereshohe von 1000 bis 
1 100 in. Diu Hauptstadt selbst liegt nach der unten an- 
gezogenen Karte auf 1170, nach meinen Beobachtungen, 
allerdings nur Aneroidablesungen , auf 1220 in, welche 
Höhenaugabe übrigens mit dem Hirtlerschen Hericht im 
„Kol- Blatt 1 ' 1903. S. 492 genau übereinstimmt. 

Bei westlicher Anuiarschrichtung nach Bamum, wenn 
man auf den Südausläufern des unmittelbar südlich der 
Bamendastetion mächtig sich etn purreckenden Mutiberg- 
massivs steht, blitzt bereits, noch weit entfernt, das 
Stromhand des breiteu Nun herüber, und läug« seinem 
jenseitigen Ufer ragen drei nordsüdlich streichende Berg- 
massive empor, die gleich mächtigen schützenden Natnr- 
festungen den Eintritt in das Land zu verwehren oder 
wenigstens die zwischen ihnen liegenden Ebenen, die 
Einfallspforten iu das Boich, zu flankieren scheinen. 
Diese drei alpenstockartig der umgebenden Fläche auf- 
gesetzten Gebirge sind auch die einzigen bedeutenderen 
Erhebungen im ganzen Bamumlande. Auf der höchsU-u 
Spitze (rund 1 N(K> nil des mittleren dieser drei Berg- 
stöcke, dus Konkä (auf der uiebrenvahnten Karte als 
„ Itatinatschem" eingetragen, welche Benennung ich je- 
doch nicht gehört habe) , bot sich mir ein prächtiger, 
geradezu uferloser Weitblick über die ganze Bamum- 
landschnft ; nach Süden uud Westen noch weit darüber 
hinaus. Der Nun ist stromauf und -ab zu überscheu, so- 
weit nur das Auge reicht ; drüben im Osten hatte der 
Mb» in sichtbar »erden müssen, wenn nicht leichte Höhen- 
züge, seinem westlichen Ufer vorgelagert, ihn den Blicken 
entzogen hätten. Im Südosten reicht der okulare Hestrei- 
ehungssektor bis zu zwei hohen Hergmassiveu, die, offen- 
bar nahe dem Mbam, »chon im Wuteland liegen müssen. 
Nach Südwesten war bei der prächtigen klareu Luft des 
Besteiguiigstages eben noch die charakteristische Doppel- 
spitze der höchsten Erhebung des Mauengubagehirges in 
blauer Ferne erkennbar, und drüben im Westen türmte 
sich der mächtig uufguwulstete Band des Hochlandes, 
das langgestreckte Mongwoagcbirge. Der durch die Ver- 
schiebung scheinbar zusammenhängende Muti und das 
Kumboplateau schlössen in weitem Nordbugen das maß- 
i lose Hochlandspanorama ab. 

*) Vielleicht kann der Afrikafond« . der ja jetzt wieder 
liestiiniiiunasgeiiiäU , d. Ii. für Korschungszweckc, verwendet 
werdeu srdl, dafür iu Anspruch genommen wurden, und zwar 
inii^lirhwt bald. 

*) Siehe die Kurte „Der mittlere Teil von Kamerun*, 
Danckehnaiis „Mitt*i!uui;cn" 19Ü3, Knrto 5, auf die auch zur 
1 Orientierung im allgemeinen verwiesen sei. 



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Hauptmann a. I). Hutter: Rantum. 



Und mir zu Füllen lag gegen Westen das breite Nuu- 
Ul. gegen Osten ganz Bamumlaud gleich einer rieaigen 
Relieflandkarte. 

Es ist durchweg Hügelland mit weichen , welligen, 
langgestreckten Formen, die scheinbur ganz unregelmäßig 
ziehen , im Gegensatz zu der ausgesprochenen west- 
östlichen Tendenz der Höhenzüge auf der rechten Nun- 
seite. Auch die drüben nicht selten plötzlich auftretende 
Schroffheit der Formen: Steilwände, kahle Platten, mit 
Blöokeu übersäte Kuppen n. a., fehlt in dem Gelände von 
Bamum fast gänzlich. Ebenso finden sich die nicht un- 
beträchtlichen Höhenunterschiede zwischen Talsohle und 
Kamm der Hügelzüge, 100m and mehr, links des Nun 
nicht. l>ie Bedeckung ist ausnahmslos Gras. Dasselbe 
ist nicht so hoch wie in den Hochlandlandschaften Ton 
Dali, Bafut usw. ; in den meist leicht versumpften Muldun 
dagegen erreicht es die wohlbekannten stattlichen Aus- 
maße von 3 und 4 und 5 m. Ich bemerke übrigons, daß 
ich in der ersten Hälfte des Juni Baraum bereiste, also 
in einer Jahreszeit, in der bereits die Regenzeit herrscht, 
wenn auch diese gerade 1905 zu Anfang auffallend 
schwach einsetzte und nicht unwesentlich anderen Cha- 
rakter, mehr tornadoartigen, zeigte, als ich nach meinen 
einstigen zweijährigen meteorologischen Beobachtungen 
in diesen Gebieten oben erwarten mußte. Immerhin aber 
hatte sie schon ihren Einfluß auf die Vegetation, auf zu- 
nehmenden Reichtum der Wasserlaufe und Versumpfung 
niedrig gelegener ebener Strecken ausgeübt. 

Vereinzelt sind Laubbaume , Akazienarten, Ölpalmen 
mit auffallend hohem Stamm (in den höher gelegenen 
Balilandschaf tun streckenweise gänzlich fehlend), Hy- 
phaenen und Phönixpalmen in die GrasflAchen verstreut, 
an den Wassorläufen ziehen sich lange, schmale Laub- 
holzwald- und Raphiastreifen, sowie dichtes Unterholz 
entlang, gleichwie in den B&lilündurn; auch die häufigen 
Doppelmulden sind vielfach mit diebtem Gehölz ausgefüllt. 
Die Landschaft hat auf mich einen farbenbelebteren Ein- 
druck gemacht als die Grasmeere drüben in der um 200 
bis 300m höber gelegenen Wostecke des Hochlandes: so 
sah ich nicht selten stattliche Bäume mit riesigen roten 
oder violetten Glockenblüten, und an beiden Nun ufern 
sind ausgedehnte Gebüsche, die in Holz und lilnmen 
ganz und gar unseren Heckenrosen gleichen. In den 
Tutorn des Konkämassivs fielen neben dem Wege wach- 
sende gentianenartige weiße Blumen auf, die ohne jedes 
Blatt aus der Krde emporsprossen. Sehr häufig sind 
allenthalben Termitenbauten; auch sie, aus der roten 
Lateriterde aufgebaut und sich über das Gras erhebend, 
beleben, möchte ich fast sagen, die Landschaft. Ich 
habe auch hier wieder die Beobachtung gemacht, auf die 
bereits Barth hinweist, daß ihr häufigeres Vorkommen 
unfehlbar die Nähe eines größeren Wasserlaufes anzeigt: 
zwei Tageroärsche, bevor ich von Westen her den Nun 
erreicht«, traten sio bereits in geradezu sich auffällig 
mehrender Häufigkeit auf. 

Die drei fast in einor, in Nord-Süd-Linie streichenden 
Bergroassive , nahe dem Nun, sind, wie bereits erwähnt, 
die einzigen bedeutenderen Erhebungen im Lande: das 
nördliche und das südliche werden hinter dem Konkä an 
Höhe nicht weit zurückstehen. Diese isoliert, aber mit 
einer ganz bedeutenden Hasisausdehnung dem sonst re- 
lativ flachen Boden aufgesetzten Bergstöcke (im Fulfulde 
heißen solche isolierten Gebirge Hossere) geben der Land- 
schaft überhaupt ein eigenartiges Gepräge. Der au 
3000 m hohe Muti am rechten Nunufer kann geradezu 
als alpenartiger Gebirgsstock angesprochen werden; mir 
als Bayer bat seine höchste Erhebung heimatliche Er- 
innerungen geweckt : von einer bestimmten Seite au.« 
zeigt er eine täuschende Ähnlichkeit mit dem Wendel- 

Gtob.t XCI. Nr. I. 



stein. Wären die braunen Gestalten der Träger nicht 
gewesen , hätten nicht da und dort neben dem Saum- 
pfade Schädel und Gerippe, die Spuren wandernder kleiner 
Haussasklaven- und Elfenbeinkarawanen, gelegen — ich 
hätte mich oft in die Wildeinsauikeit unserer süddeut- 
schen Hochalmen versetzt geglaubt mit ihrer klaren, 
reinen Luft, mit ihren würzigen Berggrasmatten, mit 
ihren Fels- und Gesteinstrümmern , ihren Plattensteigen, 
ihren Wildwassorbetten. 

Ähnliches, nur in wesentlich milderen und kleineren 
Formen, bot das KonkSmossiv. 

Ich hübe beide Gebirgsstöcke nach verschiedenen 
Richtungen durchstreift und so auch einigermaßen einen 
Einblick in Grundrißanordnung und Aufbau gewonnen. 
Der Muti kann im großen und ganzen als pyramidaler 
Aufbau auf trapezförmiger Basis mit auf der einen (west- 
lichen) Trapezlängsseite ruhendem Gipfel charakterisiert 
werden. Die ganze Pyramiden müsse ist natürlich in bald 
breite, bald schmale Täler und Mulden und kürzere und 
niedrigero Gipfolketten zerklüftet» An der Südseite der 
Pyramide sind langgestreckte Bergrücken, Ausläufer, 
gleich Strebepfeilern angesetzt. 

Ober den Muti und da« oben erwähnte Mongwoa- 
gebirge läuft, nebenbei bemerkt, in diesen Gebieten die 
ostwestliche und nordsüdliche Wasserscheide, d. b. zwi- 
schen den Tieflaudflüssen, insbesondere dem Monyu, und 
den tli't'hlandwassern , zunächst dem Mbam und damit 
dem Sansgu bzw. zwischen Benue 1 und dem Sanaga. Be- 
trachtet man diese beiden Gebirge als westlichen End- 
punkt der nordöstlich sich fortsetzenden Gebirgawallkette: 
Kumboplateau, Hossere Gendero und die der Hochfläche 
vou Ngauudere aufgesetzten Alpenstöcke, so partizipieren 
sie an der von dieser Kettenreihe zusammen gebildeten 
Hauptwasserscheide zwischen dem Niger- und Kongo- 
becken, 

Das Konklmossiv (Abb. 2) zeigt als Grundrißanord- 
nung die ungefähre Form eines riesigen, nach Süden 
offenen Hufeisens, verdient also die von Passarge für 
dio verschiedenen Adamauahosscre eingeführte Bezeich- 
nung „Gebirgswall". Die westliche Bogenlinie des Huf- 
eisens trägt die höchsten Erhebungen. Die höchste Spitze 
zeigt schroffe Formen und besteht im obersten Teil aus 
nacktem Gestein mit Plattenabfall nach Westen. Der Ost- 
bogen bat weicTiors Formen und stützt sich nach Osten 
zu auf drei gleich Bastionen ausspringende Bergpfeiler. 
Im hohlen Innern des Gebirgswalles ziehen rippenartig 
gegen Süden verlaufende niedrigere Hügelketten , die 
Täler und Kessel einschließen. In einem liegt malerisch 
verstreut das die Hänge hinankletternde kleine Bergdorf 
Nkunden, mit seinen Farmen und ausgezeichneten Ba- 
nanen, ein sehr erwünschter Rastplatz vor dem östlich 
steil ansteigenden Pfad zur Paßböhe (auf 1 700 m). Mehrere 
Wasserläufe durchrauschen die diese Kessel und Täler 
freundlich ausschmückende Parklandschaft. 

Ausgenommen einige wenige kleine Flußlüufe, die in 
den Nun sich ergießen , entwässert ganz Bamum zum 
Mbam nach Osten, in welcher Richtung, sowie auch nach 
Süden, dos Land sich schwach zu senken scheint. Es 
gehört somit zum Stromgebiet des Sanaga. Die von mir 
überschrittenen Wasser sind lange nicht so steil und tief 
eingeschnitten als dio dem Nun von Westen her zu- 
strömenden; auch haben sie geringeres Gefälle als jvne. 

Der weitaus bedeutendste Wasserlauf, den ich kennen 
gelernt habe, ist der mehrerwähnte westliche Grenz- 
fluß, der Nun oder Nun <). Sein Quellgebiet liegt auf 

*) Auch dieses Wort scheint mir. wie ja die rueistt'n 
Wasser-, Berg- usvr. Bezeichnungen in Afrika, kein Kigeu- 
tiKtue, sondern eher ein Sammelbegriff für fliesendes Wa»er 
zu sein. Ich schließ« das daraus, dafl mir auch mehrere 

2 



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ITanptmann a. D. Hutter: Bamum. 



den Südabhängen des Kumboplateaus. Auch er hat ein 
schwaches Gefalle; Oberleutnant Hirtlcr hat den Wasser- 
spiegel östlich von itagnm nur wenige Meter niedriger 
gefunden als oben bei Bubessi , das ist eiuige 40 km 
stromaufwärts. Außerordentlich wechselnd ist die l'fer- 
bildung und die Breite des Flusses. An der einen von 
mir gewählten Übergangsstelle, fast in der geraden Linie 
Bagaiu — Harn um (Hauptstadt) liegend, erinnerte mich das 
Uild lebhaft an eine Abbildung in Passarges » Ailumuun" : 
der Benuedurcbbruch bei Laddo; nur sind hier am Nun 
die beiderseitigen Höhenzüge bedeutend weiter Tom Strom 
abgerückt Das so an dieser Stelle gebildete Tul besitzt 
eine Breite von mehreren Kilometern und war zur Zeit 
meines Besuches fast in seiner ganzen Ausdehnung ver- 
sumpft tiud zur Krhöhung der Marscbannehmlichkeit mit 
zahlreichen altwasserubulichen , sehilfdurehwachsenen 
Gräben, 1 bis 2 in tiuf , bi* zu S und 10m breit, durch- 
zogen. Einzelne schwache llügelreihen schieben sich in 
das Flußtal heroin, bestanden mit niedrigem, weichem 
(«ras, lichtem Wald, latscbenartig.m Gestrüpp und den 
schon genannten Heckonrosonstruuchern. Trage wälzt 
sieb in gewaltigen Krümmungen die hier 200 bis 250 m 
breite Schluutzfarbcllu Wasscrinussc des Stromes dahin. 
Um so merkwürdiger erscheinen in dieser Gegend an 
verschiedenen Stellen inmitten der Sümpfe, sowie des 
offenen Wassers mächtig und massiv daliegende, bis zu 
5 in aufragende Granit- und Sandsteinblöcke, teils form- 




Abb. 2. Profil durch die Westhälfte des Konkamasslr» von Südsüdwest 

nach Noriln erdest. 



los breit gelagert, einige klippenartig, teil« gewaltigen, 
zinnenbewehrten Zitadellen ähnlich sehend, hellgelb und 
weißlich in der Sonne leuchtend. Ktwa 5 km stromab 
dieses weiten offenen Flußtale» biegt sich der fast rein 
uordsüdliche Lauf in scharfem Knie beinahe wieder nord- 
wärts, um nach nochmaliger l>oppelkuiebiegung wieder 
eine Strecke lang in gleichem weiten Tal die Südrichtung 
aufzunehmen. An diesen starken Krümmungen verengt 
sich die Breite auf 60, ja 50 m. Üas Westufer zeigt auf 
kurze Strecken steil abfallende Granit- und Sandstein- 
felsen, 3 und 6 m hoch; dabei ist merkwürdigerweise die 
Strömung gleich Null. Ein so gänzlich anderes Bild, 
daß ich, zuerst hier an den Fluß gekommen, ihn anfäng- 
lich gar nicht als solchen erkannte, sondern in nieiue 
Wegeaufuabme vermerkt«: , Altwasserähnliche, halbkreis- 
förmige Wasserarme oder Wciher(>), höchst auffallend 
dafür da* felsige, oben bewaldete Steilufer.* Beim weiteren 
Marsch ward mir mein Irrtum bald klar. Nicht sehr weit 
stromauf oder stromab muß sich Ähnliches wiederholen; 
Oberleutnant Uirtlcr berichtet, daß er (gleichfalls östlich 
von Bagaui) eine zuni Brückenbau geeignete Stelle er- 
kundet habe, an der sich der unmittelbar stromauf 60 m 
breite Fluß auf 6m verengt, und das so plötzlich, daß 
eine schiiellenartige Strömung entsteht. „Der Punkt der 
Schnellen ist geeignet zur Anlage einer hohen Über- 
brückung, da felsiger Untergrund und die natürliche 
Gruppierung «roßer Blöcke einer Brücke den nötigen 
Halt und Schutz gegen Hochwasser gewahren. Der vor- 



handene Holzreichtum genügt" Bei seinem Marsch von 
Bamum nach Yabosai hat derselbe Offizier am Nun etwa 
SO km oberhalb seiner Vereinigung mit dem Ml.am ge- 
lagert und berichtet: „Ein am 11. November (also in der 
Trockenzeit) angebrachter l'egel zeigte erhebliche .Schwan- 
kungen im Wasserstand, bei welchem Unterschiede von 
20 cm von einem Tage zum anderen wahrgenommen 
wurden. Bei einer Tiefe von mehreren Metorn und 
einer Stromgeschwiudigkeit von etwa ;"> m in der Sekunde 
ist der Nun an der Übergangsstelle 50m breit, erreicht 
aber 2 bis 3 km aufwärts ein stattlicheres Aussehen und 
verbreitert sich bis zu etwa 500 tu. Der Übergang über 
die Hängebrücke ging ohne Unfall vonstatten und 
dauerte 4 l 2 Stunden. Die Pferde wurden am Seile 
durchgezogen . . . u 

Ich habe es mit meinen beiden Übergängen in der 
Regenzeit im oben geschilderten Niederungstal schlecht 
getroffen. Der 250 m breit* Wasserspiegel, die sumpfige 
Beschaffenheit der Ufer schlössen Brückenbau usw. aus; 
Faltboote besaß ich auch nicht, und meine 20 Träger 
waren wassoruugewohnte Bali. So blieb mir nichts übrig, 
als mich der Palinrippenflöße der Kingebnrenen als Lber- 
sutzuiitU'l zu bedienen, die, in ihren kleinen Fischerhütten 
am Ufer wochenlang Standquartier nehmend, dem übri- 
geus ergiebigen Fischfang obliegen. Ich war, durch die 
zahlreichen Antilopen im Grase zur Jagd verleitet, erst 
gegen 4 I hr nachmittags am Nunufer angelangt, und 
erst gegen 6 Uhr hatten wir 
einige Fischer mit mehreren 
ihrer Fahrzeuge durch Rufen 
und Absuchen des Ufers und 
Signalschüsse herangelockt 

Die Fahrzeuge, auf denen 
die Leute angesichts der das 
Wasser geradezu bevölkernden 
Flußpferde und Krokodile ihrem 
Handwerk Tag und Nacht nach- 
gehen , sind etwa 4 m lange, 
nach der Spitze zu sich verjüngende, 
paimotattrippen zusammengebundene Flöße mit 

Statt der Bord- 



r, die von Westen dem Nun zuströmen, mit 
gleichem Www gmaunt wurden. Welcher Sprache es an- 
gehurt, vermag ich uicht zu sagen. 



hinten 0,80 tn breit 
aus Weinpalmblattrii 
etwas aufgebogenem Schnabel (Abb. 3). 
wände sind, aber nicht bei allen, Schilfbündel, gewisser- 
maßen als eine Art Schwimmer, seitlich angebunden. Solch 
ein Floß trägt nicht mehr als zwei Menschen, und bewun- 
derungswürdig ist die Gleichgewichtsbeherrschuug, mit der 
die Eingeborenen sich auf dem jämmerlichen Dinge be- 
wugtm und hantieren. Die Last zweier Körper drückt die 
Plattform bereits einige Ceutimeter unter die Oberfläche, 
und es gewährt einen seltsamen Anblick, die Fischer so, 
gleichsam frei auf dem Wasser stehend, lautlos dahin- 
gleiten zu sehen. Als Fortbewegungsmittel dienen lauge 
Stangen, gleichfalls Palmblattlippen, die als Stechatangen 
gleich den Bootsbaken unserer Flößer gehandhabt wer- 
den. Die Tiefe des Nun scheint nicht sehr beträchtlich 
zu sein; an meinen beiden Obergatigsstellen betrug sie 
nicht mehr als 4 bis 5 m. Das Bett ist Sumpf und 
Morast. 

Sehr zeitraubend war die zum Hinüberschuffen des 
Pferdes (und auch der schwereren Lasten) notwendige 
Verbindung mehrerer dieser kleinen Fahrzeuge, denn die 
Krokodile ließen ein Nachziehen des Tieres im Wasser 
nicht rätlic]) erscheinen. Alle diese Manipulationen gingen 
vorsieh angesichts einiger zwuuzig Flußpferde, die, mit 
ihren ungeheuren Schädeln auf dem Wasser liegend, 
neugierig der Geschichte aus allernächster Nähe zusahen. 
Mittlerweile war bereits längst die Dunkelheit herein- 
gebrochen. Die kleinen Floße gingen uuter den schweren 
Gewichten tief unter Wasser, das über die Deckel der 
Koffer spülte. Ich kauerte mit dem Revolver in der Hand 



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Hutter: Bamum. 



auf der überfluteten Plattform, nm allzu neugierige Fluß- 
pferde, deren Schnauben und Grunzen in allernächster 
Nahe uns begleitete, natürlich nicht zu schiefen, sondern 
zu verscheuchen. Der Mond erhellte nur schwach den 
Schauplatz des nächtlichen Liierganges, und drüben im 
Osten leuchteten am Horizont ab und zu die Blitze eines 
aufziehenden Tornado». Mit vollkommener Vertrautheit, 
lenkten die Eingeborenen die Fahrt. Ein vom ersten mit 
dem Pferde bereits übergesetzten Trupp an dem Landungi- 
platze, einer kleinen festen Stelle weit in der kilometer- 
Oatuferniedentng, angezündetes Feuer 




Abb. 3. Palmrippenfloß auf 



Nun. 



gab als Signal zwar die Richtung an, das Hauptkuust- 
atück aber war, nach l)urcb<iuerung des offenen Wassers 
sich in dem Wirrnis ron Kanälen und Gräben zu dem 
Lagerplatz zu finden. Kin paar fast gänzlich zerfallene 
Fischerhütten standen mitten im Sumpfe; eine davon 
hatte mein Gaul bereits auf rasch bereiteter Schilfstreu 
in Beschlag genommen. Der Tornado war mittlerweile 
auch heraufgekommen und wetterte über da.» einsame 
Lager im Schilfsumpf des afrikanischen Hochlandsstronies. 
Doch diese ja wohlbekannten kleinen Fährnisse jedes 
Reisenden und damit auch der am nächsten Morgen — 
wo ich erst die mehr als zweifelhafte Lagerstätte über- 
sah, geweckt vom Schnauben der unmittelbar uuben den 
Hütten an Land und dann wieder zu Wasser gehenden 
Flußpferde — notwendige stundenlange Marsch durch 
Schilf und Sumpf und Krieks gehören nicht ausführlicher 
mehr in eine geographisch -ethnographische Schilderung 
herein. 

Das nur möchte ich noch bemerken , daß ich in dem 
Grade wie hier und dann ein paar Wochen später auf 
dem Rückmärsche an zwei weiteren I-agerplät/en am 
Nun noch nie in Afrika, auch nicht im Urwald, von Mos- 
kitos und dem verschiedenartigsten stechenden und saugen- 
den kleinen Viehzeug gequält worden bin, wie an diesem 
Waiaerlaof auf dem Hochplateau. Abgesehen von den 
unzähligen Stichen der wohlbekannten verschiedenen Quäl- 
geinter, konstatierte ich in uuangenehmster Weise das 
Vorhandensein eines weiteren, mir bisher völlig unbe- 
kannten Insekts: Ich fand an den am Nun verbrachten 
Morgen im Gesicht, am Hals, Arm und Händen bis zu 
14 Stück kleino, mehlwurmartige, gelbe, geflügelte Tier- 
chen , die sich mit dem Kopf einen oder ein paar Milli- 
meter tief unter die Haut eingebohrt hatten. Nach F.nt- 
fernung derselben schwollen die verletzten Stelleu, im 
besonderen die Gelenk- und Beugestellen, heftig au, und 
es bildeten sich gell 'unterlaufene , harte Knoten , die die 
Bewegungsfreiheit des Gelenks usw. wesentlich beein- 
trächtigten und erst nach mehreren Tagen w ieder zurück- 
gingen. 

Nächst dem Sumpfcharakter der Landschaft trägt 
jedenfalls an dem im Vergleich zu den hochgelegenen 
Baligebieten im Westen ungleich hiiuh'geron Vorkommen 
all dieser kleinen Bestien das wärmere, wenn ich so »«gen 
darf, weit mehr tropischere Klima des tiefer gelegenen 
Bamumlandea mit bei. 

Die Kürze meines Aufenthaltes in diesem Lande ge- 
stattet mir leider nicht die Anführung einer, wenn auch 
nur kurzen, meteorologischen Beobnchtungsreihe ; ich 
greife ein paar Aneroid- und Thermometorheobachtungen 



Am 5. Juni am Nun 5 p m. 28,0» — 655 0 mm. 
„ 6. „ „ „ 6 a. tu. 18,0» — «57,0 „ 
„ 6. „ in B.mgöni (20km östlich vom Nun) 6 p.m. 

24.2» — 653.0 mm. 
„ 7. „ in (iuba (30 km östlich vom Nun) I p. m. 

28,0° — 054,9 mm. 



in Guba 6"a.m. 17,5* — 655,6 mm. 



„ 9. , in Bamum (Hauptstadt) 7 a. m. 18,6° 

656,5 mm usw. 
Hagel ist nach Aussage der Leute, die solchen in 
den Balilandschnften erlebt haben . in der Bamumebene 
unbekannt. 

Das außerordentlich häufige Vorkommen von Fluß- 
pferden und Krokodilen im Nun habe ich bereits erwähnt; 
Fl ußpferdh erden von 50 und 60 Stück habe ich fast 
jeden Tag meines Aufenthaltes am Nun gesehen. Sie 
werden aber bald dezimiert sein, wenn dem unsinnigen, 
zwecklosen Drauflosknallon seitens der den Nun passie- 
renden Europäer und der farbigen Soldaten nicht Einhalt 
geschieht. Krokodile bekam ich allerdings nur drei zu 
Gesicht, aber die einstimmige Austage der Eingeborenen 
läßt mich an der Tatsache ihrer zahlreichen Anwesen- 
heit nicht zweifeln. Groß ist auch der Reichtum an An- 
tilopen und Büffeln in dem weiten Flußtal. Von ersteren 
scheint mir am häufigsten der Wasserbock und Spring- 
bock vorzukommen. Das Wasser des Nun ist fischreich, 
doch sah ich nur verhältnismäßig kleine (höchstens unter- 
armlange) Fische; ein in Forinaliu mitgebrachtes gut 
erhaltenes Exemplar wurde als eine Welsart mit langer, 
vom Nacken bis zum Schweif reichender Rückenflosse 
bestimmt. Jede Vorstellung aber übertrifft, qualitativ 
und quantitativ, die am Nun angetroffene Vogelwelt. 
Ob sie Standwild ist , oder ob vielleicht nur vorüber- 
gehend bzw. mit der Jahreszeit dieses massenhafte Auf- 
treten zusammenhängt, vermag ich nicht zu entscheiden; 
doch sagt auch Leutnant Strümpell , der im April das 
westliche Nunufer besuchte: „Unglaubliche Scharen von 
Wasservögeln uller Art: schwarze Störche, Reiher, Ibisse, 
Enten und andere mir unbekannte Arten belebten die 
Landschaft," Leider spielten auch bei mir die „unbe- 
kannten Arten 1 " die Hauptrolle; ich kanu den von Strüm- 
pell angefahrt«! nur noch Trappen, Wildgänse und klei- 
nere Wasservögel, Ähnlich (oder gleich V) Bekassinen, 




Abb. •». Penlsfntteral der Itadynlfrim. 

Schuepfen, Rohrdommeln als beobachtet anfügen. Von 
anderer Seite wird auch der schön gefiederte Marabut 
genannt. 
Bei die 



lern allgemeinen Wildreichtum 
Flußpferd bis zum Suuipfvoirc 



'!' : 



in klein und 
, überraschte 



groß, v 

mich das anscheinend gänzliche Fehlen des Elefanten, 
der, wie mir von verschiedener Seite gesagt worden war, 
in Bamum sehr häulig sei. Ich habe auf meinen mehr- 
wöchigen Streifen westlich und östlich des Nun kein ein- 
ziges Tier zu Gesicht bekommen und auch nur zweimal 
frische Fährten angetroffen. Antilopen sah ich im Bamum- 
lande häulig, das Vorkommen von Leoparden folgere ich 
aus zahlreich angetroffenen Fallen für dieses Raubtier. 

Eine weitere an der Kameruner Küste über das 
Bamumland allgemein herrschende Ansicht — und damit 
gehe ich zum volklichen Teil meiner Schilderung über — 
konnte ich schon bei der Überschau von der Knnkä- 
spitze aus berichtigen: die betreffs des Menschenreich- 



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Missionar V. Spieß: Du« Cehöft de» Oottcs Zakndx« in Xogokpo. 



tum» des Lande«. Die Hauptstadt allein weist eine statt- 
liebe Bevölkerungsziffer auf ; alter auch hier halte ich 
die von anderer Seit« geschätzte Zahl von 30000 für zu 
hoch; iob glaube nicht, daß sie mehr als 10000, aller- 
höchsten« vielleicht 15000 F.inwobncr zählt An den 
großen Markttagen mag sich allerdings die Zahl um 
4000 bis 5n00 Menschen erhöhen. Das ganze übrige Land 
ist dünn bevölkert, und die Ausiedlungcn sind klein 
und spärlich gesät Von all den von mir passierten 
Baniumorten, westlich, nördlich und östlich der Haupt- 
stadt, zählte keiner mehr als höchstens 40 bis 50 Ge- 
höfte. Und auch im Baden — aufgenommen die nächste 
Umgebung des .Südmassivs, die mir, vom Kooka aus 
gesotten, etwa« starker besiedelt erschien — scheint 
die Bevölkerungsdichtigkeit gering zu Rein ; auch Ober- 
leutnant Hirtler bemerkt in dem Bericht über seinen Zug 
von Bamum nach Yahasai: „Die Hevölkerangsdichtigkeit 
Bamunis nimmt auf dem eingeschlagenen Wege immer 
mehr ab, je weiter die Entfernung von der Stadt wird 
Es scheint, als ob die Zentralisation auf Kosten der pro 
duktiven Kntwickclung des Grenzgebietes durchgeführt 
wäre, an dessen schwacher Bevölkerung übrigens auch die 
häufigen Grenzstreitigkeiten mit Bangato (eine südlich 
an Bamum angrenzende unabhängige Landschaft, von 
Ramsay Bangangte genannt, untur welchem Namen auch 
ich von ihr hörte) schuld tragen". Ein wohl gleich 
großer Teil der Schuld muß übrigens auch — wenn 
anders mir der derzeit herrschende Laniido und ver- 
schiedene alte Haussa, mit denen ich in Bamum sprach, 
rocht berichteten — dem Vater und Großvater des Suitaus 
beigemessen werden, der die Bevölkerung seines Landes 
in Massen eben nach Bangangte sowie gegen die Wuri- 
und Nkatnlandschoften zu als Sklaven verkauft hat. 

Diese Menschenleere des offenen Bamumlandea fiel 
mir um so mehr auf, als die Baligubiote sehr volkreich 
sind und ganz besonders die im Südosten von Bali ge- 
legenen Landschaften, also die westliche Nunseite, mir 
auf meinen unmittelbar vorausgehenden Zügen einen ganz 
ungeahnten Menschenreichtum enthüllt hatten. Man 
marschiert in Bawadju, Babötö, ßape, Bauahöng, Ralüug, 
und wie diese ausgedehnten I .andKchaften alle heißen, 
buchstäblich wochenlang ununterbrochen durch Gehöfte 
und Farmen; ersterc verdichten sich bereits noch kilo- 
meterweit von dem jeweiligen Häuptlitigssitz entfernt 
zu Dorranlagen, dem Hauptdorf des betreffenden Clans. 
Nur schmale Streifen Ödland, und daB nicht immer, be- 
zeichnen die Grenzen. Im Banshöngland geriet ich an 
einem gewöhnlichen Markttag in ein Gewühl von sicher 
3004) bin 4000 Menschen, die auf dem ungeheuren 
Marktplatz mit ihren respektiven I.andesprodukten zu 
Kauf und Verkauf sieb eingefunden hatten; zwei Tage 
zuvor fand ich in lialöng eine nicht viel geringere Zahl 
von Marktbesuchern. 

Aus der mir gewordenen Mitteilung über früher von 
den Bamuraherrschern gepflogenen Sklavenverkauf glaube 



- 



ich bezüglich der volklichen Verhältnisse auf eine ur- 
sprüngliche oder bereit« längere Zeit im Lande seßhafte 
Bevölkerung und dann ein späteres eroberndes Eiudriugen 
eines andern Volkes, bzw. Stamme«, der nunmehr der 
herrschende ist, schließen zu dürfen. Ein Verkaufen An- 
gehöriger des eigenen engeren Stammes in die Sklaverei 
im großen Maßstab ist doch höchst unwahrscheinlich. 
Ob die (um mich kurz auszudrücken) Urbevölkerung 
Bantu oder Sudanneger sind oder waren, vermag ich 
nicht zn sagen — mein Aufenthalt war ja viel zu kurz, 
um über derartige Probleme mir Klarheil zu verschaffen. 
Wahrscheinlich liegen die volklichen Verhältnisse hier 
ähnlich wie drüben in den Balilandscbaften, wie unten 
im Wuteland: daß sich auch hier in die am weitesten 
in nördlicher Richtung vorgedrängten Bantuavantgarden- 
Völker und bereits ansässigen Sudunstämme neue Sudan- 
stämme, vor den sklaven jagenden Falbe weichend and 
flücbtond, gedrängt, und wie im Westen und Süden so 
auch hier dem inferioren Bantu, dem schwächeren, 
seßhaften Sudanstamme (vielleicht sogar ursprünglich 
gleicher Herkunft?) gegenüber zum herrschenden Volke 
gemacht haben. 

Außerdem tritt in Bamum ein weiteres Volk auf den 
Plan, das, wio überall, in friedlicher Weise hereingekommen 
ist, die Haussa. In der Hauptstadt besteht ein eigene« 
Viertel für sio, und nach den neuesten Mitteilungen 
im Kol.-Blatt „wohnen jetzt bereit« (Dezember 1905) 
500 Haussa mit ihren Familien dort, die öffentlich auf 
dem Markte ihre Gebete verrichten*. Das zur Zeit 
meiner Anwesenheit (Juni 1905) sehr gespannte Ver- 
hältnis zwischen dem Sultan und diesen Kulturbringern 
de» Sudan, das damals einen ganzen Exodus der Haussa- 
kolonie befürchten ließ, scheint sich also gebessert zu 
haben. 

Dann habe ich auch noch von einem kleinen, ganz 
für «ich lebenden Völkchen gehört und gelegentlich 
Ausritte mit dem Lamido auch Vertreter derselben 



ßebeheu — es soll einige Tagemärscbe südöstlich der 
Hauptstadt hausen — , da« vielleicht einen Rest der alten 
Bevölkerung bildet: die Bady uigim. Die wenigen Repräsen- 
tanten davon, die mir zu Geeicht kamen, waren nicht 
unboträchtlich kleiner als die Bamumleute und viel breiter 
und untersetzter gebaut als diese; sie erinnerten mich 
an die Banzoa westlich des Nun, einen, wie ich früher 
festgestellt habe, alteingesessenen Stamm. Die Männer 
tragen zum Teil die uralte Rindeubekleidung, wie sie 
Passarge als noch von den Baia getragen erwähnt, zum 
Teil Penisfutterale (Abb. 4). Ich habe solch ein Stück 
Riodenkloid mitgebracht, es ist ein 1,20 in langer, 0,20 m 
breiter, laugfaseriger Baststroifen von brauner Farbe mit 
dunklen Flecken, einer Art Maserierung. Er wird, zwi- 
schen den Beinen durchgezogen, zur Verhüllung der 
männlicheu Schamteile verwendet und an einem um den 
Leib getragenen Riemen aus Fell oder gleichem Material 
befestigt. (Foru. folgt.) 



Das Gehöft des Gottes Zakadza in Nogokpo. 



Von Missionar C. 

Nicht weit von der englisch-deutschen Togogrenze, 
noch im englischen Gebiete , liegt hinter einer kleinen 
Au höbe, etwas versteckt. Nogokpo. Zu Nogokpo ge- 
hören mehrere Dorfuchaften. Die etymologische Bedeu- 
tung des Wortes ist „rundes Hügelland", von nogo — 
rund, kugelig und kpo =- Hügel. 

I m dorthin zu kommen, schlägt man am besten den 
Keta— Agbosonio -Weg über die I.agune ein, auf dem 



Spieß. Togo. 

man in etwa 6 Stunden mit der Hängematte am Ziele 
ist Nogokpo ist jedem Evheer dem Namen nach be- 
kannt; denn dieser Ort ist sowohl in sozialer wie 
namentlich auch in religiöser Hinsicht von großer Be- 
deutung. 

Hier werden bis auf den heutigen Tag geheime Ge- 
richtssitzungen abgehalten , von denen wonig an die 
Öffentlichkeit kommt, nnd insonderheit religiöse Zu- 



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Missionar V. Spieß: Da« Gehöft de« Gottes Zakadta in Nognkpo. 



samtnenkünfte, die einen einzigartigen Charakter tragen, 
und worüber diese Zeilen berichten sollen. 

Ki werden wenig F.uropäer sein, die von dieser Fetiach- 
burg und schauerlichen Statte gehört, geschweige sie 
aufgesucht haben. Mir ist nur bekannt, daß noch zwei 
Europaer, Ton denen der eine «ich meiner Reise dort- 
hin anschloß, diesen Ort gesehen haben. Meine zwei- 
malige Reise nach dort und namentlich die photogra- 
phiscbe Aufnahme des Zakadzagehöftes werdeu wobl zur 
Folge haben, daß in nicht allzu ferner Zeit von den 
Menschenschüdeln , die vor dem (iötzenhauso ausgelugt 
werden, keine Spur mehr so finden sein wird; sagten mir 
doch die Ilängemattonträger, daß in früherer Zeit eine 



Nogokpodörfor. Zakadza, eins Yehve-Gottheit , hat 
außer in Nogokpo seine Verehrer hauptsächlich noch in 
Agbosomv, Adina, Adatiauu und iicdzoanewo. l)ie An- 
hänger, die ihn mehr fürchten als den Gott des Donners 
und des Blitzes, sagen, daß ersterer seine Kraft dem 
Zakadza gegeben habe und dieser dadurch den Blitz 
übertreffe. Jeder, der von den Priestern dem Zakadza 
übergeben wird, ist seines Lebens nicht sicher und wird 
vom „Donner erschlagen" (nach Anschauung der Evheer) 
oder vom Blitz getötet. Die Hauptpriester des Zakadza 
sind Kuto und Sckle. Einige Vorschriften, die von 
den Anhängern auf das strengste befolgt werden 
müssen, sind: 





Das Zakadza-Gehöft In Nogokpo. 



Menge solcher vorzufinden waren, mit dem Kommen 
des Weißen nach Togo jedoch immer mehr davon 
verschwanden. So war denn auch die Aufnahme 
des vorliegenden Bildes mit dem Priester dieser ge- 
weihten Stätte, jenem ergrauten Alten im Kingangstor. 
links an die Wand gelehnt, sowie einigen Eingeborenen, 
die durch Ausreden , Einwendungen , Furcht und 
Angst jene zu vereiteln suchten, nicht so leicht zu be- 
kommen. 

Das Innere dieser (Witt erstritte betrat ich nicht, da 
die Eingeborenen, deren Zahl sich auf einige Hundert 
belief, mir dringend davon abrieten und eine Frau mit 
erregten Worten des öfteren rief: Tue es nicht, die Gott- 
heit wird dich schlagen , und uns wirst du in Raserei 
bringen! Was uus aber dieser geheime Ort lehrt, das 
sollen Worte eines zuverlässigen Evhcen, der selber einst 
in engster Gemeinschaft mit den Priestern von Nogopko 
stand, sagen. 

Das Zakad/.agehöft liegt etwas außerhalb eines der 

Olnlmi M I. Nr. I. 



Zakadza ist gegen das Tragen weißer Schirme, 
Zakadza erlaubt nicht, leere Flaschen auf dem Kopfe 
zu tragen, 

Zakadza ist gegen weiße Hüte und weiße Teller. 
Der Bedeutung des Wortes Zakadza — Honig ent- 
sprechend , ist Beinen Priestern und I 'riesterinnen der 
Genuß von Honig verboten. Zakadza trägt noch andere 
Kamen, die alle dazu gebraucht werden, die Anhänger 
und Verehrer in Angst zu halten. Seine sonstigen Namen 
sind: Kadzagbehüali = ist imstande Böte auf dem 
Wasser sofort zu zerbrechen; Tsitnadzamadzaliewa = 
weun es nicht regnet, vermag or Regen kommen zu lassen ; 
auch kann er Menschen töten ; Sadzinuwoto = ist gogen 
zweistöckige Häuser; wer aus einem solchen kommt, wird 
erschlagen werden : Wudzinuwoto — zerbricht Bote der 
Kingeborenen und der Weißen; Tagbanuwoto er wird 
dich auch töten in der Ebene; Etroe kp° ekpo abi enutia 
— schlägt Menschen mit Geschwüren. 

Ist jemand vom Donner erschlagen oder vom Blitz. 



(iustav Kritsch: Uber die Verbreitung dir östlichen V rhv\ ol k.r uujje n usw. 



getutet worden, so werdon die Znkndr.fi -Verehrer in 
Nopokpo, sobald sie es boren, in eine Raserei verfallon 
und sich baldmöglichst mit mehreren auf den Weg zur 
Unglück sstätt* machen. Sie gehen in der gewiesen Er- 
wurtung, daß keiner der Angehörigen des Erschlagenen 
oder Getöteten die Hand an den I^eichnam gelegt oder 
ihn etwa sehen beerdigt hat. Die größte Geldstrafe 
wird von Nogokpo nun Ober den verhängt werden , der 
einen solchen Leiohnani beerdigen würde. Ks ist ein 
überall in dortiger Gegend bekanntes Gesetz Zakadzas, 
daß nur in Nogokpo die Gebeine und der Kopf der von 
ihm Getöteten aufbewahrt werden dürfen. Haben Ein- 
geborene aber denuoeb einen ihrer Angehörigen, der in 
der angegebenen Weise ums Leben kam, beerdigt, so 
kann diese Widersetzlichkeit ihnen über 200 Mark Kosten 
verursachen , und sie haben dazu die Vodusiwo, die von 
Nogokpo Geschickten . so lange mit Essen und Trinken 
zu bewirten, bis sie den Platz zeigen, wohin der Leichnam 
geschafft worden ist, damit die Vodusiwo ihn nach No- 
gokpo bringeu können. Kommen die Vodusiwo von 
Nogokpo. so ist das erste, daß die Angehörigen sich mit 
Fln-Kräutcrn, dem Hauptreiuigungsinittel der Evheer, zu 
waechen haben; denn es könnte doch sein, daß jemand den 
Toten berührt uud sich dadurch verunreinigt haben würde. 
Dadurch wird auch die Furcht, daß Dzidegbe (der Donner), 
llebieso (der Blitz) oder Zakadza ihre Kräfte noch einmal 
an dem Erschlagenen zeigen werden, genommen. Auf 
jedem von Zakadza Getöteten ruht ein Fluch der Gottheit. 

Erst wenn die Reinigung vollzogen ist, kann die 
Bocrdiguug stattfinden. Die Nogokpocr wissen nun deii j 



Ort, wo, und auch die Zeit, wann ein von Zakadza Um- 
gebrachter beerdigt wurde. Die Priester von Nogokpo 
werden, sobald nach ihrem Dafürhalten diu Verwesung 
geschehen ist, wiederum die Vodusiwo, jedoch heimlich 
und zwar nachts, um von niemand gesehen zu werden, 
zur Begräbnisstätte schicken , wo diese dann den Kopf, 
die Kiefer und die beiden Schienbeine ausgraben und 
nach Nogokpo bringen werden. Hier werden diese Teile, 
wie auch unser Hild zeigt , vor dem Yevhe-Gehöft auf- 
gestellt, um anderen Furcht einzuflößen. 

Wird Zakadza in religiöser Hinsicht sehr gefürchtet, 
so nicht minder, wenn eine gerichtliche Angelegenheit 
vor ihn nach Nogopko kommt. Das Zeichen der Priester, 
sobald diese wünschen . daß eine Klagesache vor sie 
kommen, oder auch , wenn eine solche vor Bie gebracht 
werden soll, ist ein mit Anya-Blättern umbundener axt- 
förmiger Gegenstand (solia). Auf diesus Zeichen hin, 
das den beiden Parteien von Nogokpo hergebracht wird, 
machen sich Kläger und Angeklagter bald auf den Weg 
nach dort. In vielen Fällen wird der, den Zakadza für 
den Schuldigen befindet, von ihm erschlagen oder getötet, 
d. h. durch andere im Auftrag der Priester mittels Gift 
aus der Welt geschafft oder auch , was noch vor zwei 
Jahren — der Schreiber dieses erlebte es mit — vorkam, 
durch gewisse Medizinen tatsächlich verrückt gemacht. 
Diese Oeistosgestörtheit kann dann, sobald der Beschul- 
digte von seineu Angehörigen odor Freunden die fest- 
gesetzt« Geldsumme aufbringt, von ihm genommen worden. 
Ganz klar und normal werden derartig Behandelt« aber 
doch nicht wieder. 



Ober die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen und ihre 
Beziehungen zu den Wandervölkern. 



Von Gustav Fritsch. 



I. 



Zu den schwierigsten und interessantesten Problemen 
der anthropologischen Forschung gehört unstreitig das 
mosaikartige Auftreten außerordentlich voneinander ver- 
schiedener Volkers!« tu tue in den Ländern, welche an den 
Indischen Ozean stoßen und im Osten in den Sunda- 
archipel hinüberführen. 

Ein untergegangenes, hypothetisches Leiuurien, welches 
alle die verschiedenen Glieder liebevoll umfaßt uud in 
einer Wurzel vereinigt, erscheint als eine recht hequenie 
und einfache Lösung der Schwierigkeiten; dagegen ergibt 
die genauere Vergleiehung , daß selbst eine solche 
Annahme den gordischen Knoten nicht löst, sondern 
durchhaut. 

Bei meiner jüngst verflossenen Weltreise hatte diu 
Untersuchung der einschlägigen Fragen in meinem Reise- 
progratnm einen hervorragenden Platz, und ich habe 
meine Aufmerksamkeit andauernd darauf gerichtet, ohne 
der Lösung leider wesentlich näher zu kommen. Immer- 
hin dürfte es nützlich sein, auf Grund der gesammelten 
Elf ahm ngen die Lage der ethnographischen Verhaltnisse 
daselbst in zusammenfassender Weise zu beleuchten und 
den Stand unserer heutigen Kenntnis darzutim. 

In der Tat ist dio Literatur über den angeregten 
Gegenstand bereits ungeheuer angeschwollen, und es 
würde vieles davon nicht wiederum einer unverdienten 
Vergessenheit anheimgefallen sein , wenn die Ergebnisse 
befriedigender gewesen waren. Auch diese Literatur ver- 
dient unzweifelhaft eine Revision. 

Zur Orientierung über di« Bevölkerungen 
de- bezeichneten Gebietes ist die Unterschei- 



dung zwischen den I' rbevölkurungeu (protomor- 
phen Völkern) und den Stammrassen (archimor- 
phv Kassen) mit ihreu Mischrasseu (metamorphe 
Rassen) unerlässig. Die ersteren , die Urbevölke- 
rungen, interessieren hier au erster Stelle, da ihre Kennt- 
nis die Grundlage für den Aufbau der späteren Klemcute 
bilden muß. 

Das tiefere Eindringen der Forscher in bisher un- 
bekannte Gegenden des Innern, das Auwachsen der darauf 
gegründeten Spezialstudien bat schon in manches wichtige 
Gebiet interessante Streiflichter fallen lassen, so daß wir 
doch nicht mehr ganz im Dunkeln tappen. 

Die westliche Begrenzung des indischen Beckens, 
Afrika und Madagaskar, ist seines ausgedehnten kon- 
tinentalen f'harakters wegen übersichtlicher als die 
anderen Gebiete. Wir haben hier die rötlich -braun« 
Urbevölkerung von minderwertigem Wuchs, wie gewöhn- 
lich in vereinzelten Gruppen durch den ganzen Kontinent 
verteilt , deren Zusammengehörigkeit trotz der verschie- 
denen Namen und der lokalen Abweichungen , mögen 
sie Buschniftuner, Batua, Akka, Dogo oder Obongo ge- 
nannt wordon, keinem Zweifel unterliegon kann. Das 
besonders eng «piralig gedrehte Haar ist für sie ein 
hervorstechendes Merkmal. 

Verwandten dieser afrikanischen Urbevölkerung sind 
wir bishur nirgends sonst begegnet, nuch zurzeit habe 
ich keine Andeutungen außerafrikanischer Verwandten 
da/u angetroffen: sie bilden also bis auf weiteres eine 
Gruppe für sieb. 

Die nächst« I rbcvolkerimg treffen wir dann erst auf 
Ceylon au, wo die Wedda in allen ihren Merkmalen das 



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Gustav Fritsch: Uber die Verhreit n d g der östlichen D rbe völ kern ng eti usw. 



typische Bild einer solchen geben. Dazu gehört an 
erster Stelle der gänzliche Mangel eines Strebens 
nach Vervollkommnu ng, der bis zur Vervoll- 
koinm n ungs-U nf ähigk eit gediehen ist lind allein 
den dauernden niedrigen Kulturzustand erklärlich 
macht Sowohl Bekleidung als Wohnung sind nur dem 
Namen nach vorhanden; denn der leicht« Schurz um die 
Lenden bedeutet mehr eine Scheu vor dem Fremden als 
daB Verlangen, Bich zu bedecken: das gelegentlich er- 
richtete Schutzdach ist eine Konzession an ein augen- 
blicklich auftretendes Bedürfnis, aber keine auf Bauer 
berechnete Wohnung. Mit dieser allen Urbevölkerungen 
eigenen Beharrlichkeit haben die Weddu wie die anderen 
die nach dem geschleuderten Stein primitivste Waffe, den 
Bogen und Pfeil, festgehalten. Frühere, unberechtigte 
Angaben über die wunderbare Schützengescbicklichkeit 
der Wedda. welche auch mir noch entgegengebracht 
wurden, sind bereit« durch 
die Herren Sarasiu auf ein 
bescheideneres Mail zurück- 
geführt worden. Nach meinen 
eigenen Beobachtungen woll- 
ten sie nach einer aufgesteck- 
ten Kupie, die sie angeb- 
lich jedesmal trafen, nicht 
über 25 Schritt schießen. Nur 
einer kam nach verschiedenen 
schlechten Schüssen einmal 
mit seinem Pfeil dicht au die 
Münze. Kine von mir selbst 
augestellte Probe ergab, daß 
die Hauptschwierigkeit des 
Schießens in der außerordent- 
lich geringen Klastizität ihres 
Bogens beruht, wodurch es 
schwer wird, dem Pfeil die 
nötige Schnelligkeit zu gel>en : 
die Wedda haben also auch 
diese primitive Waffe nicht 
zu einiger Vollkommenheit 
entwickelt (Abb. 1). 

Es wäre unrecht, ihren 
Wuchs zwerghaft zu nennen, 
die Körper sind uogleich und 
vielfach schlecht entwickelt, 
aber mittlere Körperhöhen von 
etwa 150 bis 160 cm beim 
Manne, 145 bis 150 heim 
Weibe, sind gunz gewöhnlich. 
Bie tiefbraune Haut (lirneu 28) starrt von 
das ziemlich lange, llockigo schwnr/.e Haar 
gezieter. Bie Gesichtszüge weichen durch die kurze, 
etwas aufgestülpte Nase, die eingedrückte Nasenwurzel 
und die starken Augenbrauenbogen von den indischen 
Kulturvölkern ab; sie erinnern dadurch einerseits an 
australische (iesichtshildungen, andererseits kommen aber 
auch Bildungen vor, welche denen der Aino nicht so fern 
stehen. Außer der Bewaffnung mit I logen und Pfeil, 
der allgemein verbreiteten, sozusagen „nationalen" Waffe 
aller Urbevölkerungen, ist hier auch nicht ein Zug, der 
an die Buschmänner Afrikas erinnerte; Lemurien als ein- 
heitlicher Ausgangspunkt der Menschheit versagt also 
schon beim ersten Versuch, Afrika und Asien zusammen- 
zuleimen. 

dagegen unterliegt es für mich nach den eigenen 
F.rfahruugen keinem Zweifel , daß die Weddu der am 
meisten vorgeschobene Posten einer asiatischen Ur- 
bevölkerung sind, die sich durch den größten Teil des 
zentralen und östlichen Asiens in ähnlicher Weise in 



I 




Abb. 1, Wedda-Mnnn aus Ceylon. Nach Snrssin. 



Schmutz, 
von Uu- 



inselartigon Gruppen verbreitet, wie die Urbevölkerung 
in Afrika. 

Auf dem Festland« werden die wilden Stämme 
Vorderindiens, besonders die Yeruwa und t'hüangs, als 
die Verwandten der Wedda aufzufassen sein, wenn mun 
den lokalen Abweichungen gebührend Rechnung trägt. 
(Abb. 2). 

leb möchte gleich hier bemerken, daß mir ein Merk- 
mal der indischen Kulturrasse stets auffallender wurde, 
je mehr ich davon sah, nämlich die merkwürdig dunkle 
Hautfarbe der Inder, welche bis zum tiefen Schwarzbraun 
gebt und wohl nnr durch eine erhebliche Vermischung 
mit sehr dunklen Urbevölkern zu erklären ist. Wenigstens 
hat mir bisher niemand trotz wiederholter Fragen eine 
plausiblere Erklärung dieser so auffallenden , bisher zu 
wenig gewürdigten Tatsache geben können. Dabei ist 
zu berücksichtigen, daß auch die dunkelsten Inder des- 
halb nicht etwa nigritische 
Züge tragen, sondern häufig 
den edelsten , wie wir sagen 
„europäischen" Schnitt deB 
Gesichte« darbieten. (Abb. 3). 

In den an Indien nörd- 
lich anschließenden Gebieten 
scheint dann nach unserer 
jetzigen Kenntnis ein breiter 
Spalt in dar Verbreitung der 
asiatischen Urbevölkerung 
vorzuliegen. Erweiterung un- 
serer Erfahrungen wird den 
Spalt aber zweifellos mehr und 
mehr verengern. Zu dieser 
Hoffnung berechtigen uns 
dio bereits gewonnenen Beob- 
achtungen aua den östlich 
und sudöstlich anschließenden 
Ländern. Als leitende Ge- 
sichtspunkte bei der Nach- 
forschung hat man die „Wild- 
heit" (Unkultur) und den 
Mangel typischer, mongo- 
lischer Merkmale ins Auge 
zu fassen. 

Diesen Anforderungen 
entsprechende Bevölkerunga- 
reste werden vou Kambodju 
erwähnt, wo sie unter der Be- 
zeichnung „wilde Hieng8 u 
vorkommen. Die davon vor- 
handenen Photographien zeigen knochige, mittelgroße 
Gestalten, markierte Gesichtszüge ohne die typisch mongo- 
lischen Bildungen, wild um den Kopf hängende flockige 
Haare, d. h. eine physische Erscheinung, welche auch 
weiter nördlich auftritt, worauf angleich zurückzukommen 
sein wird. 

K" ist längst bekannt, daß sich im Innern t'hinas 
ebenfalls Reste von Urbevölkerungen belinden, von denen 
wir aber wenig mehr als den Namen: Miao-tse, wissen; 
und doch reichen dieselben z. B. bei l'anton bis nahe an 
die Küste heran, wo sie in den Höhenzügen leben und 
gelegentlich von den Missionaren zur Feldarbeit heran- 
gezogen werden. 

Uber die Urbevölkerungen im Süden des hinterindi- 
schen Festlandes hat in neuester Zeit Herr Martin in 
seinem prächtigen, mit erstaunlichem Fleiß und Sorgfalt 
zusammengestelltem Werk „Die InluudatiUnuie der malai- 
ischen Halbinsel" (Jena 1 005) wichtige Aufschlüsse ge- 
geben. Hierbei kommen an erster Stelle die mit dem Namen 
.Senoi" bezeichneten Stämme in Frage. Einem so um- 

8» 



10 



Gustav Kritsch: Über die Verbreitung iler ältlichen Urbevölkerungen usw. 




Abb. a. l'hüang au« Vorderindien. 

nichtigen und erfahrenen Forscher wie Martin konnte 
die auffallend« Ähnlichkeit in der Erscheinung nicht 
entgehen, «reiche die Senoi mit den von ihm eben- 
falls- besuchten Wcdda darbieten; auch hat er be- 
rechtigterweise die Vergleichung auf die indischen 
Yernwa ausgedehnt, von denen er S. 1036 dem 
Text eine Abbildung eingefügt hat (Abb. 4). 

Bei der ganz hervorragenden Vorsicht de» Autors 
in der Aufstellung seiner Behauptungen betrachtet 
er selbst die bemerkenswerten Übereinstimmungen 
mit zweifelhaftem Sinne, indem er gleichzeitig wich- 
tige Unterschiede besonders im Schudelbau nachweist. 

Wir haben hier einen besonders schlagenden 
Fall, der mir die Möglichkeit gibt, gewisse An- 
schauungen zu erörtern, die sieh allen zu erwarten- 
den Widersprüchen cum Trotz Bahn brechen müssen 
wenn wir an einem Fortschritt unserer anthropolo- 
gischen Wissenschaft nicht verzweifeln wollen. Bei 
aller Hochachtung vor eingehenden Spezialforschuu- 
gen, die mit der peinlichsten Genauigkeit durch- 
geführt wurden, darf es ausgesprochen werden, dal! 
sie dem allgemeinen Fortachritt nur nützlieh wer- 
den können, wenn sich durch dieselben der Autor 
selbst, sowie «eine Leser ihren weiteren Überblick 
über das Gebiet nicht über die Gebühr einengen 
la*»en. 

Unzweifelhaft ist dies bei vielen Spezialforschern 
der Fall, welche die gefundenen Tatsachen als Bau- 
steine einer Mauer gleich rings um sich auftürmen, 
bis sio vom Horizont überhaupt nichts mehr sehen 
können. 

V<NI Herrn Martin läßt sich dies gewiß nicht 
behaupten, und doch möchte ich wünschen, daß auch 



er zuweilen in seinen Schlußfolgerungen nicht ganz 
so vorsichtig »ein möchte, da die Wissenschaft als- 
dann aus den Befunden mehr Nutzen ziehen könnte. 
Man int ganz gewiß berechtigt, bei diesem schwie- 
rigen Verfolgen langst undeutlich gewordener Spuren, 
wo mannigfache, unkontrollierbar« Einflüsse um- 
gestaltend gewirkt haben, unter allen Umständen die 
positiven Merkmale herauszukehren und 
die negativen an die zweite Stelle zu ver- 
weisen. Gilt dies doch auch sonst gauz allgemein 
in unseren Erfahrungswissenschaften! 

Einen zweiten Punkt möchte ich hier gleichfalls 
betonen. Neben der bewundernswürdigen Fülle eige- 
ner Beobachtungen, die gestützt sind auf ein reiches 
Untersucbungstnaterial, entwickelt Herr Martin auch 
eine geradezu erstaunliche I.iteraturkenntnis. Mit 
liebenswürdiger Sorgfalt wendet er jede Angabe 
eines vielleicht längst verschollenen, apokryphen 
Autors hin und her, um doch noch ein brauchbares 
Korn zwischen der Spreu zu finden. Darin sehe ich 
ein weiteres Unglück einer zu peinlichen Spezial- 
forschung. 

Wenn irgend jemand, so ist gerade ein Forseber 
von der Bedeutung wie Martin berufen, den täglich 
fürchterlicher werdenden Augiasstall unserer anthro- 
pologischen Literatur mit eisernem Besen auszufegen. 
Widerspruchsvolle, ungereimte Angaben, auffallende 
Behauptungen von Autoren, deren Beobachtungsgabe 
oder Wahrheitst reue verdichtig ist, sollten im Inter- 
esso der Wissenschaft lieber in die wohl verdiente 
Vergessenheit versenkt werden. Leider sind der- 
artige Angaben vielfach in die älteren, zu ihrer 
Zeit verdienstvollen Sammelwerke von Waitz, v. Pri- 
chard und anderen übergegangen, aus denen sie nun 
immer wieder gelegentlich wie ruhelose Gespenster 




Abb X Lnndbehanender Tamil au» Ceylon. 



Google 



g der östlichen C rln-volkerungcii usw. 



II 



auftauchen und umgeben. Ich persönlich glaube nicht 
an Gespenster vind werde auch fernerhin auf die Gefahr 
hin, als Ketzer verschrien zu werduti, solchen Spuk un- 
beachtet an mir vorbeiziehen lassen. 

In diesem Sinne finde ich in Herrn Martina Prachtwerk 
zu meiner Freude eine solche Fälle anschaulicher Tat- 
sachen von Fleisch und Klüt, dal! ich den etwa auch in 
ihm umgehenden literarischen Gespen stern mit kühler 
Nichtachtung begegnen darf. 

So möchte ich zur vorliegenden Frage feststellen, daß 
die Beobachtungen des Herrn Martin in dem angeführten 
Werk eine wie immer entfernt« Verwandtschaft zwischen 
den Wedda, Yeruwa und Senoi mehr wie wahrscheinlich 
gemacht haben. 

Gerade bei so versprengt lebenden Stämmen, wie es 
die Reste der Ureinwohner im asiatischen Kontinent 
sind, müssen sich unter dem Wechsel des Klimas und 




braun und flockig, sie reichen bis auf die Schulter herab. 
Leider fehlte mir die Muße, Genaueres über diese Menschen 
festzustellen, welche wohl mit den nicht mongolischen 
Ureinwohnern zusammenhingen mögen. In Schanghai 
pflegt man sie als „Mandschuren 11 zu bezeichnen, ver- 
mutlich weil sie aus dem Innern kommen: denn mit dein 
eigentlichen Typus der Mandschus hat ihre Erscheinung 
nichts gemein, diese sind von edlerer Gesichtabildung 
als der Durchschnittchinese, aber doch deutlich mon- 
goloid, die Hautfarbe eher heller als bei vielen Chinesen, 
■lene erinnern sehr an die wilden Hiengs von Kambodja, 
von denen hier eine Abb. folgt ( Abb. 5). 

Weiter nördlich wird durch einen Autor, der sich 
Sinophilus nennt (her ferne Osten, Bd. 3, Heft 2), über 
derartige Stimme in der Provinz Kwantuug lierichtet, 
wo derselbe sie persönlich besucht hat. Sie leben, wie 
meistens, in den schwerer zugänglichen Bergen und 




Aul>. 4. Senol-.Manii ans Malakka. N;nl> Martin. 



aller äußeren l^bensbedinguugen weitgehende Unter- 
schiede im äußeren Ausehen und in der Lebensweise 
ausgebildet haben. In einem Lande wie China, welches 
sich durch 30 Breitengrade erstrockt und auch infolge 
des kontinentalen Charakters enormen Teraperaturschwan- 
kungen unterworfen ist, darf man schon deshalb keine 
große Übereinstimmung auch bei tatsachlich verwandten 
Volksstammen erwarten. 

F.rst in neuerer Zeit richtet sich die Aufmerksamkeit 
der Forscher auf solche Reste von Urbevölkerungen in 
China, dessen frühere Abgeschlossenheit das Studium 
allzusehr erschwerte. Ich selbst beobachtete in Schang- 
hai unter der niedrigsten Bevölkerung des Hafens als 
Lastträger, Rickschah • Fahrer usw. tätige Personen in 
ziemlicher Häutigkeit, welche sich in auffallender Weise 
vom mongolischen Habitus entfernen. Sie sind mittel- 
groß, von hagerem, knochigem Körperhau und markierten 
Gesichtern von wildem Ausdruck; den Augen fehlt die 
charakteristische Mongolenfalte. Die Hautfarbe ist ziem- 
lich dunkelbraun, also erheblich tiefer als die der Chinesen, 
die lose um den Kopf hängenden Ilaare sind schwarz- 



werden von den Chinesen „ V ao-jen", d.h. „wilde Hunde - 
gcuuuut. Nach den Angaben des Verfassers haben sie 
braungelbe Farbe, längliche Schädelform ohne vor- 
steche nd mongolisch e (J e sie htszüge und einen kaum 
mittelgroßen Wuchs. Die Männer tragen das Haar 
auf dem Kopf in einem Knoten aufgubuuden, die Frauen 
in einer künstlichen Frisur auf einer Drahthaube ein- 
geflochten, wodurch sie au einen Huudekopf erinnern 
sollen, der für sie von mythologischer Bedeutung ist. 

Bei der Rauhigkeit des Klimas ist es natürlich, daß die 
Männer ebenso wie die urtümlichen Aimi Wams und 
Hosen angelegt haben , die Frauen ein bis zum Knie 
reichendes Obergewand tragen, aber keine Hosen. Sie 
wohnen in einfachen, kahlen Hütten fast ohue jede Aus- 
stattung und ernähren sieh durch einen dürftigen Acker- 
bau. Nach Angabe des Bergwerkdirektora Schmidt sind 
solche Ureinwohner ebenfalls aus den Provinzen Fu-kien 
und Zsu-Yang (Vier-Flüsse) bekannt. 

So schwebt zurzeit die Frage nach der nördlichen 
Verbreitung und dem lokalen Aussehen der asiatischen 
Urbevölkerung gegen Nordosten zu noch in der Luft. 



12 



Gustav !•' r i t « c 1» : (her die Verbreitung der östlichen l'rbc völkernagtll usw. 



uud wir müssen weitere Aufklärung von der Zukunft 
erhoffen. 

Verlassen wir das H>iuti»clie Festland, so richtet sich 
der Hlick im Süden zunächst auf die Nikobaren und 
Andamanen, welche ich selbst nicht verabsäumt halte zu 
besuchen. Hier schürzen sich aber neue Rätsel, anstatt 
die Losung der alten zu gewähren. 

Andamanen und Nikobaren, obwohl nahe benachbart, 
sind in ihrem Volkscharakter gänzlich verschieden, indem 
sich die Nikobaren unverkennbar in dieser Beziehung an 
die weiter östlich lagernden Inseln anlehnen . diu Anda- 
manen aber einen eigenartigen, ganz vereinzelt dastehenden 
Charakter ihrer Bevölkerung darbieten (Abb. 6). 

Ihre eingeborene Bevölkerung ist besonders von Eng- 
ländern vielfach ein- 
gehend untersucht 
und beschrieben wor- 
den, darunter Richard 
Owen, welcher den 
jetzt ungebräuchlich 
gewordenen Namen 
„Mincopieg" für sie 
gehrauchte. Später hat 
ein auderer Kngländ er, 
namens M.V. Portmuu, 
als Kommissar für die 
Killgeborenen bestellt, 
eine ganze Keine von 
Jahren auf den Inseln 
gelebt und Beobach- 
tungen Ober ihre Be- 
wohner gesammelt, 
sowie vorzügliche Por- 
träts von ihnen auf- 
genommen, von denen 
ich am Ort Proben ge- 
sehen habe. Was aus 
den schonen Aufnah- 
men schließlich ge- 
worden ist, konnte ich 
nicht feststellen; sie 
ruhen wohl wie so 
vieles andere in Kug- 
land an sicherer Stelle, 
auf dem Kontinent 
habe ich nichts davon 
gesehen. 

Auch die anderen 
einschl Agi gen A ntoren , 

unter denen Manu 1 ! Abb. *■ W ilde Hl 

an Zuverlässigkeit 

obenan zu stehen scheint, sind bei uns wonig bekannt, 
da» Buch des letztgenannten ist leider vergriffen. 

Alle diese Werke, soweit sie mir bekannt geworden 
sind, tragen den Charakter von Kinzelforschuugen, d. b. 
sie suchen kaum irgend welche Anlehnung an Veröffent- 
lichungen über andere Gebiete und scheinen von vorn- 
herein von der Besonderlichkeit ihres Gegenstandes über- 
zeugt. Nach dem weiter oben Angeführten sehe ich 
keine Veranlassung, ihnen darin nachzueifern, mbubt 
möchte ich aus voller Überzeugung betonen, daß die 
Andamanen einen ausgesprochen uigritischen Charakter 
tragen, und daü auch die Gesichtshildung, welche den 
früheren Beobachtern so abweichend erschien , sich von 
den edler geformten Zügen, wie sie z. B. ein großer Teil 
der Runtuvölker Afrikas zeigt, durchaus nicht so sehr 
entfernt. Ks schwebte offenbar den Autoren der un- 

') The Aborigines of the Amlnmun mh) Nikobar Islands. 




glückselige, in Afrika keineswegs allgemein verbreitete, 
sog. „Negertypus 1 " als maßgebend vor, wie dies öfters 
den mit afrikanischen Eingeborenen weniger Vertrauten 
passiert. 

Das durchaus typisch spiralgedrehte, schwarze Haar, 
die schwärzliche Hautfarbe, die ganze Figur mit der 
ziemlich ausgeprägten l.ordosis und die bei den Frauen 
auftretende Hinneigung zur Steatopygie bis herunter zur 
Tracht, bzw. dem Mangel solcher erinnern auf das deut- 
lichste an afrikanische Formen Die Männer gehen, wenn 
unbeobachtet, fast ganz nackt, höchstens trugen sie einen 
kleinen Schurz uro die Lenden. Die Frauen bedecken 
den Allerwertesten mit einem am die Hüften befestigten 
Büschel trockener Blätter und stecken unter die uach 

vorn laufenden Riem- 
chen ein frisches, et- 
was breites Blatt, wel- 
ches gerade die Scham 
verhüllt: auch in die- 
ser Hinsicht fehlt es 
nicht in Afrika an vor- 
wandten Beispielen. 

In der Tat sind 
die Lippen nicht so 
aufgeworfen wie beim 
sog. „Neger* 1 , aber 
sicher ebenso sehr wie 
bei Tausenden von 
Ust - Bechuunen , um 
nur ein Beispiel zu 
nennen, welche letz- 
teren an edler Nasen- 
bildung die Andama- 
nen sogar übertreffen, 
da diese eine kurze, 
etwas aufgestülpte 
Nase zeigen-, die Su- 
pruorhitnlhögen sind 
nicht auffallend ent- 
wickelt. Auch die 
durchschnittlich ge- 
ringe Körpergröße 
kann bei in so küm- 
merlichen Verhält- 
nissen lebenden Leu- 
ten , die sich selbst 

bezeichnenderweise 
„Djungel-Volk" nen- 
nen, nicht auffallen. 
Bogen und Pfeile, so- 
wie leichte Wurfspieße 
sind ihre Waffen , welche sie besonders zur Krlangung 
von Fischen, sowie der kleinen, schwarzen andamanischen 
Wildschweine benutzen. Ihre sonstigen wenigen, un- 
scheinbaren Gerätschaften dienen auch hauptsächlich dem 
Fischfang, sowie der Aurbewahrung ihrer Beute und 
wilder Früchte. 

Als ungewöhnlich bei nigritischen Kassen ist die 
Schädelbildung zu bezeichnen, wobei die bekannte afrika- 
nische Dolichokephalie mit der schmalen, abgesetzten Stirn 
nicht zur Beobachtung kommt. Die Schädel, welche ich 
bisher gesehen habe, neigton entschieden zur Brachy- 
kephalie, doch ist bekannt und besonders durch R. Virchow 
gelegentlich ausdrücklich betont worden , das bracby- 
kephalische Schädelformen keineswegs in Afrika gänzlich 
fehlen. 

W eisen so die Andamanen einerseits unzweifelhaft 
auf Afrika hin. so ist es bisher leider durchaus nicht 
gelangen, einen kontinuierlichen Weg der Verbreitung 



eng aus Kambodja. 



Google 



Gustav Fritscb: l l ber die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen usw. 



13 



vw wandt or Stämme weiter uach Osten zu verfolgen; es 
klafft hier auf der östlichen Seite ein noch größerer Spalt 
als auf der westlichen, wo die nigritiscbeu Stamme Mada- 
gaskar« ein Bindeglied mit dem afrikanischen Kontinent 
darbieten. 

Ich lebte stets der Hoffnung, es würden sich weitere 
solche Verbindungsglieder unter den östlichen Stammen 
linden, doch hat sich diese Hoffnung bisher nicht erfüllt. 
Offenbar sind die Andamanen, diese versprengte Völker- 
gruppe, welche zurzeit auf nur etwa 3000 geschätzt wird 
und besonders? durch Syphilis einem schuellen Untergang 

entgegengeht, 
nicht auf der ein- 
samen Insel ent- 
standen ; konnten 
sie von Westen 
her auf ihren 
Wohnsitz über 
den Indischen 
Ozean gelangen, 
durfte man an- 
nehmen, daO der 
kürzere östliche 
Wog über das 
Wasser ihnen 
auch nicht ver- 
schlossen blieb. 
Ist solche An- 
nahme richtig, 
so werden sich 
vielleicht doch 
noch Verbin- 
dungsglieder fin- 
den lassen : es ist 
aber auch heim 
Fohlschlagon die- 
ser Hoffnung zu 
begreifen, daß 
die außerordent- 
lich energische 
Art des Durch- 
einanderwirbels 
aller Bevölke- 
rungselemente in 
den östlich zu- 
nächst anschlie- 
ßenden, bewohn- 
ten Gegenden die 
vielleicht vorhan- 
denen schwachen 
Spuren ganzlich 
▼erwischt hat. 

In diesem 
bunten Gewirr 
der Kationen ist 
für die letzten Jahrhunderte offenbar die sog. malaiische 
Rasse der hauptsächlich treibende Faktor gewesen, bis die 
europäischen Nationen sich dabei ausgiebiger beteiligten. 
Gerade im „malaiischen Archipel" läßt sich diu mangelnde 
Berechtigung der Aufstellung einer solchen Kasse nach- 
weisen, es müßten dann doch nach anthropologischen 
Hegriffen jedenfalls die Javanen, die Suinatronen, Madn- 
raucn usw. hinzu gerechnet werden. Diu Landeskundigen 
unterscheiden aber streng zwischen Javanen und Malaien, 
sowie zwischen solchen und den Hattakuru auf Sumatra, 
ebenso auf den benachbarten Inseln. Die jetzt als ma- 
laiisch bezeichnete Bevölkerung ist unzweifel- 
haft eiu indo-chineeisebes Mischvolk: seine Ver- 
breitung geschieht über das Meer und die Flüsse hinauf. 




Abb. ti. (irnppe von Eingeborenen der Andamanen. 



soweit diese für ihre Sampans schiffbar sind , sie haben 
also ihre Beziehung zum Wasser noch gar nicht voll- 
kommen aufgegeben und werden daher im Unterschied 
von den Binnenmalaien als .Küstenmalaien" bezeichnet, 
wenn mau das Wort .Malaien 1 " in ausgedehnter Bezeich- 
nung verwerten will. 

Die von den Küsten her dahin, wo es etwas zu holen 
gab, eindringenden Seefahrer und Seeräuber fanden 
diu angegriffenen Gebiete von Kingehorenen besetzt, in 
welchen man zunächst geneigt ist , die eigentliche Ur- 
bevölkerung zu seben. Die Frage liegt aber keineswegs 

so einfach . son- 
dern es ist not- 
wendig, hier wei- 
tere Unterschei- 
dungen zu treffen. 

Welchen Au- 
tor mau auch auf- 
schlagt, um sich 
Hat zu erholen, 
überall begegnet 
man bei genaue- 
rer Betrachtung 
der Schwierigkeit, 
daß selbst die 
Landeskundigen 
die sog. „malai- 
ische Rasse" nicht 
umgrenzen kön- 
nen, (ianz be- 
zeichnend ist aber 
schon der Name, 
welcher vollstän- 
dig a Drang Ma- 
layu", d. h. „her- 
uin schwärinende 
Leute"bedeutet*) 
und die Natur 
dieser Stämme 
vollkommen be- 
zeichnet. Nicht 
daß die anderen 
von den „ eigent- 
lichen " Malaien 
unterschiedenen 
Stamme nicht 
auch Wanderun- 
gen ausgeführt 
hätten, aber dieae 
liegen in der Ge- 
schichte weiter 
zurück und führ- 
ten zu mehr seß- 
haften Verhält- 
nissen. So ist z. B. 
die „malaiische Halbinsel" nachweislich erst im An- 
fange des 13. Jahrhundert« durch Malaien besetzt wor- 
den, die dort Singapura als Kolonie gründeten und, von 
hier vertrieben, nachher Malakka zu ihrer Hauptstadt 
machten. Weitere Verbreitung nach dem Süden, beson- 
ders nach Java, fand statt, nachdem 1511 die Portu- 
giesen Malakka eroberten. 

Ka handelt sich hier also um Volksströuiungen und 
Bildung neuer Stämme von verhältnismäßig geringem 
Alter, die aber unzweifelhaft aus sehr verwandten 
Quellen wie die früheren hervorgingen , so daß die 



") Führer 

Laiptag tsi>o. 



auf luva von I» P. M. Schulze, S. S9I, 365 



11 



Schwierigkeit ihrer Unterscheidung mehr als begreif- 
lich ist. 

Gegenüber diesen Ereignissen von gestern ergibt 
«ich uns den Überlieferungen, daß dem Eindringen der 
Küsteumulaien eine Periode vorausging, welche bis iu 
das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück- 
datiert and die hindostanische genannt werden kann, da 
diese Volk&strouiUDg wesentlich auf Indien zurückzuführen 
ist Nach den javanischen Rahads soll im Jahre 78 oder 
120 n. Chr. ein indischer Fürst. Adji-Soko oder Prahu 
Irjojo Bojo, nach Java gekommen sein, wo er im Ur- 
zustände lebende Nomaden vorfand (a. a. 0., S. 3«5). 
Mit den lange fortdauernden indischen Einwanderungen 



wird der Ethnograph und Anthropologe in diesen Ländern 
mehr zu rechnen haben, als mit den eigentlich malai- 
ischen, wahrend sie doch iu neuerer Zeit vielfach in 
unverdiente Vergessenheit geraten Bind. 

Aber auch diese hindostanischu Periode ist nicht die 
älteste, von welcher die Geschichte zu berichten weiß; 
denn schon vor den Hindu haben die Chinesen, diese Aller- 
| weltsmenschen, die in Rede stehenden Lander besucht und 
daselbst festen Fuß zu fassen gesucht. Im vierten oder 
fünften Jabrh. v. Chr. soll der Chinese Fu-Hien Java be- 
sucht und es Jepbo-thi oder ächeh-poh genannt haben, 
ohne daß, wie es scheint, genauere Nachrichten darüber 
auf unsere Zeit gekommen sind. ( Fortsetzung folgt.) 



Kapitän Touchard* Zug durch das Land der Asgcr-Tnareg 
zur Oase Dschanet. 

Ks int bereits mitgeteilt worden . daß Frankreich im 
vorigen Jahr trotz de» Widerspruch* der türkischen Regie- 
rung dir südwestlich von Oliat liegende Oase Dchanet besetzt 
hat , um auf die meint in Ghat wohnenden Häuptlinge der 
Atger-Tuareg einen Druck auszuüben und die aus dem Sudan 
über Air nach Tripolis geheuden ilandeWkarawanen mich 
Algerien abzulenken. Dieser Schritt wurde Frankreich da- 
durch erleichtert, daß schon im Januar lwl eine französische 
Mllililrexpeditiott unter dem Kapitän Touchard . dem Chef 
des .Bureau des affaires indigenos" in Tuggurt , Dschanet 
aufgesucht hatte, über diesen interessanten Zug bat Touchard 
im „Bulletin du Coro, d« l Afii-iUe franoalse", li>'J«, Nr. 10 ff. 
einen ausführlichen Bericht erstaltet, dem einige Einzelheiten 
entnommen seien. 

Die Expedition bestand aus 150 Kamelreitern und verliell 
am 1. November 1904 Tuggurt, am 10. Dezember Fort Flattei«. 
Ihre Hauptaufgaben bestanden in der Wiederherstellung und 
Anläse von Krumieu bis nach Fort Flattern (Timassinine) 
und in der Anknüpfung von Beziehungen zu den Asger- 
Tuareg, die sich bis dahin vollkommener Unabhängigkeit er- 
freut hatten. Um die zweite Aufgabe zu li>«en, wünschte 
Touchard mit dem Häuptling Soltau Ahmud zusammen- 
zutreffen, und so dehnte sieh der Zug über das Tassiii (Plateau) 
der Asger südwärts bis nach Dschanet aus. Hier erfolgte die 
Ankunft am 19. Januar 1905. Nachdem er hier l'/, Tag« 
verweilt hatte, trat er deu Rückweg an und war Aufaug 
Februar wieder in Fort Flattern. 

Von Fort Flauer* ab verfolgte die Expedition zumeist 
bis dahin von Europäern nicht begangene Routen. Das Tassiii 
der Asger war nicht ganz unbekannt. Bereits Dureyrier und 
F^rwin v. B*ry hatteu e« besucht, spater hatte es unter anderen 
Flatters auf seiner ersten Heise berührt , und die Mission 
Koureatl-Lamy hat es im westlichen Teile gekreuzt. Touchard 
folgte dem Nordraude den Plateaus über Menghugh und Ursel 
bis Tarat, durchquerte seinen östlichen Teil südwärts nach 
Dider , wobei die v. Rurysche Route gekreuzt wurde , und 
ging dann am Südrande entlang nach dem noch Bo km von 
Ohat entfernten Dschanet, das er als erster Europäer tieauebt 
hat. (Barth blieb es 1»50 zur Hechten.) Die Aufnahme- 
ergebuisse hat Touchard in einer dem Bericht beigegetonen 
Karte in 1:1500000 mitgeteilt; auch findet sich dort eine aus 
dein Gedächtnis gezeichnete Skizze von Dschanet. 

Das Tasslli der Asger ist auf den Plateauhüheu vegetations- 
los, der Boden mit scharfen schwarzen Felstrümmern bedeckt- 
Es wird von zahlreichen Wadis durchschnitten und von rund- 
lichen Einsenkungen unterbrochen, die wasserreich sind, 
Alluvialboden und meist zwar wouig reiche, aber für die Be- 
dürfnisse der Kamele und Ziegen genügend« Weide haben. 
Inmitten solcher Einsenkungen liegen z. B. Tarat und Dider. 
Die von Dider hat <» bis S km Durchmesser und liegt l. r > bis 
TOm tiefer al» das sie timgebende I'lateau. In der Dünen- 
wüste (Krg) im Norden dos Plateaus hatte es, wie Touchard 
hörte, seit einigen Jahren nicht gereguet; im Ostteil war, als 
Touchard ihn besuchte, Regen gefallen. Im Dezemlter zeigte 
das Thermometer am Tage manchmal 27° im Schatten, in 
der Nacht fiel es bis auf 10" unter Null. Bewohnt wird da« 
Tassiii von den verschiedenen . Fraktionen' der AsitcrT'uareg 
und ihren Dnghads ( Unterworfenen) , deren Hau|itlin k 'e in 
dessen in der türkischen Grenzstadt (»hat sich aufhalten. 



wo »je von den durchkommenden Karawanen ihren Zoll 
erheben. 

Dschanet liegt im dort Ii km breiten Wadi Edscheriu. 
Ks besteht aus fünf Dörfern ond einem Kloster (Hauja) des 
Snussiordens , die bis auf eines auf Hügeln im Gründe des 
Tales oder auf dessen Rand vorsprängen erbaut sind. Da- 
zwischen dehnen sich die Kulturen und PalingÄrten aus. Die 
fünf Dorfer, die sich auf eino Strecke von etwa 11 km ver- 
l teilen, heilten Akhahamat, Selluas , Kl Miban, Dschahil und 
Eferi. Die Gesatntbevülkerung gibt Touchard, der allerdings 
das südlichste Dorf Eferi nicht besucht bat . auf 1300, die 
Zahl der Dattelpalmen auf 1&0O0 bis J00O0 an. Die Palmen 
werdeu nicht bewässert, da sie mit ihren Wurzeln unmittelbar 
iu der wenig tief liegenden wasserhaltigen Bodenschicht stehen. 
Die zahlreichen Brunnen dienen zur Berieselung der unter den 
I'almeu liegenden Kulturen; sie sind '/, bis 7 m tief. Mit Hilfe 
von Buckelrindern um) Eseln wird dasWaxaer geschöpft. Das 
nördlichste Dorf, Akhahamat, liegt auf ebener Erde unter 
den Palmen versteckt. Die Hltuser sind aus Dehrn und 
Steinen erbaut. Auf einem Haufen von FeNblöckcn ist Sclluas 
errichtet, von dessen Moschee eine tiirkischo Fahne wehte. 
Die Bewohner standen bewaffnet auf der Hohe, ließen Touchard 
aber hinauf. Die Flagge, so wurde behauptet, habe der 
Pascha aus Tripolis gesandt, doch meint Touchard, sie sei 
von dem Snussikloster geschenkt worden; ein türkischer 
Beamter oder Soldat habe sich in Dschanet nie sehen lassen. 
Zwisehun Selluas und dem Kloster hatten sich Bewaffnet« 
postiert, doch verhielten sie sich friedlich. Widerwillig wurde 
Touchard die Erlaubnis zum Besuch des Klosters erteilt, doch 
verzichtete er darauf, weil der Aufstieg , ziemlich schwierig*' 
gewesen und die Zeit gefehlt bnbe. Da* Kloster ist ein 40 in 
lange* und in breite» Gebäude aus Steinen und Lehm. 
Da« nächste Dorf. Kl Mihan , liegt auf einem Hügel und 
sieht schmutzig und ärmlich aus: die Bewohner hatten 
»ich hinter die Felsen geflüchtet. Dschahil endlich , das 
auf dum Westrand« de* Tales liegt , war in großer Auf- 
regung über den Besuch, und Touchard stand davon ab, es 
ZU betreten. 

Mit den Häuptlingen der Asger, zu deren Machtbereich 
bisher auch Dschanet gehörte, vermochte Touchard nicht iu 
Verbindung zu treten. Seiner Aufforderung, nach Dschanet 
zu kommen, war keiner gefolgt, sie waren in Ohat gebliehen 
oder ihm dorthin ausgewichen. Ihren Leuten in Dschanet 
hatten sie befohlen, sich friedlich zu verhalten, aber keine 
Verpflichtungen einzugehen- Der Häuptling Gedasen ag 
Abakhada sprach spater brieflich seine Bereit Willigkeit aus, 
in friedliehe Beziehungen zu den Franzosen zu treten; doch 
Klaubt Touchard nicht recht , dal) es ihm damit Ernst sei. 
Soltau Ahmud sandte gleichfalls friedliche Versicherungen, 
lehnte aber unter Hinweis auf seine religiösen Pflichten — 
er ist Snus«ischerif — direkte Beziehungen ab. Die Häupt- 
linge der Asger, so nieint Touchard, werdeu den Franzosen 
nichts nützen, aber auch nicht schaden können, nachdem sie 
gesehen haben, daß ihr Tn»sili sie nicht mehr schützt. DaO 
sie diese Erkenntnis gewonnen, hält Touchard für ein wich- 
tiges Ergebnis se-lne« Zuge«. Ein zweite« sieht er darin, daß 
die drei einflußreichsten Asger. Fraktionen des Tassiii, die 
Dscherailschriuen , Kel Toberen und Kel Ahras, sich ihm bei 
seinem Durchzuge unterworfen haben. Jedenfalls dürft« 
jetzt, nach Errichtung de« Pontons in Dschanet, die Macht 
der Asgerhiiiiptlinge gebrochen sein, sei os, daß sie in Ghat 
j bleib-n «der nicht. 



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.loa. Scherer: Kine Schade Ist u ' t e im Boabali. 



LB 



Eine Schädelstätte im Boabab. 

Von Job. Sc Ii er er. München. 



In den einsamen Wildnissen am mittleren Senegal, 
die auch jetzt nur selten eine» Europäer» Fuß betritt, 
wo in der Bonnedurchglühten Savanne der gigantische 
Boabab (Affenbrotfruchtbaum) Jahrhunderten trotzt, 
bansen die wilden, kulturfeindlichen Stämme der Futa, 
die, zumeist Anhänger des Fetischismus, blutigen und 
abergläubischen Gebräuchen huldigen, ja sogar als 
Anthropophagen verrufen sind. So herrscht namentlich 
bei den Stämmen der Fulbi und Serer die ebenso selt- 
same als barbarische Sitte, Menschen, die ihnen aus irgend 
einem Grunde böser Zauberkünste oder des Verkehrs mit 



die engen Spalten und Löcher alter Brotfruchtbäume 
kriechen, um in deren innere Hohlräume zu gelangen. 
Diese waren oft so groß, daß 15 Personen bequem darin 
liegen konnten. Vou den Eingeborenen werden sie sogar 
vielfach als Ställe für Kleinvieh verwendet. Während 
dieser Jagd stieß ich nun auf einen Boabab, dessen 
Durchmesser 6' , in betrug. l)er arg verwitterte Stamm 
wies am Boden zwei Eingänge auf, durch deren größeren 
ich mich gerade hindurchzwängen konnte. Geblendet 
vom hellen Tageslicht , konnte ich jedoch anfangs darin 
nichts sehen und fühlte nur, daß ich in eine ziemlich 



Dl« Skelettelle vor dorn Eingänge zum Boabab. 



bösen Geistern verdächtig erscheinen, zu Tode zu martern, 
entsetzlich zu verstümmeln, um die Leiche dann in die 
Höhle eines alten, eigens diesem Zwecke geweihten Boa- 
bab zu werfen. Solchen Greueltaten fallen keineswegs 
nur Angehörige des eigenen Stammes zum Opfer, sondern 
auch, und das nicht allzu selten, durchreisende Fremde, 
gleichviel ob Araber oder Europäer. 

Die Entdeckung eines derartigen Massengrabes in 
einem Brotfruchtbaume glückte mir, als ich im Frühjahr 
1906 Senegambieu zu Sauimelzwcckcu durchstreifte. 
Nach dreitägigem Kitt durch baumloses Savannenland 
gelangte ich mit meinen Wolof • Führern in ein etwa 
75km südöstlich von Dagana gtdpgenes Gelände, das in 
größeren Abständen Ton gewaltigen Affenbrotbäumen 
bestanden war. Wie mir meine Begleiter versicherten, 
war diese Gegend außerordentlich reich an Reptilien, 
deren Fang ich mich gauz besonders widmete. Den 
dunklen Tagesverstecken großer Nachteidechsen aus der 
Familie der Geckoneu nachgehend, mußte ich häutig durch 



geräumige Höhle gekommen war. Licht durfte ich nicht 
macheu, weil ich die Nacbttiere nicht verscheuchen wollte, 
und so blieb mir denn nichts anderes übrig, als am Boden 
zusammengekauert ruhig zu warten, bis sich meine Augen 
an das Dunkel gewöhnt hatten. Unterdessen betastete 
ich einen am Boden liegenden harten, gewölbten Gegen- 
stand, kümmerte mich aber in der Meinung, daß es das 
Bruchstück einer Brotfrucht sei, nicht weiter darum, und 
das um so weniger, als bald darauf das Stöhnen eines 
Käuzchens meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Jetzt 
begann ich die Höhle tastend zu untersuchen. Als ich 
dabei abermals über einige größere, kugelige Gegen- 
stände stolperte, fielen mir diese auf, und ich hob einen 
davon empor: es war ein menschlicher Schädel. Ich hielt 
ihn an den helleren Höhleneingang und erkannte an 
seiner ausgeprägt dolichokophalen und prognathen Form 
das Kopfskelett eines Negers. Neugierig ob dieser Ent- 
deckung geworden, beschloß ich, die Sache genauer zu 
untersuchen, und befahl den außen harrenden Negern, 



Büchorschau. 



meine Laterne aaszupacke 



Anblick des bräun- 



liobroten Totenschädel« überkam jedoch die abergl&ubi- 
Heben I-eute ein solcher Schreck, daß sie erst nach 
längerem Zureden und auch datin nur unter Ab- 
tnurtaeln Ton Gebeten zur Ausführung meines Auftrages 
schritten. 

Als der finstere Kaum vom Flackerlichto der Laterne 
erbellt wurde, erblickte ich ein wirres Durcheinander 
Von Aber einem halben Dutzend Totenschadeln. teils 
zerbrochenen, teils unversehrten Rippen-, Wirbel-, Arm- 
and Fußknochen nuben den Skclottresten einus Kauclos 
vor mir im Sande. Meine schwarzen Freunde, denen 
mittlerweile ihre Neugierde wieder soviel Mut eingeflößt 
hatte, daß sie ihre Köpfe durch die Hühleneingänge zu 
stecken wagten, trugen insofern zur Vervollkommnung 
der Schauerstimmung bei, als sie mich laut jammernd 
beschworen, diesen von bösen Geistern bewohnten 13c- 
gräbnisort getöteter Zauberer zu verlassen. Schließlich 
ließen sie sich in gemessener Entfernung vom Baume, 
ängstlich des Kommenden harrend, nieder. 

Ich macht« mich dann an die genauere Untersuchung 
des Massengrabes. Bei zweien der Schädel, die sich von 
den übrigen dolicbokophal und prognnth geformten durch 



eine extrem brachjkephale und ortbognatheForm auffällig 
unterschieden, konnte man mit ziemlicher Sicherheit die 
mittelländische Kassenzugohörigkeit konstatieren. Wah- 
rend diese Schädel sehr schwere Frakturen und große 
Iaicher auf Stirn und Hinterhaupt aufwiesen, waren die 
Athiopierschädel noeb relativ gut erhalten. Wie schon 
erwähnt, Ingen diu Skelette keineswegs in anatomischer 
Ordnung beisammen, sondern bildeten ein wüstes Chaos, 
was offenbar den gelegentlichen Besuchen kleiner, aas- 
fressender Tiere zuzuschreiben ist. Meiner Schätzung 
nach mußten die Knochen miudestcus schon zwei Men- 
schenalter in diesem eigenartigen Grabe gelegen hahen. 
Zu meiner großen Überraschung verband sich mit dieser 
Entdeckung noch eine weitere, indem ich in mehreren 
der Schädel Jene Geckoneu vorfand , auf die ich vorher 
Jagd gemacht hatte. Die geräumigen Höhlungen boten 
ihnon bequeme VorsteckplAtze. 

Da ich den Grabesinbalt photographieren wollte, 
mußte ich einen großen Teil der Gerippe aus dem Baume 
herausräumen, in den ich sie nach der Aufnahme wieder 
hinbeförderte. Um den Platz auch etwaigen spateren 
Reisenden leichter kenntlich zu machen, schnitt ich ein 
Kerbkreuz in diu Rinde des Baumes. 



Bücherschau. 



Baurat Mas Gugonaan, Bio Vorgletscherung der Erde 
von Pol zu Pol. 200 8. Mit 15+ Abbildungen. Berlin, 
Kommissionsverlag von R. Fried lautier ii. Sohn, l»OR. 
In dem opulent ausgestatteten Werk« sucht der Verfasser 
zu beweisen, daO die Eiszeit nicht nur die höheren Gebirge 
oder vielleicht den größten Teil Kuropas, sondern die ganz« 
Erde betroffen hat; denn es gingen Eisutrüiue von den beiden 
Polen, den Alpen und allen höheren Gebirgen aus. die sieb 
weit über den Aiiuator erstreckten, ganze Festländer abtrugen 
und umwandelten, hohe Gebirgsketten zertrümmerten und 
durchbrachen, große Meeresbeckeu ausbohrten usw. Diese 
Kräfte erklären auch die Entstehung der Formen der heutigen 
Erdoberfläche , die «ich nach des Verfassers Meinung durch 
die heute wirksamen Kräfte nicht erklären lassen So sind 
nach ihm z. R. das sudehinesischv Meer und der (iolf von 
Mexiko vom Eis ausgehobelt, Kanal von Mocambique, und 
l'alkstraße bildeten Kisübertrittsatellen , die der Gletscher- 
strom im Laufe der Zeit so vertiefte, daß Madagaskar and 
Ceylon vollständig von ihren Festländern getrennt wurden. 

der Wüste und den 
bis zur Stadt der Gittte'r in Amerika und den 
engsten Tälern (Colorado-Canon und Tal des Jucar), sind Eis- 
formen; das alt« Neckarbett am Rande des Odeuwaldes in der 
Rheinebene wird ab „Kisrille* erklärt; die seitlichen Ketten 
des Ural sind infolge Ahschlc-ifung durch diu Ei* niedriger 
als die Zentralketten ; die tiefen Einrenkungen der Uaupt- 
ketten sind als überlrittsstellen von Eis zum Ausgleich 
zwischen dem europäischen und asiatischen Arm der großen ! 
vom Nordpol ausgehenden Eismosaen entstanden; nach Süden 
löst »ich der Ural in mehrere Ketten auf, die ebenfalls in- 
folge der Abschürfung durch die beiderseits hobelnden UleUcher 
nach der kaspischen Senke eine Zuspitzung und starke Er- 
niedrigung aufweisen. Die Landbrücke zwiseheu Kleinasien 
und Griecbenlsud wurde durch das Eis in einzelne Insel- j 
gruppen aufgelöst usw. Zwei Anhange befassen sich iu ahn- i 
lieber Weis* mit der ITrsache der Eiszeiten und der l'rsa'he 
des Fehlens der pradiluvinlen Menschenreste. Gr. 

II. Vambery, Westlicher K u ltureinf luß im Osten. 
VI u. 43* 8. Berliu. Dietrich Keimer. 1906. 8 M. 
Das vorliegend« Buch de» berühmten Reisenden und 
Schriftstellers ist eine Rechtfertigung gegenüber den An- 
klagen, daß er Englands Kulturleistungen überschätze und | 
mit parteiischem Auge Rußland betrachte, Wir müssen ge- 
stehen, daß ihm dieser Versuch nicht ganz gelungen int, und 
zwar in der Hauptsache deshalb, weil der Verf. mit un- 
gleichem Maße mißt. Mit Hecht betont er in der Vorrede: 
Niemand kann leugnen, daß. je wirkungsvoller und edler die 



uns zur Verfügung «lebenden Mitte! sind, de«to vollkommener 
und vollendeter die Arbeit vorrichtet wird. Vm den tieist 



zu belehren, zu erziehen und zu schulen, müssen wir 
selber erst gelehrt, erzogen und geschult sein, und wenn ich, 



die Sache von diesem Standpunkt betrachtend, England den 
Vorzug gebe, das zweifellos die höhere Bildungsstufe zwischen 
den zwei Mächten einnimmt, so kann ich kaum der Partei- 
lichkeit geziehen werden. Aber eben weil die Russen vielfach 
noch halbbarbarisch sind, »o eignen sie sich zur Anpassung 
an die rohen zentralasiatisclieu Stämme viel besser als die 
hoher stehenden Angelsachsen. Wo diese irgend mit reinen 
Naturvölkern zusammentrafen . wie z. B. in Afrika oder 
Australien, haben sie diese rücksichtslos vernichtet, von einem 
allmählichen Emporheben auf jene höhere Kulturstufe ist nie 
in großem Maßstäbe die Rode gewesen, und daran bat die 
evangelische Mission auch nichts geändert. Mit anderen 
Worten, es muß im Völkerleben, soll ein gesunder Fortschritt 
erzielt werden, eine stufenweise kulturelle Einwirkung statt- 
finden, wie es z. K, um ein anderes Gebiet zu berühren, 
durch die Bekehrung mancher zentralaslatischer Horden zum 
Buddhismus geschehen ist, mag sie auch noch so äußerlich er- 
folgt »ein. Die vou Vambery angezogene Parallele mit Japan 
ist nicht stichhaltig; denn hier handelt es sich lediglieh um 
die Übernahme techni«cher und wissenschaftlicher Güter, 
um eine mehr oder minder geschickte Nachahmung, um eine 
äußerliche Imprägnierung — sonst würde dieser Prozeß 
sicherlich nicht so rasch von*tatten gegangen sein — , nicht 
um jene innere Verschmelzung, wie z. Ii. bei aller Gegen- 
sätzlichkeit zwjtchen den Arabern und Spaniern auf der 
pyreiiaisiheu Halbinsel. Dali aber die Russen in den weiten 
Strichen Zentralasiens verhältnismäßig viel geleistet haben 
(bei aller Bestechlichkeit ihrer Beamten), bestreitet Vambery 
auch nicht. Und andererseits sollt« er nicht vergessen, daß die 
Politik Englands in Indien gleichfalls keine von lauterer 
Humanität beseelte ist, sondern lediglich wirtschaftlichen 
Gründen entspringt, Es ist der Handel, der ihr gesamtes 
Vorgehen beherrscht, von ihrem Standpunkt aus mit vollem 
Recht, nur Sollte man ihnen daraus kein besonderes sittliches 
Verdieust inachen. So wenig hier der Russe an seinem Platze 
gewesen wäre . so wenig der Engländer in £entrala*ien. 
Selbstverständlich wollen wir damit nicht entfernt behaupten, 
daß der Zu»taud dieser Länder zufriedenstellend sei, und dal) 
nicht viel mehr für eine gerechte Verwaltung und gute 
Schulbildung geschehen könne; aber auch hier muß man 
bedenken, daß der dürre Hoden iu Mittelasien, der außerdem 
unter jahrhundertlanger Verwüstung und Verödung gelitten, 
erst einer allmählichen Befruchtung bedarf, sollen gesunde 
Früchte darauf wachsen, l'nd endlich darf man nicht ver- 
geben , daß die Engländer sich iu Indien im ganzen und 
großen deshalb in einer günstigen Lage twnnden, weil sie es 
mit einer pa*»iteii, au Knechtschaft gewohnten Kasse zu tun 
haben, der alle* (iefulil für Selbständigkeit und Freiheit ab- 
handen gekommen ist. Mit Hecht erklärt übrigens Vambery, 
daß. solange nicht die Kluft /.«i«licii Fremden und Ein- 
geborenen dort überbrückt sei. von einer gründlichen Reform 
nicht gesprochen werden könne (S. 243). Den unverhüllten 



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Hüchersehau. 



17 



der englischen Politik gesteht er andererseits durch 
die Bemerkung zu: Auch England will erobern, aber nur 
Menschen und nicht zugleich auch Länder (als ob das über- 
haupt möglich »ei!); denn es braucht erster« als Kunden für 
»einen Wellhandel (B. 2«4). Dagegen stimme» wir völlig mit 
der folgenden Äußerung überein : England und Rußland be- 
herrschen beide eiu Gebiet, das groß genug int, um darin 
den) wirtschaftlichen Wettbewerb ohne politische Anfeindung 
gen obliegen, sich gegenseitig bereichern und ihrer Knltür- 
aufgabe gerecht werden zu könneu. Nur dann und nur *o 
wird der Ausspruch des berühmten englischen Staatsmannes 
.Asien ist groß genug für uns beide*' sich bewahren. Das 
eine konnte im Norden, da« andere im Süden der Alten Welt 
jene woltuende Helligkeit verbreiten, welche dort dringend 
nötig ist, um die mit Ruinen bedeckten Lander aufs neue 
urbar zu machen, und um die in Elend und Jammer nieder- 
gedrückte und in hoffnungslose. Apathie und Verzweiflung 
niedergesunkene Menschheit einer besseren Zukunft entgegen 
zuführen (K. 183). Mehr vermögen wir dem Verf. in dem 
letzten Abschnitt seines Werkes, betitelt „Die Zukunft des 
Islam*, zuzustimmen, wo begreiflicherweise vollends die lang- 
jährigen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen das Urteil 
befestigen. Jedem unbefangenen Kritiker muß die Wahrheit 
des folgenden Satzes einleuchten: Die Volker des mosliiiiischen 
Ostens haben noch uicht das Stadium der Selbsthilfe erreicht, 
und well ihnen selbst die Mittel zur Erreichung dieses Sta- 
diums abgehe», so sind sie in dum Maße auf die Mitwirkung 
und Unterstützung des Abendlandes augewiesen, in den) wir 
durch den Einfluß des klassischen Altertums angespornt sind. 
Hierin liegt der Hauptbeweia für die unwiderlegliche Tat- 
sache, daß der moelimische Osten nur auf dem Wege einer 
unmittelbaren Einwirkung Europa», d. h. nur unter dem 
Schutze und anter einer direkten Verwaltung abendländischer 
Machte sich regenerieren und einer bessereu Zukunft ent- 
gegengehen kann (S. 422). Andererseits will aber Vambdry 
der Türkei die völlige Suprematie in Vordcrasien gewahrt 
wissen, und das ist eben bekanntlich der loidige )'unkt, der 
stets zu Reibungen Veranlassung gibt. Schließlich wird wohl, 
wie meist, aus der ursprünglich wirtschaftlichen allmählich 
eine politisch«) Vorherrschaft der europäischen Mächte sich 
ergeben. (Für Persien ist insbesondere die Aufteilung 
zwischen England und Rußland nur eine Frage, der Zeit.) 
Es ist übrigens sehr bezeichnend, daß die Tatsache einer all- 
mählichen Entartung, einer zunehmenden Ersc hlaffung in der 
Türkei unumwunden zugestanden wird, so daß damit die 
Frage einer selbständigen Itegeneration eigentlich verneint ist. 

Weitere Einzelheiten hier zu erörtern, ist gegenüber der 
fast beängstigenden FUlle der sich aufdrängenden Fragen 
nicht möglich, wir müssen dafür auf die Lektüre dea inter- 
essanten Buches selbst verweisen. Th. Achelis. 

Irr. Hans Witte, Wendische Zu- und Familiennamen 
aus mecklenburgischen Urkunden und Akten. Mit 
einer Kart«. Sonderabdruck aus dem Jahrbuch des 
Vereins für mecklenburgische GoschichU-, Band 71. 1.H7S. 
Schwerin 190«. 
Gleichsam als Ergänzung zu seinen vortrefflichen Arbeiten 
über die wendischeu Itevölkerungsrest« in Mecklenburg gibt 
uns der Schweriner Archivar hier eine umfangreiche Ab- 
handlung über die wendischen Persotiennainen, wobei er von 
dem wendischen Gelehrten Dr. E. Mucke unterstützt wurde. 
Auch hier zeigt sich die Fortdauer der Wendennamen auch 
völlig germanisiert, weit mehr, als man bisher annahm, und 
das Ergebnis für die Bevölkerung Mecklenburgs steht nun- 
mehr fest, daß sie aus ursprünglich dort wohneuilen Wenden, 
den reichlich zugewanderteu Deutschen und aus Mischlingen 
zwischen beiden zusammengesetzt ist Mit Recht beschrankt 
sich in der Untersuchung der Zu- und Kamilteutiaiueu der 
Verfasser auf die bauerliche Landbevölkerung, in der allein 
von einem bodenständigen Wendeutum die Rede sein kann, 
und zwar zieht er nur die bis 1000 vorkommenden urkund- 
lichen Namen heran , bis zu einem Zeitpunkte, an dem der 
Verscbmelzungsprozeß der Wenden und Deutschen schon voll- 
endet war. Was den ursprünglich wendischen Adel Mecklen- 
burgs betrifft, so ist dieser noch schneller erloschen als das 
Wendeutum in den ohnehin durch Deutsche begründeten 
Städten. Doch siod manche Adelsfainilien nachweislich wendi- 
schen Ursprungs, und bei anderen weisen die bis in die Neu- 
zeit erhaltenen wendischeu Vornamen auf wendische Blut- 
misehung oder Abkunft. Die Sammlung der urkundlich belegten 
bäuerlichen Namen beträgt rund ao». Die bei den Personen- 
namen in Betracht kommenden Suffixe- sind zum Teil die 
gleichen, wie sie schon Miklosich in seiner Denkschrift über 
die Bildung slawischer Personennamen zusammenstellte: be- 
sonder» auffallend ist das hautige Personalsufrix -atz (Bnb- 
batz, Werlatz). Das häufige -ek, -ik . k« (Bliseke. Mnltke) 



macht deshalb Schwierigkeit, weil das niederdeutsche Ver- 
kteinerungssufffx ebenfalls -ke lautet und die deutsche 
Einwanderung nach Mecklenburg im wesentlichen eben nieder- 
deutsch war. Viele andere Suffixe sind aber leicht als 
slawische zu erkennen. Trotzdem bleiben Schwierigkeiten 
genug für die Deutungen übrig, da die urkundlichen Namen 
von Deutschen, die selten das Wendische verstanden, nieder- 
geschrieben wurden und die wendische Sprache selbst schon 
in einem Zersetzungsprozesse begriffen war. Kant» ist e» zu 
erkennen, daß in einem Vielbaack ein wendischer Vilak (Kurz- 
form von Weliilaw) . in einem Püsterich ein Pusterit steckt. 
— Die der Abhandlung beigegeben« alte Schinettausche 
Karte von 1794 ist di« gleiehe , die Witte« frühere Arbeiten 
begleitete, und xeigt die weile Verbreitung der wendischeu 
Bevölkerungsreste iin mecklenburgischen Lande. R. A. 

Ferdinand Hahn, Blicke iu die Geisterwelt der heid- 
nischen Kols. Gütersloh, C. Bertelsmann, 1906. 
Die evangelische Gossnersche Mission unter dem drawidi- 
schen Volke der Kols in Vorderindien wurde 1841 begründet, 
und seitdem sind zahlreiche Glaubeusboten dorthin gezogen, 
um das Volk für das Christentum zu gewinnen. Lauter 
Deutsche, unter denen sich eine Anzahl — wir nennen nur 
Jellinghnus und Nuttrott — um die Sprachwissenschaft und 
die Völkerkunde wohlverdient gemacht haben. Ihnen schließt 
sich Missionar Ferdinand Hahn würdig an. Was die Engländer 
in ihrem Reiche über die Kols wissen, verdanken sie wesentlich 
diesen Deutschen. Hahn, seit 30 Jahren dort ansässig, hat die 
Sprachlehre und ein Wörterbuch der Kolsprache (Oraouaprache) 
im Auftrage der englischen Regierung verfaßt und auch deren 
■Sagen, Märchen und Lieder gesammelt und unter dem Titel: 
Kurukh Folk-Lore veröffentlicht. Einen selbständigen Aus- 
zug hieraus bietet er uns in der vorliegenden kleinen Samm- 
lung, die wiederum den Beweis liefert, daß die Kols ein Volk 
von großer GemuUiiefe sind, dem auch der Humor nicht 
fehlt. Zwar lassen sich in manchen Fallen HindueiuAüise 
nicht abweisen. Durch das Ganze weht aber ein frischer 
Zug; die Rätsel und Sprichwörter sind schlagend, die Lieder 
manchmal stark erotisch gefärbt, wiewohl der Verfasser streng 
ausgesiebt hat. Auch einige Traditionen sind mitgeteilt, in 
denen ein geschichtlicher Kern steckt. Das Ganze ist ein 
sehr willkommener Beitrag zur Volkskunde eines indischen 
Urvolks. 

J. Joubert, La notnenclatura geographica delle coste 
africana. Sonderabdruck aus „ Bolletino della Societa 
Africana d'ltalia". 2b. Jahrgang. Heft 4, 6 und 7. 48 8. 
Der Verfasser behandelt in der vorliegenden Schrift die 
Etymologie der Namen einiger au der afrikanischen Küste 
liegender Siedelungeu , Gebirge, Inseln usw., indem er die 
Küste der südlichen Hälfte Afrikas von Rufisi|ue in Sene- 
gambien bis zum Kap Guardafui verfolgt. Er gibt auch die 
ursprüngliche Form der Namen an, die heute in verstümmelter 
Form gebraucht werden , wie Les lies de Los statt der ur- 
sprünglichen Form Isias de los Idolos. Sehr eifrig tritt er 
für eiue „notnenclatura uniforme*, eine einheitliche, inter- 
nationale geographische Naincngebung ein, die durch eine 
internationale Kommission , einen „areopago geographico*. 
geschaffen worden müßte. In diesem Punkte stimmt der Ver- 
fasser vollständig mit meiner wiederholt ausgesprochenen 
Ansicht uberein. (Vgl. A. Wollen»»)) , „Bedeutung und Aus- 
sprache der wichtigsten schulgeographischen Namen". Zweite 
Aufl., Braunschweig UKW.) 

Einige Köhler sind in der .Toübertsehen Schrift zu ver- 
bessern. Die erwähnten lies de Los sollen von den 
Portugiesen den spanischen Namen Isias de los Idolos 
erhalten haben; wenn der Name von den Portugiesen her- 
rührte, so würde er Iltis« do* Idolos lauten. Statt des portu- 
giesischen Til (-) gebraucht der Verfasser den Zirkumflex («). 
Die Mehrzahl des portugiesischen Wortes camaräo (= Krebs) 
heißt nicht camaraos, sondern camaröcs (S. 15). 

A. Wollemann. 

A n zeiger der ein uographi sehen Abteilung des unga- 
rischen Nationalmuseums. Redigiert von Vilibald 
Semayer. Jahrgang III, Heft 2. Budapest 1906. 
Wir freuen uns, auch das zweite Heft der deutschen 
Ausgabe dieser Zeitschrift gleich warm wie früher da» erste 
Heft hier empfehlen zu können. Es ist ganz wesuntllch volks- 
kundlicher Art uud dieut als eine notwendige vergleichende 
Ergänzung der mitteleuropäischen volkskundlichen Kennt- 
nisse uud Bestrebungen. In verschiedenen Beiträgen kommt 
die eigenartige ungarische Ornamentik (zumal da» Tulpen- 
uiütiv) zur Oeltuug. so in Batkys Arbeit über die Mangel- 
bretter. Sie haben niemals, wie im germanischen Norden, 
Henkel, und ihre magyarische Bezeichnung, maugorlö lapiezks. 



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1R 



Kleine Nachrichten. 



ist in der ersten Hälfte deutsche« Lehnwort, Ich bemerke 
dazu, daß die ursprüngliche nordische Form mondull, nieder- \ 
deutsch mandel, ist und erat später das nach Ungarn ge- 
langte .Mangel* auftritt. Auf urmagyarische* Gebiet führen 
uns die Arbeit«»« von Szlnte und Sebestyen über ilie Speer- 
hölzer der Szekler in Siebenburgen, die in einiger Beziehung 
mit den süddeutschen Totenbrettern 2U vergleichen sind. Ks 
lind die<es specr- oder pfottenartige Pfahle auf deD Gräbern 
mit höchst charakteristischen Symbolen, die den Stand des 
Hegrabeneu angeben. Die Speerspitze ist da« Symbol de« 
Kriegen), der Tichako de« Husaren , ein Schild de« Adligen, 
ein Kelch des Geistlichen, Knospen und Lilien der Jung- 
frauen usw. Da Verfertiger und Begrabene früher meist 
Analphabeten waren, hiteben dir- Hölzer ohne Aufschrift ; um 
wa» e« »ich bei ihnen, die höchstens 80 Jahre alt wurden, 
handelte, besagten ja die Bymbnle. Später kommen naive 
Aufschriften hinzu, z. B. .Der Kncvngel trompetete. Nagy 
Antal «löhnt ein letzte». Bedeckt wurde er mit dieser Scholle'. 
— Die von Dr. Szilady beschriebene und abgebildete „Rolle* 
au« Siebenbürgen ist nichts Besonderes; hier kann sie nur 
ah) eine Art Uberlebscl aufgefaßt worden. Sie stammt aus 
Frankreich, war in der Rokokozeit dort sehr beliebt und 
im vorigen Jahrhundert auch noch In Norddeutsohland mit 
der französischen Bezeichnung jou-jou sehr verbreitet. Auch 
die sehr schon bemalten Ostereier zeigen keinen spezitisch 
ungarischen Charakter , wenn auch einzelne Ornamente 
magyarischen Typus aufweisen. Sie »inil slawische Ent- 
lehnung, haben ihren HaupUiU in Mahren und strahlen von 



dort au«. Für die Verbreitung einzelner volkskundlicher 
Gegenstände ist aber das von Herrn lielaleszko abgebildet« 
mit kleinen Hufeisen beschlagene Hühnerei von Belang, ein 
„Glücks*!* aus dem Kotnltat Bars. Schmiede und Zigeuner 
verfertigen es, und letztere, vermute ich, haben sie auch nach 
Ungarn gebracht. In Indien, Palästina, Tunis hängt man 
sie gegen den bösen Blick auf (Globus, Bd. 76, 8. IB), was 
auch der Verfasser anführt. Erwähnenswert ist ein Auf»atz 
über die ungarischen Nationalstiefel, die Tschischmeu 
(slawisches Lehnwort, L-izma?). Hie schönen abgebildeten 
Exemplare stammen aus Neudorf (magyarisch Jglo)in der Zips 
und werden von Zipser Sachsen verfertigt, deren geschildertes 
Zunftwesen völlig deutsch war. Wertvoll ist auch der Bei- 
trag über finnische und lappische Kerbhölzer von Bän. 

Zum Schlüsse noch eine Bemerkung. Wir sind »ehr 
dankbar für diese Übermittelung der so belangreichen ungari- 
schen Volkskunde in unserer Sprache, die auch durchweg 
gut gehandhabt ist. Um so mehr fällt es auf, weuu die 
magyarische Art, den Taufnamen dem Familiennamen nach- 
zusetzen, beibehalten wird. Auch hier sollte man in der 
Übersetzung sich der bei anderen Europäern gebräuchlichen 
Art anscblietten , wie dieses andere ungarische Gelehrte 
(Hampel, Posta u. a ) auch tun. Wohin jenes führt, kann der 
hochgeschätzte Herausgeber daran erkennen. daß seine eigenen 
Arbeiten unter dem Slichwurte .Dr. Vilibald" aufgeführt 
werden, während er doch Hemeyer heißt (American Anthro- 
pologist VIII, 402). Und da« kann ihm doch nicht recht «ein. 

Kicbard Andree. 



Kleine Nachrichten. 



— Da* Ehepaar Work mau hat im vorigen Jahre 
Oletscherstudien und Bergbesteigungen in Kasch- 
mir fortgesetzt, und zwar in der östlich von Srinagar und 
südlich von Suru liegenden Nun-Kungruppe, in der von Dr. A. 
Neve und 0. E. Barton 1903 zum ersten Male alpine Touren 
ausgeführt wurden- Dl« Annäherung au die Gruppe von 
Buru aus war sehr schwierig und infolge eines Umwege« 
zeitraubend. Hierbei stiegen die beiden Alpinisten drei 
Gletscher hinauf und zwei hinunter, sie kreuzten ferner vier 
schneebedeckte Grate von etwa 5000 ni Höhe. Der Zentral- 
teil de» Nun-Kunmassiv« erhebt sich sehr scharf über den 
steilen und schartigen Spitzen, die von allen Seiten den Zu- 
gang wehren. Es kulminiert in «OOU m Höhe in einem Gletecher- 
beckrn von 5 km Länge und » km Breite, das von fünf schnee- 
bedeckten Spitzen eingeschlossen wird. Drei vou diesen sind 
über 7000 m hoch . und der höchste wurde (trigonometrisch) 
mit 7150 m geroessen, l'm dieses Gebiet zu erforschen, wurde 
in 4600 m Höhe ein Basislager errichtet, von dem zwei Schnee- 
lager weiter ohen und noch zwei auf das erwähnte Gletscher- 
becken auf 62«5 und 64l>5 m vorgeschoben wurden. Im letzten 
Lager Sei das Thermometer wahrend der beiden Nächte, die 
man dort zubracht«, auf —20 und —21' V. Da der höchsto 
Gipfel von dort aus nicht zngüuglich war, bestieg man dm 
nächsthöheren , wobei die steilen , zerklüfteten und eis- 
bedeckten Hänge stundenlanges Stufmbaueu aud größte Vor- 
sicht erforderten. In 6890 m Höhe begann eine Wolke die 
Aussicht zu sperren, worauf Dr. Workman hier zurückblieh, 
um Beobachtungen zu machen . während seine Gattin die 
Spitze erklomm. Die fortgesetzte tägliche Anstrengung in 
der dünnen Luft, der Mangel an Schlaf infolge Atemnot und 
die Wirkung der Kälte hatten aher nun das Ehepaar Work- 
man und ihren italienischen Führer dermaßen aufgerieben, 
daß sie nach fünf schlaflosen Nächten in Höhen über 1400 m 
in eine niedrigere Höhenlage zurückzukehren beschlossen. 
Später, vou der Höhe des Barmalpasses aus, wurden noch 
zwei Spitzen von 6720 und 6140 m erklommen, die schließlich 
Steigungen von 70 bis 73* aufwiesen. Auf der Spitze des 
zu'etxt genannten l'iks verhinderte leider dichter Nebel das 
Arbeiten- Die topographische Ausbeute der ganzen Unter- 
nehtnang wird als sehr umfangreich bezeichnet. 



— Es scheint, daß eine wenigstens teilweise Verlegung 
das Observatoriums von Greenwich nicht mehr lange 
zu umgeben «ein wird. Nach Groenwicber Zeit »erden die 
Uhren fast aller Seefahrer gestellt, und die weitere richtige 
Übermittelung dieser Zeit ist zwar nicht in Frage gestellt; um 
so mehr gilt das aber für die Exaktheit der magnetischen Beob- 
achtungen, denn die F.isenbahucn der Umgebung haben zur 
Folge, daß ganz unzuverliksslge Werte erzielt werden. Als 
da« Observatorium 1626 gegründet wurde, war Greenwich 
ganz klein und weit von London entfernt. Heute iat ihm 



da« immer weiter sich ausdehnende I.onchin sehr nahe auf 
den Leib genickt. Schon lang« war darauf verwiesen worden, 
daß die Eisenbahn der City and South London t'ompany, die 
im Westen an Greenwich vorbeiführt , die Weisungen der 
Magnetographen fälscht. Noch mehr wird das aber der Fall 
sein, nachdem der vor vier Jahren von derCounty von London 
beschlossene Bau der Elektrizitätswerke in der Nähe des 
Observatoriums zur Tatsache geworden sein wird. Da hierzu 
900000 Pfd. Sterl. bewilligt worden sind, so ist es wenig wahr- 
scheinlich, daß die Bauerlaubnis rückgängig gemacht werden 
wird, und es wird deshalb nichts anderes übrig bleiben , als 
das Observatorium teilweise zu verlegen. Die Stundenbentim- 
mungen können sich nach wie vor auf Greenwich beziehen 
und auch das Passageinstrument kann bleiben , wo es ist. 
Auch wird es möglich sein, die in einem neuen Observatorium 
gewonnenen Beobachtungen durch Rechnung auf Greenwich 
zu übertragen. Die Verlegung der berühmten Sternwarte ist 
daher nur eine Geldfrage und liegt im Interesse der Wissen- 
schaft. Aus dieser Erwägung hat wohl auch seinerzeit der 
Direktor gegen die geplante Errichtung der Elektrizitätswerke 
keinen Widerspruch erhoben. 



— Das Mancnguba plateau im mittleren Teile von 
Kamerun wurde durch die Expedition des Hauptmann von 
Krogh gegen die Aufständischen in der Gebirgslandschaft 
Mbo von Mitte Dezember MOS bis Anfang März 1906 in 
seinem letzten Best bis auf etwa 40qkm vollkommen auf- 
geschlossen (Deutsches Kolonialblatt, 1. Dez. 1906, S. 773 ff., 
mit einer Kartenskizze). Bekanntlich hatte die Expedition 
des Oberst Müller Anfang 1905 den ersten entscheidenden 
Vorstoß vom Manengubagebirge aus in nordostlicher Richtung 
gegen Bamuin hiu unternommen und deren Offiziere Hirtler, 
Rausch und Schlosser die kartographische Aufnahme der 
Gegeudeu sowohl lang* der Marschroute als auch weit seit- 
wärts von ihr besorgt. Der „Glohus" berichtete darüber 1905 
im 83. Band (S. 211), jedoch nicht ausführlich, weil die dazu 
notwendige neue Karleerst 1906 in Danckelmans Mitteilungen 
unter dein Titel „Provisorische Karl« der Gebirgslandschaften 
des Militärbezirks Fontetn* erschien. Der Expedition Haupt- 
manns v, Krogh war diese Karte von großem Nutzen, »ie 
wurde noch bezüglich verschiedener Einzelheiten durch den 
der Expedition zugeteilten Leutnant Bausch in der erwähnten 
Kartenskizze ergänzt. Als unaufgeklärt blieb nur noch die 
groß«, sumpfige Mbuebene übrig. 

Als GcsanitresulUit ergibt sich nun folgendes geographi- 
sche« Bild: Da« Manengutiaplateau lM-*u-bt in seiner nörd- 
lichen Erstreckung nur in einer etwa 20 km ausgedehnten 
sanften Abdachung des Mauengubagebirgsstockes bi« zum 
Nordrande der Mbuebene. Diese flache Niederung wird von 
einem B0O bis 1200m hohen, zum Teil wild zerrisseneu 
Hiigelgelände umschlossen: iin 



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IM 



Elong, Miitua, Ndu und Knbo, im Norden von Kongo«. Mbo 
und Klinga und im Osten von Bamllleke, Ngökö, Barfuni 
und Ndubo. Aus dem nördlichen Gebiet strömen der Fi, Mo 
(oder Mfu?), Nghe und Mbu dem Crossflusse, aus dem öst- 
lieben dar Nkiun (mit dem Seitenfluß Nka) oder Menua dem 
Wnri zu. Überall ist da* Land fruchtbar; es gedeihen alle 
Arten von Feldf rüchten , in den Heilkunden auch Planten. 
Sehr geeignet zu Heiskulturen erscheinen Kabn und Kongos. 
Aber den Hituptreichtuin bilden die großen ülpaltuc.tihuine 
in deu Tillen» von Klong, Mama, Kungon und Kabo, wa» der 
geplanten Katuerunbabn (von Duala nach Bamum) »ehr 
günstige Aussichten gewährt. Zahlreiche Herden von Elefanten 
und Büffeln gibt es in der Mbuebune. An Großvieh herrscht 
Mangel; dagegen »lud mit Ziegen und Schufen die Werg- 
dorfer reichlich versehen. Da* Land ist allenthalben dicht 
besiedelt, namentlich in Ndu und Mbo; doch ist die Bevölke- 
rung in lauter kleine, voneinander unabhängige Gemein- 
schaften zersplittert. Durum gelang es auch der Kx|>edliion 
v. Kroghs, die überaus kriegerisch gesinnten Mboleute in ver- 
hältnismäßig kurzer Zeit zu überwältigen und zum Friedens- 
schluß xu zwingen. H. F. 

— Über eine Reiae im weltlichen Szetschwan von 
Marx bin Mai 1900 berichtet Graf de Marsay der Pariser 
geographischen Gesellschaft („La Geographie', Oktober IWM). 
Kr überschritt auf dem Wege von Jilnnanfu nach Ningjueufu, 
der Hauptstadt den Bezirkes Kientschan, den Jangtazekiang 
an einer noch unbekannten Stelle 40 km weltlich von dem 
Funkte, wo IHyd de Vaulsorre über den Fluß gegangen war. 
Vou Nlngjuenfu wandte de Marsay «ich über deu Jalung 
nach Westen auf der Route Hosiea, besuchte die Balzminen 
von Jenjuanhaien (in dem Bericht, der die Namen oft in ganz 
verstümmelter Form wiedergibt, wird der Ort JenUien ge- 
nannt) und wollte von hier nach Werten nach der von Bonin 
entdeckten Likiang Schleife des Jaugtszckiang vordringen. 
Ks war aber nicht möglich, in dem gewaltigen Burgmassiv, 
da* im Werten das Plateau von Jonjuan begreuzt, sich einen 
Weg zu bahnen, und der Reisende gewann auch die Gewiß- 
heit, daß es über das Massiv überhaupt keinen Pfad gebe. 
Deshalb zog er zunächst nach Nordwesten nach Jungning, 
nach den Karton eine große chinesische FriifektursUidt in der 
Nahe de» Nordendes jener Schleife. Tatsächlich aber erwies 
sich Jungning als eine Landschaft mit einigen im Gebirge 
und in einem Hochtal zerstreut liegenden Dörfern. Herrscher 
ist dort, wie in den Nachbargebietcn, ein „Tusso", ein ein- 
geborener, von der chinesischen Regierunir anerkannter Häupt- 
ling. Ks gibt dort ein großes tibetanisches Kloster, und die 
Religion der Eingeborenen ist die tibetanische. Von Jungning 
gelangte de Marsay in IV. Tagen über einen -ti'OOm hohen 
Paß nach dem Nordende der erwähnten Schleife Beim Ab- 
stieg zum Jaugtsxekiang , der von hohoD schneebedeckten 
Bergen eiugeeugt dahinströmt und etwa 170dm hoch liegt, 
sah er sehr deutlich die rief ige, von Likiang ausgehende 
Kette, die den Fluß zu diesem Umweg zwingt. Nach Jung- 
ning zurückgekehrt, wandte sich de Marsay nach Nordosten 
und durchwanderte das tibetanische Königreich Muli , wobei 
die Goldminen von Uali besucht wurden. Sie liegen an der 
Vereinigung des Jalung mit dem „ Flusse von Muli*, worunter 
wohl der Litang zu vemleheu ist; seit einigen Jahren haben 
sich hier 20000 Chinesen niedergelassen, die die Goldlager 
ausbeuten. Bei Uali wurde der Jalung überschritten, der 
dort in seinem nordsüd liehen Lauf einen grollen Bogen nach 
Norden macht, und dann wurde der Manch westwärts durch 
ein wildes, von den Stammen der Mosso oder Sifuse bewohn- 
te» Gebirgslnud fortgesetzt. Nach drei Tagen wurde der 
Jalung von neuem gekreuzt, der nach Bildung seine» Rogon« 
wieder südlich fließt, und bald darauf der Ort Lolang nörd- 
lich von Ningjuenfu erreicht. Über Lokou, Fulin und Jat- 
seheu erreichte de Marsay. den F. de Gucbriant. der FrovikBr 
der Mission von Kientschnu, begleitet halte, Tsehengtufu. 
Er hat auf dieser Heise mehrfach unbekanntes Gebiet berührt 
und seine Route aufgenommen. Die Zeichnung des Jalung 
auf allen ihm bekannten Karten erklärt de Marsay für falsch; 
es scheint ihm aber die Rydersche Karte („Oeogr. Jouru.", 
August 1903) entgangen zu sein, die deu Jalungbogen sehr 
exakt zeigt. Der Name Jalung ist dort nach de Marsay ganz 
unbekannt; der chinesische Name sei vielmehr Kinho, was 
Goldliuß bedeute. In der Tat rechtfertige der Minerolreich- 
tum des Lande* diesen Namen; denn außer Gold gebe es dort 
Kohle, Eisen, Kupfer, Zinn und Silber in Menge. 



— Unter den Spezi alberichten aus den „Ergebnissen der 
Arheiten des Kgl. Preuß Aeronautischen Observatoriums zu 
Lindenberg im Jahre 1905" dürfte für nicht fachmännische 
Kreise besonders der von Berxon über die Fahrt des Frei- 
ballons „Jupiter" bei Gelegenheit der totalen 



| Sonnenfinsternis am 31. August lOOi zu Burgos in 
; Spauien von Interesse sein. Öfter hört man nämlich die An- 
; sieht vertreten , daß eine derartige Finsternis einen Luft- 
: Wirbel verursache, der mit ihr fortwnudere und ahnliche 
; Erscheinungen wie sonst kleinere Zyklonen auf der Erd- 
I oberfläehe hervorrufe. Die Ergebnisse der Freifahrt sollen 
! spüter von spanischer Seite ausführlich im Zusammenhang 
[ mit den übrigen Beobachtungen veröffentlicht werden , des- 
I halb teilt ßerson nur so viel mit, als nötig ist, um zu zeigen, 
daß weder die Erscheinungen in bezug auf die Lufttemperatur, 
I noch auf Windrichtung und Geschwindigkeit eine Deutung 
! im oben angegebenen Sinne zulassen, sondern die beobachteten 
Erscheinungen «ich sehr einfach aus dem Wechsel ver- 
' sebiedener Luftschichten erklären lassen und, wie die Ergeb- 
nisse eines kurz auf den „Jupiter* folgenden Ballons beweisen, 
erklftrt werden müssen. Gr. 

— Uber den letzten Saharazug des Oberst Laporrine 
von Tuat nach Taodeni (März bis Juli 190B), der im 
Globus schon kurz erwähnt wurde (Bd. 90, S. 195) gibt ein in 
,La Geographie" vom Oktober abgedruckter Brief eines der 
Teilnehmer, des Leutnants Nieger, einigo weitere Aufschlüsse, 
die allerdings , da eine Karte noch aussteht, auch nur einen 
relativen Wert haben. Die äußere Veranlassung zu dein Zuge, 
der wieder über ein großes, bisher unbekauutes Stück der 
Sahara dio erste Aufklärung gebracht, hat, gab eine Verabre- 
dung mit Prof. Cbudeau. Wie im Gl,>bus erwähnt (Bd. S9, 
S. 160 und Bd. DO, S. 11$), war dieser durch das Hoggarland 
und über Air nach Sinder gegangen , hatte einen Abstecher 
nach dem Tsadsce gemacht und dann den Niger hinunter- 
gehen wollen. Fr gedachte hierauf von Timbnktu unter 
militärischer Bedeckung nordwärts bis Taodeni zu reisen, und 
hier wollte ihn Laperrine erwarten. Der Hauptzweck der 
Unternehmung war aber natürlich ein militärisch-politischer. 
Laperrine hrach Ende März auf und gedachte mit seinen 
75 Kamelreitern geradenwegs in südwestlicher Richtung auf 
Taodeni vorzustoßen. Da aber für diesen Weg kein Führer 
zu finden war, so zog die Kolonne zunächst direkt südlich 
nach lnsise und dann anscheinend in Wesl»iidwe*lrichtung 
über die Brunnen Aschnrat, Aneschai und El-Gettara nach 
Taodeni. Chudeau war zwar nicht da , weil er Timbuktu 
nicht rechtzeitig hatte erreichen können, doch traf Laperrine 

■ in El-Oett.ira auf eine Patrouille einer Abteilung aus Tim- 
buktu, die ihn iu Taodeni erwartete. Hierauf trat Laperrine 
den Rückweg an und wählte dazu die direkte Route über 
KI Hiar, TniliaTa, Bir od-Duhih, Bir uld Hrini, Bir el-Had 
scbiiuVh und Sefiat, deren Schwierigkeiten in unserer ernten 
Notiz liber die Reise bereits erwähnt wurden. Als politische* 
Ergebnis des Zuges wird hervorgehoben, daß die Tuareg aufs 
neue mit den Franzosen Bekanntschaft machten und ein- 
gesehen hätten, daß für diese die Wüste kein Hindernis mehr 
sei, und daß das Zusammentreffen zweier aus verschiedenen 
Richtungen kommender Truppenabteilungen in Taodeni einen 
großen Eindruck gemacht hätte. Die Bewohnor von Tandem 
wurden bisher zwei- bis dreimal jährlich von marokkanischen 
Rnuhexpeditionen gehrandschatzt, die Kamele und schließlich 
auch Meuscben zur Erpressung von Lösegeld mitnahmen, als 
•Ho Räuber fanden, daß die Hälfte der dortigen Salzgräber 
mit ihrer ganzen Habo im letzten Winter nach Arnual) und 
Timbuktu ausgewandert war. Es sei zu erwarten, daß in 
Taodeni künftig mehr Sicherheit herrscheu werde. Als 
wichtigstes Ergebnis der Rnckreii* bezeichnet Niegcr die 
Auffindung eine« direkten Weges Tuat— Taodeni , der iu 15 

' gewöhnlichen Tageinärschen zurückgelegt werden könne. 
! Noch vor 20 Jahren war dieser Weg eine viel benutzte 

■ Karawanenstraüe; seitdem wurden die Karawanen immer 
«eltener , und schließlich hörte der Verkehr ganz auf. Ks 

! wird nun damit gerechnet, daß er wieder auflebt, und viele 
I eingeborene Kaufleute aus dein Sudan wollen dazu die Hand 
j bieten. Das Ititiemr der ganzen Reise, 3OÖ0 km, i«t natür- 
lich aufgenommen worden, auch sind etwa 30 Funkt« astro- 
nomisch bestimmt. 

— Über Varianten in der menschlichen Kultur 
handelt Alexander F. Chambcrlaiu im Jouru. Araeric. 
Folk-Lore, Bd. IV, S. 177 (1900) iu lehrreicher Weise. Er 
unterzieht eine Anzahl Brauch« und Gewohnheiten bei ver- 
schiedenen Völkern einer Untersuchung und stellt die Unter- 
schiede fest, die sich bei ihnen iu der gleichen Sache je nach 
Kasse und Lebeusraum ergeben. I'nser bekanntes Kinder 
spielliedchen „Zucke, zucke Heiterleiii* oder .Riede, riede 
Ki. Uli", dem dos englische .rlde-it-eock-hone" entspricht, 
setzt die Bekanntschaft mit dem Pferde voraus. Aber wie 
es in hohen Gebirgen Menschen gibt , die dieses Tier Kaum 
kennen, so auch auf der französischen Insel Sein (Kinistr-rel 
wo da« stellvertretende Kinderspiol sich l«ei einer Fischer 



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Kleine Nachrichten. 



bevölkerung auf du* Boot uud da» Kudeni bezieht und von 
den Klteru dem Kinde nuf dein Knie vorgesungen wird. 
.Kudre, rudre, rudre, laß uns rischeu gehn.* Auch die 
Ansichten über die Stellung von Vater und Mutter wechseln. 
Bei uim iteht immer der Vater voran, wir reden von Vor- 
vätern, nicht von Voruiüttern , und in der Bibel heißt es: 
Du »ollst Vater und Mutter ehren. AI» nun der Missionar 
Beaucbamp dieso stelle den Irokesenkindern übersetzte, ver 
bewerten dien* und bestanden ernstlich darauf, es müsse 
hei Ben „Dil sollst Mutter uud Vater ehren*. Denn in sozialer 
und auch politischer Beziehung stand bei ihnen die Mutter 
voran: konnte doch selbst bei Kriegserklärungen das Weib 
sein Veto einlegen. Und nun Kar, als die GlaubeiislMitcu bei 
den Oslasiateu nach dem Evangelium lehrten, daO der Mann 
Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen 
sollte; In China und Japan , wo die Vaterliebe und die 
Ahnen Verehrung den höchsten Grad erreicht haben , erregte 
solche Lehre einen Sturm der Entrüstung, wurde einfach 
für unmoralisch angesehen und war eine mächtige Waffe 
in der Hand der christenfeindlichen Kingeborenen. In ahn- 
licher Weise erklärt. Chamberlain auch die Unterschiede im 
Küssen und seinen Äquivalenten, die Essenszeiten , den Ge- 
brauch des Tabacks uud den „Mceressintr , die Neigung der 
Volker für die Schiffahrt und Seereisen. 

— Den Sebu, den bei Mcbvdija mündenden nordmarok- 
kanischen KluU, schildert der logenieuer K. Pobeguin im 
Oktoberheft von .La Geographie". Pobeguin i»t Mitglied der 
französischen .Mission hydrograpbique du Maroc", der, wie 
schon bei einer andoron Gelegenheit mitgeteilt, gemeinsam 
mit dem Schiffsleutnaut DyA, dem Leiter der Mission, <len 
Unterlauf des Flusses zwischen der Mundung und dem nörd 
liehen Knie (Kreuzung mit dem Wege Larrasch — Fes) auf- 
genommen hat. Diese Aufnahme, die teils in einem Leinwand- 
boot, teils r.u Laude vor sich giug und auch I^itungen um- 
faßte, erscheint auf einer dem Bericht belgegebenen Kurte 
in l:HRiouU. Pobeguin nennt deu Sebu deu .mächtigsten 
Flut) Nordafrikas*, der im Winter durch die Hegen, im 
Sommer durch den Schnee »eines Qucllgcbieles gespeist wird. 
In zahlreichen starken Krümmungen durchfließt er eine 
savannenartige , von keinem Hügel unterbrochene Alluvial- 
ebene. Nichts kündigt ihn von ferne au. außer einer dürftigen 
Linie von Feigenbäumen, die seinen Lauf begleiten. K bis 1 - m 
tief fallen die Uferräuder steil zum Flusse ab , der in den 
Krümmungen schnell dahiuströmt, auf deu mehr geradlinigen 
Strecke» langsam seilies Weges zieht. Die Ufer sind ver- 
hältnismäßig dicht bewohnt. Die Bevölkerung — die Beni 
Hassen nn Norden, dio Senimtir im Süden — lebt in leicht 
beweglichen .Duars". Die Zustände sind unsicher; die beiden 
Nachhanitämme.gut mit \V inebesterge wehreu bewaffnet, rauben 
einander ihre Rinderherden, uud der durchkommende Christ 
ist ihnen eine lockende Beute. Die beiden Reisenden mußten 
mehrere Male ihre Lasten offnen, um zu beweisen, daß kein 
Geld darin war. Die Kingeborenen störten «ehr die Auf- 
nahmearbeiten und gaben auch manchmal Feuer. Schlimmer 
waren aber die Schwierigkeiten, die aus dem passiven Wider- 
stände, der ständigen Spionage, dem Mangel au guten Willen 
bei Dolmetschern und Dienern, der Verweigerung der Gast- 
freundschaft usw. erwuchsen. Das Ufergeländo ist frucht- 
bar, aber der Fluß ist bis heute ganz nutzlos gewesen. Krücken 
gibt es nicht. Die ihn kreuzenden Wege von Lurrasch nach 
Fes und von Tanger nach Fes passieren ihn durch Furten, 
wahremi die Kingeborenen ihn auf Hohrbündeln überschreiten. 
Pobeguin meint, daß der Sebu vielleicht einmal im Wirtschafts- 
leben Marokkos ein« wichtige Rulle spielen wird, "loch sagt 
er nicht, worauf diese Meinung sich gründet. Über Tiefen- 
verhiltnisse uud Grad der Sohiffbarkek schweigt der Bericht 
uud auch die Karte. 



— Über einige für Norwegens Faun» neue Vögel 
berichtet unter ausführlicher Beschreibung Prof. K. Collen 
in Forh. Vid.-Selsk. (bristiania 190\ Nr. 10. lu den letzten 
zehn Jahren ist die norwegische Vogclwelt um acht neue 
Allen vermehrt worden. Drei davon, eine Drossel (Turdus 
sibiricusi , eine Schwalbe (Hiruudo daurical und ein Regen- 
pfeifer (Charadrius domiuicus), gehören eigentlich der «st- 
sibirische!« Fauna an. Die Drossel wurde am 8. Oktober Ittui 
in l'rokung oberhalb Christianias gefangen. Die Schwalbe 
wurde Ende Mai WS in Kydvaianger, dem östlichen Grenz 
distrikt Norwegens, gegriffen, während der Regenpfeifer, ein 
überwinterndes Exemplar, bereit» im Dezember JSl'i auf 
Jaederen geschoben und dem Museum in < hristiania über- 
sandt wurde. Die Schwalbcmirt scheint in ennz Europa 
äußerst selten vorzukommen. Die tteiden anderen Vöj;cl 

Vermtwoflltcbsr KodnkUnr II. Singer. •<l»iln»lj«r ) [-U.rl..>, Hai 



wurden vorher in Kuropa mehrmals beobachtet , jedoch bis 
dahin noch nicht in Skandinavien. 

Die ührigeu fünf Arten gehören alle der süd- oder mittel- 
europäischen Fauna an Eine von ihnen, die Kalanderlerche 
(Melanocorypba calandra), war bisher noch nicht nördlich 
von Helgoland beobachtet. Das Kxeiiiplar W'urdu gleich der 
vorerwähnten Schwalbe im äußersten Nordosten , in Syd- 
varanger, im April HKi5 erlegt. Die übrigen, nämlich der 
Bieuenfre«ser (Memps apiaster). der Abend oder Hotfuß- 
falke (Krythropii» vespertinu»), die Schleiereule (Aluco flaui- 
mea) und der Nachtreiher (Nycticorax nycticorax), wurden 
alle an den südlichsten Küstendistrikten Norwegens, nämlich 
auf der Strecke zwischen dem ( hristiauiafjord und Bergen, 
angetroffen. Mit Ausnahm« des Falken, der im Museum zu 
Bergen aufgestellt wurde, sind die genannten Exemplare dem 
Museumsbvstande in Christiania eingegliedert worden. 

Kndlich ist noch zu erwähnen, daß eine nordamerikanische 
Gan«, ein ausgefärbte* weibliches Exemplar der Braut« cana- 
densis, im Juni liiuo in Skjoru heim Thrnudjenifjnrd geschossen 
wurde. Da diese Art aber seit einigen Jahrhunderten in 
Parks und zoologischen Gürten gezähmt gehalten wird, ist 
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen , daß da« Exemplar nur 
ein verwildertes war. Ks Ist der Sammlung im Museum zu 
Throndjem eingereiht worden. Llz. 

— über die Naturschätze der Insel Sachalin, die 
seit dem Frieden von Porlsniouth zur Hälfte wieder Japan 

. gehört, macht die russische amtliche Zeitung .Westnik Fi- 
! nanzow" einige Angaben. Daß der nördliche Teil Rußland 
verblieben ist, ist für dieses deshalb wichtig, weil dort alle 
bisher auf der Insel bekannten Naphthaqucllcn liegen. 
Spuren von Naphtha finden sieb an verschiedenen Stellen 
j der Ostküste nördlich des :<ö. Breitengrades besonders an den 
1 Abhängen des die Insel durchziehenden Gebirges uud immer 
! in der Nähe der Meeresküste Merkwürdigerweise ist die 
, Naphthagewinnung seit einiger Zelt verboten; da in Ostasien 
und Japan aller Maugel an Petroleum herrscht und dies*» 
infolgedessen sehr teuer ist, so wird das Verbot jedenfalls - 
aufgehoben werden und der russischen Naphthaindustrie auf 
Sachalin ein sehr lohnendes Absatzfeld sich eröffnen. F.in 
anderes wertvolles Mineral, das auf der In*el vorkommt, ist 
■ die Steinkohle. Das Zentrum der Sachaliner Stein kohien- 
| Industrie, das Gebiet von Alexandrowsk , ist Rußland ver- 
blieben, dagegen hat Japan die auch schon geschürften Pteiu- 
I Kohlenlager von Sartunai und einige andere erhalten. Auch 
j diese Industrie hat eine große Zukunft. Der Waldreichtum 
I von Sachaliu kommt ebenfalls sowohl Rußland wie Japan zu 
j gute, doch muß erst eine rationelle Ausnutzung Platz greifen. 

Die besten Ftschgriinde, die im Süden, sind bekanntlich 
1 Japan anheimgefallen, das an ihnen seiner Volkscrnährung 
' wegen ein sehr großes Interesse hat. 

— Die kalifornische Höhlenforschung ist seit Be- 
giuu unseres Jahrhundert» eifrig betrieben worden uud Be- 
richte vou Merrian und Putnam über die Krgebnisse sind 
jetzt erschienen (American Anthropologist 190« , S. 221, mit 
Tafeln). Die F.ntdcckung von menschlichen Ulierrosten in 
Verbindung mit einer ijuurliiren Fauna in Südamerika deuteten 
darauf hin, daß in Nordamerika das Gleiche der Fall sein 

i niusse, falls der Mensch vom Norden nach dem Süden ge- 
wandert war. Nun gibt es in Kalifornien zahlreiche Höhlen, 

', von denen aber bisher nur jene in den t'ounties Calaveraa 

: und Shastn uutersucht wurden. Sinclair» Grabungen in der 
Mercershöhle bei Murphys im Jahre 1902 fönlcrteu neben 

• den Knochen eines ausgestorbenen Faultieres (Megalonyx 
sierreusisj auch eine Anzahl Menschen kuochen unter Stalag- 
miten zutage, wobei aber die Gleichalterigkeit beider sich 
nicht mit Sicherheit nachweisen ließ. Ungemein reich war 
die Ausbeute in Potter Creek Cave in Sbasta County, die von 
Dr. Furlong und Sinclair bis zu einer Tiefe von Bm aus- 
gegraben wurde, wo man Regen JOüO Knochen und Knochen- 

j bruehstücke einer quartären F'auna fand, von Vi Arten, unter 

I denen 22 ausgestorben waren. Unter den Knocbenhruch- 
stückru befand sich eine verhältnismäßig geringe Anzahl, 
die wie Pfriemen oder Ahlen aussahen, zugespitzt und poliert, 

1 einzelne auch mit runden Lochern oder Ausschnitten ver- 
seil' n waren , die Putnam genau beschreibt und abbildet. 

| Ein ganz sicheres Urteil aber, daß es sieh hier um mensch- 
liche Artefakte handele, wird nicht abgegeben. Dasselbe gilt 
von scheinbar bearbeiteten Stuckeu von basaltischer Lava 
und Obsidinn aus der Satnvel höhle. Ks ist noch eine größere 

[ Anzahl vou Höhlen in Kalifornien zu untersuchen, die viel- 
leicht sicherere Kruehiii**" in bezug auf das Vorkommen des 

! Mensehen in der Quartärzeit liefern. 

[.Istrale M. - line-k. Vrn-.ir. Vlowes n. Sohn, Brstni«chw«K. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Pnor. Du. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 2. 



BRAUNSCHWEIG. 



10. Januar 1907. 



Nachdruck nur DMh Cbcroinkunfl mit der VtrUirih-vadluas g««utlel. 



Über die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen und ihre 
Beziehungen zu den Wandervölkern. 

Von Gustav Fritich. 

(Fortsetzung.) 



Für die ' Verbreitung der Volkaatämme im Archipel 
iat von besonderer Bedeutung, daß die Figuraüou der 
Landmasgen bis in »ehr spüle Zeiten hinein (nach java- 
nischen Berichten bis ins 13. Jahrhuudert) eine wesent- 
lich andere gewesen ist als heutigentags. So «oll bis 
zur genannten Zeit Sumatra mit Javu zusammengehangen 
haben, die Suudastraßo also erst 
neueren Datums sein, und die In- 
sel Madura eine Halbinsel au Java 
dargestellt haben. Die Ausbrüche 
des Vulkans auf Krakatao, welche 
diese Insel bis auf einen kläglichen 
liest vernichteten, hätten dem- 
nach Vorläufer gehabt, welche 
einen Einsturz bedeutender Län- 
derstrecken veranlagten und die 
Sundastraße entstehen ließen. Die 
Annahme ist gewiß nicht unbe- 
rechtigt, daß in vorgeschichtlicher 
Zeit bis hinein in die «juatornäre 
Periode unserer Erde die Ab- 
weichungen derKusteuliuien noch 
viel bedeutender gewesen sein 
mögen und auch andere jetzt ge- 
trennte Länder zusammenhingen; 
der ganze westliche Archipel bis 
gegen Celebes hin bildet geolo- 
gisch ein untermarines ausge- 
dehntes Plateau, auf dem sich die 
Inseln als Gebirgsketten erheben. 

Dem Einströmen von Völker- 
massen vom asiatischen Kontinent 
her standen daher Schwierig- 
keiten nicht entgegen. Nach den 
geschichtlichen (Quellen sehen wir 
vor nnseren Augen das Entstehen 
einer indochinesischen Misch- 
bevölkerung, in welcher für Jahr- 
hunderte die hindostaniscben 
allerdings überwogen. Nach Lassens „Indischer Altertums- 
kunde" war die Flucht der Buddhisten aus Vorderindien im 
3. Jahrhundert ein Hauptmoment für die Bildung von Ko- 
lonien auf Bali, Sumatra und Java, denen bald auch 
brab manische Züge folgten; in der Fremde lebten diese 
Parteien friedlich nebeneinander, während sie sirh in der 
Heimat bekämpfton. 

Das andere Volksreservoir, China, sendete gleichzeitig 
einen Teil seines Überschuhes in die nämlichen Gebiete, 

ni»bn< XCI. Nr. t. 




Abb. h. Queenslandes 



wo daa Verhältnis der chinesischen Elemente aich schon 
damals genan so zu den übrigen Bewohnern stellt« wie 
heutigen Tages, d. h. die letzteren erliegen in fried- 
licher Konkurrenz gegen die leistungsfähigere und 
arbeitsamere chinesische Bevölkerung und werden da- 
durch zu Gewaltmaßregeln gedrängt. 

Das durch die Chinesen aus- 
gesaugte und bedrückte Volk or- 
ganisierte in den westlichen Pro- 
vinzen um die Mitte des 13. Jahr- 
hunderts einen allgemeinen Auf- 
stand gegen dieselben ; sie wurden 
mit Gewalt der Waffen bekämpft, 
auseinandergesprengt und zer- 
streuten sich darauf auch in die 
benachbarten Gebiete. Offenbar 
haben ähnliche Keibereien schon 
früher, ebenso wie später, statt- 
gefunden; es soll hier nur noch 
auf einen gegen die Chinesen um 
1740, also zu einer Zeit, als die 
ostindische Kompanie schon auf 
der Insel Java festen Fuß gefaßt 
hatte, ausgeführten Schlag hin- 
gewiesen werden, welcher die 
„chinesische Vesper" genannt 
wird. 

Der I'bermnt der Chinesen 
war damals so augewachsen, daß 
sie gegen die holländische Kom- 
panie die Offensive ergriffen. In 
der Abwehr diesen Anfstandes 
fand ein Abschlachten der Chine- 
sen in ßataviu und Umgegend 
statt, wobei 1 0000 das Leben ver- 
loren, die Überlebenden sich wie- 
derum zerstreuten und weiter 
nach dem Innern Javas flohen. 
So wurde auf friedlichem wie 
auf gewaltsamem Wege Blut Vermischung zwischen den 
beiden Stammrassen angeregt, und der heute Richtbare 
Erfolg konnte nicht ausbleiben. 

Die Geschichte berichtot endlich auch noch von 
arabischen Einwanderungen auf den Inseln , wie bereits 
im Jahre 1337 ein unter dem Namen Hadji purwu nach 
Java zurückgekehrter Prinz den Islam zu verbreiten 
Buchte. Zahlreichere Bevölkerungselcmente aus Arabien 
kuuiuieti dabei weniger in Frage, aber die werbende 

4 



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Gustav I-'ritsch: I ber die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen usw. 



Kraft des Islam machte sich auch hier erstaunlich schnell 
geltuud und drängte den Buddhismus mehr und mehr 
zurück; es entstanden so neue muhammedanische Reiche, 
unter denen im westlichen Java sich ßantam bis in die 
neuere Zeit berühmt und berüchtigt gemacht hat. 

Diese Terschiedenen um Macht und Herrschaft ringen- 
den Volksstänime, zu denen endlich in der ersten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts auch noch die Europäer traten, 
ließen die Länder zu keiner Ruhe und Ordnung kommen, 
■o daß der Wohlstand der reichen Insel vernichtet wnrde, 
die prächtig ausgestatteten Städte mit ihren Tempeln 
und Palästen wieder verfielen und der schweigende Ur- 
wald die Herrschaft Ober ihren Trümmern wieder an 
sich riß. 

Dieser kurze Abriß der historischen Völkerentwicke- 
lung iles Archipels wird genügen, um 
auf die Element« hinzuweisen, welche 
uns in dem dortigen heutigen Völker- 
mosaik entgegentreten. Wir haben, 
indem diese Verhältnisse entwickelt 
wurden, unsere eigentliche Aufgabt.-,, 
den Beziehungen der Urbevölkerun- 
gen nachzugehen, scheinbar gänzlich 
aus den Augen verloren. 

Dies ist indessen keineswegs der 
Eall , da os absolut notwendig er- 
scheint, zunächst festzustellen, was 
wir bei der Untersuchung, als histo- 
rischen Kinwanderungen zugehörig, 
unter eine andere Rubrik zu brin- 
gen haben. Man darf 
dabei der Übersichtlich- 
keit wegen festhalten, 
daß die große Masse 
der bekannten Bevölke- 
rung des westlichen Ar- 
chipels um so mehr als 
„eigentliche" Javanen, 
Sumatranen, Madu- 
ranen erscheint, je mehr 
indisches Blut sie auf- 
genommen hat, um so 
mehr als „eigentliche" 
Malaien, je mehr chine- 
sisches Blut in ihren 
Adern fließt, und daß 
die Ausbreitung der 
letzteren Blutmischung 
die beziehungsweise 
spätere ist. 

Im allgemeinen kann das angedeutete Durcheinander- 
wirbeln der verschiedenen Strömungen in den verhältnis- 
mäßig nicht sehr ausgedehnten Gebieten auf etwa vor- 
handen gewesene Urbewohner nur von einer verhängnis- 
vollen Wirkung gewesen sein. Außer der Ausdehnung des 
Wohngebietes, welche erforderlichenfalls einen Rückzug 
in unzugängliche (fegenden erlaubte, kommt natürlich 
auch die Abgelegenheit des Wohnortes in Frage. 

Der letztere l'mstand ist wob] die Hauptursache, daß 
die so absonderliche Bevnlkeruiigsiu«el der Andamauen 
bis auf unsere Tage erhalten blieb. Beim Aufsueben 
von etwaigen Verwandten im Osten kommen zunächst 
die denselben benachbarten Nikobaren in Frage, wo 
mau gewiß mit gutem Grund eine ähnliche Bevölkerung 
erwarten dürfte. Diese Vermutung erweist sich, wie 
bereits oben erwähnt, als durchaus irrtümlich, da ihre 
Bewohner nichts weniger als nigritisch sind, sondern einen 
ausgesprochen malaiischen Typus tragen, d. h. was mau 
gewohnt ist als „Küsten - Malaien" anzusprechen; eine 




a 1 kubu-Mitnii nus Sumatra. 



davon abweichende Bevölkerung existiert auf den kleinen, 
übersichtlichen Iuseln, welche ziemlich gut durchforscht 
sind, nicht *). Es ist bei dem niedrigen Standpunkte der 
Nikobaren selbst und mangelnden Spuren der Vermischung 
oder Resten anderweitiger Eingeborener nicht wahrschein- 
lich , daß solche von den später kommenden Seefahrern 
unterdrückt worden sind. Es kämen dann die Bewohner 
der an Sumatras Westküste vorlagernden Inseln Nias 
und Mentawei in Betracht, über welche eine ganz aus- 
giebige, aber wenig beachtete Literatur vorhanden ist, 
da die Aufsätze meist in Missionszeitschrif ten abgedruckt ') 
oder nur in kolonialen Werken erschienen sind. Eine große 
Hilfe bei der Aufsuchung dieser Quellen gewährt die jetzt 
vollständige Encyklopaedie van Nederlandscb-Indie, wo 
auch Referate über die Einzelaufsätze Berücksichtigung 
gefunden haben. 

| Ibwokl die Autoren ersichtlich un- 
ter der begreiflieben Schwierigkeit der 
rrauag einer malaiischen Rasse 
leiden, kann sich die Mehrzahl der- 
wJbra doch der Überzeugung nicht 
verschließen, daß sowohl* die Bewoh- 
ner v Mi Sias als auch Mentawei nicht 
den „eigentlichen" Malaien zugerech- 
net werden können. Bei der Spärlich- 
keit bisher veröffentlichter photngrn- 
;.'i Abbildungen : '> und genauer 
anthropologischer Untersuchung ist 
die Beschreibung der körperlichen 
BmnhtJfonhnit unsicher und schwan- 
kend. 

Sie eollen von mitt- 
lerer Größe , häufig auf- 
fallend heller Hautfarbe 
sein, und gelegentlich 
wird „krauses" Haar er- 
wähnt. Offenbar ist da- 
bei an eine Haarbildung 
gedacht, welche anthro- 
pologisch als „flockig" 
SU bezeichnen wäre ; 
spiralig gedrehtes Haar 
wie bei den Andamauen 
hätten die Autoren ge- 
wiß als „wollig" gekenn- 
zeichnet. 

Faßt man diese Merk- 
male zusammen, so be- 
greift man wohl , daß 
manche Forseber Ähn- 
lichkeit mit den Polynesien! gefunden haben wollen. 

Da auch auf den benachbarten größeren Inseln überall 
Beste anscheinend verwandter Stämme beobachtet worden 
sind und sich daran Bewohner der Halbinsel Malakka 
anreihen, so ist hier ein von der indo-chinesischen Ein- 
wanderung unabhängiges Bevidkerungselement nach- 

*) Mann: The Aborigines ot tue Audaman aud Nikobar 
Islands. — Klos«: Result* of a Cruise to the Andaman and 
Nikobar Islands. 

') Sundcrmann: Über Nias; Allgemeine Missjonszeitung. 
— Derselbe: Sf> Jahre Missionsarbeit auf Nias; Rheinische 
Mistion 1891. — Bosenberg: über Mentawei usw., T. Bat. 
(Jen. 1853, I, an«. — Yeth in T. van Nel. Ind. 184«, I, 201. 

'"> Mehrere ziemlich guie riiotographien dieser Ein- 
geborenen hat K. Ilaeckel in sein Buch: lunnlinde. Malaiische 
Iteisebriefe, aufgenommen. Einen reichen Schatz selbst auf- 
genommener Photographien von solchen Mentawei Insulanern 
besitzt Herr Maas« l Berlin), von denen ich Kenntnis ge- 
nommen habe, doch möchte ich mich dazu nicht aus- 
führlicher äullern . da der Autor selbst die Veröffentlichung 
plant. 



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28 



gewiesen , das durch seine weite östliche Verbreitung 
inner besonderes Interesse erweckt. 

Hier wie bei verschiedenen der noch zu erwähnen- 
den Völkerschaften wird der üblichen Namengebung ein 
besonderer Wert nicht beizulegen sein, da die Abgrenzung 
der durch den Namen zu bezeichnenden Begriffe zu 
schwankend ist Wichtiger für die zu treffenden Ent- 
scheidungen ist, ob man berechtigt ist, in ihnen eine 
„Urbevölkerung" in dem oben angedeuteten Sinne zu 
aeben. Besonders im Hinblick auf die Verhältnisse, 
welche wir weiter östlich antreffen, bin ich nicht geneigt, 
diese Frage zu bejahen, sondern möchte in ihnen wie 
in den bereits erwähnten Nikobaren noch wenig ent- 
wickelte Vorlaufer der spateren typisch- malaiischen 
Volksströmangen sehen, welche den Zusammenhang mit 
den vorelterlichen Stammelemcuten verloren und ver- 
gessen haben. 

Auch historisch ist also die Abgren- 
zung einer malaiischen Rasse in der Ver- 
gangenheit untunlich. 

Indessen kommen in diei-om (lebiete 
bis weit hinein in die östliche Inselwelt 
unzweifelhaft auch versprengte Heute 
von deutlich als solche charakterisierten 
Urbevölkerungen vor, deren genaues 
Studium wichtige, allgemeine Aufschlüsse 
geben dürfte. 

Leider fehlt es noch üh.rall an ge- 
nauen Untersuchungen dieser protomor- 
phen Stamme, was ja in der Natal der 
Sache begründet ist. Der 



weist auch hier direkt indische Einwanderungen nach, 
welche Belbst Pferde mit sich führten, .10 daß überliefert 
wird, der erste Europäer sei nach Sumatra gekommen, 
um Pferde von den Rattakern zu kaufen. 

Bio Pferde sind klein, von kräftigem, gedrungenem 
Bau und sehr ausdauernd, weshalb sie in den Straßen 
dur Küstenstädte jetzt ein charakteristisches Verkehre- 
mittel darstellen. 

Bieser überkommenen Kultur entspricht auch die 
geistige Entwickelung der nach ihrer Erscheinungso niedrig 
stehenden Menschen. Ein größerer Teil der Minner 
kann lesen und schreiben in ihrer eigenen , noch wenig 
erforschten Sprache, deren Stämme sich an das Sanskrit 
anlehnen sollen. 

In ihren moralischen Anschauungen sind sie äußerst 
schroff, indem sie z. B. Ehebruch mit dem Tode bestrafen 
und Entblößung des Körpers für etwas 
so Ehrenrühriges halten, daß lie einen 
Europäer, welcher nur den Wunsch 
äußerte, zwei weihliche Individuen 
nackt zu pbotographieren , durchaus 
verprügeln wollten. 

Auch ihre subtilen Reehtsanschau- 
11 Ilgen verraten eher Uberkultur als Un- 
kultur. Ein Beispiel für viele möge hier 
Platz finden. Ein Itattaker bot einem 
bekannten deutschen Herrn eine Riesen- 
schlange zum Kauf an, die in sein Ge- 
hege gedrungen war, dort ein Schwein 
Ullfmitn hatte und daher nicht wieder 
heraus konnte. Man 




allen gemeinsame, außer 
ordentlich niedrige Kul 
turzustand, welcher sie 
wenig über das im Busch 
herumschweifende Tier 
erhebt, macht das Stu- 
dium derselben außer- 
ordentlich mühsam and 
zeitraubend. Ks gehören 
Jahre dazu, um nur auf 
einer einzelnen Insel, s. B. 
Sumatra, die wichtigsten 
Verbältnisse festzustel- 
len, wobei man sich 
unvermeidlich auf an- 
dauerndes Leben im 
Husch einzurichten hätte, 
um diese scheuen Wilden 
nur zu Gesicht zu be- 
kommen. Wie überall sind sie auch in diesen Gegenden 
fast unbeachtet geblieben, da sie niemals einen politi- 
schen Einfluß auszuüben vermochten. 

Als vor einer Reihe von Jahren die ersten Photo- 
graphien von Battakern, sowie Berichte über ihre Lebens- 
weise bekannter wurden , als man sie zugleich als Be- 
wohner des inneren Sumatra kennen lernte, die einen 
recht primitiven Charakter zeigten, glaubte man wohl 
die Hattaker den Ureinwohnern anreihen zu müssen. Als 
man aber mehr von ihnen sah, ihre Waffen und Geräte, 
sowie Schädel unter den Händen hatte, ergab sich, daß 
solche Anschauung völlig unhaltbar war. (ileichwohl ist. 
die Untersuchung dieses Volksstammes auch für die all- 
gemeinen Fragen von großer Bedeutung. 

Schon ein fluchtiger Blick auf die Verzierungen ihrer 
Geräte und Waffen, auf ihre Bearbeitung des Eisens und 
Silbers zeigt unverkennbar indischen Einfluß und das 
Bestehen einer Kultur, welche keineswegs eine primitive 
genannt werden kann. Die historische Untersuchung 



Abb. 9. SUdauslraller. 



wurde handelseinig, daß 
20 Dollar alsbald und 
andere 20 Dollar nach 
14 Tagen gezahlt wer- 
den sollten , wenn als- 
dann diu Schlange noch 
lebte. Der Itattaker 
kam jeden Tag nach- 
sehen, ob dieselbe lebte, 
und erhielt, als diu 14 
Tage herum waren , die 
restierenden 20 Dollar. 
Jetzt verlangte er aber 
auch Bezahlung für das 
von der Schlange ge- 
fressene Sehwein; denn 
die Schlange sei nun- 
mehr freies Eigentum 
de« Käufers, der für den 
durch sie angerichteten Schaden aufzukommen hätte. 

Betrachtnt man die körperliche Ausbildung, so ergibt 
sich zunächst eine große Ungleichheit im Wuchs und 
Aussehen. Ein Teil, besonders die auf den Hochplateaus 
des Inneren am Toharnoer wohnenden, ist im allgemeinen 
besser und kräftiger gebaut als die tiefer in den Kam- 
pougs des Urwaldes an den Abhängen der Berge lebenden, 
welche meist ein recht verkommenes Aussehen darbieten 
und durch Verwahrlosungen an mancherlei Krankheiten, 
besonders Kropf und Krätze, leiden. 

Diu schlankeren, gut gebauten Gestalten mit ovalen 
Gesichtern, bei den Männern häutig mit Schnurrbart aus- 
gestattet, erinnern im Aussehen an indischo Eingeborene, 
während die Itattaker des Urwaldes bei untersetzterem 
Bau meist breitere Gesichter mit vorstehenden Backen- 
knochen und einen breiten Mund mit dicklichen Lippen 
zeigen. 

.lunge Mädchen im besten Alter haben häufig ein 
gauz anziehendes Außere und werden im Lande auch 

4« 



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Ciustav Fritseh: I ber die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen usw. 



von Europäern für Schönheiten angesprochen. Der Reiz 
liegt offenbar wesentlich in der jugendlichen Fülle und 
Rundung der ebenmäßig gebauten Gestalten und in den 
großen, dunklen Augen von eigentümlich schwermütigem 
Ausdruok; im übrigen entsprechen die Züge auch bei 
solchen Personen dem allgemeinen Habitus. Hin be- 
kannter Pbotograph in Medan hat das Porträt eiuer 
■olcheu Battnker-Schönheit eingerahmt in seinem Emp- 
fangszimmer ausgestellt, und zwar im Nationalkostüm, 
langen Gewände, welches nur die Arme und dun 
Teil des Halses frei laßt, also viel weniger steigt 
wie das Ballkostüm unserer Danicu . und au der Kopf- 
bedeckung die breiten aufgerollten Spiralen von starkem 
Silberdraht jederseits. Obwohl das Porträt KOinit in 
bttzag auf Dezenz nichts zu wünschen übrig ließ, war 
dem Photographeu doch streng verboten , eine Kopie 
davou zu verkaufen. 

Diese landesübliche Verhüllung der Glieder ist für 
Ernst Haeckel ') zu einem tragikomischen Verhängnis 
geworden; der Autor der generellen Morphologie hat in 
seinem Buch „Insulinde" die Reproduktion eines UildeR 
von drei Battnkerfraueu nach einer auch in meinem 
Besitz befindlichen Photographie gegeben mit der Unter- 
schrift: „Battakerfainilie (ein Mann mit zwei Frauen).* 
Vermutlich hat er die stehende, ihrem Aussehen nach 
schwangere Frau trotz der mächtigen woiblichon Ab- 
zeichen an den Ohren für den Mann gehalten (!). 

Sind somit die indischen Beziehungen der Battaker 
außer allem Zweifel, so gibt ihre ganze Erscheinung, 
besonders das Auftreten der abweichenden Typen, sowie 
die ganze Lebenshaltung viel zu denken. 

Zunächst ist ersichtlich , wie seinerzeit schon von 
K. Virchow nach Untersuchung von Battakerschudeln 
und zugehörigen ethnographischen Gegenständen be- 
hauptet wurde, daß diese Stamme im Vergleich zu den 
Verwandten in der Heimat stark degeneriert sind. Es 
kiuin dieser Fall aLt ein schönes Beispiel für den Ein- 
fluß der Umgebung und der Lebensweise auf die körper- 
liche und geistige Ausbildung eines Volkes gelten. 

Solcher HinweiB scheint indessen kaum ausreichend, 
um die so abweichenden körperlichen Markmale eines 
großen Teiles der Battaker zu erklären, hierbei dürfte 
vielmehr auch Vermischung eine Holle gespielt haben. 
Gerade die in den Urwald und den Busch zurückgedräng- 
ten BevAlkerungselamcnte müssen dort in nahe und in- 
time Berührung gekommen sein mit ebendort hausenden 
Eingeborenen, deren bei uns zurzeit kaum Erwähnung 
geschieht, obwohl gerade sie sehr wahrscheinlich die 
Reste der Ureinwohner darstellen. 

Diese im Busche lebenden, gänzlich tinzivilisierten 
Menschen, welcho man ohne tatsächlichen Anhalt für 
Verwandte der Urbevölkerung von Nias und Mentawei 
halt, werden auf Sumatra „Kubu-Kubu" (Schmetter- 
ling) genannt. Sie sind auch im Lande selbst außer- 
ordentlich wenig bekannt; selbst Leute, welche viele 
Jahre im Lande sind, haben nichts von ihnen zu sehen 
bekommen, da diese Eingeborenen im dichtesten, für 
andere unzugänglichen Urwald leben und Bich scheu vor 
der Berührung mit der Zivilisation zurückziehen. Vou 
den Forschern, wolche etwas von ihnen gesehen haben, 
wird erzählt, daß die Kubu-Kubu gäuzlich unbekleidet 
gehen oder nur einen aus Baumrinde gefertigten Schurz, 
demjenigen der Dajaks ähnlich, tragen. Sie führen Bogen 
und I'feile , sowie lilasrohre, aus denen sie vergiftete 
Pfeile schießen. Für die „Busch -Kubu u ist der Wald 
auch Wohnung, der ihnen Schutz gewährt, gegen den 

") E. Hneckel, Insulinde. Mnlniiftc tie Keisehriefe, S. '.'U*. 
Für den geschmackigen Ausdruck Insulinde ist IiHerkel 
nicht als Krfinder verantwortlich. 



Regen errichten sie gelegentlich wie die Wedda ein Schutz- 
dach auf vier Pfählen. Diese Menschen finden sich 
besondere im Sultanat Siak, Djambi und Indragiri; ein 
Teil derselben ist durch den Einfluß der Missionare in 
dem Distrikt Palembang seßhaft gemacht worden , aber 
hier wie überall , wo solche Urbevölkerungen in Frage 
kommen , laßt sich feststellen , daß sie die ungebundene 
Freiheit über alles lieben und die Beschäftigung mit der 
Jagd als ihren Lieblingszeitvertreib betrachten, Ackerbau 
dagegen als einen unwürdigen, lästigen Zwang empfinden. 

Auffallende Merkmale der Körperbildung werden von 
diesen Ureinwohnern nicht berichtet; wichtig erscheint, 
daß auch sie gelegentlich als „kraushaarig" bezeichnet 
werden, doch soll die Hautfarbe keineswegs auffallend 
dunkel «ein. 

Eine nähere Beziehung zu den Bewohnern des Fest- 
landes bietet sich hier durch die in den Gebirgen dor 
Halbinsel Malakka von Kettab bin hinauf nach Salangor 
lebenden Eingeborenen, welche dort unter dem Namen 
„Sakai" bekannt sind und von kundigen Forschern als 
Verwandte der Kubu auf Sumatra bezeichnet werden. 
Sie sind in neuester Zeit, wie oben erwähnt, von Herrn 
Martin besucht und unter dem Namen „Senoi" ein- 
gehend beschrieben worden. 

Möchte sich ein ebenso kundiger und leistungsfähiger 
Forscher auch für die Reste der Urbevölkerungen im 
westlichen Archipel finden! Die Schwierigkeiten einer 
glücklichen J^ösung der Aufgabe sind wohl noch größer 
als auf dem Festlande, wo der Aufenthalt der StÄmme 
nach Martins Beschreibungen zugänglicher erscheint als 
in den Urwäldern Sumatras. 

In neuester Zeit hat der durch seine anthropologischen 
Veröffentlichungen rühmlichst bekannte Herr Hagen 
(Frankfurt) die Kubu vou Palembang besacht und zahl- 
reiche photographische Aufnahmen derselben angefertigt 
Seine bevorstehende Veröffentlichung r ) wird gewiß dem 
soeben von mir beklagten Mangel zum Teil abhelfen. Nach 
brieflichen Mitteilungen bestreitet er aber, daß zurzeit 
noch „wilde Kubu" in den oben bezeichneten Gegenden 
vorhanden seien. Meine Gewährsleute im Osten (Taud- 
jong Morawa) behaupteten indessen deren Existenz mit 
großer Sicherheit, und ich habe keinen Grund, ihre An- 
gaben zu bezweifeln, da es sich um erfahrene, ortsein- 
gesessene Leute handelt. 

IHe Kubu von Palembang sind sog. „zahme Kubu", 
ihre Erscheinung, besonders die der Frauen erinnert 
deutlich au die der Battaker; die oben von mir ver- 
mutete Vermischung erhält dadurch weitere Bestätigung. 
Eine ältere in ineinen Hesitz gelangte Kubu-Photographie 
wird vou Herrn Hagen nicht nla echt anerkannt, gerade 
dies« zeigt aber ebenso wie manche der Hagenschen 
Photographien weddaistischen Typus und wird 
dadurch sehr bedeutungsvoll (Abb. 7). Die malaiischen 
Waffen an der Person sind natürlich dekorative Beigabe. 

Sehr bezeichnend ist es, daß die Insel, welche ver- 
hältnismäßig am längsten bekannt und am besten durch- 
forscht ist, nämlich Jnva, in bezug auf Urbevölkerungen 
gänzlich unergiebig zu sein scheint. Die frühe und 
energische Ausbreitung der indo - chinesischen Volks- 
strömnngen durch die ganze Insel ließ den Ureinwohnern 
kaum einen Zufluchtsort Übrig, in dem sie ihre prekäre 
Existenz fristen konnten. 

Gleichwohl dürfte ein geringer Rest von solchen, 
unbeachtet und unhelastigt von den verschiedenen, ein- 
ander auf das heftigste bekämpfenden Parteien, auch 
auf Java übrig geblieben sein. Es existiert nämlich 

• ) Uli« Werk iüt inzwischen als ein reich ausgestatteter 
Atlas von l'orträu ers.-hienen und wird an anderer Stelle 
v»n mir eingehend lieoproclion werden. 



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in den Bantsm Heben Gebirgen ein Bevölkerungselement, 
welches auf etwa 2000 Seelen geschätzt wird, Ton dem 
man kaum mehr als einen nichtssagenden Namen, 
Baduwies, kennt. Auffallend in ihrer Erscheinung 
werden sie wahrscheinlich nicht «ein , «©not wäre wohl 
mehr über sie in die Öffentlichkeit gedrungen; os wird 
von Sachverständigen »ehr berechtigter Weine vermutet, 
daS sie zu den ältesten Einwanderern auf dor Insel, 
jetzt gewöhnlich als die Heiden des tegnerschen Hoch- 
landes bezeichnet, Beziehungen haben werden. 

So sind überall in diesen Hreiten , auf dem Lande 
wie auf den Inseln, liest« protoinorpher Bevölkerungen 
nachweisbar, welche alle gewisse Punkte gemeinsam 
haben: Koinerlei Neigung, irgend welche Zivilisation an- 
zunehmen, unbezähmbare Vorliebe für ein gänzlich un- 
gebundenes Leben in der Wildnis, zumal im Busch; 
primitivste Kleidung oder ganzlicher Mangel von solcher; 
Jagd als Hauptbeschäftigung; Pfeil uud Bogen die bevor- 
zugte Waffe. 

Überall dasselbe Klagelied über die ungenügende 
Kenntnis der körperlichen Beschaffenheit, die aber keines- 
falls nigritisch ist. 

II. 

Nachdem wir gesehen haben, dati diu asiatische Ur- 
bevölkerung nach Norden zu in der Ausdehnung des 
ungeheuren Kontinentes gleichsam versickert, wie ein 
spärlich gespeister Wasserlauf »ich in ausgedehnten Sand- 
feldern verliert, so bekommen wir, im Archipel nach 
Osten weiter vordringend, alsbald andere Bilder und er- 
kennen, daß wir uns in einem durchaus abweichenden 
Gebiet befinden. 

Die geographischen und ethnographischen Grenzen 
der beiden Gebiete decken sich hier nicht. Das östliche 
Borneo und Celebes, welche geographisch als nicht mehr 
auf dem Snnda-Plnteau liegend dem Osten zuzurechnen 
wären, gehören durch ihre indo-chinesischeu Bevölke- 
rungen dem Westen an. Das Gebiet hat in östlicher 
Himmelsrichtung ethnographisch aber überhaupt keine 
sichere Grenze; gehen doch die Abzweigungen der sog. 
malaiischen Stämme als „Polynesier" durch den ganzen 
Stillen Ozean und erreichten nach meiner Überzeugung 
in sehr früher Zeit selbst die Westküste Amerikas. 

So kolossale, vielfach noch gänzlich unerforschte Ge- 
biot«. wie sie die Inseln Borneo und Celebes darstellen, 
werden in ihrem Innern gewiß noch manche Ülterraschung 
für uns bergen; denn hier wie anderwärts haben sich natür- 
lich ältere Bevölkerungsreste, die deshalb noch keine Ur- 
bevölkerungen zu sein brauchen, als wenig widerstands- 
fähig vor der mächtigen, die Küsten überflutenden indo- 
chinesischen Yolksströmung in das schwer zugttugliche, 
bergige Innere zurückgezogen. Zurzeit fehlen z. B. 
noch ausreichende Angaben über solche Stämme in Bor- 
neo, wie sie unter der Bezeichnung „Bahau" gelegent- 
lich genannt werden. Ks ist mir duroh die Güte des 
Dr. 0. Müller (Hongkong) da« Material einer dieser Be- 
völkerung zugehörigen Begräbnisstätte ruh dem Innern 
von Britisch- Borneo durch die Hände gegaugen, welches 
in verschiedenen Beziehungen bemerkenswert ist. Die 
Leichen waren in offenen, trogartigen Särgen beigesetzt, 
welche in Felsgrotten reihenweise auf besonders her- 
gerichteten hölzernen (ieatellen angeordnet wuron. Die 
aufrechten Stützen dieser Gestelle bilden gestreckt dar- 
gestellte menschliche Figuron mit hoher Kopfbedeckung, 
unter dem ausgehöhlten Leib ein stark angelegter Penis. 
Die über und über mit Arabesken verzierten Särge laufen 
nach dem Kude in geschnitzte Tierköpfe aus, unter denen 
als Motiv der Büffel von Burneu mit den glatten, ge- 
schwungenen Hörnern vorherrscht; außerdem kommt das i 

UUAni, XCl. Nr. 2. 



Krokodil zur Beobachtung. Querschnitte der Büffel- 
hörner finden sich auch als Beigaben der Leichen, außer- 
dem massive, etwa kirschgroße bronzene Schellen, offen- 
bar nicht eigene Arbeit. IHese Beigaben zeigen ohne 
weiteres, daß es sich um eine „Urbevölkerung" nicht 
handeln kann. Der Charakter der brachykephulen, durch 
die große Stirnbreite gelegentlich unförmlich brochy- 
kephalen Schädol zeigt bei ziemlich schmalem und nie- 
drigem Ge^ichtsachädel auffallend schwach entwickelte, 
flache Nasenbeine. Kein Merkmal der Schädel weist nach 
Australien hinüber, dagegen bieten die Holzschnitzereien 
in ihrem besonderen Charakter einen unzweifelhaften 
Hinweis auf das ganze ungeheure nach Osten zu sich 
ausdehnende Gebiet, worauf weiter hinten zurückzif 
kommen sein wird. Der eine Schädel erinnert auffallend 
an den Andauiancnsch&del. 

Die eigentümliche, an allerhand Zufälligkeiten ge- 
bundene Verbreitung der Bevölkerung von Insel zu Insel, 
die dadurch gegebene, häufig gewiß für .Jahrhunderte 
dauernde Isolierung einzelner Gruppen hat im östlichen 
Archipel ein buntes Mosaik von verschiedenen Kin- 
geborenentypeu entstehen lassen, wie es anderwärts 
sich gar nicht bilden konnte. Auf dem eigentlich poly- 
nesischon Gebiot sind Urbevölkerungen oder auch nur 
Reste derselben nicht erkennbar. Die l'olynesier mit 
ihrem wohlgebildeten Körperbau, dem nockigen Haar 
und der lichtbraunen Hautfarbe schließen sich ohne 
Schwierigkeit den westlichen Stammen an, mögen sie 
Dujaks, Maduranen.Makassaren, Javaueu oder Snmatranen 
genannt werden. Ja, selbst bis an den australischen 
Kontinent gehen Abzweigungen solcher Stämme; denn 
die Bewohner der Prince of Wales-Insel sind sicher hinzu- 
zurechnen. Ihrem örtlichun Vordringen stellte sich im 
östlichen Archipel nur eine dünne Frontlinie von anders 
gearteter Urbevölkerung entgegen, die überhaupt Wider- 
stand zu leisten gar nicht imstande war. Das Zentrum 
dieser Urbevölkerung abur ruhte im austra- 
lischen Kontinent 

Der vorstehende Satz liest sich so einfach und natür- 
lich, daß manche Forscher geneigt sein dürften, ihn achsel- 
zuckeud als eine sog. Binsenwahrheit zu bezeichnen: in- 
dessen kann eich nur der Unkundige über die Schwierig- 
keiten, die ihm entgegenstehen, täuschun, und ich selbst 
hätte ihn nicht zu vertreten gewagt, bevor ich die Ver- 
hältnisse au Ort und Stelle kennen gelernt und das reiche 
Material der dortigen Museen verglichen hätte. Ks stellte 
sich dem Satze vor allen Dingen die Vorfrage entgegen: 
Kann man denn überhaupt von einem einheitlichen Typus 
der Urbevölkerung in Australien sprechen? Mir selbst 
erschien die Beantwortung dieser Frage früher sehr 
zweifelhaft, zumal die Autoren durch dun gänzlich kritik- 
losen Gebrauch der Bezeichnungen „Negrito" und „Al- 
furu J genügend für eine Verwirrung derselben gesorgt 
hatten. 

Der eigentümliche Charakter de« auffallend ge- 
schlossenen australischen Kontinentes, über dem das 
Schreckenswort „Dürre" als eine Gotte>geißel hängt, 
verhinderte eine ausgedehnte Erforschung, wie sie selbst 
im wasserarmen Teile von Afrika immer noch möglich 
war. Indem diu Ansiedler sich der besser bewässerten 
Küstengebiete bemächtigten, blickten sie gleichsam nur 
zur Tür herein und lernten da« Innere nur langsam 
und in dürftigen Bruchstücken kennen. Was sie dabei 
von Eingeborenen sahen und in Abbildungen zum 
kleinsten Teil der zivilisierten Welt zugänglich machten, 
sah durchaus nicht einheitlich aus, wenn os aus Queens- 
land oder Neu-Süd-Wales, aus Victoria oder dem Westen 
stammte. 

Zwei Typen schienen dabei unverbundeu nehenein- 

5 /- 

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Hauptmann a I). Hutter: Bamum. 



I 



ander herzugehen, von denen der eine hochbeinige, meist 
majore Gestalten zeigte, mit einem Kopfe, Her durch 
stark eut wickelte Augenbrauenbögen, eingedrückte Wurzel 
der kurzen, aufgestülpten Nase, stark vorstehende Kiefer 
mit mäßig aufgeworfenen Lippen, uiittelhreites Gesicht, 
eine fliehende Stirn bei hohem Scheitel und langer Schädel- 
kapsel (hypsistenokephaler Schädelbau) charakterisiert 
war. I>ie8 ist der Typus, der vorläufig als der austra- 
lische hingestellt werden mag (Abb. 8). Der andere 
Typus zeigt gedrungene Gestalten, mit breiten Schultern, 
mit biirenuiißigoui Gliuderbau bei eher kurzen Beinen; das 
Gesicht wild, aber nicht so tierisch wie beim typischen 
(^uecnslander, ziemlich breit, bui wechselnd, aber durch- 
schnittlich besser entwickelten Nasen, geringere Pro- 
gnathie, die Nasenwurzel auch hier eingedrückt, die Augen- 
brauenlwgen weniger vorstehend, die Stirn nicht fliehend, 
die Schadelkapsel breiter und weniger hoch. Beide Typen 



tragen das gleiche schwarze, wallende Haar, die gleiche 
schwärzliche Hautfarbe, der zweite auch eine auffallend 
starke Körperbehaarung. Bevor die Frag« nach dem körper- 
lichen Aussehen der australischen Urbevölkerung beant- 
wortet werden konnte, mußte das natürliche Verhältnis 
dieser beiden Typen zueinander festgestellt werden (Abb. !»). 

Die Lösung dieser Aufgal» erwies sich nun, nach- 
dem das Vergleichungsmaterial an Schädeln und Photo- 
graphien lebender Personen aus den verschiedenen Ge- 
bieten stärker angewachsen war. leichter als man ur- 
sprünglich erwarten durfte. Ks stellt« sich heraus, daß 
der zuerst genannte Typos tatsächlich der eigentliche 
Typus des australischen Ureinwohners ist, und ihm der 
zweite als ein späterer, durch fremde Beimischungen 
entstandener gegenübersteht. Dafür ist besonder« die 
Verbreitung und das Auftreten von i bergangen zwischen 
beiden Typen entscheidend. (SchloO folgt.) 



Bamum. 

Von Hauptmann a. D. Hutter. 
(Fortsetzung.) 



Ich habe in einem kurz vor meiner neuerlichen Aus- 
reise geschriebenen Aufsatz Ober „Yolkergroppierung 
und Völkerbilder in Katnorun" (Globus, ltd. 86, Nr. 1 
und Bd. 87, Nr. 13, 17 und 21) der Hoffnung Ausdruck 
gegeben, daß ich vielleicht nähere Aufschlüsse über die 
sogenannten •/fikar" -Stämme oder vielmehr Ober die Be- 
zeichnung „Tikar" orlangon könnte. Diese Hoffnung 
hat sich nun nach der positiven Seite hin allerdings 
nicht verwirklicht ; wie drüben iu den Haliland- 

sebafteo, ebensowenig ist in den Gebieten südöstlich davon, 
also auf der westlichen Nunseit«, ebensowenig auch in 
Bamum dieses Wort bekannt oder auch nur gekannt. 
Der Lamido von Bamum hatte es nie gehört, den Hausen, 
die ich daselbst traf, war diese Volkshezeichnong voll- 
kommen fremd. Nooh der Moisel sehen Karte ist als nächste 
Landschaft östlich von Bamum das Wort Tikar einge- 
schrieben; da ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß 
weder Bamum noch die sonst so länderknndigen Haussa 
— ich müßte gerade das Mißgeschick gehabt haben, daß 
alle meine Gewährsmänner einen beschränkten Horizont 
hatten — gar nichts von also benamsten Laud und 
Leuten wissen. Ich darf also immerhin in diesen nega- 
tiven Ergebnissen einen weiteren Beweis für meino im 
erwähnten Aufsatz <S. 4 und 307) ausgesprochene An- 
schauung erblicken, daß Tikar elten überhaupt keine 
Stamniesbezeichuung ist, sondern lediglich ein wohl von 
den Fulbo aufgebrachter Sammelname für eine Anzahl 
peripherer heidnischer Sudannegorschaften. Wenn ich 
mich recht erinnere, hat Barth zuerst diesen Nauien 
mitgeteilt; er ist ihm vielleicht bei seinen in Yulu ein- 
gezogenen Erkundungen über die südlichen Gebiete und 
über Itinerare von Fuldes gesagt worden, war damals 
vielleicht vou den Sklavenjflgern zeitweise summarisch 
gebraucht worden? 

Im gleichen Aufsatz habe ich die Vermutung aus- 
gesprochen, daß diese rätselhaften n Tikar"-Stämmo ideu- 
tisch mit den Baia sein dürften. Den dort zusammen- 
getragenen Gründen für diese meine Anschauung kann 
ich nun allerdings nur ein weiteres kulturelles Moment 
hinzufügen, nämlich die oben geschilderte Kiudeu- 
helcleidung eines im Haniumland sitzenden Stammes. I'as- 
sarge erwähnt ausdrücklich, daß den Baia diese unilto 
Tracht noch eigentümlich wäre; es steht also jedenfalls 
bis auf weiteres der Annahme nicht» im Wege, daß die*e 
Badyuigim Baia sind. Ferner bemerke ich, daß auch 



hier iu Bamum die Batisprache gekannt und verstanden 
wird, wenn auch die Bamum der Hauptstadt eine eigene 
Sprache (vielleicht nur eigenen Dialekt?) haben, die aber 
von meinen Bali, die vordem noch nie in Bamum waren, 
fast ohne weiteres verstanden wurde. Endlich sei noch 
erwähnt, das ich auf beiden Nunufsrn, insbesondere 
allerdings auf dem rechten, auf die Spuren des einstigen 
Wanderzuges der Bali gestoßen hin (ich muß, um nicht 
zu weit auszuholen, diese ethnographische Tatsache als 
bekannt annehmen, sowie überhaupt bitten, meine mebr- 
I erwähnten Aufsätze nachzusehen) und in den Bali-Bas- 
sang einen reinen Balivolk*rest , der auf eben dieser 
Wanderschaft dort unten, südostlich des derzeitigen Haupt- 
ortes der Bali, inmitten der dichten Urbevölkerung sitzen 
geblieben ist, aufgefunden habe. Bei dieser Gelegenheit 
möchte ich erwähnen, daß die Bali die Bewohner aller 
dieser bereits oben teilweise nn> h ihrem engeren Land- 
schaft Bnn tuen aufgeführten Gebiete südöstlich von Bali 
auf der westlichen Nunseite, (Babotö, Bape, Balöng, 
Bamungitm usw.) inagesamt „Bati" nennen, daß diese 
sich in Hausbau, Dorfanlage, Fetischismus u. a. nicht un- 
wesentlich von den Bali unterscheiden, sowie daß diese 
,Bati* zur Zeit der Balivölkerwandorung bereits hier 
saßen. 

Meine Tikar-Haia-Hypothese mit Bamum iu Verbin- 
dung bringend, bin ich nun der Ansicht, daß auch hier 
zu verschiedenen Zeiten Baiastämme ins Land gekommen 
sind, wovon ein alter, die Badyuigim (vielleicht auch noch 
mehrere, bislang noch nicht bekannte) sich der Herr- 
schaft frischer Nachdringlinge unterworfen, aber immer- 
hin konservativ an der altersgrauen Bekleidnugsforin fest- 
gehalten hat. Die Penisfiitteralo würden auf Fallivolks- 
bestandteile schließen lassen, von welchen bei einzelnen 
Stämmen ja diese Sitte berichtet wird. Die Baia aber 
geboren zu den sogenannten Tikar, oder vielmehr unter 
den mit diesem Sammelnamen belegten Stämmen be- 
finden sich zweifelsohne auch Baiavolksteile; somit ge- 
hört auch Bamum zu den r Tikar"-l*iideru. Welchem 
der größeren in Kamerun vorkommenden Sudanneger- 
völkern das gegenwärtig iu Bamum herrschende Volk, 
oben als „frische Nachdringlinge" bezeichnet, angehört, 
entzieht sich meiner Beurteilung. Seine speziellen In- 
dustrieerzengnisse ähneln denen der Balilandscbaften. 

Iu anthropologischer Beziehung fand ich bei der 
flüchtigen Marschbeolnichtung der Bewohner der Haupt - 



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Hauptmann a. I>. Kutter: Kam um. 



stadt und der von mir durchzogenen Orte Iceinen in die 
Augen fallenden Unterschied gegenüber den Bali, aus- 
genommen die bei vielen Individuen beobachtete «reit 
dunklere Hautfarbe, die nicht Helten geradezu schwärz- 
lich war, sowie den dichteren Bartwuchs beim männlichen 
Geschlecht. Allerdings darf man nicht vergessen, daß 
die Bali sich rasieren. Die Ortsvorsteber fast ohne Aus- 
nahme trugen dünngesäte Vollbärte, der Sultan ziemlich 
dichten, breiten Kinn- und Backenbart, dessen stattlicher 
Kindruck leider dadurch etwas beeinträchtigt ward, daß 
sich S. Majestät während der l nterhultung denselben 
fleißig mit den Fingern nach kleinen Bewohnern abzu- 
suchen pflegte, und das mit erfreulichem Erfolge! Iu 
einem Orte, Bangöin, vermerke ich in meinein Tagebuche: 
„ Leute hier auffallend gut gebaut, auch keine so auf- 
geworfene Lippen und keine so platten Nasen. Der Orts- 
vorsteher macht in Gang, Dicke, Stimme und <ie*ichts- 
auedruck vollkommenen Etinticheneindruck." 

Körperliche Mißbildungen sind mir nicht zu Gesicht 

gekommen, 
wohl aber 
viel pocken- 
narbige Indi- 
viduen ; es soll 
auch heuer im 
Sommer, nach 
mir geworde- 
nen Mitteilun- 
gen, eine ver- 
heerende 
Pockenepide- 
mie in der 

Hauptstadt 

geherrscht 
haben. Was 

körperliche 

Leistungs- 
fähigkeit so- 
wie Anstellig- 
keit, also ge- 
wisse intellek- 
tuelle Anlagen 
anlangt, hörte 
ich zwei ganz 
verschiedene 
Urteile: zur 
Küste ge- 
langte Trupps Bamunileutc wurden von einer Pflatizuugg- 
leitung als äußerst brauchbare und überall verwendbare 
Arbeiter gerühmt; mit Bamum angestellte Abrichtungs- 
versuche zu Soldaten wurden „wegen totaler Unhrauch- 
barkeit" hierzu wieder aufgegeben. 

IHe politischen oder staatlichen Verhältnisse sind, 
wenigstens aus nur flüchtigem Zusehen zu schließen, 
einfach. Her Häuptling ist absoluter Herrschor über das 
ganze Land und steht iu reger Verbindung mit der Pro- 
vinz; täglich gehen von den Orten Boten, also gewisser- 
maßen Staatskuriere an ihn ab. In den durchzogenen 
Ortschaften fand ich nichts, was man etwa als Vasallen- 
häuptlinge oder dergleichen bezeichnen könnte, wie in 
den Balilaudschaften und bekanntlich in noch weit höherem 
Grade in den Bantugchieten des Urwaldes; es sind ledig- 
lich vom Bam umherrscher eingesetzte Ortsvorsteber, meist 
gar nicht aus dem betreffenden Orte stammend und auch 
durchaus nicht auf Lebenszeit mit ihrer Würde bekleidet. 
Sie führen auch, wenigstens in den von mir berührten 
Orten, ein und dieselbe Benennung: „komfou" ; es ist 
dies also zweifellos der Amtstitel. In der Hauptstadt 
vernahm ich. VMM vom Häuptling gesprochen ward, öfter 




Abu. ö. Joja, Lainido von ßam 

(Daii«lieD ein Sklave 



das Wort „Tun" ; auch bei der, wie am Hofe aller Grns- 
landherrscher in leisem Flüsterton hinter vorgehaltener 
Hund statthabenden Anrede an ihn glaube ich dieses 
Wort gehört zu haben. In den Balilandscbafteu ist 
„Eon" die Anrede sowohl als die Benennung des Herr- 
schers, wenn von ihm gesprochen wird, in letztein Falle 
häutig mit dem Stammesuameu verbunden. In wörtlicher 
Übersetzung bedeutet es in der Balisprache = Herr 
(und — Stier). „Komfon" ist offenbar eine Zusammen- 
setzung; etwa — Vizeherrscher oder noch genauer 
(«lern mittelalterlichen) VizedomV Ethnographisch inter- 
essant ist an der ganzen Sache jedenfalls, daß auch iu 
der Hof- und Amtssprache ein Wort der Balisprache ge- 
braucht wird. 

Die Bezeichnung „Sultan" oder „Lainido", die sich 
in den Sprachgebrauch, wenn man den Bamumherrscher 
nennt, bereits in der Kolonie eingebürgert hat, ist wahr- 
scheinlich von den Hauses eingeführt worden, die diese 
an den Adamanaherrscberhöfen übliche Bezeichnung 

der Fürsten 
auch auf die- 
ses Grasland- 
reich übertra- 
gen haben. 

Eine ganz 
wichtige Rolle 
spielt neben 
dem Herrscher 
— der jetzige 
heißt Joja 
(Abb. 5) und 
ist eine große, 
stattliche, trotz 
seiner Jugend 
bereit« korpu- 
lente Figur mit 
ganz intelli- 
genten Ge- 
sichtszügen 
und von tief 
schwärzlicher 
Hautfarbe — 
oder sogar über 
ihm seine noch 
jugendlich aus- 
sehendeMutter 
namens Na. 
Auch sie besitzt eine eigene Würdenbenennung; ich habe 
sie leider nicht sofort aufgeschrieben, und sie ist mir nun- 
mehr entfallen. Man sagte mir, daß eigentlich sie die Zügel 
der Regierung führe; und das wäre bei der Ehrerbietung, 
die die Graslandherrscher, die Völker Zentralafrikas Uber- 
haupt, ihren Müttern zu erweisen pflegen , gar nicht 
sonderlich auffallend. Im Conseü des verstorbenen Bali- 
häuptliugs Garcga spielte gleichfalls seine alte Mutter 
eine wichtige Rolle, ja sogar die schwarzen Händchen 
seiner dicken Liebliugsfrau Fe beschäftigten sich nicht 
selten mit den Fäden afrikanischer Politik; und auch 
der jetzige Häuptling Mbo konferiert fleißig mit soiner 
Frau Mama. In Abwesenheit Jojas übernimmt seine 
Mutter die Reprascntatiousptlichten ; und ich muß sagen, 
der Empfang, den sie mir in Itanium bereitete — Joja 
war am Tage meines Einmarsches nicht in der Haupt- 
stadt — war würdevoll und imposant. 

Nachdem ich am Tore der Stadtmauer von mehreren 
in reiche Haussagewandung gekleideten Vornehmen auf 
reichgeschirrteu Pferden begrüßt worden war, zog ich 
unter stets anwachsender Zahl neugieriger Zuschauer und 
Begleiter die breite, wohlgepllegte Allee zum alten .Sultau- 



nm, ror seinem allen Palaste 

mit grofifr Pleite.) 



28 



Hauptmann a. D. Hutten Bamum. 



Abb. 9. FeuerstcH© Im Hanse. 



Stadtviertel. Durch ein offene» Sa-uri (F.ingangstor) reitend 
«ah ich am Knde einer langen, breiten Straße, recht» und 
link» Haus nn Haus (Abb. 6), die Flanke des mächtigen 
alten Palastes und darüber hinaus den großen freien Platz 

davor. Im Galopp bog 
ich um die Ecke, und 
ein malerischen, reprä- 
sentatives Bild bot sich 
mir. Nach rechts der 
freie Hauptplaz Ton ge- 
waltiger Ausdehnung, links die an 100m lange Front 
des Palastes (Abb. 1). In der Mitte derselben unter hohen 
Holzpfeilern, die einen urkadenähnlichen Gang vor dein 
Massiv der Residenz bilden (Abb. .">) , vor einem hohen 
Kingangsportal saß auf einem lutherstuhlartigen aus Zinn 
oder zinnfihulichem Metall gegossenen Thronsesse] mit 
hoher Rückenlehne und breiten Arm stützen dio Königin- 
Mutter in langwalleuder, weiter Tobe aus brokat- und 
«umbesetztem einheimischen dunkelblau - weißen Stoffe, 
auf dem kleinen Köpfchen mit jugendlich feinen Zügen 
eine baumwollene Mütze über dem nach Fulboweiberart 
hochgekammten Haar. Rechts und links von ihr stan- 
den riesige Sklaven 
mit Sonnenschirm 
und Straußfeder- 
Tücher an langer 
Stange. An die 
Füße des Thrones 
waren an Ketten 
zu beiden Seiten 
zwei große lebende 
Adler oder Geier 
gefesselt, die pfau- 
chend und die 
Schwingen schla- 
gend flatterten. 
Und in weitem Bo- 
gen um sie stand 
gliedertief das Hof- 
gefulge von mehre- 
ren hundert speer- 
und bogenbewaff- 
neten Männern, fast 

alle in Ilaussatracht und glitzernd von Halsketten und brei- 
tem Armreifschmuck. Neben dem Thron stand eine Art 
Tischchen mit ganz reizenden Palmweinkalabassen und 
Strohtellern für Kola und sonstige Erfrischungen. Kurz 
vor ihr parierte ich meinen Gaul, sie erhob sich, trat ein 
paar Schritte vor und reicht«; mir die Hand aufs Pferd 
hinauf. Daun saß ich ab — dienstbereit war ein halbes 
Dutzend Höflinge bereits herbeigesprungeu — und nahm 
neben ihr Platz. Na wäre wirklich eine geradezu liebens- 
würdige Negerin, wenn sie nicht einen so enormen 
Leibesumfang besäße, wie er mir in Afrika und Kuropa 
weder bei Mann. noch Weib vorgekommen ist. Sie ver- 
mag auch nur wenige Schritte zu gehen und bedient sich 
bei weiteren (langen einer von sechs stämmigen Sklaven 
getragenen Art Tragbahre, auf der sie — ein hochkomisches 
Bild bietend — mit gespreizten Beinen reitend sitzt. 
Der Palmvvein, der mir krendeiizt wurde, war der beste, 
den ich je in Afrika getrunken. Da« gauzo Gefolge 
kauerte während meiner über eine Stunde dauernden 
I in |if i f j-a idfoni laut Ins respektvoll im glühenden Sonnen- 
hrand. 

Im weitereu Verlauf meiner Anwesenheit in Bamum 
machte ich einmal bei einem ihrer mehrfachen Besuche 
hei mir eine Anspielung auf ihre Regentin-F.igenschaft, 
indem ich sie in der Balisprache, dio sie wehr wohl ver- 
steht, fon meukwi (fon — Herrscher, menkwi = Frau) 




At>t>. B. Die zum alten Palast führende Hauptstraße (linke Seite) 



nannte. Zuerst brach sie in unauslöschliches Gelichter 
aus, dann fixierte sie mich scharf und ließ mir durch 
den Dolmetscher sagen , ich sollte nur ihr mitteilen, 
wenn ich etwas wolle. Natürlich spielte die Gewinn- 
sucht auch ihr gut Teil mit berein. Cnd als ich dann 
eine kleine Galanterie wagte — auch an afrikani- 
schen Königshöfen ist Schmeichelei , die man dort meist 
mit mittelalterlicher Unverblümtheit anbringen darf, 
sehr angezeigt — und sie direkt ansprach, ein .geflügel- 
tes" Baliwort variierend: „fon-ineukwi bong-ket, officer 
ton-ket" (etwa: schönste Fürstin, du flößt dem „officer" 
beiße Liebe ein), ward mir die Huld eines Händedruckes 
und liebkosender Betat-schelnngen zuteil! Ich zog darauf- 
hin vor, mit meinem Balisprachcrfolge mich zu be- 
scheiden. 

Doch wieder zur Sache. 

Nach außen ist Joja jedenfalls der unumschränkte 
Herrscher, und mit unbedingter Unterwürfigkeit begegnet 
ihm sein Volk vom Vornehmen bis herunter zum Sklaven. 
Und wie offenbar in administrativer Hinsicht und in der 
A<1 massier ung der Bevölkerung in der Haupsttadt eine 
ausgesprochene Zentralisierungstendenz in der Politik 

des Bamumherr- 
schers zum Aus- 
druck kommt, so 
bin ich fast geneigt, 
eine solche auch 
in religiöser Be- 
ziehung, wenn ich 
so sagen darf, we- 
nigstens hinsicht- 
lich von Kultakten 
anzunehmen. Es 
ist mir aufgefallen, 
daß ich in keinem 
der Provinzörtehen 
(mit einer, und das 
zweifelhaften Aus- 
nahme, siehe am 
Schluß) auch nur 
das unbedeutendste 
Kultzeichen (Fe- 
tisch oder irgend 

etwas dergleichen) zu Gesicht bekommen habe. Auf dem 
Hauptplalz der Residenz aber liegt unter einem Schutzdach 
(s. Globus, Bd. 88, S. 272) eine ungeheure Holztromiuel 
mit fetischartigem Aufsatz (Abb. 7). Diese Trommeln, 
wie ich sie auch in den „Bati'-Gehicton westlich des 
Nun gefunden habe, halte ich nämlich nicht nur für 
ein mit ihrem weithallenden Ton allerding» zur 1-in- 




AM>. 10 Frontseite eines Ortsvorsteherlinuses. 

berufuug einer Volksversammlung, zur Alarmierung usw. 
sehr dienliches und dienendes Instrument, sondern mehr 
zu religiösen Feiern, zu großen Kultakten in Verwendung 
kommendes Kultgerät. Und zwar sowohl auf Grund 
oben ihrer futischartigen Ausschmückung, als insbesondere 
auf Grund einer in der Bapelandschaft, in dem Batigebiete 
liegend, zufällig gemachten Beobachtung. Auf dem Markt- 
platz des Hauptdorfes befand sich die große Trommel, wie 
dort üblich in eiuem aus Bambus gebauten Häuschen mit 
gitterartig offenen Wänden, und zwar stand sie aufrecht 
auf ihr die gleichfalls in jenen Gegenden häufig vor- 



Google 



Hauptmann a. D. Hutten Banium. 



2» 




Hol» geschnitzte menschenähnliche Figur 
iu kauernder Stellung, in der einen Hand ein Messer, in 
der anderen ein Menschenhaupt haltend (alles geschnitzt) 
und mit erigiertem Penis. I>ie Figur war mit verwelkten 
Laubkränzen behängt. Als ich etwa 14 Tage später 
wieder dorthin kam, waren die Kränze weg. die Figur 
dagegen dick mit Blut beschmiert; ob es Tier- oder 
Menacheublut war, konnte ich nicht herausbringen, wie 
überhaupt keinerlei Angaben über die in der Zwischen- 
zeit stattgehabten Vorgänge. 

Persönlich macht Joja einen ganz angenehmen Ein- 
druck, er ist sehr höflich — so kam er am Tage meiner An- 
kunft noch spät abends mit stattlichem (iefolge angeritten 
und entschuldigte sich, daß er mich wegen Abwesenheit 

nicht selbst habe empfangen 
können — und zeigt auch 
nicht die leiseste Spur von der 
oftso lästigen Zudringlichkeit 
und Betlelhaftigkeit anderer 
Häuptlinge. Täglich kamen 
J\ von ihm geschickt und von 

J schwert- und turbautrageu- 

f den Aufsehern geführt, lange 

\ . Züge von Sklaven und Skla- 

vinneu mit kleinen Gescben- 
ken für meine Person und 
mit reichlichen Lebensmitteln 
verschiedener Art für mich 
und meine Leute, sowie Mai« 
für mein Pferd. Zum Ab- 
schied schenkt« er mir noch 
zwei ziemlich große Ele- 
fautenzähne, Speere, Kala- 
bassen usw. Dali er natürlich 
Gegengaben von mindestens 
gleichem Werte erwartete 
und auch erhielt, ist selbst- 
verständlich ; mein sechstngi- 
ger Aufenthalt in der Haupt- 
stadt kam mir ziemlich teuer. 

Für die ihn besuchenden 
Europäer hat er ein eigenes 
sehr komfortables Haus mit 
Vorbau und Veranda, sowie 
einen ganzen kleinen Stadtteil von mindestens .'{0 Hütten 
für die Begleitung (Träger, Soldaten usw.) am Itande des 
purkartigen Gehölzes erbaut, das den Hauptplatz nach 
der dem alten Sultanspalast entgegengesetzten Seit« ab- 
schließt 

Es scheint auch für kulturelle Neuerungen empfäng- 
lich zu sein. So berichtet Hirtler: „Joja für den Ilahn- 
bau zu interessieren j , war leicht. An der Hand mit- 
gebrachter illustrierter 
Zeitschriften erklärte ich 
ihm die Nützlichkeit der 
geplanten Vcrkehr*ein- 
riclitung. Er begriff den 
Vorteil, der dem Lande 
erwächst, wenn die Hahn 
bis Harn um führt, wo- 
durch letzteres zum 
Stapelplatz der Erzeug- 
nisse Admnauas werden 
wird". (V Der Verfasser.) „Hie Schwierigkeiten der Bahn- 
anlage seien ziemlich groß, meinte Joja; um die Berge 
könne man ja, herumgehen, aber Flüsse und Widerstand 




Abb. 7. t'etlschtronimel In 
der Hauptstadt. 

(Unterrr Tril verkam wi*der- 
u) 




Abb. 12. Profil der Verteldl 
gungsgriben der Hauptstadt 



: ) l>i« projektierte Ilnbn von Dual« in das nördliche 
bat als vorläufigen K.mlpunkt das linmumland. 



der Eingeborenen würden viele Hindernisse bereiten." 
Als ich ihm erzählt«, daß der Balihäuptling jetzt noch 
in seinen alten Tagen bei den Missionaren Schreiben und 
Lüsen lerne, ward er ganz nachdenklich; von da ab 
bestürmte er mich bei jedem Besuch mit Fragen, ob das 




Abb. 8. 



schwer sei, ob er es wohl auch noch lernen könne; und 
einige Seiten meines Tagebuches mußte ich opfern, um ihm 
immer wieder „.Toja, lamido vouBamum" hinzuschreiben! 

Der Einblick in die kulturellen Verhältnisse kann 
sich bei einem kurzen Aufenthalt natürlich nur auf das 
besekränken, was augenfällig zutage liegt. 

Das ist in erster Linie die Wohnstätte: die des ein- 
zelnen und die der Menge, die Siedeluug. 

Auch der Ramnmeingeborene baut vorherrschend ge- 
höftweise, wie drüben in den llttliländorn ausnahmslos 
die Kegel ist, aber er umgibt die das Gehöft bildenden 
Einzelbauten nicht mit Hecken oder Matten, es so der 
Außenwelt gegenüber absperrend. Entweder schließen 
•ich an das Haus- oder Hüttenkonglomcrat eines Gehöftes 




S— 4 m 



Abb. 11. Eigenartige 



1.5 m 
in 



kleine Farmen von Hammen, Mais oder Knollenfrüchten, 
nicht selten auch ein kleines Baumwollfeld, oder es folgt 
gleich der Nachbar mit der gleichen Anlage, durch einen 
Weg nur vom anderen getrennt. Kann man die Itali- 
bauweise fast den geschlossenen französischen Fermon 
vergleichen, so ergibt sich für die llamumwohnanlage 
unverkennbare Ähnlichkeit mit den offenen Gehöften des 
südbayerischeu Landmannes. Die Grundrißanordnung 
eines Hamunigeböftes ist gewöhnlich ein offenes Viereck, 
das einen mehr oder minder geräumigen Hof einschließt: 



Das der offenen Viereckseite gegenüberliegende Haus 
ist meist das größere Hauptgebäude, das Wohnhaus des 



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Familienoberhauptes und seiner unmittelbarsten An- 
gehörigen. 

Aua solchen Einzelgehöften setzt sich das Dorf zu- 
sammen. Bautngruppen, bisweilen sogar kleine Laub- 
gebölze, Hyphänen, Ölpalmen, sind in und um den Dorf- 
komplex verstreut; und das Gesamtbild eines Humum 
dorfes gewährt so einen freundlichen, offenen, friedlichen 
Anblick, macht mit «einen hohen Ol]>alinengruppen usw. 
einen richtigen afrikanischen Eindruck. 

Die Farmen achließen sich zum Teil unmittelbar an 
das Dorf an, zum Teil liegen sie oft in beträchtlicher 
Entfernung. Hinsichtlich Bestellung, Ackergerätschafteu 




Abb. 13. Der neue Lauiidopalast nebst freiein Platz and einem Teil der 
Häuser für du« llofrrfolire. 



und gezogenen Produkten habe ich 
keinen Unterschied gegenüber den 
Balilandschaften gefunden, nur ist 
hier, wie oben erwähnt, auch die 
Baumwolle KarmpHanze. Auch die 
dort üblichen Furm- und Vorrats- 
häuser, sowie die kleinen Farmdörf- 
chen rinden sieh in gleicher \Vei«c 
in Bainum. 

Bauart des Hauses selbst: qua- 
dratischer Hauskuaten mit steilem 
Grasdach, und hierzu verwendetes 
Baumaterial: Weinpalmenrippeu, 
Gm und l.tiiiii, sind ebenfalls 
dieselben wie tu den Baliläudern 
(Abb. 6 u. 8). Aber die Bamtim- 
häuser sind nicht unwesentlich 
größer, meist 6 bis 9 m im Geviert 
und (ohne Dach) :> bis 6 m hoch, 
bedeutend sorgfältiger hergestellt 

und im Innern mit. mehr Komfort ausgestattet. l>as Gras- 
dach nimmt hier mehr kuppelartige Form an; die Tür- 
öffnungen sind größer. Auch wird die überstehende 
Dachplattforui nicht durch auf dem Boden aufstehende 
Baumpfosten getragen, sondern durch kurze, starke 
Raphiastücke. schräg als Streben von der Hatiswaud aus- 
gehend. F.ndlich ist auf der Plattform noch eine 1 4 bis 
1 j tn dicke Graaseillago aufgesetzt, auf welche dann erst 
das die Dachbekleidung bildende Grus herabfällt. Diese 
Grasseillage, als getrocknetes Gras grünlich-gelben oder 
gelben Ton zeigend, ist. fast allgemein ganz geschmack- 
voll durch iu schwarzer Farbe aufgetragene Zeichnungen, 
meist Kidechse oder Leopard oder Schlange, seltener ein- 
fache Ornamentik darstellend, geziert. 

Im Innern der infolge der großen Türöffnungen auch 
hellereu Häuser befindet sich an einer Seite die sorg- 



fältig gerichtete Feuerstelle — in vielen Behausungen 
ist es ein eigener konischer Aufhau aus Lehm mit einer 
Mulde, und das Ganze bläulich oder schwarz glasiert 
(Abb. 9), an ein oder zwei weiteren förmliche Wand- 
kästen und Schranke aus Bambus mit geschmackvoll 
geführtem Flerhtwerk deB als Bindemittel dienenden 
Itaphiabastes (u. a. ganz ähnlich dem sogenannten Korn- 
ähren verband). Außerdem sind in den Wäuden zahl- 
reiche kleine Astgabeln zum Aufhängen der verschiedenen 
Gerätschaften, die offenbar, gleich wie in deu Bauyang- 
häusern, bereits beim Bau iu den noch weichen Lehm ein- 
gesteckt werden und durch dessen Erhärten duun festen 
Halt besitzen. Die Behaglichkeit 
der inneren Ausstattung über- 
haupt hat mich lebhaft an die 
Behausungen dieser Waldlund- 
baukünstler von ehedem erinnert. 
Die verschiedenen Hausgerät- 
schaften sind so ziemlich die glei- 
chen wie bei alleu heidnischen 
Stämmen Nordkameruns, das Eß- 
geschirr hängt stets gleich beim 
Kingang, sauber geputzt und ge- 
orduet 

In einigen Dörfern fand ich 
die Häuser der Orts Vorsteher nach 
dem Muster des Lamidopalastes 
in der Hauptstadt angelegt, aller- 
dings in sehr bescheidener Nach- 
ahmung; sie beschränkte sich dar- 
auf, daß zwei Hütten durch eine 
Bambuswand in Höhe des Haus- 




Abb. i t. Der neue Lanildopalast. 

kastens mit einem niedrigen Firstdacb darüber verbun- 
den siud (Abb. 10). 

Linen ganz abweichenden Häusertyp, wie ich ihn 
im münzen Grasland nicht gesehen, traf ich in einem 
kleinen Fischerdorf am Nun, in Göndisäu: es waren rich- 
tige grasgedeckte First - und Giebelhütten aus Bambus, 
aber unglaublich klein und eng. Trotzdem enthielten diese 
Liliputbehausungen 2 bis 3 Abteilungen. Freilich hatte 
kaum mein Feldbett in einer derselben Platz. Ohne 
Ducb und Lchmbewurf sieht eine solche Hütte von der 
Seite etwa aus. wie in Abb. 1 1 skizziert 

In diesen wie in ollen am Fluß gelegenen Fischer- 
dörfern werden von den zahlreich herumliegenden skelet- 
tierten Flußpferdschädeln die mächtigen l'nterkiefer als 
übrigens gar nicht tu unbequeme Hocker verwendet. 

Sind die Bamnmilörfer nicht viel mehr als große 



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Hauptmann a.D. llutter: Hamm». 



31 



Weiler, so verdient die Hauptstadt in jeder Heziehung 
die«« Bezeichnung, «1h tatsächliches Zentrum des Landes 
nach jeder Richtung nicht minder als wegen ihrer Größe, 
wegen der Straßenanlagen und regelmäßigen Anordnung 
der Häuser in wenigstens einigen Vierteln. 

Schon vom Konkä aus macht sie, oder richtiger ihre 
Konturen , dem nach Osten schweifenden Auge sich be- 
merkbar, noch an 30 km entfernt Über Hügel und 
Tal, über langgestreckte Höhen und durch Mulden läuft 
ein grünes Hand mit dunklen Flecken dazwischen, da- 
hinter erheben sich, dem bewaffneten Auge unterscheid- 
har, kuppelartige Hauten. Das gleiche Hihi hat man 
vor sich, wenn man auf dem Marsch von (iuha, dem 
der Hauptstadt im Westen nächstgelegenen kleinen 
Ort, sich ihr nähert; hier aber erkennt man das grüne 
Band als einen die Peripherie der eigentlichen Stadt 
umziehenden Laubbaum- und Palmenring oder vielmehr 
einen Teil davon und die an und zwischen diesen ein- 
gebauten Teile einer Stadtmauer. Aber diese Umwallung 
ist es nicht, was Bamuin seine hochinteressante, geradezu 
einzige Eigenart verleiht — solche 
Stadtmauern hat jeder Suitaugitc 
der Fulbe in Adamaua: Itanyo, 
Gaschaka, Ngaundere usw. , und 
sogar in noch mächtigeren Aus- 
maßen — ; es ist vielmehr die 
gewaltige doppelte Grubenwehr, 
die um diese angelegt ist. 

In einem Ungeheuern, un- 
regelmäßigen Bogen zieht der 
äußere Graben rücksichtslos über 
verschiedenstes Gelände, Berg 
und Tal und durch steinigen 
Boden , in einem Umfang von 
mindestens 8 bis 10 Stunden. 
Ich habe mit dem Sultan ein- 
mal denselben abzureiten mich 
10 M a. m. aufgemacht; mit an- 
brechender iHimmerung kehrten 
wir erst wieder zurück, und noch 
waren wir ein gutes Stück vom 
Ausgangspunkte entfernt! Der 



lierte 2 bis 3 m hohe Stadtmauer aus Lehm, unterbrochen 
von in die Umwallung mit hereinbezogenen Baumen. 
Der Übergang über den inneren Graben findet auf starker 
Bohlcubrücke statt und führt unmittelbar in ein brücken- 
kopfartiges, stark gebautes, mit Hewaffneten angefülltes 
Torwachhaus. Aus ihm tritt mau iu den eigentlichen Stadt- 
rayon. Mit diesem Doppelgraben und der Stadtmauer 
sind die Ilefestigungsanlagen übrigens noch nicht zu 
Kode: der ganze Hang rechts und links der zu den Tor- 
eingingen des inueren Grabens führenden Wege (es 
sind deren nur drei) ist förmlich gespickt mit einer 
Unzahl dicht aneinander liegender Wolfsgruben, durch 
das dazwischen aufschießende Gras trefflich verbor- 
gen, — ein Aunaherungshindernia, das den Anmarschie- 
renden, eventuell den Angreifer, zwingt, die Wege zu 
benutzen. 

/wischen den beiden Gräben liegen welliges Biachfeld 
und ausgedehnte Farmen mit da und dort verstreuten 
Fnrmdörfchen; ebenso befindet sich innerhalb des zweiten 
Grabens nichts weniger als Haus an Hnus; ausgedehnte 



Grahen besitzt durchweg eine 
obere Breite von 3 bis 4 m. 




eine Tiefe von 5 bis 6 in und ist 
diamantförmig , also als Spitzgrabeu . angelegt. Die 
ausgehobenen Erdmassen waren, jetzt noch deutlich 
erkeuubar, teils nach außen glucisarttg, teils mich 
innen als Bankett angeschüttet worden. (Abb. 12). Mehr 
gegen die westliche Seite dieses äußeren ersten Grubens 
zu liegt die eigentliche Stadt, die mit einem zweiten, 
inneren Graben, natürlich von weit geringerem Umfang, 
aber von meist ganz gleicher Anlage wie der erste, um- 
geben ist. Diese beiden Gräben sind ein Riesenwerk 
für afrikanische Verhältnisse, und wenn man die primi- 
tiven Werkzeuge der Eingeborenen iu Betracht zieht, so 
darf man diese Bauten getrost den ägyptischen Pyra- 
miden zur Seite stellen. Der Großvater des jetzigen 
Häuptlings soll sie angelegt haben zum Schutze seiner 
Hauptstadt gegen Einfälle von Reiterheeren aus Norden 
und Osten (also offen bar Sklavenraubzüge des Sultans 
von Ranyo. vielleicht auch von Tibati). Am äußeren 
Graben ist da, wo von verschiedenen Richtungen her die 
Wege aus dem offenen Lande iu die Hauptstadt herein- 
führen, die Grabensohle etwas aufgeschüttet und gestattet 
so ein Durchschreiten; im Gruse liegen Wachen, die 
Speer- und bogenbewaffnete Posten aufstellen. Gegen den 
inneren Graben zu steigt das Gelände an; unmittelbar 
hinter ihm, also auf der Stadt seite, erhebt sich die kreuc- 



Abb. l.V I.nuhengang zum Pavillon (an der Rickselte des neuen I.amldopatastes). 



Grasflächen und Farmen, duzwischen hinein größere und 
kleinere Hutten- und Stadtteilkomplexe decken die Hügel. 
Täler, Mulden und Hänge des Weichbildes der inneren 
Stadt. Gedrängter gruppieren sich die Häuser eigentlich 
lediglich im Ostteil, und da sind es wiederum nur zwei 
Viertel, die. auf einem langgestreckten , flachen , breiten 
Höhenzuge und dessen Hängen liegend, infolge der dichten 
VdmuHsiening der ll.inlichkeiten iinil dar geordneten 
Straßenzüge streng genommen die Bezeichnung Stadt ver- 
dienen. Vom Innentor der Südwestseite führt ein tadel- 
los gehultoncr, 5 bis 6 m breiter Weg mit Wasserabzugs- 
grttben rechts und links und von Räumen und Hecken 
zu beiden Seiten eingefaßt dorthin; der Ritt währt fast 
eine Stunde. Etwa 1 km von der alten Residenz ent- 
fernt verbreitert sich die Straße zu Anlagen, der Weg 
führt durch ein frei stehendes propyläonartigea großes 
Tor mit Wachräumeu recht« und links und biegt dann 
in die zum Residenzviertel gehörenden Stroßen und 
Häuserkomplexe ein (Abb. C). Man passiert die eine 
Flanke das alten Palastes und erreicht endlich den freien 
Marktplatz von imposanter Ausdehnung, ein Geviert von 
mehr als 500 m Länge und 200 m «reite, auf drei Seiten 
von parkartigem Laubgehölz eingefaßt , die vierte Seite 
bildet die Front des au 100 m langen alten Paläste' mit 



32 HalhfaU: Da. Kricobe lUff. 



kleineren rechts und links anschließenden ßsuton (siehe 
Abb. im Globus, Bd. 88, S. 272). 

An der einen Längsseite schließt sich hinter dem 
schmalen Parkstreifen das den ganzen Hang und die 
folgende Mulde ausfüllende Haussnviertel an, eine 
unregelmäßig durebeinanderge würfelte Lagerstadt; die 
HauBBa haben lediglich ihre charakteristischen leichten 
ssongo aufgestellt, die bekannten niedrigen kegelförmigen 
Laub- und Graahütten. Der auf dem Marktplatz befind- 
lichen Moschee (für die mohammedanischen Ilanssa), neben- 
bei bemerkt lediglich ein ganz leerer Hau mit Vorballe 
und eigentlichem Gebetraum, und der riesigen Fetisch- 
troramel ist in eben angezogener Qlobusnummer bereits 
Erwähnung getan. 

Der alt« Palast war zur Zeit meines Besuches bereit« 
etwas verfallen; der Sultan war eben im HegrilT, sein 
ganzes Hoflager in ein gerade fertig gestelltes, etwa 
eine Viertelstunde entferntes neues Residenzviertel zu 
verlegen. Im allgemeinen, und namentlich iu der Front, 
war er jedoch noch vollkommen intakt und verdient tat- 
sächlich den Namen eines Palastes. War ich auch schon 
von den Hatilandschaften her stattliche große Häupt- 
lingahäuser gewohnt, die die im Vergleich dagegen arm- 
lich zu nennende üaliresidenz weit übertrafen - dieses 
Bauwerk überraschte mich und imponierte mir tatsäch- 
lich. Mit einer Frontlange von nahezu 100 m und nicht 
viel geringerer Tiefe erreicht dieser Sultansbau in seinen 
drei mächtigen Kuppeln eine Höhe von etwa 20 bis 25 m. 
Das weit überstehende Dach ruht längs der ganzen Front 
auf zahlreichen hohen schlanken Holzpfosten, wodurch 
ein förmlicher Säulengang gebildet wird (Abb. 5). Das 
Hauptportal, unter dem der Lamido seine Audienzen usw. 
abhält , ist über ö m hoch. 

Der neue Palast (Abb. 13 u. 14) besitzt nicht die impo- 
nierende frontale Ausdehnung wie der alte; er geht mehr in 
die Tiefe; im übrigen ist die äußerliche Anlage die gleiche 
wie bei jenem. Das Interessanteste daran, geradezu Be- 
wundernswerte ist die innero Anlage und deren bei meiner 
Anwesenheit eben bis in» einzelne fertig gewordene Aus- 



schmückung. Verblüffend wirkt schon die ungeheure 
Empfangshalle, der erste Kaum, den man durch das 
unter einer der Kuppeln angebrachte Portal betritt. Bis 
zum Kuppelgewölbe hinauf reicht der etwa 25 m im 
Geviert große Raum und empfängt durch mehrere Licht- 
schächte Beleuchtung. Nach allen Seiten schließen rieh 
nisc-henähnliche kleine Gemächer an; in ihnen in die 
Wände eingefügt breite Ruhebetten mit Polstern und 
Fullen belogt; gleicher Schmuck deckt die Wände und 
wird hier ergänzt durch zahlreiche Waifeudekorationen 
und in Mengen aufgehängte prachtvolle Sättel, Zaumzeuge, 
Satteldecken, Peitschen, Reitstiefel, Sandalen, Elefanten- 
zähne, Kalabassen, Geschirre, Taschen usw. der verschieden- 
sten Art, Wahre Prachtstücke sind zwei thronartige Stühle, 
der eine, speziell vom Sultan benutzte, ist im mehr- 
erwähnten Globuaaufsatz Bd. 88 abgebildet, bezüglich 
dos anderen, der Na zu gehören scheint, habe ieh 
bereits oben berichtet. Dann folgen kleine Höfe, Wacb- 
räume mit lodernden Feuern , von den zahlreichen 
Palastwachen angefüllt; neue Gemächer, teils durch 
Oberlicht der Tagesbeleucbtuug zugänglich, teils mit 
kleinen Kuppeldächern geschlossen, Gänge und Korri- 
dore. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: 
die (trundrißanordnung, die Zahl der verschiedenartigsten 
Gelasse, ihre Ausschmückung, oder aber die Baukunst 
der beliebigen Lichtanordnung, der Gewölbespannungen 
und Verscbiieidungen der zahlreichen Kuppeln und Längs- 
dächer. Lud als ich nach langem Herumwandern alles 
gesehen zu haben glaubte, führte man mich voll Stolz 
durch eine kleine Pforte an der Rückseite der Residenz 
in einen regelrechten, an 50 m langen Laubengang, dessen 
.Seiten und Dach aus Netzwerk mit daran hinaufgezogenen 
Schlinglaubpflanzen bestanden und der zu einem als Art 
Gartenhaus gedachten Pavillon führte (Abb. 15)! Den 
mächtigen freien Residenzplatz säumen rechts und links 
lauge schnurgerade Reihen von kleineren Häusern ein für 
die Weiber und Dienerschaft (Abb. 13); auf das ganze 
Resideuzviertel sieht von einer anschließenden Höhe ein 
weitere» kleines Schlößchen herab (Abb. 1 ). (Schluß folgt.) 



Uns Frische Haff 

behandelt G. Braun iu der Zeitschrift für Gewässerkunde 
(VII. 3) auf Grund der vom Reichsmariueanit iu Jahre 1905 
im Maßstab 1:*!>OOU heruiisgegelieneu Tiefenkart«, Akten de« 
Ostpreußiscbeu Fiaehereivereius, gedruckter Quellen und eines 
reichen Beobachlangsmaterials, da* sich im besitz des genannten 
Vereines befindet. Ks treten drei Küsteuformen an ihm auf: 
die potnmogene Hchwemuilaudkiiste, die Hakcuküsto der Neh- 
rung und die Kliffküste de* Diluviums, llle Menge der Im 
Jahrhundert in das Haff gelangenden Sinksboffe ist zu rund 
t*(> Miliinnen Kubikmeter berechnet, woraus sich für die 
letzten i.' 1 s Jahrhunderte — weiter zurück reichen die Karten 
nicht — ein Landgewinn von Tftqkm gloicli der Große des 
Iiebasees in Hinterpommei u ergibt. Durch den Durchbruch 
von 1 8+0 bei Neufäbr und noch mehr durch deu Durchstich 
bei ftehiewenhorst l«9. r > ist der rasche Fortschritt dieser Ver- 
bindung aufgehalten worden, namentlich in der Gegeud der 
Elbiiijter Weichsel. Das in seiner heutigen Begrenzung 
b'JSqkm große Haff liegt zum kleineren Teile iu West-, zum 
gr filieren Teile in Ostpreußen, der Name Frisches Haff wurde 
früher auch für das (MerbafT gehraucht und ist erst seit dem 
ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hier lokalisiert worden. 
Die größte Tiefe beträgt nur .'>,! m und liegt zwisLhen Halgn 
und l'illau. die mittlere Tiefe nur wenig über - m. Au der 
Füllung des Keekens hat die Nognt deu größten Anteil trotz 
des Durchstichs bei Sehiewenhorst. während der Trebel nach 
der F.rbauuug de« «,i m tiefen S.-ekanal«, des l'illauor Tiefs, 
«eine Wasser zum größten Teil direkt in die See erhellt. Der 
Salzgehalt des Hatte« ist naturgemäß sehr wechselnd und in 
der Hauptsache von der herrschenden Windrichtung ab- 
hängig, raeist läßt sich ein salziger Fnterstrom fast bis zum 
Ende des Haffes, bis in die Gegend von r'ruuonburg und Totke- 
mitt verfolgen , während dieser salzigen l'uteischieht «in« 



: suße Oberschicht gegenübersteht. Damit ist die früher 
herrschende Ansicht, die das Haffwaaser für nahezu süß, nach 
dem Ausgang zu ein wenig brackig hielt, beseitigt. Wahr- 
scheinlich gilt dieser 8atx auch für das l'illiiuer Tief , doch 
weisen hier die Beobachtungen größere Lücken auf. 

Das Haff friert fast jedes Jahr bis auf deu Heekanal, der 
für die Schiffahrt stets künstlich offeu gehalten wird, zu; 
in den Wintern 1!'03 04 und 1004 05 war das Haff je 98 Tage mit 
Eis bedeckt. Der Verkehr wird durch die drei Städte Königsberg, 
l'illau, Elbing beherrscht , im Seeverkehr übertrifft da« 
Btettiner Haff das Frische, im Binnenverkehr ist das Um- 
gekehrte der Fall. Bei den Verkehraverhältnisaen bereiten 
die Tiefeuverhältniase dauernd große Schwierigkeiten. Deu 
kleineren Schiffen früherer Zeilen bot das Haff «ine geschützte 
Wasserstraße von genügender Tiefe bis weit ins Binnenland, 
und Elbing und Königsberg erlangten als Mitglieder der 
Hauan große Bedeutung. Als im Jahre 1*57 bei einem Damm- 
bruch im Werder fast das ganze Weichselhochwasser durch 
da» Tief in die S«« ging, stieg die Tiefe des Haffs bi» auf 
7.n, Pillau, das erst I7ü5 Stadtrechte erhielt, wurde für die 
größten Schiffe erreichbar und hemmte durch seine Knt- 
wickeluug Königsberg. Die Erbauung des Seekauals drehte 
die Verhältnisse wieder völlig um, und l'illau ging zurück, 
bis «s sich wieder hob, nl« ein Teil der Schichauschen Werft 
' von Elbing, wo das Fahrwasser nicht mehr ausreichte, nach 
' dort verlegt wurde. Die iu Elbing erbauten Torpedoboote 
werden jetzt in l'illau erst fertig ausgerüstet und nehmen 
von hier uns ihre l'robefnhrten vor. Von deu übrigen Haft- 
orlen ist Fraucnhurg mit seinem Dom der geistige Mittel- 
punkt des noch heute katholisch gebliebenen Ermelandea, 
Braunsberg i-t durch die geringe Tiefe der l'assarge ganz 
ins Hintertreffen gekommen , Tolkeuiit ist als Töpferstadt 
weit bekannt, der lfe*t der Ortschaften bis auf den Eisenbahn- 
knotenpunkt en miiii.-iture Fischhäuten füllt in die Kategorie 



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!•'. Lnrentzcn: Die Fische im TrotuSK-Suiitl. — Bftchersdiuu. 



der Fischerdörfer. Die Zahl der Fischer und Fischergehilfeu 
am Haff beträgt +244, der Jahres verdienst einer Fischer- 
familie wird durchschnittlich auf löOO Mark angegeben. Der 
Wert der gefangenen Fi »che betrug im Jahre 1901 nahezu 
1 Million Mark, im Durchschnitt des Jahrzehntes 1892,1901 
rund TouoOO Mark. Daraus ergibt sich ein« Produktivität 
von 10 bis 12 Mark pro Hektar. Die meisten Fischer Wuhnen 
in Zimmerbude und Bodcnwinkel. Zu einem Badeort mit 
größerer Fr«.|Ucnz hat »ich in neuester Zeit Kablberg auf 
der Frischen Nehrung entwickelt. Gegenüber Kahlberg, auf den 
Anhöhen des Rehberge», liegt Cadiuen.das Landgut des Kaisers, 
das rasch mit Hecht zu einem neuen Anziehungspunkt de» 
Haffes geworden ist. Halbfaß. 



Die Fische Im Tromsu-Sitnd 

bat H. Kiier zum Gegenstände einer ihre Verbreitung uud 
Biologie berücksichtigenden Abhandlung gemacht, die im 
Tromsil Museums Aarshefter (27. 1904) ihre Veröffent- 
lichung fand. Der norwegischen Darstellung und der ihr 
angeschlossenen englischen Zusammenfassung entnehmen wir 
nachstehende Angaben: 

Der Tromso-Sund im Norden Norwegens ist der Sund 
zwischen der In«el Trnm\n und dem Festlande. Kr ist un- 
gefähr 11km lang und 3 bis 6'/, km breit. Kr steht mit der 
offenen Ree nur durch mehrere Sunde in Verbindung, von 
denen einige »ehr eng sind, und durch die ein sehr starker 
Flutstrom mit einer Geschwindigkeit von «5 bis 8u km, im 
Tromstf-Sund von 25 bis 50 km läuft. Diese starken Strö- 
mungen, die frisches, reich mit I'lankton angefülltes Wasser 
herbeiführen, tragen in hohem Grade zur Kutwickelung einor 
grollen Verschiedenheit des Tierlebens hei und vermehren 
dadurch anch die Menge der Fische. Außerdem linden sich 
dort gleich außerhalb der Küste große Fischbänke, die zu 
den reichsten Laichplätzen der Welt gehören. Die einwärts 
liegenden Fjorde müssen auf diese Weise natürlich mit Fisch- 
brut bevölkert werden, die durch die von See landwärts 
laufenden Strömungen gegen die Küste getrieben wird. 

Fische gibt es daher im Tronisp Sund in gewöhnlichen 
guten Jahren in Menge, so daS sie jeder Bauer direkt vor 
seinem Besitze sich leicht genug für seinen Haushalt ver- 
schaffen kann und noch ein gutes Quantum hinzu, das zum 
Trocknen aufgehängt wird. Daher kann man bei fast jedem 
Bauernhause in der Nähe der Küste lange Keinen Fische 
sehen, die tum Trocknen aufgehftugt »ind. Auf dem Fisch- 
markt zu Tromsf» kommen Dorsch, Schellfisch, Hering, Scholle 
zum Verkauf, manchmal auch Wittling, Seewolf nnd Kliesche, 
und während der Sommerzeit Köhler. Aus der offenen See 
kommen sehr oft Heilbutt, Rotbarsch, Brosm«, Leng, See- 
wolf und Glattrochen an den Markt. Selten werden Ibachs 
und Meerforelle dort ausgeboten , da sie nach den großen 
Exportfirmen in Trondhjem gesandt werden. 

Die Fischerei wird meistens mit Angelschnüren an guten 
Pischplätsen betrieben. Der Boden ist dort hart (Litho- 
thamnion- Grund), und es geht ein starker Strom . und 
daher rindet sich dort ein reiches Tierleben, das die Fische 
anlockt. An solchen günstigen Fangplätzen verhindert die 



Strömung die Ansammlung von Schlick. An großen Steinen 
sitzen dort gewöhnlich große Mengen von Steinalgen (Lilho- 
tbamnion) in allen Größen, von denen manche sich bis zur 
Größe eines Kinderkopfes entwickelt haben. In und auf den 
Steinalgen gedeihen eine Uumenge von festsitzenden Tieren, 
| als Ascidien, Hjdroidpolypeu, Schwämme, Seerosen, Muscheln, 
. Würmer usw. Außerdem pflegen eine Menge Krebstiere 
(Uarneelen und Amphipoden), Schnecken, Seesterne, Schlangen- 
sterne in den Höhlungen der Steinalgen Schutz zu suchen. 
Der Grund , daß die Dorsche diese Plätze aufsuchen , liegt 
einmal darin, daß die Strömung eine Menge kleiner Tiere 
mit sich führt, die sozusagen den Fischen direkt in den Mund 
getrieben werden, und sodann darin, daß auf den Steinalgen 
eine solche Zahl von Tieren lebt, die, wenn sie sich aus den 
Steinalgen herauswagen , sofort von den Fischen als will- 
kommene Beute weggeschnappt werden. 

Die Tiefe im Tromsrl-Sund zwischen dem Nord- uud dem 
Südpunkte der Insel Tromso schwankt zwischen 5 und 60 
Faden. Im Norden von der Insel Tromso und gleichfalls 
südwärts im Baisfjord betragt die Tiefe 100 Faden. Der 
Troms0-Sund und ebenfalls der Hystrom und der Sannesund 
zwischen Tromsfl und Kvaltl, einer großen Insel westlich von 
Tromso , bilden daher eine submarine Erhebung , die die 
Zusammensetzung und die Temperatur des Waasers in 
den tieferen Höhlungen landwärts sehr beeinflußt. Kiur 
fand z. B. die Temperatur in der Tiefe von 70 Faden am 
IS. August 1903 auf 2,9*0. Die Temperatur der Oberfläche 
betrug 13° C, während die Temperatur in See in einer Tiefe 
von 100 Faden am 8. September 1B02 noch 5' C betrug. 

Aus der offenen See kommen in Mengen Dorsche, Köhler, 
Heringe, Lodde und andere pelagiscbe Arten in den Tromstf- 
Sund hinein, während auch aus den Tiefen der Fjorde inner- 
halb und außerhalb Tromse 1 « sich Fische nach diesem Ge- 
wässer verirren. 43 verschiedene Arten wurden für den 
Trom*0-Sund nachgewiesen; 5 sind als arktische anzusehen: 
Rotbarsch (Sebastes marinus) , ('entridermichthys uncinatus, 
Agonus decagonus, Kapelan (Mallotus villosus), Eishai (Laemar- 
gus borealis). 24 gehören der nordeuropäischen Gruppe an : See- 
skorpion (t'ottus scorpiu»), Steinpieker (Agonus cataphrnetus), 
Seehase (Cyclopterus lumpus), Seewolf (Anarrhieas lupus), Is- 
ländischer Handtisch iLumpenus lampretiformis, t'arelophus 
ascanii), Butterfisch (Centnmotus gunellus), Aalmutter (Zoarces 
viviparus), Kabeljau (Gaduscallarias), Schellfisch (li.arglefinus), 
Köhler (G. virens), Leng (Molva vulgaris), Broame (Brosmius 
hmsme), Sandaal (Ammodvtes tobianus), Heilbutt (Hippoglossus 
vulgaris), Kauhe Scholle (Hippoglossoides platessoides). Klein- 
köpfige Scholle (Pleuronectesmicrocephalus), Kliesche (F. liman- 
da), Scholle (F. platcssa), Hundszunge (P. cynoglossus), Saibling 
(Salmo alpinu»), Hering (Clupen harengu's), SternrocUe (Raja 
radiata). Allgemein europäische Fische finden sich dort in 
11 Vertretern: Stichling (Oasterosteus aculeatus), Makrele 
IScomberscomber), Wittling (Gadus merlangus), Flunder (l'leu- 
ronectes flesus), Lachs i Salmo aalar), Meerforelle (S. trulta), Aal 
(Anguilla vulgaris), Heringshai (Lamna cornubica), Dornhai 
(Acanthias vulgaris), Olattroche (Raja batis), Inger (Myxine 
| glutinöse). Als mitteleuropäische Arten sind zwei. Kleiner 
Scheibenbauch ll.iparis montagui) und (irofter Sandiutl (Am- 
modyte* lanceolatus) aufzuführen, denen sich noch zwei pe- 
lagische Fische anschließen: Heringsköuig (Trachypterus 
areticus) und Argyropelecus olfersii. F. Loren tzen. 



Bticherschau. 



Hr. 0. D. Tyrka , Saneyoschi im Mccident. Sozial- 
istische Briefe eines Japaner«. 400 S. Dresden- Blase- 
witz, Verlag von R. v. Grutubkow, l»o«. ft M. 
Als wirklicher oder angeblicher Verfasser diese« Buches 
wird uns ein japanischer Samurai namens Saneyoschi vor- 
gestellt, der Kuropa und auch Amerika kennt und* über seine 
Beobachtungen einem japanischen Bundesgenossen Briefe ge- 
schrieben hat. Die Briefe weiden uns hier geboten, und 
zwar im Originaltext: denn der Beobachter sehreibt ein vor- 
zügliches Deutsch. Wir hören, daß er von Bewunderung für 
Kuropa hierher gekommen ist, daß dieser Eindruck bei ihm 
aber im Laufe der Jahre stetig nachgelassen hat. I)as können 
wir ihm wohl glauben . wenn wir ehrlich sein wollen Die 
Briefe sind oft sehr scharf geschliffene Satiren , die unsere 
konventionellen Lfigon geißeln und Vergleiche nicht nur mit 
japanischen, sondern auch mit ehllieefaehan, koreanischen 
und anderen Verhältnissen dein Ilster vorführen. Dabei wird 
die abendländische Literatur über den Fernen Oaten ausgiebig 
zitiert, und die darin enthaltenen Ui teile werden ad absurdum 
geführt. Daß es mit diesen Urteilen in der Tat nicht weit 
her ist, das weiß bei uns nun auch schon jeder Verständige: 



der Chinese und der Japaner und seine Kultur sind zu kom- 
pliziert und unserem Kmprinden zu fremd, als daß ein abend- 
ländischer Beobachter da leicht eindringen könnte. Ja, der 
gewissenhafte Beobachter kommt gerade, je länger er unter 
den Rassen des Fernen Ostens weilt, um so mehr zu der Ein- 
sicht, daß das Ratsei ihm größer anstatt kleiner wird. Der 
Schwerpunkt der Briefe Saneyoschis liegt in ihren Aus- 
führungen über das Weib — das europais- hc und das japatii- 
»che. Die scharfen Aper.us des Verfasser» »ind leider häufig 
nur zu richtig, obwohl es nicht angeht, deutsehe, englische, 
französische und amerikanische Verhältnisse über einen Kamm 
zu scheren, und vieles von dem, was er sagt, ist mit dem 
»ellien Spott uud mit Selbsterkenntnis auch schon hierzu- 
lande gesagt worden. Falsch ist , wenigstens für Deutsch- 
land , eine Voraussetzung oder vorgefaßte Meinung Sane- 
yoschis: Man rede dem Mann, namentlich «lern verheirateten, 
von allen Seiten Tugend vor, das Weib aber sei in dieser 
Beziehung nahezu souverän, es könne tun, was es wolle. Im 
allgemeinen muß man sagen, daß SO ziemlich das l'uigekehrte 
bei uns der Fall ist. Das Buch ist jedenfalls auOcrurdetit- 
lieh fesselnd und anregend. 



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34 



Kleine Nachrichten. 



Ein La ml <lor Zukunft. Kin Beitrat; zur nähere» Kennt- 
i>i« Argentiniens. Von einem deutschen Offliier. 274 8. 
Mit 100 Abb. u. 1 Karte. München, Max Steinebach, 1906. 
S M. 

AU Verfasser dieses Buches wird «in hoher dcutsehcrOfttxior 
bexeichuet, der als militärischer Reorganisator und Gründer 
der Kriegsakademie in Buenos Aires mehrere Jahre in Argen- 
tinien geweilt hat. Nach einem Blick auf die Geschichte 
der Bepublik nnd auf die geographischen Verhältnisse (der 
Acoucagua wird mit (IBHO m zu niedrig angegeben) werden 
die Bevölkerungseiemeute, di« grüneren Städte, da» platte 
Land, Verkehrswegen, politische Zustände, Heer und Marine. 
Wirtschaftliche*, soziale und Kulturzustände besprochen. In 
dienen Kapiteln steckt viel gutes Bcobachtungsuiaterial und 
ein wertvolles , wohlbegründet erscheinende* Urteil, das der 
Verfasser anerkennenswerterweis* nur über solche Gebiete 
abgibt, über die er ausreichend unterrichtet zu sein glaubt. 
Über die politischen Zustände und die Justiz wird zum Teil 
wenig Erbauliches mitgeteilt. S, 15» heißt os, daß von einer 
freien Wahl der Abgeordneten keine Rede sein könne, 8. Ib'Z, 
daß die Rechtspflege „minderwertig* sei. Trotz alledem, heillt 
es dann aber weiter, sind die Verhältnisse nicht so schlimm, 
wie man sie sich iu Deutschland oft vorstellt Sei der An- 
kömmling, durch deu Schein verführt, geneigt, znuächst alles 
zu optimistisch aufzufassen , so verfalle er nach längerem 
Aufenthalt in das ebensowenig berechtigte andere Extrem, 
zu pessimistisch zu urteilen. Die sozialen Verhältnisse er- 
scheinen naoh dem Verfasser iu freundlicherem Lichte »I» 
sonst zumeist in Schilderungen aus dem spanischen Amerika. 
Per wirtschaftliche Fortschritt des „Landes der Zukunft* 
wird vorläufig noch immer allein durch das zugewanderte 
Element repräsentiert, wobei der deutsche Bestandteil — die 
Zahl der Deutschen in Buenos Aires wird auf 9'WO, im ganzen 
Laude auf lTuOo angegeben — noch nicht die Rolle spielt, 
die erwünscht wäre. Das deutsche Kapital lallt dem engtischen 
noch zu sehr den Vortritt. Die bedeutendste Industrie soll 
heute die Zuckerinduslrie sein, dor Bergbau wenig versprechend. 
Über Argentinien als Weuenland will der Verfasse nicht 
urteilen. Die Bevölkerung ist der große» Zahl der Ein- 
gewanderten wegen so wenig homogen wie nur möglich. 
Eigentümlich ist die 8. 68 verzeichnete Krscheiuung, daß man 
in gewissen .nationalistischen Kreisen" der Hauptstadt bestrebt 
»ei, eine eigene „argentinische Sprache" zu „grüuden". Das 
mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Buch verdient all- 



C. V. ZepeUn, Der Ferne ÜBten. Reine Geschichte, seine 
Entwicklung in der neuesten Zeit und seine Lage nach 
dem russisch ■ japanischen Kriege. 1. Teil. VI u. 27« 8. 
Mit .1 Karten. („Rußland in Asien" , Bd. VIII.) Berlin, 
Zuckschwerdt u. Co., I»u7. a,50 M. 
Die Sammlung „Bußland in Asien" wird nach dem Be- 
gründer und Herausgeber K rahmer von dem Generalmajor 
v. Zepelin fortgesetzt. Dieser bat es in dem vorliegenden 
Bande unternommen, Ostasien im Hinliliok auf die durch die 
Kreignisse der letzten Jahre geschaffene neue politische, 
militärische und wirtschaftliche Lage zu behandeln. In der 
Anlage unterscheidet sich der Band nicht wesentlich von 
Krahmer» Arbeite». Das erste Drittel behandelt die Ge- 
schichte des Femen t)>teus bis zum Jahre 1 1>0« unter be- 
sonderer Berücksichtigung des russisch-japanischen Krieges. 
Es wird zu zeigen versucht , warum Kußland in diesem 
Ringen den kürzeren hat ziehen müsseu, und es werden auch 
die Grunde, die zum Kriege geführt hatten, objektiv, d. h. 
ohne erkennbare Voreingenommenheit für diese oder jene 
Partei gewürdigt. Die durch sein Ergebnis geschaffene läge, 
darunter die heutige Stellung Chinas und die Bedeutung 
Japans für die Sudsee und Australien, wird kurz gekenn- 
zeichnet, wobei der Verfasser es vermeidet, iu die sotist beule 
ja sehr beliebten — gewöhnlich düsteren — Prophezeiungen 
zu verfallen. Der Krieg selbst wird nicht behandelt. Die 
folgenden Kapitel beschäftigen sich mit Port Arthur und 
Datuij. Mehr geographisch als diese Huchteilv sind die 
Sohlußabschiiitte »her die Verbindungen der Mandschurei und 



de» Amurhezirk» mit Europa und deren Verkehrsverbält- 
nisae im Innern und über die russisch-asiatischen Eisenbahnen 
während der kriegerischen Ereignisse von 1000 und von 1904/05. 
| Der oft geringschätzig beurteilten sibirischen Bahn wird für 
I ihre Leistungen während des Kriege» diu Anerkennung nicht 
versagt; zahlenmäßig sind sie freilich noch nicht bekannt 
geworden. Daß der Seeweg um Nordaaien herum doch noch 
einmal für Verkehrszwecke in Betracht kommen kann, scheint 
der Verfasser nicht für ausgeschlossen zu halten: ob mit 
Hecht, möchte aber doch wohl zu bezweifeln sein. Übrigens 
ist ihm offenbar der interessante russische Versuoh. Kisenbahn- 
material mit Schiffen durch das Karische Meer zum Jenissei, 
zu schaffen (190f>) entgangen. Den Gedanken, die Bering 
Straße für «inen Bahnbau zu untertunneln , bezeichnet der 
Verfasser zwar als abenteuerlich, doch erklärt er den Plan 
nicht direkt für eine Unmöglichkeit. Vermutlich ist er das 
bei dem heutigen Stande und dur Unternehmungslust der 
Technik auch nicht. Die Karten des Buches, für das unter 
anderem zahlreiche russische Zeitung»(|Uell*n verwertet sind, 
betreffen die Befestigungen von Port Arthur, von KiauUchou 
und die Uafenanlagen von Dalnij. 

Dr. Alfred Grand. Landeskunde von Österreich- 
Ungarn. Mit 10 Abb. und l Kart«. (Sammlung Oöechen, 
Xr. -J44.) Leipzig, Goscbensche Verlagshandlung, I«0&. 

o,S0 M. 

Die Verlagshandlung geht in ihrem I'lan, eine vollständige 
Reihe von einzelnen Länderkunden zu schaffen, systematisch 
vor und bietet in der Länderkunde von Österreich-Ungarn 
eines der handlichen Bücbelchen, die sich schon so viele 
Freunde gewonnen haben , so daß eine Anzeige genügt nnd 
besondere empfehlende Worte für sie unnötig sind. Was die 
Anordnung des Stoffes .betrifft, so folgt auf ein kurzes Kapitel 
über die Einteilung Österreich-Ungarns in natürliche Ein- 
heiten die Besprechung der physikalisch-geographischen Ver- 
hältnisse derselben in der Reihenfolge: Böhmisches Massiv, 
Ostalpen, Karpathen, Dinariscbos Gebirge, Ebenen Österreich- 
Ungarns. Weitere Abschnitte sind der 8taaL<blldung öster- 
reich-Ungarus und der Entstehung der heutigen nationalen 
und konfessionellen Verhältnisse gewidmet. Der letzte Teil 
handelt von der Dichte und Wohnweise der Bevölkerung und 
ist gleichfalls nach natürlichen Verhältnissen in Unterab- 
schnitte eingeteilt, Gr. 

Aloe Tweedle, Forfirio Diaz, der Schöpfer des heutigen 
Moxiko. Deutsche autorisierte Übertragung von B. Saworr». 
IX u. 30fl 8. Mit I« Abb. Berlin, B. Rehrs Verlag, 1»08. 
8 M. 

Der tatkräftige Mann, der seit einem Menschenalter den 
Präsidentenstuhl der Republik Mexiko einnimmt und in Macht 
und Einfluß einem Selbstherrscher fast ähnlicher sieht als 
einem Erwählten und Beauftragten «eine» Volkes, hat in diesem 
Werke ein schönes biographisches Denkmal gesetzt erhalten, 
das zwar nicht frei von Überschwenglichkeiten ist und häutig 
Kritik verträgt, aber doch lesenswert und wichtig genug ist. 
Vor allem ist das Buch aber auch interessant; denn die 
Lebeusschicksale Porflrio Diaz' waren in früheren Jahr- 
zehnten recht bewegt und abenteuerlich. Die Verfasserin hat 
von dem Präsidenten selbst manches Material erhalten. Am 
ausführlichsten sind die Jahre bis zum Beginn der ersten 
Amtsperiode, l»7fl, behandelt, auch die Episode des inexi- 
I kanischen Kaisertums Maximilians entrollt sich mit ihrer 
l Tragik von neuem vor uns. Kürzer ist naturgemäß die fried- 
liche Zeit dor Präsidentschaft behandelt, doch wird der kul- 
■ turellen Fortschritte, die Mexiko in ungeuhntem Maße dank 
Diaz' Tüchtigkeit gemacht hat, gebührend gedacht. Ob diese 
Entwickelung andauern wird — wer will es 
ist heute 7« Jahre alt und muß nach menschlichem 
bald vom Schauplatz abtreten (seine Amtszeit läuft bis 1K10). 
Es wird >te!> dann herausstellen, ob die Gesundung des Landes 
von Dauer ist oder ob sie nur von der Tatkraft einer macht- 
vollen Persönlichkeit abhängig gewesen ist. Das Buch ent- 
hält eine Anzahl von Porträts und Ansichten historischer 
Sutten, sowie im Anhang statistisches Material. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit Qoelloiuuigsb« gestattet. 

- Der Moutangexloge Konsul a. D. Dr. Carl Ochseuius, I hältoissen er aufs innigste vertraut wurde. Er hat die Re- 
geboren am «. März lü.i" in Kassel, ist am 1». Dezember in publik iu einem allerdings nur kurzgefaßten Werkchen, 
Marburg gestorben. Kr besuchte die polytechnische Schule ' „Chile, Land und Leute" (o* erschien in der inzwischen ein- 
seiner Vaterstadt, war dann im Moutaudienst Kurhesseit« . gegangenen Sammlung „Das Wissen der Gegenwart'), ge- 
tätig und schließlich jahrzehntelang iu Chile, mit dessen Ver- schildert (Prag lib4). Seine übrigen zahlreichen Arbeiten 



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Kleine Naohriohleu. 



sind meist moutantechnischer Art. Seit etwa So Jahren lebt' 
Ochsenius in Marburg, doch stcU in lebhafter Verbindung 
mit d«u in Chile 



— Im Alter von 1*4 Jahren starb am «. Oktober v. J. in 
Bevres der französische Geograph Louis Augu»te Himly, 
Mitglied der Academie des Sciences murales «t politii|Ue&. 
Geboren war er am SB. Man 1823 in Strasburg, »eine Stu- 
dien machte er auf deutschen Universitäten. 184« bin 1»«2 
war er Professor der Geachichto und Geographie am College 
Rollin, iO Jahr« lehrt« er an der Sorbnuno Geschichte der 
Geographie, die sein Hnuptstudlangebiet war. 8min bedeutend- 
sie« Werk, das ihm ISTri die Pforten des lnstitnLs öffnete, int 
die .Ilistoire de la formation territoriale des Ktnts de l'Ku- 
rojie centrale". IHM war llimly Vorsitzender der Pariser 
Gesellschaft. 



— Auch im vergangenen Jahre hat im Auftrage von 
Teisserenc de Bort l Trappe«) und Rotch (Rlue Hill) die 
Jacht .Otaria* zur Erforschung der oberen Luft- 
schichten zwischen den Wendekreisen im Atlantischen 
Ozean gekreuzt. Diese dritte Fahrt nahm :('/, Monate in 
Anspruch. Messungen mit Hilfe von Drachen und Ballons 
wurden im mittleren Teile des Nordatlantic, den äquatorialen 
Gebieten und im Sndatlantic bis Ascensiou ausgeführt. Die 
Messungen im Südwesten und Nordwesten der Kanälen be- 
stätigen den aus den früheren Beobachtungen der , Utaria' 
gewonnenen Schluß, daß der obere Antipassat aus Südost 
oder Südwest webt, nicht nur innerhalb der Tropen, sondern 
in der Regel nördlich bis zum .10. Breitengrade, und daO er 
sowohl über dem offenen Meere wie über deu Kanaren an- 
zutreffen ist. Weiler nordwärts verwandelt er sich in eineu 
Westwind. Die Arbeiten mit den Ballons soudos ergaben die 
neue und wichtige Tataache, daO Im Sommer über dem 
Ä(|Uator in den oberen Luftschichten vou mehr als 1'JlKRim 
sehr niedrige Temperaturen — bis — «o 0 C - herrschen, 
analog denen, die im Winter in derselben Höhe in unseren 
Breiten vorkommen. („Science", 2. Novbr. ISO«.) 

— Uber die Pflanzenwelt von Asceusion macht 
Hudmose Brown, der Botaniker der schottischen Südpolar- 
expedition, in don Transaotions der Kdiuburger „Botunical 
Society*, XXIII, einige Angaben, die sich auf einen Besuch 
der Insel durch das Expeditionsschiff .Scotia" im Jahre l»04 
stützen. Die Insel ist vulkanischer Bildung und besteht aus 
einer welligen Ebene zu Ffißeo des H7o in hohen brtiären 
Vulkaus Green Mountain. Die außerordentlich« Trockenheit 
der Laft, der Regenmangel — in Georgetown fallen kaum 
(»0 mm Niederschlage im Jahre — und die Gleichmäßigkeit 
der Temperatur bewirken, daß der Boden trocken und un- 
verwittert ist, so daß sich nur eine sehr dürftige Vegetation 
auf der Ebene entwickelt hat. Auf dem Green Mountain 
dagegen, der von 600 m ab häutig in Wolken gehüllt ist und 
dort Niederschläge von über 4:l0mm aufweist, wird man 
durch eine Oase reicher subtropischer Vegetation überrascht. 
Browns Liste gesammelter Pflanzen (2.'<) zeigt ein paar nuue 
Arten für Asceusion. Kr meint, es sei bei dem stark ver- 
änderten Zustande der heutigen Vegetation unmöglich, mit 
Sicherheit zu behaupten, daß davon irgen! welche einheimisch 
seien ; es sei aber auch kein Grund vorhanden, einige, davon 
als eingeführt zu betrachten. Die Sammlungen weisen auf 
keine neuen Verwandtschaften für die Flora von Ascension 
hin, das alle Kennzeichen langer Isolierung trägt und eine 
zu dürftige Flora hat, als daß sie bestimmte Verallgemeine- 
rungen bezüglich solcher Verwandtschaften gestaltet! würde. 

— Prof. de Calassanti-Motylinski, der in ('onstan- 
tiue den Lehrstuhl für ar.ihiscbe Sprache innehat und seit 
vielen Jahren die Rerberdialekte Nordafrikas studiert, hat 
im vorigen Jahre im Auftrage des Generalgouvcrneurs von 
Algerieu, des französischen Unterrichtsministers und des In- 
stituts eine Reise in das Gebiet der Hoggar-Tuareg 
ausji-'führt, Seiu Zweck war, wie wir verschiedenen No 
tizen in .La Geographie" entnehmen, eine F.rgänzung der 
jüngsten französischen Saharaforsch im gen nach der volk- 
lichen und sprachlichen Seite, de Motylinski war schon 
früher wahrend seines Aufenthaltes im Msab und im Bezirk 
Uardaia mit Hoggar • Tuareg in Beziehungen getreten und 
fand jetzt in deren Lande viel Entgegenkomme». Kr verließ 
im Mai Insalah in Begleitung von zehn Meharareitem und 
begab sich sofort nach Tainanratset im Süden des Kudia- 
massivs. Hier lieh ihm ein Verwandter des Hoggar Arne- i 
nukel seine wirksame l'ulcrstützuug, damit er mit den weit 
zerstreuten Hoggarstikmmen iu Verbindung treten könne. 
Tamannisset wurde de Motylinski« Standquartier, von wo I 



aus «r bis in den September hinein die Wüste durchstreifte, 
mehrfach unbekannt« uud selbst von den Tuareg für unzu- 
gänglich gehaltene Gegenden kennen lernend. So ermittelte 
er einen neuen, durch das Kudiamasaiv von Ost nach West 
führenden Weg. Gegen Mitte September verließ de Moty- 
linski Tnmanrasset. um im Oktober noch Sprachstudien in 
deu westlichen Tuutoasen zu treiben, worauf er im November 
über Timniimun, Kl-Golea und B wirft nach Cnn«tantine zu- 
rückkehrt«. Unter anderem hat de Motylinski auch viele 
Felsinwhriften sammeln können, so schon auf dem Wege 
vou Insalah nach Tamanrasset an verschiedenen Stellen. Von 
Tamaitrassel liesuchte er die Buineu und Gräber von Tiu- 
hinan bei Atialaasa und die kegel- »der tunnahnlichen Orab- 
inäler zwischen hier und Tit westlich vom Kudia. 



-- Wincklers Forschungen über die bethitische 
Kultur. Von der Vorderasiatischen Gesellschaft war im 
Juni v. J. Professor Hugo Winckler, Berlin, nach Kloinasien 
mit dem Auftrage gexaudl worden, in Üoghas-Kiöi, I.SO km 
ustlich vou Angora . nach deu dortigen Resten hetbitiseber 
Kultur zu graben. Winckler bat seine Grabungen Kode v. J. 
abgeschlossen uud neuerdings in einer Sitzung der Gesell- 
schaft darüber einen vorläufigen Bericht erstattet. Innerhalb 
der Umfassungsmauern der hethitischen Stadt, auf deren 
Stätte heute Boghas Kiöi sich erhebt, wurden über 2000 Ton- 
Lafelu und Fragmente ausgegraben , die Wiuckler für die 
Reste des zerstörten Staatsarchivs des Hothiterreiches hält, 
da seiner Ansicht nach Iiier die Reichshauptstadt gelegen 
hat. Von besonderem Interesse ist ein Fund: es ist eine größere 
Tafel, die in assyrischer Schrift den Text eines Bündnis- 
vertrages /.wischen Ranis«* II. von Ägypten und dem um 
1200 v. Chr. regierenden Hetbiterkönig einhält, während der- 
selbe Text in Hieroglyphenschrift an den Wanden de« Tempels 
von Karnak zu rinden ist. 



— Mit einem bisher unbekanuteu Kskimostamm, 
der auch noch keinen Weißen gesehen haben »oll, will einer 
englischen Zeitungsmeldung zufolge der Walfltchfanger-Kapitjiu 
Klinkenberg auf Prinz Albertland, der großen Intel im 
Norden der westlichen amerikanischen Festlandsküst«, jenseits 
dorDolphin und Unionsti aße, zusammengetroffen »ein. Klinken 
herg war im vorigen Sommer mit seinem Schiffe ostwärts 
bis Prinz Albertland vorgedrungen, wurde dort vom Kise 
eingeschlossen und machte in Begleitung einiger an der Küste 
wohnenden Kskimo einen Abstecher nach Nordwesten. Hier- 
bei traf er auf eiue '100 Kopie zahlende Kskimoansiedelung, 
deren Mitglieder noch mit keinem Weißen in Borüliruug ge- 
kommen sein sollen. Ihre Gerate waren sehr primitiv und 
zum Teil aus , einheimischem* Kupfer <*) verfertigt. Wo die 
Slelle liegt, ist zunächst nicht ersichtlich ; jedenfalls befindet 
sie sich an oder in der Nähe der Küste, da liemerkt wird, 
daß die Iveute von Fischfang leben. An sich würde der 
Fund nichts Wunderbares sein; indessen haben wohl alle 
Stämme, die im arklischon Amerika leben, schon von den 
Weißen gehört. 

- Bemerkungen über die russische Bnuernwoh- 
uung gibt Fräulein W.charusin in .Ktnografleeskoje Obozrö- 
nijo* (Ethnographische Rundschau 19<>'^. Nr. 2 — 3). Sie beziehen 
sich auf die Forschungen der Verfasserin in deu Fb-ckeu 
Wesselyje, Terny und einigen anliegenden Dörfern im Kreis 
Werchnednjeprowsk des Gouvernements Jekaterinoslaw. Die 
Orte liegen einige Werst von zwei Eisenbahnlinien entfernt; 
in der Nähe haben sich Kiseiihergwerke. rasch entwickelt, 
ferner gibt es dort vier deutsehe Kolonien , darunter Slein- 
feld und Grünfeld als die größten. Dies alles hat starten 
Kinlluß auf die einheimische Bevölkerung (Kleinrussen) aus- 
geübt , die bis vor kurzem noch ganz abgeschnitten vom 
Weltverkehr lehte. E» kommen rasch Teemaschinen (Samo- 
ware) iu Gebrauch, man gewohnt sich an Gewürze: Pfeffer, 
Senf, Kssig. Änderungen in der Kleidung treten ein. Vieles 
wird von den deutschen Kolonisten angvnomineu, so die Fuhr- 
werke llritwhkc (Kalesche) und die lange Arbe (vierrädriger 
Wagen». Aber auch die deutschen Kolonisten hahen manchen 
von ihren Nachbarn angenommen , so den von jenen selbst 
so genannten .russischen* Ofen, die Suppe Borschtsch und 
andore kleinru»si«che Speisen. 

FHiuliii» Chartisiu beschreibt die Anlage des dortigen 
Dorfes, die Lage der Hofe zur Dorfstraße uud zueinander 
selbst. Das Baumaterial ist hier gekneteter, mit Spreu durch - 
menirier Lehm; aus ihm werden die Wände und der Fuß- 
boden gemacht. Die Decke besteht aus Kalken und Brettern, 
auf die Schilf, feuchte Asche und zuletzt wieder eiue Lehm- 
schicht gebracht wird. Hierauf wird das mit Strub gede. *i.- 



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Kleine Nachrichten. 



I>nch aufgesetzt; et füllt nach vier Seiten ab I Walmdach), 
oiler in neuerer Zeit häutiger nach zwei Seiteu (Satteldach), 
wobei an den Querfronten Giebel entstehen. 

Das einfuchste Wohnhaus U'steht au* der HausMur. von 
der zuweilen «ine Kammer abgeteilt ist, und der Wohnstube. 
Bei großen Familien wird auf der anderen Seite dem Haus- 
flur noch eine zweite Wohnstube angebaut: eine jede hat 
datin ihren besonderen Ofen, dessen Ksse direkt durch die Decke 
und das Dach in* Freie tcut. Die Wirtschaftsgebäude sind 
vom Wohnhaus getrennt und planlos auf dem Hofe verteilt. 
Pferde-, Kuh-, Schaf-, Höhner-. Kntenstall, die Getreiderieye 
(klunja), dazu Haufen von Heisig, trocknem Kuhmist (kizjak; 
zum Heizen) ubw. Erst in neuerer Zeit sind auch Gebäude 
entstanden . in denen nach dem Munter der Bauten bei den 
deutschon Kolonisten das Wohnhau« mit Wirtschaftsgebäuden 
unter einem Dache vereinigt ist. Aber damit ist die Zimmer- 
anlage des deutschen Hauses nicht nngcnommou worden. 
Das russische Haus besteht vielmehr immer noch aus Haus- 
flur und Wohnstube; e* hat sich, von einem Satteldach ge- 
krönt, nur in die Läug" gezogen , weil ihm Pferdestall, 
Schuppen und Schweinestall angereiht worden «ind. Bei 
solchen Häusern findet sich auch zuweilen ein Vorbau vor 
der Kingangstür zur Hausflur, wie er bei den deutschen 
Kolonisten gebrauchlich und hier stets mit breiten Kenstern 
an beiden Wänden versehen ist. 

Zu größerer Deutlichkeit hat Fräulein Cliarwtiti mehrere 
Häuser - nach ihrer Anlage und Ausstattung unter Beigabe 
von Plänen genau beschriebet!, und außerdem sind noch 
fünf Häuser nach photographischen Aufnahmen abgebildet. 
Darunter befindet sich eine sogenannte Biege (klunja), in die 
das ausgedroschen» Getreide geschüttet, wird. Getreide- 
darren (ovlny) gibt es in jener (legend nicht. P 



— Macgregors Besuch der Ostkiiste vr>n Labra- 
dor. Sir William Macgregor, der jetzt Gouverneur von Neu- 
fundland ist, bat kürzlich der Küste von Labrador einen 
Besuch abgestattet und darüber eiueu manches Neue bieten- 
den Bericht erstattet- Di« gesamte den Winter über in La- 
brador zubriugende Bevölkerung betragt nur 4000 Seelen, 
von denen etwa IO00 eingeborene Innnit (Eskimo) und 
Mischlinge, sogenannte Bettler sind; im Sommer wächst diese 
Zahl infolge des Zuströmens von Fischern usw. auf 20000 bis 
23000 an. Der Export hatlo 1905 einen Wert von »0825*3 
Dollar, wovon auf getrockneten Kabeljau 2938468 Dollar 
vutfallen, während der Best von öeehundsfellen, Lachs, Pelz- 
werk, Holz und Fischbein dargestellt wird. Ackerbau ist so 
gut wie gar nicht vorhauden. Die dortigen Missionare, die 
Mährischen Brüder, ziehen mit großer Mühe etwas Kohl, 
Kuben und, durch Überdecken mit Matten, KaitolTe.lii. Viele 
Angaben Macgregors betreffen die klimatischen Verhaltnisse. 
In Uopedale (kl' 27' nördl. Br.) betrug die Maximaltempcra- 
tur nur 0,5° (' im April, 12,8* im Mai, daseien 21° im Juni, 
27,8* im Juli und So" im August; die Miniina dieser Monate 
waren —24«. —21..'.°, - <i 1 5 , 1 -2.8° und - -2,3°. Der Früh- 
ling tritt in Wirklichkeit erst im Spätsommer ein. Anfang 
August waren in (Jhateau (52*) die Kohlköpfe und Hüben 
erst 5 bis 7 cm hoch, die Eberesche war in der ersten Blüte, 
während sie in St. Johns auf Neufundland rote Beeren trug; 
auch die Lärche blühte damals. Die Zwergniaulbcere (dort 
.bakeapple" genannt), die in Schottland nicht tiefer als in 
3ttfl bis 4M) in Höhe gefunden wird, wächst hier nu der Küste, 
Übe 



die Moosbeere. Uber die llngenauigkeit der Karten, 
sogar der der Küste, klagt auch Macgregor. So ist, was auf 
den Karten als lUlbiusel Chidley erscheint, in Wirklichkeit 
•in« Gruppe vieler, durch enge und tief« Kanäle geschiedener 
Inseln. (.Geogr. Journ.". Dezember 190«.) 



— Kine Beis« durch das westliche Tibet im Gebiet 
des oberen Indus hat v<»u Juli Iiis September v. .1. H. t'al- 
vert, der Assistant t omniissioner von Kulu (Gegend nördlich 
von Simla), ausgeführt. Er überschritt die tibetanische 
Grenze am 17. .Juli nach Schipki, das am oberen Sutlej liegt, 
uud erreichte auf einem noch nicht betretenen Wege über 
die 4i>SO bis 480O ui hohe T.ichuuiurti-Kbene und den Luotschc- 
paß die „Stadt" Gartok am Gartang-IiidUH, wo die Kngländer 
jetzt Marktrecht haben. Gartok ist indessen nur ein arm- 
seliges Dorf von 15 Häusern und einigen Zelten. Von da 
machte l'alvcrt einen Atwteeher südwärts nach Garguns», 
einem ebenfalls traurigen, inmitten eines Sumpfes gelege- 
nen Flecken, der jedoch neun Monate im Jahre Hauptort 
der tibetanischen Grenzprovinz Nari - Khorsum ist. Am 
20. August verließ falvert vou neuem Gartok und zog nord- 



östlich auf einer neuen Boutc über Tschukang am Indus, der 
hier, schmal und durchwatbar, iu einem engen, tiefen Tat 
dahinfließt, nach deu berühmten Goldfeldern von Thok-Dscha- 
lung. Diese waren jedoch verlassen, und die Goldgräber hatten 
sich nach dem beuaclibarten Tliok-Dalung begeben, das t'al- 
vert am nächsten Ta^e erreichte. Hier traf er einen .Serpon", 
einen Beamten aus Lbaasa, der zur Erhebung der Abgabe von 
den Goldgräbern hergekommen war. Calvvrteah sieb als erster 
Europäer diese Goldfelder sehr genau an. Danu begab er 
sich in nordwestlicher Bichtung nach dem malerisch auf 
einer Felsrrhebung erbauten, doch größtenteils in Trümmern 
liegenden Budok, von da nach dem großen Kloster Taschl- 
jong am Indus und über den Ikmgropaß (5825 m), die Tschu- 
murti Ebene und den noch schwierigeren Badpopaß (SWOm) 
nach Schipki zurück. Wochenlang hatte die Expedition sich 
iu Höhen von nicht unter 4.',oom aufgehalten. Die Tibetaner 
hatten «ich im allgemeinen freundlich verhalten. 



— Die Zahl der Bewohnerschaft Neukaledoniens 
Iwti'ug nach dein Zensus vom 15. April 1906 ohne das Militär 
5256U gegen 54415 im Jahre 1901. Die Abnahme beruht 
nuf der Verminderung der Deportierten, deren Zahl I9'8t 
7914 gege-n 1050« im Jahre 1901 betrug. Die freie weifle 
Bevölkerung war 12»«« Köpfe stark |geg»D 12253), die Misch- 
liugslievölkerung .13.1« (gegen «148). Die Zahl der Ein- 
geborenen, die sich früher »ehr verminderte, blieb stationär: 
27«»:« im Jahre 1906 gegen »;?«« im Jahre 1901. 



— Über die Bepublik Kuba, die neuerdings den Ameri- 
kanern wieder Kopfschmerzen bereitet, seien hier einige An- 
gaben mitgeteilt, die neueren amerikanischen Veröffentlichungen 
entnommen sind. Die Bevölkerungszahl betrug 1899, nach 
Beendigung des Kriege» mit Spanien, 157271*7 gegen 1«31«37 
nach dem spanischen Zensus von 1887. (Der Verlust ist der In- 
surrektion zuzuschreiben.) 190h belief sie sich auf I «6»486, 
und beute mag sie 1700 000 erreicht haben. Havanna hat 
mehr als 276000 Einwohner. Gebessert haben sich seit der 
spanischen Zeit die Gesiindheitsverhftltnisse infolge sanitärer 
Einrichtungen; die jährliche Sterblichkeitsziffer , die l*B5 
29,-1 pro tausend betrug, hat sich 1902 auf 15,4 und 1903 
auf 14,5 vermindert, besonders, weil man dem Gelben 
Fieber wirksam begegnet ist. Die dichteste Bcvölkeruug hat 
die Provinz Havanua mit 51» nuf den Quadratkilometer, die 
dünnst» t'amaguey (in der Mitte der Insel) mit 9,1. Man 
hat berechnet, daß Kuba eine Einwohnerzahl von 15 Millionen 
he<|Uem ernähren kann; denn es ist noch viel geeignetes Land 
nicht bewohnt und nicht unter Kultur. 51,« Proz. der Be- 
völkerung sind männlichen, 48,2 weiblichen Geschlechts. Dieses 
Verhältnis dürfte auf die starke Einwanderung zurückzuführen 
sein. Sie betrug 1902 1189» Köpfe. 1906 54221, wobei die 
Amerikaner aus der Union nicht mitgerechnet sind, die in 
einer Anzahl von nur ««00 auf Kuba wohnen. Das Haupt 
kontingent der Einwanderer stellen die Spanier. 1905 mit 87 1W. 
Was die Ka**e anlangt , so waren bei der letzten Zählung 
(1903) 58 I'roz. eingeborene Weiße, 9 Proz. fremde Weiße und 
32 Proz. Farbige vorhanden. Die Zahl der Analphabeten 
(solcher, die weder eine Sprache lesen uoch schreiben können) 
betrug 1899 unter der weiüeu Bevölkerung noch 61 (!) I'roz-, 
unter der farbigen 74 I'roz. Das Verhältnis soll seitdem er- 
heblich günstiger geworden sein; in der Tat gibt es jetzt 
3700 öffentliche Schulen. Der auswärtige Handel Kubas wird 
jetzt auf über 2uo Millionen Dollar angegeben (95 Millionen 
Import, 110 Millionen Export). Am Import waren die Ver- 
einigten Staaten 190« mit 48 Millionen Dollar oder 50 Proz., 
am Export mit 87 I'roz. beteiligt. Das auf Kuba investierte 
amerikanische Kapital beträgt 120 Millionen Dollar, das 
englische gegen luu Millionen. Kuba i«t vorwiegend ein Acker- 
hsu treibendes Land: vor dem Kriege zählte man dort 90960 
Plantagen, Farmen und Obstgarten . deren Gesamtwert auf 
200 Millionen Dollar geschützt wurde. Industrieerzeugnisse 
gab e.s fast gar nicht bis auf die der Zlgarreufabriken und 
Zuckermülileu. Zucker , Tabak und Früchte sind heute die 
Hauptpnxlukle der Insel, dagegen wird Kaffee jetzt nur 
wenig über den eigenen Bedurf der Kubaner hinaus gebaut. 
Der erwäbute Mangel au Industrie, mit Ausnahme einiger 
Spezialitäten, ist eine Folge der spanischen inneren Politik 
und der langen Sklaverei. Es u'ibt unter den Kubanern 
selbst wenig geschickt* Arbeiter oder Handwerker, Uud die 
vorhandenen sind meist von Übersee oingewaudert. Dem 
Bedarf au solchen Kräften können sie jedoch nicht genügen, 
und so hat auch Kuba »ein« Arbeiterfrage, dif 
Charakter trägt. 



It. Siniccr, : 



Ii, llsnptatrsSr Iis. Dniok: Kr I r. V i ■-«■<> K u Suhn.tBmun.i liwsigj. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON* H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Pbof. Dr. RICHARD AND REE. 

VERLAG von KRIEDR, VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 3. 



BRAUNSCHWEIG. 



17. Januar 1907. 



nur o»ch Obireliikunft mit der VarU<rab.uullun|r (mullm. 



Über die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen und ihre 
Beziehungen zu den Wandervölkern. 

Von Gustav Fritsch. 
(Schluß.) 

Das erst in jüngerer Zeit erschlossene Queensland Kultur erklommen hatte. Da die Südostecke Australiens 
ist das Hauptstandquartier deB ersten Typus, die von die Abweichungen vom Queensland-Typus am deutlichsten 
hier stemmenden Schädel zeigen die angegebenen Merk- zeigt, wird man wohl in der Annahme nicht fehlgehen, 
male am ausgeprägtesten, daß die fraglichen F.le- 



hier sieht man noch heuti- 
gentags lebende Personen, 
die den Typus deutlich 
erkennen lasseu. Im Nor- 
den erstreckt sich dies 
Gebiet bis zur Küste, aber 
auch die zentralen, «u 
Victoria, sowie Australia- 
West geschlagenen Ge- 
biete gehören ethnogra- 
phisch dazu , sowie der 
nördliche Teil von Neu- 
Süd -Wales. Der zweite 
Typus ist hauptsächlich 
im südlichen Teile von 
Nen- Süd -Wale«, im süd- 
lichen Victoria und den 
Küstengebieten des Süd- 
westens vertreten und 
zeigt in den schon früh 
kultivierten und zum Teil 
mit Kolonisten dicht be- 
setzten Landstrichen cha- 
rakteristischerweise eine 
größere Widerstandskraft 
als in den öden nördlichen 
Gebieten. 

Diese allmählich auf- 
fallender werdende Ab- 
Schwächung des ausge- 
prägten Typus mit der 
F.ntfernung von dem 
Queensland - Zentrum ge- 
gen die Südküste, die ab- 
weichende, vorteilhaftere 

Körperentwickelung und die größere Widerstandskraft 
gegen die Schädigung durch die eindringend«* Zivili- 
sation deuten darauf hin , daß hier ein Kevölkerunga- 
elemeut hinzugetreten int, welches die un vermischte 
Urbevölkerung an Vervollkommuungsf&higkeit weit über- 




Abb. tu. Papna-Mann vom Hyon-Golf. Neuguinea. 



mcnte hier von der See- 
seite eingedrungen sind, 
und die gar nicht mehr 
typischen, jetzt unter- 
gegangenen tasmani- 
schen Eingeborenen mö- 
gen ihnen nahe gestan- 
den haben. 

1 liese Tasmanier aber 
bildeten ethnographisch 
wiederum eine Brücke, 
welche zu den melaneai- 
schen Stämmen der nord- 
östlichen Inselwelt hin- 
überführt«, also zu Stäm- 
men , welche nicht als 
Urbevölkerungen in un- 
serem Sinne, sondern als 
Wandervölker zu be- 
trachten sind. 

Die Öde und Abge- 
schlossenheit des austra- 
lischen Kontinentes, wel- 
che in ihm eine so rück- 
ständige Tierwelt wie die 
Beuteltiere und das Eior 
legende Schnabeltier er- 
hielt, hat auch eine so 
ausgedehnte, rückstän- 
dige menschliche Bevöl- 
kerung, welche sicher 
zu den ältesten Erschei- 
nungen des menschlichen 
Geschlechtes auf der F.rde 
gehört, bis auf unsere 
Tage bewahrt. Die Rekonstruktion des Pitheoanthro- 
pus erectus, welche in so verunglückter Form auf dorn 
Pariser Kongreß erschien , hätte sich wohl richtiger an 
den Australiertypus angelehnt, dem er ja auch räum- 
lich nahe steht; nach dein Schenkelbein zu schließen, hat 



ragte, wenn us auch selbst noch keine hohe Stufe der der Pithecanthropus sicher keine Affvnbeine, sondern 

OUibii» XCI. .Nr. i t> 




Abb. II. Kinireborenengruppe von Kuba, Sriloiiionln n. 



Menschcnheine. ähnlich wie diu Australier, k'chabt. Doch 
es dürft« atigezeigt sein, die allgemeinen Betrachtungen 
auf eine spätere Zeit zu verschieben, wenn ein voll- 
ständigerer Überblick gewonnen wurde, und hier zunächst 
den Beziehungen nachzugehen, welche sich hei der Be- 
trachtung östlicher und nordöstlicher Bevölkerungen des 
Archipels ergeben, wo sich die Verhältnisse durch die 
Eigentümlichkeit der geographischen Lage ganz besonders 
▼erwickelt gestalten und die verschiedenen Völkerströuiuu- 
gen bo verschlungen sind, daß es wohl niemals gelingen 
wird, sie aufzulösen. 

Fussen wir unleugbare, wissenschaftliche Tatsachen 
ins Auge, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dnli es 
sich ursprünglich um mehrere Volksstrümungen handelte, 
deren Spuren wegen ihrer absolut ungleichen Mächtig- 
keit sich in äußerst verschiedenem Maße erhalten haben, 
als deren Verschlingung aber wir den gordischen Knoten 
betrachten müssen. 

Von diesen Strömungen steht wegen ihrer hervor- 
ragenden Mächtigkeit die indo-chinesische (malaiische) 
obenan. Die nach Norden in dünnen 
Linien durch den Osten des Archipels 
ausstrahlende australische Urbevölkerung 
konnte derselben ernsten Widerstand nir- 
gends entgegensetzen; nur die Wildheit 
des Heimatlandes und die Unzugänglich- 
keit der Wohnplätze gewährte den r'rüher- 
konniienden einen unsicheren Schutz. Kiue 
andere Volksströmung, obwohl ihrem In- 
halt nach die schwächste, ist von beson- 
derer Wichtigkeit, freilich auch von ebenso 
großer Schwierigkeit einer sicheren Fest- 
legung. Die Schwierigkeiten dafür sind 
in der Tat so groß, daß die meisten Kor- 
scher von dem Versuch einer Lusung 
überhaupt Abstand genommen haben. 

Indessen ist es kaum im Sinne unserer 
Wissenschaft, eine so wichtige Frage, 
bloß weil die Lösung vorläufig aussichtslos 
erscheint, einfach achselzuckvnd beiseite 
zu schieben und als Vogel Strauß den 
Kopf in den Busch zu stecken, um die 
zu erklärenden Tatsachen nicht zu sehen. 
Man wird diese auch im Osten nachweis- 
bare Volksströmung am besten die „ni- 
gritische* nennen, da die Bezeichnung 



„afrikanisch" den Vorwurf 
einer gewissen Voreingenom- 
menheit erwecken dürfte. 

In der Tat kann es kei- 
nem Zweifel uuterliegen. daß 
auch im tropischen Osten 
Rest« von Bevölkerungs- 
elementen, sowie die Spuren 
von Blutmischlingen auf- 
tauchen, welche im Sinne der 
physischen Anthropologie 
den afrikanischen Stämmen 
beizuordnen sind. Ohne die 
Gegenden selbst bereist zu 
haben, hätte ich einen sol- 
chen Ausspruch vielleicht 
nicht gewagt , da manche 
somatische Verschiedenheiten 
sich als unübersteigliche 
Mauer zwischen dem Osten 
und Westen aufzubauen 
schienen. Wie so häutig er- 
wies sich bei genauerer Be- 
der Nähe durchaus nicht als 



traebtuug die Mauer in 
unübersteiglich. 

Olienan stand für mich nach sonstigen Erfahrungen 
die Ilaarfrage, das wichtigste Rassenmerkmal überhaupt. 
Die Berücke eines i'apua, eiues Bewohners der Neuen 
Hebriden, von Neu - Pommern oder Neu-Mecklenburg, 
welche auf deu Photographien einen fremdartigen, nicht 
eigentlich afrikanischen Eindruck machte, steht nach den 
in meinen Besitz gelangten Proben keineswegs so fern 
▼on Haarbildungen, wie sie an der Ostküste Afrikas, be- 
sonders im Zululande, noch heute beobachtet werden 
(Fig. 10). Hier wie dort ist das natürliche Wachstum 
durch künstliche Einwirkungen häufig bis zur Unkennt- 
lichkeit verwischt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß 
typisches Zulubaar einen ovalen Querschnitt zeigt und 
mit spiraliger Drehung die Wurzelscheiden verläßt; gleich- 
wohl linden sich im Zululande (vgl. I nf. II meines Atlas 
der Eingeborenen Süd-Afrikas") Haartrachten, welche 

") Die Eingeborenen Süd-Afrikas, anatomisch und ethno- 
graphisch beschrieben. Iireslau 187a, 




Abb. IS. Trauen und Kinder aus Neu-Mecklenburg. 



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80 



ein« weitgehende Übereinstimmung mit dem Haaraufbau 
der Papua zeigen. leb babe bereit« vor Jahren nach- 
gewiesen, daß auch das Haar der I'upua einen ab- 
geplatteten, fast bandförmigen Querschnitt zeigt; die 
Haare ordnen sich daher auch apiralig auf der Kopfhaut, 
wenn man nie ihrem natürlichen Wachstom überläßt, 
bzw. kehren in dasaelbe zurück, wo da« Verhältnis nicht 
durch künstliche Kingriffe gestört wird. Die dichten, 
verfilzten Perücken der Zulu wie der Pnpua entstehen 
durch das andauernde Auseinandcrzerren der lieh zu 
Zotteln verfilzenden Spiralhaare, welche dabei in weite, 
nicht mehr deutliche Spiralen übergehen und »ich mit 
den Nachbar- 
haaren zu der 

bekannten, 
faüt schwam- 
uiig anzu- 
fühlenden 
Perückenbil- 
dung vereini- 
gen. Line in 
meinen Hän- 
den befind- 
liche Probe 
zeigt außer 
der allgemei- 
nen verfilzten 
Anordnung 
im Nacken 
achmale Zot- 
teln, am Knde 
durch fremde 
Beimengun- 
gen verklebt, 
an der Wurzel 
aber aus deut- 
lich apiralig 

gedrehten 
Haaren gebil- 
det. 

OlTonbar 
sind es aber 
nicht die Pa- 
pua, welche 
die deutlichste 

Verwandt- 
schaft mit 
afrikanischen 

Bildungen 
zeigen , son- 
dern zuuücbst 
kommen hier- 
bei die bereits 

oben beschriebenen Andainanen in Betracht, deren Haar 
so typisch afrikanisch ist, wie irgend welches aus dem 
Kontinent selbst entnommene. Dazu kommt die eben- 
so unzweifelhaft afrikanische Hautfarbe der Andamauen, 
während die Schädelbildung, wie erwähnt, durch den 
hohen I.ftngon-Breitcnindex sieb allerdings von dem ver- 
breitetsten dortigen Typus entfernt. 

Nun, die Andamauen sind da, auf ihren einsamen 
Inseln unfern der hinterindischen Küsten, und niemand 
wird behaupten wollen, daß sie dort au Ort und Stelle 
entstanden sind als eine isolierte Menschenschöpfung. 
Klier möchte mau wohl annehmen, daß der Teufel, im 
Begriff, einen verdammten afrikanischen Stamm im Sack 
nach der Hölle zu schleppen, über den Andamauen ein 
Paar durch ein Loch des Sackes verloren hat. Da sie 
so klein sind, konnten sie leicht bindurchseblüpfun; kleiue 




Abb. 12. Eingeborene der (ia/elb i-n-llalblnsel von nnstruloldem Aussehen. 



Stämme gibt es aber auch sonst in Afrika, denen sie außer- 
dem durch andere Merkmale, wie die Hinneigung zur 
Steatopygie bei den Kranen, nahe stehen. 

In der Tat sind die Papua nicht annähernd so aus- 
gesprochen nigritisch als die Andatuaneu; wurde oben 
von mir die ungelöste Krage aufgeworfen, warum die 
indischen Bevölkerungen so auffallend dunkel sind, 
80 könnte man hier eine andere entgegenstellen: warum 
die Papua verhältnismäßig, d. h. für eine nigritiache 
Rasse, so hell sind. Man wird wohl nicht fehl gehen, 
wenn mau dieses Merkmal indochinesischen t malaiischen) 
Einwirkungen zuschreibt, obgleich solche Einwirkungen 

im übrigen 
wenig ersicht- 
lichen Einfluß 
auf ihre physi- 
sche Erschei- 
nung ausge- 
übt haben. 
Die eigentüm- 
liche Zähig- 
keit der nigri- 
tischen Merk- 
malebewährte 
sich gegen- 
über den ver- 
mutlich nur 
schwachen 
Beimischun- 
gen solchen 
Blutes in be- 
merkenswer- 
ter Weise. Im- 
merhin hat 
man im Hin- 
blick auf diese 
Verhältnisse 
zunächst Be- 
denken , den 
im Westen 
durch die 
starken indi- 
schen und ma- 
laiischen Strö- 
mungen ab- 
gerissenen 
Kaden nigri- 
tischer Kiu- 
Witnderungen 
wieder anzu- 
knüpfen, doch 
unterliegt die 
Verschieden- 
heit der Hautfärbung offenbar noch manchen, ungenügend 
bekannten Bedingungen. 

Dies leuchtet unmittelbar ein, wenn wir noch weiter 
östlich im mslunesischen Gebiet auf den Salouioninteln 
und den Hebriden Eingeboreue beobachten, deren Haut- 
farbe von einem so kräftigen Schwarz ist, wie man es 
kaum in Afrika findet, wie es wenigstens die Bantu- 
stämme nirgends aufweisen. Auch bei den Kingoborenen 
der Salonioninseln oder „üuka", nach der nördlichsten 
Insel benannt, ist das Haar in afrikanischer Weise 
apiralig gedreht, doch wird es nicht zu so mächtigen 
Perücken entwickelt wie bei den Papua. Die Erschei- 
nung solcher Bukaleute ist häufig in dem Maße 
afrikanisch, daß ich mich nicht anheischig 
machen möchte, dieselben sicher herauszu- 
finden, wonn sie ohue besondere künstliche 

0* 



Googte 



Gustav Krittelt: Uber die Verbreitung diu- östlichen Urbevölkerungen 



Merkmale unter einen Trupp zentralafrika- 
nischer Nigritier untergemischt würden (Abb. Hl 

lCa ist, als wenn die ostwärts vordringenden nigri- 
tischen Elemente, im Rücken von den feindlichen und 
viel mächtigeren Volksstroinungen gedrängt, sich auf 
diesen Inselgruppen zusammengefunden hiitten und hier 
einer weitereu Bodrängung nicht ausgesetzt wurden. 

Die Gesichtszüge sind allerdings nicht so, wie sich 
die Leute gewöhnlich deu unglückseligen typischen Neger 
nach Blumenbach vorstellen, aber dasaellt« gilt auch von 
dem größten Teil der in Afrika unter dem Begriff „Neger u 
zusammengefaßten Stämme. Die Lippen sind nicht so 
stark gowulstot, dio Prognathie ist nur mäßig, die Stirn 
gut entwickelt, die Jochbeine nicht ungewöhnlich stark. 

Weiter als bis zu den ge- 
nannten Inseln und hinunter 
nach Tasmanien (?) scheint die 
nigri tische Strömung nicht vor- 
gedrungen zu sein, wenu auch 
vielleicht einzelne Individuen 
zufällig oder gewaltsam ver- 
schleppt auf andere Iusel- 
gruppen gekommen sein mö- 
gen; da dio gefangeneu Feinde 
als Regel aufgefressen wurden, 
mußte »ich die Abgrenzung 
trotzdem reiner erhalten . als 
unter anderen Verhältnissen 
möglich gewesen wäre. 

Wie verschieden sich die 
Bewohner nahe benachbarter 
Inseln gestalten können, ist im 
Archipel überall zu beobachten 
und muß als tatsächlicher Be- 
fund in Bechnung gestellt wer- 
den, ohne daß wir sofort, wie 
es gerade von Ortskundigen 
häufig geschioht, jede ver- 
wandtschaftliche Beziehung 
zwischen den physisch und 
noch mehr linguistisch stark 
voneinander abweichenden 
Volkselementen zu leugnen 
brauchten. 

Wäre dies der KhII , so 
stünden wir in den betreffen- 
den (iogenden einem Chaos 
gegenüber, mit dem die ethno- 
graphische Wissenschaft nie- 
mals etwas anfangen könnte. 

Außer den eigentlichen 
Papua von Neu-Guinea hüben 

wir im inelanesischen Gebiet unter deutscher Herrschaft 
noch mehrere abweichende Stamme zu verzeichnen, dio 
so verschiedene Sprachen sprechen, daß sie sich über- 
haupt nicht verstellen. Da sind zunächst die primitivsten 
und, wie man annimmt, ältesten Bewohner von Neu- 
Pommern, die Bainingor, welche die steilen Gebirge 
der Gazellenhalbinsel und wohl auch weiter westlich be- 
wohnen und von deu KUstcubewohnern wie wilde Tiere 
angesehen werden, mit denen sie nur gelegentlich einen un- 
bedeutenden Austausch von Produkten haben. Sie machteu 
sieh vor zwei Jahren unangenehm bemerkbar durch die 
Krmordung dos Missionars Pater Rascher mit neun anderen 
Missionaren und Schwestern. Bei der auf die Mordtat 
folgenden Strafuzpedition wurden alsdann die Stämme 
zum großen Teil vernichtet, der Rest unterwarf sich. 

Dio Hautfarbe der Baininger ist nach Entfernung des 
unglaublichen Schmutzes eher etwas heller uls die der 




Abb. 14. 



Kiistenbowohner, die Gestalt ist weniger kräftig ent- 
wickelt, die Gesichter nähern sich zuweilen infolge der 
kurzen, aufgestülpten Nase mit eingedrückter Wurzel 
etwas dem Australiertypus. Die Kopfhaare, meist durch 
Kalk entfärbt, hängen in wilden Strähnen um den Kopf, 
das Gesicht der erwachsenen Männer ist häutig durch einen 
dünnen, struppigen, sog. Seemannsbart eingefaßt, während 
Kinn und Lippen keine oder schwache Behaarung zeigen. 
In einer bestimmten Gegend Neu-Pommerns tragen die 
Mäuner häufig einen fußlangen Vollbart, dessen Haare 
in dicke, aus der Entfernung wie Locken erscheinende 
Strähne verfilzt sind. Ringwurm ist unter ihnen von 
einer entsetzlichen Verbreitung. 

Die größere Masse der Bewohner auf derGazellcnhalb- 
insel kommt sich den eigent- 
lichen Bainiugern gegenüber 
sehr erhaben vor; indessen 
spricht schon die Unsicher- 
heit und das Schwankende im 
Aussehen für eine allmählich 
erfolgte Abänderung der 
Küstenbevölkerungen durch 
gelegentliche Beimischungen 
mit Elementen der Berg- 
stämme. Früher raubten dio 
Leute der Küstenbevölkerung 
Baininger, besonders Weiber, 
um sie als Sklaven zu benutzen, 
und auch jetzt noch werden 
auf friedlichem Wege häufig 
Frauen dieser Stämme erwor- 
ben. Die Vermischung ist also 
tatsächlich zu begründen. Als 
ich im Innern unter ihnen ver- 
weilte, wo von verschiedenen 
Gegenden die Leute zum Ge- 
richtstag zusammengeströmt 
waren, konnte ich nicht um- 
hin, diesen abweichenden Ha- 
bitus zu beobachten, und daß 
nicht selten Personen unter 
ihnen erschienen , welche die 
Aitstraliermerkmale noch 
ausgeprägter zeigen als 
die eigentlichen Bainin- 
ger (Abb. 12). 

Seitdem sind etwa 100 
Schädel von Bewohnern der 
Gazellenhalhinsel dureb meine 
Hände gegangen, von denen 
die besterhaltenen (über 50) 
mein Eigontuin geworden siud, 
und es kann auch an diesen der Beweis geführt werden, 
daß Bilduugen unter ihnen auftreten, welche lebhaft an 
typische Australierschädel erinnern. Die genauere 
Untersuchung wird dafür leicht zahlenmäßige Belege 
bringen können. 

Gänzlich abweichend sind die Schädel der Bewohner 
eines bestimmten Bezirkes der Südküste von Neu- 
Pommern, welche auch sonst durch robusten Körperbau 
und eigentümlich grobe Züge von den übrigen abweichen. 
Die Schädelform ist durch Binden künstlich verunstaltet, 
so daß der Schädel nach Iiiuten ansteigt (Turrikephalus); 
die Leute werden daher mit dem ziemlich ungeeigneten 
Namen n >pitzköpfe" belegt. Auch dieses Vorkommen 
ist wegen seiner Isoliertheit sehr merkwürdig. 

Die Länder wären übrigens ethnographisch ent- 
schieden minderwertig, wenn nicht das zeitgemäße Mär- 
chan von den Zwcrgeu im Innern bei ihuou ebenfalls in 




Anslralolder Eingeborener der 
Neuen Hebrlden. 



Google 



fiuatav l'ritsch: Über die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen usw. 



41 




Atib. 15. 
Attas-Frau nus Nord-Lnzon 



Szene genetzt worden 
wäre , selbstverständlich 
hier ebenso beweislos wie 
an anderen Orten. 

Die Bewohner der 
langgestreckten Insel 
Neu - Mecklenburg find 
woder mit den Papua von 
Neu -Guinea, noch mit 
den Bewohnern von Neu- 
I'ommern ganz überein- 
stimmend, noch auch mit 
denjenigen von Neu- 
Lauenburg (Abb. 13). 
Sprachlich verständigen 
können sich von den 
verschiedenen bezeich- 
neten Bevölkernngs- 
eletneuten nur die Küstun- 
bewohner von Neu-I'om- 
mern mit denen von Neu- 
Lauenbnrg und einiger- 
maßen mit den Bewoh- 
nern der Landschaft I.aur 
von Neu • Mecklenburg. 
Die Hainingsprache ist 
durchaus verschieden. 
Wer alle die verschiede- 
nen sprachlichen Stimme 
(in Neu -Pommern allein 
drei) als besondere Rassen 
hinstellen will, wird bald 
die Undurchfuhrbarkeit 
des angewandten Prinzips 
einsehen müssen; jeden- 
falls darf die physische Anthropologie demselben gegen- 
über ihre eigenen Wege gehen. Als wichtigstes Ergeb- 
nis der oben flüchtig skizzierten Vergleichungen möchte 
ich die Überzeugung festhalten, daß durch die west- 
lichen Teile des niolanesischcn Gebietes eine der 
australischen Rasse verwandte Unterströmung 
in der Bevölkerung nachweisbar ist, welche sich 
weiter nach Norden verfolgen läßt. 

Die strenge linguistische Forschung hat zu den ohne- 
hin großen Schwierigkeiten, welche sich einer vernünftigen 
Lösung der sebwobanden ethnographischen Fragen des 
Archipels entgegenstellen, eine weitere hinzugefügt, welche 
bisher noch nicht berührt wurde. Es unterliegt keinem 
Zweifel, daß die rein polyuosischen Stämme sich eine be- 
merkenswerte Übereinstimmung der Sprachen bewahrt 
haben, so daß sie sich auch aus entfernten Gebieten viel- 
fach direkt verstehen können, daß eüiu größere Zahl von 
Wörtern also wirklich übereinstimmen, gewisse Ab- 
weichungen Bich nach bestimmten Gusetzen der Laut- 
verschiebung erklären lassen. Hierher gehören die Ma- 
ori, Moriori, Tonga-Insulaner, Sandwich-Insulaner und 
Samoauer als Hauptroprasentanten. Da sich dabei deut- 
liche Anlehnungen an Sanskrit finden, so sind die Wurzeln 
dieser Spracheu jedenfalls uoch weiter westlich zu suchen, 
was mit den hier entwickelten ethnographischen Anschau- 
ungen recht gut übereinstimmt. 

Dagegen schieben sich nun zwischen die südlichen 
papuanisch-nigritischeu und die polynomischen Volksele- 
mente in kleinen spärlichen Gruppen auf die Inselwelt 
verteilt andere ein, welche von den Sprachkundigen als 
durchaus fremdartig und unvereinbar hingestellt werden. 
Ihre Verbreitung deckt sich im wesentlichen mit dem 
geographischen Begriff „Mikronesien", der an sich auch 
schon nicht, als besonders klar und übersichtlich ab- 

Olabui XCI. Sr. n. 



gegrenzt erscheint. Soll für dies« paar tausend Monscheu 
wiederum noch eine besondere, bisher nicht einmal hypo- 
thetisch zu bezeichnende Herkunft und Entwickelung 
angenommen werden, so geht jede Hoffnung auf eine 
vernünftige Lösung der verwickelten Volksströmungeu 
verloren. 

Die polynesischen Stämme haben als besonders kühne 
Seefahrer und infolge der verhältnismäßig späten Tren- 
nung der einzelnen Glieder wobl eine günstigere Gelegen- 
heit gehabt, eine einheitliche Sprache zu bewahren. Von 
den Mikronesiem galt dies nicht im gleichen Maße, und 
die kleinen Gruppen haben wohl durch unberechenbare, zu- 
fällige Beimischungen bei andauernder Isolierung den 
fremdartigen Charakter angenommen. Die physische Be- 
schaffenheit ist jedenfalls wechselnd und unbestimmt, doch 
möchte ich ohne eingehendere Vergloichung mich hier nicht 
darüber äußern, sondern die Frage als eine offene be- 
handeln und als Anthropologe nur Verwahrung dagvgun 
einlegen, daß man, allein auf linguistische Unterschei- 
dungen gestützt, ein weiteres ethnographisches Rätsel 
für die Südsee zu konstruieren sucht. 

An der Hand eines reichen photographischen Materials, 
wie es jetzt beschaffbar ist nnd mir selbst schon in 
ziemlicher Vollständigkeit vorliegt, wird es möglich sein, 
Typen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf- 
zustellen, deren Verhältnis zueinander bei eingehender 
Vergleichung mit einiger Wahrscheinlichkeit sich ergeben 
würde. 

Hier ist noch eino besonders wichtige Frage zu er- 
örtern, welche sich unmittelbar an die Betrachtungen 
über den australischen Typus anschließt und das nörd- 
liche Auslaufen dieser Volksströmung im Ange hat. 

Die Schwierigkeiten, eine Verständigung über die vor- 
wickelte Ethnographie der östlichen Inselwelt zu erzielen, 
worden wesentlich verstärkt durch die Benutzung einer 
anthropologischen Bezeichnung, welche durch ihre durch- 
aus unsichere Anwendung noch mehr Verwirrung an- 
gerichtet hat als das Stammwort „Neger", von dem sie 
abgeleitet wird, nämlich die Bezeichnung „Negrito". 




Abb. I«. Net;rlto-Nann von Luzob. 

Nach A. It. Murr. 

7 



«9 




Abb. i;. Ibaiao Ton Lnzon. 

Nach A. B. Meyer. 

Während man mit der Bezeichnung „Neger" doch wenig- 
sten!) die Vorstellung eines gewissen, wenn such be- 
schränkten Teiles der uigritischeu Bevölkerung Afrikas 
verbindet, int der Name „Negrito" ein „locus a uon 
lucendo", wenn er von den Autoren Individuen beigelegt 
wird, deren physische Erscheinung vom „Neger" vielleicht 
nur die dunkle Hautfarbe aufweist. I >-.«.• Verzweiflung 
an der sicheren Festlegung der Bezeichnung „Negrito" 
ist wohl der Grund, daß man ihm den Ausdruck „pela- 
gische Neger" an die Seite gestellt bat, der wenigstens 
darüber keinen Zweifel aufkommen laßt, daß die so zu- 
sammengefaßten Stämme nigritische Merkmale aufweisen 
müssen. 

Als „pelagischer Neger" hut man unzweifelhaft die 
Andamanen und Bewohner der Saloiuoniuseln zu be- 
zeichnen, bei anderen, wie den Papua, den Neuen Hebriileu 
und noch mehr den Fidschi-Inseln, wird diese Benennung 
wegen der oben angedeuteten, weitgehenden Ver- 
mischungen schon unsicher. Keinesfalls aber ist man 
berechtigt, die Pbilippineu-Negrito der Autoren ins- 
gesamt bei den pelagischen Negern unterzubringen. Kin 
Teil der Eingeborenen von den Neuen Hehriden zeigt, 
wie es Abb. 14 lehrt., deutliche Merkmale des Australiers, 
wenn auch die Haare nigritische» Blut erkennen lassen. 

In gleicher Weise zeigt ein Teil der als Negrito von 
den Autoren angesprochenen Eingeladenen der Philippi- 
nen, besonders die sog. „Aetas" (Schwarze), ausgesprochen 
australische Merkmale. 

Sie haben vor allen Dingen das abstehende, 
flockige, nicht spiralig gedrehte Haar der Austra- 
lier, welches Merkmal allein ausreichen sollte, sie von 
den Nigritiern zu trennen; der Schnitt des Gesichtes mit 
dor aufgestülpten, kurzen Nase, eingedrückten Nasen- 
wurzel, starken Augenhrauenbögen und der fliehenden 
Stirn ist australisch, aber nicht nigritiseb. Es bleibt 
übrig die Hautfarbe, welche aber bei beiden Rassen 
schwarzlich-braun ist und ebenso auch bei anderen von 
niemand als Neger angesprochenen Stammen (z. B. 
bei indischen Drnwidas) vorkommt (Abb. 15). 

Auch der Wuchs erinnert unter den Aetas Luzoiis 



lebhaft an denjenigen der Australier, wenn er auch im 
Durchschnitt in der Höbe etwas zurückbleibt. Es ist 
dies hier nur ein Zeichen ihrer Verkommenheit und l'nter- 
drückuug, wie die verkommenen negerhaftuu Andamanen 
ebenfalls das Durchschnittsmaß ihrer afrikanischen Ver- 
wandten nicht erreichen. Hier wie an andereu ltenach- 
barten Orten ist die indo-chinesische (malaiische) Ein- 
wanderung, aus denen die Tagalen der Philippinen her- 
vorgingen, die ebenfalls recht ungeeigneter Weise als 
„Filipinos" bezeichnet werden, von Anfang au zu über- 
mächtig gewesen. 

Der gänzliche Mangel der Kleidung oder deren Be- 
schränkung auf einen Eendenschnrz, die Bewaffnung und 
Art zu wohnen: alles erinnert bei den Aetas und ver- 
wandten Stämmen lebhaft an die Eingeborenen Austra- 
liens. 

Nehmen wir die verwischten, aber doch kenntlichen 
Spuren von Blutbeimischung hinzu, welche auf dem 
Wege von Australien nach den Philippinen hinauf nach- 
weisbar sind, so ergibt sich die Anschauung, daß die 
Verbreitung australischer Bevölkerungselemente in der 
Zeit, bevor die nigritische und indo-chinesische Strömung 
sich im Archipel geltend tünchte, keineswegs auf Austra- 
lien beschränkt war, sondern sich im Osten der asiatischen 
Inselwelt weit nördlich ausdehnte und jedenfalls auch die 
Philippinen in ihren Bereich zog. Es ist nicht unmöglich, 
daß die noch fast unbekannten l'rbewohner im Innern 
von Formosa auch noch versprengte Beste dieser Ur- 
bevölkerung enthalten. 

Die Philippineninseln scheinen im Unterschied von 
den meisten anderen des Archipels die Besonderheit auf- 
zuweisen, daß in ihnen zwar auch nach und nach die 
verschiedensten Bussen ihre Vertreter landeten, daß aber 
keine Partei unter diesen Einwanderern ihre Macht bis 
zur völligen Unterdrückung der früher Gekommenen aus- 
nutzte. 

Daher ist das Völkerbild der Inseln ein so auffallend 
buntes, und die verschiedenen Elemente sind bei den 
hochgradigen Vermischungen hier besonders schwer aus- 




Abb. 18. Negrito (Besiil) der Halbinsel Malakka. 

Nacli Martin. 



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Gustav Fritteh: Über die Verbreitung der östlichen Urbevölkerungen usw. 



43 



einander zu halten. Herr A. B. Meyer hat sich dalier 
durch die Veröffentlichung mehrerer photographischer 
Albums Tun Eingeborenen der Philippinen, unter denen 
besonders da* im Jahre 1904 erschienene „ Filipino- 
Album" wichtige Hinblicke in die Kthnngraphie gewährt, 
anerkennenswerte Verdienste erworben. 

Aus dem Studium der Abbildungen, die zum großen 
Teil von dem zu früh »erstorbenen Schndenberg her- 
rühren, ergibt sich, daß tatsächlich auf den Philippinen 
Eingeborene existieren, welche einen nigritischeu Habitus 
tragen, d. h. bei schwärzlicher Hau: färbe spiralig ge- 
drehtes Haar uud ziemlich aufgeworfene Lippen zeigen 
(Fig. 16). Es steht nichts entgegen, solche Stämme 
„Negritos" zu nennen, doch sollte mau keine Individuen 
mit dun Merkmalen des Australiers hinzunehmen, d. h. 
keine flockhaarigen Stamme '*. 

Schedenberg und sein Interpret Herr Meyer haben den 
Vermischungen der Stamme nach 
Möglichkeit Rechnung getragen, so 
besonders bei der Darstellung von 
Kiugeboronen der Insel Mindoro. 
Hier findet sich außer Negritos 
auch ein mit dem Namen „Man- 
gianen" belegter Stamm, welcher 
sich seiner physischen Beschaffen- 
heit nach an die Igorroten Nord- 
Luzons anzulehnen scheint. Hin 
Teil der abgebildeten Personen ist 
als eine Mischung von Negritos und 
Mangianen bezeichnet, und man 
wird diese von ortskundiger Seite 
herrührenden Angaben anzuneh- 
men haben. Es erscheint aber bei 
objektiver Beurteilung auffallend, 
wie wenig sich diese behauptete 
Mischung im Äußeren der Personen 
ausprägt. Sie sind offenbar mehr 
noch der Seite der Mangianen hin- 
geschlagen, d. h. sie haben außer 
anderen Merkmalen das flockige 
oder höchstens krause Haar be- 
halten, wahrend sonst Vermischung 
mit nigritischem Mut meist durch 
die starke Neigung der Haare, 
sich spiralig zu drehen, noch 
kenntlich wird. Man möchte dar- 
aus schließen , daß auch in den 
Negritos der Philippinen das nigri- 

tische Klüt schon stark mit anderen Elementen durch- 
setzt ist 

Auf der Insel Mindoro finden sich außer den ge- 
nannten Stammen auch noch Kingeborene, welche als 
„Bagobos" bezeichnet werden; hier genügt ein Blick auf 
die ganze Erscheinung, auf Kleidung, Bewaffnung und 
Wohnungen, um in ihnen einen Zweig indo-chinesischer 
Abkunft, wie nie auf den weiter westlich gelegenen Inseln 
in ungleicher, aber doch der Abstammung nach einheit- 
licher F.ntwickelung so verbreitet sind, zu erkennen. Hie 
Tagalen und ihre Verwandten auf I.uzon und den benach- 
barten Inseln (Abb. 17) reihen sich ihnen zwanglos an. 
Bei den letzteren kommt nun außer den sonstigen Blut- 
heimischungen auch noch der Einfluß europäischen Blutes 
durch die spanische Einwanderung in Betracht. Kine 
den vornehmeren Ständen in Manila ungehörige Dame 
unterscheidet sich nur noch wenig von einer Südspanierin. 

*) Ich denke hier besonders an die Figur eines aufrecht 
stehenden Manne«, den llogen spannend, welcher zuweilen als 
„ Artus" oder direkt als „Negrilo* bezeichnet wird, obwohl er 
fast gan/lieh einem Nord Australier gleicht. 




Abb. I«. Alfuru von Cetebe*. 



Solche Personen haben den Charakter einer bestimmten 
Itasse fast vollständig verloren. Offenbar dürfen solche 
begreiflichen Abweichungen von der ursprünglich zu- 
grunde liegenden Kasse nicht Zweifel in die allgemeine 
Auffassung des Volkerbildes tragen, welches sich trotz 
•einer Verworrenheit sehr wohl auf die besprochenen 
Völkerströinungeu zurückführen laßt, wenn man berück- 
sichtigt, daß die Wellen derselben hier in verhältnismäßig 
eng begrenzten Wohnsitzen brandeten. 

Ich möchte also meine Auffassung der Ethnographie 
auf den Philippinen dahin zusammenfassen, daß hier diu 
nördlichsten Ausläufer einer australischen Urbevölkerung 
vorliegen, welche bisher bekannt wurden, und diese von 
einer aus dem Westen ausstrahlenden nigritischen Kasse 
durchsetzt wurden, welche erst Bjtäter den Druck der 
Ausbreitung indo-chinesischer Stämme zu erdulden hatte. 
So würde auch dieses verworrene Bild sich unter einer 
einheitlichen Auffassung aufklären 
lassen. 

Sehr förderlich für solche Auf- 
fassung ist auch der Umstand, daß 
der durch kritiklose Anwendung 
stark in Mißkredit gekommene Aus- 
druck „Negrito" neuerdings unter 
vorsichtigerer Anwendung wieder 
berechtigterweise an Ansehen ge- 
winnt und die so dringend er- 
wünschten Bindeglieder für die ver- 
einzelten Bruchstücke der nigri- 
tischen Volksströmung zu liefern 
verspricht. 

Schon früher haben die Autoren 
von „Negritos" auf der Halbinsel 
Malakka gesprochen, aber erst die 
neuesten eingehenden Untersuchun- 
gen des Herrn Martin geben eine 
genügend deutliche Vorstellung von 
den betreffenden Stämmen, um 
ihren eigentlichen Habitus außer 
Zweifel zu stellen. Die von ihm unter 
dem Namen Semang beschriebenen 
und abgebildeten Stämme ordnen 
sich, wie er selbst hervorhebt, offen- 
kundig dem richtig abgegrenzten 
Begriff „Negrito" unter '»)( Abb. 18). 

Es ist dies nicht nur an und 
für sich eine höchst wichtige und 
erfreuliche Tatsache, sondern sie 
erweckt berechtigte Hoffnungen, daß es gelingen werde, 
auch an anderen Stellen die Glieder der auseinander- 
gesprengten Kette uigritischer Stämme wieder miteinander 
zu verknüpfen. 

In ähnlicher Weise wie die mangelhafte Abgrenzung 
und schwankende Anwendung des Namens „Negrito" Un- 
sicherheit in die ethnographischen Verhältnisse des Archi- 
pels getragen hat, kann dies in erhöhtem Maße von einer 
anderen dort üblichen behauptet werden, nämlich von 
der Bezeichnung ,. Alfuru". 

Bevor ich die Länder selbst besuchte und auf die 
Literat urau gaben angewiesen war, hielt ich den Begriff 
„Alfuru" überhaupt für unfaßbar, weil die Angaben über 
die KörpcrbeschalTenbeit wie die Verbreitung der Alfuru 
sich in ärgster Weise widersprachen. Seitdem ist durch 
bessere Beobachter, besonders durch die Vettern Sarasin 
in den Veröffentlichungen über ihre Reisou auf ( elebes 
unsere Kenntnis dieser Stämme erheblich erweitert worden. 
Es freute mich sehr zu lesen, daß die genannten 



"> Die Inlaudatatnme der Halbinsel Malakka, S. 1005. 



t-1 



Hauptinatin a. 1). Huttor: Bamum. 



Forscher Rieb eine ähnliche Anschauung gebildet haben 
wie ich selbst, nämlich «laß dio Alfuru dur „weddai- 
«tischen" Hevölkerungsgruppe zuzuweisen sind. Selbst- 
verständlich int dabei vorausgesetzt, daß ein „ Alfuru J 
nicht papuanisch aussehen darf, ebensowenig wie ein 
„Negrito* australoido Merkmale zeigen kann, wenn die 
liezeiebnung Berechtigung haben soll (Abb. 19). In 
betreu" einer wirklichen Blutsverwandtschaft mag man 
sich so absprechend oder skeptisch verhalten wie man 
will, es ist festzuhalten, daß die Vermutung aufgestellt 
werden darf, die Alfuru seien eine abgesprengte Gruppe 
der über die südlichen und südöstlichen Teile Asiens, 
sowie den westlichen Archipel dünn verstreuten Urbevöl- 
kerung, welche als dio älteste augegeben werden muß, 
da Bie hier wie überall in die unwegsamen, schwer zu- 
gänglichen Gegenden von den später Kommenden zurück- 
gedrängt wurde. 

Solohe Betrachtungsweise der Alfuru gibt auch hier 
ein einheitliches, anschauliches Bild über die Volks- 
verbreitung und würde einen großen Teil der darüber 
eingerissenen Verwirrung beseitigen. 

Di« vorstehenden Anschauungen über die Grund- 



züge der ethnographischen Verhältnisse im Osten werden 
gewiß in mancher Beziehung Widerspruch finden, da sie 
vielfach mit vorgefaßten Meinungen und eingewurzelten 
Vorurteilen zu kämpfen haben. Ich bin mir aber be- 
wußt, mit diesen Angaben auf dem Baden einer breiten 
Grundlage selbst beobachteter Tatsachen unter enger 
Anlehnung an die zuverlässigen modernen Beobachter 
zu stehen, die natürlich nur durch bessere«, beweis- 
kräftigeres Material beiseite geschobeu werden können. 
Die Untersuchung am grünen Tisch unter Benutzung 
schimmelig gewordener Autoren, die vielleicht selbst 
wenig oder nichts von den örtlichen Verhältnissen 
kennen gelernt haben, kann nicht dagegen ins Feld ge- 
führt werden. 

leb lege daher die Entscheidung, inwieweit ich richtig 
beobachtet habe, vertrauensvoll in die Hftnde dor auf- 
strebenden, aktiv als Beobachter tätigen anthropolo- 
gischen Jugend. Meine Hoffnung auf ein baldiges Durch- 
dringen dor Wahrheit würde größer sein, wenn niebt 
zurzeit noch die Verehrung der toten Zahl der 
lebendigen, morphologischen Anschauung soviel 
unberechtigten Abbruch täte. 



Von Hauptmann a. D. Hntter. 
(Schluß.) 



Zweimal in der Woche wird größeror Markt abge- 
halten; den einen, an einem Dienstag unseres Kalenders, 
hatte ich Gelegenheit zu besuchen, der andere soll, 
wie mir gesagt wurde, jeweils am Freitag statthaben. 
An diesen Freitagmärkten werden auch bisweilen Reiter- 
spiele abgehalten. Vor Tagesgrauen bereits ziehen vom 
offenen Land berein in Scharen die Vorkäufer der ver- 
schiedensten Ijiodesprodukte und Jodustrieerzeugniese, 
sowie die Käufor von auswärts oder haben bereits tags 
zuvor bei ihren Gastfreunden Quartier genommen. IHe 
Haussa logen ihro Schätze entwedor in ihrem Viertel 
an den Wegen zierlich geordnet znr Schau oder beziehen 
damit gleichfalls auf dem großen Marktplatz die ihnen 
zugewiesenen Plätze. Denn es herrscht eine ausge- 
sprochene Marktordnung und strenge Marktpolizei, ge- 
nau wie das Nachtigal so anschaulich von dem großen 
Markt in Koka schildert, überhaupt da* ganze Markt- 
getriebe gemahnte mich so lebhaft an diese klassische 
Beschreibung eines großen Sudaniuarktes, daß ich ge- 
radezu darauf verweise (Sahara und Sud au, Bd. I, S. 671). 
Größe sowie Zahl der Marktbesucher sind natürlich den 
kleineren Verhältnissen entsprechend kleiner zu nehmen; 
ein Gewühl von 4000 bis 5000 Menschen aber sicherlich 
wugto auf dem Platze, als ich ihn zur Mittagszeit, wo 
das Treiben am lebhaftesten ist, besuchte. Die von den 
Haussa zu Markt gebrachten Waren sind die gleichen, 
wie sie die Sudankaufleute überall in den Adamaua- 
stftdten feil bieten: Leder-, Flechtarbeiten, Eiseugegen- 
Htände, Strohteller, Straußfcdorn, Tücher usw., ich kann 
da ganz auf Passarges „Adauiaua" und die vielen treff- 
lichen Abbildungen verweisen. Die Bamum eigenen In- 
dustrieerzeugnisse unterscheiden sich der Art nach uicht 
wesentlich von dem in den benachbarten Bali- und 
Batigebieten gefertigten, wohl aber in der vielfach 
sorgfältigeren Ausführung und mancheu Details der Be- 
arbeitung; es sind hauptsächlich Eisen-, Holz-, Ton-, 
und Flechtarbeiten (Abb. 16 uud 17). Die aus Ton 
gefertigten Pfeifenköpfe sind wahre f'ngetüine; solche 
von 1 , tu Höhe sind gar nicht selten (auf Abb. 5 hüll 



Händen hoch). Bedoutend war die Zahl des zu- 
getriebenen Kleinviehes; such Buckelrinder von Tibati 
standen zum Verkauf und Pferde, als deren Ursprungs- 
land mir Ngaundere bezeichnet ward. Auch Baumwolle 
kommt auf den Markt, sowie Gummi. letzteres wird hier 
in Wurstform (Abb. IGe) in den Handel gebracht, uicht wie 
im Urwald in Form von aus je fiO kleinon Kügelchen ge- 
bildeten Itappeltafeln. Kauf und Verkauf vollzieht sich 
meist als Tauachhandel, doch findet sich auch die Kauri- 
muschel bereits vielfach als Kleingeld, uud für Großvieh, 
Sklaven, Pferde und große Zähne werden auch Maria 
Theresia-Taler genommen und gegeben; der Sultan und 
die Vornehmen bevorzugen diese Münze besonders. 

Die Wegverhältnisse des Landes sind nach afrikani- 
schen Begriffen gut zu nennen; das ist die notwendige 
Vorbedingung für lebhaften Marktbesuch, insbesondere 
durch die wanderlustigen Haussa. In der Nähe der 
Hauptstadt ist das Wegenetz auch nach europäischer Be- 
wertung gut ausgeltaut. An den meist schattenlosen 
Pfaden trifft man nicht selten Rastplätze angelegt, die 
mit schattenspendeuden Laubbäuineu bepllanzt sind. 

Außerordentlich wohltuend berührt die Ruhe des Ver- 
kehrs und die Höflichkeit der Menge sowohl als des 
einzelnen. Uberhaupt im ganzen Lande fand ich ge- 
radezu großartig froundliche Aufnahme; Orte, die eine 
halbe Stunde seitab des Weges lagen, schleppten I<ebens- 
mittel imd Frfrischungen an die Marscbstraße ; in zu- 
vorkommendster Weise erhielt ich überall Unterkunft; 
VerpHegungs- uud Führelfrage erledigte sich stets 
glatt, ßatmim ist auch wirklich „ Pferdeland", wie Gsrega 
einst sagte: zuerst wird Mais für das Pferd gebracht, 
dann erst Lel>ensiuittu) für die Träger usw. Meineu Ein- 
zug und Empfang in der Hauptstadt habe ich bereits 
geschildert. 

Als ich nach Begrüßung der Sultanin-Mntter in mein 
Quartier abrückte, hatten meine Leute kaum noch die 
Lasten abgelegt, als schon in langen Zügen, von Auf- 
sehern geführt, Sklaven und Sklavinnen ankamen, die 
in hübsch gearbeiteten großen und kleinen Kalabassen 



der neben Joja stehende Sklave einen solchen mit beiden : uud krngähnlicbeii Gefäßen, ;iuf ornamentierten Holz- 



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V, 










Abb. 17. IndnMrle-ErxenariilNfie von lUiuuni. 

Etwa Vi |lu -t. Gr. 
a) <iellochtener Strohteller (l)iuamentik In Sibwaix und Gelb). 
I<) GerWUtene Basltaatbe (tchwuri und gelb), c) OriMHIOT 
[irrt« Kalnbn<serisclinle (ndgt'lb mil »<buar/eu Linien). 



n h 

Abb. 16. Indn*trl<<- ErzvuirnUitc von Baniam. 

Klw» Vj nal. Gr. 

») Unti-rUnzr. b) KuUgüngerapeer. <) Mit MUtreifeii («.hvirarz, «mB, 
gHln) überzogenes und ih Därmr» hergestellte* tirlaQ; zur Auf- 
nahm« von Klüsaigkeltcn bntimnil. (Drvkel und Schnabel abnehmbar.) 
i) 1'lVif« nun Brome. e) Gummi (1b dieser Form hi«nuUnd« in den 
Handel gebracht), f) llauinruer nebat Srhelde. f) Geflochtene« Körb- 
chen. b) und i) Ornamentierte lÄiiTe) (Verzierungen in Wnll p II. 
In«. Schwari-gclb). k| Aus Baumwolle gestrickte, weilV-blaugeinuslerle 
Mütze (von Männern uud Weibern getragen). I) Aua Holz geschnitzter 
StopMl (für !'iilniweiiik.ilabaiif.eii); drei Konle daistrlleiid. 



in 



iJiiu|itinann a. I>. Mutter: Bamum. 



schalen, auf ebenso geschmackvoll hergestellten, -/um Teil 
mit an eleu Boden angeflochtenen Deckeln versehenen 
Haussastrobtellern alle uiöglicbun festen und flüssigen 
Nahrungsmittel und Erfrischungen brachten. Alle diese 
Gefäße wurden auf dem Kopfe getragen, mit einer, oder 
beiden Händen leicht gestützt, und es boten »ich bei den 
jugendlichen nackten Körpern und Formen ganz reizende 
anmutsvolle Bilder. Auf ein /eichen der Aufseher kauer- 
ten sich die Züge nacheinander vor mir nieder, die 
Gefäße wurden auf den Boden gestellt, der auch in Bali 
übliche ehrfurchtsvolle Gruß durch dreimaliges in die 
Hände Klatschen erwiesen und dann die Dinge wieder 
aufgenommen uud mir kniend entgegengeboten. Zu 
rein persönlicher Verwendung sandte mir die Sultaniu 
fein geflochtene Schlaf matten , einen Pfcrdeachweifwedel. 
eine ganz besonders feine Qualität Palmwein in pracht- 
voll ornamentierter Metallkalahasse, sowie zwei der ganz 
eigenartigen Bamumsttthle (Abb. 18). Ich sah sie nur 
im .Sultanspalast und in ein ]>aar Häusern der Haupt- 
stadt; ihre Anfertigung soll übrigens ein spezieller In- 
dustriezweig Bamums sein. Sie sind aus dünnem, bieg- 
samem Bambus und Rapbiabast geschmackvoll geflochten 
uud erinnern etwas an Madeirahordstühle. 

Der so in allem zum Ausdruck kommende „groß- 
itldtuchl Zog" macht sich übrigen» auch in der etwas 

sehr freien Auffassung 
von Moral und geradezu 
sexuellem Raffinement, 
Bowie in den Bssuchs- 
und Empfangszeiten be- 
merkbar: vor 10 Uhr 
Vormittags, ja oft noch 
später, sind J. Majestäten 
und die Vornehmen ab- 
solut unsichtbar-, wie 
überhaupt das Leben 
auf der Straße und der 
richtige Verkehr nicht 
vor frühestens 9 Uhr 
vormittags beginnt 
Dann aber ist da» Ge- 
triebe auch an Nicht- 
roarkttagen ein ganz reges. Zur Lebhaftigkeit des Bildes 
tragt der größere Bokleidungsreichtuiu wesentlich bei. Die 
zahlreichen Haussa zeigen sich in ihrer wohlbekannten 
Tracht: Tobe, weiß oder rot oder indigoblau, rot und grün 
gestreifte uuendlich weite Hosen, gelbe Sandalen oder rote 
oder grüne Beitstiofel. Turban und Litern; ihre Weiber 
tragen die beiden langen. Ober- bzw. Unterkörper ver- 
hüllenden Tücher. Die Neichen und Vornehmen der Ba- 
mumleutv haben gleichfalls vielfach diese mohammedani- 
sche Bekleidung angenommen, aber ohne I.itam, wie sie 
auch ihren Pferden das malerisch schöne Haussareitzeug 
aufzulegen lieben-, auch die OrtsvorBteher in den kleinen 
Dörfern tragen fast ausnahmslos Haussatracht. Die 
Masse der Bevölkerung allerdings geht nackt, nur den 
üblichen mehr oder weniger schmalen Zeugstreifen 
zwischen den Beinen durchgezogen, bzw. die Weiber mit 
kleinen herabhängenden Zeugfetzchen oder Grasbüscholn 
die Scham deckend. Aber immerhin sieht man auch unter 
dem Volke bedeutend mehr Individuen wenigstens mit kur- 
zer hemdartiger Tobe ohne Ärmel oder mit Hosen nach 
Haussaschnitt bekleidet als in den Heidungebieten west- 
lich des Nun. Einige alte, würdevoll einherschreitende 
Männer Helen mir durch ihre. Tracht, wiu ich sie ganz 
ähnlich auch in den Balilandschaften vereinzelt gesehen 
hatte, auf: den Kopf deckte eine blauweiße gestrickte 
Mütze mit einer Menge hörnchenartiger Erhebungen, der 
Oberkörper war nackt, ein langer breiter Zcugstroifen i«t 




Abb. is. Oeflorhtener Stuhl. 



zwischen den Beinen durchgezogen und mit Lederriemen 
um die Hüften festgehalten; zwischen den Beinen fällt 
das Tuch fast bis zu den Knien herab, und die über den 
Lederriemen überhängenden Enden sind breit ausein- 
andergelegt und die Ränder mit Kaurimuscbeln be- 
setzt. Dazu kam ein breites Haumesser, an zusammen- 
gedrehtem Tuchstreifen über die Schulter hängend, und 
in der Hand 3 bis 4 Speere. Das wäre die „alte Bamum- 
tracbt\ sagte man mir. 

Fast alle diese Zeuge sind aus einheimischer Baum- 
wolle im Lande gefertigte Stoffe; europäisches Fabrikat 
scheint noch nicht sehr verbreitet oder getragen zu sein. 
Der Hindcnkleidcr und Peniafutteralc der Badyuigini 
habe ich bereits oben Erwähnung getan. 

Die landesübliche Bewaffnung ist das breite Haumesser 
(Abb. 1 6 f > von ganz der gleichen Form wie in den Bali- 
landschaften, größere und kleinere dolchartigo Messer, 
Speer und Bogen. Die Heiterspeere sind 3 bis 4m lang mit 
langem schmalen Blatt uud einer wulstertigen Verstär- 
kung am Lanzenfuß zum besserem Aufsetzen auf den 
Bügel bzw. den eigenen Fuß; die Speere der Fußgänger 
etwa 2 m lang und mit etwas breiterem und kürzerem 
Blatt versehen; Widerhaken habe ich an keiner der 
beiden Arten beobachtet. Die Pfeile dagegen tragen 
unter der eigentlichen Spitze eine oder mehrere angel- 
hakenartige Spitzen und sind vielfach vergiftet, und zwar 
mit einer zähen, schwärzlichen, klebrigen Substanz, die 
ziemlich lange ihre Wirkung zu bewahren scheint. Ich 
schließe das daraus, daß ich mich zu Hause noch mehr 
als vier Monaten an einem der mitgebrachten Pfeile nur 
leicht ritzte uud bald darauf die ganze Hand stark an- 
schwoll. 

Als eines in allerdings sehr indirektem, aber doch einem 
gewissen Zusammenhange mit der Besprechung der Be- 
waffnung stehenden Umstaudes möchte ich hier der bei 
den Bewohnern des Konkämassivs — aber nnr bei diesen 

— beobachteten Flötensignale Erwähnung tun, die mit 
dem Betreten des Gebirges von verschiedenen Seiten zu uns 
horuntertöuten und so die Dorfbewohner avertierten. In 
meinem Folie war der Effekt ja nur, daß freundschaft- 
lichst Lebensmittel usw.au den Weg herangebracht wur- 
den, im Kriegsfalle dienen sie ober zweifellos als Signal 
zu Flucht bzw. Überfall, jedenfalls bewiesen sie die Tat- 
sache eines eingerichteten Beobachtungsdienstes — ob 
auf Anordnung des Suitens oder nur von den Gebirgs- 
bewohnern ausgehend, habe ich nicht in Erfahrung ge- 
bracht. 

In religiöse und Kultverhältnisse endlich konnte ich 
natürlich keinerlei Einblicke mir verschaffen; vermag 
man doch über diese« ethnographische Kapitel bekannt- 
lich oft nach jahrelangem Aufenthalt bei einem Stamme 
koine genauen, geschweige vollständigen Aufschlüsse zu 
bringen und muß man als gewissenhafter Forscher hinter 
jede Beobachtung und namentlich jede Folgerung dar- 
aus ein Fragezeichen setzen. 

Das aber jedenfalls ist sicher, daß die Bornum Heiden 
sind. Ob und wieweit die mohammedanischen Haussa 
Propaganda für ihre Religion gemacht haben und macheu 
werden, weiß ich nicht; auch hierzulande wird sich 
das nur auf Äußerlichkeiten beziehen wie bei allen an- 
deren Sudanbeidenstämmeu auch, kann aber nur kulturell 
vorteilhaft sein: der Islam war und ist der Träger der 
Kultur im Sudan. Die Annahme der Haussagewandung 
in Bamum ist zweifellos diesem Einfluß zuzuschreiben. 
Die Sultanin-Miitter schenkte mir beim Abschied einen 
schön mit arabischen Lettern in der Fulfuldespracbe 
geschriebenen Koran oder vielmehr Bruchstücke daraus 

— nebenbei bemerkt ein sehr interessantes ethnographi- 
sches Stück — in Ledereinbaud und geschmackvoll ver- 



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17 



wertem LederUschchen ; ob sie Anb&ngerin das Islam 
ist, weiß ich nicht; lesen konnte nie das Buch nicht, das 
weiß ich. 

Die große Trommel auf dem Marktplatz und ineine 
Auffassung tou ihr als Kultinstrument habe ich bereits 
oben erwähnt. Auf dem Kopfe des Fetisch« sitzt ein 
Affe oder Hund(V), Futisch und Tier und Trommel sind 
aus einem Stück in Kols geschnitzt bzw. gearbeitet 
(Abb. 7). 

Außer diesem Trommelfetiach ist mir im Lande, wie 
schon genagt, keiuerlui bildliche Darstellung, die mit 
religiösen Vorstellungen in Verbindung gebracht werden 
kann, zu Gesicht gekommen. Kur in dem Bergdorf 
Nknnden im Korikä-Massiv sah ieb außerhalb des Ortes 
einen großen Laubbaum, an dem allerlei verschnürte 
kleine Päckchen und Täschchen hingen, Amulette oder 
Weihgeschenke? Auch waren in dem Stamme mehrere 
Nischen ausgeschnitzt ahnlich den kleinen Nischen für 
Muttergottes- usw. Statuetten an den Häusern und auch 
Bäumen iu katholischen Gegenden Europas; sie waren 
aber leer. 

Den Gebrauch, den Körper mit weißer Tonerde da 
und dort zu bestreichen, faud ich auch hier. Ich habe 
übrigens diesmal in D»1i für diese abergläubische Sitte, 
sofern dio Beschmierung in der Nabelgegend statthat, 
folgende Erklärung erhalten: „Wenn jemand gestorben 



ist, so (iudet häufig ein I<eichenniah) statt; alle, dio daran 
teilnehmen, machen sich weiße Kreise oder runde weiße 
Flecke auf den Bauch, sonst würden sie von dem in 
Gegenwart des Toten Genossenen krank." Hier in Bamum 
nun begegnet« mir einmal ein vollkommen nacktes Weib, 
das buchstäblich von oben bis unten, mit Ausnahme der 
Kopfhaare, weiß angestrichen war. 

Daß auch die Sitte des sogenannten „Mediziutrinkens", 
also Giftordale, in Bamum im Schwange ist, habe ich 
in der Hauptstadt selbst erlebt. Als ich einmal den 
Sultan besuchen wollte, sali ich schon von ferne einen 
großen, dicht geschlossenen Kreis um das Palastportal; 
eilig kam mir ein Höfling entgegen: der Sultan bäte 
mich, ihn jetzt nicht zu besuchen, da er „Medizin mache"; 
und suchte mich zu entfernen. Als ich nach etwa einer 
Stunde wiederkam, war der Kreis aufgelöst, am Boden 
lag ein tote« Weib ohne Zeichen äußerer Verletzungen. 
Als Erklärung für den Vorgang brachte ich nichts weiter 
heraus als eben: „der Lamido habe sie Medizin trinken 
lassen". 

Soweit das Krgebnis meiner leider nur flüchtigen 
Marfcchbeobachtnngcn. Neben wenig Positivem bringt 
ein kurzer Einblick in ein unerforschtes Gebiet meist 
nur neue Ratsei und Probleme, insbesondere hinsichtlich 
der Volkszugehörigkeit und volklichen Zusammensetzung, 
sowie religiös-kultureller Verhaltnisse. 



Die Ausnutzung der Kraft der Vlctnrlafalle 
des Sambesi. 

Der Hau, die Wasser «ler Victoriafalle als Kraftquell« ftirdie 
Versorgung der Industrie am Wltwatersraud auszunutzen, hat 
schnell feste Formen angenommen, und seine Ausführung er- 
scheint gesichert. Ks hat sich dazu die .Victoria Falls Power 
Company 'gebildet, zu deren Direktoren unter anderen die Leiter 
der British South Africa Company, die des Africati Coneessions 
Syndicate, der Vorsteher eines deutschen Bankinstituts und 
der Generaldirektor der Berliner Allgemeinen Elektrizität«- 
Gesellscbaft gehören; denn diese wird die Elektrizitätswerke 
einrichten. Die Unterlagen fttr die Anlage sind durch In- 
genieure, die auch die Verhältnisse an den Nlngarafällen 
studiert haben, gewonnen worden, worüber Sir Douglas Fox 
und Sir Charles Meten Ife einen Bericht erstattet haben. Diese 
sind auch die leitenden Ingenieure der Gesellschaft. Das 
Aktienkapital soll 3 Millionen Pfund Sterling betragen. 

Die Aktien sind im Dezember zur Zeichnung aufgelegt 
worden, und die Zettungen haben die Prospekte gebracht. 
Ks seien ihnen einige Angaben entnommen , die über das 
kapitalistische Interesse hinaus ein allgemeines lnterosse haben. 

/weck der Gesellschaft ist insbesondere, die jetzigen und 
in Aussicht stehenden Industrien des Band und Bhodesias mit 
elektrischer Kraft zu versehen, die durch die Victoriafälle 
und durch mit Dampfkraft zu betreibende Hilfsnobenstatiouen 
bei Johannesburg erzeugt worden soll. Wo hat von der 
South Africa Company für 75 Jahre das alleinige Hecht er- 
halteu, die Kraft der Fälle nach der Transvaal kolonie zu 
übertragen. Zunächst — innerhalb von zwei Jahren — soll 
indessen eine durch Dampfkraft betriebene Station in der 
Nahe von Johannesburg installiert werden mit einer Kraft- 
erzeugungsfähigkeit von 24000 HJ\ ( Pferde kräften), um die 
Kunden mit Kraft zu versehen, bis die Transmissionslinie 
von den Fällen und die dortigen Werke fertiggestellt sind. 

Ks wird angenommen, daß die Grubeu- und Hüttenwerke 
des Rand starke Konsumenten sein werden; denn auf ihu 
entfielen im Jahre 1. Juli lv04 bis So. Juni 1905 von 338522 
in Transvaal installierten IIP. 281000. Die Gesellschaft will 
diese und die im Laufe der späteren Kntwickclung nötig 
werdende Kraft zu einem Preise liefern, der nur 40 Proz. de» 
bisherigen betrügt. Die Goldgewinnung des Rand betrug iui 
genannten Jahre 5192900 l'nzeu im Werte von 22058037 Pfd. 
Sterling. .Eine billige und reichliche Kraftlieferung würde die 
Einführung weiter arbeitssparender Maschinen für den 
Minenbetrieb gestatten und auf diese Weise vermehrt« 
Gelegenheit für Beschäftigung gesobulter weitter Arbeiter 



bieten und die Nachfrage für ungeschulte Arheiter ver- 
mindern." 

Die hydraulischen Aulagen in der Nähe der Fälle sollen 
fürs er.te eine Kntwickclung bis zu 5oOOO HP. ermöglichen. 
Die Fälle »ollen hierfür .wunderbar geeignet* «ein und so- 
gar zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes reichlich Wasser 
liefern können. Technische Schwierigkeiten stellen der An- 
lage sich nicht entgegen. Auch fallen hier teure Felnspren- 
gungeu und natürlich die am Niagara nötigen SchutzmaQ- 
regeln gegen das Kis fort. Die verfügbare Wassermenge Ist 
so gut wie unbegrenzt. Die Gesellschaft will es sich auch an- 
gelegen sein lassen, durch ihre Kraftanlage dio landschaft- 
liche Schönheit der Victoriafälle nicht zu stören und «ie so 
zu plazieren, daß »ie von den von den Touristen bevorzugten 
Auasichtspunkten nicht zu sehen ist. 

Über den voraussichtlichen Absatz für Kraft wird unter 
anderem noch bemerkt: Der künftige Betin rf Transvaals an 
billiger elektrischer Kraft wird nicht auf seine Miuenindiistrie 
beschränkt bleiben: es ist vielmehr zu erwarten, daß die Be- 
wässerungsanlagen, die für grolle Landgebiete an der Trans 
missionslinie in Aunicht genommen Mud, und die Vizinalhahnen 
in don Iianddixtrikten gleichfalls eine starke Nachfrage nach 
elektrischer Kraft erheben werden. Es dtirfte analog dem 
Gang der Dinge an dem Nisgarafall in Verbindung mit den 
Victoriafällen eine außerordentliche Entwicklung wichtiger 
Industrien I'httz greifen, infolge der „vielen und weil ver- 
breiteten Mlneralsohätze Rhodesiens* und seiner verschiedenen 
landwirtschaftlichen Produkte. „Der Hoden ist reich und 
für die Tabak- und Baumwollkultur, ebenso wie für Getreide 
und Gespinstpflanzen geeignet. Die Täler de* Sambesi und 
seiner Nebennüsse bieten auch ein günstiges Feld zur Be- 
wässerung, uud, ohschon es für den Augenblick nicht möglich ist, 
zu sagen, welche Entwick lung zuerst eintreten wird, so ist es 
doch genügend zu wissen, daO die größten Erwartungen auf 
die Zukunft des Marktes fttr Abnehmer elektrischer Kraft 
gesetzt werden können. Der bestehende große Markt für 
elektrische Kraft auf dem Witwatersrand , der dauernde 
Charakter dieses Absatzgebietes, die in ganz Südafrika be- 
stehende Notwendigkeit , die menschliche Arbeit womöglich 
durch Maschinerlen zu ersetzen, und die allgemeinen Er- 
fordernisse der Industrien Transvaals und Rhodesiens verbürgen 
die Zuversicht, daß sich das Absatzgebiet der Gesellschaft 
rasch erweitern wird.' 

Da in Transvaal Mangel an Arbeitern herrscht, so daß 
man bereits zum Import von Chinesen gegriffen hat, so wird 
die geplante Anlage zum Sagen für das Land dieses Element 
entbehrlich machen. 



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Bücherscbau. 



Bücherschau. 



Prof. Dr. Engen Hogk, Germanische Mythologie. Leip- 
zig, Göschen, 180» 0,80 M. 
Diese kleine, uur 119 Seiten umfassende Schrift ist ein 
Kunstwerk; denu der Verfasser bringt es fertig, nuf so engem 
Kaum« »einen gewaltigen Hl oft unterzubringen, ohne in eine 
Nomenklatur zu verfallen, und zugleich die Darstellung gut 
leabar zu gestalten. I>aa konnte nur durch eine völlige Be- 
herrschung dos Stoffe» geschehen, die dein Verfasser, der in 
1'nuU Grundriß denselben Gegenstand schon behandelt halte, 
gesellen war. Ganz anders als in den alteren Lehrbüchern 
(zumal Simrockt) gestaltet sieh hier die germanische Mytho- 
logie, die Tom religionsgeschichtiicheu Standpunkt* aus be- 
handelt ist. Die einzelnen Kapitel trugen die Überschriften: 
Naturverehrung, Seelenglau be, (lütter, Mythen, Kultus. Ein 
empfehlenswerter kurzer Leitfaden, der Anfänger zu weite- 
rein Studium veranlassen wird. 

AnthropophyteU. Jahrbücher für folkloristische Erhebungen 
und Forschungen zur Kntwickelungsgeschichte der ge- 
schlechtlichen Moral. Herausgegeben von Dr. Fricdr. 
8. Krausa. Dritter Dil. Leipzig, Deutsche Verlagsakticn. 
geaellsehaft. tooe. (Nicht im Handel.) ao M. 
In einer der Besprechungen der früheren Bande war 
beanstandet , daß diese Sammlung eigentlich nur Wider- 
wärtiges bringe, gegen das sich unser sittliches Gofohl auf' 
bäume; es fehle das anziehende, poetische Moment iu der 
Schilderung usw., sagt die im Anhang angeführte Rezension 
(8. S). Nun wollen wir nicht bestreiten, daß vielleicht auch 
die Lichtseiten des geschlechtlichen Lebens, besonder« in dem 
ethisch begründeten F.hebündnis, zur Geltung gelangen könnten, 
allein ea will una bt'diknken, daQ hier ein prinzipiell falscher 
Gesichtspunkt sich eingeschlichen hat. Ks ist sehon genügend 
darauf hingewiesen worden, daß für die strenge Wissenschaft 
jede 8timmung, jeder persönliche Geschmack unangebracht 
ist, daß es «ich zunächst nur um eine einwandfrei« Samm- 
lung, bzw. Sichtung des zuständigen Materials handelt Des- 
halb ist z. B. auch die Bemerkung des ungenannten Kritikers: 
üb es gerade nötig ist, „mit breitem Behagen und ohne jede 
Scheu vor ästhetischem Widerwillen* diese Schnurren und 
8päßn iu unverblümtester Sprach'- aneinander ztt reihen, 
mochten wir bezweifeln <S. &), unzutreffend, da eben dies 
angebliche , Behagen* durchaus nicht auf das Konto des 
Forschers kommt, soudern höchstens des geneigten Lesers. 
Wir können diese Verkeilung der richtigen Perspektive nicht 
anschaulicher schildern, als weun wir in aller Kürze auf die 
vielberufene, „berüchtigte Tempelprostitution' eingehen. Gibt 
es etwas Schandlicheres und Verruchteres als diese Vermischung 
der sündigen Fleischeslust mit göttlicheu Dingen, so sollte man 
ausrufen! Und doch hängt die (Sache, wie Kruuas in einer 
Umfrage, die er in der Fassung: .Beischlaf als Kulthandlung* 
anregt, auseinandersetzt, ganz ander« zusammen. Ks handelt 
sieh dabei keineswegs, wie er bemerkt, um eine berufsmäßige 
Ausübung des Geschlechlaktes wider Sitte und Brauch der 
Gesellschaft, vielmehr um einen frommen, vom «Hauben ge- 
botenen , von der Gesellschaft gebilligten , geleuentlichen 
Opferdienst; die Bezeichnung Prostitution ist in diesem Kalle 
ganz unangemessen (8. Ii«), Ks liegt hier vielmehr, wie aus 
verschiedenen anderen Analogien unzweideutig erhellt, eju 
Symliol vor, freilich nach der Auffassung naiver, sinnlicher 
Nutlirvölker, ein sehr konkretes, und zwar das Abbild für die 
für da« Wachstum der Früchte ersehnte Fruchtbarkeit. So 
ist es noch in Indien und auch Java, und ähnliche Beob- 
achtungen hat Krauss in Bosnien maehou können. Herodot 
aber, dem das Verständnis für deu eigentlichen Zusammen- 
hang des Gebrauches fehlte, mußte die ihm berichtete Sitte 
als eine schändliche orientalische Entartung auffassen, er 
sah nur mehr, wie Krauss erklärt, den kasernierten oder rieh 
tiger templisierten Brauch vor »ich, ein ÜlajrleWl des älteren 
Feldopferkultes, von dem die einheimischen Manner, die 
Städter, nichts mehr wissen mochten, den jedoch die Krauen 
als die getreuen Bewahrerinnen des Glaubens ehrenhalber, 
wenn auch nicht mehr alljährlich, *> doch noch einmal 
im Jahre einhielten <H. Ii'.'). Wie gesagt , wir müssen mit 
unseren persönlichen Empfindungen und Gefühlen , wie das 
schon verschiedentlich gerade mit Bezug auf die vorliegenden 
Jahrbücher betont ist, sehr vorsichtig und zurückhaltend sein, 
sonst versperren wir uns Unweigerlich den Weg zum psycho 
logischen Verständnis der betreffenden sozialen Krscheinungen, 
und darauf kommt doch wohl alles an. Der dritte Rand, 
deu ein wannempfundencr Nekrolog lies Leiters des Leipziger 
Völkermus'Utns, Prof. Obst, aus der Feder des Herausgebers 
einleitet, enthält wiederum einen reichen Inhalt, und aufs neue 



dehnt sich der Horizont für den Forscher weit über die 
läufigen engen Grenzen unserer Weltgeschichte aus, es I 
sich auch hier um das Verständnis von Grundlnotiven im 
Empfinden ursprünglicher Völker, von denen uns moderne 
Kulturmenschen vielfach ein Abgrund trennt. 

Th. Achelis. 



Dr. ('. Hnonck • Hurgronje, The Achinese. Trauslated 
by the late A.W. S. O'Sullivan, With an Index by K.J. 
Wilkinson. 2 Blinde. XXVI u. 4St» -f IV u. »st Seiten- 
I/eiden. K. J. Brill, 190«. :<0 M. 
Die sich lange hinziehenden, jetzt ziemlich beendigten 
Kriege der Niederländer gegen Atachin an der Nordspitze Suma- 
tras haben das mohammedanische I«nd auch in Kuropa bener 
bekannt gemacht und länger in der Press» beschäftigt nl« 
irgend einer der kleinen oder grollen Staaten Iuseliudiens, die 
den tatkräftigen Niederländern unterworfen sind. Wieviel 
aber bezüglich der Kriegführung und Ethnographie uns un- 
bekannt war, ersehen wir erst aus dem vorliegenden um- 
fangreichen Werke des berühmten Arabisten, da» in engli- 
scher Übersetzung und mannigfach durch Verfasser und 
Dhersetzor vermohrt uns hier getoten wird. 

Da das religiöse Moment in den Kriegen gegen Atschin 
hei dem mächtigen Fanatismus der Eingeborenen sehr in die 
Wagschale Hei, so entschloß sich schon 1K91 die niederländi- 
sche Kegierung, den Verfasser als vorzüglichen Kenner des 
Islam und aller seiner Bewegungen dorthin zu senden, um 
zu erforsche», wie dessen Einwirkungen auf das politische, 
soziale und häusliche Leben der Atschinesen beschaffen seien. 
Bald erkannte er aber, daß er seine Aufgabe, «illte sie von 
Erfolg sein, erweitern müsstc : so viel auch über Atschin ge- 
schrieben war. Dr. Hurgronje sah, daß noch mehr zu tun sei, 
und erstreckte daher seine Studien auch auf die Sprache, das 
Land uud die Ethnographie. So entstand l«»4 sein hollän- 
disch geschriel» nes Werk, welche« O'Sullivan, früher Assi- 
stent de» Kolonialsekretärs der britischen Strait Settlements, 
übersetzte. 

In dem Buche wird mit vielen landläufigen Meinungen 
aufgeräumt, und wer es durchliest, wird weit gerechter über 
die .dreißigjährige Kriegführung* der Holländer urteilen, als 
dieses in der europäischen Presse der Fall war, die daran 
ungerechte Anschuldigungen über Hollands „Unfähigkeit zum 
Kolonisieren" knüpfte. Die Unterwerfung war im Interesse 
der Zivilisation nötig geworden, deun Atschin hatte in der Tat 



vom Mohuuimedanisinus fast nur jene Dogmen nngeno 
und iu die Praxis übersetzt, die sich nuf den Haß gegen 
Andersgläubige bezogen; die Einwohner waren auf Kosten 
anderer Völker Seeräuber und Mcnschenjäger geworden- 
Raub und Mord gegenüber den pfcflcrsiicbendon europäischen 
oder amerikanischen Schiften waron au der Tagesordnung. 
Aber schwer wurde es den zunächst («Heiligten und die Herr- 
schaft über Sumatra führenden Niederländern, dagegen auf- 
zukommen. Es gab keine Zentralmacht in Atschin, sondern 
uur eine groß« Anzahl von uuabhäugigen Kleinstaaten, die 
seit dem IT. Jahrhundert, al« das Sultanat Atschiii zeräel. 
aufgekommen waren. Schwierig und latigdauernd waren die 
Kämpfe, bis 1*9« unter der tatkräftigen Leitung des Gou- 
verneurs van Heutsz die glückliche Pazifizieruug gelang- In 
mancher Beziehung gleichen die Kriege der Niederländer in 
Aischln unserem eigenen sich auch schou »o lange hinziehen- 
den in Südwestafrika. Wo die Holländer im offenen Felde den 
Atschinesen gegenüberstanden, war der Sieg niemals zweifel- 
haft. Aber an die Stelle solcher Kämpfe trat ein Kleinkrieg, 
der durch die Beschaffenheit des Lundes den Kingeboreiien 
zustatten kam, und dem erst dadurch ein Ende bereitet 
werden konnte, daß die Holländer ihrerseits selbst zu dieser 
Art Kriegführung ülwrgmgen und Guerilla gegen Guerilla 
stand. Das ganze ehemalige Königreich Atschin mit allen 
Nebenstellen stoht heute unter der Herrschaft der Nieder- 
länder. Die Distrikte werden von orbliehen einheimischen 
Chefs unter Aufsicht von holländischen Zivilassistenten re- 
giert, und holländische Besatzungen sorgen dafür, daß auch 
die letzten noch hier und da er»< heulenden Händen bald un- 
schädlich gemacht werden 

Das Werk ist eine Ethnographie im großen Stile, geschöpft 
zum großton Teile aus den Beobachtungen des Verfassers, die 
dadurch t»'»onders wertvoll werden, daß überall die sprach- 
liche Grundlage vorhandeu i«t. Die physische Anthropologie 
allerdings wird nicht behandelt, und hier müssen Ergän- 
zungen stattfinden, die aber auch nur die allgemeine malaii- 
sche Grundlage der Bevölkerung feststellen werden. Ge- 
schichtliche Daten über den Ursprung der Atschinesen fehlen 



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Bücherschau. 



gänzlich, «icher nber erscheint, daß sie ein gemischtes, au» 
verschiedenen Elementen zusammengesetztes Volk sind. In den 
Überlieferungen int viel von Fremdlingen die Rede, die eich 
dem malaiischen Stumme iMUtnischten . namentlich Kling«, 
dann allerlei Sklaven, zumal solche von der Insel Nias, die 
in großer Menge eingeführt wurden, deren Blut nebst batavi- 
iwbem, chinesischem und selbst abessinischem zum Aufbau 
der Bevölkerung beitrug. 

Die einzelnen Kapitel des Werke« mit vieleu Unterabtei- 
lungen handeln von der Begierung und der Rechtspflege, 
vom Kalender, den Jahreszeiten, dem Ackerbau, der Schiff- 
fahrt und Fischerei, vom häuslicheu Leben, von Geburt. 
Hochzeit und Tod, von den Wissenschaften und Schulen auf 
mohammedanischer Grundlage, von der Literatur und den 
Volksüberlieferungen (darunter epische Dichtungen), von 
Spielen, Musik und Festen, schließlich von der Form, die der 
Islam in Auchin angenommen hat, wobei die heidnischen 
Überlebsei, Krankheitadämonen, Aberglaube, heilige Baume 
und Steine usw. hervorgehoben werden. Sehr wertvoll sind 
die Vergleiche des Verfassers mit dem Islam in Arabien und 
seine über diese Religion und ihre Zukunft angestellten all- 
gemeinen Betrachtungen. 

Georg Wermert, Die Insel Sizilien in volkswirtschaft- 
licher, kultureller und sozialer Beziehung. VI und 48» 8. Mit 
einer Karte. Berlin, D. Reimer, lOO.V 
Dies umfangreiche Buch über Sizilien stellt sich in der 
Hauptsache die Aufgabe, sizilinniiches Leben in Kultur und 
Volkswirtschaft zu schildern. Verfasser stützt sich dabei 
teils auf eigene Beobachtung , teils anf das amiliche in den 
verschiedenen Untersuehungsberichten niedergelegte Material. 
Das Buch ist in gewisser Wei«e ein verdienstliches Werk, und 
zwar insofern , als es überzeugend dartut , in wie vielen, 
man möchte sagen, beinahe allen Dingen Sizilien hinter der 
Neuzeit und ihren Aufgaben zurückgeblieben ist. Die italieni- 
sche Regierung soll mit Interesse von dem Inhalt des Buches 
Kenntnis genommen haben, das ihr freilich einen Spiegel 
vorhält , indem sie schwere eigene Verfehlungen und Unter* 
lasaungasüDden ihrer Vorgänger verzeichnet findet. Das Haupt' 
gewicht liegt , wie gesagt , auf der kulturellen Seite. Die 
ersten Abschnitte mit Obertfächengestaltung , Geologie, Vul- 
kanismus, Bodenliescbaffenheit , Hydrographie, Klima und 
Küstenentwickelung sind daher gleichsam nur als Einleitung 
zu betrachten und dem Verfasser weniger geglückt. Das 
Kapitel über Geologie ist gar zu kurz, nämlich eine einzige 
Seite, vom Vulkanismus eigentlich nur der Ätna berücksichtigt; 
die Hydrographie «teilt sich als eine trockeno Aufzahlung 
der Bach- und Flußläufe dar, und in dem geschichtlichen 
Überblick vermißt man Literaturangaben. Mit Recht wurde 
freilich die Leidenszeit der Insel unter dem bourboniwhen 
Regiment eingehender behandelt, weil sich aus der Vernach- 
lässigung und durch dessen Mißwirtschaft die heutigen 
traurigen Zustande einfach erklären. Alle diese Abschnitte 
füllen das erste Viertel des Baches, der Rest fallt folgenden 
Kapiteln zu: I. Bewaldung. Viehzucht, Aakerbau, Obstkulturen, 
Schwefelbergbnu , Industrie, »alz, Fischerei und Schiffahrt; 
•l. Handelsvertretung, Kredit- und Arbeitsverhältnisse; 3. Unter- 
richt, kirchliches Leben, Kommunal Verwaltung, Volkscharakter 
und Mafia, soziale Bewegung. Die sachliche, verständige und 
klare Darlogung dieser oft schwierigen Verbältnisse leidet 
nur ein wenig unter einer gewissen Breite uud Wiederholung, 
so daß eine letzte kritische Durcharbeitung nicht geschadet 
hätte. 

Sizilien ist auch heute noch ein Land des Ackerbaus, 
gegen den Industrie, Pischfaug, Schiffahrt usw. ganz in den 
Hintergrund treteu. Aus der unendlichen Rückstündigkeit 
der Landwirtschaft, die mit ihren Instrumenten zum Teil nicht 
viel weiter gekommen ist als zur Kömerzeit , und aus der 
überaus unrationellen Art des Betriebe*, aus der unglück- 
seligen Verteilung de« Grundbesitze* und der Verpachtung 
rührt das ganze Leiden des Volkes her. Ks herrscht tati- 
fundienwesen, Kleinbesitz kommt nur distriktweise vor. Aber 
der Großgrundbesitzer kümmert sich selbst gar nicht um seine 
Besitzungen, sondern verpachtet sie in Losen an Unternehmer, 
die wieder in mannigfacher Weise , z. B. auf die Hälfte de« ', 
Kr trage«, das Land an Kleinbauern »der Arbeiter abgeben. 
Diese Pacht und Unterpachten werden genau und nach ihren 
schlimmen Wirkungen dargestellt: «ie »iud ein Wuclicrsyatem 
schlimmster Art, dem der kleine Mann schutzlos preisgegeben j 
ist. Verschiedene Berechnungen zeigen , daß «ehr oft trotz 
unermüdlicher Arbeit für den eigentlichen Bebaiier des Bodens 
nichts oder so gut wie nichts übrig bleibt, wührend sich die 
Oberpachter und Herren auf «eine Kosten ernähren. Daher 
kommen das tiefe Klend das geringen Volkes, die Unmöglich- 
keit , sich emporzuarbeiten . seine körperliche und geistige 
geringere Kntwickelung , das allgemeine .Mißtrauen, die Ge- I 



heimbündelei und die stete Wiederkehr von Rebellion und 
blutigen Aufständen. Zwar haben einsichtige Landslcute und 
die italienische Regierung durch mancherlei Einrichtungen 
und Gesetze Abhilfe zu schaffen versucht. Aber es hat alles 
nicht« oder nur wenig genützt, weil Gesetze, die der herr- 
schenden Kaste unbequem «ind, einfach nicht durchgeführt 
werden oder andere, wie das Volksschulgesetz, unter den 
bestehenden Verhältnissen gar nicht durchführbar sind. Es 
besteht ein unlösbarer Gegensatz zwischen dem modernen 
Staat und der im Mittelalter stehenden, geknechteten, durch 
die Kirche in Verdummung und Unbildung gehaltenen Be- 
völkerung, der zurzeit gar nioht gelöst werden kann. Gerade- 
zu abschreckende Bilder entrollt der Verfasser in der Schilde- 
rung des Schwefelbergbau«, dem jahraus jahrein Tausende 
junger Männer zum Opfer fallen, und der trotzdem nicht 
der Insel den Wohlstand bringt, den er durch Einfuhr von 
Kapital zu erzeugen geeignet wäre, weil auch er unter ver- 
alteten Methoden und fiskalischem Drucke leidet. Trüb sind 
die sittlichen Verhältnisse auf dem Lande und unter der zahl- 
reichen niederen , armen , auf allerlei Nebenverdienst ange- 
wiesenen Geistlichkeit, trübe auch die Ausblicke auf die 
körperliche Degeneration, auf den fast ganz ausgeschalteten 
Elementarunterricht und als Folge davon auf ein fast tieri- 
sches Hinleben der niederen Landbevölkerung. Zahlreiche 
Verbrechen, vor allem gegen das Leben, die auf jedem Fort- 
schritt lastende Geheimbündelei , die sich sogar vor dein 
Morde nicht scheut, sind unvermeidliche Folgeerscheinungen. 

Sizilien könnte das reichste, blühendste Land des Mittel- 
meeres sein. So aber gedeiht eigentlich nur die Obstkultur, 
d. h. die Gewinnung der Agrumen uud des Weines. In allen 
anderen Dingen enthüllt sich in dieser von der Natur ge- 
segneten, herrlichen ' Insel überall dem forschenden Blick die 
unendliche Verwüstung , die Unverstand und Mißwirtschaft 
seit den Romerzeiten angerichtet haben. Dies in allen Ein- 
zelheiten klargestellt zu haben, ist das Verdienst dieses Buches. 

W. Deeeke. 

Knud Ra«mu»seii, Neue Menschen. Ein Jabr bei den 
Nachbarn des Nordpols. Einzig autorisierte Übersetzung 
von Elsbeth Rohr. VIII u. 191 S. Mit « Abb. Bern, 
A. Francke, 1907. 
Die ^dichterisch frei" als neu und als Nachbar» des 
Nordpols bezeichneten Menscheu sind die aus Pearys verdienst- 
lieben Schilderungen bekannten Kap York Eskimo, die an 
der Melville-Bai weitab und ganz isoliert von den Eskimo 
des dänischen Westgrönland leben. Von ihrer Existenz weiß 
man schon seit Roß und Inglefield. Ihre Sitten und Ge- 
bräuche , insbesondere aber ihre Folklore zu studieren , war 
der Zweck der .literarischen* dänischen Grönlandexpedition 
von 1903 bis 1904, an der außer Myliut Frichsen und dem 
Maler Graf Moltke der Verfasser teilnahm. Bastnussen ist 
ein grönländische« Halbblut (Eskimnmuttor) und In Grönland 
aufgewachsen, man darf also annehmen, daß er der Expedi- 
tion sehr nützlich gewesen ist. In vollem Umfange wird da* 
aber wohl erst bei den zu erwartenden wissenschaftlichen 
Ergebnissen der Expedition hervortreten; denn dieses Buch 
enthält nur Einzelne«, was neu ist, und ist etwas romanhaft- 
feuilletonistisch gefaßt. Immerhin ist es interessant, unter 
anderen auch dadurch, daß der Verfasser «eine Gewährsleute 
als redend einführt und — jedenfalls in stenographischer 
Treue — ihre Darstellung wiedergibt. Der erste Teil enthält 
Skizzen aus dem Leben de« kleinen Stammes und der Ex- 
pedition, der zweite Mitteilungen über die Anschauungen der 
Leute über die Schöpfung, die Mcn«chen, das Leben, den Tod, 
über Geisterbeschwörung u. n. in. Die Sagen und Fabeln de« 
dänischen Originals hat die Übersetzerin aus Bücksiebt für 
zartbesaitete Lesergewnter fortgelassen. Die Übersetzung 
selbst liest sieh gut; nur der Ausdruck , Walfischbeine" kommt 
uns etwas bedenklich vor. 

Dr. Alexander Rompoll , Sizilien und die Sizilianer. 
Neue Folge. 339 8. Badeberg, Theodor Pfeil, 190". SM. 
Einem vor ein paar Jahren erschienenen ersten Bande 
hat der Verfasser nun «inen zweiten folgen lassen , der zu- 
nächst zwei Städtebilder (Palermo und Messina) und die 
Schilderung eines Besuchs auf den Liparischen Inseln dar- 
bietet. Der übrige Inhalt beschäftigt sich mit einigen Suiten 
de« sizilianischen Volkes. Zunächst be*pricht der Verfasser 
die stark ausgebildete Fertigkeit der Sizilianer, sich durch 
Gesteu und Zeichen einander verständlich zu machen, ja 
ganze kleine Gespräche zu führen. Der lebhafte Südländer 
entwickelt auf diesem Gebiete, wie muri weiß, eine eigen- 
tümliche. Vollkommenheit, wenn die Meinungen darüber auch 
oft ins Übertrieben« gehen. Ks folgen Kapitel über Kätsel- 
poesie, über Sprichwörter, über die Art, wie da« Volk Weih- 
nachten und Fastnacht begeht, ein Bildchen ,ln der Ölmühle" 



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Kleine Nachrichten. 



und schließlich ein umfangreich«* Kapitel über die Volk*' 
liedcr. Int clor Inhalt dieser Aufnatze auch nicht volksktind- 
lich im streng wissenschaftlichen Sinne — die n*t*e| , Sprich- 
worter- und Liederproben werden nur in freier Übersetzung 
gegeben — so bieten sie doch vieles . was der Aufmerksam- 
keit wert iat. Im übrigen ist das Buch «ehr geeignet , den 
Beiucher der Insel iu augenehmer Form in da» Verständnis 
ihrer Bewohner einzuführen. 

Prof. Dr. G. (Jerlnnd, Immanuel Kant, seine geographi- 
schen und anthropologischen Arbeiten. Berlin , Reuther 
und Heiehard. 190«. 4 M. 
Der Autor behandelt in umfassender Darlegung die 
Fragen: Was war Kant für die Geographie' Was war die 
Geographie für Kant? 

Kant hat sich bekanntlich sehr viel auf geographischem 
Gebiet als Dozent betätigt (iu 4" Semestern, »munter 29 in 
vierstündigem Kolleg:), und er bat eine Beihe von Sehrifteu 
verfallt, unter denen die „Naturgeschichte und Theorie des 
Himmels" und die „Physische Geographie* die erste Stelle 
einnehmen. 

Wahrend Kant au» »einen gengraphischen Studien viel 
Anregungen zu seinen philosophischen Schriften fand, hat, 
wie Verf. darlegt, die geographische Wissenschaft durch Kaut 
nur geringe Bereicherung erfahren. Man erkennt, daß Kants 
Schriften sich nur wenig von denen seiner Vorgänger aus- 
zeichnen, sogar in vieler Hinsicht Rückschritte darstellen. 
Dies der Grund, weswegen sie so lange unbekannt geblieben 
sind, bis sie erst durch das Studium des Philosophen Kant 
aDS Tageslicht gelans;tou. 

In sehr ausführlicher Weise wird die „Naturgeschichte 
de* Himmels" dargestellt. Man sieht ohne weiteres, wie »ich 
das Werk als eine merkwürdige Verquickung theologischer 
Betrachtungen mit selbst bewußteu Formelu und vagen Theo- 
rien kennzeichnet. Dabei Anlehnung und Verspottung exakter 
Forschung (auf mathematisch-physikalischem tiebiet), mangel- 
hafte Kenntoisse, die zum Teil weit hinter seinerzeit zurück- 
stehen! Das Ganze sagt, wie Verf. darlegt, seiner Zeit so gut 
wie gar nicht« Xeues und ist in Stil und Ausdruck als ver- 
fehlt zu bezeichnen , weswegen es nicht mit Unrecht der 
Vergessenheit auheim gefallen war. 

Sehr richtig legt G. Gerland ferner dar, daß es ein grober 
Verstoß ist, wenn man, wie vielfach versucht wird, die Kant- 
«che Arbelt in Parallele rait der ,Mecani(|iie eilest«" eine« 
LaplacA stellen wollte. Die „Theorie des Himmels* sei dazu 
zu minderwertig in Auffassung, Methode, Absicht und Hesul 
tat, so daß man die unausgeführten durchaus unklaren Ge 
danken Kants nicht mit der wnhldurehgeführten Theorie 
Laplaces als . Kant-Laplacesche Lehre' vereinigen darf. 

Wir müssen die einzelnen Tunkte der kritischen Ile- 
sprechung Gerlands hier übergehen und wollen nur kurz, 
die verschiedene» geographischen Gelegenheitsarbeiten Kants 
außer acht lassend, auf das zweite geographische Haupt work 
Kants, die .Physische Geographie", zu sprechen kommen. 

Auch dies Werk hat eben*» viele Irrtümer, wie die sehr 
viel früher geschriebene .Naturgeschichte de» Himmels" ; es 
laßt sogar mehr noch als jene* Kant auf dem Niveau dar 
Geographen des IT. Jahrhundert« i und nicht des »einigen) 
erscheinen. Gleichwohl haben, wie der Verfasser 



j anerkennt, auch manche der geographischen Studien Kaut« 
einen bleibenden Wert — aber das wenige scheint nach 
Gerland gegenüber dem Unbedeutenden zurückzustehen und 
wird gleichsam erdrückt von der Füll« des in Form und 
Inhalt Verfehlteu. 

Die Studien Kanu auf dem Gebiete der Anthropologie 
wollen wir hier übergehen uud auf die Darstellung Garlands 
verweisen 

Die gesamte Darlegung von G. Gerlnnd ist von Wichtig- 
keit einersei» für die Philosophen, die vielfach die Bedeutung 
von Kant für die geographische Wissenschaft überschätzten; 
sie ist andererseits auch interessant für den Geographen (ob- 
wohl für diesen die Studien Kants ja niemals eine Rolle 
gespielt haben), und zwar deswegen, weil das Bild eines — 
wenn auch weniger bedeutenden — Geographen im Spiegel 
der Kenntnisse seiner Zeit gegeben wird ; und dies in einer 
Weise und auf Grund so umfassender Studien , wie sie eben 
nur die unnahbare Größe des Philosophen Kant (und nicht 
des geographischen Laieu) zu rechtfertigen imstande ist. 

Wal liier von Knebel. 

Dr. med. Karl Opitz, Die Medizin im Koran. »S Seilen. 
Stuttgart, Ferdinand Kuke. IKO«. 
Vorliegende Schrift bildet gewissermaßen eine Fortsetzung 
und einen Schluß zu den beiden Büchern Ebsteins, welche 
1 die Medizin im Alten, sowie im Neuen Testament und im 
: Talmud behandeln. Nun bietet das Gesetzbuch der Mobanv 
! medauer ja allerdiugs nicht die gleiche Menge von medizinisch 
i interessantem Stoff wie z- B. das Neue Testament oder in 
noch höherem Muße der Talmud. Indessen läßt doch auch 
der Koran mancherlei amüsante Einblicke tun iu die hygienisch- 
medizinischen Anschauungen, wie sie durch Mohammed unter 
den Arahern gang und gab« geworden sind. 

Wie aus duu flott geschriebenen Ausführungen des Ver- 
fassers hervorgeht, zeigt sich der mohammedanische Gesetz- 
geber .mit seiner Naturphilosophie und seinen Kenntnissen in 
der Medizin ziemlich auf der Stufe, die man in Anbetracht 
seiner Zeit und Umgebung erwarten kann". Obwohl die von 
Ihm vertretenen Vorstellungen hinsichtlich der Krankheits- 
eutstehuug vidlig abergläubische waren, hat er doch bei seinen 
Vorschriften und Verhaltungsmaßregeln, auch auf dem weiteren 
Umkreise des hygienischen Gebietes, meist, mau darf wohl 
sagen instinktiv, das Richtige getroffen, obwohl ihm manch- 
mal auch gefährliche Irrtümer unterlaufen; so ist es z. B. 
erlaubt, mit Krauken zusammeu zu essen. Hinsichtlich der 
religioscu Vorschriften, welche die Gesundheitspflege berühren, 
.steht Mohammed überall auf den Schultern derer, die vor 
ihm politisch« Religionen gestiftet haben, im besonderen 
Mose»". Ks ist sein unverkennbares Verdienst, daß er die 
oft komplizierten Vorschrifteu jenes vereinfachte, wobei gerade 
die körperliche Sauberkeit gar nicht schlecht fahrt. Auffällig 
erscheint in diesem Punkt« nur, daß Mohammed trotz der 
bei so viele» Gelegenheiten vorgeschriebenen Waschungen 
nicht darauf verfallen ist, das Waschen der Hünde vor und 
nach der Mahlzeit zu gebieten. 

Alleu denen, die sich für die medizinischen Ideen jener 
Zeit interessieren, kann da« kleine Büchlein von Opitz emp- 
fohlen werden: sie werden mancherlei Interessantes und 
darin rinden. Dr. med. Schnee. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit Qu«H«isi>«*t>* gmUtut. 



— Auf eine für die Siedelungskuude wichtige Abhandlung 
von Oberstleutnant Heinrich Meier über die Beziehung 
Braunschwei gs zu den natürlichen Richtungen der 
mittelalterlichen Handelsstraßen (ltraunschweigis>hes 
Magazin ltKMt, Nr. 11) möge hier hingewiesen werden, dn sie 
schhigend an der Hand der Plaue im dritten Bande des 
Brauuschweigischen Urkundenbuclies nachweist, wie die Alt- 
stadt aus dörflichen Ansiedelungen an den alten Handels 
wegen entstanden ist. Im neu kolonisierten tiebiete östlich 
der Elbe wurden die Städte mit geometrischem Grundriß auf 
frei verfügbarem Roden angelegt, was leicht noch zu erkennen, 
auch bei R^merstädten wie Alexandria, r des*en Gruudriß 
dem von Chicago wie ein Ki dem anderen gleicht*. Anders 
bei den deutschen Städten im Westen der Elbe, wo die Er- 
bauer nicht unbeschrankte Herren des zu bebauenden Gebietes 
waren, wo sie Eigentumsgrenzen achten mußten und früher 
vorhandene dorfliche Anlagen, sowie die großen Heer- und 
Handelsstraßen die Eulwickelung des städtischen Gemein • 
wesens bedingten. Ungemein treffend wird dieses Verhältnis, 
das noch heut« genau erkennbar ist, au der Altstadt Brann- 



| sebweigs mit ihren ohne Querstraßen verbundenen sürtnörd- 
| liehen Straßen nachgewiesen, die alle aus alten Fahrstraßen 
I entstanden sind. .Ihre Wagenspuren glichen denen, wie sie 
noch zu unserer Väter Zeiten in der Lüneburger Heide die 
Regel waren. Niemals geradliuig. niemals parallel, liefen sie 
dennoch ohne große Umwege nebeneinander her, um sich 
beim nächsten Heidekruge in eins zusammen zu finden." 
Als der Anbau an diesen sechs Fahrwegen sich vennehrte 
und durch Aufblühen des Handels seineu dörflichen Charakter 
verlor, ist dort die Altstadt Brattnschweigs entstanden, wie 
dieses dann au der Hand der Quellen naher ausgeführt wird. 

— Straußenzucht in den Vereinigten Staaten. 
Die Nonlatnerikancr , «der vielmehr ihre Damen, gehören zu 
den stärksten Verbrauchern von Straußenfedern, von denen 
im Rechnungsjahr 1»0:< "H für 2 2*1! a l r» Doli, eingeführt worden 
sind. Sie haben nun das Bestreben, diese Federn im eigenen 
I*ande zu erzeugen , und sich deshalb auf die Straußenzucht 
verlegt. Sie ist muh .iunp, nimmt aber an Umfang «u , «o 
duU die Amerikaner hoffen, iu wenigeu Jahren ihren Bedarf 



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Kleine Nachrichten. 



.,1 



seibot decken zu können- Ks gibt jetzt nach dem Jahrbuch 
de» Landwirtschaft«- Departements 2500 innerhalb der Union 
auf Btraußeufarmen gehaltene Vögel, vou deneu 1740 Stink 
auf Arizona entfallen , wahrend dar liest sich zum größten 
Teil in Kalifornien, dünn auch in Florida und Arkansas be- 
findet. Die meisten die»er Strauße tlamineu von einem 
einzigen Exemplar ab, das 1891 jeinaud in Arizona besaß. 
Wo gute Alfalfaweide vorhanden ist, werden die Vögel größer, 
als es die zuerst importierten waren: ein ausgewachsener 
Strauß wiegt ISO bi* '.MO kg und wird üV, i", manchmal auch 
3 bi» 3', , in hoch. Am besten gedeiht er in einem warmen, 
trockenen Klima, seiner afrikanischen Heimat r-utsprei-hend j 
doch kommt er in den südlichen Staaten der Union überall 
fort. Vor Kälte und Regen muH er geschätzt, werden. AI« 
erwachsen und fortpflunzuugsfahig gilt der Straut), wenn er 
etwa vier Jahre alt ist Bei den Weibchen tritt dieser Zeit- 
punkt am G Monate bis I Jahr früher ein als beim Männchen, 
doch legt es selten vor »'/, Jahren ein fruchtbares Ki. Das 
Nest ist ein hohlos Koch im Boden . das das Männchen mit 
den Füßen auskratzt. Zunächst will das Weihehen vou diesem 
Nest nicht« wissen und legt sein erstes Ki auf die Erde, wor- 
auf das Mänuchen es in das Nest zu rollen pflegt. Hat e« 
so drei oder vier Hier dorthin gebracht, so legt das Woihchvn 
die übrigen selber in das Nest. In etwa 30 Tagen werden 
es 12 bis 1* Stück. Hann beginnt das 42 Tage dauernde 
Brutge schaft. Gewöhnlich werden die Strauße in Trupps von 
25 bis 30 gehalten. Sind sie ein Jahr alt, so worden Männ- 
chen und Weibchen getrennt, und mit »'/» Jahren werden sie 
paarweise zueinander gegeben und jedes Paar für sich in 
eine Einzäunung gebracht, die ihm genügend Nabrnng bietet. 
Sind die Vögel ein Jahr alt, so geht man nicht ohne einen 
Strauch oder Stock unter sin, da sie manchmal angriffslustig 
sind; sonst sind sio sehr furchtsam. In Afrika soll der wilde 
Strauß lange ohne Wasser auskommen können, in Amerika 
trinkt er täglich Wasser , wenn er es bekommt. Die Strauße 
sollen sehr alt werden, doch fehlen darüber noch Erfahrungen; 
in Arizona versichert man, daß die Tiere, wenu sie gute, 
grüne Nahrung halten , selten sterben , es sei denn infolge 
eines Unfalls, wie Beinbruch. Daran gehen die Tiere ein, 
man lötet sie deshalb gleich in solchen Fällen. Sechs Monate 
alte Tiere werden mit 100 Doli, das Stück bewertet, vier Jahre 
alte brütende Tiere habeu einen Wert von Söu Doli, das Paar. 
Mit sechs Monaten wird der Strauß zum ersten Male seiner 
Federn beraubt, danu kann es alle acht Monate geschehen. 
Die Federn des Mannebens sind die wertvolleren. IKr Strauß 
liefert jährlich etwa o.7 kg Federn , deren Wert :;o Doli, be- 
trägt , sowie :i« bis 90 Eier, die, soweit man sie nicht zur 
Zucht verwendet, als Nahrungsmittel gebraucht werden. 



— über die von dem Vermessungsschiff .Planet' boi 
seiner Ausreise nach der Südsee erzielten wissenschaftlichen 
Erfolge gelangen die erfreulichsten Berichte iu die Heimat. 
Nachdem es ihm auf dem seitherigen Wege bis Sumatra ge- 
lungen war, schon in verschiedenen ozeanographischeu Fragen 
entweder reiches neues Material beizubringen oder direkt 
zur Entscheidung derselben beizutragen, hat es (wie Nr. 12 
der „Auualen der Hydrographie" meldet) bei Untersuchung 
der TiefenverhÄltnisse de« Meeres südlich von Java den seit 
her vermuteten ,Sundagr»bon* durch erneute Lotungen sicher 
belegen können. Zwischen diesem schmalen Hauptgrahen 
und der Küste wurde außerdem uoch eine wie der Graben 
der Küste parallel laufende weniger tiefe Einsenkung auf- 
gefunden, die durch eine Schwelle von 1300 m relativer Hohe 
vern dorn Suudagiarj.li getrennt ist. Die Lotung in dem 
Hauptgraben ergab eine Tiefe von 7000 in und stellt damit 
gleichzeitig die größte Tiefe vor, die bis jetzt im Indi- 
schen Ozean gelotet ist; die größte bisher bekannte Tiefe 
betrug 6*5» m und liegt nordwestlich von Australien. Or. 



— Das .Riosongrab* von Kusseri. Ein beute ver- 
schwundener, ehemals mächtiger Stamm im bildlichen Hornu 
sind die So. Nachtigal berichtet von ihnen (.Sahara und 
Sudan', Bd. 2, S. 4031, sie lebten noch im Mumie des Volke», 
doch schon mit dem Nimbus des Sagenhaften umkleidet, sie 
wurden als den späteren Generationen wenig ähnliche Men- 
scheu, ja als Bieten geschildert. „Umfangreiche Behälter 
werden noch in Ngala als ihr Hausgerät gezeigt, teils Krüge 
. . ., teils umfangreiche Schüsseln, aus denen sie ihre Mahl- 
zeiten eingenommen habeu sollen*. Ihre alt« Hauptstadt war 
Ngala, wo Nachtigal ein großes Erdmausidvum sah. Die 
Toten wurden iu sitzender Haltung bestattet; innti setzte 
eine kegel oder zuckerhutfönnige Zierde uu« gebranntem 
Ton auf das Grab und bedeckte das Ganze mit Erde (ebenda, 
8. 426). Auch Bauer hörte v.m diesem Riosengeschleeht und 



ihren .mehrere hundert Liter' fassenden Töpfen (, Die deutsche 
Niger— Benue — Tsadsoe-Expedition", S Bfi). Nun berichtet der 
Oberarzt der Kameruner Schutztruppe Freyer tu Nr. 24 des 
.Kolonialblattes', daß im Mai 1906 bei Erdarbeiten an der 
Station Kusseri 1 in unter dem Boden zwei gebrannte Ton- 
gefäße freigelegt wurden, die nach Aussage der Eingeborenen 
einem Begrilbnispluix aus der .Riesenzeir angehören sollten. 
Der eine, Topf war mit der Öffnung nach oben , der andere 
mit der Öffnung nach unttn gestellt. Die zuletzt genannte 
Stellung wurde von den Konten als die richtige bezeichnet; 
die Leichen seien (vgl. Nachtigal) in eine hockend« Lage 
gebracht worden . uud dann habe man die Töpfe darüber 
gestülpt. Die Höhe der 3 cm dünnen und leicht zerbrech- 
lichen Töpfe betrug ziemlich 1 m, der Durchmesser 5« und 
41 cm. Der Inhalt de* .ersten" Topfes (wohl des umgekehrten) 
bestand aus Erde und Knochenfragmenten , darunter Schien- 
bein- und Schenkclstücken. der des anderen aus Zahnslücken, 
Perlenresten und einein kelcbförmigen Tongefäß. Freyer 
nahm an den ßeitiknochon Messungen vor. Und die (u. a. O. 
mitgeteilten) Zahlen ergalien natürlich keine Riesen- oder 
ungewöhnlich große Dimensionen. Der Resident von Kusserl, 
Oberleutnant Schipper, gibt zu dein immerhin interessanten 
Funde einen Kommentar. Danach hätten die Urnen große 
Ähnlichkeit mit den ebenfalls der Rieeetixelt zugeschriebenen 
Kolossaltopfeu in Ngala, Ndufu usw. Seiner Ansicht nach 
ist die Riesensage dadurch entstanden, daß die heutige Be- 
völkerung in ihrer Phantasie zu den hier noch vielfach sich 
voi-ffiidvudon .unverwüstlich starken und mächtigen Töpfen 
auch ebenso mächtige Menschen konstruiert hat, die spielend 
ein halbes Dutzend jeuer schweren Kiesentöpfe zum Wasser 
trugen konnten , während diese Töpfe höchstwahrscheinlich 
nichts weitor als Wa.s*er*aiiimelbecken darstellen , die zum 
Auffangen des Regens dienten oder mit Hilfe kleiner Töpfe 
gefüllt wurden*. Schwerer sind seiner Ansicht nach die dort 
vielfach vorkommenden Lehmhügel — z. B. bei Mafate, Ssau 
(- So) usw. — zu erklären, die von der heutigen Bevölke- 
rung als Beweise für die Richtigkeit der Ricsensnge angeführt 
würden. Es sind aber wohl Gräber der So oder ihrer Nach- 
folger, der Makari {oder Kotoko), die die Begi-äbuissitte der 
Sö nach Nachtigal annahmen. Wenn einer unserer .Afrikaner" 
dort in Borun soviel wissenschaftliche» Interesse, hätte, einige 
der Hügel aufzugraben, so wäre das gewiß verdienstlich und 
vielleicht nützlich Aber au solchem Interesse fehlt es eben. 



— Uber archäologische Funde in der Umgegend 
des Issyk-Ku) hat ein russischer Reisender, A. Cnhn, der 
l^.udoner geographischen Gesellschaft einen Bericht gesandt 
(mitgeteilt im .Geogr. Journ." , Dezember mos). Eine ört- 
liche Tradition besagt, daß unter dem Wasser des Issyk Kul 
Ruinen alter Städte liegen, die durch ErdU'ben, wie sie auch 
in neuerer Zeit dort vorkommen, versenkt worden sein sollen. 
In Koisary am Sudostufer des Sees, etwa HO km vou Pi-schewalsk, 
aiud im Wasser Reste von Hausgerät gefunden , und (Jahn, 
der die Stelle aufsucht«, machte den Versuch, darüber etwas 
Näheres zu ermitteln. Er uutersuchte dazu einen breiten 
Streifen des schlammigen Ufergrundes. soweit die Tiefe dies 
gestattete, uud fand dabei Bruchstücke von Töpfen aus ge- 
bräuntem Ton , die mit geraden und Spirallinien verziert 
waren , einige Menschen- und Haust lerktmcben und harto 
viereckige Lehmplatieu , die ihn nn die Ziegel eriunerten, 
mit denen in den südlichen Teilen von Turkenlan die Mauern 
der Moscheen geschmückt sind. Er fand auch eine glatte 
runde Scheibe aus achwarzem, versteinertem H<dx mit einem 
Ijocb in der Mitte, die, wie er meint, in einer Mahlmühle 
gebraucht worden ist. ('ahn erfuhr, daß die Kirgisen einmal 
eine unversehrte ovale Schale vou etwa 25 cm Höhe und ein 
eisernes Armband gefunden hätten. Ferner wurde ihm be- 
richtet , daß diu undeutlichen Umrisse vou Mauern und Ge- 
bäuden manchmal , wenn das Wasser klar »ei , zu sehen 
wären. Für weitere Untersuchungen würde man Taucher oder 
wenigstens ein Boot gebraueben; ein solches ist aber nirgends 
am Südufer, nicht einmal in Prschewalsk , zu halten. Prof. 
Kikolsky glaubt, daß diese Reste aus der Zeit der Ussuneu 
stummen, die in der Gegend im 2. Jahrhundert v. Ohr. sich 
niederließen , nachdem sie aus Westchina von den Hunnen 
vertrieben waren, uud dort bis zum 5. Jahrhundert «aßen. 
Sotunn berichtet ('ahn von Ruinen aus vielen Teilen des 
Alatau. von denen manche wie Bergfestuugen und andere 
wie Forts an Handelswegen ausseheu. Am Nordufer, bei dem 
Dorfe I'reobraschenski , gibt es ein System winkliger Forts, 
die vmi aus dem S.-e gefüllten Wallgräben umgeben sind. 
Sie sollen von Timur erbaut sein, uud in der Mitte liegt eine 
rohe Granittigur, die den in Südrußlaud gewöhnlichen Stein 
tiguren ähnelt, die lucnschliclu- Wesen in ruhender Stellung 
wiedergeben, Eine zweite Ruine liegt nicht weit vom F'-rt 



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-.2 



Naryn am Atbaschitluß in einem breiten Tale. Diane Befesti- 
gung hat äußerst dicke Mauern aus gestampftem Lehm, die 
einen regelmäßig viereckigen 1 !• >f umsch)ießeu, und eiu alter 
Kirgise erklärte , daß sie von Koschol , einem General der 
Khan* der Goldenen Horde im 14. Jahrhundert, erbaut worden 
»ei. Kiene Mauern stehen noch zum (trotten Teil und er- 
reichen »'im- Höhe von über üo in und eine Dicku von bi* 
7' , tn. Auch da« berühmte Tasch-rahat in der Gegend de* 
Tschatyr-Kul wird von Cabn erwähnt. Es ist noch gut er- 
halten (vgl. den illustrierten Artikel im Globus, Bd. 8i>, 8.41) 
Bein Ursprung ist unbekannt. In dor Schlucht des Barskaun- j 
Humes im Terskei-Alatau stehen zwei Granilscheiben mit | 
kurzen arabischen Inschriften gegeneinander gelehnt. Sie I 
werden von den Kirgisen sehr verehrt; diese kommen dort- | 
hin . wenn sie kinderlos sind , toten und wen Tiere uud ! 
lassen «wischen den Steinen die Hufe und Horner als Opfer- 
gaben zunick. 



— Über dio geologischen Verhältnisse der Gough- | 
insel und ihre Petrographic bündeln J. H. Harvey l'irie, ! 
der Geolog der schottischen Südpolarexpedition, und K. Camp- 
bell in den ,1'roc. of tbe Royal Fhys. Hoc. of Edinburgh", 
Bd. 1 B , Nr. ß. Die Insel liegt im Südntlantic unter 40" "20' i 
slidl.Br-, 280 Seemeilen von Tristan da Cunha und lMH) See- 
meilen vom Kap der Guten Hoffnung entfernt. Pas Kxpe- 
ditiomschiff besuchte sie im April H»n4, doch war eine Lan- i 
dung nur für wenige Stunden möglich. 

Die Insel ist. unbewohnt, Sie gehört mit dem 8t. Pauls- j 
felsen, Ascension, Tristan da Cunba uud vielleicht auch der 
Bouvetinsel zu den über die Meeresoterliäche emporragenden 
Spitzen des roittelatlantischen Uückens. Ihre hocbBie Kr- 
bebnng beträgt 12«0ui; die Länge die Breite 6,:< km. 
Steil steigt sie öü, im Norden gar 300 m emi>or. Bas 
Antlitz der Insel ist stark von Schluchten zerfurcht. Die 
Ufer zeugen von schneller Zerstörung durch die Wellen, ; 
während di* Denudation weniger heftig gewirkt zu haben [ 
scheint. Die Flusse fallen meist unvermittelt in Kaskaden 
ins Meer, nur wenige haben ein tieferes, voll entwickeltes ; 
Tal. Der höchste Teil der Insel scheint ein in zwei Gipfel , 
gespaltener Kücken zu sein; Anzeichen für eineu Krater ' 
wurden nicht beobachtet, vielmehr sah man mit dem Fern- 
rohr in der Nähe des Gipfels deutliche horizontale Terrassen. 
Wenn diese auf successiven Idivaschichten beruhen, so würde 
das für eine früher beträchtlich größere Ausdehnung der 
Insel sprechen; Pirie hält es sogar für möglich, daß sie ein- 
mal mit Tristan da ( unna zusammengehangen habe. An den 
Uferabstürzen sind ebenfalls, wenn auch weniger deutlich, ver- 
schiedene Luvaachiehten zu erkennen. Der Fluß, an dessen Mün- 
dung die Landung ausgeführt wurde, glich einem typischen 
schottischen Uochlandsbach, er wies auch die bekannten Htm- 
dettöpfe auf. Unterhalb des Gipfels erhebt sich die von den 
Seeleuten „The Apostle" genannte große, abgerundete Felsen- 
säule, die vielleicht eine Art Munt Pelcturm oder eine jener 
auf den vulkanischen Inselu des Südatlantic gewöhnlichen 
Phouolithfelsmassen sein mag. Am Landungsplätze zoigten 
sich Anzeichen einer leichten Änderung de« Meeresniveaus 
zugunsten de« Landes. Dio Felsblöcke in den Flußbetten, die 
auf die Beschaffenheit des Innern der Insel hindeuten, waren 
meist ein graues, fast homogenes, nicht porphyrisches Ge- 
stein, andere, rot uud braun, sahen traehytisrh aus, auch 
wurde ein grauer, kompakter Tuff gefunden. Alles war vul- 
kanisch, mit Ausnahme eiues kleinen Stückes Kalkstein an 
der Mündung. Wäre dieses in natürlicher Lagerung gefunden 
worden, so wäre es ein sehr wichtiges Beweisstück für eine 
frühere grotte Landtläche zwischen Südafrika und Südamerika 
gewesen. Da aber die doppelt« Möglichkeit besteht, daß es 
von einem Eisberg oder durch Menschenhand dort hingetragen 
ist, so lassen sich aus dem Funde keine Schlüsse ziehen. 



— Eine Besteigung des Aconcagua, die zweite, 
die bisher ausgeführt worden ist, ist Endo Januar 1906 
dem Schweizer Alpinisten Heltling geglückt. Er hat 
hierüber kürzlich iu der Zeitschrift , Alpina berichtet. Hell- 
ling brach mit einem Begleiter am 3i>. Januar von einem in 
4000 m Höh» errichteten Standlnger auf Und erreichte vor 
Sonnenuntergang eine Hohe von fiöüo in , wo die Nncht zu- 
gebracht wurde. Am nächsten Tage erstieg Heltling alli-in 
die Npitz«. Die Kalte war stark und wirkte sehr schwächend, 
dagegen war es windstill. Erschwert wurde der Aufstieg 
auch durch den Maogel an Proviant und Wasser; denn H. ]t- 
liug hatte nichts mitgenommen ('.). lin übrigen begegnete er 



Verantwortlicher ReJsMfsir: II. Muusr Srh,.i„ <t»-iy-ib..rln> 



nur sehr geringen Schwierigkeiten. Sein Weg entsprach un- 
gefähr dem des Engländers Vines, der als erster den Acon- 
cagua erstiegen hatte, l'nter Aufbietung alter Kräfte ge- 
wann Heltling mit Einbruch der Dunkelheit die Spitze, deren 
Hohe er mit 7021 m angibt. Um S Uhr nachts war er wieder 
bei seinem Begleiter. 



— Eine Expedition zu palftoiilo logischen Forschun- 
gen im Nordwesten vou Wyoming hatten im vorigen Sommer 
im Auftrage des Carnegie-Museums Boy L- Modie von der 
Universität in Chicago und E. B. Burtholow von der Kansas- 
Universität unternommen. Sehr reich war das Ergebnis an 
plesiosaurischen uud amphicölen Krokodilresten. Es wurden 
die Haileyschiefer der »toren Bentonkreide untersucht. .Das 
gesammelte Material*, so berichtet , Science" vom 30. Nu- 
veml*;r I f»o«t, „wog über 3 t einschließlich zweier nahezu voll- 
ständiger, mit sehr guteu Schadein verseheuer Skelette von 
l'lesiosauriern , eins vom Trinacromerum-Typus, das andere 
von breitköpfiger, kurzhalsjger Form; ferner 25 andere Ple- 
siosaurier, die die meisten Skelettcile aufwiesen, mehrere 
Arten hnhlknochlger, amphlcöler Krokodile, wahrscheinlich 
Teleorhinu« oder Hysosaurus, eins davon ein fast vollständi- 
ges Skelett mit Schädel; eine Anzahl sehr schöner Schild- 
kröten mit gut verknöcherten Bücken- uud Brustschildern, 
die vielleicht dem Toxochely* verwandt und zweifellos wissen- 
schaftlich neu sind; eineu kleinen Keptilienschädel von we- 
nigen Zoll Länge vou unbestimmter Zugehörigkeit und einige 
Fischreste. Dieses Material wird nach seiner Bearbeitung 
unsere Kenntnis der marinen Kreidefauna und insbesondere 
der Plesiosaurier Amerikas wesentlich bereichern.' 



— Die Tibetreise Dr. Erich Zugmayers hat einen 
vorzeitigen Abschluß gefunden; er ist Mitte Oktober v.J. 
in Leh angelangt. Wie im Globus (Bd. W. S. 324) mit- 
geteilt wurde, hau« Zugraxyer Ende Juni nach Überschreitung 
des Kysyl-Dawanpasses den Sarassee erreicht. Seinem Plane 
gemäß drang er während der nächsten beiden Monate in 
südlicher und südöstlicher Bichtung in Tibet vor. Er hatte 
in den großen Höhen außerordentliche Strapazen, und die 
PaUübergAuge verminderten in besorgniserregender Weise die 
Zahl seiner Tragtiere. Um Ersatz für den Verlust zu suchen, 
wandte Zugmayer sich wieder südwärts, doch vermochten 
ihm die tibetanischen Nomaden, die er antraf, Tiere in aus- 
reichender Zahl nicht zu verkaufen. Unter diesen Umständen 
war es geboten, auf dem kürzesten Wege nach Kaschmir zu 
marschieren. Zugmayer ließ alles irgendwie entbehrliche Ge- 
päck zurück und zog mit den Samminngen westwärts über 
Budok uud an den Pangkongsecn entlang über die Grenze 
nach Leh. Wie weit er vor der Umkehr in die unbekannten 
Teile Tibets hineingekommen ist, geht aus den vorläufigen Mit- 
tcilungcu nicht hervor; es wird nur bemerkt, daß neben der 
Erkundung neuer Landstriche die Berichtigung der bisheri- 
gen Karten WestlibeU erzielt worden sei. Zugmayer muH 
außer den Kouten Wellbys und Bowers lieeonders die Reise- 
wege Deasys von 189* berührt oder gekreuzt haben. Er be- 
richtet, daß er das Vorhandensein jungvulkanischer Gesteine 
in Tibet mit Sicherheit festgestellt habe. Die launische 
und zoologische Ausbeute wird als reich, namentlich auch an 
neuen Arten, bezeichnet. 



— In einer Abhandlung, die in der Pariser .Revue 
heraldiuue" 1*06 ersobieuen ist, verfolgt A. van Gennep 
vom ethnographischen Standpunkte aus den Übergang der 
uralten Hausmarken und EigentumszeicUen zu den 
Wappeu. Ks führt, namentlich in der Einleitung, die dar- 
über erschienenen deutschen Arbeiten, wie Homeyer, Meyer- 
mann (Göttinger Hausmarken) an und geht dann , nachdem 
die Universalität der Eigentumszeicheu betont ist, auf die 
weniger bekannt gewordenen russischen Marken tplatno, 
kleimo) ein, die er uns nach einer schon 1074 erschienenen 
Arbeit von Kriinenko erläutert. Auch das Westu der Araber, 
die Shirushi (Hausmarken) der Japaner, die gleichfalls die 
Grundlage der späteren Wappen bilden, das .Ohrmalen* der 
Kenntiere bei Lappen u. a., die Schilde der Masai in Deutsrh- 
Ostafnka , die Bedeutung der Karben, die Beziehungen der 
Marken zum Totcmisiuus werden besprochen, uud es wird 
durch alle diese Nachweise gezeigt, in welche uralte Zeit die 
Anfange des Wappen» zurückreichen, dessen systematische 
Ausbildung zur Heraldik allerdings erst im Abendland« erfolgte. 



UtiilV Hri. lt VI ( ««k „ Solu, »rsuixdisrii. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER I TNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDRE E- 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 4. 



BRAUNSCHWEIG. 

Nachdruck nur nach riinnilntuiif) mit der Vartagthandluog gaatattat. 



24. Januar 1907. 



Die wirtschaftliche Entwickelung der Ugandabahn-Länder. 



Von Alfred Kaiser. 



Als mir im Winter 1904 05 eine wirtschaftliche Unter- 
suchung des Guusso Ngischn-Hochlandes abertragen 
wurde, war ich zum zweitun Malo in die Lage versetzt, 
dem Ii'-; afrikanischen Kolonialgebiete dos briti- 
4 » s sehen Reiches meine Aufmerksamkeit widmen zu 
können. 

Die Reise war mir diesmal sehr erleichtert, denn in 
Mombassa angekommen, konnte ich nunmehr ein mo- 
dernes Verkehrsmittel, die inzwischen erbaute Uganda- 
bahn, benutzen, während ich im Winter 1896 67, also 
acht Jahre früher, noch auf Schusters Rappen oder 
besten Kalles im Sattel eines bedächtig dabintrabeudeu 
Grautieres den weiten Weg zwischen 
Viktoriasee und Mumbaasa zurück- 
zulegen hatte. 

Dia neue Reise war zwar von kur- 
zer Dauer, «her um so interessanter, 
als eine mehrjährige Beschäftigung 
mit kolonialen (''ragen meine früher 
gewonuenen Kindrücke mo<liliziertund 
das Auffassungsvermögen nun auf an- 
dere als rein naturwissenschaftliche 
(iebiete übergeleitet hatte. Sie war 
aber besonders deshalb von größerem 
Interesse, weil durch die Ugandabuhn 
die wirtschaftlichen Verhältnisse des 
Landes sich so sehr geändert hatten. 
Aus den ehemaligen Aussichten auf 
Kutwickelutig waren nun greifbare, 
reale Werte geschaffen. 

Kutgegen den englischen Gepflogenheiten ist die 
Ugandaliahn nicht von einer privaten l'nternehmergruppe, 
sondern von der englischen Regierung selbst, aus Staats- 
mitteln und auf eigenes Risiko, erbaut. Nicht mit I n- 
recht hat man behauptet, daß diese Bahn vor allem einem 
politischen und strategischen Zwecke und erst in zweiter 
Linie wirtschaftlichen Aufgaben zu dienen habe. Schon 
Lord tiranville hat in seiner Berliner Depesche vom 
25. Mai 18dö zu dieser Annahme Veranlassung gegeben, 
und wenn wir auch nur einen sehr flüchtigen Blick auf die 
englischen Kolonialhestrebungen in Afrika werfen, so muß 
as uns klar werden, daß der Ausbau dieser Bahnlinie 
für die Sicherung der englischen Pläne das unabweisbare 
Postulat einer fürsorglichen Kolunialpolitik bilden mußte. 

Daß dem Ausbaue der Ugandabahn aber auch in 
wirtschaftlicher Beziehung eine große Bedeutung 
beizumessen war, das wird auch damals schon von allen 
einsichtsvollen Kolonialpolitikeru anerkannt worden sein. 

Olobn. XI I Nr. <. 




Abb. I. Wakambamunner. 

Durch Umwinde» mit Eiaeudraht uud 
Ku|iHM*nite» wird der Schädel stark de- 
formiert und dnr Scheitel in die Mühe 
gedrückt. 



Die Bahn ermöglicht die Besiedelung der schwach 
bevölkerten und den europäischen Kolonisten unzuträg- 
lichen Tieflandgebiete durch Inder, und sie allein nur 
kanu den leitenden Einfluß der Europaer auf die Kin- 
gebnrenen zur vollen (reitung bringen. Durch diese 
Bnhn wird ein schneller und billiger Verkehr der afrika- 
nischen Seengebieto mit dem europäischen Kontinent, 
mit Südafrika uud Indien ermöglicht, und heute schon 
sehen wir nicht nur den englischen, sondern auch den 
deutschen und kongostaatlicben Handel diese Verkehrs- 
erleichternng sich nutzbar machen. 

Die Bahn ist nicht ins„Rluue hinein" gebaut worden. 

Ihre Trasse wurde sehr reiflich Uber- 
legt, und große Expeditionen haben 
die Vorarbeiten der endgültigen tech- 
nischen Untersuchungen geliefert. Man 
hat die Bahn nicht gebaut, um vorerst 
einmal Kupitalwerte in der Kolonie 
festzunageln und den Krfolg dann 
einem günstigen Schicksale zu über- 
lassen. Bevor man an ihre Ausführung 
herantrat, wurden genaue topographi- 
sche und geologische Aufnahmen ver- 
anstaltet, die ungefähre Trasse jahre- 
lang vorher mit einer Reihe von Re- 
gierungsstationen besetzt, eine Fahr- 
straße in der ganzen Längunnusdeh- 
nung der Trasse ausgebaut und die 
umliegenden Interessengebiete durch 
wirtschaftlich gebildete Leute auf das 
eingehendste einer Untersuchung unterzogen. Krst nach 
diesen etwa sechs Jahre in Anspruch nehmenden Vor- 
arbeiten wurde bei Mombassa die erste Schiene gelegt. 

Trotz der geringen Gcländeschwicrigkeiton , die man 
auf der ersten Teilstrecke von 500 km Länge zu über- 
winden hatte, war mau nach dreijähriger Bauzeit doch 
schon zur Überzeugung gekommen, daß die 60 Mill. M . 
die für den Bahubau in Aussicht genommen waren, bei 
weitem nicht ausreichten, um die 935 km lange Strecke in 
Betrieb zu setzen. Ks mußten weitere 3S 1 , Mill. M. 
zu diesem Baue bewilligt werden. Nun ging es über 
rüstig vorwärts. In kaum 5' 3 Juhreu war die Strecke 
so weit ausgebaut, daß die erste Lokomotive den Viktoria- 
sue erreichen konnte. 

Heute führt uns der Biseubuhnzug in zwei Tagen, 
also in gerade so vielen Stunden an den See hinauf, als 
man früher Tage brauchte, um mit Trägerkarawauen 
dieses Ziel zu erreichen. Die Züge verlassen Mombassa 

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Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Entwickerang der Ugandabubn-Ländcr. 



in den Nachruittagsstunden uud durchfahren in vielen 
Windungen einen schmalen, regenreichen Küstenstreifen. 
Zahlreiche Pflanzungen, durch das satte Grün der Bananen 
und die schiunken Palmstüinme schon au* der Ferne er- 
kennbar, ziehen sich zu beiden Seiten des Damme» hin. 
iiier int es, wo ein Teil jeuer frischen Gi'müse angepflanzt 
wird, die auf dem Markte von Moinbnssa den Ankom- 
menden überraschen. Die eigentlichen, grollen Gemüso- 
diatrikte liegen aber Doch viel weiter landeinwärts, auf 
dem Hocbluude von Kikuyu. In dieser Küstenzone ist 
es auch, wo die britische Regierung durch Ansiedelung 
indischer Landwirte und durch liebung der Eingeborenen- 
arbeit den Baumwollbau einzuführen gedenkt. Wenn 
es auch nicht gerade ÖOOOOOha Bodanlläche sein werden, 
die nach I, in tun.- Berechnung in der Küstenzone von 
Britiscb-Ostufrika für Baumwollkultur geeignet sein 
sollen, und wenn einer Ansiedelung von Indern auch 
mancherlei Bedenken und .Schwierigkeiten gegenüber- 
stehen, so wird die Ener- 
gie der Engländer diesen 
ungesunden uud für 
europäische Ansiede- 
lung gar nicht geeig- 
neten Ländereien doch 
einen gesteigerten Pro- 
duktionswert abzuge- 
winnen wissen. Eine 
hoho Entwickclung der 
Baumwollkultur ohne 
Zuhilfenahme indischer 
Siedler ist kaum mög- 
lich, denn die Arbeiter- 
not spielt auch in Bri- 
tisch - Ostafrika schon 
eine sehr große Itolle. 
Sie wird um so mehr 
sich fühlbur macheu, 
je rascher die gesun- 
den Hochlandsdistrikt« 
durch Zuzug weißer 
Kolonisten «ich zu füllen 
beginnen, und je mehr 
die Neger durch Steige- 
rung ihres uigenen Feld- 
baues von der I/ohn- 
urboit abgehalten wer- 
den. Daß die eingebo- 
renen Neger in hohem 
Maße der Buumwollkultur sieh widmen werden, ist 
nicht anzunehmen , denu ihr Feldbau ist viel zu primi- 
tiv, als daß siu mit anderen Bassen in der Produktion 
Ton Baumwolle wetteifern könnten. Wo die billigen 
Zeugstoffe bis dahin Eingang gefunden, da haben siu 
regelmäßig auch die schon vorhandene für den Kigen- 
bedarf berechnete Baumwollkultur aus dem Felde ge- 
schlagen. Mit denselben Hindernissen isl auch in den deut- 
schen Kolonien zu rechnen. Wir linden dort zwar eine 
zahlreichere und im allgemeinen arbeitswilligere Küsten- 
bevölkeruug, uud der Arbeitermangel wird dort nicht in 
dem Maße durch neuankommeude Sedier gesteigert wie 
in Britisch-Ustafriku. Aber es ist auch dort zu bedenken, 
daß billigere Baumwnllpreise, wie sie doch sicher wieder- 
kommen werden, den Neger um so weniger zu dieser Kultur 
veranlassen, je häufiger ihm die europäischen Mißerfolge 
vor alM treten, jo mehr er durch gesteigerte I<ebeus- 
bedürfuisse und durch vermehrte Steuerpflichteu zu einem 
höheren Lohnanspruche verleilet wird, und je weniger er 
mit der ihm gewannten Harkarheit im Baumwollbau mit 
anderen Völkern in Wettbewerb sich wagen darf. 




Abb. 2. Wakambnfrnuen. 



Bei Mayi ya Tschumvi, etwa 56 km von Mombassa 
entfernt, sehen wir große Holzlager, au» denen da» 
Brennmaterial zum Heizen der Lokomotiven bezogen 
wird. Nicht mit Fnrecht hat die Bahnverwaltung ge- 
rade diese Stelle zur Einrichtung ihrer Ifolzdepots aus- 
gewählt; denn hier beginnt die Trockenzone der ost- 
afrikaniseben Steppenlandschaften. Das großblättrige, 
Feuchtigkeit liebende Buschwerk der Küstengebiete und 
die üppigen Bananenhaine sind hier seltener geworden. 
Feinblättrige Akazien und dorniges Strauchwerk sind 
dafür an ihre Stelle getreten. Hier und da streift schon 
eine blattlose Kandclabereuphorbie oder der felsblock- 
ähnliclie Knollenstamm einer Steppenliano an unseren 
Augen vorbei. Wir sind im Grenzgebiete der unwirt- 
lichen Tarosteppe, in einer Zone, wo die Niederschläge 
schon so selten sind, daß sie auch zur Zeit der wolken- 
schwangeren Passatwinde die aufgestapelten Breunholz- 
lagur nicht sehr zu durchnässen vermögen. 

Es ist Nacht ge- 
worden. Der Ausblick 
durch die Waggon- 
feuster schwindet um 
so rascher, als die Schei- 
ben aus dunklem Rauch- 
glase geschnitten und 
inzwischen auch die 
l.'oupelampen angezün- 
det wurden. Man führt 
natürlich nicht allein, 
sondern der ganze Zug 
ist sozusagen biB auf 
den letzten Platz be- 
setzt. Während der 
ersten Nachtstunden 
fehlt es denu auch an 
guter Unterhaltung 
nicht Viele der mit- 
fahrenden Passagiere 
sind SporUleute und 
Touristen, die entweder 
auf Uwen- und Ele- 
fantenjagd ausziehen 
oder als Globetrotters 
auf friedlichere Weise 
die Aufgaben ihres Le- 
bens erfüllen. 

Die Einnahmen der 
Kolonie durch diese im- 
mer mehr sich entwickelnde Fremdenindustrie sind schon 
ganz beträchtlich; denn abgesebeu von den großen Sum- 
men, die diese Gäste als Zollabgaben, Hotel- und Eiien- 
babnspnsen, Trägerlöhne usw. im Lande lassen, sind 
im Jahre 1903 04 nicht weniger wie 70000 M. und in 
den ersten neun Monaten des Berichtsjahres 1904 05 
schou etwa 90000 M. nur an Jagdscheingeldern bei dem 
Gouvernement eingegangen. Diese Summen können 
uns allerdings nicht erstaunen, wenn wir wissen, daß 
Sportsieuta für einen Jahres-Jagdscheiu 1000 M. zu 
zahlen hüben, und daß Dritiscb-Ostafrika wobl einen- 
der wildreichsten Gebiete der Erde genannt werden 
darf. Billig ist das Vergnügen des Jagdsportes freilich 
nicht, denn abgesehen davon, daß bestimmte Schon- 
reviure bestehen und einzelne Tierarten überhaupt nicht 
geschossen werden dürfen, darf der Jäger von den 
meisten Wildarten nur zwei Stück im Jahre erlege:), wenn 
er für diu mehrgeschossenen Tiere nicht eine Additional- 
taxe von 25 bis 350 M. (letztere Summe allerdings nur 
bei Elefanten) entrichten will. Nur von kleinerem, gewöhn- 
lichem Wilde darf man 10 Stück von jeder Art erlegen. 



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Entwickelong der Ußandabahn-Länder. 



55 



Alfred Kaiaer: Die wirtschaftliche 



Die Fahrt auf der l'gandabahn ist lange nicht 
so unangenehm, wie ich es erwartet hatte, und jedonfalls 
nicht schlimmer, als dieF'ahrten auf den südafrikanischen 
Bahnen, die ich aus der Zeit vor dem Buren kriege in 
Erinnerung habe. 

Die Personenwagen sind etwas über zwei Meter 
hoch und sehr bequem eingerichtet, mit breiten Leder- 
polstcru, Waschraum usw. Sehr praktisch sind die außer- 
halb der Fenster angeltrachten Blondwände, die in etwa 
20 ein Entfernung von der Wagenwand die Fensteröffnung 
bis auf etwa 40 cm Höhe vor den Strahlen der Sonne 
schützen. Diu Fenster können daher in ihrer ganzen 
Höhe offen bleiben und einen genügenden Luftwechsel 
ermöglichen, wenn us nicht gerade durch blendende Gras- 
savannen oder über stauberfüllte Steppcnuiederuntfen 
geht Die Kauchglusscheilten sind besonder» für die 
Steppendistrikte berechnet; man schließt nie und sieht 
das trostlose Landschaftsbild dann in einer recht ange- 
nehmen mattgrünen Färbung, ein vielleicht nicht gnnz 
wirkungsloser Trick der Kolonialverwaltung gegen die 
neuankommen- 
den Siedler, die 
beim Passieren 
der großen Step- 
pengebiet«} sonst 
sehr leicht ein 

ungünstiges 
Vorurteil gegen 
die Ertrags- 
fäbigkeit der 
Kolonie sich bil- 
den konnten. 

In der Nacht 
sind gewöhnlich 
nur drei Passa- 
giere in einem 
Coupe , und es 
können dann un- 
ter Benutzung 
einerAufklappe- 
bank drei ver- 
hältnismäßig 
gute Betten her- 
gerichtet wer- 
den. Das Schla- 
fen ist auf man- 
chen Strecken allerdings mit einigen Schwierigkeiten 
verbunden, denn infolge der kleinen Geländekurven und 
der nicht überall sehr sorgfältig gelegten kurzen Schienen- 
stücke wird man oft fürchterlich herumgeschüttelt. 

Nach den kleinen englischen Eiscnhahukarten reicht 
die Tarosteppe nur bis zum VoiHuase hin. Botaniker 
und Agronomen werden ihre Orenze aber noch viel weiter 
verschieben, über den Tsavo Hiver hinauB bis in die 
Gegend von Masongoleni im Kikumbuliu-Distrikte. Die 
dicken Lagen roten Steppenstaubes, die sich wahrend 
der Nachtfahrt auf uns niedergeschlagen, sprechen auch 
deutlich dafür, daß ea kein „Bcautiful country" war, das 
wir am Morgen nun hinter uns hatten. Ich kenne diese 
Steppengebiet« von meiner ersten Reise uud erinnere 
mich noch lebhaft an den langweiligen trockenen Dornen- 
buach und die Umwege, die wir hier machen mußten, 
um in einigen Felslöchern •In- nötige Trinkwasser für 
unsere Karawane zu finden. Nur am Tsavo River war 
etwas üppigeres Pllanzenleben entwickelt, darüber hinaus 
aber sahen wir nichts wie rotgelbe Grasfjacheii, klein- 
blättrige Akazien und eine Menge andere zu den Trocken- 
gewichten gehörende Steppenpflanzen. Etwa 30 km 
südlich der Bahnlinie gegen da» deutsche Grenzgebiet 



und den Kilimandscharo hin geht dieser Florenchanikter 
dann allerdings in etwas freundlichere Bilder über. Dort 
liegen die Farmen der Wateita, mit Bananen, Mais. 
Maniok, Ncgerbirse und Bohnen bestellt. Nach den 
Schildeningen, die mir von einem dort stationierten eng- 
lischen Beamten gemacht wurden, sind jene Gebiete aber 
sehr ungesund. Wenn an einzelnen Stellen dieses Di- 
striktes auch schon wilde Baumwolle gefunden wurde, 
und deren Anbau bei Taveta bis dahin auch günstige 
Resultate gezeitigt bat, so ist damit doch noch lange 
nicht erwiesen, daß eine Kultur im großen oder eine 
Kleinkultur der Eingeborenen oder indischen Siedler sich 
auch bezahlt machen werde. 

Außer dem Tavetagebiete dürften in dieser ganzen 
etwa 1 60 bis 20t) km breiten und vun der deutschen bis 
zur italienischen Grenze reichenden Steppenzone nur 
noch einzelne Teile de« Tana- und des Jubatales, sowie 
sehr beschränkte Teile des Sabakitales einer rationellen 
wirtschaftlichen Erschließung zugänglich sein. Die übri- 
gen Gebiete aber sind völlig unproduktive oder nur 

von nomadisie- 
renden Hirten- 
völkern zu be- 
wirtschaftende 
Boden areale. 

Etwas gün- 
stiger liegen die 
Verhältnisse in 
der Landschaft 
Ukambani, 
die wir in der 
Morgenfrühebei 
der Station Ma- 
sungoleni er- 
reichen. Die 
direkt an die 
Bahnlinie an- 
stoßenden Ge- 
bietsteile sind 
zwar noch von 
beschränkter 
Fruchtbarkeit, 
und die Un- 
sicherheit und 
das geringe 
Quantum der 
I Niederschläge vereitelt auch hier noch manchorlei Kultur- 
versuche. Doch Hind viele fließende Gewässer vorhanden, die 
durch Anlage von Staudämmen wohl an manchen Stollen 
eine erfolgreiche Bodenkultur ermöglichten. Als Weideland 
kommen die nächst gelegenen Gebiete wenig in Betracht, 
denn sie sind von minderwertigen Grasarten bestanden, 
meist schattenlos und zu alledem noch gefürchtete Tset.se- 
distrikte, in denen das Vieh durch den Stich der Nagana- 
fliege unfehlbar getötet wird. Um so wertvoller sind 
aber die von der Buhn etwas weiter ungelegenen, nörd- 
lichen Berglandschnften. Von ihren Paßhöhen genießen 
wir herrliche Ausblicke in die zahlreichen weiten Tal- 
i sohlen, deren Bodenflächen, von klaren Forollenbächen 
durchfurcht, noch einer intensiveren landwirtschaftlichen 
.Ausnutzung harren. Wir finden zwar schon eine 7. r i000 
Seelen zählende Negerbevölkerung, die Wakamha. auf 
diesem Gebiete; neben ihnen aber haben noch Tausende 
Platz, und es ist nicht ausgeschlossen, daß selbst europäi- 
sche Siedler allmählich Bich in diesem Lande nieder- 
lasten. Einen solchen weißen Kolonisten, und zwar 
einen Deutschen, Herrn Hübner, haben wir bei Kib- 
wezi schon getroffen. Er besitzt dort eine Sanseviera- 
( Faserpflanzen) Farm und scheint sich ganz wohl zu bc- 

8» 




Abb. 3. Massonlr - Hotel In Nairobi. Straße mit Eucalvptnsliaauien. 



Mi 



finden. Ich mochte hier aber beifügen, daß Herr Hühner 
eine »ehr kräftige Natur und noch nicht sehr lange in 
der Gegend ist, und daß er natürlich uicbt selbst in 
seiner Pflanzung arbeitet. Die Sansevieren wachsen wie 
die Agaren an verhältnismäßig trockenen Orten, und die 
betreffende „Pflanzung" wird daher in einer relativ ge- 
sunden (iegend von Ukuuibani sich befinden. Zudem 
durfte Herr Hübner durch die zahlreichen Jagdtouren, 
die er macht, den schädlichen Einfluß ein©« beschaulichen 
Tropenlebens in bester Weise paralysieren und durch 
mäßige Körperbewegung und ruichlichuu Ortswechsel 
sich leichter in diesem Klima halten können als ein auf 
dem Felde arbeitender Furnier, der leicht sich überan- 
strengt, den ungesundesten Teil seiner Umgehung zum 
beständigen Aufenthaltsorte wählen und jahrelang in 
einer dunkeln, von Krankheitskeimen nnd Ungeziefer 
erfüllten provisoriwehen Fnrmhütte nächtigen muß. 

Die Wakamba (Abb. 1 n. 2) waren anfangs nicht 
gerade erfreut über die Einschränkungen, die ihnen durch 
die Kngländer erwuchsen. Ks wurden hier Hude der 
neunziger Jahre noch bittere Kampfe gefochteu, denn 
die Wakamba waren bis dahin recht gefahrliche Sklavcu- 
jäger und standen sogar im Verdachte der Menschen- 
fresserei. Man hat ihnen auch alles Böse zumuten kön- 
nen, diesen unsympathischen Kerlen mit dreieckig zu- 
gofeilten Haifischzähneii und ausgerupften Brauen- und 
Augenwimpern-Haaren. Immerhin waren die Wakamba 
damals schon ein Volk mit ausgedehntem Ackerbau und 
ziemlich rege betriebener Viehzucht. Sie waren an ihren 
Boden gebunden und halten sich niemals auf die Dauer 
in den umliegenden Steppen erhalten können. Daher 
war auch Hoffnung vorhanden, sie für die wirtschaftliche 
Hebung der Kolonie zu gewinnen, und wenn nicht alles 
tauscht, so haben sich diese Hoffnungen heute eher noch 
gefestigt. In allen Tal winkeln und auf allen Talterrassen 
sieht man ihre kleinen Getreidefelder, auf allen Akazien 
haben sie ihre Houigrobro ausgehängt, und schon bringen 
sie nicht unbeträchtliche Mengen von Tierfett, Wachs 
und Eingeborenen- Tabak auf den Produktenmarkt Auf 
meiner Heise nach dem Guasso-Ngischu-Plateau hatte ich 
mehrere Wakamba als Tritgor mit, und ich muß sagen, 
daß sie sich nicht in unvorteilhafter Weise von den 
Kostenträgern und Wakikuyu unterschieden. 

Kür die Ansiedelung einer größeren Europäerkolonie 
wird Ukambani nur dann in Betracht kommen, wenn 
das Hochland von Kikuyu völlig besetzt ist, und wenn 
die Siedler sich nur mit Viehzucht oder mit der Leitung 
von Plantagen beschäftigen. Für bäuerliche weiße Klein- 
siedler int das Land seiner schlechten klimatischen Verhält- 
nisse wegen nicht geeignet. Dagegen würde es vielleicht 
der Ansiedelung von Indem keine größeren Schwierig- 
keiten entgegensetzen; das Beste und Sicherste wird 
es aber freilich sein, wenn die Regierung die Wakamba 
selbst bei ihrem Feldbaue und bei ihrer Viehzucht unter- 
stützt und einen großen Teil des freien Kronlandes für 
die an Zahl sich mehrende spätere Negerbevölkerung 
reserviert. 

Bei der Station Simha, immer noch auf Wokamba- 
boden, beginnt das berühmt« Jagdgebiet der sog. 
Kapiti-und Athi-Plains. In hezug auf seinen Wild- 
reichtum und sohle bequeme Ziigünglichkeit (man hißt 
sich auf der Bahnlinie durch Draisinen auf die Ixiwen- 
und N'ashornjagd fahrun) wird dieses (iebict auf dem 
afrikanischen Kontinent wohl kaum mehr übertroffen. 
Mit Spannung sind unsere Blicke auf die nahen Fels- 
wände, die ferneren Hügelwellen und die weiten Gras- 
ebenen gerichtet. Nach kurzer Fahrt werden tatsächlich 
auch schon die ersten „l/öwen" erspäht, zwei großköptige 
braune Wildgestalten, die ich in meiner Prosastimmuog 



aber eher für zwei Wildsauen als für zwei Wüstenkönige 
halten möchte. Aber es sollen meinetwegen leibhaftige 
Löwen gewesen sein, die Station „Siinba* heißt ja schon 
„zum lernen", und wie uns von glaubwürdiger Seite 
erzählt wurde, hat in dieser Gegend vor kurzer Zeit ein 
Löwe einen schlafenden Engländer aus dem Eisenbahn- 
coupe heraus geholt. 

Da plötzlich taucht dos erste Großwild auf, eine 
kleine Zehragesellschaft, die flüchtend längs des Zuges 
hineilt und erstaunt dann stehen bleibt, wenn das 
schnaubende und pfeifende Dampfroß sie überholt. Anf 
einer offenen Bodenwelle steht ein Rudel Gnu-Antilopen, 
erst unerschrocken den herannahenden Zug fixierend 
und dann in wildem Galopp mit gesenkten Köpfen and 
hoch erhobenen Schweifen in die weite Steppe hinaus 
rennend. Auf 300 Schritt Entfernung sehen wir die 
ersten Strauße, kurze Strecken in leichtem Laufe dahin- 
eilend, dann ruhig stehen bleibend und dem vorbei- 
brausenden Zuge mit unbehilflichen Flügelschlägen ein 
Lobewohl zuwinkend. Eiu fesselndes Tierbild roiht sich 
an das andere, die Gruppen mehren sich zu Herden, und 
mächtige Staubwolken verrateu ihren Weg noch in wei- 
tester Entfernung. Iii buntem Durcheinander ist hier 
auf einigen tausend Quadratkilometern eine Tierwelt 
zusammengedrängt, wie reicher sie die Phantasie eines 
Knaben für die Staffage einer westamerikanischen Prärie 
•ich nicht ausmalen kann. 

Ich träume von jenen Tagen, wo ich dort drüben an 
dem mächtigen Felsbrockendes DoenyoSabuk eine sieben - 
köplige Löwenherde wie ein Rudel harraloser Ziegen 
vor mir her getrieben habe, wo ein anderes Mal ein Löwe 
wie ein müder Jagdhund sich in den Schatten eiues 
wonige Minuten vorher von mir geschossenen Nashornes 
niederlegte, und wo ich in einem Augenblicke einmal 
zehn Nashörnor vor mir stehen sab. Was ist jetzt aus 
diesem merkwürdigen Wildparke der Natur geworden? 
Die Privatdomänu eines spekulativen Kolonisten, der 
gegen einige Pfund Entschädigung die letzten Reste jeuer 
ahnungslosen Wildherden niederknallen läßt. 

Acht Sommer sind seit meinem letzten Hiersein ver- 
flossen; das Auge schweift von neuem Über die staubige 
Ebene, da entrollt sich plötzlich ein modernes, ganz 
modernes Kulturbild. In scharfen Kurven nehmen wir 
das Ietzto Teilstück der baumlosen Athi-Plain. Da, am 
Fuße der bewaldeten Kikuyuhöhen winken uns ganz un- 
erwartet die weißen Wellblochhftuser von Nairobi ent- 
gegen. Also gerade hier, wo ich am wenigsten eine 
menschliche Siudelung erwartet hätte, hat die Verwaltung 
der I gandabahn die Stelle bezeichnet, wo der erste 
Quader der britisch-ostafrikanischen Siodlerschicht hin- 
gelegt werden sollte. 

Daß die Wahl dos Ortes, vom wirtschaftlichen und 
kommerziellen Standpunkte au9 betrachtet, gerade eine 
sehr günstige war, wird niemand bohaupten. Um die 
Depots und Reparaturwerkstätten haben sich allmählich 
in großer Zahl Privathäuser gruppiert, und so ist der 
Ort nun zu einein kleinen Städtchen herangewachsen. 
Dieses liegt allerdings in unmittelbarer Nähe der Bahn- 
linie, das hätte man aber auch haben können, wenn man 
seine Anlage etwas höber, in das eigentliche Kulturgebiet 
von Kikuyu verlegt hätte. Nun ist eine Verschiebung 
natürlich kaum mehr möglich. 

Doch wir fiuden keine Zeit, um über die Lage vou 
Nairobi lange Erwägungen anzustellen. Schon steht der 
Zug vor dem kleinen Stationsgebäude, und nun beißt es 
auf der Hut zu sein, daß jeder seine auf dem Perron 
ausgeladenen und zu einem wüsten Chaos aufgetürmten 
Oepäckstücke erwischt. Ein indischer Beamter scheint 
zwur eine Art von Kontrollu zu führen, doch ist es sehr 



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Antonio Brandeis: Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-Insulaner. 



',1 



angebracht, wenn jeder Passagier die ihm gehörenden 
Koffer und Ballen möglichst eigenhändig au 8 dem fremden 
Gepäck hervorlicht, Unter großem Geschrei und unter 
verzweifelten Gelten eine» sog. „Karawaneufuhrer*' 4 wer- 
den nun die auf Vorbestellung iu Nairobi angeworbenen 
Träger (Wasuaheli, Wakikuyu, Wanianiwesi und Wo- 
kamba) vor uns aufgestellt, und dann los, jeder mit 
einem Gepäckstück beladen, nach dem Hotel. 

Man sollte es nicht glauben, daß hier im afrikanischen 
Hinnenlande, 520 km Ton der Küste entfernt, in einem 
Stadtchen von nur etwa 4000 Einwohnern und darunter 
nur etwa 400 Europäern schon mehrere Hotels xtehen. 
Aber es ist tatsächlich so, und ioh mußte noch zufrieden 
«ein, iu einem derselben überhaupt einen Schlafraum zu 
bekommen, so überfallt war alles bei meiner Ankunft. 
Das größte und beste GasthauB, „Norfolk Hotel, the 
only stouu-built and tile roofed Hotel in East Africa", 
war vollkommen besetzt, das „Stanley Hotel" so klein, 
daß es kaum mehr wie einige Gäste aufnehmen konnte, 
und im „Massonic Hotel" waren gerade noch die nötigen 
Betten für die ankommenden Passagiere frei (Abb. 3). 
Zum Lobe der Nairobi-Gastwirte sei aber gesagt, daß 
die Verpflegung hier eine bedeutend bessere und preis- 
würdiger» ist wie in Mombassa. Im „Massonic Hotel" 
wohnen meist Farmer, Handwerker und kleinere Beamte, 
wahrend „Norfolk Hotel" die höheren Beamten und die 
Sportsleute beherbergt. Ich habe in letzterem Hotel auf 
meiner Rückreise gewohnt, und ich war sehr angenehm 
überrascht über die relativ gute Aufnahme, die mir hier 
zuteil wurde. Ganz tadellog ist der Betrieb ja freilich 
nicht, denn es Bpricht nicht gerade für übermäßig große 
Bequemlichkeit, wenn man in einem Hotel mit „Ladies, 
Iteading, Smoking, Dining, Luggage und Billard Rooiub* 
nicht einmal eine Petroleumlampe oder auch nur etwas 
Zeitungapapier zum Verpacken von Sauitnlungsgegen- 
standen erhalten kann. 



Ks ist begreiflich, daß die Siedelungskolonie von 
Nairobi cum größtun Teile aus englischen Untertanen, 
Indern und Engländern, Bich zusammensetzt. Die Eng- 
länder Bind entweder Farmer, Professioniston, Kaufleut« 
oder Beamte. Ihre Zahl dürfte einschließlich der nur 
vorübergehend sieb aufhaltenden Sportelcute und um- 
wohnenden Farmer 400 Seelen kaum überschreiten. So- 
lange die Europäerkolouie noch in solchen kleinen Zahlen 
sich bewegt, werden die Engländer gegenüber jedem 
nicbtenglischen Kolonisten begreiflicherweise im Vorteile 
sein. Von der Regiuruug werden den Fremden aber 
keinerlei Schwierigkeiten bereitet, und es ist jeder mit 
genügend Geldmitteln vorsohene Siodler willkommen, der 
hier sich ein neues Heim gründen wird. Sogar Buren, 
die bei den Englandern sonst nicht gerade gut ange- 
schrieben sind, können in ISritiscb-Ostafrika ah Siedler 
sich niederlassen. 

Wenn ich von Nairobi-Farmern spreche, so darf 
man sich allerdings keinen Illusionen hingeben und etwa 
glauben, daß es für den Landwirt hier eine leichte Sache 
wäre, eine ertragsfähige Farm sich zu verschaffen. Das 
Klima setzt dem Weißen zwar nur geringe Hindernisse 
in den Weg, und Landbesitz ist immer noch zu erwerben, 
wenn die Kronlandereien der Umgebung von Nairobi 
auch sämtlich in Privatbesitz übergegangen sind. Was 
dem Farmer aber die Ansiedelung erschwert, das sind 
die verhältnismäßig sehr hohen Landpreise, die für bahn- 
nahe Kulturareole von den Spekulanten gefordert werden, 
die nicht sehr große Fruchtbarkeit des Bodens, die Un- 
sicherheit der Niederschläge, das häufige Auftreten von 
Viehseuchen und Ackerbauachädliugon, der Mangel an 
eingeborenen Feldarbeitern und nicht zum wenigsten 
auch die sehr beschränkte Absatzmöglichkeit der meisten 
bis jetzt in Frage kommenden Feldfrüchte. 

(Fortsetzung folgt.) 



Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-Insulaner 1 ). 

Von Antonio Braudel». 



Die Insel Nauru ist eine isolierte Insel vulkanischen 
Urspruugs im Stillen Ozean unter lfiß'öl' ostl. L. und 
0*27' südl. Hr., westlich von der Uilbcrtgruppe. Ihr 
Umfang betrügt etwa 18 km. Ein 100 bis 150 m breites 
Korallenriff, dos steil ins Meer abfällt, umgibt sie. Der 
ttacho, fruchtbare Gürtel steigt bis zu 5 m empor; dann 
kommen bis zu 30 m hohe Felsen. Die Mitte der Insel 
nimmt ein Hochplateau ein, das einige Einrenkungen hnt. 
An einer Stelle bcBudet sich ein großer Teich, dessen 
Sohle mit dem Meerwasser in Verbindung stehen soll. 
Die Höhen der Insel sind steinig, wenig bewachsen und 
mehrere Fuß tief mit hochprozentigem Phosphat bedeckt. 

Nauru hat sechs Distrikt«: menin (= windig), bog 
ine eiwn (~ west), die beiden Busch • Distrikte boater 
und arnnibeck, eowa und enibnri (Bedeutung unbekannt). 

I>ie Hütten werden nur von einer Familie von je durch- 
schnittlich drei bis fünf Mitgliedern bewohnt. . Zu Vater, 
Mutter und Kindern gesellen sich zuweilen unverheiratete 
Brüder oder Schwestern der Eltern. Bei der Verheira- 
tung zieht der Mann immer in daB Hau» der Frau. 
Heiratet die älteste Tochter, so übergeben ihr die Eltern 
ihr bisheriges Haus und bauen für sich in der Nähe ein 
neues Heim. Jede weitere Tochter erhält bei der Heirat 
ein neues Haus in der Nähe. Die Siedelungen sind ohne 



') Vgl. ilen Artikel von 
. 74, Nr. 10. 

Nr. «. 



A. Krämer über Nauru. Klolm» 



bestimmte Regel angelegt. Maßgebend in Nauru 
günstige Passagen im Riff und das Vorhandensein von 
Süßwasserlöchern oder wasserhaltigen Grotten. Die Siede- 
lungen wurden immer von einer oder mehreren ver- 
wandten Familien angelegt und haben alle Namen. Die 
Zunahme der Bevölkerung ist langsam, ihr augenblick- 
licher Stand beträgt ungefähr 1500 Personen. Bei den 
Kämpfen vor 20 bis 30 Jahren kamen ungefähr 500 Per- 
sonen um. Etwa 30 Jahro lang hatten die Kämpfe ge- 
dauert. Im Jahre 1S8S wurde die Insel unter deutsche 
Schutzherrschaft gestellt, und die Insulaner wurden ent- 
waffnet, was den Kämpfen ein Ende bereitete. 

Dia Bevölkerung in Nauru ist zusammengesetzt aus 
angetriebenen Gilbert-, Marshall- und Knrolineti - Insu- 
lanern. Man kann aber noch deutlich eine rein malaiische 
Stammbevölkerung unterscheiden. Es sind Typen vor- 
handen , die an Hindus erinnern. Bei vielen Männern 
besonders fällt häufig cino edle Schädelbildung auf, 
ebenso feine Nase und wohlgeformter Mund (vgl. Abb. 1). 

Da* Kanubauen wird mir in gewissen Fumilien geübt. 
Das Fischen wird von allen Bewohnern des dem Meere 
nahen Gürtols betrieben, während die Hügelbewohner 
und solche im Buschdorf nur die Fische in den Binnen- 
teichen fangen. 

Die Häuser worden im Rechteck von 15 bis 25 Fuß 
gebaut; die Pfosten sind 1 Fuß hoch und bestehen aus 
dem harten Holze des Calophyllum, manchmnl auch uns 



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5« 



Antonie Brandet«: Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-) nstiluuer. 



Palmstämmen. Die Innenbalken sind aus Pandanus- 
»tauinit'u hergestellt Alle Teile werden mit Kokoseeil 
verschnürt IHe verschiedenen Teile des Hauses beißen : 
Yvar = Pfosten, Ikwoar — Dachs tuhl, Ojao — Giebel- 
rücken, Kadön = Duchaparren, Denapot = Blattenlach, 
K&eb — Boden, Daman 7 Schmalseiten. Das Dach 
wird von Paudanusblättern gemacht und hält, da es in 
Nauru wenig regnet, vier bis fünf Jahre. 

Vereammlungshäuser gibt es nicht. In früherer Zeit 
existierten grölte Tanzhäuser, von 
denen jedem Distrikt ein« zukam. 

Die Kochhftuser sind eigentlich 
bedachte Erdöfen , wie sio in der 
ganzen Südsee gebräuchlich sind. 
Die Speisen werden entweder auf 
heil! gemachten Steinen gebraten 
oder gedampft. Der hierzu not- 
wendige Dampf wird erzeugt, indem 
etwaa Wasser auf die Steine gegossen 
wird. 

Früher hatten die Insulaner Knt- 
bindungshüiiBer in der Nähe der 
Wohnhäuser. 15 Tage wurde die 
Frau als unrein betrachtet nnd 
durfte das Iiaua nicht verlassen, das 
nur der Mann oder die Eltern be- 
treten durften. Während einiger 
Tage im Monat müssen sich die 
Frauen noch heute sehr häufig in 
ein für diesen Zweck gebautes Haus 
zurückziehen und ihre Nahrung 
selbst besorgen. Die Kokosnüsse 
holen sie Bich mittels einer an einen 
Stock gebundenen Si-hliuge vom 
Baume. Da es verboten ist, ihnen 
Nahrung zu bringen, kommt es oft 
vor, daO sie beinahe verhungern. 
Nuchhvr müssen sie sich wieder einer 
Art Mast (Abb. 2) unterziehen, zu 
welchem Zwecke sie das Haus nicht 
verlassen dürfen. 

Vorräte bewahrt man im Dach- 
stuhl des Unuses auf. Schweine und 
Hühner laufen umher, halten sich 
aber zu den Häusern , wo ihnen 
zuweilen Futter gegeben wird. Die 
l'mgebung der Häuser wird mit 
kleinen weißen Komllentrüturaern 
vom Strande beschüttet und von den 
Krauen mit den Fingern von Un- 
reinigkeiten abgesucht. Abfälle wer- 
den, falls nicht von Hunden oder 
Schweinen verzehrt , verbrannt, 
ebenso herabfallende Zweige und 
Blätter. 

Dia Wohnhäuser haben keine 
Türen und sind rundum offen. Bei Regenwetter werden 
Matten an die Windseite gehängt. In den Dachstubl 
führt eine kleine Tür. Früher wurden die Pfosten 
schwarz und weil! bemalt. Weil! lieferte eine Art Lehm 
im Boden, Schwarz wurde von gebrannter Kokosschale 
hergestellt. 

Zur Zeit der Kämpfe errichteten die Insulaner Wälle 
von Steinen um ihre Ansiedelungen, später zogen sie 
I>rnbt mit daran gebundenen Flaschen, damit niemand 
sieb nachts heranschleichen konnte. 

/um .Schlafen dienen den Insulanern nur Matten, die 
auf den Muschclkies gelegt Wurden. Zuorst kommen 
grolie Matten von l'almenblättern, dann feinere Matten 



von Pandunus. Die Matten dienen als Fußbodenbelag 
den ganzen Tag über. Jedes Familienmitglied bat noch 
eine Extraschlafmatte, die am Tage zusammengerollt 
wird. Als Bedeckung dienen ebenfalls Matten, als Kopf- 
kissen eine Rolle von mürbe gewordenen alten Matten. 
Die Schlaf matten werden am Tage unter das Dach gelegt. 
Dort fanden auch früher die Waffen Platz, jetzt noch 
bringt man dort die Angeln und andere Fiscbgeräte unter. 
Von Hansrat besitzt der Nuuruinsulauer sonst wenig. 

Aus dem harten Holze des Calo- 
phylluni werden Holznäpfe verschie- 
dener Größe als Trinkgefäße oder 
zum Anrühren von Speisen her- 
gestellt. Dann findet man noch 
Keulen aus Holz zum Reiben der 
Pandanuspaste und zum Klopfen 
der Pandanusblitter, bovor «liose 
zu Matten verflochten werden. Palm- 
wein wird in ausgehöhlten Kokos- 
nüssen aufgefangen; auch dienen 
sie zur Aufbewahrung von Ol. Hal- 
bierte, glatt geschabte Nüsse werden 
ebenfalls als TrinkgefäQe verwendet. 
Heißes Wasser wird gewonnen, in- 
dem mit Wasser gefüllte Nüsse in 
heiße Asche gelegt werden. Da« 
Durchseihen von Palm wein geschieht 
vermittelst Koknshast. Zum Hansrat 
gehören noch einige Körbe zum Auf- 
bewahren von ölgefüllten Nüssen usw. 
Zum Reinigen der kleinen Kinder von 
Sand und Staub machen die Insulauer 
zierliche kleine Pinsel i ,Dida~) von 
Kokosfaser. Für ein Hauptlingskind 
machen die Insulaner Trinkgefäß, 
Staubpinsel, Körbchen mit ölgefttllter 
Nuß sehr zierlich zureebt. Alles wird 
mit roter Pilgormuschel benäht und 
mit Fregattvngelfedern behängt. 
Diese Gegenstände dürfen von an- 
deren uicht benutzt werden. 

Feuer wird durch Reiben zweier 
llolzstücke gemacht Hin Mann hält 
das größere Stück mit Knie und 
Hand, ein zweiter Mann reibt oin 
kleineres Stück darauf hin und her, 
bis in wenigen Minuten das Holz zu 
glimmen anfängt. Das größere Stück 
heißt K.ninid, das kleinere Nettin. 
I Ii,' Holzart briCt (juaiti : m ilder lh 
biskus). Will man Feuer längere 
Zeit aufbewahren , so wird es mit 
der äußeren Kokosschule bedeckt, 
unter der es dann weiter glimmt. 
Zum -Anfachen des Feuers dienen 
kleine, einfache Fächer von I'alm- 
| blättern. Als Kochgeschirr werden halbe Kokosnüsse be- 
nutzt. Mit Holzstäbchen wird das Umrühren besorgt. 
I Dünnflüssige Sachen essen die Nauruleute mit einem Stück 
i Kokosblatt , andere mit Zeige- und Mittelfinger. Zum 
Schaben von Pandanus dient eine ringförmig geschnittene 
Kokosuuß. Diese ist an einem Holz befestigt, worauf die 
Männer sitzen. Dieser Gegenstand wird Ranenor genannt. 
Die Hauptnahrung der Nauruinsuluner bilden: Kokosnuß 
I im). Pandanus (epo), Fisch in Asche gebraten (dschinen), 
(.'rustaeeen (oar), Schwein (cumo), Huhn itamiio), Möwen 
(toron), Palmwein (carawe), Melasse von Palmwein (kumi- 
dare), PandanuskonBerve (edango), rohe Muscheln (murry) 
und Fisch auf Stein gebacken (omen). 




Ahb. l. Janger Häuptling, Nauru. 



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Antonio Brandeis: Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-Insulaner. 



Regelmäßige Mahlzeiten nehmen die Insulaner nicht 
ein, vielmehr ißt jeder, wenn er Lust hat, eigentlich den 
ganzen Tag über. Die Familienmitglieder kommen außer- 
dem den Tag einige Male, besonders abends, zusammen, 
um zu essen , wenn gerade Fische gefangen sind usw. 
Hei Festlichkeiten können die Nauruleute unglaubliche 
Mengen verschlingen , andererseits ist es ihnen auch 
möglich, größere Pausen beim Essen eintreten zu lassen, 
nur müssen sie dunn still sitzen oder liegen. 

Nachdem sie Fisch gegessen haben, reinigen sie Mund 



Frau darf nichts essen, was Mann, Vater oder Mutter 
berührt haben. Vom fünften Monat ab darf im Hause 
kein Nagel eingeschlagen, nicht das geringste Geräusch 
verursacht werden. Nichts darf von der Wund genom- 
men werden, bis das Kind geboren ist. Besonders bei 
Erstgeburten werden diese Hegeln auf das peinlichste 
beobachtet. 

Die Nauruleute waren niemals Kannibalen. Im Kampfe 
konnte früher die Erregung soweit gehen, daß sie sich 
Ohren oder Finger abbissen. 




Abb. 2. Gemästete Tochter des Häuptling* Jim, Nauru. 

und Hände sehr sorgfaltig und rühren andere Speisen 
erst an, nachdem die Reinigung stattgefunden hat. 

Es ist eine besondere Eigentümlichkeit der Nauru- 
insulaner, daß eine Frau niemals etwas genießt, was ihr 
ältester Sohn angerührt oder getragen hat. Bei Häupt- 
lingsfamilion gilt dies auch für die älteste Tochter. Sie 
sind in dem Aberglauben befangen, daß es das Kind 
schwäche, der Mutter schade und in den Augen anderer 
Schande bringe. Schwangere Frauen dürfen bestimmte 
Sorten von Fisch nicht essen. In den Häuptlingsfamilien 
werden während dieser Zeit ganz besondere Zeremonien 
beobachtet. Es dürfen keine Nüsse berührt werden, die 
100 Fuß um die Hütte im l'mkreie herabfallen. Die 




Abb. 1 Jonge Frnu mit Kind, .Nauru. 

Im Hause werden Fackeln benutzt vou getrockneten 
Nüssen des Calophvllum, deren man zehn auf ein Stöck- 
chen steckt; diese brennen mehrere Standen. Zum 
Fischen stellt mau Fackeln aus drei zusammengebundenen 
getrockneten Kokoshlättern her. Die Insulaner machen 
suhr wertvolle Halsketten von einer roten Auster, andere 
von einer weißen Muschel und Kokosschale. Am Ende 
der Kette hängen meist Fregattvogelfedem. Die ver- 
schiedenen Arten der Ketten sind sehr zahlreich, die 
meisten erfordern viel Zeit und Ausdauer zu ihrer Her- 
stellung. Beim Tanzen werden breite Gürtel mit Mu- 
scheln verziert getragen. Die Frauen schmücken sich 
den Kopf beim Tanz mit kleinen Vogelfiguren, die sie 

»•Oiaitized b' 



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Antonie Brandeil: Ethnographisch« Beobachtungen über die Nauru-Insulaner. 



aus dem Mark du» Salzwusserbusches schnitzen. Kine 
Hauptlingsfrau trägt eine kleine viereckige Matte mit 
der Hand vor dem Leib, wenn sie guter Hoffnung ist. 
Diese Matt« ist schwarz und weiß geflochten und mit 
roten Pilgermuscheln oder roter Auster verziert. Hör 
Mann tragt in dieser Zeit eine geflochtene Halskette von 
Pandanusbl&ttern. Hie Haare schneiden die Muriner 
immer kurz; nur wenn die Frau 
guter Hoffnung ist, bleibt das 
Haar des Ehemannes lang, bis 
das Kind geboren ist. Die Frauen 
tragen immer lang herabhängen- 
des Haar, nur über der Stirn 
schneiden sie es manchmal kurz. 
Nachdem eine Fruu ein Kind ge- 
boren hat, ist es Sitte, ihr du» Haar 
ganz kurz zu schneiden (Abb. 3). 

Heim Tanzen bemalen sich 
Männer und Frauen Gesiebt und 
Oberkörper weiß mit Kalk, rot 
mit dem Saft einer Wurzel, 
schwarz mit gebrannter Kokos- 
schale. Jede Familie bat dabei 
ihre bestimmten Muster, die nie- 
mand nachahmen darf. Viele 
Familien bumalen «ich indessen 
gar nicht. 

Tätowierung findet sehr spär- 
lich statt, meist nur am Hand- 
gelenk oder un einzelnen Fingern. 
Jetzt verwendet man Nadeln bei 
der Prozedur, früher Dornen 
einer Akazienart. Als Farbe 
dient gebrannte Kokosnuß. 

Den Kindern werden im Alter 
von 10 bis 12 Jahren mäßig 
große Ivichor iu die Ohren ge- 
stochen. Ks werden lilumen oder 
Baummark darin getragen, beim 
Tanzen Muscheln usw. Mftnuer 
hängen oft Fischhaken in diu 
Ohrlöcher, was aus Be<|uemlich- 
keit geschieht, da sie keine Tu- 
schen haben. 

Den Zahnen wird große Sorg- 
falt gewidmet. Kinder dürfen 
iu der Zeit des Zahnwechsols nur 
kalte Speisen genießen. Jeden 
Morgen waschen jung und alt ihre 
Zahne mit Salzwasser; dunkle 
Stellen werden mit feinem Sand 
gerieben. Alte Zahne wenleu mit 
einem Faden ausgezogen, Back- 
zähne mit zwei aneinander gebun- 
denen Hölzchen. Diu Zähne dur 
Nauruleute sind sehr weiß und 
regelmäßig, aber sie brechen 
sehr leicht. 

Männer und Frauen tragen als einzige Kleidung eineu 
kaum bis zu den Knien reichenden Schurz von grüneu oder 
getrockneten Palmblättern (Abb. 4). Zur Erhöhung der 
Haltbarkeit werden die Rockchen eingeölt Besonders 
feine Köckchen werden aus weißen Palmblättcrn gemacht. 
Beim Tanzen binden die Manner eine kleine Matte mittels 
Schnüren von Haaren über die Pulmröckcheti , damit sie 
bei den schnellen Bewegungen zusammengehalten werden. 
Kinder gehen bis zu sechs oder sieben Jahren häufig 
ohne Kleidung; später tragen sie ein Röckchen (Abb. 5), 
nach der Pubertät zwei. Jetzt tragen die Anhänger der 




Abb. 4. Junges Mädchen mit ßlaiiicnscliuinrk, 
Nauru. 



Missionen Katttinkleider, wenigstens am Sonntag, und 
nach zehn Jahren wird wohl niemand mehr im Palm- 
röckchen zu sehen sein. 

Die Nauruinsulaner nahmen ihren ganzen Schmuck 
von Ketten usw. mit iu den Kampf, um heim Sterben 
alles hei sich zu haben. Außerdem schmückten sie sich 
wie zum Tanz mit Federn und Muscheln und bemalten 
sich mit Farbe. AI* Amulett 
gegen Verwundung banden sie 
sich eine Fischgräte aus der 
Buuchflusse eines Fisches um, die 
vorher von besonderen Leuten 
bezaubert war. 

Zum Fangen der Fische be- 
dienen sich die Nauruleute einer 
IIa ii die: ne, ciaer Angel oder der 
Netze. Als Köder werden kleine 
Fische, fliegende Fische, Ein- 
siedlerkrebse und Tasebenkrebse 
gebraucht. Früher muchten die 
Insulaner große Fiscbkörbe, die 
hui Rande des Riffes mit einer 
1Ü0 bis 200 Fuß langen Kokos- 
leine festgemacht und mit Steinen 
beschwurt ins Meer gelassen wur- 
den. Auf das Riff selbst wird 
noch jetzt eine kleine Reuse zum 
Fangen von Aalen gelegt. Große, 
oft armdicke Aale werden durch 
Taucher gefangen, die eine 
Schlinge am F.nde eines Stockes 
befestigen und dem Aal einen 
Ködur so vorhalten , daß er den 
KopT durch die Schlinge stecken 
muß. Fischhakeu wurden früher 
von dem Ohrenknochen einus 
Menscbenschädels gemacht, oder 
von Perlschule mit Menschen- 
kilochen, oder von Kokosschale. 
Die Fischleine wird aus Hlbiskus- 
ÜMor gedreht und ist äußerst 
stark. Abends wurden viele (lie- 
gende Fische mittels Fackeln vom 
Kanu aus gefangen. Eine Eigen- 
tümlichkeit der Nauruleute ist 
es, auf dem Riff eine Art Silber- 
fisch ZU fangen, wenn dieser die 
Größe einer Stecknadel hat. Sin 
heben die Fischchen mittels eines 
siebartigen Netzes von Kokosbast 
heraus, schöpfen sie davon mit 
einem Stück Kokosschale ab und 
in eiue große uusgehöhlte Nu Ii 
Iiinein. Diese Nuß ist mit Hen- 
keln versehen und hat am oberen 
Rande kleine Lücher, damit das 
Wasser nicht überfließen kann. 
Nun tragen sie behutsam diese 
•Schalen nach dem eine halbe Stunde entfernten Hinnen- 
see, der bruckiges Wasser hat. Der Anteil verschiedener 
Familien um See ist mittels Dämmen von Schlamm 
und Blättern hergestellt. In diesen Teichen bleibt 
der Fisch drui bis vier Monat« und siebt, nachdem er 
ausgewachsen ist, wie ein großer Ilaring aus, schmeckt 
auch ähnlich. Di« Insulaner können große Mengen 
davon roh genießen. Der Fisch wird ibiuh genannt. 
Bei festlichen (ielegenheiteii linden Fischzüge statt, zu 
denen viele Luute herbeiströmen. Zu diesem Zweck 
werden große, zwischen gegabelten Stöcken befestigte 



Antonie Brandete Ethnographische ».. 



U 



Netze aus Ilihiskusfaser Lr--f<-rr igt, Ungefähr 20 bis 
3U Minner stürzen sich mit Geschrei in den See, die 
Netze hoch haltend, und eine Anzahl Knahen hilft 
treiben , wobei der Fisch in die Luft springt Am 
anderen Knde des Teiches angekommen, schöpft man 
die zusammengedrängten Fische mit den großen 
Netzen heraus. Am Ufer stehen alt- Frauen, welche 
die Fische unter einem Baume auf Matten schütten 
uud dann mit Wohlbehagen den Fischen das Genick 
durchbeißen. 



spritzt ein Mann etwas Wasser durch die Zäbue, das der 
Vogel geschickt auffingt. 

Als Haustiere hält der Nauruinsulaner Schweine mit 
sehr langer, spitzer Schnauze , die auf der Insel von 
Schiffen früher abgesetzt wurden und degeneriert sind; 
ferner gibt es Hunde, eine Mischung aller Rassen, die 
meist sehr Terkommen aussehen und auch gegessen 
werden; auch Katzen und Itatten werden oft verzehrt. 
Dann haben sie noch Hühner zum Essen und außer 
Fregattvögeln Strandläufor und DöBköppe (eine kleine 





Abb. 5. Junges Mädchen mit Blumenkranz, Saarn. 



Zum Sport wird in den Monaten Mai bis Juli auf 
der Insel der Fregattvogel gefangen. Ein zahmer Vogel 
wird auf eine Plattform von Stöcken gesetzt. Weun 
dann wilde Vögel durch ihn angelockt werden, so werfen 
die Insulaner Schlingen in diu Luft, die deu Vogel lasso- 
artig umschlingen, und holen ihn herunter. Die Schlingen 
werden aus fein gedrehter Hibiskuafaser gemacht und am 
Ende mit einem Stück polierter, versteinerter Tridacna- 
musche) verseben. Das andere Ende wird am Daumen 
befestigt. Es werden Wetten darüber veranstalte!, wer 
die meisten Vögel herunter holt. Die Vögel, deren ge- 
schleißte FlUgelfederu zu allerlei Zierat dienen, werden 
nun gezähmt und mit Fischen gefüttert. Der Vogel 
bedarf keinen Trinkwassers; soll er einmal trinken, ao 



Möwenart), die zum Sport gehalten werden, da man 
Kampfe von ihnen aufführen läßt. 

Geerntut werdeu nur Kokosnüsse und Pandanus das 
ganze Jahr hindurch. Erntefeste rinden nie statt. Es 
gibt eine Art Kokosnuß, die mit der grünen Schale ge- 
kocht wird , letztere wird dann besonders Kindern und 
Kranken gegeben. Sie schmeckt ähnlich wie Zuckerrohr. 
Oft bleibt lauge Zeit hindurch der Regen auf der Insel 
aus, dann gibt es nur wenig Kokosnüsse, die ohne Faser- 
schale oft nur die Größe eines Ginseeies haben. Die 
Nauruleute ptlanzen Tabak, dessen Samen sie von den 
Gilbertinseln erhielten, in kleinen Mengen. Sie trocknen 
die BiAtter ohne Bearbeitung in der Sonne oder am Feuer 
und rauchen ihn in kurzen Pfeifen. Diese machten sie 



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Dr. R. F. Kaindl. Neuere Arbeiten znr Völkerkunde usw. 



«ich früher selbst vom Holze des Calopbyllum. Hb rauchen 
fast alle, mich Frauen und Kinder. Sie erhalten im 
Tauschhandel Virginiatabak. Ein bis zwei Staugen 
galten früher als (.regenwert für ein Huhn usw. Jetzt 
muÜ der Händler mehr dafür geben. Haben die Insulaner 
einmal keine Pfeife, so kauen sie auch den Tabak. 

Der Nauruinsulaner lebt zum großen Teil von Palm- 
wein, karawe genannt. Ks ist verboten, ihn güreu zu 
lassen, da er nach 48 Stunden stark berauschend wirkt 
und der Rausch eine bösartige Wirkuug hat. Zur Palro- 
weingewinnung wird ein Zweig mit den Ansätzen junger 
Nüsse eingeschnitten und der beraustropfende Saft mit 
einem Blatt in eine untergehängte ausgehöhlte Nuß gu- 



leitct. Das Einschneiden muß mit Sorgfalt gemacht wer- 
den. Jeden Morgen und Abend wird ein neuer Schnitt 
gemacht. An einer Palme können zwei Schößlinge gleich- 
zeitig angeschnitten werden. Nachdem die Schößlinge 
nicht» mehr liefern, muß der Baum längere Zeit ausruhen. 
Schnaps ist den Insulanern von der Verwaltung verboten 
worden; früher waren sie oft betrunken. 

Kinder spielen mit Bällen, die aus trockonen Paudanus- 
blättern geflochten werden. Kegel spielen sie mit den 
Nüssen de» Calopbylluni. Früher machten sie Drachen 
aus aneinander genähten Pandanusblättern. Puppen 
schnitzen sie von einer Kokosnuß und hangen eine 
Strähne Frauenhaar daran. (Hchlnü folgt.) 



Neuere Arbelten zur Völkerkunde, Völkerbeschreibung und Volkskunde 
von Galizien, Russisch-Polen und der Ukraine. 



Von Dr. R. F. Kaindl. Czernowitz (Bukowina). 



Im Anschluß au die früheren Berichte gleichcu Inhalt" 
(vgl. zuletzt Globus, Bd. Ht>, Nr. 19) mögen im folgenden 
vorwiegend die Erscheinungen aus den Jahren 1904 und 
1905 behandelt werden. Die Masse der angeführten 
Arbeiten bezieht »ich auf Galizien, Russisch -Polen und 
die Ukraine; einige greifen aber über dieses Gebiet hinaus. 

Zunächst lenken wir die Aufmerksamkeit derl<eaer auf 
die Schriften der Akademie der Wissenschaften in 
Krakau. Von ihnen interessiert uns vor allem der im Jahre 
1904 erschienene C. Bd. der Materyaly antropologiczno- 
archaologiczue i etnografic/.ne . also die anthropologisch- 
archäologischen und ethnographischen Materialien, welche 
die anthropologische Kommission der genannten Akademie 
herausgibt. Im G. Bde. dieses Sammelwerkes haudult zu- 
nächst I. Talko-Hryncewicz über Schädel, die einer 
Anzahl von Kurganengrftbern des 13. bis 15. Jahrb. n. Chr. 
entnommen wurden, uud schreibt sie den Krzywiczanen, 
den Vorfahren der heutigen Weißrussen, zu. — Derselbe 
bietet ferner interessante Mitteilungen über die Karaiinen 
oder Karaiten, eine jüdische Sekte, die sich im 6. Jahr- 
hundert von den Talinudi*t«n abgelöst hat und unter 
anderen auch nuch Litauen einwanderte. Auch umHaliczin 
< ializien haben sich Karaiten niedergelassen. — A. Bocbe- 
neck behandelt die wichtigsten anthroprologischeu Merk- 
male der Landbevölkerung von Kutuo und I.ek (Gouv. 
Warschau und Kaliach). — K. II udaez ek versucht die Echt- 
heit des im Zbrucz gefundenen Steinbildes des „Swiatowid u 
nachzuweisen. - S. J. Czarnowski bietet weitere Bei- 
trage zur Kenntnis der Hobleu bei Ojcöw. Er bringt 
Plane der Höhlen in der Schlucht Korytanja am Flusse 
Pradnik uud beschreibt in Wort und Bild die Funde in 
ihnen. Gefunden wurden Feuorsleiumesser , Steiumeißel, 
TongeRcbirr und Tierknochen, und zwar neben Knochen 
von wilden Tieren auch solche von Pferd, Schaf, Ziege, 
Schwein, Katze, Gans und Henne. Die Funde geboren 
der mittleren Steinzeit oder dem Anfang der neolitbiseben 
Periode an. Über einen von Czarnowski in der .Groß- 
hohle" gefundenen Schädel handelt besonder» St olyh wo '). 
— M. Wawrzenieoki und S. Jast rzehowski be- 
richten über archäologische Untersuchungen im Königreich 
Polen. Die Funde umfassen Objekte ans der Stein- und 



') Vgl. jetzt auch S. .1. Czarnnwski, Miejsenwowi pnr.-.l- 
liMturycziLp i zarys inapy pal>>'tij'>lcigiczn<'j p<<rzecza |.>wego 
Wi»ly <nl l'ntemxzy Nidy tlf"perat au? „W«zecli«wiat* 
Warschau lU'Ji) und il >• me I he, .l;>-klni,; i »clm>ul»k;i na (.ö'irze 
Smurdzewskiej ua lewym btzugu 1'raduika pod Ok-owem, 
sprawozdanic i. hadaii (Separat an» IM, XVIII de» Panik intK 
•izy.^r.". W.-ir.rtiuu U'"4>. 



alteren Metallzoit. Auch Urnengraber sind gefunden 
worden. — W. Kosiriski veröffentlicht in verschiedenen 
Gegenden gesammeltes ethnographisches Material. — 
J. Swietek bietet eine ethnographische Skizze des Dorfes 
Borowa (Bezirk Pilzno, Galizien) und veröffentlicht volks- 
kuudlicbes Material aus dieser Ortschaft. — K. Kacz- 
marezyk teilt Volksüberlieferungen aus Wisnics und 
Umgegend (ßezirkshauptinanuscuaft Bochnia, Galizien) 
mit, darunter viele interessante historische Sagen. — 
Regina Lilient hal bandelt über das jüdi^he Kind und 
teilt zahlreiche abergläubische Gebräuche mit, die mit ihm 
zusammenhängen. Hingewiesen sei auf die Abbildungen 
von Kinderspielzeug. — Schließlich veröffentlicht St. 
Zdiarski aus dem Nachlasse des bekaunten polnischeu 
Volksforscher» O. Kolberg Nachträge zu dessen vor 20 
Jahren erschienenem Werke „Pokucic", welches die Ethno- 
graphie und Volkskunde des südöstlichen (ializien be- 
handelt. 

Einige wichtige Arbeiten sind auch in den Sprawoz- 
dania und im Anzeiger derselben Akademie enthalten. 

St, l.'iezewski handelt ülter die Couvade (Anzeiger 
1904, Nr. 3). Die Ergebnisse seiner Untersuchung faßt er 
in folgenden Sätzen zusammen. Die Sitte, die sogenannte 
Couvade abzuhalten, läßt sich eigentlich auf zwei Pflichten 
des (iatten und Vaters zurückführen: 1. auf die Beob- 
achtung einer sympathischen Diät im Essen uud einer 
hischen Prophylaxis in seinen Geschäften im lnter- 
des Kindes-, 2. auf das Parodieren des Gebarens. 
Die erste dieser Pflichten des die Couvade ausübenden 
Gatten und Vaters ist vom Gesichtspunkte der Natur- 
philosophie aus eine Konsequenz des Glauben* an die 
sympathische Abhängigkeit des Schicksals des Kindes von 
dem Verhalten des Vaters während des Wochenbettes. 
Was dagegen die zweite Pflicht, besunders die Parodie 
des Gebäreiis anbetrifft, so ist diese als Ausdruck der An- 
sicht aufzufassen, daß lwsi der Empfängnis der Auteildes 
Mannes und der Frau gleich wichtig ist, uud daß die 
Teilhaber um Akte der Empfängnis später, sowohl Mann 
als Weib, auch Teilhaber an dem Akte der Geburt des 
Kindes sein müssen. Ks ist klar, daß, insofern es sich 
um den Mann handelt, dieser eiuer derartigen Anforderung 
nur durch die Fiktion, durch die Parodie des Gcbäreus, 
genngt im kann. Mit allem Ernste ahmt er alle Funktionen 
der Gattin bei der Niederkunft möglichst genau nach und 
ist fest überzeugt, daß er ihr auf diese Weise Linderung 
verschafft, indem er auf sympathischem Wege einen Teil 
ihrer Leiden Übernimmt. Somit sind beide Pflichten des 
(iatten und Vaters, welche die sogenannte Couvade aus- 

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Dr. lt. F. Kuiudl: Neuere Arbeiten zur V-lkorkundo 



machen, imGrunde genommen prophylaktisch-sympathische 
Handlungen, die sieb nur insofern voneinander unter- 
scheiden, ah die eine von ihueu das Wobt de» Kindes, 
die andere hingegen das Interesse der Gebärenden im 
Auge hat. Zum Schluß widerlegt der Verfasser die Ver- 
mutung, daß die aogenaunte Couvude ein Überrest buh 
der Epoche der matriarchalischen Organisation sei , zu 
einer Zeit, da die patriarchalische bereits überhandnahm. 

A. Schneider untersucht die frag«, ob die treten 
an einen Gott glaubten (Anzeiger 1905, Nr. 3 bis 5). 
Er geht hierbei von der Ansicht Groddecks aus, der vor 
fast 100 Jahren bewies, daß die doppelte Bezeichnung 
des Gottes bei den Geten, Zamolxis und Gebeleidsia, aus 
dem phöuizischcn Moloch und aus der höchsten Gottheit 
der Babylouier Bei (biblisch Baal) entstanden ist. Dieser 
Hypothese Groddecks von der orientalischen Abstammung 
beider Benennungen der getischen Gottheit folgt der Ver- 
fasser, mit dem Unterschiede jedoch, daß er die ursprung- 
liche Verschiedenheit zwischen Zomolxia und Geheleidsis 
nachweist. Dabei bedient er sich u. a. der ältesten 
griechischen, babylonischen, litauischen und slawischen 
religiösen Überlieferungen und gelangt zu dem Schluß, 
daß Zamolxis einen Drachen bezeichnet, der in einer 
künstlich erbauten unterirdischen Grotte hauste: in diese 
Grotte stiegen die Geten hinab, indem sie sich nach dem 
Jonseite zu ihrem Gotte begaben, um die Unsterblichkeit 
su erlangen. Der zweite Name ist die Bezeichnung einer 
Gottheit, die auf den Oehirg&höhen unter der Gestelt 
eines Stieres oder in der verkümmerten Form von Hörnern 
verehrt wurde. Gebel — Djebel, Dschebel bedeutet 
türkisch so viel wie Berggipfel, und der griechische 
Öiäßo koi stemmt nicht von diaßakka her, sondern von 
jenem orientalischen Ausdruck, um den Ort, wo die ge- 
hörnte Gottheit vorehrt wurde, zu bezeichnen. Der Ver- 
fasser führt zahlreiche Beispiele an, die von dem einst in 
vorchristlichen Zeiten weitverbreiteten Kultus des Urs 
oder Auerochsen zeugen, besonders in Mitteleuropa (in 
Deutschland, Polen, Litauen usw.) Mag auch Herodot 
behaupten, daß Zamolxis mit Gebeloidsia identisch war, 
so bedeutet dieser doch eine besondere Gottheit Erst 
im Laufe der Zeit kam es unter phönisischeni Einflüsse 
zu einer Ausgleichung beider. Bevor die Geten sich der 
Verehrung des Zamolxis und Gebeleidsis zuwandten, 
Stauden sie dem Monotheismus uud dem kosmischen Be- 
griffe einer Gottheit im Sinne des pelasgi Beben Zeus nahe, 
dessen Name den Himmel, den Äther, die lichte Wohnuug 
des Unsichtbaren bedeutet. Die Geten fielen von dem 
einen Gott im Himmel ab, ohne dessen Vermenschlichung 
zuzulassen, welcher z. B. mit dem Fortechritt der Zivili- 
sation der Homerische Zeus unterlag; dagegen huldigten 
sie der Unterwelt, den Kulten des Zamolxis und Gebel- 
eidsis, von denen zu einem Monotheismus im biblischen 
Sinne kein Übergang führt. 

Potkanski verticht die anregende Anschauung, daß 
die polnische (Jrod (Burg)- Verfassung der historischen 
Zeit aus den auf slawischem Roden überall nachgewiesenen 
prähistorischen Burgwallen hervorgegangen ist. Es ist 
dies leicht erklärlich, da diese Grode seit jeher die Zentral- 
statten des religiösen Leben» waren, in ihnen die Ver- 
sammlungen de» Volkes u. dgl. stattfanden. So wurden 
viele alte Stamm- und Volksburgen zu fürstlichen und 
damit zu Mittelpunkten der neuen Verwaltung. (Spra- 
wozdania 1905, Nr. 4). 

Aus einer vorläufigen Anzeige der Arbeit von J. Hoz- 
wadowski geht hervor, daß er verschiedene slawische 
Flußnamen zu erklären sucht, darunter Poltew, Skawa, 
Jana, Szreniawa, D/.iwno, Nobel, Sukiel, Brenna u. a. Im 
Zusammenhange damit untersucht er die Endung -awa 
bei Flußnamen (Sprawozdania 1905, Nr. 4). 



Von der Zeitschrift Lud, welche als Organ des Ver- 
eines für Volkskunde in Lemberg erscheint und von 
K. Potkaiiski und Udziela redigiert wird, erschienen die 
Bände X und XI (1901/05). Im X. Bande sind vor allen 
folgende Artikel sehr interessant: Janik handelt über dio 
Flößerei, deren Mittelpunkt das Stadtchen Ulanöw am 
San (Bezirksbauptmannschaft Nisko) bildet Das Stadtchen 
wurde wegen des regen Floßvorkehres früher von den 
Deutschen oft „Galizisches Danzig" genannt Seit 1612 
hatte der Ort deutsches Rocht. Die Flößer bildeten eine 
eigene Zunft, die Brüderschaft der heiligen Barbara 2 ). In 
der Kirche, wo die Flößer einen Altar ihrer Patronin 
hatten, finden «ich verschiedene Bilder, die in Beziehung 
zum Flößergewerbe stehen. Das interessanteste ist daß 
aus den angeführten zahlreichen technischen Ausdrücken 
wie: binduga oder winduga, szwele, tafel, rotman, majster, 
rajzetnsz, na f rächt usw. klar hervorgeht, daß die Lehr- 
meister der einheimischen Bevölkerung Deutsche waren. 
— Mittyas behandelt die Namen einiger Dörfer, Dorf- 
teile, Äcker, Wiesen, Wälder usw. in dein Bezirke Brzesko. 
Interessant ist , daß im Dorfo Iwkowa die Erinnerung 
fortlebt, daß ursprünglich das Dorfgehiet in 60 Felder 
geteilt war, die nach ihren Besitzern benannt wurden. 
Da ein Grundkomplex den Knmou Soltysie führt und die 
l berlieferung vorhanden ist, daß diese Gründe sich im 
Besitze von Soltysen befanden, die zum Kriegsdienste 
verpflichtet, sonst aber frei waren, so ist es klar, daß wir 
es mit einer dörflichen Ansiedelung mit deutschem Recht 
und mit einem Schulzen an der Spitze zu tun haben. — 
Ebenso wichtig ist der Artikel von Kstreicher. Dieser 
handelt über den alten Rechtebrauch, daß ein zum Tode 
Verurteilter dadurch gerettet werden konnte, daß ein 
Madchen ihn als Mann heimzuführen sich bereit erklärte. 
Diese in Polen und insbesondere iu Galaxien bis ins 
18. Jahrhundert nachgewiesene Sitte ist deutseben Ur- 
sprunges. Sie findet sich nur in Städten und in Dörfern, 
welche deutsches Recht hatten, und war dein eigentlichen 
polnischen Rechte fremd. Auch findet sie sich nioht 
unter slawischen Völkern, denen dentsebor Rechtebrauch 
fremd war. 

Ferner seien folgende Artikel genannt: 
Gonet teilt aus dem Dorfe Sucha, Bezirksbauptmann- 
schaft SavbuHch, zwei Weibnachtsspiele mit. Das erste 
führt den Titel „Der Umgang der Hirten" und wird von 
drei Hirten gespielt, das zweite, „Der Umgang mit dem 
Paradies", zählt zu agierenden Personen Adam, Eva, 
einen Engel , einen Teufel und den Tod. Der Dialog ist 
teils iu Prosa, teils in Heimen abgefaßt. — Badura be- 
bandelt Tracht nnd Lebensweise der Bewohner von Husöw, 
Bezirk Laiicut. — Udziela bietet Proben dörflicher 
Poesie, indem er gereimte Briefleiu, Wünsche und Satiren 
mitteilt. Man vergleiche dazu auch den von S. Gonet 
mitgeteilten polnischen Brief eines Mädchens in derselben 
Zeitschrift, S, 337. — Siewiiiski bietet die Beschreibung 
der Hochzeitsgebräuche aus dem Dorfe Liski, Bezirk Kelz; 
die Gebräuche zeigen eine sehr altertümliche Form. Dio 
Hochzeitsfeier dauert sieben Tage. — Ferner finden sieb 
in dem Bande volkskundlich interessante Mitteilungen aus 
neueren Gerichtsakten, welche die gegenwärtig noch herr- 
schende (''hang gewisser älterer Gebränche beweisen, so 
z. B. dio Austreibung des Teufels aus Besessenen, den 
Glauben an Wolfsmenschen usw. — Bujak teilt aus Ge- 
richtsakten von Biecz aus dem Jahre 1604 volkskund- 
licbes Material mit. Aus einor Gerichtsverhandlung von 
1642 geht hervor, daß hier der Brauch bekannt war, 
jenen Mädchen, welche im Fasching nicht geheiratet haben, 

*) Ist die beil. Uarbara auch andorwart» bchuUpatrotiui 
der FlöBer oäVr ScIiifferV Der BericWrMalter bittet um 
gütige Mitteilungen. 



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64 



Dr. R. F. Kaindl: Neuer« Arbeiten zur Völkerkunde usw. 



einen Klotz um den Hals zu hängen*). — Matusiak 
führt aus, daß die Polen einst selbst «ich Lechen nannten, 
von den Nachbarn seit altersher so genannt wurdeu und 
zum Teil noch jetzt so genannt werden. Kr halt Lech 
sowie Piaat und Popiel für historisoho Persönlichkeiten. 
L< ch hätte jedenfalls vor dem 8. Jahrhundert die ver- 
schiedenen Stämme der Polen geeinigt, so daß diese 
schon damals unter der Gesanitbezeichnuug Lechen er- 
scheinen. — Semkowicz teilt Weihnachtsgebränohe ans 
Radtow, Bezirk Rrzesko, mit; das hier abliebe Weihnacht!- 
spiel wird von Hirten aufgeführt. — Udziela schildert 
in Wort and Bild die Tracht, die Baulichkeiten, die Ge- 
räte in der Gegend von Sandec (mit sehr hubscheu Ab- 
bildungen von Stickereien), — Windakiewicz bespricht 
einige im 17. Jahrhundert erschienene polnische Sammlun- 
gen von Liedern und Gedichten, die vielfach volkstümliche 
Formen und Motive aufweisen. — Potkanski bietet 
Nachrichten Über alte Benennungen des Weihnachtafustes 
und über das Vorkommen gefärbter Ostereier im ] 3. Jahr- 
hundert. — Gustawicz bespricht die heil- und zauber- 
kräftigen Kräuter. — Cieplik gibt eine Schilderung des 
Weihnachtsfeates in Ifabka, Bezirk Myslenice. Aufgeführt 
wird hier ein Hcrodesspiel, wobei auftreten : Herodcs, sein 
Marschall, die drei Könige, zwei Soldaten des Merodes, 
der Engel, der Tod und der Jude. — Udziela berichtet 
über das ethnographische Museum in Krakau. — • J. Karlo- 
wiez bespricht die in Polen und anderwärts vorkommen- 
den Überlieferungen , die von der Fußwaschung als be- 
sonderer Khrenerzeigung hauduln. In vielen Fällen soll 
auch nooh dasWaachwasser getrunken werden. — St. Zd zi- 
arski schildert volkstümliche Elemente bei den polnischen 
Dichtern, und N. Madlowna bietet V herlief erringen über 
die Gespenster Ertrunkener aus dem Gouvernement Piotr- 
kow. — S. Udziela berichtet über die Gerichtaverhaudlung 
gegen einen Hexenmeister aus den Gerichtsakten von 
Neu-Sandcc. Galizien, aus dem Jahre lftOl, und K. Pot- 
kanski über Fußstapfen (Fußabdrücke) und Hirsch- 
geweihe als Grenzzeichen in polnischen Urkunden. — 
Im XI. Bde. bietet zunächst Czaja weitere Beitrage ') zur 
Kenntnis polnischer Weihnachtsspicle aus verschiedenen 
Ortschaften Westgaliziens. Diese Krippenspiele werden 
zumeist mittels eines primitiven Puppentheaters dar- 
gestellt. Dieses hat die Gestalt eines Hauses, einer Kirche 
oder Kapelle, ist aus Holz oder Papier gefertigt und be- 
sitzt am Boden einen Einschnitt, durch den die Puppen 
in Bewegung gesetzt werden. Durch eine Öffnung in der 
Rückwand beobachtet der Leiter der Figuren deren Be- 
wegung; dazu wird der entsprechende, den Puppen in 
den Mund gelegte Text gesprochen uud geBungen. Seltener 
wird das Spiel durch verkleidete Personen aufgeführt. 
Handelnde Figuren sind: Konig Merodes, sein Minister, 
verschiedene Soldaten , Volkstypen , besonders oft der 
Jude, Teufel, Hexen, Tod, Totengräber, Bettler usw. 
Außerdem werden von den Mäuncru oder Knaben , die 
mit dem Krippenspiel von Haus zu Haus ziehen, auch 
Weihnachtslieder gesungen. — Sinolski versucht die von 
einigen früheren Forschern behauptete Verbreitung der 
Slawen in Mitteleuropa (vgl. Globus, Bd. 86) zu stützen, 
indem er deren Spuren im alten Ration und Vindelicien 
aufdeckt. Den Licus (Lech) bringt er mit dem Volksnamen 
der Polen (Lecheu) in Zusammenhang. Die Vhidelieier sind 
die Wenden am Licus, also dio Lechen. Er verweist so- 
dann auf die zahlreichen anderen Namen, die mit Lech 
zusammengesetzt sind, und zahlt die Namen mit „W enden" 
auf: lacus Venetus (ßodensee). Allewenden, Wendenrente, 
Winnenden, Windten, Winden, Wendenham, Windenhuhl, 

*) Ist die»e Sitte nicht deutscher Herkunft'' Der Bericht- 
erstatter würde für gütige Mitteilungen dauktxar sein. 

*) Vgl. auch unseren letzten Bericht im Globus, Bd. *♦>. 



Michel winden, Mitsch wenden, Wendenau, Loh winden, Ober- 
winden. Es wird darauf verwiesen, daß die Sedunen in 
Wallis in alten Quellen als „Winden" bezeichnet werden. 
Auch zahlreiche andere Namen werden als slawisch in 
Anspruch geuommeu. Die alte Ansiedelung Cisara bei Augs- 
burg wird mit Cecora zusammengestellt oder von der 
Göttin Cycy abgeleitet. Bludenz (Blutenes, Plutenes) wird 
mit slawisch bloto zusammengestellt und würde Ort am 
Morast bedeuten. Auch in dialektischen Wörtern der 
Volksüberlieferung und in der Tracht sucht Smölski sla- 
wische Spuren nachzuweisen. Hier dürfte ebenfalls 
manches Mißverständnis unterlaufen sein. Immerhin ver- 
dient z. B. hervorgehoben zu werden, daß das Bacbgespenst 
bluatsebiuk im polnischen blotnik sein Gegenstück hat. 
Ferner daß der Innfall beim Stanzersee in Unterengadin 
von den Einwohnern ( zarna djftra genaunt wird, was 
slawisch Schwarzes Loch heißt. Die daran anknüpfende 
Ih-achensage entspricht jener, die von der Höhle am 
Wawel (Krakau) erzählt wird. — Brucbnalski be- 
spricht die Bedeutung der Vögel und der Feder in der 
Volkskunde. Er untersucht die Gründe, wie es kam, daß 
gerade die Vögel eine so vielseitige Rolle in der Volks- 
Überlieferung spielen, und zahlt die Wunder- und Rieien- 
vögel auf, welche die Tradition verschiedener Völker kennt. 
Auch die weissagenden Vögel und was damit zusammen- 
hängt, wird behandelt Besonders wird die Feder als 
ritterlicher Schmuck berücksichtigt. Es wird darauf ver- 
wiesen , daß schon in den Heldensagen von Firdesi der 
tapfere Rüstern Federn des Wundervogels Simurg tragt 
mit denen er seine Wunden streicht, damit sie heilen. 
Die Feder ist also ein schmückender Talisman. Daraus 
sind die zahlreichen Überlieferungen zu erklären, in denen 
die sogenannte Bitte tun eine Feder vorkommt. Zuletzt 
wird auch die Feder als Schreibinstrnmeut behandelt. — 
Von der Drachensago, die an den Wawel in Krakau an- 
knüpft, ausgehend, verweist Rawita Gawrot'iski darauf, 
daß schon seit dem 17. Jahrhundert die Drachensagen 
auf die Funde fossiler Tierknochen zurückgeführt wurden. 
Da man nun in Höhlen in der Nähe von Krakau Knochen 
des Höhlenharen fand, vermutet Rawita, daß dieses Tier 
den Anlaß zur Drachensage gab. — Janik bespricht die 
polnischo Kolonisation in deu Vereinigten Staaten von 
Nordamerika, ihre Verbreitung, ihre kirchliche Organi- 
sation, das Schulwesen usw. Erwähnenswert ist, daß uu- 
gefähr 40 polnische Zeitungen erscheinen. — Matusiak 
verweist darauf, daß neben dem Sammeln der geographi- 
schen Namen auch die Sammlung der volkstümlichen 
Formen der Personennamen wichtig ist. Unter Beziehung 
auf die slawischen Namen zeigt er, daß das Volk die 
Namen so entstellt, daß man ohne Kenntnis davon im 
Zweifel ist, wie man dio Namenform deuten soll. Diese 
entstellten Formen liegen aber wieder Ortsnamen zugrunde. 
Ausgestorbene Personen minien leben noch iu Ortsnamen 
fort (Wiek — Wiekowo, Dzwon — Dzonowa). — Lopacinski 
behandelt das sogenannte „Kot»*-Spiel. Der Kot ist ein 
angezündeter Strohhalm oder ein Span, den dio Spielenden 
einander rasch reichen; hei wem er erlosch, der wurde ge- 
straft. Wenn Lopacinski annimmt, daß diese* Spiel wegen 
seiner Gefährlichkeit nicht mehr geübt wird , so irrt er. Es 
lebt noch heute als ,nharczyk", d. h. Lichtendchenspiel, 
bei deu Huzulen fort (vgl. meine „Huzulen", Wien 1894, 
S. 12). Vielleicht erklärt uns der huzulische Name auch 
den polnischen, den Lopacinski nicht zu deuten weiß, 
Kot heißt Katze; das gibt keinen Sinn; aber „gnot" huißt 
Docht, was dem huzulischen oharezyk nahekäme. Die 
Entstehung dieses Spieles führt Lopacinski auf die Über- 
mittelung von Botschaften durch fibersenden und Weiter- 
gehen eines Gegenstandes (nuncius cum baoulo) zurück; 
er verweist auf die griechischen Lutupadodromia (Wett- 



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t. Kleiat: Die Oase Bilm«. 



lauf mit brennenden Fackeln) und auf die von Herodot 
geschildert»» persische Einrichtung der angaroi (Eilboten, 
die einander die Botschaft stationsweise zutrugen); ferner 
auf die lateinische Redensart: nunc cursu lampoda tibi 
trado u. dgl. — Im Gegensätze zu den Grundsätzen der 
allgemeinen Volkswirtschaftslehre betont Gnrgas den Be- 
stand von unterscheidenden wirtschaftlichen Eigentümlich- 
keiten der verschiedenen Völkerstämtne. Diese werden zu- 
meist übersehen ; ihre Erforschung ist um so wichtiger, als 
gegenwärtig allmählich diese Unterschiede verwischt wer- 
den. — Swie,tek bespricht die Bedeutung der Zahlen 3 und 
9 in den Mythen, Volksglauben, mystischen Gebräuchen 
u. dgl. des Volkes. Er schreibt dem häufigen Vorkommen 
dieser Zahlen eine besondere Bedeutung zu und hält sie 
für das Kennzeichen einer gewisseu Kulturperiode der 
Menschheit. — Nach U d zi el a kennt mun an 6000 polnische 
Volkserzahlungen (Sagen. Märchen usw.). Er betont, daß 
deten systematische Zusammenstellung von hoher Be- 
deutung wäre. Durch Beigabe französischer Auszöge und 
Indices Boll die Sammlung auch fremden Forschern zu- 
gänglich gemacht werden. — Potkanaki teilt mit Sagen 
über Erdgeister, die Ertrunkenen, Hexen, Gespeuster, die 
Seele nach dem Tode u. dgl. aus der Krakauer Gegend. 
Regen wird herbeigeführt, indem man die Weiber an 
Stricke bindet und in den Fluß taucht. Das letzte Mal 
soll dies vor etwa 1 5 Jahren geschehen sein. — B. S. K. z 
Gniezna veröffentlicht Nachrichten aus alteren Schriften 
über den latawiec, d. i. eine Art Teufel, von dem auch in 
Galizien erzählt wird. — M. L'dziela bietet Beiträge zur 
Kenntnis der Volksmediziu aus verschiedenen Gegenden 
Galizien», darunter auch einige aus älteren Schriften ge- 



sammelte. — S. l'dziela teilt mit eine interessante Strafe 
für Verlftumder in den galizischen Dörfern Paczoltowic 
und Jazowska. Im ersten Dorfe mußte nach der Ver- 
ordnung von 1672 der Verleumder, nachdem er 100 
Streiche erhalten hatte, unter eine Bank kriechen, dort 
wie ein Hund bellen und sodann sprechen: „Was ich von 
N. N. sagte, sagte ich nicht der Wahrheit entsprechend, 
sondern ich log wie ein Hund." Dieses Verfahren scheint 
deutschen Ursprunges zu sein. Man vgl. z. B. den $ 1« 
des Schemnitzer Stadt- uud Bergrechtes. Danach mußte 
der am Pranger stehende Verleumder „offenHch sprechen 
vor allen Leuten: Was ich geredt hab , das hab ich ge- 
logen als ein Böswicht." Dabei mußte er Bich selbst, 
„mit sein selbs Hand an das Maul schlagen". — 
St. Dobrzycki bespricht die verschiedenen Äußerungen 
deB Humors nnd des Witzes in der polnischen Literatur 
des 16. Jahrhunderts und bietet Proben von Anekdoten, 
lustigen Streichen, Witzen, Münchhansiaden dar. — Aus 
einem im Jahre 1800 in Warschau gedruckten Kirchen- 
buche ( a Nabozieiistwo parafialne") werden von B. J. K. 
jene Stellen herausgehoben, an denen volkstümliche Sitten 
und Gebrauche in der Regel mit der Absicht erwähnt 
werden, damit die Pfarrer auf deren Abstellung hin- 
arbeiten. — F. Taroni, Wegkapellen und Wegkreuze in 
derZips (Oberuugarn). Mit vielen Abb. — J. Sadowski, 
Das Dreschen des Getreides im Bezirk Wadowice (Galizien). 
Beschreibung der Vorrichtungen, der Arbeit und der Ge- 
bräuche. — K. Potkanski, Aua dem Volksglauben in Po- 
dbalien (Gegend von Zakopane, Westgalizien). — ,!. Cwi- 
kowski, Volkstümliche Tracht in der Pfarre Lacko, Be- 
zirk Neu-Sandec (Galizien). (Schluß folgt.) 



Die Oase Bilms. 

»er Globus brachte in Bd. 90, 8. IS« u. Bd. 91, S. 14 
Mitteilungen über die Oase Dschanet, das Objekt der Streitig- 
keiten zwischeu Frankreich und der Türkei; diese wurdeu 
durch da« Nachgeben der Pforte beigelegt. Schon im Marz 1906 
lenkte sieb die Aufmerksamkeit in Krankreich außerdem auf 
den größeren Oasenkomplex von Riltna, der ebenfalls im 
Zuge der Karawanenwege zwischen Tripolis und den Taad- 
see- Landern, nur »eidlicher, liegt. Da die Pfurte zu dem Ver- 
trage vom 21. März 1899 zwischen England und Frankreich 
über die Festlegung der beiderseitigen Machtgebiete tn der 
Sahara nicht zugezogen war und ihr Einverständnis dazu 
nicht erklart hatte, so liefen verschiedene Oeruchte um, der 
Sultan beanspruche die Oberhohelt über Bilnia, weil es zum 
Hioterlande von Tripolis gehöre, l'm der Unsicherheit seiner 
Zugehörigkeit ein Ende zu machen, wurde im März v.J. von 
dem französischen Militfirpostnn in Sinder eine Erkundungs- 
allteilung nach Bilms entsandt , um hier die Hoheitsrechte 
Frankreichs geltend zu machen. Diese kleine französische 
Truppe wurde zwar von Kelowi-Tuareg überfallen , erreichte 
aber mit dem Verluste von nur zwei Verwundeten Bilm* und 
besetzte vorübergehend diesen Oasenmarkt. Jener anfangs 
stark überschätzte Überfall und verschiedene ander« Ereig- 
nisse in Nordofrikn wurden in Frankreich in einen inneren 
Zusammenhang gebracht: Es war eine Verschwörung zur 
Niedermetzelung der damals nur aus 9 Europäern und 70 
Tiraitleurs Soudauais bestehenden Garnl»"» von Sinder ent- 
deckt worden; kurz vorher waren zwei französische Offiziere 
am Niger, und im südlich gelegenen Sokolo drei englische 
Offiziere ermordet worden; im fernsteu Westen, in dem Militär- 
distrikt Mauretanien, war der im Auftrage der Begierung 
tätige Kommissar Coppolani in Tagaut im März 1905 gefallen; 
die Maurenstämme der Hapan hatten ihr« I'liinderungszüge 
gegen die das rechte ßenegalufer bebauende Bevölkerung 
wieder aufgenommen , und die Berberatämme im Tadlet 
zeigten eine auffällige Erregung. So rechnet" man mit einer 
pan islam i lisch en Bewegung in ganz Nordafrika als 
Folgeerscheinung der politischen Ereignisse vou Akabn, 
Dschanet und Algesiras. Diese Annahme bestätigte sich jedoch 
nicht, die Einzelfälle sind Ausbrüche marabutischer Hetzereien, 
die. mehr örtlicher Natur, keine» politischen Zusammenhang 
beBitzen, wenn auch eine Erregung der uiuselmauischeii Be- 
völkerung nicht geleugnet wird. 



Die Verstimmung findet ihren Grund in der Beschränkung 
der vermeintlichen Recht« der bisherigen Herren der Wüste 
durch die polizeiliehe Überwachung der Karawanenwege 
durch die von Algier und vom Sudan her vorgeschobenen 
Militftrpoaten und deren Sicherbeittmalltvgelii. Ohne den 
Schutz der WUstenstamroe durchziehende Karawanen waren 
den Überfällen und der Ausraubung ausgesetzt; das teuer 
erkaufte Geleit schützte nur im Gebiete der Stämme vor 
KAube.re.len und hier nicht einmal, wen» diese mit anderen 
im Streite lagen. Man muH ea der französischen Verwaltung 
nachrühmen, daS sie dieser Unsicherheit steuerte, einmal 
durch das durchgeführte Verbot des Sklavenhandels und 
zweitens durch die unausgesetzte Überwachung der Karawanen- 
wege durch ihre auf Kameisn berittenen Mchitristcn-Kom 
panien. Das ungeheure Gebiet der französischen Sahara 
durchziehen drei groBe Handelsrichtungen. Die westlichen 
gehen von Marokko aus, vereinigen sich in dem Knotenpunkt 
Taodeni, vou wo sie sich wieder nach drei Hauptrichtungeti: 
nach dem unteren Senegal (Mauretanien), nach Nioru und 
Bandiagara (Territoire du Senegal et Niger) nnd nach Tim- 
btiktu trennen. Die mittlere Richtung schlagen die Kara- 
wanen aus Südwest-Algier eio, sie finden ihren Vereiiiigungs- 
punkt in den südlichsten Tuatoasen, um sich nach Durch- 
schreiten des Tanesmft gleichfalls wieder zu verzweigen, sei es 
nach Timbukt.u, Gao am Niger oder südöstlich nach Sinder. Die 
dritte, die öatlicht! Handelsricbtung verläßt an verschiede- 
nen Punkten die Sudgrenze von Tripolis, sie führte früher 
über Mursuk, jetzt meist über Rhat — 6okn> nordostlich 
von der französischen , oben erwllhnteu Oase Dschanet , auf 
verschiedenen Anmarschwegen nach der Oase Bilma, dem 
Knotenpunkte und Haupttnarkto dieser Gegend, von wo 
wieder drei Handelswege südwestlich nach Sinder, südlich 
nach Kanem im Norden des Tsadsce« und südöstlich nach 
dem Territoire du Tchnd auslaufen, überall »Indet man oinen 
Knoteupunkt, und jeder ist wirtschaftlich von groOer Bedeu- 
tung. Ein französischer Schriftsteller verwirft den Vergleich 
der Gasen in der Sahara mit Inseln im Meere und findet es 
richtiger, die Oasen als Hafen- und Marktplätze anzusehen. 
Wer auf sie die Hand legt, ist auch Herr des Wüstenhandels 
und Herr der sie bewohnuntlen Stämme , die in dem hier 
stattfindenden Handel die Haupt mittel für ihre Existenz 
finden. Der westliche Handelsweg über Taodeni ist tot; seit- 
dem man den einträglichen Handel mit Sklaven verhindert hat, 
ist die Örtlichkeit selbst so gut wie verlassen; im Sommer iw« 



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ßnchemchau. 



von Oberst Laperrine von Tont aus erreicht, ist nie jetzt von 
einer französischen Truppe de« Sudan dauernd besetzt worden. 
Die mittlere Karawauenstraße über Tuat i»t wenig liegangen. 
erst in neuester Zeit loll eine Karawane mit sehr wertvollen 
Artikeln, Straußenfedern, Elfenbein, Gummi, sudanischen 
Geweben, von Timbuku diesen Weg nach Tripolis eingeschlagen 
haben. Diese Richtung ist durchaus sicher, ihr Knotenpunkt 
Tnat hat stehende französische Besatzung. Das gleiche kann 

dem Knoten- 



östlichsten Hiiud<-l»wego 
punkte Bilma nicht behaupten. Im Südosten von Algier bis 
über Rhat und Khadames hinnus, südwärts bis Regen Bilma 
hin, durchstreiften bis Mitte dieses Jahre« noch in altgewohnter 
Weise die Asger-Tuareg die Wüste. Wenn »»ich Frankreich 
sie als Untertanen ansieht, so behaupteten sie Iii» zum heutigen 
Tage ihre Freiheit, ohne an die Republik Abgaben zu zahlen. 
Das wird «ich jetzt ändern, nachdem Dschauet •-in« dauernde 
französische Besatzung erhielt und Kort Fiatler» von Norden 
angelegt wurde und als Militärposten 
ipanie unt 



kompanie unter Kapitän 



bekam. So von Norden 
und von Südosten im Zaume gehalten, erkannten schon einige 
Stämme der Alger die französische Oberhoheit an (vgl. Hd. 91. 
8- U). 

Der Onwnkoniplex vnn Rilmii bildet den Mittelpunkt 
der ödesten, am meisten menschenleeren Gegeud der süd- 
lichen Sahara mit einer aus sehr verschiedenen Stammen 
zusammengesetzten Bevfilkeruug : Tibhu, Bollati - Tuareg, 
Ibnrghllten (weiße Tuareg gekreuzt mit Schwarzen) und 
Kelowi-Tuareg. Diese letzteren, die Karawanenbegleifer nach 
Sinder und dein Tsadscc, beanspruchen den Besitz dieses 
Gebietes, und es gelang ihnen, ihre Herrschaft in manchen 
blutigen Kämpfen zu behaupte!). Außerdem steht die Be- 
völkerung unter dem Kinflusse niarabutiscbcr Tribus, der 
Islemen im Südwesten. Schließlich tuachlon die Uled-Btimnn 
stete Einfälle, weil sie mit den Kelowi auf dem Kriegsfüße 
standen; seitdem aber Sinder ein französischer Militärposten 
wurde, hörten die Raubzüge mehr Und mehr auf. Wenn 
Bilma als Schnittpunkt aller Karawaiieuwege zwischen Tripolis 
und dem Tsadsee von großer Bedeutung für den Handel ist, 
so gewinnt e* noch einen großen Wert durch die Ausbeutung 
»einer Sebka* (Salzseen), deren Erzeugnisse da.-« ganze Gebiet 



von Sinder, sowie den Nordeu. Osten und Westen dieses Teiles der 
Sahara mit Balz versehen. Die Salzausfuhr bildet da* Haupt- 
miltel für den Unterhalt der Oasenlevölkcrung und fülirl jähr- 
lich zweimal große Karawanen aus der Mittel-Sahara nach Bilma. 
Man schätzt die Zahl der Kamele zum Transport der kost- 
baren Salzharren auf 'ioooo jährlich. Die Handelsbeziehungen 
von Bilma mit dem Ijande Air, mit Sinder und ßorkn sind 
»ehr bedeutend. Der jahrliche Abgang der Karawanen in jeder 
dieser Richtungen, AsalaY genannt, bildet das große Ereignis 
des saharischen Lehens und gibt zu religiösen Festen und 
Opfern Veranlassung, die mehrere Tage dauern. Bei der 
Durchreise bringen die Salzkarawanen Leben und Anregung 
den entlegensten Stammen , sie sind die Überbringer der 
Neuigkeiten, iu jeder Örtlichkeit schließe» sieh der Haupt- 
karawane neue Teile an oder scheiden von ihr aus, es ist 
ein unaufhörlicher Anschluß oder Abgang von Vertretern der 
verschiedensten Stämme: monatelang wahrt so die Kamel- 
rvise durch die sandigen Dünen bis in die entfernteste Gegend. 
Da« Salz, das gegen Getreide und Industriewaren eingetauscht 
wird, gewinnt man aus tlüsnigem Zustande, indem mau 
hölzerne, zylindrische Formen füllt und das Wasser verdunsten 
läßt. Hierdurch eutstehenSalzbam-n von einigen '.'Okg Gewicht, 
und itehn solcher Barren machen die Last für je ein Kamel 
au«. Der Wert der Salzausfuhr von Bilma belauft sieb jähr- 
lich auf non 000 bis 400000 Frank. Man kann wohl sagen, Bilma 
versorgt don g-mzen Mittelsudan. Sinder und Kano mit Salz. 

Aus Vorstehendeut erkennt man die große Bedeutung von 
Bilma als Schnittpuukt aller Karawanenwege in der ostlichen 
französischen Sahara und al* deren wichtigsten Marktplatz, 
als Zusaminenkunftsort der verschiedensten Stämme. Da 
Bilma unzweifelhaft innerhalb des Gebietes liegt, den der 
englisch-französische Vertrag vom 21. März 1699 Frankreich 
überwies, so Ist seine ara 7. August IDOfi erfolgte dauernde 
Besetzung durch Leutnant Crepin vnn Sinder ans sehr be- 
greiflich; sie macht der Unsicherheit des Besitzes ein Ende. 
Der östlichste Knrawanvnweg der französischen Sahara steht 
nun von Dschanet im Norden und von Bilma im Süden 
ebenfalls, wie die beiden anderen in der Mitte und im Westen, 
unter französischer Überwachung. 

v. Kleist, Oberstleutnant a. D, 



Bücherschau. 



Le Magnin de Roogemont, Contes liceucieux de 
l'Alsnco. l'sri», Gustav Kicker, o. J. 
In den französischen Teilern von Elsaß-Lothringen ver- 
steht man outer einem Magnin einen Hausierer, der umher- 
geht, um schadhaft«» altes Gerät, zerrissene Schirme u- dgl. 
abzuholen und dann zu Haus« zu dicken. Diese überall 
bekannten I*ute sind zugleich eine Art wandernder Märchen- 
erzähler und Hhapsodcn, und die Dinge, die sie weiter tragen 
und von Vorgängern überkommen haben , siud nicht von 
der feinsten Art. In einem Vngesent ale hat der Herausjeber 
sich vnn einem solchen Magnin dies« derb erotischen Erzäh- 
lungen aufschreiben lassen, wohl zunächst deutsch, denn 
überall klingen deutsche mundartliche Ausdrücke oder judische 
Idiotismen durch. Wo diese, oft grobsinniiehen Erzählungen 
novellistisch« Form annehmen, scheinen sie auf literarischen 
KiritluU, wahrscheinlich französischen, zurückzusehen. Die- 
jenigen, meist kurzen und treffenden, bei denen mehr der 
Humor al« da« erotische l'lcment wirkt, erscheinen deutschen 
Ursprungs und sind auch in anderen deutschen Landschaften 
weit verbreitet. Wer ein Liebhabet solcher Erzählungen ist, 
findet seine Hechnung in dein 'JO Frank kostenden kleinen 
Buche, und der Literarhistoriker kann darin die Verbreitung 
und Varianten mancher den Volkshumor kennzeichnenden 
erotischen Schwanke ausfindig machen. Ein Beitrag zur 
Volkskunde derbster Art siud sie jedenfalls. A. 

Helene WIszwinttskI, Die Faktoren der Wüstenbilduug. 
50 Seiten mit Tafel. (Veröffentlichungen des Instituts für 
Meereskunde und des geogruph. Institut« an der Universi- 
tät Berlin. Heft 3.) Berlin. K. S. Mittler & Sohn, ItHjfi. 
Erfreulicherweise mehren sich die Schriften, welche sich 
mit ih-r Wüste befassen, welch"- unseren Vorfahren so öile 
und uninteressant erschien. 

Die Verfasserin führt aus. daC die \Vü«te vor allen Dingen 
ein« Funktion de» Klimas »ei. Die in der t iliertlaehcngc-t.ilt 
und Bodenxiis.ammenset7.ung beruhenden Faktoren sind als 
sekundär von den klimatischen zu unterscheiden. Eine noch 
geringer» Bolle ist der geographischen Lage in hezug auf 
MeTcsenifernung und der Meerrshöhe zuzuschreiben. Trotz- 
dem stehen sämtliche die Wiistenbildung fördernde Agenzien 
untereinander im Verhältnisse beständiger Wechselwirkung. 



Dann ergibt sich, daß nicht nur die klimatischen, morpho- 
logischen und geographischen Faktoren in eiuem Sinne 
die Wüslenbildung, sondern daß auch die Wüste ihrerseits das 
Klima, die Obernachengestaltung, die Bodeobswcbaffenheit in 
demselben Sinne beeinflußt. 

Immerhin tut man gut, die geologische Geschichte der 
Wüsten aW Grundlage für eine richtige Anschauung von der 
Wüstenbilduug anzusehen. Von einzelneu, wie der indischen, 
wissen wir genau, daß sie abwechselnd bald Land, bald Meer 
gewesen Ist. Aber im großen und ganzen ist noch künf- 
tigen Forschungen vorbehalten, der Frage näher zu treten, 
wie groß der EintluU der Eiszeit auf die Wüstenentwickelung 
in den versrbi-donen Gebieten der Erde war. Die Ansichten 
tiber die klimatischen Wandlungen, welche beispielsweise die 
Wüsten Südafrikas und Australiens erlitten haben, haben 
durch die Untersuchungen l'assargp* ihren hypothetischen 
Charakter fast verloren. 

Wind und Wasser sind die Hauptfaktnren in der Wüste. 
F.rsterer zerstört, was er soeben aufgebaut; man kann nicht 
nur von einer nivellierenden Tendenz des Wiude« in der 
Wüste sprechen, viel eher von einem Bestreben, seinen größten 
Rivalen, das Wasser, unschädlich zu machen, indem er das 
Relief «br Wüste in «Inain möglichst unregelmäßigen, rudi- 
mentären Zustande erhält. 

Es bleibt aber noch genug zu tun, bis wir über alle Ver- 
haltnisse in der Wusle klar sehen. 

Halle a. S. E. Roth. 

Paul Sprlgade und Max Mol sei, Großer Deutscher 
K oloni al at las. Herausgegeben von der Kolnnialableilung 
des Auswärtigen Amts. Lief. Berlin, Dietrich Reimer, 
iwu«. 4 M. 

Nur langsam geht es mit dem schönen Kartenwerk, das 
twreits vor «echs Jahren begonnen wurde, vorwärts; um so 
mehr freut man sich, wenn wieder ein« Lieferung erscheint. 
Die vorliegende funfie ist der vierten im Abstand von zwei 
.fahren e,efolj*t, sie erhöht die Zahl der fertigen Kartenblätter 
des auf öl Blätter berechneten Atlasses auf 1». Damit ist 
OsUt'rika zu zwei Dritteln abgeschlossen und Togo zur Hälfte. 
Sndwestafrika steht noch ganz aus. Doch wird »ich wobl 
auch noch eine baldige Neuzeichnung der Kamerunkarte 



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Kleine Nae 

nicht umg*b«n I«wn, die den Allna eröffnete und heute ver- 
altet int; erwünscht war« »ie jedenfalls. 

Die Lieferang bringt zunächst ein Obersich tshlatt xur 
VeranschHUlichung des gesamten deutschen Kolonialbesitzes, 
witt auch de« Besitze« dur übrigen Kolonialmächte. Kabel 
uud Danipferliuien — die deutschen durch besondere Signa- 
tur hervorgehoben — sind eingetragen. Eine Liste der großen 
Darnpferverbindungen vervollständigt das Blatt. Dann wird 
um von der Togokarte di« südliche Hälft» geboten. Sie fallt 
mit dem Mallstab 1 : aoOoöu au. der Reih« der übrigen (fast 
durchweg 1:1000000) heraus; diese« Schutzgebiet vertragt 
ihn eben. Dm dichte Routen notx und die Fülle des topo- 
graphischen Stoffes stechen vorteilhaft ab von der nur eine 
dürftige Darstellung gestattenden benachbarten Goldküsten- 
kolonie. Die beiden übrigen Blatter der Lieferung betreffen 
den äußersten Westen und Nordwesten Deutsch • Ostafrikas: 
Udschidschi und Usumbura. Diu Blatt lT»umbura verdient 
ein ganz besonderes Interesse und ist schon lange erwartet 
wurden, bringt es doch jene fernen Länder Urundi und Huanda 
mit dem Klwusee zur Anschauung, wo jüngere Reitcndo auf 
die Suche nach der Nilquell« gegangen «ind, wn ganz „im- i 
vorschriftsmäßig* inmitten eine« großen Kontinents tatige 
Vulkane sieb erheben. Von diesen Kirungavulkaneu liegen 
nach der Karte übrigen* nur der Karis«imbi — allerdings der 
höchste — und ein Gipfel des Kirunga-tseha-Nirngougo auf 
deutscher Seite, und es heißt, daß auf sie noch die Engländer 
Ausprucb erheben , obwohl die dort nicht mit uns grenzen. 
Die Grenzen sind dort noch liberall zu vereinbaren, mit Eng- 
land sowohl wie mit dem Kongostaat. Unsere Karte führt 
die deutsch kongostaatlicbe Grenze durch den Kiwusee hin 



f.7 



durch, was die belgisehen Kartographe.n aber noch keineswegs 
auerkennen. Das in Rede stehende Blatt zeigt, daB der Nord- 
westen Deutsch Ostafrikas, der selbst nach den Krisen Bau 
mann» und Graf Götzens keine sicher« kartographische Dar- 
stellung vertrug, heute topographisch ganz auagezeichnet 
bekannt ist , auch in den Gebirgsgegenden. Heute gibt es 
hier in der Tat nichts tnohr zu entdecken. )>er Ostrand des 
zentralafrikanischen Grabens scheint dort nach der Kart« 
wenig den Charakter einer geschlossenen Wand zu haben. 
Anders der Westrand. Aber dor liegt auf der Kongoseite 
und ist noch wenig bekannt; es wird dort wohl auch nicht 
anders sein. H. Singer. 

J. Zeminrich, Landeskunde des Königreichs Hachsen 
Hit Abbildungen und 1 Karte, taipzig, G. .1. Goschen, 
I00H. 0,HO 31. 

Mau uiufi bewundern, wie der Verfasser «s verstanden 
hat, auf so engem Raum eine derartige Vielseitigkeit zu ent- 
wickeln, wobei recht passend gewählte Illustrationen, wie 
beispielsweise das Durchbruchstal der Elbe bei Königstein, 
den Text wirksam uoterxi iiizon. Di« .Skizzen von typischen 
Dorfanlagen germanischer und slawischer Gründung reden 
beinahe deutlicher, als die Worte selbst es vermögen. Die 
Ergebnisse d»r Volkszählung von IIR'S konnten bereits be- 
rücksichtigt werden. Recht wichtig erscheint das beigegebanc 
Literaturverzeichnis, für das mau di« bekannte Flora von 
Wünsche noch hinzuerbitten möchte. Alles in allem hat 
man es aber mit einem empfehlenswürdigen Händchen zu 
tun. 

Halle a. B. K. Roth. 



Kleine Nachrichten. 



■r all 

— Von V. Sprigades Togokarte in t: 20*00*, die auf 
zehn Blatter berechnet ist, liegen jetzt die vier südlichen 
Blatter vor, nachdem im Dezember v. J. das Blatt Atak- 
pame erschienen ist. Dieses Blatt bestätigt von neuem, daB 
der kartographisch» Standpunkt dor Kidouie sehr befriedigend 
ist. Ein besonders dichtes Routen- und Wegenetz überzieht 
naturgemäß die nächste Umgebung der Station Atakpame, 
während die Zeichnung des Gebirges im Westen und Nord- 
westen davon auf verhältnismäßig wenigen Aufnahmen beruht. 



überraschend ist es, daB das Grenzget 
Dahome, das Land ostlich des Mouu, noch so wenij; bekannt 
und von den Beamten gar nicht aufgesucht worden ist. Sur 
eine Route, die des Hauptmann* v. Doering, durchkreuzt es, 
sie ist aber schon zehn Jahre alt. Allerdings scheint es sich 
um «inen nur sehr schwach bewohnten Strich zu handeln, 
wie aus v, Dnorings Roule und der dar Grenzkonimission von 
1898 hervorgeht, übrigens liegt die Grenze gegen Frauzitaisch- 
Dahome noch immer nicht fest; et wird darüber verhandelt, 
wie auf der Karte vermerkt ist. Zeichner de* Blatte« ist 
ü. Thomas. _ 

— Haus Steffen über da» Erdbeben in Mittel- 
Chile vom 1«. August 1906. Dio chilenische Regierung 
hatte eine Kommissinn eingesetzt, die die mit dem Erdbeben 
vom Ii!. August zusammenhängenden Erscheinungen studieren 
sollte. Als Mitglied dieser Kommission hat Dr. Hans Steffen 
von Ende August Ms Mitte September Valparaiso und Um- 
gegend, sowie die Täler von Nogales. La Ligun, I'etorca, das 
mittlere Aconcaguatal bis Los Andes usw. besucht, und andere 
Kommisalonsmitglieder sind nach der Gegend von Melipilla 
und San Antonio, nach den Ortschaften der großen Längs- 
ebene zwischen Santiago und Talca, sowie nach mehreren 
Punkten dor Küste nördlich von Constitucinn ausgesandt 
worden. Aus den Ergebnissen dieser Kommission und der 
Sammlung aller sonstigen Beobachtungen hofft man das 
Material für eine größer« Monographie zu gewiunen. Einige 
vorläufige Mitteilungen darüber hat Steffen der Berliner 
Gesellschaft für Erdkunde gesandt; sie rinden sich in Nr. t», 
DK»«, ihrer Zeitschrift abgedruckt. L» geht daraus zunächst 
hervor, daß bis zum 17. September 83 Nachbeben, zum Teil 
stärkerer Natur, gespürt worden sind. Sie dauerten auch 
noch bis Ende September an, und ein besonder* heftiges 
Beben trat am '20. September mittags ein, da* im Süden des 
Schüttergebiets auch Schaden anrichtete. Die Hnnpter'chiltte- 
rangszone des Bebens vom 1<>, August fällt in den Bereich 
der sogenannten Küstenkordillere und zentralen Liitigsebene 
von Mittel-Chile. Östlich geht das Gebiet umfangreicher Zer- 
störungen nur wenig Ober ein«- Linie hinaus, die der Küste 
in einem Abstände von 75 km parallel läuft. Festgestellt sind 



einige geringe Hebungen der Kii 
aber nicht gelungen, irgendwo neugebildet« Verwerfungs- 
spalteu, also den Herd einer echten tektouischen Verschiebung, 
| zu linden. Trotzdem aber — so schließt Steffen — darf man 
i wohl behaupten, daß das Erdbeben in die Kategorie der tek- 
I tonischen Beben gehört. Ks scheint »ich nicht um ein 
| Erdbeben mit punktförmigem Epizentrum , sondern um ein 
von einer oder vielleicht mehreren Herdlinien ausgehendes 
, lineare» Beben zu handeln. Vorläufig kann nur der un- 
gelahre Verlauf der Linien größter seismischer Intensität 
festgelegt werden. Ks lassen sich zwei ungefähr parallele 
und nahezu gleiche Längsatisdehnuug erreichende Achsou 
grüßtet- Zerstörung -erkennen: die eine fallt mit der von NNO 
nach SSW gerichteten, in der Luftlinie 140 km langen Kasten- 
strecke zwischen Zajiallar und Matnnzn zusammen ; die zweite 
läuft in einem Abstände von 25 bis no km n.tlich von ihr 
von La l.igua über Nogales, ijuillota, Limache und fasablanca 
nach Melipilla, d. h. sie verbindet im wesentlichen die un- 
gefähren Mittelpunkte der Durchbruchstäler de» unteren Rio 
Aconcagua und Rio Maipo, setzt sich aber nordwärts noch 
bis in das Talbecken von La Ligua fort. 

— C. Nnreo will (Botan. Studier tili. F. K. Kjellman, 
t'psala 1900) an dem sandigen ff er drei Zonen unter- 
scheiden, wobei er besonder» auf den Väner See exemplifiziert. 
Es bandelt sich um den nassen Sandstrand, den trockenen 
Sandstrand und die Düneureihe. Eine vierte Reihe repräsen- 
tieren die Sandfelder, welche gewissermaBen eine Mittel- 
stellung zwischen dem nassen und dem trockenen Seestrnnde 
einnehmen. Der na»se Sandstrand ist oft gegen den 
Seerand durch einen niedrigen Sandwall abgegrenzt uud 
kann bei hohem Wasserstande ganz oder teilweise unter 
Wasser gesetzt werden; bei .Sturm überschweiumeu ihn oft 
die Wellen. Daher ist seine ziemlich spärliche Vegetation 
meist aus feuchtigkeitslicbenden Manzen zu»ammengea«izt. 
Charakteristisch sind dafür Seirpu» palustris und acicularis, 
auf weniger durchtränktet» Boden Juucus lamprocarpus und 
Agmstis st'douifera. Auf dem trockenen Sandstrande ist der 
Sand oberflächlich trocken und daher »ehr beweglich, was 
ein groBes Hindernis für die Entwicklung einer Vegetation 
darstellt. Im äußeren Gebiete laufen zudem die Pflanzen 
tiefahr, von den Wollen !>ei Sturm fortgerissen zu werden. 
Die spärliche Vegetation besteht in der Regel aus Salix re- 
pens, Sagitia nodosa, Carex ooderi, Viola canina, Spergula 
arvensi« usw. Weiter einwärts, wohin die Wellen nicht 
reichen, taueben Formationen von t'alnrnagriwtis neglecta, 
Eo,uisetiim palustre, l'olyti u liuio juniperiiium usw. auf. Die 
Dünen erri-iclien eine Höhe von 7 bis Hm; düneubindeude 
Gewächse »ind namentlich Cnre.i arenaria, Calamagrosti» ri< 



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Kleine Naobriehten. 



glectu, wie epigejos, Epilobium angustifolium and Rumex 
anetosella, welche weit auslaufende Wurzeln besitzen. Auf 
den Sandfeldern ist der Saud meisteu« feucht, obschon die 
Oberfläche hier und da trocken ericheinen kann. lk-r innero [ 
Teil de« Gebiete* ist von einem weiten PhragtuitesgürM-1 ein- 
genommen, der äußere ohrjnert mit »einer spärlichen Vege- 
tation an denjenigen des nassen Seeetrande*. Morphologisch 
nmlen wir hier überall schmale Blatter, Blattaukkulenx, auf- 
rechte Blattstellung, Färbung der oberirdischen Teile durch 
Anthocyan, Marke Ausläufcrbildung, kurz einen xerophilen 
Charakter. Da der Sand aber iu einiger Tiefe stet* feucht 
ist, scheint daa xerophile Gepräge der SandpHanzcn eher 
durch andere Faktoren, wie z. B. die starke Insolation und 
Transpiration, wie die schnellen Temperatursch wankungen 
des Boden* hervorgerufen zu werden. E. K. 



— ,l>i« größte archäologische Entdeckung seit 
Layard und Rawlinson." Vor einigen Wochen wurde 
ein Reutertelegramin aus Bombay veröffentlicht, das auch in 
der deutschen Presse Verbreitung fand , von dem wir aber 
Bedenken trugen, an dieser Stelle Notiz zu nehmen; es lautete: 
.Dr. v. Lecoq. ein wissenschaftlicher Sendling der preußi- 
schen Regierung, ist nach einer Rein« durch die entlegensten 
Teile Innerasieiis wohlbehalten in 8rinagnr augekommen. 
Er hat eine Anzahl höchst interessanter Malereien auf Stuck 
mitgebracht, deren Hintergrund in vielen Fällen aus Blatt- 
gold besteht, wie bei italienischen Werken, sowie eine Anzahl 
von Manuskripten in zehn verschiedenen Sprachen, eins in 
einer ganz unbekannten Sprache. Dr. Lecoq* Entdeckungen 
stellen wahrscheinlich den größten archäologischen Fund seit 
den Tagen Layards und Rawlinson* dar." — Hierzu bemerkt 
die augeaeheue eugliache Wochenschrift „Nature* vom 13. De- 
zember sehr grimmig: , Dr. v. Lecoq wird über den letzten 
Satz diese« Telegramme», f>ir dessen Wortlaut er offenbar 
nicht verantwortlich ist, wahrscheinlich nicht übermäßig er- 
freut sein. Kr ist zur Untersuchung solcher Statten in Chinesisch- 
Turkestan au»ge«chickl worden, wie sie von Dr. Stein vor 
einigen Jahren entdeckt worden sind; Dr. Stein veröffentlichte 
seine Entdeckungen in seinem wohlbekannten Buche "Sand- 
buried Citics of Klu.uii'. Dr. v. Lecoq ist offenbar mit Erfolg 
in Dr. Stein* Fußtapfen gewandelt uud hat, nach der Be- 
schreibung in diesem Telegramm, Altertümer von demselben 
Typus gefunden wie die, die von dem älteren Forscher heim- 
gebracht worden und jetzt im Britischen Museum ausgestellt 
siud. Für einen Vergleich mit den epochemachenden Ent- 
deckungen llawlinsuns und Uyards dürfte sogar die Arbeit 
des Pionier* der Archäologie Turkestana, Dr. 8ieii>*, bei weiten) 
nicht daa richtige Verhältnis haben. Solche Vergleiche siud 
immer mißlich und oft, wie bei diesem speziellen Beispiel, 
einfach albern." 

Hoffentlich hat Dr. v. Lecoq trotzdem recht ansehnliche Er- 
folge gehabt, so daß er die Geringschätzung, die aus jenen Be- 
merkungen spricht, nicht verdient. Man ersieht aber hieraus, 
wohin es führt, wenn die von der preußischen Regierung 
nach Oatturkeetan ausgesandten archäologischen Expeditionen 
sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit arbeiten, d. h. 
wenn uicht* getan wird, diese iu geeigneter Weise und schnell 
über die Ergebnisse zu unterrichten. 

— Über den Rheiugletscber spricht sich .1. Früh iu 
den „Mitt. d. Thun.', naturf. Ges.", Heft 17, 1»06 aus: Von 
Schaffhausen nach Steiu a. Rh. zeigt der sich zurückziehende 
Gleicher drei Etappen: Moränen, Langwie,,,, (Altebühl 
444 m) und Schotterfelder nach Feuerthaleu ; dann Endmoränen 
Eichbiihl Kossiliberg (4,18 m) bei Diessenhofen mit fein nach 
Paradies abschrägender Kie-seben* Ratchard— Scharenwald 
(420 bis 4o-Jm); endlich die Moränen bei Ktzweilt-n — Hemi«- 
hofen, welche am Rhein heute 430 bis 435 m hoch anstehen, 
d. h. A2 bix 37 rn über dem Strome. Vielleicht lagen sie 
nördlicher noch etwa* tiefer. Durch rückläufige Erosiou des 
Rheines weiden auch die Hemishofer Moränen durchsagt, 
zunächst auf Um über dem So«, dem höchsten nachweis- 
baren Niveau, wofür vielleicht auf Schwelzerseile onUpreehuude 
Höhenniarkau noch zu finden sind. Dann vertiefte »ich der 
Ablauf auf Km und Ilm über dem heutigen Spiegel und 
bildete allmählich den ältesten oberen Talboden, die Terrasse 
von Wagenhauaeu. Die Deltas von Radolfzell erscheinen 
jetzt als Terrassengürtel ; endlich sinkt das Wasser auf 4fi^ 
bis 3»S m liier dem Meere; im Zellerare tritt der Seeboden 
auf 'A km liegen Überlingen a. Rh. zutage, heute in Wiesen und 
Torflsndereien enthalten, welche den Seelehm hedecke», der 
bei Eckelshausen uud Nord-Radolfzell in Ziegeleien verwertet 
wird. Das Grundwasser sinkt uud erscheint heute siiii dun 

Schottern lokal in eigentlichen klareu Und 



kühlen Quell bachen, wie der Egelbach von Überlingen a. Rh. 
und der Mühlbach bei Bohringen. Die Siugeuer Aach ist 
zum See abgelenkt und gexwongeu, (ich auf dem Seeboden 
in zahlreichen Windungen einen Weg zu bahnen. Die Mo- 
lassetäler vertiefen sich, und die aus dem Schutt hoher ge- 
bauten Deltas dringen mehr uud mehr hinaus iu den See, 
zum Teil denselben bei Stiegen- Eschenz von neuem stauend, 
bis ein künstlicher Eingriff hier das Profil erweiterte und 
den Ursprung des heutigen Steiner Rheins durch vermehrte 
Strömung feststellte. Das Delta von Ober-Eschenz über Stad- 
Hörnli ixt hierfür lehrreich. Noch ist zu beachten , daß daa 
RheinuU Stein — Schaffhausen vor der letzten Eiszeit bereits 
als Stromrinne gedient haben muß. Man sieht auf der gan- 
zen Strecke nur verrutschte Ufer aus Moräne, entsprechendem 
Schotter nnd Lehman der Würm-Eiszeit. Die Materialien 



also hier eingelagert. Eil 
Hemiahofen bei Nicderw; 
und es i»t hier die 



bei der Bibermühle uuter- 
treten felsige Bänke zu- 
eine starke. 



sind 
halb 
tag». 



— In seiner Abhandlung über geologische Probleme 
des A Ipeugehlrges (Zeitschr. d. deutsch, u. osterr. Alpen 
verein», Band 37, 190«» zeigt G. Bteinmanu, daß ein 
sehr großer Teil des Gebirges nicht aus dem aufgefalteten 
Untergrund wie da* Juragebirge gebildet wird, soudern aus 
übereinandergescbichtelen wurzellosen Falteudeeken besteht, 
die ihren Ursprung weit im Süden besitzen und von dort 
zum Teil um Beträge bis zu etwa 1'iOkm nach Norden vor- 
geschoben siud. Heben wir von den Süd - und Westalpen 
Midlich des laeretalee ab, die relativ eiufach gebaut sind und 
Überfaltungen nur in geringem Maße erkennen lassen, so 
unterscheiden wir drei große Decken oder richtiger gesagt 
Deckensysteme: daa helvetische, lepontinische und ostalpiue. 
Jedes Deckeusystem weicht von dem anderen durch seine Zu- 
sammensetzung ab und hat seine eigene Geschichte gehabt. 
Bei der erstell großen Phase der Oebirgsbildung wurden die. 
Gesteinsmassen aller drei Gebiet«- zum grüßten Teile aus 
ihren Ursprungsgebieteu gegen Norden zu herausgepreßt und 
angenähert wagerecht ubereinaudergesehichtet, derart, daß 
die helvetische zu Unterst lag, darüber »ich die lepnutinische 
und über dieser die ostalpine ausbreitete. Die sudlichste 
wurde die oberste. Der gleiche Vorgang vollzog sich auch 
innorhalb jedes einzelnen der drei D.-ck«n»y*temc im kleinen. 
Wenn man «ich in kurzer Zeit einen Einblick in den Deckeu- 
aufbau der Alpen verschaffen will, quere man von West nach 
Ost das Grenzgebiet zwischen West- und Ostalpen von den 
(Slarner Alpen bis zur Silvretta. überall, wo die Verhält- 
nisse einen guten Einblick gestatten, sehen wir die aus der 
gesteigerten Faltung entstandenen Decken vorherrschend 
wagerecht wdor in schwacher Neigung übereinandergeschich- 
tet und dabei die Geateiusmasaen iu unglaublicher Weite ge- 
zerrt, ausgewalzt, zerfetzt und verknetet. Dieser uns bis 
houtc noch schwer voratcllbare Vorgang beherrscht die Ost- 
wie die Westalpen. Die Theorie von der Deckenübcrfattung 
nach Norden hat eiue Fülle von Problemen auf- 



von Süden 
gehellt. 



— Den Kanton Thurgau als Gewittergebiet schil- 
dert dem. Heß in den Mitteil. d. Thurg. uatnrf. Gesellach., 
17. Heft, lt>0d. Die thurgauiseben Gcwitlerslnißcn besitzeu 
ihre ziemlich bestimmten Lieferungsgebiele, nütnlich der 
Hintertuurgau das Gebiet dea Greifen- und PfäfAkersees und 
die Gegenden von Griiningen und Uinwil, wie die westlicher 
gelegeneu See und HuBgebieie in den Kanümeu Zürich, 
Luzern, Aargau: die Straße Matziugeu — Bodeusee, daa Glatt- 
gebiet von Dabendorf, Kloten und Bulach, wie die Gcgendou 
der Lagern entlaug und deren westlicher Verlängerung; die 
Straße Thurmüudung — Thurlal— Bodensee, das Rafzer Feld; 
der Seerückon in seiner Längsrichtung und der Untersee, 
das Klei mau, uutere Wutachgebiet uud den Rhein bis Basel; 
die Straße Dieasenhofeu — Frauenfeld, Lauchegebiet, die obere 
Wutach und daa hoher gelegene Schwarzwaldgebiet; die 



Straßeu, welche den Seerucken kreuzen, das Kondengebiet 
mit seiner östlichen Nachbarschaft. Weiterbiii ergibt sich, 
daß die Steilhänge der kantonalen Boileiierhebungeii als die 
Ergobni«e jahrhundertelanger Atbeit der Wanderer der kan- 
tonalen Gewitterstraßen erscheinen. Dann zeigt die Frequenz- 
karte der Hagelschlage, dull diejenigen Gegenden den Hagel- 
seblägen am meisten ausgesetzt sind, die auf den Qeu itterstraßeu 
uud deren Kreuzungspunkten liegen. In betreff des Kinrlussea 
des Walde» auf dmi Hugelschlag ist Verfasser der Meinung, 
daß wenigstens für kleine Waldkomplexe ein schützender Ein- 



rliiü auf Hagelschläg« nicht als durch die Erfahrung erwiesen 
hetrachtet werden kann. 



II Slugnr, 



i. »UupUtralle W. - l)r«ok Kiitdr. Vl.*f ( u. Sohn. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE 

VERLAG von FRIEDR. VIEW EG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 5. 



BRAUNSCHWEIG. 



31. Januar 1907. 



Die wirtschaftliche Entwickelang der Ugandabahn-Länder. 

Von Alfred Kaiser. 
(Fortsetzung.) 



In dur lliugcbuug von Nairobi, d. h. iu einer Zone 
von etwa 30 km beiderseits der Bahnlinie, wo gutes 
Farmland vor kurzem uoch zu sehr billigen Preisen er- 
hältlich war, sind die Bodenpreiso um das Doppelte uud 
Vierfache gestiegen. Dei Nairobi selbst ist der Boden 
nur etw» zwei bin drei Fuß tief, meist steiuig und daher 
von einer sehr beschränkten Fruchtbarkeit. Billiges 
Land ist freilich »uob zu haben, aber dieses Land „steht 
unter Gras", wie die Englander sagen, es ist nur als 
minderwertiges Weideland, nie aber als ertragsfähiger 
Ackerboden zu gebrauchen. Und dann die Arbeiter- 
frage, dieses überall schreiende Schmerzenskind der 
afrikanischen Kulturnnternebuiuugen! Kaum haben sich 
100 Kloinfarmer in der Nähe von Nairobi niedergelassen, 
so ertönt schou das gewohnte Wehklagen über den Man- 
gel an ländlichen Arbeitern. Wie wird es erst werdeu, 
wenn noch weitere Farmer sich niederlassen und Handel 
und Transportwesen noch ein weiteres Kontingent von 
Arbeitern beanspruchen? Daß die 42000 Wakikuyu, 
die in der Umgegend von Nairobi ihre eigenen Farmen 
bestellen, noch eine größere Zahl von Arbeitern in die 
Dienste der Kolouiston stellen werden, ist ziemlich aus- 
geschlossen. Wo sollt« man fremde Arbeitskräfte her- 
holen? Au einigermaßen ausgedehnten Farmbctriub ist 
unter dem Beibehalte der gegenwärtigen primitiven und 
besonders viele Arbeiter erfordernden Kulturniethoden 
daher niemals zu denken. So billig die Arbeitslöhne zur- 
zeit auch sein mögen (man bezahlt den eingeborenen 
Feldarboitern 5 bis 8 M. Monatsgehalt), so bleibt zur 
Lösung der Landwirtschaftsfrage nur ein Weg offen: die 
Einführung von Pflügen und anderen verbesserten Boden- 
und Erntebcarbeitungsgeräteu. Zurzeit sind bei Nairobi 
aber erst etwa 25 Pfluge in Tätigkeit und bei dem pas- 
siven Widerstaudo, den die afrikanischen Ackerbauer 
der Einführung moderner Landwirtschaftsgeräte ent- 
gegenstellen, ist es nicht anzunehmen, daß der Feldbau 
der Kikuyu-Siedler in nächster Zeit schon aehrbeuerkoui- 
werte Fortschritte zu verzeichnen babe. 

Heute jedenfalls sind die Farmen dieser Kolonist«» 
noch von sehr geringer Ausdehnung. Die Leute ver- 
fügen wohl über ziemlich große Bodenareale, aber nur 
hier und dort sieht man eine kleine Flache mit Bohnen, 
Kartoffeln, Mais oder Weizen bepflanzt. Diese Kulturen 
werfen sehr bescheidene Erträge ab, und mit Ausnahme 
des Weizenbaues dürften sich alle nur für den Klein- 
betrieb der Eingeborenen, nicht aber für den zum Groß- 

(llu>.«f Xt J. Nr. 



betrieb sich entwickelnden Feldbau der weißen Siedler 
eignen. Als einzig rentabler Zweig der von diesen in 
Angriff gonommonun Landwirtschaft hat sich bis jetzt 
der Meiereibetrieb erwiesen, die Versorgung der Stadt 
Nairobi mit Milch, Butter und Eiern. Der Absatz ist aber 
ein beschränkter, und einer bedeutenden Erweiterung der 
Viehzucht zur Produktion von Schlachtvieh, Wolle u.dgl. 
stehen mancherlei nicht zu verkennende Schwierig- 
keiten entgegen. Es ist vor allem das kalte, rauhe 
Klima, das der Anzucht von großen Viehbeständen ein 
gewichtige* Hindernis entgegensetzt Das relativ wert- 
volle Steppen vieh verträgt eine Transferier ung in das 
feuchtkalte llochlandklima nur sehr schwer, und wenn 
wir bei den Wakikuyu auch etwas Vieh antreffen, so sei 
hier beigefügt, daß die Bestände von der Steppe au* 
ersetzt werden, und daß die Schafe es bei Nairobi z. B. 
ohne feuererwärmto Nachträume gar nicht aushalten. 
Es kommt, für Kikuyu ferner die Konkurrenz der Steppe 
mit ihren viehzuchtgewandten Maeoi iu Betracht, Mo- 
mente genug, die nicht sehr für eine belaugreiche Hebung 
der Viehzucht sprechen. Man wird sieh daher wenig 
wundern, wenn vielo der heutigen Farmer sich lediglich 
nur auf die Bodenspekulation verlassen und den Moment 
abwarten, wo sie ihre provisorisch bestellten Farmen 1111 
einon unerfahrenen Neuling verkaufen können. Unge- 
nügende Geldmittel sind bei fast allen Siedelungsunter- 
nehincn der Hauptgrund der anfänglich sehr langsamen 
Kntwickelung. In nicht geringem Maße ist das auch in 
Kikuyu der Fall. Regierungsorgane glauben zwar, daß 
landwirtschaftliche Siedler mit 6000 bis 10000 M. Kapi- 
tal auf dem Hochlande sich ruhig niederlassen können. 
Nieder)a*seu freilich ja, aber eine dem eingelegten Kapi- 
tal und der geopferten Arbeit entsprechende und für 
die Zukunft gesicherte Existenz sich zu verschaffen, das 
dürfte schwieriger sein. Abgesehen davon, daß die Re- 
gierung die erwähnten Summen als Minimalkupitalien 
eines Kolonisten betrachtet, ist zu bedenken, daß ein 
Fehljabr, ein Eingeboronenaufstand oder eine Seuche 
den größten Teil de* Kapitales auf einen Schlag zu ver- 
nichten imstande ist. Will der Farmer einigermaßen 
sicher gehen, so sollte er nicht nur oin höheres Betriebs- 
kapital zur Verfügung haben, sondern durch ein ent- 
sprechendes Reservekapital auch so weit gedeckt »ein, 
daß die ersten größeren Verluste uud solche sind doch 
immer zu erwarten — ihn nicht allzu sehr in der Fort- 
setzung des ltegonueneu Fariuhetriebe» stören In All- 



st 



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Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Kn twickelung der rgandahahn-Länder. 



betrucht, daß er mit einem zu kleinen Betriebe niemals 
uuf Reine Kosten kommt und die Anwendung von land- 
wirtschaftlichen Maschinen aHein nur einen Erfolg ihm 
sichert, darf mm als Luternehmungskapital eines ost- 
afrikanischen Farmer«, gleichgültig, ob er der Viehzucht 
oder dem Ackerbau sein Hauptaugenmerk zu schenken 
gedenkt, eine Summe yon 12000 bis 20000 M. in An- 
schlag bringen. 

Kolonisten mit derartigen K.inlagekapitalien werden 
mit der Zeit zweifellos auch nach Kikuyu kommen, aber 
•ehr wahrscheinlich erst nach einer Farmerkrisis, nach- 
dem der gut gelegene Hoden wieder hilliger geworden 
int und Bein objektiver Wert durch allerlei Vorarbeiten 
der vom Glücke weniger begünstigten Anfänger sich ge- 
steigert hat. Sie werden »ich dann um so leichter halten, 
als inzwischen auch diu Handels- und Beauiteukolouiv 
»ich entwickelt hat und die Regierung dann auch zu 
größeren Unterstützungen sich entschließen wird. Wenn 
diese besser gebetteten Siedler dann ihre Gruudstücke 
bewässern, mit rentablen Kulturgewächsen sie bepflanzen, 
dem Hoden durch Düngerzufuhr die entnommenen Nähr- 
salze wieder zuführen und dem Bedürfnis entsprechende I 
Geräte und Maschinen in ihrem Farnibetriebe einstellen, ! 
so wird eine erfolggekrönte Zukunft nicht mehr in allzu 
weiter Ferne stehen. Bis dahin aber werden die Neu- 
siedler nur als soziale Versuchskaninchen eine höhere 
Bedeutung einnehmen, sie werden die für das Kikuyu- 
(lochland geeigneten Nutzgewäohse herausfinden, die 
Eingeborenen allmählich an den Gebrauch von europäi- 
schen und amerikanischen Geraten gewöhnen, das Studi- 
um der Hinwirkung äußerer Schädlichkeiten und Kei/.e, 
hemmender und fördernder Sozialwirkungen und die 
Lösung so mancher anderer biologischer Frage ermög- 
lichen, für sich aber keine materiellen Erfolgu erzieleu. 

Ob und wie die Kolonin der farbigen Siedler, der 
Inder und der Goanesen. »ich entwickeln wird, das ist 
heute noch nicht vorauszusehen, denn ihr Schicksal hängt 
nicht nur von der Natur, sondern in hohem MaOe auch 
von dem guten Willen der Landesregierung ab. F.iue 
grolle Gefahr liegt für diese Kolonie darin, daß sie sich 
durch ihren höheren Grad von Kriminalität bei der Re- 
gierung, den weißen Siedlern und den Kinguboreneu 
recht unbeliebt macht. Es ist auch nicht zu vergessen, 
daß ein großer Teil der indischen Farmer im Ackerbau 
gar keine große F.rfahrung hat, aus Händlerkreisen her- 
vorgebt und auch wieder zum Handel zurückgreifen 
wird, sobald Enttäuschungen im Landwirtschaftsbetriebe 
sieh mehren. Aus naheliegenden (iründen wäre es sehr 
unvorteilhaft, wenn wir eine fremde Rasse da einführten, 
wo wir selbst unser Auskommen finden können, und wo 
brauchbare Autochthonen als Mitarbeiter unseres Kultur- 
werkes sich beteiligen. Mau sollte die Inder daher nur 
in den für das Fortkommen unserer Rasse ungeeigneten 
und nur von wenigen oder wirtschaftlich unfähigen Ein- 
geborenen besetzten Gebietsteilen als Landwirte ansiedeln. 
Eiue Erweiterung ihrer Kolonie auf kühleren, dem Euro- 
päer zuträglichen Hochländern sollte auch deshalb er- 
schwert werden, weil sie doch selten über ein Kapital 
verfügou, das ihnen die rationelle Bewirtschaftung dieser 
Kulturareale ermöglicht Man soll sie in der reucht- 
warinen Niederung ansiedeln, wo der Europäer als Ar- 
beiter nicht leben kann, und wo sie dem altansassigcu 
Neger durch den Mithewerh im Ackerbau die Kxistenz 
und Weitcrontwickeluug nicht erschweren. Als ich 
Kikuyu vor acht Jahren besuchte, schrieb ich in mein 
Tagebuch: „Eino Ansiedelung von Indern dürfte für die 
Kolonie nur dann von Wort sein, wenn die Zahl der 
Ausiedler eine beschränktere wäre, so daß sie nur als 
eine Art von Lehrbauevu eine Rolle spielten, uiclit 



aber die sicherlich entwicklungsfähigen Wakikuyu durch 
ihre Übermacht verdrängten." Was ioh damals schrieb, 
möchte ich heute noch unterstreichen. 

Wir haben nun erst eine Seite der europäischen 
Siedelung, die des landwirtschaftlichen Berufes, einer 
genaueren Betrachtung unterzogen. Noch fehlt ein 
kurzer Blick auf die Kaufleute, Professionisten und Be- 
amten. Wir sehen diese in nicht unbedeutender Zahl 
auf der Straße, in den Verkaufsmagazincn und Gast- 
häusern, auf Werkplätzen und in Amtsgebäuden, ver- 
gebens aber suchen wir sie auf dem Bahnhofe oder auf 
der Post in Diensten der Regierung, oder in den Quar- 
tieren des uinsatzreichen Kleinhandels als erfolggekrönte 
Kaufleute beschäftigt. Wo sie fehlen, da nehmen Inder 
und Goanesen ihre Stelle ein, und wo wir sie finden, da 
haben wir das (iefühl, duß nur europäischer Gcldnach- 
sohub ihre Stellungen sichert. Der europäische Kauf- 
mann kauft wenig von dem Eingeborenen, und was er 
an ihn verkauft, das ist kaum der Erwähnung wert Er 
handelt in Nairobi auch wenig mit dem Inder, denn 
dieser stuht entweder direkt mit (iroßkau flauten der 
Küste oder mit indischen Zwischenhändlern des Ortes in 
Verbindung. Der Inder ist es. der bei den Eingeborenen 
die Landesprodukte zum Wiederverkauf ersteht und 
in seiner engen Kanfbude bockend dem Eingeborenen 
seine Zeugstoffc und Garne, suine Glasperlen, seine 
schlechten Messer und Hacken, sowie eine ganze Menge 
anderer minderwertiger Handelsartikel aufzuschwatzen 
versteht. Im indischen Bazar kauft der farbige Soldat 
seine Waschseife, seine (iewürze und seinen Tabak. Beim 
Inder in der Viktualienballe kauft der cnglischo Hotelier 
frische Gemüse, Fleisch, Hier, Reis und eine Menge 
anderer Nahrungsmittel. Die indische Bcatutenfrau er- 
steht bei ihrem Landsmann die bunten Seidenstoffe zu 
ihren Kleidern, das Schuhwerk und den eigenartigen 
Silberschmuck. Kurz und gut, das Hauptgeschäft vou 
Nairobi liegt in den Händen der indischen Kaufleute. 
Ihre Warenbestände stammen zu einem großeu Teile 
allerdings aus Europa, sehr vieles sogar aus Deutschland. 
Die billigen, ungebleichten Baumwollstoffe und, wie mir 
gosagt wurde, auch diu billigen Sortoti der farbigen Glas- 
perlen kommen hingegen aus Indien. Im allgemeinen 
findet die europäische Industrie durch Vermittelung dieser 
indischen Kaufleute immerhin ein sehr wertvolles Absatz- 
gebiet, und es sind nur große Vorsicht und eine eingehende 
Kenntnis der Konsuuiuiitenbedürfnisse erforderlich, um 
an der Hand solider Importfirmen und rühriger, mit der 
Fabrikatinn und dem Geschmack der Käufer vertrauten 
Agenten heute schon oin nicht unbedeutendes Geschäft 
nach Britisch-Ostafrika machen zu können. 

Wie ganz anders ist dagegen das Bild der europäi- 
schen Kleiuhandelsgeschäfte! 

Da schauen wir uns erst einmal das Magazin eines 
sog. Produkteuhändlers an. Rechts vom Eingange ein 
Pflug, für 100 M. im Preise, die einzig gangbare Marke 
und scheinbar von sehr leichter Konstruktion. Daneheu 
eine im Lande hergestellte Egge, aus dem weichen Wa- 
cholderbolz von Kikuyu gefertigt. Beide Gerate sind 
für den Verkauf an europäische Siedler bestimmt. Der 
Pflug steht wohl schon seit vielen Monaten da, die Kgge 
wird nächstens in die Küche wandern, da das Holz überall 
gesprungen ist. und das Gerät daher kaum mehr einen 
Käufer finden wird. In der Mitte des Ladens ciu Schreib- 
tisch, bedeckt mit umfangreichen, aber wohl noch geringe 
Schatze verratenden Geschäftsbüchern, Briefschaften und 
den letzten Nummern der „ Nairobi News" und des „Africau 
Standard". An den Wänden herum stehen Säcke mit 
Bohnen, Mais und Weizen gefüllt, die Landesprodukte, 
die eigentlich nach dem Auslaude verschickt werden 



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Alfred Kaiser: Di« wirtschaf lliche Entwickelung der Ugandabahn-Länder. 



sollten, des geringen Werte« und der hohen Trans|>ort- 
kosten wegen aber itn Detailhandel, d. h. in Lasten von 
60 Pfund engl, au Ort und Stelle wieder verkauft werden. 

Der Besitzer dieses Ladens ist ein sehr freundlicher 
Herr, er stellt uns seine Tabakdose cur Verfügung und 
informiert uns über seinen Geschäftsgang und über die 
Ilandelslage von Nairobi. Das Bild, das er uns entwirft, 
ist freilich kein sehr rosiges, dooh hofft er auf ein all- 
mähliches Bosserwerden, da die billigen Bahnfrachten 
bei einigen Produkten doch schon einen Export nach 
Europa oder Südafrika ermöglichen. Es interessiert uns 
vor allem das Verkaufsgeschäft des Weizens, der in ver- 
schiedenen Sorten in der Umgebung von Nairobi ange- 
pflanzt wird, bis jetzt aber nur als Saatgut für deu 
Siedler in den Handel gelangt. Es sind harte austra- 
lische Sorten, die hier um besten gedeihen, doch hat man 
des Antilopen- und Vogelfraßes wegen von ihnen noch 
keine bedeutenden Ertrage erzielt. Man muH die Frucht, 
um sie vor diesen Feinden zu retten, 
gewöhnlich schon vor der vollen Reife 
ernten , uud wie ich mich an einem 
nach Europa mitgebrachten Muster 
überzeugen konnte, scheint der Weizen- 
kultur uuch von einem kleinen Korn- 
wurm (Calandra) ein sehr beachtens- 
wertes Hindernis zu erwachsen, wenn 
das aufzuspeichernde Getreide nicht 
durch Durchlüftungsmaschinen vor 
dessen Angriffen geschützt werden 
kann. In einein Liter Weizen habe ich 
nicht weniger wie 20ccin dieses kaum 
drei mm langen Bohrkäfers gesammelt, 
also zwei Liter Käfer auf den 100 Liter- 
Sack Weizen! Die Preise, die in Nairobi 
für den Weizen bezahlt werden, sind 
zwei- bis dreimal so hoch wie in Europa 
oder Südafrika, und au eine Ausfall r- 
möglichkeit ist daher gar nicht zu 
denken. 

Auch Mais und Gerste sind in Nai- 
robi zurzeit noch viel zu teuer, als daß 
diese Getreidesorten für die Ausfuhr 
in Betracht kommen könnten. Von 
Mais gelangen drei Sorten in deu Handel : 
der großkörnige, weiße Hikory-King zu 
97 bis 147 M. die Tonne, der große, 
gelbe Mais zu 97 bis 122 M. uud der 
kleinkörnig«, weiß und schwarz gemischte „Native- 
Mealies" zu 74 bis 86 M. die Tonne. (ierste kostet 122 
bis 166 M. pro 1000 Kilo. 

Von Gelreidearton wäre nur das Nogerkoru I Andro- 
pogon sorghum) zum Export fähig. Es kostet auf den 
sädafrikanischen Märkten 132 bis 198 M. die Tonne, 
kann in Nairobi über zu 74 bis 98 M. eingekauft werden. 

Die Negerhirse (Pennisetum spicatuml, die hier mit 
170 bis 195 M. bezahlt wird, kommt nur in geringen 
Mengen auf den Getreidemarkt. Sie ist ein zu wenig 
gesuchtes Lundesprodukt, als daß sie je einmal ein Holle 
in der Ausfuhr von Britisch-Ostafrika spielen wird. 

Am meisten verspricht mau sich von deu Hülsen- 
früchten, die in verschiedenen Arten und in ziemlich 
großem Umfange in der Umgebung von Nairobi ange- 
pflanzt werden. Ich habe mich Uber ihre Preise bei 
einem Johannisburger Market Master erkundigt und er- 
fahren, daß bessere Bohnensorten in deu südafrikanischen 
Minendistrikten einen recht guten Absatz finden könnten. 
Für gute Tischbohnen (Phaseolus) bezahle man dort 
320 M. die Tonne, während sehr schöne Sorten in Nairobi 
für 183 M. zu haben sind. Eine geringere Art, die 



Ahn. *. KikuTu-Krieger. 



white Cocoa bean, kostet hier sogar nur 147 M., und 
die für Arbeiterverpdegung beliebte purpurrote Posho 
bean 711 bis 98 M. Den gleichen Preis bezahlt man in 
Nairobi auch für die rundsamige, graue „Soggoo" (Vigna 
sinensis), während die schwarze oder schokoladebraune 
Helmbohne (Dolichos lablab) zu 61 bis 73 M. auf den 
Markt kommt. Für Erbsen scheint in Südafrika der 
Absatz gering zu sein, da sie dort selbst in großen 
Mengen gezogen und des geringen Werte» wegen oft 
nur als Schweitiefutter Verwendung finden. Die großen 
europäischen Erbsen kosten in Nairobi zurzeit noch 
240 M. die Tonne, und die etwas kleinere Uganda-Erbse 
170 M., während verwandte Arten in Südafrika zu 110 
bis 154 M. die Tonne verkauft werden. 

Auch mit Erdnüssen (Arachis) sind gegenwärtig von 
Nairobi aus noch keine Geschäfte zu machen, denn für 
geschälte Ware bezahlt man hier 245 M. für 1000 Kilo, 
während die gleiche Menge in Europa nur 270 bis 285 M. 

erzielt. Wenn auch ziemlich viele Erd- 
nüsse bei Nairobi angepflanzt werden, 
so dürften als Produktions- und Aua- 
fuhrgebiete dieses Landesproduktes in 
Zukunft doch nur die Viktoriasee -tie- 
biete in Betracht kommen. 

Früher hat man auf deu Kartoffel- 
handel große Hoffnungen gesetzt, jetzt 
aber ist der Siegeslärm wieder ver- 
stummt, seit die südafrikanischen Far- 
mer sich selbst mit dieser Kultnr be- 
schäftigen, die dortigen Zahlungsvor- 
hältnisse sich verschlechtert haben, und 
der Konsum ein geringerer geworden 
ist. Ein beschränkter Absatz für den 
Landeskonsum und eine kleine Ausfuhr 
für die Verproviantierung der Schiffe 
und der Hafenstädte Aden , Bombay, 
Sansibar, Beira, Laurenco Marques, 
Durban uud Majuuga wird zwar immer 
zu erwarten Bein, die berechtigte War- 
nung der Begier ii ng aber, dem Kar- 
toffelbau eine allzu große Bedeutung 
beizulegen, wird diesem Handel keine 
erhebliche Eutwickelung mehr ge- 
statten. 

Aus allen diesen Mitteilungen könn- 
ten wir zum Schlüsse gelangen, daß in 
Nairobi für den europäischen Kauf- 
mann überhaupt keine rentable Tätigkeit sich bietet. 
So weit wir nur den Detail- und Exporthandel ins Auge 
fassen, so dürfte diese Schlußfolgerung auch nicht ganz un- 
richtig soin. Unser Freund, den wir als Produktenhändler 
können lernten, bat dies auch eingesehen, und er betreibt 
neben dem Produktenhandel daher auch ein kleines 
Importgeschäft mit landwirtschaftlichen Geräten. Bau- 
materialien usw. 

Da liegt ein Bündel Haumesser, die Klingen der 
einen etwa 30 cm lang und 5 cm breit und aus gewöhn- 
lichem Eisenblech ausgestanzt, die Anderen etwa 70 cm 
laug und gut gestählt. Diese Messer werden von den 
Eingeborenen zum Boden des Busch waldes gebraucht 
uud sollen gegenwärtig einen sehr guten Absatz finden. 
Daneben sehen wir große, drei bis vier Pfund schwere 
Axte uud breite Baumsägeu, die in der Holzgewiunuugs- 
iudustrie in Verwendung kommen. In einer Kisto liegen 
llalfterketten und Viehkoppeln, in einer anderen galvani- 
sierte Schrauben und Muttern, hier zwei bis sechs Zoll 
lange Nägel u. a. m. Dort stehen Drahtnetzbündel, 50 
Yard lang, drei bis sechs Fuß hoch und mit einhalb bis 
drei Zoll weiten Maschen. Auch .Stacheldraht ist uiu sehr 

10* 




VaOO 



gle 



gangbarer Handelsartikel, und so «oben wir noch eine 
ganze Reibe von dergleichen Gegenständen zum Verkaufe 
ausgelegt. Man k»nn hoffen, daß dieser erfahrene Kolonist 
trotz seines unscheinbaren Magazins in wenigen Jahren 
doch auf seine Rechnung kommen werde. 

Da treten wir aber in ein anderes Geschäftshaus, in 
die geräumigen, hellen Stores einer großen Mombassa- 
Firma. F.in Foxterrier bewacht den Eingang und ein 
schriftgelehrter Polizeisoldat, vielleicht ein gefürebteter 
Steuerkoronnssar, blättert in einem großen Buche auf 
dem lioden. Hinter dem Ladentische macht sich ein 
englischer Clerk in schaffen, ein fahler junger Mensch, 
dem man nooh kaum den Einfluß afrikanischen Kolonisten- 
leben ansieht. Fr spricht natürlich nur eine Sprache, das 
Englische, und kann »ich mit niemand verständigen, der 
dieser Sprache nicht ebenfalls mächtig ist. Wir wollen 
nicht nachforschen, ob der Mann au» dem Kaufmanns- 
stande hervorgegangen, ein entgleister Schiffsjunge oder 
Schenkkellner eines Londoner Public House war. Jeden- 
falls verrät er wenig kaufmännische Regsamkeit und er 
verkauft eben nur das, was er zufällig auf Lager hat 
and was seine englischen Kunden zufällig von ihm ver- 
langen. Haß ein solcher Mann die Bedürfnisse des 
Landes zu kennen und zu beurteilen in der Lage wäre, 
ist ziemlich ausgeschlossen. Kr wird auf Kosten seiner 
Firma nur möglichst viele Waren in die ihm unterstellte 
Filiale zu erlangen suchen, denn seine ganze Rechnung 
geht darauf hinaus: je mehr Waren, um so größer die 
Chancen, etwas zu verkanfen. Mit dem, was liegen 
bleibt und in einigen Jahren verdirbt, rechnet er nicht, 
denn wer weiß, wie lange er in diesem Nairobi sitzen 
bleibt, und den Schaden kann dann nein Nachfolger 
wieder gut machen. 

Auch hier wieder Pflüge, Pumpen, Mühlen und aller- 
lei Feldgeräte vor dem Portal. Ks wäre leichter zu 
sagen, was man hier nicht findet, als aufzuzählen, was 
hier alles auf Lager liegt. Kleidungsstücke und Koch- 
geschirre, Tabakpfeifen und Schreibmaterialien, Spiri- 
tuosen und Bücher, Musikinstrumente und Bürstenbinder- 
waren. Konserven und Nähnadeln, Fahrräder und Photo- 
graphien, Glaswaren und Waffen, Toilettenartikel und 
PferdeputzkAoime, alles in buntem Durcheinander, vieles 
verkäuflich, manches auch nicht, das ist der Kindruck, 
den der erste l'ui blick auf uns macht. Ein teures Hains 
ein kostspielig» Warenlager, ein teurer Betrieb und ein 
mäßiger Umsatz, das sind die Quintessenzen solcher 
Unternehmungen, und die Kolonisten, die auf solche 
Gründungen sich einlassen, haben nur einen sehr geringen 
Ersatz für das Geld, das sie in ihre Warenlager stecken, 
und das Risiko und die Mühen, die sie sich machen. 

Wir wandern weiter und kommen auf den Werkplatz 
eines sog. Holzindustriellen. Die Ugaudabahn-Verwalnmg 
bitt eiuem Siedler die Mühlen verkauft, die sie ursprüng- 
lich für die Verpflegung ihrer Arbeiter gebrauchte, jetzt 
aber, seit der Bahnbau vollendet ist und bei Nairobi 
fast keine Arbeiter mehr beschäftigt sind, nicht mehr 
verwenden konnte. Die Mühleo waren wohl billig, aber 
der gute Käufer rechnete nicht damit, daß er nichts zu 
mahlen habe, wenn die Getreidesendungeo der Dahn- 
verwaltung ihren Abschluß gefunden haben. So kaufte 
er also, und die Enttäuschung folgt« nach. Jetzt sieht 
das im Bau begriffene Mublengebüudu leer, und die 
Lokomobile hat der Unternehmer mit einer Kreissage 
verkoppelt Die Maschinen worden von einigen Schwarzen 
bedient, und zwar mit anerkennenswertem Geschick, 
wie ich nebenbei bemerken will. Das Robbolz stammt 
von dem Kiknyu-Kscarpment, und «war von drei ver- 
schiedenen ßaumartvn, dem ostafriknnischen Wacholder, 
• einer ihm nahe verwandten Podocarpusnrt und einem 



mir unbekannten, bei Nairobi „Misisi* genannten Wald- 
baume. Das Wacholderholz ist weißrot gefärbt, nicht 
•ehr hart, aber doch wertvoll, da es sehr wenig Astneater 
aufweist. Podocorpus und Misisi liefern viel härteres 
Holz. Die Preise des hier geschnittenen Holzes stellen 
sich auf 120 M. die Tonne, also billiger wie das Burma- 
Teakholz, das in Mombassa 160 M. kostet. Die Trans- 
portkosten (60 M. die Tonne) eingerechnet ist das Nairobi- 
holz auch billiger wio das skandinavische Holz, das looo 
Nairobi auf 153 bis 160 M. zu stehen kommt. Mit 
Sagemühlen wäre hier also etwas zu verdienen, schade 
nur, daß der Konsum sehr beschränkt und Eisenkon- 
struktion seiner größeren Widerstondskraft wegen in so 
vielen Fällen zu bevorzugen ist. 

So sehen wir eine Menge und zum Teil sehr große 
Hindornisse dem europäischen Siedler im Wege stehen, 
und ihre Zahl würde sich noch mehren, wenn wir unsere 
Schritte weiter lenkten, in die Werkstätto des Rauschlossers, 
des Schmiedeweisters und Stellmachers, in das Atelier 
des Photographen und in die Druckercistubedes Zeitungs- 
verlegers. Wir wollen uns diese Schritte aber sparen 
nnd rasch noch in der Beamten- und Touristonwolt an 
den Tufeln des „Norfolk-Hotel'" uns umsehen. Da sitzen 
Richter und Ärzte, Offiziere und Ingenieure, junge Damen 
und grauhftrtige Herren an langen Tischroiben beisam- 
men. Die Herren sind in Frack oder .Smoking, wenige 
nur im liesseren Touristenkostüm, keiner aber in der 
unbeengten Kleidertracht des Kolonisten, wie man es 
hier erwarten möchte. Englisch steif und zeremoniell, 
dabei aber auob wieder englisch frei und ungeniert setzt 
man sich hin, wie es gerade kommt. Man sucht sich 
Buf der Speisekarte seine Gerichte aus und trinkt ver- 
hältnismäßig sehr wenig; die Whiskys und Brandys 
kommen erst in späterer Abendstunde. Die Preise sind 
bescheiden, 13 1 j M. für Tagespensiou und 230 M. im 
Monatsabonnement, Getränke und Wasche natürlich extra. 

Während wir im Massonic-Hotel bei den Farmern 
und Profesaionisten eine gedrücktere Stimmung antrafen, 
herrscht hier großer Optimismus. Grolle Lichtfarben 
stören vielfach das sonst sehr trefflich entworfene Schil- 
deruugsbild. Andere Lebensstellung und andere Lebens- 
auffassung sind die Faktoren dieser frohen Stimmung 
und Urteile. Als entgegenwirkende Kräfte werden sie 
aber wechselseitig mit den Stimmungen der Farmer, 
Kaufleute und Professionisten den Entwickelungsgang 
der Kolonie in sicherem Tempo halten, bremsen, wenn 
durch übereiltes Vorwärtsrollen die Gefahr eines Unglückes 
sich zeigt, und neuen Antrieb schaffen, wenn durch die 
vorliegenden Hindernisse der Gang des Kulturwerkea zu 
ruhen droht. 

Verlassen wir nun Nairobi und fahren wir weiter 
nach dem Viktorinsee zu. Ungefähr eine Stunde lang 
geht es aufwärts zwischen verlassenem und mit dichtem 
Busche bedecktem Farmboden der Eingeborenen. Aus 
dein frischen Grün der breitblättrigen Sträucher und 
Kräuter winkt hier und da ein kleiues weißes Sicdler- 
baus, von Zeit zu Zeit fahren wir auch an bestelltem 
Farmboden vorbei. 

Daun kommen wir in die Reservate der Wak ikuy u, 
teilweise bebaut, teilweise aber noch mit I tusch und Ur- 
wald bestanden. Wo sind aber jene kruftstrotzenden, 
hslbnackton Krieger I Abb. 4) geblieben, die vor acht Jahren 
noch um unser Lager sich scharten und gegen Glas- 
porleu und Eisondraht die Beutestücke ihrer Kriegszüge 
verkauften? Sind diese in zerlumpte Fräcke, zerrissene 
Beinkleider uud schmutzige Reiseiuiitzcn gekleideten 
Goslalteu jene seihen Menschen, die ehedem aus dem 
Lianeudickicbte des Urwaldes huschend auf freien Lich- 
tungen ihren Kriegertanz aufführten? Sind diese in 



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Antonio Braudel*: Kt h »i^g r*]ib i«oht* Bc 

bunt« Umschlagetücher gehüllten und nach Suabeliart 
frisierten Weiber Jene „Wakikuyu (JirlB*, die ehedem 
durch einen dicken Aufstrich von roter Ockerfarbe, durch 
ein Hatterode« Ziegenfell oder auch nur einen Perlen- 
gflrtel vor den Temperaturschwankungen des Tages sich 
schätzten und nun als r Modeaffen" den letzten Akt ihres 
Lebens besehließen? — Sie sind ea, und diese alten 
Vagabunden da, die im Schatten eines Stationsgebäudes 
friedlich dem Kartenspiele zweier -Somalsoldaten zu- 
schauen, sind vielleicht jene gleichen Leute, die im Sturm- 
naohtdunkel einst das Fort Smith umschlichen und durch 
Schleuderfackeln das befestigte Militärlager in Hrand zu 
stecken versuchten. 

Für den Ethnographen ist von dem alten Kikuyu- 
volke nur wenig Interessantes mehr geblieben. Wenn 
er sich nicht mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, so 
wird er froh sein, mit Schnellzugeiie diesem Neulande 
des modernen Weltbürgertums entrinnen zu können. 
Alles hat sich verändert, sehr grüudlich verändert, und 
manches wohl nicht gerade zo seinem Vorteil. Doch 
wir müssen die Nachteile als kleine Übel in den Kauf 
nehmen und uns freuen an der Tatsache, duC die Waki- 
kuyu unseren Kulturbestrebungen nicht mebr feindlich 
gegenüberstehen und unter dem wachsenden Kinilusse 
der Zivilisation in zunehmender Zahl an dem Hebewerke 
der produktiven Arbeit sich beteiligen. Kaum zehn 
Jahre sind verflossen, seit die ersten Pioniere der Zivili- 
sation sich in diesem I^tnde niedergelassen haben. Und 
schon sind Massenmord und Sklavonjugd verschwanden, 
schon hat unsere Kultur bis in die tiefsten Teile des 
Kikuyuvolkes sich eingegraben. Schon sehen wir die 
Wakikuyu mit großen Korben voll Bohnen, Mais, Neger- 
hirse und Kartoffeln nach der Markthalle von Nairobi 
wandern. Ihre Produktion wird um so eher sich steigern, 



oliiiobtuiijren über die Nau ru • Insulaner. T.'l 

je leichter sie für ihre Landeserzeugnisse einen Absatz 
finden, und je eher sie durch Aufgabe ihrer altherkömm- 
lichen Negerkulturen und Aufnahme wertvollerer Nutz- 
gewäcbse eine höhere Stufe der Landwirtschaft erreichen 
werden. 

Ein intensiverer Ackerbau wird auch auf die Ent- 
wicklung der Vielisncht eine fördernde Wirkung aus- 
üben, wenu mau des rauhou Hochlandkliiuas und anderer 
früher erwähnten Gründe wegen auch niemals darauf 
hoffen darf, daß dieser Zweig der Landwirtschaft hier 
je oininul eine so große Bedeutung erlangen wurde wie 
in der Masaisteppe. Als Nebenbetrieb des Ackerbaues 
wird die Viehzucht sich aber dennoch heben und zu 
einem rentablen Gewerbe sich ausgestalten. 

Die fortschreitende Produktionskraft des Landes und 
die violon durch unsere Kultur eingeführten Verbesse- 
rungen der sozialen Lage müssen auch in bezug auf 
das Volkswachstum etnen äußerst günstigen Einfluß auf 
die Wakikuyu haben. Während sie früher durch Hunger 
und Epidemien, durch Krieg und Sklavenfang in ihrer 
Bevölkerungszahl fortwährend geschmälert wurden und 
in vielen Jahren nicher nicht ersetzen konnten, was Tod 
und Sklaverei ihnen in wenigen Monaten eut rissen, wer- 
den sie sich jetzt in Ruhe entwickeln und durch einen 
hohen tieburtenübersebuß ihre Seelenzahl vermehren 
köuuen. 

Wenn die englische Regierung wie bisher mit der- 
selben Strenge über Waffen- und Spirituosenhaudel zu 
wachen und durch Frachtbegünstigungen der billigen 
Landesprodukte den Exporthandel zu heben sich bemüht, 
so darf nicht daran gezweifelt werden, daß Kikuyu in 
kurzer Zeit das wertvollste Produktionsgebiot von Aqua- 
torial-Ostafrika darstellen wird. 

(Kortnetzuoe foljrU 



Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-Insulaner. 

Von Antonie Brandeis 



(Schluß.) 



Sehr sehenswert sind die Tänze. Es sind zumeist 
Pantomimen, wobei der schöne Körperbau und die gra- 
ziösen Bewegungen bei Männern und Frauen sehr zur 
Geltung kommen. Die Tänze sind zumeist von den 
Gilbertleuten eingeführt, und die Sprache der begleitenden 
Gesängo ist fast immer die Gilbertsprache. Früher hatten 
die Insulaner große Tanzhäuser auf verschiedenen Stellen 
der Insel, jetzt wird der Tanzplatz zumeist unter großen 
schattigen Bäumen hergerichtet. Die durchaus dezenten 
Tänze sind leider von der amerikanischen Mission ihren 
Anhängern verboten worden. Auf Anregung der Ver- 
waltung finden alle ein bis zwei Jahre große Tanze stAtt 
Uro die bewundernswert« Präzision zu erreichen, muß 
wochenlang vorher geübt werden. Ungefähr 40 Personen 
tanzen in jeder Abteilung. Der Schmuck ist bei Männern 
und Frauen oft sebr geschmackvoll. Jede Familie hat 
seit langen Zeiten ihren eigenen Schmuck. Eingeleitet 
werden die Tanze durch einen Chor von Männern, die 
zur Bekräftigung ihrer Worte heftig mit den Händen 
gegen die ihren Unterkörper bedeckenden Matten klopfen. 
Dia verschiedenen Tänze heißen: dedaru — Kriegs tanz; 
djidere Stöckebentanz (die Tänzer schlagen mit kleinen 
Stöcken in allen Figureu gegeneinander. Abb. 6); cnburs: 
die Tänzer sitzen und führen mit Armen und Händen I 
die verschiedensten Figuren auf; cadio: Frauen tanzen 
allein, Männer stehen dahinter in Reihen; ägiba : drei 
Reihen sitzen, eiu Mann und eine Frau begegnen sich in 
allerlei Figuren; dibino: Frauen sitzen in Reihen, rechts 1 
Olstrti« XiU. Nr 



und linke von zwei Reihen Männern flankiert, die mit 
den Armen allerlei Bewegungen gegeneinander und 
durcheinander ausführen. 

Nach den Tänzen, die oft einen ganzen Tag über 
andauern, finden Schmausereien statt, diu der Distrikt, 
in dem getanzt wurde, abhält. Am nächsten Tage geht 
alles in den Nachbarort, wo wieder getanzt wird. 

Als Sport treiben die Nauruleute ein interessantes 
Ballspiel. Es wird von Holz und Blättern ein sehr 
harter Ball in der Größe einer sehr großen Apfelsine 
zurecht gemacht und mit großer Kraft gegen die Gegen- 
partei geschleudert, die ihn mit der Hand auffangen 
muß, d. h. nur einer der drei Vordermänner. Die Spiel- 
regeln Bind sehr strenge, es wird bis zu zehn Punkten 
gezählt und es spielt Distrikt gegen Distrikt. Hat eine 
Partei nicht fangen können, falls der Ball zu erreichen 
war, so gilt dies einen Punkt zugunsteu der Gegenpartei, 
und diese stimmt laute Freudengesänge an. 

Früher machten die Iu*ulan*r 12 bis 14 Fuß große 
Drachen von abgezogenen Pandanusblättern. die sie Ihm 
Westwind fliegen ließen, wobei gewettet wurde. Auch 
fertigten sie kleine Kanumodelle, die, mit sehr großen 
Segelu Tersehen. aufs Riff gesetzt wurden, wobei eben- 
falls gewettet wurde. Ringkämpfe finden manchmal noch 
heute statt; auch wird geboxt; es ist aber nicht das 
englische Boxen , sondern es geschieht mehr aus dem 
Handgelenk mit schwingenden Bewegungen, 

Aus mehreren halben Kokosschalen, die peinlich genau 



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ineinandergepaßt werden, machten die Insulaner Kreisel, 
die sie geschickt auf ein Stück Schildpatt beben und dort 
weiter laufen lassen. Trommeln, die jetzt ganz auüer 
Gebrauch gekommen »ind, wurden aus Pandanusstamin 
gemacht und sowohl Ton Männern wie von Frauen ge- 
schlagen. Der Name ist: debugibugi. Tritonshörner 
wurden zu Signalen im Kampfe benutzt oder um Geister 
7.11 verscheuchen oder zu zitieren. 

Zum Tragen von Lasten werden Körbe von Palm- 
blättern geflochten, dio, zu beiden Knden eines Stockes 
gehängt, auf der Schulter balanciert werden. Schwer« 
Lasten werden vou zwei Leuten, Männern wie Frauen, 
getragen: dann hängt die Last in der Mitte. Wasser 
wird in ausgehöhlten grollen Kokosnüssen aus den Erd- 
löchern geschöpft. Sechs bis acht solcher Nüsse werden, 
zu Bändeln vereint, an jeder Seite der Stange getragen. 
Alte Leute werden ebenso wie Kranke auf einer roh ge- 
zimmerten Plattform getragen. 



Klafter (von einem Arm zum andereu) und Spanne. 
Schweine werden nach Ärmlinge gemessen. 

Die Insulaner machen sehr hübsche, dauerhafte Körbe 
von Paudanusblättern, die um feine Kokosrippen ge- 
flochten und mit Frauenhaar oder schwarz gefärbtem 
Bast verziert werden. Diese Flechtarbeit scheint aber 
von den Weißen eingeführt zu sein und wird nur von 
wenigen Familien betrieben. Matten werden nur in 
gröberer Art von den Frauen geflochten. Material ist 
das Pandanusblatt in verschiedener Bearbeitung, weil) 
gebleicht, grün, grau oder braun. Männer tragen Mutten 
beim Tanz und geflochtene Verzierungen an Hals und 
Armen. Kleine Mädchen bekommen Häubchen, nachdem 
sie gemästet sind, oder bei der Pubertät, /um Tragen klei- 
ner Gegenstände werden Taschen geflochten (vgl. Abb. 7). 

Aus der roten Auster machen die Insulaner allerlei 
Zierat. Die Muschelstürke wurden auf Korallensteiu 
rund gerieben . Jetzt auf einem Schleifstein. Gebohrt 




Abb. 9. djldera, Tanz mit kleinen Stöckchen, Naoru. 



Die Nauruleute bauen nur kleine Kanus zum Fisch- 
fang, in denen gewöhnlich drei Personen Platz fiudeu. 
Das Material ist das Holz des Culopuylluui. Diese Fahr- 
zeuge sind sehr stabil in der hoben Brandung. Seeboote 
werden nicht gebaut, da der starken Strömuugeu wegen, 
welche um die Insel laufen, die Bewohner weitere Reigen 
nicht wagen. Mit kurzen Paddeln bewegen sie die Kanus 
in die See und setzen sie äußerst geschickt über die zu- 
zeiten sehr hohe Brandung. — Kanu heißt e<|ima, Heck 
murin, Bug man, Kiel robin, Seiten bibich, Ausleger- 
stöcke eka, Auslegerijuerstock ethen, Ausleger egom, 
Zierat an den Enden ebar, Seitenplanke karoga, Sitze 
engo und Paddel oats. 

Handel besteht nur in Kopra und Haitischflosseii. 
Artikeln, die die Händler gegen Tabak, Heia, Hsrtbrotusw. 
eintauschen; in letzter Zeit auch gegen Kattun, Hute 
und dergleichen. 

Geld ist in nur ganz geringer Menge eingeführt; als 
llezahlung gilt in den meisten Fällen Tabak. Als Ku- 
riosum ui anzuführen, daß die Itriefmarken auf der Post 
zumeist mit Fiern befahlt werden. 

Gewichte gibt es nicht. Als Längenmaße gelten 



wird mit einem Drillbohrer, dessen Herkunft unbekannt 
ist. Kleine Sachen werden mit einem llaiflscbzahn ge- 
bohrt, der uu ein Stöckchen gebunden int; dieser wird 
dann zwischen den Händen gequirlt. Früher wurden 
schöne Ketten vou roter Auster gemacht, die hoch im 

1 Werte standen und mit deren Herstellung sich nur wenige 

i Leute befaßten. 

Zu Seiion und Bindfaden wird Kokosfaser verwandt, 
die nur einfach zwischen der Hund auf dem Schenkel 
gedreht wird. Eine feBte, dauerhafte Schnur wird aus 
dem Baste de» wilden Hihisku* (qusnil gemacht und 
mittels zweier Hölzer gedreht. Angelhaken wurden aus 
Perlschale und Schädelknochen gefertigt, Hailischhaken 

| noch heute aus Calopbylluinbolz. Kanus wurden früher 
und werden zum Teil noch jetzt mit Muschelbeilen be- 
hauen. Dio versteinerte TridacnauiiiNchel wird un ver- 
schiedenen Stellen der Insel gefunden und ausgegraben. 

Früher waren Kämpfe auf der Iusel sehr häutig, 
liesouders die Gilbertleute brachten kriegerische Ge- 
wohnheiten mit Die Ursache bildete oft nur ein kleiner 
Zank, manchmul ein Tntschlag. Ks war Kampfregel, daß 
immer Sektionen von drei Mann i-ich gegenüberstanden. 



Antonie Itrandeis: Kthiiographisohe Keobai- h t u n gen über dir N auru- 1 nsulitne r. 



7fi 



In der Mitte stand ein großer Mann, deuten Kräfte durch 
häutige Mastkuren aufrechterhalten wurden, mit einem 
dicken, sehr langen Speer von Kokosholz, der die Hiebe 
abwehrte, die gegen sein« beiden Kameraden recht« und 
links mittel» kurzer, dicker Speere gegeben wurden. 
Fiel ein Mann von diesen, so wurde er sofort aus den 
dahinter stehenden Reihen ersetzt. Fiel ein großer Mann 
in der Mitte, so war der Kampf der Sektion beendet. 
Durch Itoten kündete ein Distrikt dem anderen den 
Kampf an. IHe Frauen folgten den Kämpfern und holten 



(Abb. S). Ihr Kinfluß beruht meist auf ihrem grölleren 
Grundbesitz, der durch Erbschaft oder (iefecht erworben 
int. Mit Errichtung der deutschen Verwaltung wurdet) im 
Jahre 1888 die jetzigen Häuptlinge angewiesen, für die 
Ordnung im Distrikt zu sorgen. Viele früher (und jetzt 
noch) einflußreiche Männer schoben damals andere vor, 
da sie sich fürchteten. Früher hatten auch die Zauberer 
viel Einfluß. Mehrere Dörfer bilden einen Distrikt Auf 
Nauru leben 13 Stamme. Nach ihrer Mitgliederzahl 
geordnet sind es folgende: »mit (Seeschlange), iruwa 





Abb. 7. Mann mit Tabakpfeife und Körbchen, Nauru. 



Wasser und Vorräte herbei. Die Angegriffenen erwarteten 
das Nahen der feindlichen Partei, und der Kampf wurde 
fortgesetzt, bis eine der Parteien geschwächt war. Durch 
Heulen suchten die Männer sieh gegenseitig anzufeuern, 
wie es noch jetzt in den Kriegstänzen goschieht. Ge- 
fangene wurden nur selten gemacht and dann nur kurze 
Zeit behalten. Von den Händlern erhielten die Insulaner 
später viele Flinten, worauf die Kämpfe sehr ausarteten. 
Frauen und Kinder wurdeu nicht geschont. Alte und 
einflußreiche Männer schlössen den Frieden zwischen 
den Parteien. 

Eigentliche Häuptlinge gibt es nicht, uur Dorfälteste 



(Fremde), tähoi (Bedeutung unbekannt), emea (Auge), 
euinitemit (Heimchen), eruuihcck, uuianum, uno, emidera, 
äoadö (Iledeutung dieser fünf Namen unbekannt), edidji 
(Fremde), iwii (Läuse), anobao (Haifisch). Der auubao- 
Stumtn ist fast ganz ausgestorben. 

Sklaven wurden selten gemacht Entweder geschah 
das im Kampf, anstatt den liefangenen zu teten, oder 
wenn ein Mann im Unrecht war; manchmal auch bei 
Angetriebeneu. Es gibt jetzt noch einige Sklaven, deren 
Kinder ebenfalls als solche gelten. Es wird ihnen aber 
häufig ein Stuckchen Land geschenkt 

Dem Häuptling im Ansehen folgt der älteste Sohn, 

II' 



Goo£ 



76 



Antonio brandeis: Ethnographische Beobachtungen über die Nauru-Insularn-r. 



falls dieser nicht vorhanden , der ältesten Schwester 
Sohn. 

Kinder erbou von Eltern, Onkelu und Tanten. Kinder- 
lose Leute vermachen ihren Besitz an ihre Neffen und 
Nichten. Reiche Landbesitzer teilen armen Verwandten 
Land aus, selbst wenn sie Kinder haben. Itei Ehe- 
trennung geben die Kinder bald zum Vater, bald zur 
Mutter, wie sie wollen, bin und her. Fast jedes Kind 
hat eine I'atili, die eine alte Verwandte oder Freundin 
der Eltern ist. Diese wählt den Namen des Kindes 



der Familie zur Last waren. Die Enkel, die dies getan 
hatten, genossen aber wenig Ansehen. 

Diebstahl kommt vor, wird aber verachtet. Nachdem 
die Leute Kleider tragen sollen , wird da- Stehlen von 
Kattun u. dgl. häutiger. Wird ein verlorener Gegenstand 
gefunden, to kann der Finder ihn behalten; er gibt 
ihn aber meist aus Gutmütigkeit zurück. 

Die Nauruleute machen und nehmen Geschenke -, nach 
einem Streit fordern sie diese oft zurück. Sie leihen 
sich auch manchmal Sachen aus, vergessen es aber meist, 





Abb. Alter, angesehener Mann, Nauru. 



und sorgt stets für es. Viele Väter verteilen oft 
noch bei Lebzeiten ihr Land an ihre Sohne, falls 
diese gut für sie sorgen. Den Schmuck der Mutter 
erbt die älteste Tochter, die jüngeren kennen ihn aber 
benutzen. 

In der Ehe besteht keine Gütergemeinschaft. Auf 
Nauru herrscht das Mutterrecht; alle Kinder folgen der 
Familie der Mutter. Wurden als Zwillinge ein Knabe 
und ein Mädchen geboren, 10 wurde stetB der Knabe 
getötet. Man findet selten ausgewachsene Zwillinge, da 
«ins der Kinder gewöhnlich an Schwäche zugrunde geht. 
Alto Leute wurden früher manchmal erwürgt, falls sie 



sie zurückzuerstatten. Liegt dem Besitzer ;in «lern Gegen- 
stande, so kann er ihn zurückfordern. 

Das Anaehen der Familie richtet sich zumeist nach 
dem Itesitz. Einige Leute verstehen es aber auch, ohne 
einen solchen EinfluU zu gewinnen. 

Einen tiruß kennen die Bewohner von Nauru nicht. 
Sie sagen nur beim Begegnen- „Wo gehst du hin?" 

Die Stellung der Frau ist gut. Gehört diu Frau 
einer höheren Familie als der Mann an, so ist ihr An- 
sehen größer, und der Manu orduet sich ihr unter. Viel- 
weiberei kommt vor, aber nicht zu häntig, da kein Über- 
schutt an Frauen vorbanden ist. Vielmännerei i-l selten; 



Antonio Brandeis: Ethnographische Beobachtungen über die Nauru- Insulaner. 



77 



nur zuweilen haben mehrere Brüder eine Frau. Kine 
Witwe wird häutig von einem Bruder des Verstorbenen 
geheiratet-, sonst bleibt sie meist bei der Schwiegermutter, 
die auch für einen zweiten Mann sorgt. Die Pubertät 
eines Mädchens wurde früher durch eine groll« Schmuu- 
serei gefeiert. 

Heiraten finden nur zwischen Angehörigen zweier 
Stimme statt. Heiratet ein Mann ein Mädchen buh 
demselben Stamme, ao wird er nicht geachtet; es gilt 
sogar als Sünde. Das gilt auch 
für die Verwandtenheirat, 
selbst wenn beide Teile ver- 
schiedenen SUmmen ange- 
hören. Es lebt auf der Insel 
ein Mann, der mit Mutter 
und Tochter verheiratet ist. 
Zuerst hatte er sich mit der 
erst zehnjährigen Tochter ver- 
lobt, und da die Mutter nun 
fürchtete, der Mann möchte 
bis Sur Ileirutsfäbigkeit der 
Tochter seine Gunst einer an- 
deren Frau zuwenden, so hei- 
ratete sie den Mann, und später 
nahm er die Tochter als zweite 
Frau. Da Kinder von beiden 
vorhanden , so sind daraus 
m e rk w ttrdige Fa ni il ien verh ält- 
uisse entstanden. Vor der 
Heirat kann ein Mädchen tun, 
was es will , es werden ihm 
keinerlei Beschränkungen auf- 
erlegt; doch wird in Häupt- 
lingsfamilien auf Reinheit mehr 
geachtet. Hat ein Mädchen ein 
Kind, lo gilt das als Schande, 
und das Kind wird als Bastard 
angesehen. Abtreibung der 
Frucht ist häutig; es geschieht 
das gewöhnlich im dritten 
Monat. 

.Schwangere werden sehr 
geschont und in Ehren ge- 
halten. Bei Geburten leisten 
alte , geübte Frauen Hilfe, 
manchmal auch Männer. Bui 
schweren Geburten werden 
Zauberer hinzugezogen. Meist 
verlaufen die Geburten schnell 
und leicht; es sind aber auch 
Fälle von Lähmungen u. dgl. 
bekannt» Findet in einer Fa- 
milie eine Erstgeburt statt, so 
dürfen alle Sachen im Hause, 
die nicht niet- und nagelfest 
sind, von den Nachbarn mit- 
genommen werden, die schon 
auf den Moment warten und 
dann nehmen, was sie linden. 




Abb. 8. Knabe mit Negerblut, 



Von jungen Männern wird 
aus Freude über das Kreignis gleich ein Kingkampf in 
der Nähe aufgeführt. Gestillt wird zumeist zwei .lahre; 
es kommen aber auch Säuglinge bis zu fünf Jahren vor. 

Die Toten werden in den Hütten im Boden ver- 
graben, nur wenige Fuß tief, und ein naher Verwandter 
des Verstorbenen schläft auf der Stelle. Später wird 
der Schädel ausgegraben und im Hause aufbewahrt. Oft 
werden auch nur die Vorderzähne herausgenommen, die 
dann als Amulett am Halsbande von den Verwandten 
getragen werden. Nach der Beerdigung kommen alle 



Verwandten und bringen Eßwaren, die dann zusammen 
verzehrt werden. Nachdem das Grab eingesunken ist, 
etwa nach zwei bis drei Monaten, linden abermals Fami- 
lieuzusammeuküufte mit Festessen statt, und alle Malten 
im Hause müssen umgedreht werden, (ieringe Leute 
werden in die Höhlen im Innern der Insel geworfen oder 
vom Kanu aus in die See gelassen, doch stets ohne 
Mattenbedeckung, da man der Meinung ist, dall die 
Matten die Seele hindern würden, ins Geisterreich einzu- 
gehen. Die Nauruleute glau- 
ben, daß die Geister der Ver- 
storbenen auf ihr Handeln 
und Tun Einfluß ausüben, 
ihnen auch schützend zur Seite 
stehen. Daher hielten sie frü- 
her die Schädel der Vorfahren 
sehr iu Ehren. Sie wurden 
häufig mit Ol eingerieben, 
was zur Krhaltung diente, und 
bei Festlichkeiten mit eiiicm 
Blumenkranz geschmückt. Bei 
Streitigkeiten, Landdisputen 
usw. führten ältere Leute noch 
bis vor kurzem einen Schädel 
in einein Körbchen an den Ort 
der Streitigkeit mit sich. Ge- 
glaubt wird, daß beim Tode 
eines Menschen der „Schatten" 
den Körper verlaßt, um in das 
(iei.-terland fbitani) zu gehen. 
Von dort aus kehrt er als 
daist (uni) in die Nähe der 
Lebenden zurück und lebt in 
der Luft. Fetischhäuser waren 
auf Nauru nicht üblich. Ihren 
Göttern opferten die Insulaner 
au großen, aufrecht gestell- 
ten Steinen. Diese Gött er hatten 
die Gilbertleute von ihren In 
Mb eingeführt. Der Haupt- 
gott war Taburik, der Donner- 
gott, den sie sich als Vogel 
vorstellten, der das Donnern 
durch seine Flügelbewegung 
hervorbrachte, während das 
Feuer (der Blitz) aus seinem 
Schnabel kam. Andere Götter 
waren: Tormagai, Wuddia und 
Tahago (Haifisch), der mit 
Wassersucht strafte. Diesen 
Göttern , von denen jede Fa- 
milie sich einen als Schutz- 
patron ausgewählt hatte, opfer- 
ten die Insulaner Eßwaren, um 
einen guten Fischfang zu er- 
langen, oder Erfolg im Kampfe, 
oder günstigen Verlauf einer 
Krankheit. Nur bestimmte alte 
Männer duiften die Eßwaren an den Steinen berühren 
oder davon genießen. Waren in der Nacht die Speisen 
von Vorübergehenden aus Schubernack oder in der Ab- 
sicht, dem opfernden Hausstande Schaden zuzufügen, 
entfernt worden, so glaubten die Leute, die Götter hätten 
die Opfer angenommen. Jede Familie hatte ihren eigenen 
Opferstein. 

Als Zaubermittel wird Wasser oder eine junge Kokos- 
nuß von einem Zauberer besprochen und dies dem 
Kranken zu trinken gegeben. Bei Verwundungen wird 
das Blut aufgefangen und dem Verletzten zu trinken 



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7H 



Itr. II. K. Kaiudl: Neuere Arbeiten lur Völkerkunde usw. 



Die Naurulente hoben bis jetzt wenig Krank- 
heiten außer Frainböaie, die im Jahr© 18K7 durch ein 
Schiff eingeführt wurde und einige hnudert Leute befallen 
hat. Durch geeignete Maßnahmen sind die Falle geringer 
geworden. Außerdem gibt e» eine Hautkrankheit, die 
helle, runde Flecke verursacht, so daß die Leute ge- 
tigert aussehen; dieses Leiden ist aber ungefährlich. 

Auf Wanden legt man kühlende Blätter oder einen 
Absud davon. Die Kranken werden oft gemietet, damit 
sie bei Kräften bleiben, und MasBage wird bei allen 
Körperteilen häufig angewendet. In Schußwunden goß 
man kochendes Ol nud steckte darauf ein fingerlanges 
und -dicke* Stück Seife hinein. Bei allerlei Beschwerden 
brennt man die Kranken meistens iui Kücken. Ein Stück 
Hartholz wird glühend gemacht und damit ein 1 t Zoll 
tiefes Loch gebrannt, und iu diese« legt man einen 
glühenden l'andanuskern, der, durch Blasen glühend er- 
halten, eine Viertelstunde lang da« Loch ausbrennt. 
Brüche schient man mit einem Stück Holst und Kokos- 
ba«t. Hei Verrenkungen wird meist ohne Erfolg gereckt. 

Festlichkeiten finden statt, wenn ein Haus fertig- 
gestellt ist, am Tage, an dein die Blatter des Haches 
gerade geschnitten werden, oder wenn ein Kanu oder 
ein Fischkorb vollendet ist. Kommt eine Häiiptlings- 
tochter zum erstenmal in Hoffnung, so wird im fünften 
Monat ein Fest veranstaltet , in manchen Familien auch 
beim zweiteutual. Auch der Eintritt der Pubertät wird 
bei Häuptlingstöchtern durch ein Fest gefeiert, ebenso 
wenn ein tabu über Kokoshäuine aufgehoben wird. Nach 
großer Trockenheit wird nämlich fQuf bis sechs Monate 
tabu über KokosbÄume verbangt, bis iliene sich erholt 
haben. Vor 30 Jahren herrschte eine große Trockenheit 
auf der Insel und infolgedessen eine Hungersnot, da es 
auch an Fischen mangelte. Einzige Nahrung waren 
Wurzeln, und die Leute starben in großer Zahl. Hin 
und wieder ist die Insel auch von Flutwellen heimgesucht 
gewesen, die das fruohtbare Tiefland überspülten. 

Hie Nauruleute rechnen nach Monduionaten. Hie Zeit 
bis cur Wiederkehr des Großen Bären au dieselbe Stelle 
wird als Jahr gerechnet. Sollen Tage gezahlt werden. 



I z. B. die 15 Tage, an deneu eine Wöchnerin eingeschlossen 
gehalten wird, so werden Knoten in eine Schnur ge- 
schlagen. 

Hie von den Insulanern am meisten lieobachteten 
I Sterne sind : Siebengestirn (cjuwit), Üriou (arainanamada), 
I Morgenstern (men'ewak), Ahendstern fediwaranhia) und 
Sirius (tangineparowa). 

Hie Nauruieute sind große Rechenmeister. Sie ttbeu 
eich durch Muscbelspiele, bei denen sie schließlich 100 
Muscheln mit einem Blick schätzen können. Besonders 
sind nueb die Frauen sehr geübt darin, Uro große Sum- 
men auszurechnen, gelten Muscheln als Hilfsmittel. 

Wie Nauru bevölkert wurde, darüber haben die Insu- 
laner folgende Ansiebt: Hie Nauruleute hatten in alten 
Zeiten, bevor die Gilbcrtinsulnuer auf der Insel landeten, 
einen großen (Jott, der nach ihrer Annahme die Insel 
geschaffen und bevölkert hatte. Dieser Gott hatte eine 
Anzahl Untergötter, deren eintlußreichster Ligi (Schmet- 
terling) war. Als Nauru geschaffen wurde, halfen alle 
l'nlergöttcr. Am Anfang waren die Wolken und der 
Himmel eine dichte Masse, die auf der Erde lagen. Ha 
befühl der große Gott Ligi, dazwischen zu (liegen und 
Himmel und Erde zu trennen, indem er seine Flügel 
hob. Her große Gott machte darauf zwei Wesen, seine 
Welt zu beleben, einen Mann und oino Frau, diu, nach- 
dem sie viele Kinder gezeugt hatten, in Steine verwandelt 
wurden. Ihre Nachkommen heirateten untereinander, 
und nach einiger Zeit fingen sie an, sehr böse zu werden, 
und folgten nicht den Wnrteu des Gottes. Da verdarb 
er, um sie zu strafen, alle Frucht der Kokosb&uiuo, was 
eine große Strafe bedeutete; denn diese bildeten ihre 
Hauptnahrung. Auch machte er das Fleisch des Hai- 
fisches ungenießbar. Einige Zeit darauf starb ein Mann, 
der in Verbindung mit den Heistern zu Bein schien; denn 
aus «eiuein Grabe wuchs eine Kokospalme. Und weil 
der Baum aus einem Schädel gewachsen war. bo haben 
alle Nüsse zwei Augen und eine Nase und sind rund wie 
ein Kopf. Hie beiden Steine, in welche die Ureltern 
der Insulaner verwandelt wurden, kann man heute noch 
? sehen. 



Neuere Arbeiten zur Völkerkunde, Völkerbeschreibung und Volkskunde 
von Galizien, Russisch-Polen und der Ukraine. 



Von Dr. R. F. Kaindl. l'zornowitz (Bukowina). 



(Schluß.) 



Vou den Schriften der Sevöeuko-Gesellschaft 
in Lemberg erschien zunächst der V. Bund der .Ma- 
teryaly a (Materiaux pour l'Ethnologie ukrain-ruthene). 
Er enthält den 3. Band der schönen Arbeit von W. Su- 
chevyc „Hucu]/.i\vnn u (Das Huzulenluud). Darin ge- 
langen zur Behandlung: Geburt. Hochzeit, Musikinstru- 
mente, Tanz, Lieder, Tod und Leichenbegängnis. Auch 
dieser Band bietet viel interessante» neues Material. 
Den VI. Band eröffnet ein sehr interessanter Aufsatz von 
Tb. Volkov über die Spuren der altniykenischeu Kultur 
in ncolitbi9chen Fundstätten der „Ukraine" s ). In unserem 
letzten Berichte ist bereits auf diese Funde ausführlich 
verwiesen worden; auch wurden daselbst einige der Buko- 
wina Funde abgebildet "). Nunmehr bietet Volkov eine 

! l Auch an dieser Stelle muu » h mit Nachdruck gegen 
den irreführenden Im l.raueh de» Namen* . l'kmine" auftreten. 
Ilieser Namen bezeichnet nur einen T*)l de* südöstlichen HuO- 
land-, darf »!<•• nicht mich auf Indizien. die Htikewin» und 
Rumänien be*.*en werden, die alle in den Bereich dieser 
Arbeit lulle». 

*) V>jl. >et/t di- Artikel de. n-rich-er-tattet- im Jahrbuch 



ausführliche und eingehende Ubersicht dieser Funde. Hie 
ersten derselben wurden 1884 in Kukuten bei Jassy in 
Rumänien gemacht und vom rumänischen Gelehrton Odo- 
besku im Pariser archäologischen Kongreß von 1SH9 be- 
sprochen. Seither sind Zahlreiche Funde in benachbarten 
Teilen Rußlands (Ukraine), Galizien, Bukowina und Ungarn 
gemacht worden. Volkov verzeichnet sie unter Anführung 
der entsprechenden Literatur. Auch eine Übersichtskarte 
ist beigeschlossen. Leider ist die interessante Studie noch 
nicht beendet. Ferner enthält dieser Band folgende Ar- 
beiten : M. Znbrycki, Ilie Schafzucht und der Handel mit 
Schafen im Alt-Samborer Bezirk (Galizien). M. Rusow 
bietet interessante Beiträge zur Kenntnis der Haus- 
industrie im russischen (ionvernement Poltawa, indem et 
über die Töpferei, die Holzindustrie und die Kammacberei 
in einigen Orten dieser Gegend handelt. Lehrreiche Ab- 
bildungen sind beigcgelien. Uber die » ilfahrikaiion bei 
den Dorfbewohnern einiger galizischer und russischer 

der k. k. Keutralk--miuis.sion für Kunst- und historische Ifc-nk- 
male in \V;ei, | uiel II mit In- .elu-n .Milelduntt-n. 



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Dr. K. F. Kamdl: Neuere Arbeiten zur Völkerkunde usw. 



79 



Dorfer handeln C. Bartoaz, A. Veretelnyk wnd 
M. Szyszkewycz. Aach in diesen Artikeln sind die Öl- 
pressen und sonstigen Vorrichtungen abgebildet. V. Do- 
manyczkij bietet Beiträge zur volkstümlichen Medizin 
im Bezirk Rovno (Wolhynien). Insbesondere wird du« 
Verfahren der Beschwörer (znuebur) und der Wahrsage- 
rinnen (woroszku) bei Krankenheilungen geschildert, dann 
die bei inneren und äußeren Krankheiten angewandten 
Mittel besprochen. Von H. Kadovak rührt ein Artikel 
über die Anfertigung Ton volkstümlichen Schmucksachen 
im Distrikt Starobilsk (Gouvernement Charkow) her. Guß- 
vorrichtungen, Formen, .Stichel, Bohrer usw., die dabei 
verwendet werden, sind abgebildet. Schließlich hat 
M. Dikarev den volkstümlichen Festkalender aus dem 
Bezirk Waluiky (Gouvernement Worooejc) veröffentlicht 
Die Feste mit allen ihren Gebräuchen, Volksglauben, 
Liedern usw. werden durch das ganze Jahr hindurch ge- 
schildert. Ks soi noch bemerkt, daß kurze französische 
Inhaltsangaben und F.rklärungen der Abbildungen einiger- 
maßen die Benutzung dieser Publikation auch jenon er- 
möglichen, die des Slawischen unkundig sind. 

Von der Publikation der Sevcenko-Gesellschaft inter- 
essiert uns ferner der Etnograalicznyj Zbirnyk. Der 
XIV. Band enthält eine Sammlung von 32 Erzählungeu, 
dis Lesevyc aus dem Munde des alten Kosaken C'mychala 
aus dem Dorfe Dynesiuka (Gouvernement Poltawa) nieder- 
geschrieben hat. In der Vorrede ist eine Charakteristik 
des Erzählers und seiner Erzählungen gegeben. Auch 
ein Bildnis des Cmychala ist beigefugt. Hierauf folgt 
der Abdruck der Volksüberlieferuugen (Märchen, Legenden, 
Novellen und Anekdoten). Die Sammlung bietet wenig 
Neues-, doch enthalten auch die bekannten Stücke inter- 
essante Einzelheiten. Bei jeder Nummer sind die Par- 
allelen verzeichnet; am Schlüsse sind kurze Inbaltangabcn 
der Erzählungen abgedruckt — Der XV. Band umfaßt 
400 bis jetzt noch nicht gedruokte Erzählungen über 
verschiedene mit übernatürlicher Kraft begabte Wesen, 
die diese Kraft dem Menschen gegenüber meistenteils 
zu ihrem Schaden ausnutzeu. Die Erzählungen handeln 
von Teufeln, verschiedenen Schreckbildern, Spukgeistern, 
Gespenstern, Kobolden personifizierter Krankheiten, von 
Gehängten und Ertrunkenen, von Toten, büßeuden See- 
len, Hexen, Zauberinnen, von Wahrsagern und Zauberern, 
Medizinmännern, Besitzern von Zaubergeld und ver- 
grabenen Schätzen. Die Erzählungen wurden in ver- 
schiedenen (legenden (ializieus gebammelt von II nat iuk, 
V. Lewynskyj. A. Voretelnyk, AI. Derewyanka, 
L. Harmantyj und von anderen. — Band XVI enthält 
den zweiten Teil der großen galiziscb- 
wörtersammlung vou Franko. Der < 
X. Band des Zbirnyk. — Im XVII 
graphischen Sammlers" ist der erste Teil der von V. Hna- 
tiuk herausgegebenen Sammlung von ruthenischen Kolo- 
mejki veröffentlicht. E* sind dies kurze Volksliedchen, 
die am besten mit den Schnadahüpfeln verglichen werden 
können. Sie behandeln alle möglichen Stoffe und Be- 
ziehungen und sind daher für die Erkeuntnis des Volks- 
charukters sehr wichtig, llnntiuk, der selbst bekanntlich 
ein verdienter Sammler von Volksüberlieferungen ist, be- 
nutzt für seine Publikation eine Reihe handschriftlicher 
Sammlungen. Im ganzen zählt er 76 Mitarbeiter auf; 
die Aufzeichnungen sind in 213 Orten gemacht worden, 
und zwar zumeist in Gulizien ; auf die Bukowina entfällt 
nur ein kleiner Teil. Die Sammlung ist sehr reich; der 
vorliegende erste Teil enthält 2653 Nummern, die in fol- 
genden Gruppen angeordnet sind: Nationen, geographische 
Stoffe, die Tnufnameu, Musik und Tanz, die Tracht, 
Soldatenlebeu. Voran geht eine Kinluitung über die Kolo- 
mejka. Auf ältere Publikationen wird dort hingewiesen. 



itbenisvhen Sprich- 
st« Teil bildete den 
Band des „Ftbuo- 



Auch der von der Sevrenko-Gesellacbaft zu Ehren des 
Lemberger Professors M. Hrusevskyj herausgegebene Nao- 
kowyj Zbirnyk (Lemberg 1906) enthält einige Aufsätze, 
welche hier genannt werden mögeu. So beschreibt 
M. Zubryckyj die Art, wie die Kuthenen im gatizischen 
Gebirge Tabak rauchen und kauen. Zunächst wird eine 
Portion Tabak in den Mund genommen uud gekaut Der 
mit Speichel benetzte Tabak wird in die Pfeife gestopft 
und diese in die glubeuden Kohlen gelegt, bis sie genug 
durchwärmt ist. Erst dann wird auf den Tabak eine 
glühende Kohle gelegt und dieser geraucht. Da der Bauch 
sehr scharf und beißend ist , spuckt der Raucher fort- 
während. Der zu unterst in der Pfeife befindliche Tabak 
gilt als besonderer Leckerbissen zum Kauen. Andere 
kauen nur den reinen , trockenen Tabak. Auch Knaben 
und ältere Frauen frönen diesen Unsitten; den Kindern 
gibt man oft die Pfeife, damit sie damit spielen; die 
Knaben müssen oft die Pfeife für den Vater in Brand 
setzen und lernen so das Rauchen. Junge Leute unter- 
lassen wohl schon das Erwärmen der Pfeife und zünden sie 
mit einem Zündholz an. — - Vouk stellt fest, daß zwischen 
der Tracht gewissen Geräten, Schnitz- und Einlegarbeiten 
u. dgl. Beziehungen zwischen den Huzulen und den 
Kaukasusvölkeru sich lindeu, so in dun langun Mänteln, 
dein Tragsack aus Tierfell (bordiueh), den hölzernen Steig- 
bügeln, den Hakenstöcken (toporeez, kelef), den Holz- 
schnitzereien mit Metalleinlagen u. dgl. I>och sind diese 
Beziehungen kaum genügend, um sichere Schlüsse zu 
ziehen. — Kuzela teilt slawische Balladen mit, welche 
Varianten zudem internationalen Stoff bieten : ein Jüngling 
verkleidet sich als Mädchen oder läßt sich im Sack ins 
Frauengemuch trugen, um seiner Geliebten zu nn 
Franko handelt über die ruthenischen Persone 
deren Entstehen aus den Naineu der Eltern und Ver- 
wandten. Die meisten sind von dem Tauf- oder Zunamen 
des Vaters, seltener der Mutter abgeleitet. — Hnatiuk 
beschreibt die volkskundlicheu Nahrungsmittel und Speisen 
im Bojkengebiete (Gulizien). 

Schließlich bieten die „Zapyski 1 * der genannten Ge- 
sollschuft einige iiub interessierende Artikel. So gibt 
J. Franko eine Übersicht der ruthenischen Gedichte, 
die von Polen verfaßt wurden, und mit anderen ruthe- 
nischeu Liedern auf polnischen llerreuböfeu gesungen 
wurden. Veranlassung dazu gab das Bestreben, die Ent- 
fremdung des Adels vom Volke zu beseitigen. Diese 
Richtung, die bei einem Teil der polnischen Jugend um 
1830 in Volhynion uud Podolieu herrschte, nannte man 
„üalegulentum". Ihr wichtigster Vertreter war Anton Sa«- 
kovii", den mau den König der Balegulen nannte. Franko 
teilt über diesen biographische Nachrichten mit und 
bespricht seine von St Buszczjnski publizierten Lieder, 
denen er drei neue au» Handschriften beigefügt. Eine» 
von ihnen ist für die Charakteristik der sozialpolitischen 
Ansichten de» Dichter« wichtig. Da diese Dichtungen eine 
volkstümliche Richtung verfolgten , ist Fraukos Aufsatz 
für den Volksforscher interessant (Bd. 57). — Nachdem 
W. Hualiak schon früher sich einigemal mit der Abkunft 
der slawischen Kolonisten im Komitat Bacs (Südungarn) 
beschäftigt hat, rollt er wieder die Streitfrage auf, ob 
diese zu den Ruthenen oder Slowakeu zu zählen seien. 
Es zeigt sich, daß seine frühere Ansicht der ruthenischen 
Abkunft nicht ganz sicher ist. Die mit ihnen den gleioben 
Dialekt sprechenden Itowohnur NordungnrnB ist er geneigt, 
für eine Mischung aus Rutheneu und Slowaken zu halten. 
Die Kolonisten im Koiuitat Bat's möchto er aber, da sie 
sich selbst für Ruthenen halten, doch auch jetzt diesen 
zuzählen (Bd. <!3). — Z. Kuzelju liefert eine sehr ein- 
gehende Übersicht über den Inhalt der anthropologischen 
uud archäologischen Zeitschriften in den letzten Jahreu 

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-.1 



(IM. 60 (II, «3 64). — Ii. Dumany/kyj schildert das 
Lehen des /orinn Dolega-Chodakowski, der in der ersten 
Hälfte des 19. Jahrhuudert« sich Verdienst um die ruthe- 
nische Kthnographie erwarb (IM. 61 — J. Franko setzt 
seine Studien Uber die Legende des heil. Kiemen« fort. 
Kr handelt über die Wiodoruuffindung der Reliquien de« 
Heiligen, ferner über dessen Kultus in Mähren, liultland 
und Westeuropa. Zum Wunder de» hl. Kleinen* bietet 
M. Hruievskj Nachträge (IM. 06 und 68). - Z. Kuzela 
handelt über den ungarischen König Mathias Korvinus 
in der slawischen Volksdichtung. Kr gibt eine Analyse 
der mit seinem Namen verbundenen Volksdichtungen. 
Ks zeigt sich, daß Mathias aus den vom Verf. dargelegten 
Gründen überaus populär war und daO über ihn unter 
den Ungarn, Serben, Kroaten und Slowenen zahlreiche 
Überlieferungen vorhanden waren und viele Lieder ge- 
sungen wurden. In einem besonderen Kapitel werden 
die Lieder über die Wahl und die Krönung des Königs 
behandelt (Fortsetzung folgt IM. 67/68). — S. To- 
mas ivskyj befaßt sieb mit der in letzter Zeit aktuell 
gewordenen Frage über die Denationalisierung der un- 
garischen Ruthenen. Da die Kenntnisse darüber haupt- 
sächlich auf den Resultaten der amtlichen Konskriptionen 
basieren, versucht er ihre Genauigkeit auf einem zweifel- 
haften Territorium zu prüfen und gelangt zu dem Schlüsse, 
daß die amtliche ungarische Statistik bei der Kittscheid uug 
über das ungariech-ruthenische Territorium nnd dessen 
eventuelle Verluste fast ganz wertlos ist, daß daher die 
Forscher zu linguistischen, ethnographischen und vor allen 
geschichtlichen Studien ihre Zuflucht nehmen müssen 
(Bd. 67). 

Am Schlüsse der Besprechungen dieser ruthenischen 
Arbeiten muß auch an dieser Stelle gegen den unrichtigen 
Gebrauch der Ausdrücke „Ikraina" und „ukrainisch" 
Stellung genommen werden. Ks geht absolut nicht an, 
den Ausdruck Ukraina auch auf Galizien auszudehnen, 
und ebensowenig darf man das von diesem Gebietsnamen 
abgeleitete Kigenschaftswort als gleichbedeutend mit „ru- 
theniach" nehmen und auf alle Ruthenen, auch die in Ga- 
lizien, Ungarn und der Bukowina anwenden. Richtiger 
kann man den schon im 1 2. Jahrhundert bezeugten Aus- 
druck Kuteniii auch auf die Ukraine ausdehnen, ihn also 
zur Bezeichnung des ganzen von Ruthenen bewohnten 
Gebietes gebrauchen, wie auch die Ausdrücke Ruthenen 
und ruthenisch diese allgemeine Bedeutung halten. 

Viele interessante Aufsätze- enthalten die letzten zwei 
Jahrgänge der bekannten polnischen Zeitschrift Wisla, 
die von K. Majewski in Warschau herausgegeben wird. 
Im 18. Bde. bespricht Majewski mit besonderer Be- 
ziehung auf Polen die verschiedenen geographischen Be- 
richte des Altertum« und des Mittelalters unter Beigabe 
der Reproduktionen eiuiger alter Karton. Kr betont, daß 
die mittelalterlichen Berichte noch wertloser xind als die 
aus dem Altertum. Ks sei daher vergebliche Mühe, diese 
Quellen für wissenschaftliehe Zwecke verwerten zu wollen. 
Majewski zeigt dies an einigen Beispielen. Diese- alten 
geographischen Werke haben nur insofern Wert, als sie 
uns über die geographischen Kenntnisse ihres Zeitalters 
belehren. -•- B. Majewski bietet eine Charakteristik der 
Volkstracht in Polen. Die interessanten Ausführungen des 
Verfassers, denen auch gute Abbildungen beigegeben sind, 
stützen sich auf eine reichliche Literatur. Besonders be- 
merkenswert ist der Nachweis, daß die heutige Tracht sieh 
sehr wenig von jener vor Jahrhunderten, ja Jahrtausen- 
den unterscheidet. Die huzulisehen Hnkenstöcke , die 
noch jetzt im Gebrauche, sind, unterscheiden «ich weder 
in der Form noch in der Ornamentik von den vorhisto- 
rischen ans Bronze. Sehr wichtig sind die reichen lite- 
rarischen Nachweise. — Ferner Bei genannt die kleine 



Studie von P. Sterling, in der er dafür eintritt, daß 
der Urmensch zur seßhaften Lebensweise neigte; das 
Nomadisieren könne nicht eine allgemein ursprüngliche 
Krscheiuung gewesen sein. — Daran reihen sich ethno- 
graphische und folkloristische Schilderungen einzelner 
Ortschaften, und zwar behandelt W. J. Jasklowski 
das Dorf Mnichöw im Bezirk Jedrzejow, nnd S. Da- 
browska das Dorf Zabno im Bezirk Krasnostaw (Gou- 
vernement l.ublin). Dazu gehört der Aufsatz von M. R. 
Wierzbowski über die Typen der Bevölkerung in 
Krasiiostftw. An anderen volkskundlichen Arbeiten seien 
genannt: M. Parczewska, Kinderspiele in Kalisz. 
R. Liliental. Gebrauche, Aberglauben und Lieder der 
Juden. Kino Sammlung litauischer Volkslieder mit 
polnischer Übersetzung. .1. Magiera, Die Osterfeier und 
Weihnachtsfeier im Gebiete von Sandec (Galizien). J. Ki- 
bort behandelt mehrere mythische Gestalten der Litauer: 
Laume, eine Art von bösen Kobolden; die Kauks, eine 
Personifikation von Glück und Unglück; Ajtwaris, Ver- 
storbene, die im Grabe keine Ruhe finden; Kipszas er- 
scheint in Gestalt des Windes oder eines Hirsches ohne 
Horner; Perkunas- Berkuna- Donner. Der dritte Tag der 
Keste Weihnacht, Ostern und Pfingsten heißt Ladun dienae 
und wird gefeiert, damit Hagel und Sturm keinen Schaden 
anrichte, n. u. W. Klinger regt Untersuchungen über 
die ursprüngliche Bedeutung des Hahues auf Kirchen, 
Kreuzen u. dgl. an. J. Nakonieozny bietet eine reiche 
Sammlung volk»knudlicber Rechtsanschauungeu aus dem 
Dorfe Garbowa Miesiacöw. M. Parczewska, Feiertags- 
gebrfluchc bei den Polen in Oberschlesien. Fr. Krcek, 
Nachträge zur Sprichwörtersummlung von S. Adalbert. 
Witowt teilt einige Schwanke aus Olszewnica mit und 
A. Rumelöwna Spiele, Kettentuitrcbeu und Lieder aus 
Masiöw. 

Von den Aufsätzen im 19. Bde. sei jener von Majewski 
und K. Stotyhwo über diu Ziege in der Sprache hervor- 
gehoben. Daraus geht hervor, daß der Name der Ziege 
im Slawischen auf eine Menge von Orte- und Familien- 
namen überging, femer zur Bezeichnung von Pflanzen. 
Tieren, einer Menge von allerlei Gerllteii verwendet wurde. 
Zusammengestellt werden ferner die Rufe, mit denen die 
Ziegen in verschiedenen Gegenden gelockt weiden; Aus- 
rufe, Flüchu, Sprüche u. dgl., die mit der Ziege im Zu- 
sammenhange stehen; ebenso Rätsel, Lieder, Überliefe- 
rungen, in denen die Ziege eine Rolle spielt. Kine ähnliche 
Studie desselben Verfassers handelt über das Schaf in 
Sprache und Volksglauben. Sie verzeichnet die ver- 
schiedenen volkstümlichen Benennungen des Tieres; ferner 
eine große Anzahl Ortsnamen, die vom Schaf genommen 
siud; ebenso Personen-, Tier- und Pflnnzennainen desselben 
Ursprunges; lrockrure und Scheuchrufe für Schafe, 
Schimpfnamen, Sprüche, Lieder, Sagen, Alierglauben, 
Redensarten, die mit dem Schafe in Verbindung stehen; end- 
lich Volksmedizin, die da» Schaf zum Gegenstände hat. 
— Wichtig *ind ferner die Nochtrage von Lopaciiiski 
zu der im „Lud" (s. ob.) erschienenen Arlwit von Kstrcicher 
über die Befreiung von zum Tode Verurteilten durch 
Mädchen und Frauen. Kr macht auch andere darüber 
erschienene Arbeiten namhaft. Alle bieten den Beweis, 
daß in Polen diese Sitte weit verbreitet war und sich lange 
erhielt. Dazu bringt Lopaciiiski auch in einem zweiten 
Artikel einige weitere historische Beilogen aus den Gerichts- 
akteli von Warschau aus dorn Jahre 1660 und 1670. und aus 
dem Trauungsbuch von Itndom von 1631. Kine Begeben- 
heit aus 1830, die sieh in Wlwlawek zutrug, erinnert 
ebenfalls noch an diesen Brauch. Hin Mädchen, das einen 
katholischen Seminarzögling zum Manne haben wollte, 
warf diesem W<i dessen Weihe zum Priester ein Tuch über 
den Kopf. Ans anderen flegenden sind mündliche Über- 

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hl 



lieferungen über den Brauch erhalten. Die lateinischen 
Texte auf den Warschauer Stadtbüchern über die oben er- 
wähnten Begebenheiten von lt>60 und 1670 findet man im 
Warschauer Przeglnd bist. I (1905), S. 1 43 f. — Stolyhvo 
handelt ferner über die Hochzeitsreden. Beim Aufsotten 
de« Brautkranzes pflegt nämlich in verschiedenen Gegen- 
den einer der ältesten Hoohzeitsgäste eine Rede zu halten, 
bevor der Hochzeitszug «ich in die Kirche zur Trauung 
begibt. I>iese Reden charakterisieren die Bedeutung der 
Handlung und enthalten Segenswünsche. Zwei solche 
Beden aus Krzymosz und aus Wielgorze werden mit- 
geteilt — Ohr teilt mit, daß unter den Juden in hebräi- 
scher und deut»chjüdiscber Sprache gedruckt« Schriften 
verbreitet .sind, die von dem Versuche des Hsbbiners 
Jo«ef Dala-Rana und seiner Schaler erzählen, ulles B5se 
von der Krde zu bannen und den Messias auf dieselhe 
herabzuführeu. Ohr gibt einen Auszug aus dieser Über- 
lieferung. Die Beschwörung mißlang. Der Rabbiner 
ward ein arger Sünder, der seine Künste zur Befriedigung 
seiner Lüste benutzte. — Drzazdxynski stellt 78 sla- 
wische Ortsnamen aus dein Ratiborer Kreis (Prenßisch- 
Schlesien) zusammen. Bei jedem Namen »erden seine 
»4>it Jahrhunderten belegten Formen sorgfältig nach den 
Quellen verzeichnet. Die Arbeit wird fortgesetzt. — 
Kibort teilt weitere Gebrauche und Meinungen der 
Litauer mit, darunter Hanshaubraunh; Gebräuche, die 
sich an die Haustiere anknüpfen; ferner solche beim Säen 
(Beobachtung der Mondphasen); Volksmedizin u. dgl. — 
AU Ergänzung seiner im Bd. IS der Wisla gebotenen 
ethnographischen Schilderung de« Dorfe» Zabno (Bezirk 
Krasnostaw , Gouvernement Luhlin) bietet Djjbrowski 
eine Sammlung von Volksmärchen und Schwanken aus 
diesem Dorfe, wie sie bei den Spinnstubenziisaniuicn- 
künften erzählt werden. Sie zeichnen sich durch Origi- 
nalität aus, so dal! weuig ähnliche in anderen Sammlungen 
vorkommen. — Dygasinski bietet eine anschauliche 
Schilderung des polnischen Bauernhauses und Hofes, sowie 
des Lebens auf demselben. Geräte, Kleidung, Speisen 
u.dgl. werden ebenfalls berücksichtigt. — Cichano wski 
teilt eine Anzahl Volkslieder aus Ostorr.-Schlesion unter 
Notenbeigabe mit. — - Stolyhvo teilt ein Weihnachtsspiel 
aus Podlnsien mit, das einen starken Zug ins Komische 
aufwoist In demselben treten auf: der König llerodes, 
sein Feldmarschall , der Engel, der Tod, der Teufel, 
Adjutanten, ein Ritter, zuweilen auch ein Jude als Spaß- 
macher. Die Personen erscheinen in entsprechender 
Verkleidung. Die ganze Ausstattung besteht aus einer als 
Vorhang an zwei Pflöcke gehängten Leinwand. — R c- 
gina Liliental teilt jüdische Überlieferungen mit über 
böse Geister, Teufel, Gespenster, Zauberei, bösen Blick, 
Träume, Wahrsagerinnen. Schicksalstage (I.ostage), über 
Rechts und Links, das Niesen, Schwangerschaft, Geburt, 
Wochenbett, Krde, Feuer und Wasser, das Brot, Heil- 
kunst u. a. — F. Krcek bietet schließlich weitere Nach- 
träge zur bekaunten großen polnischeu Spricbworter- 
ssmmlung von S. Adalbert. 

Im Anschlüsse an die oben zitierte Arbeit von Smölski 
über die Verbreitung der Slawen in Mitteleuropa und 
ähnliche frühere Arbeiten (man vgl. dazu unseren Bericht 
im Globus, Bd. 86) nei auch die Schrift von Zunkowicz 
genannt 7 ). Er verficht die Anschauung, daß die Slawen 
allem Anscheine nach ein in Mitteleuropa autochthones 
bis weit in die Diluvialzeit zurück durch sprachliche 
Spuren nachweisbares Volk sind. Nach ihm ist z. B. 
Tergeste r— Trgovi»<"e (Marktplatz), t'eleja — Selje (An- 
siedJung); Kamer, Karuntnuien kommt vom slawischen 

'*) M. Zun k "Wie z. Wann wurde M itteleur >'|>a von den 
Slawen boicdeli ' Ueitrag zur Kläruni; >'iw t (ie«ehieli>s- und 
Oel«hrteiiirrluin* (Kremser !'."':•). 



Km (Bergspitze); Norikum vom slavischen nor (Höhle); 
Pannonicn kommt von pan, bau (Herr); Gallier, Halonen, 
Hall von slawisch gal, galun (Salz); die Markomanen sind 
gleichzusetzen den Moravani; der Name der Deutschen 
bedeutet tupec (Fremde); Donau = tonja (tiefe Stelle) usw. 
Dieselben Tendenzen verfolgt eine Arbeit von Strekelj *). 
Er erklärt eine Reihe steiriseber Ortsuamon aus dem 
Slawischen. Admont kommt von voda und mat — Wasser- 
trüber (Bach); Audritz von jedr— raschfließend ; Fehring 
von bor, borownik (Föhre); Fernitz ebenfalls von bor, 
borovnica: Grundlsee ist Kraglo jestero — runder See; 
Irduink von jedta (Tanne); Obgrünn aus Dobrun*). 

Zu den im letzten Berichte besprochenen Schriften 
über die Hauskoinniunion i*t noch die Arbeit von Mar- 
kovic, einem Serben, nachzutragen" 1 ). Im Gegensatz zu 
Peisker sieht Markovic in der Zadruga tatsächlich die 
Urform des südslawischen Wirtschaftslebens und wendet 
sich mit einer lebhaften Kritik gegen die Peiskersche 
Beweisführung, wonach die Zadruga ein künstliches, durch 
die byzantinische Steuergesetzgebung hervorgerufenes 
Gebilde wäre, vielmehr sucht der Verf. den Beweis zu er- 
bringen, daß die Zadruga so wie jede andere Form einer 
Haaskommunion die natürlich und selbstverständlich sich 
ergebende Wirtschaftsform eines Volkes darstellt, das über 
die Naturalwirtschaft noch nicht hinaus ist und Boden 
genug zur Verfügung hat, um ihn extensiv bewirtschaften 
zu können. Damit ist natürlich auch schon gesagt, daß 
diese Institution heute bei dem Eindringen der Geld- 
Wirtschaft und der Unmöglichkeit freier Bodenokkupation 
im Niedergang befindlich ist und sein muß. Dies will 
aber das ausgeprägte Nationalgefühl des Verf. doch nicht 
in seiner vollen Konsequenz gelten lasseo. Eh wird ihm 
zu schwer, zuzugeben, daß diejenige Institution, deren 
stramme Geschlossenheit das Nationalbewußtsein auch 
untor dor Türkenherrschaft bewahrte, und der allein 
schließlich die Befreiung vom türkischen Joche zu danken 
war, beute überflüssig sein soll. Vielmehr will Markovic 
auch heute noch die Zadruga erhalten sehen zum Schutze 
gegen die Verschuldung und Proletarisierung des Bauern - 
Volkes. 

Aus dem Lemberger Kwartulnik Bist. Bd. XV11I (1904) 
interessiert uns eine Arbeit Darin äußert sich A. Pro- 
chaski übur die oft besprochene Streitfrage, ob im alten 
Litauen Priester und Richter unter der Bezeichnung 
„Krywe" vorkamen, im bejahenden Sinne, indem er auf 
ein l>okument des 14. Jahrhunderts hinweist, in dem diese 
Bezeichnung genannt wird. 

Erwähnt müssen hier auch die ersten zwei Hefte der 
Arbeit von D. Jurkovir werden. In prächtigen Abbildun- 
gen, die in der rühmlichst bekannten Wiener Kunstanstalt 
Schroll u. Cie. hergestellt sind, werden uns hier einige 
slowakische Bauten und Oeräte vorgeführt (Erbrichterei, 
Bauernhaus, Friedhof, Malereien von Häusern, Schöpf- 
geschirr, bemalte Möbel und Bettun, Rathaus in Roz- 
nov, alter ]<aubengang in Vsetin, Glockenturm in Unter- 
Becva, bemalte Vorhäuser, HerdrSume, allerlei andere 
Geräte, Messing- und I'erlrautterspangen u. dgl.). Es 
sind wertvolle Beiträge zur Hausforschnng in den Kar- 
pathenländern"). 

") f trekelj, lVi«|K\kik p.ntnovan, jn »loven.kirh krajevuih 
imeii i«- uemskein Stajerju t'a-.p.Zjrd, Nai.i.) I {.Marburg lt"M> 
S. 70/71. 

*) Vgl. j<"*l '»Urh Xabor»ki. I/.-iUOhtocIitomsine des 
Slaves en Kurripe. Ijet premier* defensrurs. Hevue dp IVrole 
d'anthmpnloj-ie Ilms, p. I — IT. 

10 > M. Markovie. >erbi*ehe tlauskurnin Union (Zadruga) 
und ihir Itedeutung in der Vergangenheit uuil itegenwart 
(Leipzig. Huncker und Huml'M lW):l). Vgl. Alle. lafeintur- 
blati XIV, Iis 

"> l>. .lun.vie, l'raee liudu naCelt... Slowaki-oie« V.-lks 

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K. Th. Preuß' Forschungen i n Mexiko. 



Von Interesse sind auch die Arbeiten von K. Kalui- 
niacki, die im 26. und 27. Biuide des Archivs f. sl»w. Philo- 
logie erschienen sind. Kr teilt eine Anzahl Sonuwend- 
lieder der westgaliiiachen Ruthenen mit. In denselben 
nimmt noch das Feuer den erxten PI st/ ein , wie es im 
Mittelpunkt des Festes steht. I>as ist veiter nach dem 
Osten nicht der Fall. In einem der Lieder gelangt Rpeziell 
die wundertätige, Menseben wie Tieren gleich zuträgliche 
Kraft der durch den Flammenschein der Sonnenwendfeuer 
versinnbildlichten Sommersonne zum Ausdruck, während 
hi einem andoren Liedc der direkte Hinweis auf den Um- 
stand vorliegt, daß der Sommer zu der Zeit, da die Sonnen- 
wendfeuer brennen, bereit« seinen Höhepunkt erreicht hat 
und bald, nur zu bald, dem rauhen Winter mit dessen 
unzertrennlichem Begleiter, dein „kahlen" Froste, werde 
weichen müssen. Ebenso interessant ist die Studie über 
die volksetyniolngischen Attribute des heiligen Kyrikos 
hei den Huzulen. Dieser wird hier nämlich als Patron 
der Hühner verehrt. F.s erklärt sich dies aus dem Um- 
stände, daß man im Kamen des Heiligen eine Beziehung 
zu Kur — Huhn fand. In einem dritten Artikel han- 
delt Katuzniacki über die volkstümlichen Monatsnamen 
bei den Huzulen. 

arbeiten, l.u. 2. Heft. Wien. A. Schroll. Von diesem Werke 
werden jahrlich vier Hefte erscheinen, jedes Heft zehn Blätter 
enthaltend. Da« ganze Werk wird etwa 20 Hefte umfassen, 
frei« des Hefte. 7 Kr. 



Nur kurz sei hier noch auf folgende Arbeiten hin- 
gewiesen. Radzikowski hat eine interessante Be- 
schreibung der Tatra herausgegeben IJ ) und setzt seine 
Studien zur Tracht der Polen und ihrer Nachbarn fort 
Lopacirtski handelt über die im Tatragebirge verbreitete 
Uberlieferung über den Schlangenköuig "). Ferner ist 
ein interessantes polnisches Werk über den hölzernen 
| Hausbau erschienen IJ ). Schließlich sei nachträglich auch 
auf die Abhandlung von P. Bienkowski über antike 
Völkerschaften mit dein sogenannten suebiRcben Haar- 
kuoten hingewiesen. In ihr wird unter Herbeiziehung 
einer großen Anzahl von Reliefs, Statuetten u. dgl. die 
betreffende Stelle in Tacitus, Germania 38, ö erklärt. 
(Anzeiger der Krakauer Akademie der Wissenschaften 
1902, S. 61). 

") M. rhrnseiiiskl, 0|>i»anie ciekawe gor Tatr-.w, wydaf 
Stanislaw Kljasz Radzikowski (Bd. 8, 8. 78. Krakau, t). Ge- 
bethuer u. Viv., D»0i). 

'*) W. K. Radzikowski, Uhloiy w Pulse« i u «»Kladow 
w wiekn XV. Ogvlnego /.tiiorn cz. IV, wydaua z ponioca Aknd. 
Umiejetnosci. Krakau, G. Gebethner u. Cie. Mit Tafeln. 

") K. Lapczyiiski, Ba»ti tatrzanski « krolu wezow, 
wedle »powiadania gorsli szezawnickich. Krakau, 0. Gebethner 
u. Tie. 

") Budnictwo drzewne. Wydawnictwo Tow, „Polaka stuka 
Materyaly zesx. VI. Sori.-tr de l'nrt aplique Po- 
lonai», fax. VI. Architecture en bois. Krakau, «1, Gebethner 

u. (Jie. 



K. Th. Prea.fi' Forschungen in Mexiko. 

Wie wir einem kürzlich eingegangenen Briefe K. Th. 
I'reuß' entnehmen, war er zuletzt auf einer Wanderung durch 
den Westen und Südwesten des Gebietes der Hoichol Indianer 
begriffen , die sich bis über den Kio Chapalagana erstreckt 
hatte. Von hier kehrte er zunächst noch einmal nach dein 
( «radorfe Jesu* Maria zurück. Während der Regenzeit ge- 
dachte er wieder uuter den Aztekenstammen der Sierra Madn- 
zu verweilen und dann nochmals zu den Huich<'l Indianern 
zu geben. 

l*reuü trat — im Auftrage der preußischen Regierung, 
mit Mitteln aus der Loubatprofessnr • Stiftung vergehen — 
seine Reise zu den Indianorstäinmen der Sierra Madre in 
Mexiko Ende 1B05 an. Er war dazu durch sein langjährige« 
Studium der mexikanischen Altertümer wühl vorbereitet. 
Diese Studien hatten ihn unter anderem zu neuen Gesichts- 
punkten für da» Oebiet der allgemeinen Religionswissenschaft 
geführt, und es interessierte Ihn nun naturgemäß die Frage, 
inwieweit seine aus Literatur- und Museumsforschung ge- 
wonnenen Anschauungen in den Sitten und Gebräuchen der 
noch jetzt lebenden Kackkommen der alten Mexikaner ihre 
Bestätigung finden würden. 

Die Uauptschwierigkeit , die dabei zu überwinden war, 
war die, dn« Vertrauen der Indianer in solchem Maße zu er' 
langen, daß sie ihm ihre geheimsten Anschauungen und <<e- 
bräuche offenbarten. Dazu war es vor allem erforderlich, mög- 
lich»« lauge bei dem einzelnen Summe zu verweilen, wa« bei der 
grollen Abneigung der Indianer gegen fremde sehr schwierig 
schien. Der Grund dieser Abneigung beruht auf einem alten 
Zauberglauben. Es ist nämlich eine alte noch lebendige Tra- 
dition der Mexikaner, daß die siegreii-hen von Osten kommen 
den weilten Sonnensöhne ihr Land in Besitz uelimen und dmiii 
alle fortschleppen würden. Dieser Glaube hat ja eiust der I 
Handvoll Spanier unter t'orlez ganz Mexiko in die Hand ge- ' 
geben. Erst allmählich faßten die Indianer Vertrauen , be- 1 
sonders ah I'reuß mit seinen Medikamenten mehrere Kranken- | 
hoilungen gut gelaugen und er auch sonst »ich ihnen hilfreich 
erwie«, und nun war ihm M»in Ruf nl* .Zauberer" nicht mehr 
schädlich, sondern sehr nützlich. Schließlich hat i-r selbst in 
ihren Zaubertänzen bei den großen religiösen Kesten feierlich 
mittanzen meinen. Stigar in die verborgenen Jh-rgköhlen und 
Grotten der Indianer kounte er dringeu , in dem i» «ich die 
seltsamen und geheimen Weihegnlten für ihre alten (iöiter 
befanden . vnu denen nun manche den Weg in* Berliner 
Volk«rmus..uin finden werden. Manche von diesen uralten 
Hohlen hatteu die Indianer selbst schon vergessen, m, daß 
sie völlig m-u entdeckt werden mußten. 



Als Gast hat der Gelehrte allen ihren Festen und Zere- 
monien beigewohnt, und die Indianer haben ihm deren Be- 
deutung erklärt, soweit sie diese alten von den Vätern über- 
kommenen, mit christlichen Zeremonien versetzten und vielfach 
ins Christliche umgedeuteten Gebräuche selbst noch verstanden. 
Ihre Tänze hat I'reuß größtenteils photographiert. Von ganz 
besonderer Wichtigkeit ist aber, daß Prcuß ihre sämtlichen 
Mythen, Hymnen und Gesäuge, die zur einwandfreien Kr 
klärung der Feste unumgänglich notwendig sind . gewann. 
Kr hat sie schriftlich fixiert und sie aus dert'ora- und Üuicbol- 
sprache ins Deutsche übertragen. Damit ist eine sichere 
Grundtage der religionawiasenschaftlichen Erklärungen ge- 
wonnen. Auch ihre Erzählungen, Gebete und Kranken- 
beschwörungen sind im Originaltext aufgenommen worden. 
Eiuen Teil der Mythen und Gesänge konnte der Forscher in 
seinein Phonographen festhalten. Es ist eine sehr umfang- 
reiche, primitive, Buf alter Überlieferung beruhende Volks- 
literatur von Prcuß «Dtdeckt, mit philologischer Genauigkeit 
aufgenommen und erklärt, übersetzt und so der Wissenschaft 
gewonnen worden , und diese Befunde sind um so wertvoller 
für die Auffassung aller primitiven Zustände, al« e« «ich hier 
um die lte«te einer alteu , ohne jeden KintluU europäischer 
oder asiatischer Kultur entstandenen Literatur handelt. 

Unter PreuQ' großen Sammlungen befinden sich ältere, 
besonders wertvolle Stücke, sowie mehrere Masken der l'hallo- 
phoren d-s Osterfestes. Einen kleinen llruchteil seiner Samm- 
lungen sandle er schon im März Ifturi nach Berlin, er ist im 
Museum für Völkerkunde ausgestellt. 

Preuß fand wie er schreibt auf seiner Heise die 
vollo Bestätigung der Ideen, die er auf Grund «einer theo- 
retischen Forschungen gewonnen hatte (vgl. »eine Arbeiten 
„Ursprung der Religion und Kunst' im „Globus*, Bd. u. 
k7, „Einfluß der Natur auf die Religion' in .Zeitschr. d. Ges. 
f. Erdk. Berlin* HK'ü und ,1'hallisclie Prucbtbnrkeitsdämoucn 
»I« Träger de» mexikanischen Drama«" im .Arch. f. Anthro- 
liolngie", N. V. I). Mit eigenen Augen sah Preuß nun seineu 
Mitteilungen zufolge auch bei den Wildstämmen Mexikos 
dieselben zauberischen l'hallophoreu, die den Zaubert«»* de» 
ITrmimns in Hellas und Altmexiko tanzten. Überhaupt er- 
läutern und bestätigen die Gebrauche dieser mexikanischen 
ludinner völlig die Auffnssuug, mit der der G «lehrte den 
Schlüssel zum Verständnis der altmexikAnUclicu Religion gab. 
es haben «ich wunderbare uud höchst aufschlußreiche Paral- 
lelen gezeigt. Depondcr« aber hat jetzt Preuß die dämonische 
Macht de* /.»ubirglaubens in altor primitiver Könnt und 
lleligionsiibnng im Leben der Indianer wirksam sehen 
dürfen. 



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Kleine Nach richten. 



Kleine Nachrichten. 

Abdrnck na* mit yuclleuinKsb» gaststtot. 



— Von der Eutstelumg de« Grundeises handelt die 
Zürich«! Doktordissertation von Gott lieb Liischor (Aarau 
190*1). Nach »einen Ausführungen hat die große Menge des 
in den Gewässern entstehenden Grundeises ihren Ursprung 
In der gestörten Kiabildung an der Wasseroberfläche, oft auch 
in dem in» Wasser gefallenen Schnee. Hetzen «ich unter dem 
Einflüsse von Geschwindigkeltsstörungen im Wawer treibende 
KiskrisUlle an einen durch Wasser oder KU bereits hin- 
reichend gekühlten Gegenstand, so kann an diesem die Grund- 
eisbildung vor sieh geben. Die unter Grundei* bekannten 
Eisbildungen unterscheiden sich nach ihrem Vorkommen, nach 
Art und Stadium ihrer Entwickelung und in der Folge auch 
nach ihren speziellen Eigenschaften als drei bestimmt ab- 
gegrenzte Spezies. Befinden sich die antreibenden Kristalle 
noch im ersten Stadium ihrer Entwickelung — gleichviel oh 
iu festem Zustande, als Gallerte oder bereits in Verflüssigung 
begriffen — so bildet «ich in nicht zu großer (Strömung das 
blätterige Grundeis ans, als gesetzmäßiger KrisUllisalion»- 
prozeß unter Einwirkung der Molekularkräfte. Werden da- 
gegen bei größerer Kälte die Treibeiskristalle in bedeutenden 
Mensen, auch schon als verxnmme.li« Krislallgruppen spontan 
zusammengetrieben und in stärkerer Strömung mit Kraft, 
massiert, so entsteht das körnige Grundeis als mechanische* 
Gemeuge uuter EiufluU der Regulation. Große Mengen ins 
Wasser fallenden Schnees, massenhafter Grundeisauftrieb oder 
zerbröckelte und in großer Zahl ins Wasser getriebene Stück- 
chen einer rorstörten Oberflächencisschicht können nun die 
Bildung des Qallerteise* veranlassen, in der Weise, daß das 
ganze Wasser gallertartig HieOt und etwa an seichten Fluß- 
stellen ins Stocken gerät. Streng genommen gehört das 
Gallerteis nicht zutn Gruudeis, wird aber seines durchaus 
ahnlichen Aussehens wegen allgemein als solches bezeichnet. 
Es tritt ineist auf bei Umschlag von großem Frost in Tau- 
wetter oder umgekehrt und hat seinen Grund in der Grenz- 
flächenspannung verschiedener temperierter Wasserblasen 
oder Wasserschichten. Bereits die geringsten Mengen gelöster 
Salze, wie sie in keinem Wasser fehlen, genügen, um bei den 
kleinsten Temperaturdifferenxeu Grenzflächenspannung her- 
vorzurufen. Gelangen im Wechsel von Tauweiter und Frost 
große Mengen Eispartikel in das Wasser von etwas höherer 
Temperatur, so entsteht unter dem Einfluß ihrer Schmelz- 
ballerte starke Grenzflächenspannung, s<> daß es sich in der 
Folge in Schaum und Gallerte verwandelt, uud auf diese 
Weise der Wassertransport eines ganzen Flußkanals ins 
Stocken geraten kann. Solche Kisstopfungeu treten natueot- 
dort gern auf, wo große Mengen Gruudeis, Ki-huee und zer- 
bröckeltes Oborflächeneis an einer Stromschnelle unter eine 
an Stauer FlußeUille gebildete Oberflächeni-isscbicht getrieben 
werden. Auf diese Weise können ganze Flußläufe verlegt 
und angestant werden, so daß deren Wasser sich über die 
Ufer ergießt. Eine dem Grundeis ähnliche Eisbildung kommt 
auch in wasserzügigem Boden vor, auch hier in blätteriger 
oder körniger Gestalt, je nach Umständen, wobei an das 
in Sibirien erinnert sei. E. R. 



— Über die Judenkolonien iu Palästina handelt ein 
im Dezemberheft 1908 der „Österreichischen Monatsschrift 
für den Orient* abgedruckter Bericht dos österreichischen 
Konsulats in Jerusalem. Der Berichterstatter versteht hier 
uuter .Judenkolonien* uur die durch GroßkapitaJisten oder 
Gesellschaften aus rein humanitären und national • religiösen 
Gründen veranlaßten Ansiedelungen von Juden auf käuflich 
erworbenen Grundstücken zum Zwecke Undwirtucliaftlieher 
und in geringerein Maße auch kommerzieller und industrieller 
Tätigkeit. Die ersten dieser Kolonien, wozu Rischon el-Zion, 
Ekron, Gederah und Petach-Tikvah gehören, sind von dem 
Baron Alphonse Rothschild gegründet, jetzt aber der „Jewish 
Colonisation Association" in Verwaltung übergeben. Ihr Be- 
streben geht dahin, die Kolonisten auf eigene Füße zu stellen 
und die finanzielle Verwertung der landwirtschaftlichen Pro- 
dukte zu verbessern. Die größten Schwierigkeiten bieten die 
die sich fast ausschließlich mit dem Weinbau be- 
Ro liefern die Keltereien in Rischon el-Zion jährlich 
gegen 50000hl Wein, doch können davon kaum 16000hl 
ohne Verlust abgesetzt werden. Viel günstiger sind die Aus- 
sichten der Kolonisten in Kkron und Maskeretb-Bathia, wo 
man sich auf Ackerbau und Obstbau geworfen bat. Die 
Schulen in den Kolonien trugen früher vorwiegend französi- 
schen l'haraktcr, jetzt ist das Französische etwas zurück- 
gedrängt worden. Kolonien finden «ich in Judäa. in Sa- 
inaria, in Galiläa und im Osijordnnlaiide. Der Bericht ver 



zeichnet ihrer im ganzen 2f> mit etwa 4200 Einwohnern (von 
einigen fehlen die Angaben). Das Hauptkontingent stellen 
Russen und Rumänen, die hier günstigere Existenzbedingungen 
zu finden hoffen als in ihrem Vaterlande. An tüchtigen Feld- 
arbeiten» ist noch immer Mangel. Nur in Ekron sind Russen 
angesiedelt, die sich bereits in ihrer lleimat mit dem Feld- 
bau befaßt hahon. während im allgemeinen die neu ange- 
kommenen Ansiedler sich erst in die ihnen fremde landwirt- 
schaftliche Tätigkeit hineinfinden müssen. Das Palästina- 
komitee der genannten Association bat Kolonien und Farmen 
in der Gegend von Tiberias gegründet, um hauptsächlich 
KolonUtenaÖhue und bewährte Feldarbeiter zn kolonisieren. 
In der Ausdauer sind die gegen das heiße Klima abgehärte- 
ten Araber den Kolonisten weit überlegen; zu landwirtschaft- 
lichen Arlwiten aber, die größere Sorgfalt und Intelligenz 
verlangen, sind jene nicht zu vorwenden. Im Ilauran wird 
die Bebauung deB Bodens ausschließlich den Fellachen über- 
lassen. 

— Interessant" Ausblicke gewährt die Arbeit von Otto 
Flückiger über dio obere Grenze der menschlichen 
Stedelungen In der Schweiz abgeleitet auf Grund der 
Verbreitung der Alphütten (Zeitschr. f. Schweiz. Statist. DKM). 
Vor allem fällt das Maximum von 2400 in im Kern der Pen- 
nlnischen Al|*n auf. Von diesem Zentrum der Massenerhebung 
aus sinkt die Siedelung*grenze mit zunehmender Entfernung. 
Sekundäre Minima finden sich im Zentrum der Massen- 
erhebung des F.ngadin, im Samnaun und am Gotthard. Die 
Siedelungen halten sich hier mit Vorliebe auf den Schultern 
des Gebirges und meiden die unteren, relativ steilen liirticn. 
Die Begünstigung des Finsteraarhornmnsslvs und des Grindel- 
waldtales markiert sich in einer Ausbuchtung der Linie von 
2000 m. Der größte Teil Bündens liegt zwischen den Iso- 
linien von 210« uud 2200 m. Die Höheulage der Siedelnugs- 
gienze wird durch die Menge der Niederschläge im betreffen- 
den Gebiete beeinflußt. Eine geringe Niederschlagsmenge in 
Verbindung mit bedeutender Mawenerbehung bedingt in 
großen Höhen eine relativ hohe Sommertemperatur. Wo die 
beiden Faktoren zusammentreffen, steigen Schneegrenze, Wald- 
grenze, die Zone der obersten Weiden und somit die Siede- 
lUDgsgrcnze. Das Wallis ist das trockenste Gebiet der Schweiz: 
Siedelungsgreuz« über 2400 m. Auch Graubünden hat eine 
verhältnismäßig geringe Niederschlagsmenge. Das Gebiet des 
Kantons T essin wirkt infolge seiner Lage am Slidnbhsng der 
Alpen als Regenfang. Andererseits ist im Gotthardgebiet. 
trotz des Regenreichtums, die Siedelungsgrenze hoch. Die 
B»dengestaltung kann Unterschiede in der Hohe der Siede- 
lungsgrenze bewirken. Für die großen charakteristischen 
Züge der Höhenlage der Siedelungsgrenze ist dieser Faktor 
aber nur von untergeordneter Bedeutung; die Unterschiede 
sind in der Schweix wesenllicb den Differenzen im Betrage 
der Massenerhehnng zuzuschreiben. 

— I.aud und Seewinde an der deutschen Ostsee- 
küste erörtert Max Kaiser in seiner Berliner Dissertation 
Ittos, wobei er hervorhebt, daß noch sehr wenige ausführ- 
liche Arbeiten über diese Verhältnisse in mittleren und höhe- 
ren Breiten vorliegen. Die Seebrise ist auf die Zeit von 
April bis September beschränkt, da in den übrigen Monaten 
das Meer wärmer wie das Land bleibt. Für die Erscheinung 
des Land- und Seewiudo* finden sich in den einzelnen Jahren 
große Unterschiede. Aus den Tabellen geht ferner hervor, 
daß eine allmähliche Abnahme der Windgeschwindigkeit am 
Vormittag zu erkennen ist, der eine Steigerung zu Mittag 
oder am Nachmittag mit einem Maximum zwischen 2 und 
4 Uhr nachmittags und eine Abnahme wiederum am Nach- 
mittag und eine Steigerung iu der Sacht gcgcuül>ersteul. 
Die Stärke der Seewinde schwankt zwischen 0 und 3 der 
Beaufurtskala. Die Seewinde treten im allgemeinen nur an 
antizyklonen Tagen mit kleinen Gradienten auf und bei hei- 
terem Wetter. Die Urspruugsslätte der Seebris* an der deut- 
schen Ostseeküste liegt zwischen 4 bis i Seemeilen von der 
Küste; die Landwinde erstrecken sich ziemlich weit seewärts. 
Die Beobachtungen ergeben an günstigsten Tagen ein Vor 
dringen de» Landwindes bi» 8 Seemeilen seewärts. Der Land- 
wind der Ostseeküste dringt deshalb so weit vor, weil er 
wegen der Ebenheit des Untergrundes verhältnismäßig ge- 
ringe Reibung zu überwinden hat- Leider ist es unniö>{li<rli, 
umgekehrt das Vordringen der Seebrise landeinwärts zu ver- 
folgen, ebenso könneu wir zunächst nichts über die Geschwm 
digkeit mitteilen, mit der sich die Serbrise landeinwärts f..i t- 

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84 Kleine N 



pflanzt, aber wohl annehmen, daß sie sich etwa 20 bis 30 kui 
in dun Küstensaum fortpflanzt, nacli Analogie mit den tmrd- 
amerikanischen Verhältnissen in New England. 

— Dankbar ist anzuerkennen, daU ein Jurist, I>r. Albert 
Hedwig, sich neuerdings eingebend in die Literatur der 
Volkskunde vertieft, um daraus zu schöpfen, wie Aberglauben 
und Verbrechen zueinander in Beziehuug stehen, ähnlich 
wie dieses schon 1*78 der unvergeßliche Maonhardt mit be- 
sonderer Berücksichtigung der - Provinz Preußen.' in seiner 
Schrift .Die. praktischen Kolgen des Aberglaubens' getan 
hat. Dr. Hollwig behandelt jetzt (in der Ärztlichen Sach- 
verständigen -Zeitung, 190«, Nr. rt ff.) den kriminellen 
Aberglauben in seiner Bedeutung für die gericht- 
liche Medizin, wobei er seinen Stoff in drei Teile gliedert: 
Von der Entstehung der Krankheiten (Hexenglaub«, hilser 
Blick, Vampyrglaube usw.), von den abergläubischen Heil- 
kureu (Sympathiemiltel, Sittlichkeit* verbrechen, Verwendung 
von Meuschvublut, Geaundbeten u. dgl.) und drittens von der 
Erlangung von Zauberinitteln (Leichenschändung, Ermordung 
Schwangrer, Erlangung von Talismanen) — alles mit reichen 
Beispielen, meist aus der Gegenwart, belegt. 

— Die Kin wohnerzahl von Neuseeland betragt nach 
der Zahlung vom 20. April 190* 888 437 ohne die Maori, da- 
gegen mit KinschluB der Chinesen und Mischlinge. lH»e hatte 
Neuseeland erst 508OO0 Einwohner. Die Zunahme ist ins- 
besondere auf der Nordinsel groß gewesen; die Einwohnerzahl 
hat sich hier nahezu verdoppelt. Von der angegebenen Zahl 
entfallen 4788« 1 auf die Nordinsel, 4I12M) auf die Sildinsel 
und yxs auf die Stewartinsel. 

— Bswässeruugsprojekt für Neusiid wale»- Im 
.Scott, tieogr. Mag." 1906, S. 551 teilt Dr. J. I'. Thomson 
einige Einzelheiten über ein großes Bewäa«erungS|.rojekt mit, 
das die Regierung vou Neusttdwales für das Miirrunibidgee- 
Tal und die I.aohlau-, Namoi- und Gwydorbecken zur Aus- 
führung vorschlägt. Zunächst handelt es sich um die Her- 
stellung eines Dammes und eines Reservoirs bei Barren Jack, 
das etwa 50 km von der Station Bowniug der Eisenbahn 
Sydney — Melbourne abliegt. Die Stelle ist eine 90 bis 120 m 
tiefe Schlucht, in der der Fluß sich durch einen Granitriegel 
hindurchgefressen hat. Das Projekt sieht nun den Bau eines 
rtom hohen Dammes quer durch den Murrumbidgeelluß vor, 
durch den das Wasser bis auf eine Entfernung von 60 km 
aufwärts angestaut wird. Dieses Reservoir würde l'/ t imnl 
mehr Wasser enthalten als Sydney Harbour und nur wenig 
kleiner sein als das große Reservoir de« Nil. Das Gebiet ist 
jetzt unter Kultur, es liegen dort Ackerbaufarmen, die alle 
aufgegeben werdeu müssen- Das Fassungsvermögen das 
Reservoirs wurde 944 678 450 cbm betragen und die Kosten des 
Dammes einschließlich der für den Ankauf der zu entfernen- 
den Farmen 75» 000 l'fd. Stcrl. Vorerst soll der Damm nur 40 tu 
hoch geführt werden und in sieben Jahren bis auf die volle 
Höhe von 00 m volleudet werden. Das zu bewässernde Areal 
wird auf 13000 qkm angegeben und das ganze Land um- 
fassen, das von dt-n Quellilüsseu des Mitrnimbidgee entwässert 
wird. Bemerk eiiswert ist bei dem Projekt, daß das Wasser 
auf natürlichem Wego dem Lande zugeführt wird , nicht 
durch Pumpwerke. In Verbindung mit dem Projekt steht, 
daß die Regierung von Neusüdwales für die Errichtung der 
künftigen Bundeshauptstadt der australischen Commonwealth 
eine Stelle — Makoolma — in der Nachbarschaft des Reser- 
voirs ausgewählt und vorgeschlagen hat. Zwei oder drei 
Eisenbahnlinien sollcu Bowning mit dein Damm verlanden. 

— Hans v. Staff fußt seine Bemerkungen über Wind 
und Schnee, Zeitschr. des deutsch u. osterr. Alpeuvereiu», 
Bd. ;H7, 1SHM5, in folgende Sätze zusammen: Die Kippelmarken 
sind ihrem Wesen nach völlig von den Dünen zu treuneu. 
Zur Erklärung einiger Wolkenformen ist der Begriff der Rip- 
pelung heranzuziehen. Die typischen Bchneedüneuformeu 
,ind Hufeiseudünen (Barkhaue) und Windgriiben. Die Hin 
dernisdüue zeigt verschiedene Kntwiekrlungsstadien , deren 
Ausbildung sich nur im Schnee zeigt. Die Küstendünen sind 
nur eine erste, bald in Hufeisendüneu uud Winddünen zer- 
fallende Sandanhäufung. Jedes gefestigte Oberlläcbengebible 
auf ebenen Schnee , Kirn- und Sandnächeu wird zuletzt durch 
Windgräben in Kämme zerlegt, welche der herrschenden 
Windrichtung parallel sind. 

— Regenst .rke und Hegendauer in Batavia sclul 
dert A. Wueikof in der .Meteorol. Zeitschr.'' 1900 folgender- 
maßen: Die Intensität der tropischen liegen ist im Mittel 



ebriobteu. 



größer als in mittleren Breiten. Die intensivsten Platzregen 
sind bis jetzt in mittleren Breiten beobachtet worden; 
Landregen und selbst sehr feine, schwache Hegen sind 
in vielen Gegenden der Tropen bekannt uud haben selbst 
besondere Kamen. Die größten Regenfalle an einem Tage 
sind außerhalb der Tropen beobachtet worden, so in Cherru- 
punschi (Aisam) 1040 mm, in Tanabe in Japan Wl mm und 
an zwei anderen Orten im nördlichen Indien über ttuomin 
Ks ist wahrscheinlich, daß die intensivsten Regen in den 
Tropen während großer Zyklonen fallen. Eine größer« Zahl 
Hegcnautographen wie detaillierte Bearbeitung der Resultate, 
wenigstens für die intensivsten Regen, ist wünschenswert 
> Es wäre Interessent zu wissen, ob auch in den Tropen wie 
in mittleren Breiten die große Regenmenge der Stationen an 
der Windseite der Berge nicht von der größeren Intensität, 
sondern von der längeren Dauer der Hegen abhängt, was 
Verfasser sehr wahrscheinlich findet. 

— Den Anteil der Vereinigten Staaten an der Er- 
forschung der Krdgestalt durch Gradmeasungeu stellt 
B. Pattenhausau (Mittig. d. Vereius f. Erdkde. zu Dresden 
180«, 2. Heft) folgendermaßen dar: Der die l'uion umfassende 
Teil der Erdrinde wird nicht in seiner Lage über dem Meeres- 
niveau durch die Starrheit der Erde gehalten, sondern wird der 
Hauptsache nach schwebend erhalten, weil er aus vergleichs- 
weise spezifisch leichtem Material besteht. Edr das bezeich- 
nete Gebiet bnt sich als wahrscheinlichster Wert der Korn 
pensatioustiefe, wenn die Dichtigkeit der kompensierenden 
Massen als bis zu dieser Tiefe gleichmäßig vorausgesetzt 
wird, der Betrag von 114km ergeben, es ist als sicher 
anzunehmen, daß die Tiefe nicht kleiner als So m und nicht 
viel großer als 100 m ist. Für da« betrachtete Gebiet ist 
der durchschnittliche Kehler der unter der Annahme vollständi- 
ger isostatisether Kompensation l>ereclmeten Lotabweichungcu 
weniger als ein Zehntel des Betrages, den man unter Annahme 
vollständiger Starrheit der Erdoberfläche erhält. Die in den 
Vereinigten Staaten gegenwärtig nutzbaren Beobachtungen 
der Lolableiikung lassen keinen sicheren Schluß auf die Ver- 
teilung der isostatisch kompensierenden Massen mit dar Tiefe 
zu; durch solche Beobachtungen allein läßt sich nur die 
| Tief« der Kompensation unter bestimmten Voraussetzungen 
I über die Verteilung jener Massen bestimmen. Aus den in 
| den Vereinigten Staaten beobachteten Lotablenkuugen ergeben 
{ sich für das Krdellipsoid , da« sich der Geoidflach* in jenem 
I Gebiete am vollkommensten anschmiegt, als wahrscheinlichste 
I Werte: Äquatorial Halbmesser «378283 m , Polarhalbmesser 
6 35« «80 m, Abplattung I 297,8 m. Nach den Untersuchungen 
und Berechnungen Helmerts erhalten wir: Äquatorialhalb 
niesser «378 035 m, Polarhalbmesser «35« 71 5 m. 



— Die Nguruberge, die etwa 100 bis 120 km westlich 
von Sadant, im äußersten Westen des Bezirkes Bagamojo 
(Deutsch-Ostafrika), liegen, haben 1904 und 1905 durch den 
Bezirksamtraann Spiet h eine sehr eingebende Aufnahme er- 
fahren. Das Ergebnis ist eine in Danekelmaus .Mitteilungen" 
1906, Heft 4 erschienene von H. Nobiling gezeichnete schöne 
.Karte des südlieben Teiles der Nguruberge* in 1:150000. 
Die Aufnahmen werden als sehr zuverlässig bezeichnet. Auch 
hat Spieth in dem tiebiete 50 Hohen gemessen. Die höchsten 
sind der Mabega (2110 m) und der Lussingisso (2050 m) west- 
lich von Mbonda; dazwischen liegt die größte Höhe des Ge- 
birges, die auf 2400 bis 2500 m geschätzt wird. Vom Bau 
und den HObenverhältnissen des Gebirges ist in dem Moiael- 
schen Begleitwort zu der Karte die Rede. 

— Der neue Vulkan auf Hawaii hat seine Tätigkeit 
fortgesetzt. Der Lavnstrom hat sich zum Teil ins Meer er- 
gossen , so daß die Küste ein etwa« verändertes Ausseheu 
erhalten hat. Am 5. September war der Ausfluß besonders 
stark, er füllte bei Satapulu einige Meeresliufon von «um 
aus, schuf Vorland, schloß die Meeresvinfnhrt zum größten 
Teil und walzte sich 400 in weit ulier die französische Misijons- 
stalion hinaus. Die lronboundküste von Asuisui bis zur fran- 
zosischen Missi..n«t»tion ist ein einzige« Lavsfeld. Am 13. Sep- 
tember wurde die Mündung de» Flusse* zugeschüttet , so daß 
dieser den Ort Satapulu überschwemmte und ein Warenhaus 
fortgerissen wurde, Am lö. September kam ein neuer Liiva- 
«troni von Mnh»-ln|o hei uud versperrte die Meereseinfahrt 
bei Satapulu güu'lich, so daß diese« , sowie die Orte Santa - 
laeulu und Patamea ihre Produkte nicht mehr verschiffen 
können. Der ganze Ort Satapulu ist verschüttet. Durch den 
Aschenregen werden die Bananen- und Brotfruchtbäume ver- 
nichtet; auch die Kokospalmen leiden stark. („Kolonialbl 
vom 15. Dez. l»o«.) 



Ve»«i,tweM)teK«r Be.l»kl»..T : II. Simll, Srh»ii»li.'Tg-B. rlm , lUi.rt.tr.. £*■ -.«. IWk: k"rie,l r. Vi««e* ... Solln. Nunwks^ 

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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VOLKERKUNDE 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER l'NTER BESONDERER MITWIRKUNG VON PRor. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR- VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 6. 



BRAUNSCHWEIG. 



7. Februar 1907. 



Na- hdrock nur nvli ITtxreiukunft mit itt Vrrlauthaoilluo« gMUtlrl. 



Die wirtschaftliche Entwickelung der Ugandabahn-Länder. 

Von Alfred Kaiser. 
(Fortsetzung.) 



Nach ungefähr zweistündiger Fahrt quer durch die 
Heservate der Wakikuyu führt um die Kahn an den 
Ostabhang des Grabeutales, des sog. Rift Valley. 
Kiknyu fällt hier steil ab in die Masaistoppe. Mit Flechten 
überwucherte Wacholder- und Podocarpusbäume sind die 
letzten Zuugen der kühlen Hocblnndzonc. Ks empfängt 
uns der duftende „Elelescho", dor erste Vorbote der 
wärmeren und trockeneren Grabentalsteppc. Je tiefer 
wir steigen, um bo dürrer und trostloser wird das ganze 
Florenbild. Kakt unähnliche Kandelaber- Kuphorbien, 
struppiges Krumm- 
holz und ein stau- 
biger Graglilz sind 
die sichersten Zei- 
chen des heran- 
uahendun Steppen- 
triumphes. Vor uns 
erhebt sich der 
„Ijongonof, ein 
einsamer Vulkan- 
kegel, dem Krater- 
berge einer Mond- 
landschaft ver- 
gleichbar , mit 
deutlich erkenn- 
barem Schlund- 
trichter und einem 
Mantel lftngst er- 
starrter Lava- 
atröme bedeckt 

Alle Anzeichen 
sprechen dafür, daß 
dieser Fleck der 
Krde schon seit 
grauester l'rzeit durch ein regenurmes Steppenklima 
beherrscht war. Niemals scheint der kleine Mensch 
über die gewaltige Macht dieser Steppuufaktoren trium- 
phiert zu haben. Wie gehetztes Wild haben vielleicht 
wandernde Urmenschen diese Steppe belebt, mit Dick- 
häutern und blutgierigen Raubtieren zusammen, wie der 
Masaijäger heute noch mit Klefanten und Nashörnern, 
Löwen uud Hyänen die weiten Gebiete durchzieht. Aus 
jenen Urmenschen ist vielleicht der orythräische Völker- 
kreis hervorgegangen, jener merkwürdige Menschenschlag, 
der, nicht Neger, nicht Weißer, im Morgenrot unserer 
Kulturentwickelung schon das nördliche Afrika und den 
südlichen Teil von Kuropa bewohnte und heute als 
(IMma XC3. Xr. n. 




Abb. i. Viehfarm des südafrikanischen Siedlers London am Ngare Kontra! 



Berber, Nubier, Masai usw. die Wüsten und Steppen des 
nordäquatorialen Afrika durchstreift. 

In diesem Länderstriche hat der Sturm nur Steppen- 
staub auf Steppenboden getragen, aber keinen Kultur- 
boden vernichtet und keine Kulturschöpfungen unter 
seinem schweigenden Sande begraben. Die Tierwelt, die 
wir heut« in der Musaisteppe treffen, ist im wesentlichen 
die gleiche, die in vorgeschichtlicher Zeit schon an diese 
Durst- und llungergebiutc sich augepaßt hatte. Akazien 
und Kuphorbien, Klelescho und Sanseviora haben wohl 

schon vor hundert 
Jahrtausenden auf 
diesem Roden ge- 
blüht. Den Masai, 
diesen unverfälsch- 
ten Wüstensöhnen, 
ist heute noch ein 
alter Barbarismus 
eigen , und wenn 
wir die wenigen 
Reste älterer Step- 
penbewohner ins 
Auge fassen, so 
sehen wir auch an 
diesen nur das Ab- 
bild einer äußerst 
niedrigen Kultur- 
stufe. 

Ein uraltes 
Kinorlei also. Nur 
in seinen feineren 
Details durch die 
Zeit und den Kin- 
griff des Menschen 
etwas verändert, sonst aber noch dieselbe kulturfeindliche 
Steppe, die schon der Ahne des alten Ägypters geschaut, 
die nach ihm den Herber vom Kultureinflusse seiner 
Nachbarvölker abgeschlossen, den Nubier und Masai in 
seinem ursprünglichen llarbariamus erhalten hat. 

Diese Steppe bleibt eine Steppe, auch wenn wir alle 
unsere Kräfte uud alle unsere Kunstgriffe gegen sie an- 
wenden. Wohl sehen wir von Zeit zu Zeit eine Well- 
blecbhütte über dem niedrigen Grase sich erheben, wohl 
wissen wir von dem Bestehen einer gouvernementalen 
Versuchsfarm am Moreudat River und von den Viehzucht - 
Projekten einiger Privatpersonen; am Bilde der Steppe 
ändert dies nichts. 

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Alfred Kaiser: Die wirtBchaf tlicho Kntwickelung der Ugandabahn-Läiider. 




Abb. »l. Fort Kldoiuu l Schimon!) mit Kucaljptus- Anlagen 



Die Morendatfarm ist eine Regierungsaulage «um 
Zwecke dur Viehzuchtverbesseruug. Als solch« bat sie 
natürlich mehr eine indirekte als direkte Bedeutung. 
Die Berichte, die von dieser Farm einlaufen, sind auch 
gar nicht danach, daß man auf große Krfolge rechnen 
möchte. Die künstliche Anzucht von Futterpflanzen 
wird durch den Mangel der Niederschlüge erschwert, 
und der Viehbestand bat nicht nur unter Huuger, sundarn 
viel mehr noch unter allerlei Seuchen und Krankheiten 
zu leiden. Wenn die Kinderpest, die früher Do furcht- 
bare Verbeerungszüge abgehalten, heute auch gänzlich 
verseh wunde ii ist, so wird die Zahl der Viehherden doch 
immer noch durch mancherlei Krankheiten bedroht. 
Tierische Parasiten und infektiöse Krkrankungen toten 
alljährlich einen großen Teil des Viehbestandes, und wie 
wir wissen, sind diese Krankheiten durchaus nicht allein 
auf die Herden der Morendatfarm beschränkt. 

Der Wandersinn ist keine ererbte Charaktereigen- 
schaft der Masai, sondern bedingt durch die wirtschaft- 
lichen Verhältnisse ihres Wohngebietes. Waren diese 
Verhältnisse günstiger, so 
hätten sich dio Masai niemals 
zu so ausgeprägten Nomaden 
entwickelt, und wäre es ihnen 
möglich, jeder einzelnen Fa- 
milie ihre bestimmten , eug- 
begrenzten Weideplätze an- 
zuweisen, so würden sie auch 
nicht in NU tu Urgemeinschaft 
ihre Herden durch die Steppe 
treiben. 

IHe Weidegründe des 
Grabentales sind aber von 
wechselnder Güte, und was 
in dieser Steppe einen be- 
sonders wichtigen Nachteil 
darstellt, das ist die große 
Unsicherheit der Nieder- 
schläge, die nicht nur ein 
regelmäßiges Grünen, son- 
dern sehr oft selbst das Be- 
treiben der ohnehin sehr spär- 
lich verteilten Tränkeplätze 



vereitelt- In diesen von der 
Natur des Steppenklimas be- 
dingten Nachteilen liegen Ge- 
fahren , die auch den Siedler 
treffen können und die Auf- 
teilung des Landes in be- 
schränkte Pachtgebiete, wie sie 
leider schon eingeführt ist, zu 
einer ungenügend überlegten 
Maßnahme der Regierung stem- 
peln. 

Dem europäischen Farmer 
liegen aber noch andere Schwie- 
rigkeiten im Wege. Das Vieh 
der Eingeborenen ist klein und 
Hehr milcharm, und die Schafe 
liefern selbstverständlich keine 
Wolle. l'm bessere Rassen 
heranzuzücbten , muß daher 
entweder eine langsame Kein- 
zucht der vorhandenen Schläge 
oder eine Kreuzung derselben 
mit fremden Kassen vorgenom- 
men werden. Ein dritter Weg 
zur Lösung der schwierigen 
Viehzuchtfrage wäre endlich 
noch diu Einführung und ReinzQchtung fremder Rassen 
ohne Berücksichtigung der einheimischen Schläge. Die 
Einführung guten Fremdviehes kostet aber sehr viel 
Geld, denn in der Nähe von Britisch-Ostafrika gibt es 
kein einziges Land, das einen bedeutend besseren Vieh- 
schlag liefern könnte, als wir ihn in den Herden der Masai 
sehen. Bei Zufuhr von europäischem oder australischem 
Vieh sind schon die Transportkosten so enorm, daß ein 
nicht mit sehr großem Betriebskapital ausgerüsteter 
Farmer nur ganz kleine Herden, einige Dutzend Schafe 
und Ziegen und einige Stück Großvieh, einführen könnte. 
Dazu kommt die Gefahr des Seetransportes, die bei einem 
Viehbezug« aus England oder Australien gar keine ge- 
ringe ist, die große Gefahr der Akklimatisation und 
schließlich noch dos Risiko, daß die Nachzucht der ein- 
geführten und eingewöhnten Schläge unter dem andau- 
ernden Einllusse uugünstiger Klima- und Weideverhält- 
nisse nach und nach ihre wertvollen Eigenschaften ver- 
liert. Auch der Einführung fremder Zuchttiere zur 
Kreuzung mit dem einheimischen Vieh stehen große 




Abb. s. Eltreyo-Gehlet. 
Lager am Snninhullo, an der Frenze zwischen Hochwald and Grasland. 

Auf Jen» Abhang, «o »Ii* Zrlle itebrn. Hunlrrt« von F.HftrliH-Hllirla. 



Digitized by G 



Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Entwiekelung der I7gandabahn-Länder. 



H7 



Schwierigkeiten entgegen. Neben den hohen Transport- 
kosten und der Akklimatisationsgefahr kommt in diesem 
Falle die Möglichkeit eines Ruckschlages der Nachzucht 
um so eher in Betracht, als es »ich lici der Kreuzung 
oftmals um phylogenetisch verscbiedenaltrige Kassen 
handelt und bei diesen das minderwertige afrikanische 
Element gerade die altere und daher in den Bastarden 
am meisten zum Auadrucke kommende Rasse darstellt. 

Dafi die Tom Gouvernement 
unterhaltene Viehfarm Morendat 
der Beantwortung der Viehzucht- 
fragen sich widmet, ist sehr an- 
erkennenswert. Auf ihre bis dahin 
gemachten Erfahrungen hin aber 
heute schon ein größeres Versuchs- 
kapital zu wagen, ist jedem Sied- 
ler, wenn er mit einem derartigen 
Unternehmen nicht andere Zwecke 
verfolgt, entschieden abzuraten. 
Die Regierung ist wobl in der Lage 
und vom kolouialwirUchaftlichen 
Standpunkte aiiB sogar verpflich- 
tet, eine größere Anzahl fremder 
Rassetiere hier einzuführen; wenn 
der Siedler die« aber tut, so riskirt 
er bei einem solchen Vorgehen zu 
sehr den Verlust seines Betriebs- 
kapitales. Unter der Heranziehung 
besonderB erfahrener und gut be- 
zahlter Viehzüchter wird es der 
Regierung ohne Zweifel auch ge- 
lingen, allmählich bessere Resultate 
su erzielen und in weuigeu Jahren 
eine definitive Beantwortung der 
Viehzuchtfrage dem Siedler vor- 
legen zu können. Ein gleiches 
wird vielleicht auch der Fall sein 
bei den beiden kapitalkräftigen 
Großfarmern , die im Grahentale 
Weideplätze erworben uud schon 
sehr erhebliche Viehstände (be- 
sonders Schafe) aus dein Auslände 
eingeführt haben. Größere Schwie- 
rigkeiten erwachsen aber dann 
wieder, wenn die Herden sich meh- 
ren und zu einem produktiven 
Kapital werden sollen. Di*nn kann 
man den Tieren nicht mehr die- 
selbe Pflege angedeihen lassen, und 
die ungenügend überwachte Rein- 
zucht und Kreuzung wird allmäh- 
lich wieder zu einem rückgeschrit- 
tenen Rassenelement führen. 

Wie ganz anders steht es aber 
erst bei den Kleinfarmeru, die nur 
über sehr geringe Geldmittel ver- 
fügen und daher keine großen 

Auslagen für die Reschaflung von gutem Zuchtvieh 
machen können. Sie sind gewöhnlich keine gelernte 
Viehzüchter und können zur Wartung und Überwachung 
ihrer Herden nur den unzuverlässigen Eingeborenen ver- 
wenden. 

Schauen wir uns zur Beleuchtung dieser Krage ein- 
mal auf. einer solchen Kleinfarm um. Das Unternehmen 
liegt am Ngare Kongui ( Abb. 5) in einer verhültuismäßig 
guten Weidegegend der Maaaisteppo. Eine Lehmhütte, 
schlechter, wie ein Küstenueger sie bewohnt, bildet das 
Wohnhaus des Farmers. Für ein krankes Kalb ist 
nebenan ein kleinerer Raum gebaut, dunkel, unrein und 



muffig wie eine altägyptische Felnenhöhle. In der Nacht 
wird dieser Stall hermetisch verschlossen, damit keine 
Hyäne uud kein Löwe das arme leidende Tierchen von 
seinem Elend erlöse. Ein schwarzer Gehilfe wärmt einen 
Topf voll Erde über dem Feuer, diese Erde soll eine 
künstliche llrutanstalt ersetzen, nus der man zehn 
Straußenkücken erwartet. Zwei Strauße, die in der 
Nähe weiden, sind aber nicht etwa die Rabeneltern dieser 




Abb. 7. Podocarpus- und Junlperus-Iluchwald bei Schluionl, 
von Lianen durchwachsen. 

verlassenen Eier, sondern ein wildes Paar, das gar nicht 
zur Farm gehört und in nächster Zeit wohl unter den 
Kugeln eines vorbeikommenden Jägers vureuden wird. 
Neben den Gebäudeanlagen, zu denen auch noch eine 
Eingeboronenhütte zu rechnen ist, befindet sich eine sog. 
Seriba, ein Dornen verschlag zum Schutze der Herden 
vor nächtlichen Raubtieren und Diebereien der Masai. 
Eine 50 Köpfe zählende Rinderherde und ein kleiner 
Bestand von Masai-Schafen bilden den ganzen Vieh- 
bestand, von europäischen oder australischen Zuchttieren 
natürlich keiue Rede. Bei der Farm fließt ein Bach 
vorbei, der zurzeit etwa 70 Liter Wasser in der Sekunde 

12» 



Alfred Kaiser: Die wirtsckaf tlioh« Entwickelung der Ugaudahuhn- Länder. 



Abb. ». 



liefert, gegen Knde der Trockenzeit aber in »einen Stenden 
viel spärlicher «ein wird. Also ein Bftchlein, das unter 
der Voraussetzung eine« jährlichen Niederschlagsmaße* 
von etwa 3150 mm unter normalen Verhältnissen dazu 
hinreichte, etwa 70 ha Ackerboden zu bewässern! Aber 
dieses Bächlein fließt im Grabentale. unter dor brennen- 
den Sonne des Äquators und in einein Steppengebiete 
mit nur etwu 1 200 mm Nieder- 
schlägen! Der Farmer hat da« Ge- 
wussur zur Berieselung einer kleinen 
Ackerfläche yerwendet, auf der die 
GemQao für seine Küche und ein 
kleiner Futtervorrat für die Vieh- 
herde gedeihen sollen. Per Ertrag 
aus dem (reniüsegarten mag bei 
guter Pflege für den Unterhalt 
dieses einzelnen , unverheirateten 
Farmers gerade genügen, mit dem 
Viehfutter »teilt es aber sehr Übel. 
Einige Putzend meterweit vonein- 
ander gopflanzte Maisrohre, vor 
der Reife schon durch Maulwurfs- 
grillen an der Wurzel abgenagt, 
ein von Raupen zerfressenes kleines 
Matammah-Feld und ein Mobilen- 
beet, das iat alle*, was wir an ge- 
pflanzten Futtergewüchscn hier entdecken können. Mir 
schien es vorteilhafter, wenn die Zeit, die auf ein sol- 
ches Ackerfeld verwendet wird , dazu gebraucht würde, 
um von den vielen Akazien, die hier wachsen, dio Blätter 
abzuschlagen und die«e dem Vieh zur StBllfütterung vor- 
zulegen. 

Wir sind weit abgeschweift von der l'gandababnlinie. 
Die Kleinfarm, von der ich gesprochen, liegt etwa J."> km 
von der Station Nakurro entfernt am alten Kuruwanen- 
wego, dor von Mombassa über Kldoma-Ravine, Nandi 
undMumin an 
den Viktoria- 
see hinführte. 
Sind wir nun 
aber einmal 
du , ao mar- 
schieren wir 
gleich weiter 
nachderWest- 
mauer des 

(irabcntales, 
dem I, sinde, 
wo die Zio- 
nistun für die 

ausgewiese- 
nen Juden ein 
neues Heim 
zu gründen 
dachten. 

Wirpassie- 
m nach dem 
Ngare Rougai 

oine zweit* Farm, nicht besser als die vorige und daher 
keiner weiteren Schilderung wert. Die Sonne brennt 
mächtig, bei der hohen Seehöhe, in der wir uns ttefinden 
(etwa 1700m), ist die Hitze aber sehr erträglich, und wir 
machen mit Leichtigkeit Tagemärsche von 30 km Länge, 
auch wenn dabei lehr bedeutende Stoigungeu zu über- 
winden sind. Schon bei Rldoma, in etwu 2000 m See- 
höhe, ist das Klima so vorzüglich, daß der Europäer 
nicht im mindesten darunter zu leiden hat und wie auf 
dem Kikuyu- Plateau (17O0 bis 2200 in) in dieser Be- 
ziehung ohne <>«fahr sich ansiedeln könnte. 




Senecioart aof dem Guasso 
Vglsrhn-Hochlande. 




Abb. 11. Akazientialn am Überlauf der Nsola 



/ahlreiches und gut genährtes Groß- und Kleinvieh 
der Maueria-Masai ist beiderseits unseres Weges bemerk- 
bar. Die Leute, die wir hier zu Gesichte bekommen, 
gehören zum Guasso Ngischuvolke, einem Masai- 
»U in nie, der lange Zeit das Hochland zwischen der West- 
rampe des Grabentales und dem Kawirondogebiete be- 
wohnte, dann aber von den Naiwascha-Masai ausgeruubt 
und in den Schutz der Militär- 
station Kldoma verschlagen wurde. 
Im Gegensatze zu ihren Verwandten 
and Bedrängern am Naiwaschasee 
sind sie noch wenig von der Kultur 
beleckt, wenn manche ihrer Frauen 
sich auch sehr stark an den Ver- 
kehr mit Küstennegern und Suda- 
nesen, die hier in Garnison stehen, 
gewöhnt haben. 

Wie ich in einer früheren Ar- 
beit ') schon angedeutet hal>e, halte 
ich diese Guasso Ngischu - Masai 
nicht für echte Nomaden, sondern 
für Halbnomaden , die an günstig 
gelegenen Stellen ihres alten Wohn- 
gebietes kleine Acker bestellten, 
daneben aber hauptsächlich mit 
Viehzucht sich beschäftigten. El- 
doma ist für deu Ackurbau ungeeignet, denn das mitt- 
lere Mal! der jährlichen Niederschläge dürfte 1400 mm 
nicht überschreiten, und der Kldoma River, das einzige 
Gewässer auf weite Entfernung, ist noch unbedeutender 
als der Ngare Rongai, den wir eben kennen lernten. Die 
Masai sind hier denn auch Hirten und zwar wandernde 
Hirten auf einem weiten, relativ weidenreichen Boden- 
areal. Sie treiben ihre Herden in die (irabentalebene, 
auf die buschreichen Vorberge des westlichen Plateau- 
gehänges und auf die Waldlichtungen der höheren Hoch- 
landzonen. 
Für den euro- 
päischen 
Siedlor, so 
schön und 
gut das Klima 
hierauch »ein 
mag, ist die 
Gegend aber 

belanglos, 
wenn er nicht 
nach Masai- 
oder Buren- 
art zu einem 

Nomaden- 
leben sich 
entschließt. 
Wohl sehen 
wir um das 
Fort Eldoma 
herum einige 
Baumalleen 

(Abb. ti), die auf die Möglichkeit weiterer Kultur- 
anlagen hinzudeuten scheinen. Man täusche sich beim 
Anblicke solcher landwirtschaftlicher Scherzprodukt o 
aber nicht und sei sich immer bewußt, daß die Pflanzen, 
die wir hier gedeihen sehen, eine Auslese Trocken- 
heit liebender Blattgewächse darstellen und , in ihrer 
Jugend wenigstens, von den arbeitslosen Soldaten «ine 
sehr sorgfältige Pflege genossen haben. Die Eucalyptus- 

') Rasaeiibiolngische IMrachtungeu über das Masaivolk. 
Archiv für K»*»eri- innl (leselltchafubiologie, 190«. 



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Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Entwickclung dur Cgandabahn-Landor. 



bäume, die nun mit 15 ui hoben Stämmen das Fort 
aberragen , haben wir auch bei Nairobi geliehen , in 
einem Klima, da« für den Ackerbau wenig Chancen 
bietet. (Ich spreche hier von den Kucalyptusanlagen 
in der Stadt Nairobi and nicht von der fruchtbareren 
Umgebung dienen Ortts.) Diene Bäume leiden auch hei 
Kidoma in hohem Maße unter den starken Winden und 
sind zudem durch Terruiteufraß so sehr angegriffen, daß 
binnen wenigen Jahren eine ganze Anzahl ihr Wachstum 
beschließen wird. 

Kidoma verlassend, kommen wir in das Waldland 
von KammasBia, in den sog. „Ndim" oder „Oltniranet", 
wie die Masai diesen auf der (irabentalrampe sich er- 
streckenden Podocarpus- und Juniperuswald nennen 
(Abb. 7). Der Pfad sucht alle Lichtungen auf und 
schlängelt sich unter schattigen Lianendächern , über 
sumpfige Talniederungen, grasbestandene Anhöhen und 



merkbar, im Walde keine Elefanten, im Sumpfe keine 
Büffel und auf den Grasflächen nur äußerst gelten ein 
kleines Antilopenrudel. Vom Winde zerstörte Termiten- 
hügel und verlassene Knihöhlen einer .Säugerart (von 
den Masai werden die Höhlen Engumodo, das Tier 
Olbibirr genannt) bestimmen das Landscbuftsbild, und 
der Führer bedeutet uns, daß wir nunmehr Elgeyo- 
gebiet betreten haben (Abb. 8). 

Das Klima ist hier noch angenehmer wie im Wald- 
lande von Kammassia. Die Minderwertigkeit in bezug 
auf einen Siedelnngsverauch macht sich aber auch hier 
geltend, und zwar in noch höherem Maße als auf dem 
Kummassia-Escarpment. Auch hier liegt die Schwierig- 
keit im Mangel genügender Niederschläge, der sich für 
den einigermaßen bewanderten Forscher in dem Xero- 
phytentypus der wildwachsenden Gewächse kundgibt. 
Die Nähe des Kammassiawaldes und in geringem Maße 




Abb. tu. Hlrgolbcrg. 

/.wischen Hambusbaliuen hindurch bergauf, bergab, in 
buntem Bilderwechsel. Aus dem Grasfilze, oft schon so 
dürr, daß jedes weggeworfene Streichholz einen ver- 
beerenden Brand erzeugen kann, winken uns heimatliche 
Bekannte entgegen, ein weißer Köpfchenklee, eine dunkel- 
blaue Veronika, Wicken und Strohblumen. Sie alle 
schützen sich im Schatten des hohen Grases vor den 
brennenden Strahlen der Äriuatorsoune. Unter die 
graugrünen Flechtenbärte der Waldbäume mischen Bich 
ziegelbrauno Mistelnester, feuerrote Loranthushlüten und 
fruehtschwere Klettorzwcige einer Brombeerenart. An 
blühenden Akazien und an einer blauen Labiate (von 
den Masai Osedian genannt) heimsen wilde Bienen den 
Nektar ein, und lautlos (liegen kleine Falterzüge über 
die Waldlichtungen hin. Hier und da sieht man noch 
eine Rinderherde vou scheuen Katnmaasiahirten auf die 
Weide getrieben und bei unserer Annäherung im Busche 
sieb versteckend. Daun aber wird es stiller und menschen- 
leer. In den Baumwipfeln nur machen sich einige 
GnerezzaafTen und der nirgeuds fehlende Hclmvogol bo- 

Glolm« XCI. Nr. Ii. 



tiuasso NpriscIiH-l'lateau. 

die Waldbedeckung des Klgeyogebietes selbst verursachen 
zwar sehr häufige Morgennebel und einen zeitweise ziem- 
lich hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft, zu bedeutenden 
Niederschlägen aber kommt es nur sehr selten, und die 
höhere Pflanzenwelt, die doch vornehmlich an das Vor- 
handensein von Bodenfeuchtigkeit gebuudon ist, findet 
in dieser Zone daher nur dann ihr Fortkommen, wenn 
die einzelnen Arten an ein Trockenleben sich angepaßt, 
durch wunderbare Saugvorrichtungen sich die minimalsten 
Lösungen zunutze ziehen, durch Schutzeinrichtungen 
vor einer allzugroßen oberflächlichen Wussurabgabe und 
durch Heservestoffuuhäufungen sich vor dem Hunger zu 
schützen in der Lage sind. Aus diesem Grunde finden 
wir auf dem Elgeyo-Kscarpment so manche Pflanze mit 
typischen Luftwurzeln, reduzierten Blattgebilden (Abb. 9) 
und großen Zwiebelbildungen. Bei unseren Kultur- 
pflanzen sind derartige Anpassungen an eine geringe 
Bodenfeuchtigkeit nur in sehr beschränktem Maße vor- 
handen. Ks dürfte daher große Schwierigkeiten verur- 
i sachen, auf diesem Hochlande, das allem Anscheine nach 

13 



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90 



Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche E 



tttwickelung der Uga n ilahahn - Länder. 



weniger Hegen empfängt als das Kikuyuplateau , und 
durch heftigere Windströmungen und einen bedeutend 
höheren Insolationsgrad in Deinem ökologischen Wert« 
geschmälert wird , ertragreiche Kulturgewächse anzu- 
pflanzen. Mit dem Phrasen kram eines ungebildeten 
Kolonialschwärmers ist da nicht» getan, sondern nur 
vorsichtige Erteile und langjährige Versuchsreihen können 
über die Kolonisationsfähigkeit eines derartigen Gebietes 
uns Aufschluß gelten. So absurd es ist, von einem sol- 
chen Hellseher die Behauptung zu vernehmen, daß der 
Waldstreifen de» Elgeyo-Escarpment — nebenbei bemerkt 
in seiner kürzesten Entfernung über 50 km von der 
Ugaudahahnlinie und etwa S.K) km von der Küste ab- 
gelegen — einstmals eine Holzausfuhr nnch Europa oder 
Südafrika aufweisen werde, so unüberlegt und unverant- 
wortlich ist aucb die Behauptung, daß dieses Gebiet sich 
je zu einem intensiveren und ertragreichen Ackerbau 
eignen werde. Wenn Siedler sich im Elgeyolande nieder- 
lassen, bo werden sie froh sein müssen, wenn nie den 
Eingeborenen gleich im Bereiche einiger wenigen peren- 
uierenden Gewässer ihre Feldfrüchte in einer Art Garten- 



über die Ebene prasselt und ein darauffolgender Hegen 
dann eine neue Pflanzengeneration erweckt. Die Masai 
nennen solche dürre Grasfl&chen „OssAdje", und sie wissen 
wohl, daß sie für ihre Viehherden auch dann keinen Wert 
haben , wenn die Regen unter dem Filze neue Halm- 
sprößlinge und Samenkeimlinge erweckt haben. Sie 
brennen sie daher nieder, wenn sie ihre Horden auf sie 
treiben wolleu. Monatelang, js sogar jahrelang bleibt 
eine solche Brandflur unter Entstünden aber von Regen- 
schauern gemieden, und aus der Asche, „Embunua", 
keimt auch nicht die Spur eines jungen Grassprosses. 
Erst muß ein gewaltiger Regen niedergehen, der die vom 
trockenen Steppenstaube begrabenen Samen befeuchtet 
und die Fläche dann in die wertvolle grünende Grasflur. 
„Embedjoto", den beliebten Tummelplatz des zahlreichen 
Wildes, verwandelt. Dann erst treibt der Steppennomade 
auch seine Herden auf die frische Weide. Aber selbst 
jetzt ist es nicht sicher, daß das Vieh hier »eine genügende 
Nahrung findet. Ich bin über Flächen marschiert, diu 
auf mehrere Wegstunden hin von der Raupe einer Gras- 
eule vollkommen kahlgefressen waren, und wo der l'nrat 




Abb. 12. Alte Befestigung (Moguan) In der Slrgol-Ebene. 



bau gewinnen können, ähnlich den Siedlern im Graben- 
tale und entsprechend dem Siedelungsunternehnien der 
Buren am Mossigioibaehe. 

Elgeyoland haben wir in wenigen Stunden durchquert, 
und wir ziehen nun seiner Westgrenze entlang noch 
einige Tagereisen weiter nach Norden, um das „Promisud 
Land" der Zionisten, das Guasso Ngischuplateau, 
kennen zu lernen. 

Der Vogotationscharakter winl hier nicht mehr durch 
Wald und Husch, Grasnarben und Sümpfe, Bergrücken 
und tiefe Talschluchten bestimmt, sondern durch eine 
auf viele Meilen hin ununterbrochene Grasflur, eine 

relief:irtue, langnui gagas bwirands bis ■bfnUandi 

Hochebene. Ein einziger Granithorst, die Sirgoi-Kuppe 
(Abb. 10), Aberragt diese weite Savanne. Er stellt den 
Zeugen eine» fast vollkommen abgetragenen alten Massen- 
gebirgeB dar, daB vor der Ausbreitung der mächtigen 
I'houolith-Ergüsse, die dieses Plateau kennzeichnen, 
vielleicht noch mit Gletsrhern hedeckt war. Nur auf 
ganz kurze Strecken hin werden die au* dem Elgeyo- 
walde hervortretenden seltenen Idichlein durch ein 
schmales Band von Galeriewald begleitet. Die Grasflur 
ist im allgemeinen ein dichter, bis an die Hüften reichen- 
der Campinentilz, jahrelang grau, bis ein Suvannenbrand 



dieses Insektes in fingerdicken Lagen den Boden be- 
deckt«. An anderen Stellen des Guasso Ngischu-Hoch- 
landes haben ungeheure Schwärme der Wanderheuschrecke 
den jungen Pflanzen wuchs zerstört, und unzweifelhaft 
wäre ltei genauerer Cntersuchung noch eine große Zahl 
anderer Schädlinge zu entdecken. Das Gesagte genüge 
aber, um die optimistischen Hoffnungen eines überall 
nur Gutes und Brauchbares sehenden Reisenden uns nicht 
zu eigen zu machen und der Beurteilung dieses zionisti- 
schen „Gelobten Landes" eine besondere Sorgfalt ange- 
rleiheu zu lassen. 

Selbst weit im Norden des Guasso Ngischu-Plateaus, 
beim Oberläufe des Neoin River, 100 km von der Fgauda- 
bahn entfernt, nimmt die Grassavanne noch eine vor- 
herrschende Stellung im Vegetationscharakter eilt. Wäh- 
rend wir im Süden, in den Bog. „I.angata-la-niuki" 
(in der „roten Ebene"), nur kleine Rinnsale von U bis 
15 m Breite und 20 bis 60 cm Tiefe zu durchqueren 
hatten (allerdings so selten, daß man nur alle vier bis 
sieben Stunden an ein sulcb.es WttMt k.in: I. fließt hier 
die Nsoia, der größte Fluß des Guasso Ngisrhu-Hoch- 
landes, durch die Savanne (Abb. 11). Bei einer Vereini- 
gung mit dem Ennologerru (Guasso Ollogerru), uördlich 
der Eldalatkuppeu, bat aber auch dieses Gewässer nur 



91 




Abb. 14. Sirgolsee, ausgetrocknet. 

etwa 15 m Breite bei 1 9 bU 3 m Tiefe und eiuer äußeret 
langsamen Strömung. Daß man im Hereiche dieses 
Mut««» etwas Ackerbau treiben könnte, liegt klar auf 
der Hand, ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, daß 
der Wasserspiegel dieses Flusses zur Trockenzeit 3 bis 
4 in unter dem Fuldbauuiveau liegt, \ind daß Nieder- 
schläge hier in dieser westlichen Zone des Hochlandes 
noch riel seltener sind als am Kande des Elgeyo-Escarp- 
nientB. Als Keldfrüchte kamen auf dem Guasso Ngischu- 
Plateau wohl hauptsächlich Bohnen und Kartoffeln in 
Betracht, ihre Kultur müßte sich aber natürlich nur auf 
die Produktion für den Selbst verbrauch beschranken, 
und an einen Export irgendwelcher AckerbauerzeugnisBo 
wäre hier niemals zu denken. 

Viel aussichtsvoller würde sich für den Siedler der 
Betrieb der Viehzucht gestalten. Die älteren Bewohner 
dieses Hochlandes and auch die später von hier vertrie- 
benen Masai waren nicht nur Ackerbauer, sondern sicher- 
lich auch Viehzüchter. Sie haben Ackerbau nur nebenbei 
botrieben, in früheren Jahren etwas mehr, später dann 
weniger. Ihre WobnphUze, von den Masai Moguan ge- 
nannt, findet man beute noch als große muldenförmige 
und von mannshohen Steinwällen umgebene Vertiefungen 
auf dem Guasso Ngischu- Plateau. Man erkennt diose 
Stellen schon aus großer Ferne an den in der Vertiefung 
angesiedelten Str&uchern, dio als Buachparzellen aus 
dem grauen Grasteppich sich erheben (Abb. 12). 
Die Steinwille sind als Schutz vor wilden Tieren 
und nicht zum wenigsten wohl auch gegen Einfälle 
fremder Volksstftmtue aufgeführt worden. Mancher- 
orts scheinen sie auch Gräberstellen zu bezeichnen, 
wie die Tuareg-Couchet« in der Sahara. Wenn man 
dio unabsehbaren Grassavannen der Eangata-la-niuki 
und die weiter nördlich sich findenden Buschsteppen 
und Parklandschnften durchwandert, so wird man 
keine Zweifel daran hegen , daß diese Gebiete der 
Viehzucht äußerst günstige Bodenflächen darstellen 
(Abb. 13). In diesem Glauben werden wir noch 
bestärkt durch die zahlreichen abflußlosen Mulden- 
vertiufungen, in denen sich saure Gräser angesiedelt 
oder periodisch trockene Salzlecken sich gebildet 
haben. Dem weidenden Vieh bieten solche Stellen 
einen äußerst wertvollen Nahrungswechsel, und die 
Masai bleiben, solange es die Wasserverhiltnisse 
erlauben, in der Nähe dieser „Sauerfelder". Ein 
den Masai noch sehr wohl bekanntes Sauerfeld 
dieser Art zeigt Abbildung 14, das ausgetrocknet« 
Seebecken Sirgoi. 

Die Zutoilung von kleinen, nur etwa 1000 bis 
5000 ha großen , in sich abgeschlossenen Weide- 
fiächen an die Siedler wäre aber sehr unzweckmäßig, 
denn solche Areale, so groß sie uns auch erscheinen 



mögen, sind doch immer noch viel 
zu klein, als daß sie nicht in ihrer 
Ges&mtausdehnung den in Afrika 
so häutig wiederkehrenden Dürren 
und Hungerporioden anheim fielen. 
Unter normalen Verhältnissen darf 
mau auf dem Guasso Ngischu- 
Pluteau für die Ernährung eines 
Rindes wohl etwa 50 ha Weide- 
fläche rechnen, doch gibt es hier 
Distrikte, die in trockenen Jahren 
einen noch viel geringeren Nähr- 
wert aufweisen. Es ist. aber nicht 
nur die Ausdehnung der Weide- 
fiäche, sondern auch das Vorhan- 
densein hinreichender und nicht 
allzuweit voneinander abgelegener 
Trftnkeplätze zu berücksichtigen. Wasserläufe sind auf dem 
GuaBso Ngischu-l'lateau sehr selten, and einem Weideareal 
von 10(K) bis 5000 ha Fläche stände in den meisten Fallen 
nur eine oinzige Wasserlinie zur Verfügung. Da man von 
den als Tränkeplätze in Betracht kommenden Wasser- 
lfiufeu aus das Weideareal nicht beliebig weit nach der 
wasserlosen Richtung ausdehnen darf, und das weidende 
Vieh pro Tag höchstens 6 km zurücklegen soll , um die 
Tränke zu erreichen, so müßten sich die Weideflächen 
in ihrer Hauptausdehnung den Gewässern entlang ziehen. 
Es könuton dadurch große Hachen, d. h. }/ t bis Vi des 
gesamten Guasso Ngischu-Gebietes Uberhaupt nicht zu- 
nutze gezogen werden. Die trockeneren Gebiete sind 
gewöhnlich aber gerade diejenigen , die periodisch die 
besten Weideplätze in sich bergen. Weil ubpr kein 
Siedler auf sie Anspruch machen wird, wenn ihm nur 
1000 bis 5000 ha Boden zugesprochen werden, so können 
bei einem derartigen Wirtschaftssystem nur die relativ 
häufig brauchbaren, aber etwas minderwertigen Weiden 
zur Ausnutzung gelangen. 

Ganz anders könnte sich die Viehzucht entwickeln, 
wenn ein größeres Gebiet als Gemeingut eiuer Genossen- 
schaft betrachtet würde. Die Weidetlächen könnten dann 
so ausgenutzt werden, wie es die natürlichen Verhältnisse 
mit sich bringen. Auf einem Areal, das in nicht aus- 
nahmsweise guten Jahren nur für etwa 100 Kinder die 




Abb. IS. Wandernde Masai. 

Kin'lrr uuJ Ctcl mit HUltenljnumat*rl;i1 und Schilden M»d»n. 

13« 



Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Entwicklung der IJgan il aba h n - La u de r. 



Gewahr einer ungestörten Entwicklung leinten könnte, 
wäre dann die doppelte und dreifache Zahl von Tieren 
unterzubringen. Ks könnten dünn jene „Suuerfelder" 
in Bewirtschaftung kommen, die unter dem System 
einer weitgehenden Bodenparzellierung und Einzelwirt- 
schaft niemals zur Benutzung herangezogen würden. 
Do« Vieh hätte unter einem solchen GenosseuschafU- 
prinzip vi. ] weniger zu leiden, denn es wäre nur perio- 
disch zur Wanderung gezwungen, es müßte nicht die 
weiten Wcgo zu den Träukeplstzcn zurücklegen und 
wäre durch freiere Bewegung in viel höherem Maße von 
den ■Seuchen verschont, als dies durch Absperrungstuaß- 
regeln zu erreichen ist. 

Wenn es sich nicht am die Flucht vor Viehseuchen 
hnudelt oder kriegerische Ereignisse zu Eilmärschen 
drängen, so geht die Wanderung der Masai eigentlich 
sehr langsam vor sieb. Am frühen Morgen werden die 
Kühe und Ochsen vom alten Lagerplatze weggetrieben, 
dann folgt das Kleinvieh und zuletzt die jungen und 
kranken Tiere, die am neuen Lager durch die inzwischen 
wieder gustärkten Tiere und eingesammelte Futtervorräte 



eingewöhnte Masai-Vieh. Der Milchertrag der besten 
ostafrikanischeo Rinderrasse übersteigt drei Liter im 
Durchschnitt nie. Wenn man Wollschafe einzuführen 
denkt, so muß man darauf bedacht sein, daß die Lang- 
buarigkeit nur eine Anpassung an das Klima ist, und 
daß diese Eigenschaft trotz der sorgfältigsten Zuchtwahl 
wohl nach wenigen Generationen wieder latent werden 
wird. In den Kreuzungsprodukten von europäischen 
mit eingeborenen Viebrasaen liegt die Gefahr einer ge- 
ringeren Widerstandsfähigkeit gegen mancherlei Krank- 
heiten. Die Klimaverbültnisse des Guasso Ngiscbu-Hoch- 
1. unle8, so günstig sie auch auf den Menschen einwirken, 
sind nicht derart, daß das Vieh nicht sehr darunter zu 
leiden hätte. Man muß die Masai selbst sehen, um zu 
erkennen, wie sehr sie gegen die großen Temperatur- 
Schwankungen gestählt sind, und um zu begreifen, wie 
gut auch ihr Vieh an diese Verbältnisse angepaßt ist. 
Fremdes Vieh, und namentlich europäische Tiere, die 
niemals solche Temperaturschwankungen zu ortragen 
haben, würden sich an die (iuasso Ngischn-Verh&ltnisse 
viel schwerer gewöhnen als die wetterfesten Masai- 




Abb. 1». ilelnvlehwelde Im Norden des (Jnasso Nglschu-Hurhlandes. 



wieder in bessere Verhältnisse gebracht werden (Abb. 15). 
Nach einem oder zwei Marschtagnn ist die Wanderung 
gewöhnlich beendet, oder sie findet durch eine kurze 
Rast eine l'nterbrechung. I m auf den neu besetzten 
Lagerplätzen den Tieren möglichst große Weideflächen 
zu bieten, werden die Herden in einzelne I •nippen auf- 
gelöst und jede für sieb von besonderen Hirten beauf- 
sichtigt. 

Das Wundern ist nur dann mit großen Strapazen 
verbunden, wenn Seuchen ausgebrochen sind und die 
Masai in wilder Flucht die Beste ihrer Herden auf ent- 
ferntere Gründe zu treiben versuchen. Dann gehen 
Huuderle von Tieren an den Strapazen des langen Mar- 
sches zugrunde. Dieser Übelstand konnte von einer 
gut geleiteten und verständnisvollen (ienossenschaft aber 
beseitigt werden, indem sie die von der Seuche befallenen 
Tiere rechtzeitig aus der Herde entfernte und durch 
prophylaktische Impfungen ihren Viehstand zu immuni- 
sieren versuchte. 

Noch viel schwieriger und kostspieliger wie im (iraben- 
tale wird auf dem Guasso Ngisehu-Plnteau die Einfüliruiik' 
fremder Viehrassen sich gestalten. Tiere aus der Niede- 
rung gehen in dem rauhen Hochlandklima an Erkäl- 
tungen zugrunde und sie sind, soweit es sich um ost- 
ufrikauische Rassen handelte, nicht wertvoller als das 



Rinder, die früher auf diesen Höhen tatsächlich auch 
geweidet haben. Zweifelsohne würde es für die Neu- 
siedler daher nur darauf ankommen, durch Einführung 
von Masaivieb und eine damit verbundene allmähliche 
Veredelung sieb einen Viehataud zu beschaffen, der an 
die eigenartigen Klima- und Nahrungsverhältnisso des 
Guasso Ngischu-Landes angepaßt ist und durch Hebung 
seiner Ertragseigenscbaften ihm zugleich ein genügend 
hohes Einkommen sichert. 

I'nter der Voraussetzung, daß Siedler sich auf dem 
Guasso Ngischu- Plateau niederlassen und durch Genossen- 
schaftsbetrieb die Gesamtfläche dieses Hochlandes zu 
bewirtschaften in der Lage sind, wird die Viehzucht 
hier gauz sicher Boden fassen. Ihre Bedeutung wird 
eine um so größere werden, als für Rinder der Absatz 
ziemlich unbeschränkt ist und gut genährte Tiere im 
Preise eher noch steigen werden. In Nairobi, das von 
sehr produktiven Viehzuchtgebieten umgeben ist, werden 
gegenwärtig für Kühe 100 bis 135 M. bezahlt, für Kälber- 
kühe 90 bis 170 M.. für Schlaehtochsen 40 bis 46 M. und 
für Zugochsen b"7 bis ."nM. Ein Pfund Rindfleisch kostet 
auf dem Nairobi-Markte 1,3 M. 

Schafe dürften ebenfalls als Fleischtiere zu züchten 
sein, wenn das den Absatzgebieten näher gelegene Rift 
Valley in dieser Hinsicht auch als gefährliches Konkurrenz- 



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gebiet in Betracht kommen müßte. Tiere mit 35 bis 
55 Pfand Gewicht werden gegenwärtig in Nairobi, wo 
allmonatlich SOO bis 900 Schafe geschlachtet werden, 
mit 4,7 bis 7,5 M. bezahlt und kleinere Tiere mit 2,2 bis 
•I M. das Stück, wahrend das Fleisch für 20 bis 2!» Pf. 
das Pfund in der Markthalle zum Kaufe ungeboten ist. 

Ziegenzucht könnte natürlich überall betrieben wer- 
den. Als Handelsware kämen aber nur die Haute in 
Betracht, die im Ausfuhrhandel von Britisch-Ostafrika 
heut« schon eine »ehr große Rolle spielen. Sie werden 
gegenwartig in Nairobi mit 32 bis 40 M. das Bünde) 
von 20 Stück verkauft Im nördlichen Teile de« Guasso 
Ngiichii-Puiteuus, wo sich genügend Wasser und Gerb- 
stoRpflanzen vorfinden, könnten diese Haute mit großem 
Vorteil zum direkten Verbrauch zubereitet werden. 

Zu einer sehr lohnenden Einnahmequelle der zukünf- 
tigen Farmer könnte sich ohne Zweifel auch dio Esel- 
zucht gestalten. Sie finde überall günstige Vorbedin- 
gungen und dürfte um so eher Erfolg haben, als die 
widerstandskraftigen, an die Terrain- und KlimaTerbält- 



nisse ungepaßten Masai-Eael sehrgesuoht und gut bezahlt 
werden. Ihr Absatz wird sich um so mehr steigern, als 
durch die Ugandababn auch entferntere (Gebietsteile er- 
schlossen werden und der Esel als Lasttier gerade hier 
in doiu gebirgigen Hinterlande eine zunehmende Bedeu- 
tung gewinnen muß. 

Dem Nsoiaflusse folgend, durchqueren wir nun das 
Guaaso Ngiscbu-Hochland in westlicher Jticbtung. Wir 
sind in der Luftlinie über 100 km von der Ugandabahn 
abgekommen und haben den nördlich von unserem Wege 
liegenden Gebieten daher kein weiteres Augenmerk mehr 
zu widmen. Wohl würde sich das nahe Muraguetti- 
land, jenes zerklüftete und von dem Cbibcharagnani- 
Rücken überragte Bergmassiv, zum Ackerbau eignen; 
seine Ausdehnung ist aber keine sehr Kroße, seine Ver- 
kehrslage eine «ehr ungünstige, und seine Bewohner sind 
noch so wenig von europäischem Einflüsse berührt, daß 
es einer wirtschaftlichen Ausnutzung wohl noch auf 
lange Zeit hinaus verschlossen bleiben wird. 

<8chluB folgt.) 



Neue französische Forschungen in der westlichen Sahara. 



Ks wurde anf S. 19 de» laufenden Globusbandes 
die letzte Saharaexpedition des Oberst Laperrine be- 
sprochen. Sie richtete »ich naob Taodeni uud reebnete 
mit einem dort für Anfang Mai 1906 verabredeten 
Zusammentreffen mit einer anderen, von Timbuktu 
ausgesandten Militärexpedition. Dieses Zusammen- 
treten fand dann auch in der Tat am 20. Mai statt, 
zwar nicht in Taodeni selbst, doch bei dem 130 km süd- 
östlich liegenden Brunnen Gattara, wohin der I^eiter der 
Südabteilung, Kapitän Cnuvin, den Leutnant Cortier 
vorgeschickt hatte. Nach dem Zusammentreffen zog 
Cortier — der Ausmarsch war von Arauan geradeswegs 
auf Taodeni gegangen — in südöstlicher und südlicher 
Richtung nach Bu-Dschebeha, einem Orte 100 km ostsüd- 
östlich von Arauan, um dort mit seinem Chef sich wieder 
zu vereinigen. Cortier hat nun diesen Zug der 
Südabteilung unter Beigabe einer Obersichtskarte in 
1 : 2000000 im Dezemberheft von »La Geographie" ein- 
gehend geschildert, und wir kommen deshalb hier darauf 
zurück. 

Die Route Arauan — Taodeni war, abgesehen von 
einer Abweichung in ihrem nördlichen Teil, dieselbe, die 
Lenz 1880 in umgekehrter Richtung verfolgt hatte. Völlig 
neu ist dagegen Cortiers nach Osten ausbiegender Rück- 
weg. Es seiebnet diese Wüstenteile ein großer Brunnen- 
mangel aus. So existiert auf der 500 km langen Strecke 
Arauan — Taodeni nur ein Brunnen, der Bir-Oünan (nach 
l-ep.' Karte Onan, im Text Uuan), der aber nur 500 bis 
6001 Wasser in 21 Stunden zu geben vermag. Auch 
Lenz bemerkt („Timbuktu" II, S. 77), daß der Brunnen 
sehr wenig ergiebig sei und seine Karawane verloren 
gewesen wäre, wenn sie dort kein Wasser vorgefunden 
oder am selben Tage schon eine anderu Karawane dort 
gelagert hätte. Ebenso steht es mit dem östlicheren 
Gebiet, wo zwischen Gattara und dein Brunnen Ini«<haig 
eine wasserlose Wanderdüuenstrecke sich ausdehnt. Hier 
wäre Cortier nahezu von einer Katastrophe ereilt worden, 
da der Führer aus Taodeni den Brunnen Inischaig an- 
fangs verfehlt hatte. Glühende Winde hatte er dort zu 
überstehen , und die Lufttemperatur *tieg einmal au 
geschützter Stelle auf 50° C. Die Richtung der Dünen 
ist in dem ganzen Gebiet Ostnordost — Westsüdwest (nach 
Lenz Nordost — Südwest), doch besteht ein Unterschied 
zwischen der Dünenbildung im Süden und im Norden. 



Von Timbuktu bis zur Breite von Arauan sind die Dünen 
fast alle fest, und es liegt die schwache Neigung auf der 
Südseite, der Stcilabfall auf der Nordsoito. Weiter im 
Norden ist das Verhältnis umgekehrt, und es sind alle 
Dünen im Wandern begriffen. 

über Arauan besitzen wir eine ausführliche Be- 
schreibung von Lenz. Cortier fügt einen Plan hinzu 
und gibt die Einwohnerzahl auf 90O bis 1000 an. Scherif 
von Arauan ist ein großer Marabut namens Arruata, ein 
Greis von 70 bis 80 Jahren. Das zu I^enz' Zeiten dort 
vorhandene Stadtoberhaupt war ebenfalls ein sehr alter 
Mann. 

Taodeni, der berühmte Salzort, ist von Rene Caillie 
1828 berührt worden. Lenz hatte ihu 1880 auf den Rat 
seines Führers im Norden und Osten umgangen. Beide 
teilen einiges übur die dortige Salzgewinnung mit, doch 
haben sie selber die Salzlager nicht besuchen können. 
Cortier, der sioben Tage in Taodeni vergeblich auf Laper- 
rine wartete, hat die Zeit benutzt, den Ort und die Salz- 
gewinnung zu beobachten; er ist der erste, der uns dar- 
über genauere Kunde gibt. Auch hat er einen Plan von 
Taodeni gefertigt und die geographische Breite bestimmt: 
sie betragt 23* 40' 19" N. Danach liegt Taodeni etw a 
40 Bogenminuten nördlicher als nach Lenz 1 Karte. In 
einer Einrenkung gelegen, wird es von einem Felshügel, 
dem (iart-Hamu-Sala, beherrscht und hat etwa die Form 
eines nordsüdlich verlaufenden Rechteckes von 130 m 
Länge und 50 m Broite. Umgeben wird es von einer 
mit einigen Bastionen versehenen Mauer aus Lehm- 
blöcken, deren einziges Tor sioh nach Westen öffnet. 
Spuren uinos Grabens finden sich ebonfnlls an der West- 
seite, und die Ostseit« begleitet im Abstand von 10 in 
ei ue gegen 60 m laui;e Steinmauer, die Sandverwebungen 
verhindern soll. Das Innere zeigt onge, winklige, furcht- 
bar unsaubere (lassen, die an den Eingängen der (iehöfte 
endigen. Deren Zahl beträgt 40 bis 50, die der Ein- 
wohner 200. Das Gehöft des Scherifs im nördlichen 
Teil hat ei neu Turm. Der einzige Brunnen liegt im 
südlichen Teil , mehrere andere Brunnen finden sich im 
Süden der Mauer. 

Die Salzminon, denen Taodeni seit alter Zeit seinen 
Ruf in der westlichen Sahara und im Nigerlande ver- 
dankt, liegen 3 km südlich des Ortes an der tiefsten Stelle 
der Einrenkung. Der Boden ist dort mit Gips gemischter, 



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Neue französisch« Forschungen io der westliehen Sahara. 



roter Lehm, der unter dem Einflüsse der Salzkristalle 
Aufgebläht erschuiut und geborsten ist. Diese Salz- 
kristallo durchsetzen den Moden bia zur Oberfläche. Hier 
nun höhlen die Sklaven des Scbechs und der freien Be- 
wohner rechtwinklige Gruben von 8 bis 10 m Breite und 
Längu buk. Der Lehm, oben rot, wird weiter unten 
grünlich und durchsetzt sich immer mehr mit Salzkristal- 
len. In 5 bis 6 m Tiefe begegnet man plötzlich einer 
25 bis 30 cm dicken Schicht reinun uud weißen Salzoi, 
das iu Blöcken von 1,30 m Länge und 40 cm Breite 
herausgeschnitten wird. Die Blöcke » erden dann behauen 
und der Lange nach gespalten, so daO man zwei zu- 
gerichtet« und glatte Barren von je gegen 30 kg Gewicht 
erhält. Unter dieser erstou Salzscbicht und durch ein 
ein paar Zentimeter dickes Isehmlager von ihr getrennt, 
findet sich eine zweit« und unter ihr in gleicher Weise 
eine dritte Schicht, die in derselben Weise ausgebeutet 
werden. Weiter unten trifft man noch auf weitere Salx- 
schichten; wenn aber die dritte ausgehoben worden ist, 
so springt von allen Seiten Wasser empor, das die Gruben 
ausfüllt und das Weiterarbeiten unmöglich macht. Hat 
man also die dritte Schicht ausgehoben, so grabt man, 
nm die Abbaufläche zu erweitern , an den Ecken noch 
kurze (»änge seitwärts iu die Salzschichten hinein, um 
sie unter der Erde auszubeuten. Igt da« geschehen, so 
wird die Gruhe verlassen, sie füllt sich wieder nach und 
nach mit dem Schutt und mit dem Saude, den der Wind 
darüber fegt. Inzwischen aber beginnt man an einer 
anderen Stelle die nämliche Arbeit; in den verlassenen 
Gruben — so meinen die Arbeiter — bilden eich mit 
den Jahren die Salzscliichten wieder. In Jahrhunderten 
mag es vielleicht der Fall sein. 

Dieso Salzmineu zählen im ganzen 100 bis 150 in 
Betrieb befindliche Gruben. Die alten liegen im Süden, die 
neuen rücken nordwärts vor. Im Winter 1905, 06 wurden 
32000 Salzbarren gewonnen, die die Ilftndlerkarawanen 
der ßerabisch und Kunta nach Süden exportierten. An- 
gesichts dieser Menge und der mühsamen Arbeit sollte 
man das Schicksal der Sklaven für hart halten -, sie werden 
indessen gut behandelt, reichlich genährt und beklagen 
sich über ihr Los nicht. Viele von ihnen sind verheiratet, 
mehrere haben sich Familien geschaffen und Hütten an 
der Saline erworben. 

Die Minen gehören niemand. Jeder darf sieh dort 
auf eigene Rechnung eine (imlm anlegen und ohne alle 
Steuern das Salz gewinnen. Das tun auch einige Händler, 
doch setzt das immer die Anwesenheit eines Vertreters 
in Taodeni. und den Besitz von Sklaven voraus. Die 
Borabisch- oder Kautanomaden haben solche aber nicht, 
und der Mangel un Weide hindert sie, sich dort länger 
als einige Stunden aufzuhalten. Sie ziehen es also vor, 
diu erforderlichen Salzbitrreu bereits fertig vorzufinden. 
Dieser Nachfrage entspricht die Produktion der Taodeniter, 
die den Händlern für Baum Wollstoffe, Reis, Hirse und 
andere Waren im Wert vou 1 Fr. (in Timbuktu) einen 
Sahbarren geben, der auf den Märkten des Nigerlundes 
für 10 bis 12 Fr. weiter verkauft wird. Da ein Kamel 
vier Barren trägt, so würde in der Theorie jede Last 
dem Händler wenigstens 36 Fr. einbringen. Aber dieser 
Nutzen verringert sich stark: nm Niger ist nn die fran- 
zösischen Behörden der zehnte Teil des Wertes als Steuer 
zu entrichten; die Kamele halten nur 6 bis 7 Jahre 
die Reise nach Taodeni aus, und da« in ihnen steckende 
Kapital muß daher amortisiert werden; und endlich sind 
die Verluste an Tieren während des mühsamen und 
gefährlichen Transports außerordentlich beträchtlich. Es 
ist indessen dieser Salzhandel das einzige Existenzmittel 
für alle die am Niger wohnenden Berabisch- und Kunta- 
stämme, und er ist auch die einzige lli1isi|uehV, die es 



den Taodeuitem gestattet, in ihrem von allem entblößten 
Orte zu lebon; er ist aber auch der Grund für den Mangel 
an Neigung unter den Nomaden für die Franzosen, der 
in der Furcht wurzelt, daß sie ihnen künftig in diesem 
Handel Konkurrenz machen könnten. 

Auf der Stelle, wo Taodeni selbst sich erhebt, gibt 
es kein Salz. Während das Wasser der Salinen außer- 
ordentlich brackig und zum Trinken ungeeignet ist, 
treffen 3 km davon entfernt die 12 bis 15 m tiefen Brun- 
nen bei Taodeni nicht auf die sahführenden Schichten; 
ihr Wasser ist zwar mit schwefelsaurer Magnesui gesättigt, 
wenig durststillend uud stark purgierend, schmockt aber 
nicht salzig. Während ulle Schichten des Gart-Hamu- 
Sala, die aus rotem und grünlichem Ton und aus Kalk- 
erde bestehen, vollkommen horizontal streichen, wird ein 
langgezogener westöstlich gerichteter Kamm weiter im 
Süden, der sieb durch eine Ader am Boden bis südlich 
vom Gart-Hamu-Sala verlängert, dnreb eine Schicht grau- 
blauen Lehms gebildet, die fast vertikal mit ganz leichter 
Neigung gegen Süden hervortritt und den Boden des 
Keckens zu bilden scheint, auf dem die Salzscbichten 
lagern. 

Nach der mündlichen Überlieferung existiert Taodeni 
erst seit etwa 300 Jahren. Vorher und bis iu die graue 
Vorzeit befanden sich die Salzminen in Taghasa, fünf 
Tagereisen nordwestlich von Taodeni, und gehörten und 
wurden ausgebeutet von dem Stamme El-Agardaui. 
Indessen hatte Taghasa ums Jahr 1600 einem marok- 
kanischen Heer den Einlaß verwehrt, es wurde deshalb 
auf Befehl des Sultan* zerstört, seine Einwohner wurden 
zerstreut und die Minen verschüttet. Einige Taghasaner 
ließen sich darauf in der Gegend des heutigen Taodeni 
nieder. Das geschah um die Zeit der marokkanischen 
Okkupation Timbuktus. Ein Kaid namens Ayuni ent- 
deckte an der heute abgebauten Stelle als erster das 
Vorhandensein von Salz, er erkannte sofort die Wichtig- 
keit dieses infolge des Aufhörens des Salzexport a von 
Taghasa um so nützlicheren Fundes, begab sich nach 
Marrakesch und erhielt vom Suiten Muley-Sliman den 
Befehl über das Land. Mit Waffen und Gepäck kam er 
zurück, die El-Agardani Hohen bei seiner Annäherung, 
und er konnte sich zunächst eine Hüueergruppe beiTelik, 
28 km weiter östlich, einrichten, dann aber sich endgültig 
in dorn heutigen Taodeni niederlassen, sobald dort 
genügende Brunnen erbohrt waren. Der Sultan schickte 
darauf ein Verstärk ungsheer von 10000 Mann nach 
Timbuktu , die aber alle in der Wüste umkamen. Ein 
zweites, ein Reiterheer, erreichte Taodeni, grub bei Telik 
die zahlreichen Brunnen, festigte die Autorität Ayuni» 
und gelangte glücklich nach Timbuktu. Seitdem lebte 
Taodeni von der Ausbeutung seiner Salinen. Es hatte 
einige Kämpfe mit einem Nachbardorf, da« die Taodeniter 
schließlich zerstören konnten, doch wurde es von den 
marokkanischen Banden respektiert, wenn auch regel- 
mäßige Erpressungen durch diese Banden vorkamen. 
Allmählich ist die Autorität dos Sultans von Marokko in 
Taodeni geschwunden und dieses vollkommen unabhängig 
geworden. Die Herrschaft blieb in der Familie Aynnis, 
der heutige Häuptling Aha-Kaina ist sein Nachkomme. 
Lenz verzeichnet einige Kilometer westlich von Taodeni 
• die Ruinen einer „uralten Stadt"; es finden sich dort alte 
Mauerreste, Schmuckgegenstände und Werkzeuge, „die 
auf eine andere Kultur als die gegenwärtige hinweisen". 
Ob es die Ruinen des nach Cortier von den Taodenitern 
zerstörten Nachbardorfes sind? Lenz erwähnt dann noch 
steiuzeitliche Funde der Salzarbeiter. Es sind gut 
gearbeitete und geglättete Meißel und bammerartige 
Instrumente aus einem harten Grünstein. I.enz bildet 
einige davon al» (a. a. O. II, S. 72 n. 73) und bemerkt, 



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Johann A. Spriug: Der Glookenberg von Hermoaillo. 



<>■■ 



die Leute »ließen nicht allzu selten auf solche Geräte 
und ließen sie nach Tiubuktu und Arauan mitnehmen, 
wo *ie zum Zerreiben des Getreides benutzt würden. In 
üortiera Bericht finden wir nicht* Aber solche Funde; er 
erwähnt aber noch, die Eingeborenen behaupteten, sie 
hatten in dem mit Salz gemischten Lehme Knochen und 



Abdrücke von Klußpferden und Krokodilen gefunden. 
Nach einer Sage (in Arauan?), die Cortier verzeichnet, 
»oll der Niger früher in der Gegend des Felsen- 
paiaes Foin-el-Alba (etwa 200 km uordnordwestlich von 
Arauan auf der Straße nach Taodeni) vorbeigeflossen 
sein. 



Der Glockenberg von Hermosillo. 

Von Johann A. Spring. Los Angeles. 



Der westlichen Seite der Stadt Hermosillo. der 
Hauptstadt dea mexikanischen Staates Sonora, entlang 
verläuft die lange, enge CarmeUtraße, so genannt nach 
der an ihrem südlichen Kude gelegenen ( 'aruielkirche. 
Unmittelbar an der der Stadt abgekehrten Seite erhebt 
»ioh oiu Felshügel, dessen höchste Spitze um etwa 200 m 
die Umgebung überragt Diese Felsenniasse int wohl 
da« Resultat alter vulkanischer Tätigkeit, da alle ihre 
Bestandteile die Eigenschaften aller Lavageateine auf- 
weiten. Nichts wächst auf diesem Uerglein, auagenommen 
hier und da spärliches Gebüsch oder (iras in einer Fels- 
spalte, wo die Verwitterung des Gesteins etwas Erdreich 
geschaffen und der Wind oder ein Vogel einige Samen- 
beeren hingebracht haben mögen. Die Oberfläche be- 
sonders des oberen Teiles des Berges ist vielfach durch 
Höhlen, Klüfte und Spalten unterbrochen, neben deneu 
sich zackige Spitzen und Steine von allen Größen und 
Formen befinden. 

Dieser Kelsen hfigel int im ganzen Lande unter dem 
Namen „el cerro de las cainpanas" (der Glocken) bekannt, 
weil zu gewissen Zeiten, scheinbar aus seinem Innern, 
langgezogene Töne, die oft eine schöne Harmonie bilden, 
herauskommen. Je nach der Richtung der herrschenden 
Winde verändern sich die Töne in ihrer Stärke nnd 
Klangfarbe. Bald scheinen sie das Geläute ferner Glocken 
zu sein, bald Orgeltone in ziemlicher Nähe; bei sehr 
schwachem Winde wird der aufmerksame Lauscher un- 
willkürlich an leises Flötenspiel erinnert. Bei gänzlicher 
Windstille bleibt der Berg stumm. 

Trotz ernster Bemühung und endlosen Hefragens der 
Einwohner war es mir unmöglich , die Ursache dieser 
merkwürdigen Naturerscheinung zu ermitteln. Die Be- 
steigung des Berges allein ist zwar leicht genug, aber 
das Herumklettern in den unzähligen Klüften und Spalten 
in der Suche nach einem unfaßlichen Problem ist höchst 
anstrengend, besonders während der dortigen Sommer- 
hitze. Auch fehlte mir dazu die Zeit. Endlich erinnerte 
sich ein alter Oberrichter einer „ merkwürdigen Ge- 
schichte", die er einmal von einem Ya>|ui-Indianer Aber 
das Glockenspiel des Herges gehört, und sagte mir, wo 
dieser Indianer wahrscheinlich zu finden wäre, da er seit 
Jahren auf der Farm eines französischen Pflanzers 
arbeite. Hier fand ich auch den Yaqui ohne viel« Mühe. 

Von allen Indianer«tämmen, mit denen ich an der 
Küste des Stillen Meeres, von Alaska bis Acapulco, in 
Berührung getreten bin, sind die Yaqui -Indianer unbe- 
dingt die intelligentesten und arbeitsamsten. Daß sie 
im Kriege mit den mexikanischen Truppen ihre Tapfer- 
keit und Ausdauer bewiesen haben, weiß wohl jedermann. 
Sie sind aber auch gelehrige Handwerker, fleißige uud 
zuverlässige Landarbeiter. Die Männer sind meist hoch 
gewachsen, nervige Gestalten, schnelle, nie ermüdende 
Hauerläufer und zu allen athletischen (ihungen wie ge- 
schaffen. Die jungen Krauen und Mildchen sind /.war 
von kleiner Statur, aber üppig gebaut; ihre Hände und 
Füße sind klein und zierlioh, ihre Formen rund und voll. 
Die meisten Yaqui vorstehen und sprechen geläufig 



Spanisch, besonders diejenigen, die längere Zeit als Yieh- 
hirten uud Landarbeiter auf mexikanischen Haciendas 
oder in Städten und Dorfern als Handwerker gearbeitet 
haben. Merkwürdigerweise jedoch hat sich bei ihnen 
ein auffallender, unrichtiger Sprachgebrauch sozusagen 
eingebürgert, der darin beatuht, daß sie stets den männ- 
lichen Artikel vor einem weiblichen Hauptworte (nnd 
umgekehrt) gebrauchen, sofern sie von Sachcu sprechen: 
so sagen sie z. B. la Camino (der Weg) statt el Camino 
und el mesn (der Tisch) statt la niesa. Sprechen sie 
jedoch von Menschen und Tiereu, bei denen dus Ge- 
schlecht klar ist, ko setzen sie stets den richtigen 
Artikel vor. 

Als ich Manuel — so hieß der von mir gesuchte 
Indianer — gefunden hatte, brachte ich das Gespräch 
bald auf den Glockenberg und sein Getöne, woranf er 
mir die darüber bestehende Sage erzählte, dio mir übri- 
gens auf meiner bald darauf folgenden Heise nach dem 
Seehafen Guaymas, und in dieser Stadt selbst, mit un- 
bedeutenden Abweichungen »o ziemlich alle Yaqui 
wiederholten, die ich darüber befragte. Anstatt jedoch 
von einem Glockengeläute zu spreohen , wie die Mexi- 
kaner, bezeichneten sie alle die aus dam Berge kommen- 
den Töne als „Stimmen", wie es auch in der Natur der 
Sage lag. 

Die Yaqui behaupten, daß der Berg vor langen, 
langen Jahren ein schöner, grasbewachsener Hügel ge- 
wesen sei mit sattigen Weiden und schattigon Häumoti; 
daß die umliegenden Täler, in denen unzählige Herden 
weideten, von Gräsern und Blumen dufteten, da in jenen 
längst vergangenen Zeiten die Regengüsse viel häufiger 
und reichlicher gewesen wären, so daß das Flußbett 
niemals trocken geworden sei , wie es jetzt häufig der 
Fall ist. Ihre Nation war reich und mächtig und so zahl- 
reich wie die „Sandkörner an der Küste". Die Yaqui 
bewohnten das ganze Land der Pimeria alta (jetzt Sonora 
und der südliche Teil des Territoriums Arizona) bis 
hinunter an übb Meer. Auch an metalleneu Schätzen 
waren sie reich, besonders an Golditaub, Silber und 
Kupfer. Ihr Moctezuma (Herrscher, Kaiser) war ein 
großer Krieger, hoch und stark gewachsen; seine Augen 
waren scharf wie die des Adlers; kein anderer konnte 
seinen Bogen spannen, suine Kriegslan/.e handhaben ; sein 
Schild war aus lauter Silber und glänzte wie der Voll- 
mond. Seine Wohnhäuser, große aus Lehmziegeln auf- 
geführte Gebäude, standen auf dein (tipfei des Hügels. 
Vor dem Haupttore hing an einem Querbalken zwischen 
zwei Pfosten eine große Scheibe von gehämmertem Silber, 
und wenn der Herrseber mit seiner kräftigen Faust auf 
sie schlug, tönten die Schlage bis weit hinunter ins Tal 
und riefen seine Häuptlinge zur Beratung. Das ganze 
Land war ihm Untertan. Auf der Frontseite der Rats- 
halle war über dem Dache ein hoher Wurt- und Wacht- 
turm errichtet, auf dem bei Tage Rauch- und bei Nacht 
l'euersignale gegeben wurden, die nach allen Richtungen 
hin in gewissen Entfernungen wiederholt wurden, so daß 
in ganz kurzer Zeit des Moctezumas Befühle bis au die 



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Dr. Steins letzte Forschungen iu Ostturkcstan. 



T 



Küste sowohl wie bis an die Äußerst« östliche Grenze 
gelangten. Überdies standen unter seinem Befehle viele 
Schnelläufer, die schnell wie ein l'räriewolf des Herrschers 
Gebote über Berg und Tal trugen. Es gab keinen 
mächtigeren Herrseber als Takahuitl, dessen Untertanen 
in größere und kleinere Heerbaufen für den Krieg ein- 
geteilt waren. Um seinen Palast herum zerstreut lagen 
in einem Halbkreise die der obersten Hat«. Ktwas ab- 
seits befanden sich die Wohnungen seiner Frauen, seiner 
Knecht* und Mägde, so daß der Gipfel des Hügels das 
Ansehen eines Dorfe» darbot. 

Takahuitl hntte alle angrenzenden Nachbarvölker 
unterjocht und sie tribut- und kriegsprlichtig gemacht. 
Sie fühlton das Joch der Yo.jui und beugten sich daruuter 
wohl oder übel, denn ihre Unterdrücker waren zu mächtig. 
Jedoch von Zeit zu Zeit wurde das Land au der östlichen 
(ironze von einein nomadischen, kriegerischen Volke 
heimgesucht Dessen Krieger kamen plötzlich wie eine 
windgetriebene Wolke aber die Grenzen und drangen 
mordend nnd plündernd in das Land, die Männer tötend, 
die Frauen und Kinder fortschleppend, die Hutten und 
Ernten verbrennend und die Herden forttreibend. Die 
Yai|ui hieUcn diese Räuberbanden Coinanebes. Zuerst 
kaineu sie zu Fuß, später waren einige Berittene dabei. 
Als sich dann ihre Pferde vermehrt hatten, kamen schließ- 
lich alle Comauche« beritten und sauston daher wie der 
Sturmwind. Die Yaqui, die früher nie Pferde gesehen, 
waren nicht wenig beunruhigt über diese neue Krschei- 
nung, um so mehr, als sie der schnellen Bewegungen der 
Feinde halber diese nicht zum Stehen und Kämpfen 
bringen kount«u. 

Da begab es sich, daß während der Regierung des 
damals noch jungen Herrschers Takahuitl die Comanches 
wieder einen Oberfall machten. Sie überfielen eine 
Niederlassung sin Sonoraflusse, da, wo jetzt das Städtchen 
Magdalena steht, und überrumpulten die Fiu wohner mit 
oben angedeutetem Resultate. Takahuitl geriet in 
fürchterlichen Zorn und schwur bei dem großen Sonnen- 
gott*, daß er blutige Rache nehmen würde. Er ver- 
sammelte ein Heer, zusammengesetzt aus den tüchtigsten 
juugen Kriegeru, und verfolgtu die Comanches unablässig 
bei Tag und Nacht. Diese zogen sich gegen Nordosten 
zurück. Als sie jedoch auf die steinigen Hochebenen 
vom jetzigen Arizona und Neu -Mexiko kamen, wnrden 
die Hufe ihrer unbeschlagenen Pferde wund und die 
Yaiiui brachten sie zum Stehen. Unweit vom „großen 
Flusse* (unzweifelhaft ist damit der Kio Grande gemeint, 
der die jetzige Grenze zwischen den Vereinigten Staaten 
und Mexiko bildet) kam es zu einer sehr blutigen Schlucht, 
in der die Comanches völlig unterlagen und viele Ge- 
fangene einbüßten, von denen die Yaqui die Weiber und 
Kinder nach Hause schleppten. 



Unter diesen (iefangenen erkor sich Takahuitl ein 
wunderschönes Mädchen von ungewöhnlich heller Farbe 
und hoher Anmut. Die Yuciui gaben ihr den Namen 
I/Otumaia (die Zaunwinde). Ks dauerte nicht lange, so 
entwickelte sich zwischen Takahuitl uud dem C-omanche- 
mädchen ein intimes Liebes Verhältnis, was des Moctezumaa 
erste, bereits ältere Frau bald merkte. Doch wagte sie 
es nicht, darüber ihrem Herrn und (iebieter Vorwürfe 
zu macheu. 

Nun kam eiues Tages Takahuitl müde und hungrig 
von einer erfolglosen Jagd nach Hause. Es war bereits 
spät am Abend. Der ganze Himmel war mit schwarzen 
Wolken bedeckt; zaokige Blitze durchbogen die Finsternis 
unaufhörlich, obschon kein Regen fiel; die Luft war er- 
stickend schwül. Takahuitl setzte sich vor der Wohnung 
seiner Frau auf ein Bündel von Tierfellen und verlangte 
Speise uud Trank. Sein Bogen und leichter Jagdapeer 
stauden neben ihm an die Hüttenwand angelehnt. Auf 
Geheiß »einer Frau brachte ihm eine Dienerin ein Stück 
trockenes Brot und eine Kürbisschale voll Wasser. Knt- 
rüstet über solch ein ungewohntes, eiuee Herrscher»« un- 
würdiges Mahl rief er zornig seine Frau herbei. Unwillig 
und zögernd erschien diese vor ihm ; ihre Augen funkelten 
in grünlichem Glanz, und auf seinen Befehl, bessere 
Nahrung zu bringen, antwortet« sie höhnisch: „ Einem 
armseligen Jäger geziemt armselige Speise." In diesem 
Augenblick trat IxitumaLa, von ihrer Hütte kommend, 
berzu und setzte vor ihren Herrn ein angenehm duften- 
des Fleischgericht und frisch gubackenos Brot. Er dankte 
ihr und sagte: „Süßes Kind, wieviel gütiger ist dein 
Herz als das . . . Weiter kam er nicht, denn wie eine 
Furie hatte sich das eifersüchtige Weib der haarscharfen 
Lanze ihres Mannes bemächtigt und stieß sie mit aller 
Kraft mitton in dus Herz des Comunchemädchens, das 
sofort hinfiel und starb. 

Als ob die Natur selbst sich über den grausamen 
Mord erzürnt, erschollen schnell hintereinander Donner- 
schläge, begleitet von fortwährenden Blitzen. Der Hügel 
fing au zu zittern; seine Oberfläche hob und senkte sich; 
plötzlich öffnete sich die Erde und verschlang, was da 
war, in einen großen Schlund, aus dorn Feuer und 
schweflige Dämpfe in großen Säulen aufstiegen. Nichts 
blieb als der Steinhaufen, den man jetzt deu „Berg der 
Glocken" heißt. In seinem Innern liegen, durch Fels- 
luassen getrennt, die beiden Lielienden, die sich noob im 
Jenseits zurufen. Ihre Stimmen sind dio Glockontöne 
des Berges. 

Unzweifelhaft besteht irgendwo am Eingange einer 
Höhle oder einer Kluft oder in einem durchlöcherten 
Felsen eine gigantische natürliche Flöte, dio je nach der 
Richtung und Stärke des Windes dio auf andere Art 
nicht erklärlichen Töne hervorbringt. 



Dr. Steins letzte Forschungen in Ostturkestan. 

Ilr. M. A. Stein, von dessen nsuer Reise unch Ostturkestan 
in Bd. t'O, S. US Mitteilung gemacht wurde, hat im November 
Beine Arbeiten abgeschlossen uud kündigte seine Helmreise 
»n. Steins Aufgaben waren archäologische Forschungen und 
topographische Aufnahmen, welch letzter-) wieder sein alter 
indischer Reisegefährte Kam Hingh ausgeführt hat. Ober 
Sarhad (Wakban) erreichte Stein Anfang Juni Kaschgar und 
organisierte dort seine Karawane. Einem Brief« Steins uu 
die Londoner geographische Gesellschaft ans Kerija vom 
lo. Oktober (abgedruckt im ,Geogr. .loum.', Januar Itfui) 
ist zu entnehmeu, daQ Harn Singh, wahrend Stein in Kasch- 
eur war, den tmeh unerforschten Teil des Tasehkurgantales 
uud die Ostahhärigo «Je» Muslag-ata bis zur Breit« von Jnu' 
gihissar (K8") aufnahm. Nachdem heide in Jarkau«! sieh 
wieder vereinigt hatten, zogen »ie durch da* Hügelland bei 
Kokyar uueh Khotan. In jenem Hügelland«- erlangte Stein 



eine ausehriliche Menge anthropologischer Melsungen und 
Angalien über das Pakhpovolk , einen interessanten kleinen 
Vulksstamni, der in seiner Gebirgsisolierung »eine Haupt- 
Charakteristika sich noch unberührt erhallen hat; er ist eng 
verwandt mit den heutigen Qalchas der Pamir, deren Sprach* 
| iranisch ist, und muO in alten Zeiten ostlieh bis Khotan sich 
| erstreckt haben. YVährsnd Stein diesen Stamm untersuchte, 
I nahm Kam Singh die Schneekette am Karlik Dawnn auf und 
erforschte unter großen Schwierigkeiten das wilde Gebirge, 
in dein das noch unbekannte Strouistück zwischen den Läufen 
des Karakaseh und des Jurunkasch sich ausdehnt«. Dieees 
Stromsliiok wurde nun also auch aufgenommen- 

Anfang August war Stein in Khotan. Er machte von 
dort einen Abstecher südwärts, um seine Forschungen von 
IPüv iiber die groBon Gletscher im Quvllgubieto des Khotan- 
llusses zu vervollständigen. Hierauf drang er zwecks archäo- 
; logischer Untersuchungen ostwärts von Khotan in die Wüst* 
i v.»r. Zunächst «ing er nach den 1WO0 von ihm zum Teil 



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Büchersohau. 



L«7 



ausgegrabenen Ruinen bei Rawak und dem weiten Trümmer- 
felde (Tati) von Hanguja. Stein Und den Hof d«r Stupa 
von Rawak noch mehr unter den Sanddunan vergraben als 
froher, entdeckte aber in der Nahe weitere Spuren früherer 
Uesiodelung. Die Ausgrabung des Ruinentempels auf dem I 
Haoguja-Tati ergah viele kleine Terrakoltareliefs, die einst die i 
Wände geliert hatten. Oer Stil dieser Reliefs int durchaus 
von Vorbildern griechisch-buddhistischer Kunst abgeleitet und 
stimmt genau mit den au» dem 5. bis 6. Jahrhundert n. Chr. 
stammenden Rawak -8tuparelief« überein. Von Interesse ist 
das Vorherrschen reichlich vergoldeter Stücke. Die Stätte 1 
scheint noch einige Zeit nach dem Verfall des Tempels be- I 
wohnt gewesen zu sein. Die Ruine liegt nur 3 km von der 
heutigen Grenze der bewasserten Fliehe, und der Anbau 
in dem fruchtbaren Uangujastriche rückt jetzt bestandig auf 
die Areale vor, die früher der Wüst« überlassen worden I 
waren. In den vom •Turunkaacb gespeisten Kanülen ist genug i 
Wasser fiir eine auagedehnte Berieselung vorhanden , und ■ 
wenn die jetzigen günstigen wirtschaftlichen Bedingungen i 
und das Anwachsen der Bevölkerung anhalten , erscheint es J 
möglich, das ein großer Teil de« verlassenen Tati , das teil- j 
weise von Dünen überflutet wird und stellenweise der Wind- I 
erosion unterliegt, in nicht ferner Zeit der Wüste entrissen ' 
wird. In den von ihm wieder besuchten Teilen der Kbotan- ' 
oase war Stein überrascht von der Ausdehnung des kultivierten i 
Bodens seit den sechs Jahren »eines ersten Besuches. Große 
Hachen, die 1900, nl wüst lagen oder mit Triebsand bedeckt 
waren, sind jetzt wieder unter Kultur genommen worden, 
z. B. die Statte das ehemaligen Chalma - Kasan. Auch die 
Bewobnerzahl von Khotan wächst, und in den anderen west- 
lichen Oasen Chinesisch - Turkrstan» nimmt der Wohlstand 
allenfalls stark zu. Dieser Vorgang bat, wie Stein bemerkt, 
sowohl ein historisches wie ein geographisches Interesse und 
sollte im Auge behalten werden bei der Beurteilung der Krage 
nach früheren physikalischen Bedingungen in historischer I 
Zeit... 

Ostlich von der Khotanoase beschäftigte sich Steiu zuerst 
mit der Oruppe kleiner Huinenstetten bei dem Dorfe Domoko. 
Kr hatte 1901 den nördlichsten Teil berührt, w.. einige Reste 
von Wohnhäusern vom Winde freigelegt waren. Kin unter- 
nehmender Dörfler hatte hier dann nsch .alten Papieren" 
gesucht, um sie auf dem Autiquitätcnmnrkt von Khotan zu 
verkaufen. In Begleitung dieses Hanne» ging Stein nach der 
Statte von Khadalik. Die wichtigste Ruine war ein buddhisti- 
scher Altar, der durch .Schatzgräber* schon in früherer Zeit 
in einen Trümmerhaufen verwandelt worden war. Bei sorg- 
faltiger Klärung desselben fand Stein aber doch noch eine 
große Zahl von Manuskripten auf Papier in Sanskrit, Chi- 
nesisch und in der .unbekannten* Sprache des alten Khotan, 
sowie viele Hulztafelcl.t-n mit derxelbeu Sprache und einige 
in tibetanischer Sprache. Zumeist enthatten die Handschriften 
Teile buddhistischer Text*, die als Opfergaben dort nieder- 



gelegt worden sind. Zahlreich waren ferner die Reste von 
Stuckreliefs, von Fresken, die die Tempclwiinde geziert hatten, 
und von gemalten Feldern, deren Stil es sohr wahrscheinlich 
macht, daß der Altar derselben Zeit angehört, wie die von 
Stein in Dandan l'ilik (zwischen Jurunkasch und Kerijafluß) 
ausgegrabenen Tempel, nämlich dem Knde dos Jahrhun- 
derts n.Chr. Diese« Datum wurde aber noch bestätigt durch 
auf Fäden gezogene Rollen chinesischer Kupfermünzen , die 
Stein auf einem anderen Altar ganz in der Nähe fand. Das- 
selbe Heiligtum ergab dann noch unter anderem Teile eines 
viel älteren Sanakritmanuskript* auf Birkenrinde, das zweifel- 
los von Indien importiert ist, und einige vorzüglich erhaltene 
breite Rollen eines buddhistischen Textes in Chinesisch, die 
auf der Rückseite offenbar die Übersetzung in die .unbekannte" 
Sprache des alten Kbotan tragen, weiden vielleicht den lange 
ersehnten Schlüssel für die Entzifferung jener Sprache ab- 
geben '). 

Auch die Nachforschungen auf den benachbarten Ruinen- 
stätten ergaben noch manchen Fund. Auch hier »teilte sieh 
heraus, daß sie, ebenso wie Dandan - liilik und Khadalik, 
gegen Knde de» 8. Jahrhunderts verlassen wurden sind. Diese 
chronologische Tatsache hat auch geographische Bedeutung: 
Khadalik liegt nur 5 km vou dem Flusse ab, der den nörd- 
lichsten Teil von Domoki» bewässert, während Damian- Uilik, 
das nach den l'ntersuchuugeu Huntingtons ehemals »ein 
Wasser aus demselben Irrigationsuvstem erhielt, volle MO km 
nördlicher in der Wüeto liegt; es fragt sich also, inwieweit 
die Tatsache, daß solch« weit voneinander getrennte Örtlich- 
keiten zu ein und derselben Zeit verlassen worden sind, au« 
rein physikalischen Veränderungen zu erklären ist. In diesem 
Zusammenhange haben ferner die Resultate der Ausgrabung 
eines alten Heliuttbügel* am Sudraude der Dotnokooaso , an 
der der Wüste abgekehrten Seite, ein besonderes Interesse. 
Es fand sich dort außer Dokumenten in der Schrift des alten 
Kbolan eine umfangreiche Sammlung auf llolz geschriebener 
chinesischer Berichte Uber Verwaltungaangelegenheiteu. Die 
Schuttlager der Örtlichkeit datieren ebenfalls annähernd vom 
Schlüsse de« 8 Jahrhunderts, und es war das gerade die Zeit, 
als die t hlneaenbermchaft ii. Ostturkestan und mit ihr ein« 
Periode der Blüte durch eine tibetanische Invasion beendet 
wurde. Stein will mit diesem Hinweis offenbar andeuten, 
daß die Verödung Ostturkestens vielleicht doch nicht auf 
Klimaänderungen. sondern auf menschliche Eingriffe (Kriege) 
zurückzuführen ist. 

Schließlich zog Stein nach Kerija , von wo er noch die 
Ruincnstätte in der Wüste jenseits Sija untersucht hat. Hier- 
über liegen noch keine Mitteilungen vor. 

') Ka handelt tich «rolil um .fio unbeluir.nti- Spr.ehe, v»u der, 
wie kürzlich berichtet, der JeutAcbe r\>r*chrr v. I.p<<„| Mnimskript- 
pruhen uuk Chinesisch -Turkestan nitgehrssiit liuUn soll. Vgl. 
Globus, 11.1. 91. S. 6». 



A. V. William» Jackson, Persia l'ast and Preseut. 
A Book of Travel and Research. XXXI u. 471 8. Mit 
über 200 Abb. und 1 Karte. London, Macmillan u. Co., 
IW>6. I7s. 

Die persische Heise des Verfassers, der Professor der 
indoiranischen Sprachen an der Columbia-Universität ist und 
mit Arbeiten au« seinem Fache auch in deutschen Zeit- 
schriften vertreten war, fand von Mar/ bis Mai 1903 statt. 
Sein Zweck waren archäologische Studien und Forschungen 
über Konmeter und die heutigen Anbänger von dessen Lehre. 
Er hat hier manche neue Einzelheit ermitteln, manchen 
dunkeln Punkt erhellen oder zu seiner Aufklärung Finger- 
zeige geben können, und es erscheinen auch mitunter längst 
bekaunte historische Tatsachen in neuer Gruppierung und 
Beleuchtung. Diese Dinge sind teils in in sicii geschlossenen 
Kapiteln des vorliegenden Buches behandelt, teil« als geschicht- 
liche und philologische Notizen in den Reisebericht verwebt, 
wobei sehr reichlich auf die Literatur verwiesen wird. Der 
Verfasser bat aber auch den Verhältnissen im modernen 
Persien seine Aufmerksamkeit geschenkt , und seine auch 
weiteren Kreisen »u empfehlende Roiseschilderung i«t an Bemer- 
kungen hierüber nicht arm. Zahlreiche gute Abbildungen 
unterstützen überall die Auaführungen. 

Der Verfasser botrat. von Tiflis kommend, bei Tabrlx 
pertischen Boden und machte von da eine Reise um das 
Westufer des Urmiasees. Ea interessierte ihn diese Oegend, 
da Zoroaster dort geboren und lange gelebt hat, das Avesta 
auch Notizen über sie enthält, z. U. über die dortigen Vogel 
und Hunde. In einlgon der „Aschenhügel" U-i l'nnia nahm 



der Verfasser Ausgrabungen Tor; e» sind dort Stoinsarkophage 
mit je mehreren Skeletten gefunden wurden, den-u Alter ab.-r 
nicht sicher ist. Nach Südosten weiterziehend, besuchte der 
Verfasser die damals (Ende März) noch größtenteils im Schnee 
[ vergnibenen Ruinen von i'akht-i Suleiman, das Rawlinson 
j fälschlich für das alle Ekbalana gehalten hatte. Wahr- 
scheinlich, meint der Verfasser, war Takht-i Suleiman da« 
Oanjitk der l'ahlnvitexte. Dann gelangte der Verfasser nach 
I Hamadan, da* heute allgemein für Ekbntaoa gilt. Kr bemerkt, 
daß Nachgrabungen dort vielleicht Interexsantes zutage fördern 
dürften, bespricht die unter der heutigen Bevölkerung noch 
herrsehenden Überlieferungen und erwähnt, daß die berühmten 
Keilinnrhriften des Darlus und Xerxes bei dem nahen tianj- 
Namah, die Rawlinson die vollständige Entzifferung der Keil- 
schrift ermöglichten , sehr unter den Witterungsunbilden zu 
leiden haben. Einen Abstecher nach Südwesten bis Kerman- 
schah unternahm der Verfasser in der Hoffnung , die Keil- 
I inschriften au den sehr schwer zugänglichen Felsen von 
Riautuu, von denen nur Kawlinson Abdrücke hatte machen 
I können, kopieren zu können. Er hielt sich dort eine Woche 
I auf. Die persische Inschrift hat seit Rawlinson durch darüber 
I sickerndes Wasser «terk gelitten, doch gelang es dem Verf., 
die meisten zweifelhaften Stellen zu ergänzen und die ersten 
Photographien zu gewinnen. S. ]9ii bis '20« werden diel« 
Ergänzungen mitgeteilt und erörtert. Die unvollendete, leer 
gebliebene Inachriftentafel scheint der Verfasser für älter als 
die beschriebenen zu halten. Einen Stoinbloek mit Kelief« in 
der Nähe, den der Verfasser nicht photographierrn konnte 
und für bisher nicht erwähut hält, hatte lSi'- O. Mann 



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Bücliericbftu. 



gefunden. Kioe Photographie int im Globus, Bd. H.H. S. 128, 
wiedergegeben, was dem Verfasser entgangen ist. Während 
der Verfasser meint, die*« Reliefe gehörten der Achämeniden- 
zeit an. denkt Mann an sascnnidischen Ursprung. Sassanidisch, 
d. h. viel jünger »In die Tafeln von Bisutun , lind die Bas- 
reliefs von Tak-i Basum bei Kerman*ctiah, die darauf besichtigt 
wurden. Auf der Rückreise uach Hamadan »ah der Verfasser 
«ich die Ruinen de« Tempel* der persischen Diana bei k'an- 
gavar an. de Morgan hatte an ihm einvn verworrenen 
griechischen Stil au» parth Ischer Zeit erkennen wollen, wahrend 
der Verfasser ihn der Achämeuidenzeit zuzusprechen geneigt 
ist. Bei Ispahan nahm der Verfasser die Ruinen de» noch 
wenig beachteten Feuert*mpel« in Augenschein. Kr ist den 
Achänienidan zugeschrieben worden; der Verfasser versucht 
indessen zu zeigen, daß die heutigen Reste um 100O .lahre 
jünger sind und aus der Sassanidcnzeit stammen dürften. 
Weiter führte deu Verfasser »ein Weg nach Schira/ über die 
berühmten Ruinenfelder von Pasargadä (Grab des Cyrust und 
Persepolis (Königsgraber und grofle Plattform). Sie sind wohl- 
bekannt, doch widmet ihnen der Verfasser zwei lesenswerte 
Kapitel. T)as nix Grab des Cyrus bozeichnet* und auch viel- 
fach dafür anerkannte Bauwerk erklärt auch der Verfasser 
als die Kuhestätte des Begründers des Ferserreiches. Von 
Kchirax ging der Verfasser nach Norden zurück und beschäf- 
tigte «ich in Yezd , der Hochburg der Anhänger der I<chre 
Zornasters, mit den Bekennern dieser Religion. Lange kon- 
ferierte er mit den Häuptern der Sekte, Texte wurden geprüft 
und photogmphiert, und eiugehouil beschreibt der Verfasser 
die Riten und (lebrauche dieser Feueranbeter. Von unter- 
richteter Seite in Teheran wurde die Zahl der persischen 
.Innger Zor«ast«rs auf etwa 1 1 000 angegeben; davon wohnen 
Mfloo bis HM)0 in und bei Yezd und 240U in Kenmio. Bei 
Teheran endlich besuchte der Verfasser da.* Ruinenfeld von 
Rei, des modischen ltngbn, dessen bis zu 15 m hohe Nord- 
umwallung noch ziemlich gut erhallen i«t. Demoliert werden 
die Ruinen durch Leute, die nach Münzen und Topfan suchen 
und die Ziegel ausbrechen, um sie in Teheran bei Bauten zu 
benutzen, in Rescht verließ der Verfasser persischen Boden ; 
»einen Ausflug nach Samarkand hat er nicht mehr beschrieben. 

— r. 

Dar d'Orllana, A travers la bain|ulse. Du Spltzberg au 
Cap Philippe. Mai— aoi'it 1S0A. 349 B. Mit 4ou Abh. u. 
3 Karten. Taris, Plon-Nourrit et t'ie., Ii»07. 20 Kr. 
Ober Hie interessante Fahrt des Herzogs Philipp von Or- 
leans von Spitzbergen uach der Ostküste Grönland* und deren 
Rekognoszierung nördlich von Kap Bismarck war bisher nicht» 
Näheres zu hören gewesen, uud auch die Teilnehmer hatten 
«ich in Seliwelgou gehüllt: sie wollten dein Veranstalter der 
Kx|»edition anscheinend nicht vorgreifen. Dieser hat nunmehr 
sein Tagebuch mit dem vorliegenden Werke veröffentlicht. 
Ks ist außerordentlich glänzend ausgestattet mit einer fast 
erdrückenden Fülle technisch schöner Abbildungen, darunter 
zehu farbigen Tafeln und zwei guten Karten, von denen die 
eine ein üborsichlsblatl ist, wahrend die andern im Maßstäbe 
von etwa 1 : iouoouO die neuentdeckten Küstenteile Ostgrön- 
lands darstellt. Der Herzog hatte für die Heise die , Belgien", 
das Schiff der belgischen Südpolexpedition, erworben und sie 
für eine etwa notig werdende Überwinterung ausgerüstet. 
Der erste Teil des Forschungsprogramms umfaßte insbesondere 
ozeanographische Arbeiten an den Nord - und Westküsten 
Spitzbergen» und /wischen diesem Polarlande und Ostgrön 
In ml. Zu diesem Zwecke sind zahlreiche Lotungen und 'fem 
peraturinessuugen ausgeführt und Boden- und Wasserprohen 
genommen worden. Ferner wurde dem Tierleben viel Auf- 
merksamkeit geschenkt. Die FaekcUverhällnlsse waren dem 
rntemebmen zunächst nicht günstig Die undurchdringlichen 
Kismassen im Norden von Spitzbergen ließen Knde Juni an 
dessen Küste «inen nur schmalen fahrbaren Kanal frei , und 
der Vorsuch , uach Westen vorzudringen , erschien anfangs 
wenig aussichtsvoll. So fuhr man an der EiBkante entlang 
nach Wtsteu und dann nach Südwesten, und erst am 21. Juli 
war das Packeis passierbar und gestattete den Westkurs zur 
grönländischen Kaste. Dies« erreichte man einige Tage dar- 
auf bei Kap Bismarck, dein nördlichsten Punkte, bis zu dem 
187h die zweit« d«uUch>- Nordpolarvxpedition die Ostküste 
Grönlands hatte aufklaren können. Hier bot «ich zwischen 
dem Packeis und der Küste ein gut fahrlwrer offener Kanal, 
der nun benutzt wurde. Wie günstig die Lage dort im Som- 
mer l^oS war, ergibt «ich au» der Versicherung des Kapitän« 
einer Tromsöer Fangjacht, die der Herzog Ihm Kap Bismarck 
antraf; dieser behauptete, er suche jenen Kilstenteil schon 
seit 30 Jahren auf, habe aber noch niemals ein gleich gutes 
Kisjahr erlebt. Die .Itclgica* gelangte somit nordwärt« bis 
zur Breite 7a» 1«', dann wurde das Packeis nt<er wieder «o 
dicht, daß die rmkehr notwendig erschien. Ks wurde unter 



jener Breite noch ein Vorstoß nach Osten gemacht , wobei 
das Vorhandensein eiuer Bank, der „Belgicabank", festgestellt 
wurde; hierauf ging mau nach Süden zurück und vervoll- 
ständigte in den klaren ersten Tagen des August, die sehr 
neblige Tage abgelöst hatten, die Aufnahmearbeiten bis zum 
Bildende der Koldeweyinseln (78* nördl. Br.). Jene Aufnah- 
men haben zwar nur" den Charakter einer Rekognoszierung, 
zumal Landungen nur bei Kap Bismarck und dorn neuent- 
d eckten Kap Philipp (77' 3S') ausgeführt werden konnten; 
sie ergaben aber wichtige Aufschlüsse über die dortige Knsten- 
bildung. Ks begleitet danach von der Südspitze der Koldewey- 
inseln Idie übrigens nur aus zwei Kilanden. darunter einem 
von .vorlandartigem * Typus, besteben) bis Kap Philipp die 
Küste eine Inselreihe, deren Höhen im Gegensätze zu denen 
des südlichen König Wilhelmlnndes geruudete Formen zeigen. 
Die Festlandsküste dahinter weist in den nackten Krhobungen 
die gleichen Formen auf, uud dahinter steigt die Kalotte des 
Inlandeise» auf. Kap Philipp selbst liegt auf einer Bolchen 
Insel (He de France), und von Kap Bismarck ist das sehr 
wahrscheinlich (mit Sicherheit wird dies in Text und Karte 
nicht behauptet). Der fernste gesichtete Punkt, Kap Bourbon. 
liegt nach den Peilungen unter 78" 5V nördl. Br. Die neu- 
entdecktv Küste selbst hatte der Herzog .Terre de France* 
genannt; da aber die dänische Regierung dagegen Einspruch 
erhoben hat (l), so soll sie jetzt „Terre du Duc d'Orleaus" 
heißen. Das PAanzeuleben ist in jenen Breiten, wie wir aus 
den Berichten der zweiten deutschen Xordpolaiexpedition und 
Xathorst* wissen, nicht arm und recht farbenreich. Bi« Beob- 
achtungen über das Tierleben ergaben die Anwesenheit von 
Polarhase, Fuchs, Kidergans, Ammer, Schnepfe, Raubmöwe, 
Schneehuhn und Lemmiug. Auch eiue Mücke wurde gesehen I 
Rentier- und Moschusochsenknochen , die vielfach gefunden 
wurden , gehören der nach dem Verfasser nun wohl schon 
mehrere Jahrhunderte zurückliegenden Zeit an, da jene 
Küstenteile von Kskimo bewohnt waren. Deutliche Spuren 
ehemaliger Kskiin.aiedelungen sah man sowohl auf He de 
France wie bei Kap Bismarck und auf den Koldeweyinseln. 
Die erwähnte Belgicabank scheint sich ostwärts gegen Spitz- 
bergen fortzusetzen ; denn eiue I/Otung am 14. Juli unter 
78* nordl. Br. und V westi. L. an der Ostkante des Packeise« 
ergab nur 1423 m, während im Norden und Süden davon 
Tiefen von doppelter Größe gemessen wurden. Auf der 
Helmfahrt kam die .Belgica' "unter 70" »4' nördl. Br. und 
14*30' westl. L. aus dem ostgrönlaudischen Packeise heraus. 
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Kxpedition sind noch 
zu verarbeiten. Sg. 

Justus Perthes' Wandkarte von Afrika zur Darstellung 
der Bodenbedeckung. Bearbeitet von Paul Langbans. 
Maßstab 1:7&00<h«j. Gotha, Justus Perthes. 
Diese Karte zeigt die Blätter der prächtigeu Afrikakarte 
von nabeinoht, Doiiiwuu und Barich der letzten Auflage des 
Slielorachen Handatlasses vereinigt und mit einigen Nach- 
trägen versehen. Das politische Kolorit ist zwar beibehalten 
worden, doch hat Langhaus außerdem durch Flächenkulorit 
die Hauptformen der Bodenbedeckung auf ihr zum Ausdruck 
gebracht, mimlicu: Geschlossener tropischer Urwald; Baum 
und Buschsavunne mit Höhen- und Galeriewäldern, Wald 
und Kulturland der gemäßigten Zone, Oasen; offene« baum- 
armes Grasland; Steppe mit zeitweiligem Pflanzenwuchs; 
Sanddünen; Sand- und Steinwüste. Nebenkarten stellen in 
größeren Maßstäben dar den untoren Kongo, das südwestliche 
Kamerun, Oberguinea und Südafrika. Außerdem veranschau- 
lichen acht kleine Übersichtskarten die allmähliche Vervoll- 
ständigung des Kartenbildes von Afrika von leöo bis 19o0 
oder richtiger l»0rt. Man ersieht daraus, daß es unbekannte 
oder nur erkundete Gebiete von erheblicher Au*dchuung 
heute fast allein noch in der Sahara gibt, wo aber, dank der 
Aufklärungsarbeit der Franzosen, das Routeuuetz auch immer 
enger wird. Den oberen Rand der Karte schmücken die 
Porträts von 14 großen Afrikuf-'rwhern, eine gut und glück- 
lich gewählte Galerie, au der die Deutschen mit sechs Männern 
beteiligt sind. Daß auf der Karte auch fast die gauze arabische 
Halbinsel hat Platz finden können, muß als Vorzug tietrachtet 
werden. 

Edgar Thur.slnn, Kthnngraphtral Notes in Southern 
Indin. Witb 4u plaies. Madras, Govertimmit l*ress, 
liH'ii <i s. 

Der Verfasser dieser ethnographischen Notizen ist der 
Leiter lies Regierungsmuaeiim* in Madras. Kr hat lange Jahre 
in Indien gelebt, unter den verschiedenen Kasten und Stam- 
men eifrig geforscht . gesammelt und schließlich dieses an 
Tatsachen reiche, fast i'.oo Seiten starke Werk verfaßt, welches 
uns zeigt, wie mich für Vorderindien die Zeit gekommen ist, 
schnell noch mit verstärkten Mitteln alles Kthnographische 



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einzuheimsen. „Später", b<>iOt e* du, .wird einmal für anthropo- 
logische Zwecke genug Geld vorhanden «ein, wenn es kein« 
Eingeborenen mehr gibt." Also auch hier tut Eil» not. Kur 
einzelne Sitten und Gebräuche, religiöse Handlungen und 
abergläubische Gebrauche sind es, welche der Verfasser 
schildert, wobei Hindu, Tamilen und drawidische Urcin- 
geboreue gleichmäßig berücksichtigt werden. Gründlich 
und mit sorgfältigem Kingchen auf alle Einzelheiten worden 
Hochzeitsbrauch« und Totenfeiern, Omina, Kaubermittel, 
Körperverunstaltungen, Torturen. Sklaverei, du« F«u«rlx>r«it«n 
durch Reibung, Kindesmord, die Meuachenopfer der Meriah, 
die Namen der Eingeborenen, die Couvade, das Erdeessen usw. 
behandelt. Kin überreicher Inhalt, welcher häutig zu inter- 
essanten Vergleichen herausfordert oder die Frag« uach der 
Entstehung und Herkunft mancher Bräuche nahe legt. In- 
dessen auf Spekulationen läßt sieht der Verfasser nicht ein, 
und wir sind ihm dankbir fdr die Vertiiittolung der kritisch 
gesichteten wertvollen Tatsachen. (Vgl. auch die Notiz S. NH>.J 

The Vojajf« of (he „SmIU*. Ik-ing tbe Kecnrd of Kxplo- 
ration in Antarclic 8«as. Bv Three nf the Stuff. XXIV 
u. Ä7S S. Mit 105 Abb. und 3 Karten. Edinburg und 
London, blackwood and Sons, 190H. 21 s. 
Der schottischen Südpolarexpedition , die anfangs von 
mancher Seite für überflüssig und unnötig erklärt worden 
ist, wird heute w«hl allgemein ein angesehener Platz in der 
Reihe der Unternehmungen zugebilligt, die die jüngste Ära 
der Südpolarforschung darstellen. Sehen wir von dem mehr 
zufälligen »folge ab, daß ihr allein die Entdeckung .neuen 
Lande** geglückt ist, so sind ihre ozeanographischen Arbeiten 
und die fast zweijährigen Beobachtungen auf den Süd-Orkney* 
voii großem Wert, und zwar letztere um so mehr, als die 
dortige meteorologisch-magnetische Station nun durch die 
argentinisch« Regierung weiter aufrecht erhalten wird. Sonst 
überall unvermittelter Abschluß der Expeditionen, hier ein 
lobenswerte« Weiterarbeiten auf der gewonnenen Grundlage 
— und da» dank dem Verständnis eines der bei uns als so 
rückständig verschrienen südamerikanischen Staaten! Drei 
Mitglieder der Expedition, ihr Botaniker (R. N. Rudmose 
Brown), ihr Meteorolog (R. V. Mossman) und ihr Geolog 
(J. H. Harwey l'irie) haben sieh der dankbaren Aufgabe 
unterzogen, in dem vorliegenden Ruche ein Bild von den 
Schicksalen und Arbeiten der Expedition zu entwerfen. Da» 
ist ihnen aufs beste gelungen, es ist ein ebenso anschaulich 
geschriebenes, wie gehaltvolles Rei*e*erk entstanden, das 
auch mit Karten und Abbildungen zweckmäßig und schon 
ausgestattet ist. Der Verlauf der Expedition wird noch be- 
kannt sein; es mögen daher einige andere Einzelheiten berührt 
werden. Bei dem ersten Vorstoß nach Süden (1903) traf 
man bereit* unter so" 28' auf die Packeinkautc am 2. Februar; 
denn der letzte Winter war (Nordenskjolds Erfahrungen) im 
Weddellineer sehr hart gewosen. Am 22. Februar erreichte 
da» Schiff unter 70* 2S' -ndl. Hr. »einen südlichsten I'unkl in 
jenem Jahre, ohne auf Anzeichen von Land zu stoßen. Der 
zweite Vorstoß nach Süden, im Jahre 1904, begann erst Ende 
Februar. Hierbei wurde unter 72« 18' siidl. Rr. uud 17° 58' 
weatl. L. eine neue Küste entdeckt, die nach zwei Macenen j 
der Expedition den Namen Conti Land erhielt. Man verfolgte , 
sie 1 5<> Seemeilen weit nach Südwesten, allerdings hinderte 



das besonders dicke und schwere Packeis eine größer« An- 
näherung al» bis auf zwei Seemeilen. Eigentliches Land sab 
man nicht, man segelte vielmehr au einer Kisbarriere entlang, 
die der bekannten Roß seilen um Vict-orialando glich, aber die 
Tiefenabnahme (bis auf 100 Faden), der Charakter der Eis- 
vcrh*ltni**e uud das Vogelleben ließen über die Natur dieser 
Barriere keinen Zweifel. Da« Kit schien nach dem Innern 
hin anzusteigen. Man war auf diese Entdeckung um so weniger 
gefaßt, als Roß für eine Stelle unter 66" 32* «üdl. Br. Und 
12*4»' westl. L. in 400<) Kaden keinen Grund angibt. Diese 
Augabe erwie» sich aber al* falsch — die Schotten fanden 
nur eine Tiefe von 2*«0 Fadeu — uud Roß' Irrtum »eheint 
auf eine merkwürdige, von der schottischen Expedition ermit- 
telte Tiefetistrümung, die di« l-ot leine fortgeführt hat, zurück- 
zugehen. Der Führer der schottischen Expedition, Bruce, 
vertritt die Meinung, daß Coatsland bin Kuderbyland sich 
fortsetze und Kontineiitalttitste sei; darauf deuteten die Blocke 
auf dein Meeresgründe davor hin, die die Eisschicht her- 
gebracht hahe. — Mannigfitch und eingehend sind die Beob- 
achtungen an der Svotiabai der Laurieiusel in den Süd- 
Orkney». Seit 18:«, »|s Dumout d'Urvillc die Gruppe besuchte, 
ist dort nicht mehr exakt wissenschaftlich gearbeitet worden. 
Allerdings hat 1893 Larsen die Gruppe angelaufen, aber von 
dessen Mitteilungen halten di« Schotten offenbar nicht viel 
(«ein „wundervoller Pinguin" wurde nicht gefunden). Charakte- 
ristisch ist das Antlitz der Gruppe; sie ist eine Kette ver- 
sunkener Inseln, Ton denen nur noch die Spitzen aus dem 
Meere emporragen. Ein Fossiiienfund führte zu weitreichenden 
Schlüssen auf eine ehemalige kontinentale Landv«rbindung 
zwischen Südamerika und Südafrika. Eine Eigenheit der 
Süd-Orkneys ist da* ausnehmend schlechte Wetter. Wirklich 
schönes Wetter hatte tniin nur selten. Es gab I HO sunnenlo«« 
Tage im Jahre. Die mittlere Bewölkung betrug 82 Proz. 
Im Januar 1904 war der Himmel zu 93 Proz. bewölkt, uud 
man hatte nur 4t) Stunden Sonnenschein. Man erlebte sehr 
starke Temperaturschwatikungen wahrend de» Sudwinler» 1903. 
Diese Verhältnisse werden durch die dem Packeis so nahe 
Lage der Inseln hervorgerufen. Die während der Expedition 
erlebte überhaupt höchste Temperatur in der Antarktis, -f- 8, 2" ( ', 
fiel infolge eines zweitägigen Föhns mitten in den Winter 1903 
(31. Mai). Ende November lt>03 wurde das in der Bcotiabai 
liegende Schiff vom Ei»e frei; 11*04 wich das Eis erst mit 
Ende de* Jahre* au» der Bucht. Der stärkste Regenfall 
wurde mit '/, Zoll am 16. November 19<M beobachtet. Die 
Hitze an diesem Tage in deu Strahlen der Sonne war .wirk- 
lich schrecklich". Die Gletscher der Orkneys rücken außer- 
ordentlich langsam vor: knapp 1 m in neun Monaten. Viel 
Interessantes bot das Tierleben. Zwischen dessen Äußerungen 
und den klimatischen Vorgängen bestand natürlich Zusam- 
menhang. Ende April 1903 zogen die Vögel nach wärmeren 
Gegenden, Ende August 1903 bereits kündigte der nahende 
Frühling sich durch die Rückkehr der Weddellrobbe an. Am 
9. Oktober kamen dann dio Pinguine in großen Scbarcu au* 
Norden; 1304 geschah da* am 14. Oktober. Beide Male erfolgte 
die Ankunft nach dem letzten Kaltesprung der Jahreszeit. 
Von den wichtigen Lotungen der Expedition war schon früher 
im Globus die Rede. Auf der Heimreise der „Si'otia" 1904 
wurden unter anderem noch auf der Goughiiuel und auf 
Ascension Beobachtungen gemacht (vgl. Globus, Bd. 91, S. 52 
und :i7). Sg. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit Qu«llsaaiitfal>* B**t»ttet. 



— Graf Eugen Zichy von Vasouykeö, geboreu am 
5. Juli 1837 in Mihaly, ist am 2«. Dejtetul>er v. J. in Meran 
gestorben. Kr entstammte einer alten ungarischen Fa- 
milie, deren Name oft in der Geschichte ihres Vaterlandes 
erwähnt wird, und w«r selber ein häufig genannter Politiker 
und eifriger Förderer Ungarns auf kulturellem Gebiet. Ein 
Ausfluß seiner Liehe zu Ungarn waren Graf Zichys Versuche, die 
asiatische Urheimat seiner Landsleute durch zwei Forschungs- 
reisen festzustellen, um deretwillcu seiner jetzt hier gedacht 
werden muß. Die Jahre 1895 bis 1 Susi führten ihn zum ersten- 
mal nach dem Kaukasus und Zentralasien, eine zweite Reise, 
1807 bis 1899, ebondahiu, schließlich über l'rg» nach Peking. 
Über die erst« Reise berichtete Graf Zichy in einem Buche 
.Voyages au Caucase et et) Asie centrale" (1897). Die besonders 
reichen und sehr mannigfaltigen wissenschaftlichen Ergcb 
nisse der zweiten Reise erscheinen in mehreren Bunden seil 
1900 unter dem Titel .Dritte asiatische Forschungsreise de» 
Grafen Eugen Zichy* (deutsch und tingarisch). Die ein/.el 
des noch unvollendeten Werkes, dessen Fertig 



Stellung aber hoffentlich gesichert ist, sind von verschiedenen 
Fachleuten bearbeitet. Allgemeiner Art ist der von Graf 
Zichy selbst geschriebene *>- Band (, Forschungen im Osten 
zur Aufbellung des l'rBprungs der Magyaren; Geschichte, 
I bersicht, Wahrnehmungen und Ergebnisse meinst- Expe- 
dition*,!, der 1905 erschien. In der im Globus. Bd. »8, S. 241. 
abgedruckten Besprechung der letzten Bünde des Werkes ist 
auch eingehender der wissenschaftlichen Verdienste des Ver- 
storU-ueu gedacht. 

— England und der Kongostaat sind übereingekom- 
men, ihre Grenze nördlich vom Albert Edwardsee 
endgültig festzulegen. Zu diesem Zwecke hat im Januar 
eine englisch-kongostaatliche Kommission die Ausreis» dort- 
hin angetreten- Sie soll den Grenzstreifen von der deutsch - 
osLifrikanischeii Nord westgrenze ab den HO. Meridian ent- 
lang uud weiter nördlich auf der Wasseracheide zwischen 
Kongo und Nil vermessen, worauf die Iwiden Regierungen : 
sich über den Vorlauf der Grenze einigen wollen. Die An- ; 



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100 



Kleine Naohriehten. 



regung dazu scheint von Kugland ausgegangen zu »ein, den» 
der Kongostaat zeigt erfahrungsgemäß immer wenig Neigung 
zu ««leben Orenzfe»tselzungen. Int doch ?.. B. zwischen uns 
und ihm die sogenannte Kiwugrenze vor Jahren schon vor' 
messen worden, and noch immer mangelt es dort »n der 
nötigen Formulierung der Grenze, über die die Auslebten Ii üben 
und drlihen noch sehr weit auseinandergehen. Englischer 
Kommissar i*t Major Bright, derselbe, der zur letzten deutsch- 
euglischen Grenzkommission in Oslafrik» gehört hat, Und 
kongostaatlicher der Kommandant Leinaire, der durch «eine 
Arbeiten in Kutanen und bei Lado bekannt ist- 

Daß England den dringenden Wunsch hatte, die Grenze 
zwischen Uganda und dem Kongostaat endgültig festzulegen, 
erklärt «ich daraus, daß «ich eine starke Veränderung der 
Lage de* Grenzmeridian« im Verhältnis zum Albert Edward- 
see und zum Hunssoro ergeben hat. Der Sc« und da» Ge- 
birge sind nach \Ve»ten genickt. Der See wird nicht mehr 
vom Meridinn in eine englische und in eine kongostaatliche 
Hälfte zerschnitten, sondern liegt jetzt vollständig im Kongo- 
staat, und diesem wird auch der größte Teil de« Runsmro 
mit «vinen höchsten Spitzen infolge jener Verschiebung zu- 
gewiesen. Es ist ziemlich klar, daß das nicht so bleiben 
wird. Englands Wunsch nach einer Revision der alten, auf 
Grund mangelhafter Karten geschlossenen Abkommen und 
nach einer sogenannten natürlichen Grenze laßt vermuten, 
daß es sieh nicht vom Albert Edwardsee und vom Runswirt) 
zurückdrangen lassen will, und diesem Verlangen wird «pikier 
bei der Grcnzfestsetznng »icher Rechnung getragen werden. 
Eine Kompensation für den Kongostaat würde sich dadurch 
ermöglichen, daß England auf die Wassericheide als Grenze 
nördlich vom Sem Ii H verzichtet und den Kongostaat an den 
Albertsee heranlaßt. Es ist sogar möglich, daß England sich 
auch noch die Kirungavulkane roui Kongostaat abtreten 
laßt. Es halt sie für die Mfumhiro berge Bpekes und Stanleys 
(was sie ja auch sicher sind), und auf diese hat es immer 
Anbruch erhoben. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß die 



— In einer Zeit, wo hei uns die Körperstrafen in den 
Schulen m gut wie abgeschafft sind ( wiewohl manchem un- 
nützen Huben eine Portion ungebrannter Asche recht heil- 
sam ist), mag e» von Belang «ein, darauf hinzuweisen, wie 
die Körperstrafen in den Hindu- und Tamilen- 
sch u lau beschaffen sind, an der Hand der kürzlich ver- 
öffentlichten „Ethnographie Notes' des Leiters de« Madraser 
Museums, Thurston (vgl. 8. Zum Teil erinuern diese 

Körperstrafen, deren 42 Arten aufgezählt werden, an Tor- 



und Equilibristeu. Der Stock au» RoUngrolir mit silbernen 
Knöpfen ist das untrennbare Zeichen des Schulmeisters, mit 
dessen Hilfe er Handflächen »der Hinterteil bearbeitet. In 
einigen Schulen ist es Kitte, daß die Schüler ihr Hinterteil 
stets entblößt halten müssen, damit der Lehrer schnell genug 
die Strafe aufführen kann. Zupfen am Ohrläppchen und 
Backenstreiche sind ganz gewöhnliche Dinge, die unartige 
Huben auch gegenseitig au sich auf Befehl des Lehrers aus- 
zuführen haben. Körperverzwangungen schmerzhafter Art, 
Stehen auf den Zehen, Knien auf scharfen tiegenstanden 
werden häufig angeordnet; auch das feilschen mit Nesseln 
ist häufig, wobei dem Sünder die Hünde zusammengebunden 
sind, damit er sich nicht kratzen kann. Wird die lange 
andauernde Schwellung zu mark , so wird sie mit Kokosöl 
eingerieben. V«'h schlimmer ist e«, weun der Sträfling ent 
kleidet und gebunden mit einem sülieti Wasser begossen wird, 
das die zahlreichen Ameisen und anderen Insekten anlockt, 
die den Unglücklichen auf das schmerzhafteste peinigen. 
Aufhängen au den Händen, Aufstellen in der Tropensonne 
sind häufige Strafen; auch das Kauen von trockenem Stroh 
soll nach indischen Begriffen pädagogisch wirken, u. dgl. m. 
Die Einführung der Schulbänke durch die Engländer bat zu 
einer neuen Art von Strafe goführt. Man schnallt die Un- 
artigen hinge Zeit mit dem Kücken nach obe.u darauf und 
bearbeitet sie mit dem Rohre, wobei denn auch die Eltern 
und Verwandten de« Sträfling« vom Lehrer mit geineinen 
Sc-himpfworten belegt werden. I'nd trotzdem wird der Schul 
meiner von «einen Zöglingen geachtet uud geliebt, und ein 
Tamilensprichwort sagt: Der 1 -ehrer kommt zu Wiscbou (in 
den Himmel), der Doktor in die Hülle. In neuester Zeit ist 
vieles von den barbarischen Strafen abgeschafft worden. 



Togo angetreten hat (vgl, Globus, Bd. 80, 8. .124), so wird 
auch sein Kollege Max Moisel eine solche Reis« nach Ka- 
merun unternehmen. In die Kosten teilen sich die Kolonial- 
abteilung und das Gouvernement von Kamerun, während für 
Sprigade leben dem Gouvernement von Togo die Deutsche 
Kolonialgesellschaft die Mittel hergegeben hatte. Moisel will 
im September d. J. die Ausreise antreten. Als Marschroute ist 
bestimmt: Viktoria— Haea— Johann Albrechtshobe— Fontem— 
Bali — Bamenda— Bamum— Mbo— Manengubagebirge — labassi 



— Moisels Studienreise nach Kamerun. Wie Karto- 
graph Paul Sprigade Anfang Januar ein 



— Herrmanns Filcomayo-Kxpcdition. Der Ingenieur 
Wilhelm Herrmann, der im Auftrage einer deutschen Ver- 
einigung von Kapitalisten und Gelehrt«» vor nahezu Jahres- 
frist nach Doli via ging, um von da aus den l'ileomayo au f 
seine Brauchbarkeit als Schiffahrtsweg zu untersuchen uud 
ihn zu diesem Zwecke bis nach Asuucion hinunterzufahren, 
hat über seine bisherigen Ergebnisse in einem Briefe vom 
20. September aus Kortin Guachalla berichtet (Zeitschrift d. 
Berl. Gee. f. Erdkde. ISOrt, S. 710). Guachalla liegt im süd- 
östlichen Bolivia am mittleren Pllcoroayo unter 22*25'sudl.Br. 
Herrmann verließ es am 4. August v. J. auf einem Ä m langen 
kasteuartigen Fahrzeuge und in Begleitung eines Argentiniers 
und einiger bolivianischer Soldaten, während die übrige Mann- 
schaft am Ufer entlang marschierte. Die Fahrt ging im all- 
gemeinen glatt vonstatten, und Herrmann gelangte bis zu 
den Patinosümpfen, die er unter 24° südl. Br. verlegt. (Nach 
Eric' Karte, Globus, Bd. »», 8. 214, liegen sie etwa '/,° »üb- 
licher.) Stromschnellen oder Wasserfälle waren den Antraben 
unserer bisherigen Karten widersprechend nicht vorhanden. 
Hindernisse bildeten nur die Sandbänke und die im Fluß lie- 
genden Baumstämme, suwie di« zahlreichen Fischbarrieren, 
die die dort zu vielen Tausenden wohnenden Indianer von 
Ufer zu Ufer gezogen hatten, um das Entweichen der Fische 
nach dem Nachbargebiet zu verhindern. Es bestehen diese 
Barrieren au« annstarken Baumstämmen, die von Ufer zu 
Ufer in den Boden geschlagen und durch Weidengeflecht ver- 
bunden sind, und es kostete stets viel Arbeit , ein Loch zum 
Durchfahren zu eröffnen. Die Ufer waren anfangs 10 bis 
12 m hoch, wunlen aber immer flacher. F.« war die trockenst* 
Zeit des Jahres, unter gewöhnlichen Umstanden überschwemmt 
der Pilcomayo hier bereits weit und breit seine Ufer. Diese 
wunlen ungangbar, und hinter ihnen breiteten sich Sümpfe 
au«. Am 1. September, in der Nähe der ratinoaümpfe, be- 
gann der l'ileomayo sich zu verästeln, und der Hauptstrom 
teilte sich schließlich in zwei große Arme, die mit Sand- 
bänken, Bäumen uud Gestrüpp erfüllt waren, «ich aber wieder 
vereinigten. Mit dem Fahrzeug hier einen Weg tu Anden, 
war nicht möglich; denn die Beseitigung der Hindernisse 
hätte Monate erfordert. Man zog also zu Fuß weiter. Am 
4. September teilte der Fluß (wohl in den Patiiiosümpfen, 
vgl. Frli' Karte) sich wieder, und zwar in ein Setz von un- 
zähligen Armen, die durch sumpfiges Terrain flössen. 
Man versank hier bis au den Knien, mußte sich schließlich 
ganz ausziehen und bis an den Hals im Wasser waten, Klei- 
dung und Gewehr auf dem Kopfe. Uerrmaun sah, daß es 
unmöglich war, hier zu Fuß oder mit dem Fahrzeug weiter 
vorzudringen, und so entschloß «r «ich am .V September zur 
Umkehr. Diese wurde zu Laude, am Ufer entlang, bewirkt. 
Am 19. September war Herrmann wieder in Guachalla. Er 
bemerkt, daß die Karten von Thouar, Cauipo«, Footana u. a. 
gänzlich falsch oder gar gefälscht seien. Zur Kenntnis der 
Anwohner, der Tapiete, Toba, Mataco und Charoti, bat er 
durch seine Beobachtungen beitragen können. Hiernach 
sieht es leider nicht so aus, daß der Pilcomayo, wie an- 
genommen, als Wasserstraße für Bolivia sonderlich in Be- 
tracht kommt, weun er auch zwischen dem 24. und 22. Breiten- 
grade ungeteilt und für kleinere Fahrzeuge benutzbar ist. 
Kr soll es auch weiter aufwärts bis San Francisco (etwa 31* 
25' südl. Br.) sein, und dieses Stück wollte Herrmann nun zu- 
nächst untersuchen. Die Erfahrungen des Norwegers Lange 
(vgl. Globus, Bd. 89, S. 370) sind bezüglich der BvnuUbarkelt 
des l'ileomayo auch nicht sehr trostlich. 



— Hans Vischer hat seine Reise durch die Sahara 
von Tri|K>tis über Mur«uk nach Nigeria lieendet, wie er der 
Londoner Geographischen Gesellschaft mitgeteilt hat. Einzel- 
heiten über den Weg, den er zurückgelegt hat, fehlen noch, 
doch scheint er die bekannte Straße über Dil ton begangen 
zu haben, die zuletzt Montcil 1902 in umgekehrter Richtung 
gezogen war. Tibesti hat Vischer entgegen »einer Absicht 
nicht besuchen können. 



II- Sln(f»r, 



Friedr. Viewee u S»hn. 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT für LÄNDER- und VOLKERKUNDE 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" DND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prüf. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 7. BRAUNSCHWEIG. 21. Februar 1907. 

Nachdruck nur nwh Cb«*lBkunft mit >ler Veriagtti&rMllqnn g**uu«t. 



Die wirtschaftliche Entwicklung der Ugandabahn-Länder. 



Von Alfred Kaiser. 



(Sehl 

Volle . r >6 km WegeN müssen wir zurücklegen, bis wir, 
der N*«»ia folgend, an ein erstes Nebengewä^ser, den 
Gausso Ologerru, gelangen, dann weitere 35 km bis 
an den Guasso Masa, der, vom Klgeyo-F.scarpment kom- 
mend, an der Grenze von Kawiroudo mit der Nsoia sich 
verbindet. Also überall noch das gleiche, wasserarme Sa- 
vannen- und Steppenbild. Mit Ausnahme einiger herum- 
streifender Jäger nirgends ein menschliches Loben , nur 
Gras und Busch und den genannten Wasserlänfen entlang 
ein schmales 
Band von 
sog. Galerie- 
wald. Wenn 
nicht das 
Elgongebirge 
und einige 
isolierte FeU- 
kuppen, an 
der Nsoia der 
Rsoi Sambu 
(Abb. 16), am 
Masaflussedie 
Kldalatberge, 
uns als Weg- 
weiser dieu- 
ten , würden 
wir uns wohl 
kaum surecht 
finden in die- 
ser reizlosen, 
eintönigen 
Landschaft. 
F.inige Ab- 
wechslung 
bietet nur der 
reiche Wild- 
stand, in den Niederungen die Moor- und Kuh- 
antilopen , die Busch- und Wasserböcke, die Zebra- 
herden und die flüchtigen Schweine. Auf den weiten 
Grasebenen gewahren wir von Zeit zu Zeit den dunklen 
Ricsenkörper eines Nashornes oder als Seltenheit auch 
eine Flefantenherde, in den Akazienhainen treffen wir 
auf die füufhörnige Giraffe, und des Nachts umkreisen 
Löwen und hungrige Hyänen unser Lager. 

Wir nähern uns dem Elgongebirge, jenem breit- 
fuüigon, etwa 2500 m über seine Umgebung sich erheben- 
den Vulkankegel im Norden der Ugowebai und auf der 
Olotmi XCI. Vt 1. 




Abo. t*. Esol-Sambubenr. Vop Kai*rT enttlrrkt I90& 



08.) 

Grenze des Ugnndagehietea. Hier sehen wir wieder 
etwas Waldwuchs, in breitem, nach Norden hin sich ver- 
lierendem Bande das untere Drittel des Berges umfassend. 
Überall steigen weiße Rauchsäulen über dem Graugrün 
dieses Waldes empor, wie am Kilimnndscharo die Farm- 
feuer der Wadschagga und am Meruberge die Rauch- 
wolken der Waruscha und Wameru. Auch hier bandelt 
es sich um die Farmfeuer einer ansässigen Ackei- 
bauerbe völkerung, der WakitoRch , eines den Masai 

verwandten, 
mitNilnegern 
vermischten 
Volksstam- 
mes(Abb.li). 
Diese Siede- 
lungen liegen 
aber noch 25 
bis 30 km 
von der Nsoia 
entfernt und 
können für 
uns keiu wei- 
terei Inter- 
esse haben. 

Durch ein 
enges Felsen- 
tor ziehen wir 
hinein in das 
Kawirondo- 
gebiet, ein 
ausgedehnte» 

Hügelland 
mit weniger 

ausgespro- 
chenem Step- 
pen- und Sa- 

vannencharakter. Schon nach wenigen Marscbstunden 
kommen wir bei den ersten, allerdings verlassenen, Dör- 
fern vorbei, dann aber wird es bald lebendig, und auf 
allen Anhöhen beobachten wir die Spitzkegeldacber und 
Farmanlagen der ansässigen Wakawirondo. Ks sind die 
Kabraschleuto (Abb. 18), die hier wohnen, der am wei- 
testen nach Osten vorgedrungene Kawirondostamm, inter- 
essant durch die Lippen pflöcke, deren die Frauen sich 
zur Verschönerung bedienen- Schon diu Ausdehnung der 
Ackerfelder deutet uns an, daß wir es hier mit einem 
neuen Volke zu tun haben, und bald lernen wir die Leute 

14 



102 



Alfred Kaiser: Die wirtschaftliehe F.ntwickelung >ler Ugandahahn-Länder. 



selbst kennen, «iu nicht gerade intelligenter, alter ver- 
hältnismäßig arbeitsamer Negerstamm aus der Verwandt- 
schaft der Scbilluk und oberen Nilvölker. Iuiiner dichter 
werden die Siedelungeu und häufiger die hebauten Acker- 
flächen. D> i starke Morgentau, die dunstige Abendluft 
und die heftigen Nachtgewitter zaubern eine üppigere 
Vegetation hervor, als wir sie »uf dein (iuasso Ngischu- 
I'luteau oder im (irahentale kennen gelernt haben. I >te 
Wälder beschränken «ich allerdings aurh hier nur auf 
die InKItratiouszone der Gewisser; die letzteren sind 
aber viel hautiger und durchziehen, Ton Süden und von 
Norden her kommend, das gesamt« Kawirondogebiet. Hier 
braucht DU keine vier und sieben Stunden mehr zu 
gehen, um an ein fließende» Hächleiu zu gelangen, sondern 
alle hallte oder sogar alle Viertelstunden kreuzt ein 
solches Gewässer unseren Weg, und wo in einer Talmulde 
ein trockenes Kinnsal verläuft, da fließt doch 
wenigstens einmal im .lehre ein rauschendor Räch 
in seinem Hette. Gräbt man ein Loch in die Erde, 
so findet man auch auf den trockensten Stellen 
meist schon in zwei Fu ß Tiefe eine reichliche 
Hodeufeuchtigkeit. Will man sich ein Acker* 
feld anlegen, so braucht man also 
gar nicht die niederen Lagen aus- 
zusuchen , sondern mau kann in 
den meisten Füllen selbst die höhe- 
ren Hoden wellen bebauen. Auch 
die Teni|H>raturverbültnisse sind 




r ^ 



Abb. 17. Wakonfl vom Eigen. 

nicht gerade ungünstig zu nennen, denn den Tag über weht 
meist eine frische lirise, und die Nächte sind eher kühl 
als warm zu nennen. Aber dennoch ist Kawirondo kein 
Land für den weißen Siedler, denn es ist ein Horst des 
gefürehtete» Malariafiebers, der Dysenterie und so man- 
cher underer gefährlicher Krankheiten. Wo die reich- 
lichen Nioderschlugswasser stagnieren , dn summt das 
(leer der Auophelesmücken. dn entwickeln sich die Larven 
der zahlreichen zur Zeit von Epidemien als Krankheits- 
überträger sehr gefährlichen Fliegen, wo trockener Hoden 
sich findet, da bohrt der Sandfloh den Arbeitern sich in 
Füße und Hände ein, und wo wir uns dum Seegestade 
nähern, da droht die Schlafkrankheit ihren verheerenden 
Todeszug abzuhalten. Wenn eine Siedelung hier gelingt, 
so ist es nur die der Inder; da wir in den Wakawirondo 
aber eine sehr zahlreiche Ackerbaubevolkerung vor uns 
haben, so dürfte eine größere Ansiedelung van Indern 
auch hier nicht sehr zu empfehlen sein. Vielmehr wird 
v» sich bei der Hebung der Rodcuwirtscluift auch hier 
nur um Förderuug der Kingeborenenarbeit und um Ein- 
führung eines von Europäern geleiteten, über nicht durch 
ihre eigene physische Kraft auageführten landwirtschaft- 
. liehen Großbetriebes handeln können. Zurzeit ist freilich 
; noch wenig zu erwarten, denn die Wuk.i wirondo ( Abb. 19) 



sind ein äußerst niedrig stehendes, für wirtschaftliche 
Fortschritte wenig empfängliches Negervolk. Sie werden 
fremde Sprachen und fremde Sitten annehmen, neue 
l i hiirtiknJ zu erwerb i liehen und selbst dem sil- 
bernen und kupfernen Mammon nicht abgeneigt sein, 
zur goregelten Arbeit « erden sie sich aber »ehr ungern 
bequemen, und wenn man ihnen das Recht der Sklaverei 
und der -klaviachen Behandlung ihrer Weiber entzieht, 
so werden sie in ihrer Produktion viel eher zurück wie 
vorwärts gehen. Man sieht zwar einzelne 
Wakawirondo als Arbeiter an der l'ganda- 
bahn (ieh traf eine kleine Kolonie bei Na- 
kurro), aber im allgemeinen sind sie norh 
keiner geregelten Arbeit fähig und nicht 
einmal als Schiffsleute auf dem See zu 
brauchen. Da- bißchen Verstand, das diese 
Leute in ihrer kleinen Scbüdelkap>el ber- 
gen, wird durch reichlichen Weißbiergenuß 
und namentlich durch Hoscbischraucheu 
und geschlechtliche Exzesse abgetötet Daß 
auch die physischen Kräfte unter den 
schwiii banden Folgen dieser Laster leiden, 
Unverständlich, und wenn man schließ- 
lich in Retracbt zieht, daß ein großer Teil 
lei It.'V'ikei il' dm •„•h klimatieehe und 
andere sehr -i hwer zu bekämpfende Krank- 
heiten in »einer l'roduktionskruft geschmä- 
lert wird, so wird man trotz 
dar großen Kopfzahl der 
Wakawirondo und trotz des 
fruchtbnren Rödern ihres 
Wohngebietes nus diesem 
Teile des Ugandabahnareals 
nicht allzuviel erwarten dür- 
(•■n. Vorwärts gehen wird es 
aber dennoch, nnd zwar um 
10 eher, sls die Wakawirondo 
viel leichter unter Aufsicht 
zu halten sind als die übri- 
gen Negerstämme und 
die Masaivölker, die wir 
schon kennen gelernt 
und in Sotiko- Lumbwa 
noch antreffen werden. 
Daß die Wakawirondo 
nicht kriegerisch sind, das beweist die Zone niederge- 
braunter Ortschaften, die ihr Wohngebiet umgibt, die 
primitive Herstellung ihrer Lanzeukliugeu und die ganz 
abnorme Größe ihrer Schilde. Sie haben den Engländern 
tatsächlich noch wenig Schwierigkeiten bereitet und sind 
trotz ihrer Volkszahl ein viel ungefährlicheres Element 
als die ihnen benachbarten Wanandi, die schon viel mehr 
von dem unruhigen und nicht leicht zu führenden Masai- 
blute in sich haben. 

Em den Ackerbau der Wakawirondo auf eine höhere 
Stufe zu heben, genügt es nicht, sie einer besouders 
scharfen Überwachung und einem direkten Arlteitszwange 
zu unterstellen, sondern es müssen auch hier neue Kul- 
turen eingeführt uud es muß dafür gesorgt werden, daß 
die Lande*|. rodukte einen hinreichenden Absatz nach 
außen finden. Man bat hierbei an den Raumwollbau 
gedacht und mit der Anpflanzung von Raumwolle auch 
schon kleine Versuche gemacht. Diese haben leider zu 
keinem befriedigenden Resultate geführt, und wenn die 
Pflanze hier auch gedeihen möchte, so wäre vorderhand 
wenigstens, d. Ii solange als die W ikawirando f. -rt s-Lritt - 
liehen Neuerungen noch mit so großer Gleichgültigkeit 
gegenüberstehen, an eine rasche Elitwickelung ihrer 
Kultur aN ein Eigenuiiternehmcn der Eingeborenen nicht 




Alfreil Kaiser: Die wirtschaf tliohe Kntwiokolung der Ugandabahn-Lander. 



I()3 



/u denken. Eher schon könnte diese Kultur als ein 
Unternehmen europäischer Großfarmer unter Zuzug land- 
wirtschaftlicher Maschinen sich zu einiger liednulung 
entwickeln, aber — wie schon angedeutet — es liegen 
noch keine Anhaltspunkte dufur vor, daß die Hauinwolle 
hier alle ihre Existenzbedingungen erfüllt finden werde, 
die zur F.rzeugung einer guten und gleichartig bleiben 
den Faserqualit&t erforderlich sind. Nach den meteoro- 
logischen Beobachtungen, die in den Jahren 1903 und 
1904 bei Port Florence am Viktoriasee gemacht worden, 
ist der Kegenfall des Kawirondogebiete* jedenfalls sehr 
unsicher und großen Schwankungen unterworfen. Wäh- 
rend im ersten Jahre etwa 16(10 mm Niederschläge fielen, 
erreichten sie in den darauf folgenden 11 Mo- 
naten nur etwa 1100 mm, und die einzelnen 
Monate weisen in den beiden Jahren so ver- 
schiedene Niederschlag« werte auf, daß man 
aus ihnen nicht einmal ein deutliches Hild der 
Trocken- und Kegenperioden konstruieren kann. 

Von großer Wichtigkeit kann für die trocke- 
neren Striche von Kawirondo die Einführung 
der Krdnußkultur werden. Sie liefert ein Pro- ^ 
dukt, das viel eher wie Mais und Matamma, ja 
sogar wie Höhnen die Kosten des langen Eisen- 
bahntransporte« ertragt Da ihre Kultur fer- 
ner keine technischen Schwierigkeiten verursacht 
und sogar bei dem primitiven Hackbau noch 
ganz betrachtliche Ernten abwirft, dürfte sie 
sich für die Wakawiroudo sehr gut eignen. Die 
Erdnußausfiihr auf den Schienen der Uganda- 
bahn hut sich im Laufe der letzten drei Jahre 
von 9 auf 6()3 Tons gesteigert. Es ist um so 
eher anzunehmen , daß zukünftig auch Kawi- 
rondo sich an dieser Produktion beteilige, als 
der linden sich ebensogut für diese Kultur eig- 
net wie in den übrigen Seegebieten, und Kawi- 
rondo auch dann noch ganz bedeutende Mengen 
dieser Feldfrucht erzeugen könnte, wenn die 
lievölkerung nur einigermaßen für ihren Anbau 
sich gewinnen ließe. 

Die Bohuenkultur spielt schon seit alten 
Zeiten eine große Holle in Kawirondo. Als ich 
auf meiner ersten Heise etwa zwei Monate lang 
mit 400 Trägern bei der Ortschaft Mumia lagorte, 
konnte ich als Proviant der Mannschaft fast 
nur Bohnen erhandeln. Wenn wir zeitweise auch 
etwas knapp bemessen waren, so ist es immer- 
hin doch erwähnenswert, daß ich, ohne vom 
Hunger vertrieben zu werden, so lange Zeit und 
mit so vielen Leuten am gleichen Orte lagern 
konnte. Das wäre auf unserer Heise dnreb 
Deutsch-« »stafrika (von Pangaui über den Kili- 
mandscharo und Ngurumani) nirgends möglich 
gewesen, und ich glaube, daß wir damals selbst 
in Kikuyu nicht so lange uns hätten aufhalten 
können. 

Die Schwierigkeit für eine liedeutende Hebung dor 
llohnenkultiir, wie auch des Matamma- und Maisbaues, 
liegt meines Erachten« in den Rücksichten, welche die 
Regierung auf die Knt Wickelung von Kikuyu und l'kamba 
nehmen muß. Diese letzteren (iebiete müssen in erster 
Linie für die Küstcnversorgung und den Ausfuhrhandel 
in Betracht kommen, und das Gouvernement würde daher 
nicht sehr logisch handeln, wenn es die Ausfuhr dieser 
minderwertigen Landesprodukte aus den entferntesten 
Teilen der Kolonie zum Schaden von Kikuyu durch be- 
sonders niedrige Frachtsätze künstlich heben wollte. Es 
wird wohl andere l.audesprodukte, die in Kikuyu und 
seinen Naehbargehieten nicht erzeugt werden können 



oder erzeugt werden sollen, mit weitgehenden Fracht- 
ermäßigungen bedenken, nicht aber Feldfrücbte, die auch 
in küstennäheren Gebieten anzubauen sind und zuderu 
nur einen sehr geringen ökonomischeu Wert in sich 
bergen. Diese letzteren werden aber heute noch mit 
einem Frachtsätze von 5,2 Pf. pro Tonnen- 
kilometer befördert, was einer Transport- 
auslage von 49 M. die Tonne gleichkommt. 




Abb. in. Wakawlrondo. Frauen und Mädrhea. 

wenn man sie vou Port Florence zur Küste schickt 
während bei einer Versendung von Nairobi aus nur 
27,5 M. in Anschlag kommen. Die Frachtermäßigung 
müßte daher eine sehr bedeutende und von keiner 
anderen afrikanischen Itahnverwaltung erreichte sein, 
wenn sie den Export von solchen minderwertigen Landes- 
Produkten aus Kawirondo zur Küste irgendwie ermög- 
lichen sollte. Ihre Kultur wird also nur für den Konsum 
der Seegebiete selbst und nur ausnahmsweise, in Jahren 
der Mißernte anderer Gebiete, für diese letzteren in 
Betracht kommen. Wir haben früher gesehen, daß die 
meisten von Eingeborenen produzierten Feldfrücbte nicht 
einmal von dem küstennäheren Kikuyu aus über See 

14* 



1U4 Alfred Kaiser: I)ic wirUchuf tlichc Kntwickeluug der l'gaudaliahu-Läuder. 



exportiert werden können, wieviel weniger wird dies 
bei den minderwertigen Landesprodukten von Kawirondo 
der Fall nein! 

Hier kann also nur die Kinführung einest europäi- 
schen Großbetriebes unter Mitwirkung der eingeborenen 
Arbeitskräfte und Anwendung moderner Ackergerate und 
Maschinen , sowie die Einführung neuer Eingeborenen- 
kulturen, insbesondere der Erdnußkultur, eine baldige 
Änderung schaffen. Ob das eine oder das andere mehr 
Erfolg haben wird, muß die Zukunft zeigen, beute jeden- 
falls spielt Kawirondo in bezug auf seinen Ackerbau 
noch eine sehr geringe wirtschaftliche Rolle, und die 
Epidemien, die sich seit einigen Jahrun um den Viktoria- 
see hemm bemerkbar machen, sind durchaus nicht dazu 
angetan, besonders rosige Hoffnungen auf die rasche 
Kntwickelung dieses Landes in uns zu erwecken. 

Aucb hinsichtlioh der Viehzucht läßt Kawirondo 
nur äußerst unsichere Schlüsse zu. 
Die Weideplätze sind zwar gut 
und wohl noch um ein bedeuten- 
des besser wie im Grabontale, in 
Ukamba oder auf dem Guasso 
Ngischu- Hochlande. I)as einzige, 
das daran auszusetzen ist, ist der 
Salzmangel , der sich in wasser- 
reicheren Distrikten, wo die Lar- 
ven der Distomumarten sich ent- 
wickeln können, durch das häufige 
Auftreten der Leherugelkraukheit 
kundgibt. Von den Guasso Ngischu- 
Masai hörte Ich. daß in Kawirondo 
überhaupt viele Viehkrankheiten 
vorkommen; sie nannten mir „ol 
tiülub" (Maul- und Klauenseuche), 
Kngiroget (eine Lungenerkrau- 
kung). Enjalan (Klauenfäulnis), En- 
gon (eine Lymphdrüsengesehwulst I, 
ol Digana l Kaiherseuche) , Kng- 
amoniak (Ausschlagt und ol Lotun 
(die Rinderpest). Außerdem scheint 
auch die Malaria dem Viehstande 
sehr gefährlich zu sein, und srtfl 
wir wissen , haben Schafpocken 
und Lungenseuche immer um 
Westen, also von Kawirondo kom- 
mend, Rieh über Kritisch-* Mafrika 
verbreitet. 

Der Kinderschlag von Kawi- 
rondo ist verhältnismäßig gut und 
könnte durch sorgfaltige Zuchtwahl wohl noch sehr 
gehoben werden. Die Tiore sind oft weiß, seltener 
schwarz, braun oder gefleckt, wie das Masaivieh. Der 
Fettbuckel ist weniger stark entwickelt als bei dem 
Steppenrind, dafür aber die Wamme. Von Ziegen gibt 
es zwei Arten, eine kurzhaarige und eine langhaarige, 
die namentlich gegen l'ssoga hin sehr verbreitet zu sein 
scheint. Schafe werden nur wenig gezüchtet und Esel 
gar nicht. Das größte Interesse scheinen die Wakawirondo 
der Hühnerzucht zu widmen, für die Großviehzucht hin- 
gegen haben sie wenig Verständnis, und sie überlassen 
ihre Kinderherden daher meistens den in ihren Diensten 
stehenden Olgurido-Masai (gegenwärtig nach ihrem Häupt- 
linge uueh Kirisua genannt). 

Am Viktoriasee und an den großen Flußlaufen der 
Nsoia und des Yalu wird natürlich viel Fischfang ge- 
trieben. Wie schwarze Reiher sieht man hier diu schlan- 
ken Gestalten der Wakawirondo im seichten Wasser 
herumstelzen und hier ihre Fischreusen auslegen (Abb. 20). 
Es ist al>er vollkommen ausgeschlossen, daß die Fischerei 



je einmal eine handelswirt schaftliche Bedeutung erlangen 
werde, denn die Fische dieser Gegend (Karpfen und 
Welse) liefern in der Mehrzahl ein sehr wonig gesuchtes 
Fleisch, und die Wakawirondo waren jedenfalls nur mit 
großer Mühe an eine sorgfältige Konservierung ihrer 
Fischbeute zu gewöhnen. 

Trotz seiner relativ großen Fruchtbarkeit und seiner 
verhältnismäßig zahlreichen Bevölkerung scheu wir gegen- 
wartig in Kawirondo also noch keinerlei wirtschaftliche 
Fortschritte. Wenn wir von diesem Lande aber dennoch 
nicht scheiden, ohne vorher noch einige Worte über die 
Ugandabahn beigefügt zu haben, so geschieht dies nur 
darum, weil die Bahn hier ihre Endstation hat und weil 
diese letztere auch für die Zukunft der sämtlichen See- 
gebieto eine große Holle zu spielen berufen ist. 

Diese Kndstation ist der Hafenplats Kisumu oder 
Port Florence, wie ihn die Englander tauften. Der 
Ort liegt 940 km von Mombassa 
entfernt und wird mit den Haupt- 
plätzen am Viktoriasee Entebbe, 
.linja und Munyonyo, Schi- 
rati, Muansa und Bukoba 
durch zwei je 600 Tons große 
Doppelschraubendampfer der 
Ugandababn-Verwaltung in regel- 
mäßiger Verbindung gehalten. 
Nächstens wird noch ein dritter, 
1000 Tons haltender Dampfer in 
Verkehr gesetzt und das Pier von 
Kisumu so ausgebaut, daß (tüter 
direkt vom Schiffe auf die Eisen- 
bahn verladen werden können. 

Wenn die Verwaltung der 
(Igandababn auch die kleinsten 
in Afrika in Anwendung kommen- 
den Frachtsätze angesetzt hat, so 
können der großen Entferuuug 
und der dadurch verursachten 
Frachtspesen wegen natürlich nur 
sehr wenige der gegenwärtigen 
Landesprndukte ausgeführt wer- 
den. Ks werden zurzeit daher 
hauptsächlich nur Häute, Fasern, 
Kautschuk. Elfenbein, Vieh, Reis 
und Erdnüsse küstenwärts be- 
fördert, während andere Produkte 
wie Bohnen, Mais, Matamma, Hirse 
und Sesam noch nicht die Ausfuhr 
lohnen. 

D r niedrigst« Frachtsatz ist 5,1 Pf. für das Toniteu- 
kilometer, also kleiner wie in England, Frankreich und 
Kußland und nur wenig höber wie in Deutschland, wo 
ungefähr -l Pf. für das Tonnenkilometer berechnet wer- 
den. Es ist kaum denkbar, daß der Tarif für Landes- 
produkte noch bedeutend erniedrigt werden kann, denn 
die Frachtsätze der Einfuhrgüter sind schon so hoch, 
daß sie zugunsten der Ausfuhrwaren nicht mehr erhöht 
werden können, und die Leistungsfähigkeit der l'gauda- 
buhu ist im Verhältnis zu unseren europäischen Hahnen 
zu gering, ah daß hier billiger gearbeitet werden könnte 
ah auf jenen. Nur in Amerika mit seinen Hiesenloko- 
motiven und Beinen großen Güterwagen können kleinere 
Frachtsätze in Anwendung kommen (1,3 bis 2 Pf. für 
das Tonnenkilometer), nicht aber auf den Kleinbahnen 
von Afrika. Wenn wir die Frachttarife der übrigen 
afrikanischen Bahnen Übersehen, so linden wir tatsäch- 
lich auch nur sehr wenige, bei denen die Minimalfracht 
unter 10 Pf . also dat. Doppelte der rgandahuhn herunter- 
gebt. 




Abb. 18. Häuptling der Kabrasch. 

Östliche» K.iMI :: 1 . 



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Alfred Kaiser: Die wirtschaftliche Entwicklung der Ugandahahn- Länder. 



105 



Außer den Hahuspeseu kommt für die in Uganda 
und am deutsch-ostafrikanischen Seeufer gelegenen Han- 
delsplatze alter auch noch die Dampferfracht nuch 
Port Florence in Betracht. Die englische Hahnver- 
waltung ist dem deutschen Handel so weit entgegen 
gekommen, daß sie für die Trausporte aus deutschen Häfen 
nur wenig mehr Frachten erhebt als für die Sendungen 
von Uganda. Für Ausfuhrguter kommen drei ver- 
schiedene Frachtsatz« in Betracht: 

1. Erdnüsse und Sesam. Man bezahlt für wie pro 
Tonne: 

vou Kntebbe U'gandai nach Port Floren«. 1 . . 7,70 M. 

. Schirati < Deutsch 0*ufr.) . . ■ 7,70 . 

. Muniisn . . ... 12,2» . 

. Bukiiba . . . 12,2» , 

2. Häute, Fasern, Fett und Reis j>ro Tonne: 

v»n Kntebbe iCgand*) nsch l'nrt Klorence . . 14,2« M. 

. 8chirnti (Hfiit!ich-«»«tafr.) . . ... H,7» „ 

. Muansa B ,, . ... 13,77 . 

. Hukob» . .... 17,21» . 

3. Felle pro Tonne: 

v.-ii Kntebbe (irgmula) nach l'..rt r|..rence . . :)2,1S M. 

„ SchiraliOt.-.itsrli Oni.fr.) . ... 19,48 . 

, Milans» , 49,01 . 

, Huknb» . ... 38,74 , 

Für Erdnüsse, Sesauisaat und Mai« werden die Fracht- 
sätze um ein »ehr bedeutendes ermäßigt, wenn in einem 
Knlendermonat von einein oder mehreren Hilfen zusam- 
men mindestens 100 Tonnen Mais oder lfii» Tonnen 
Krdnüsse und Sesam-aat verschickt werden. Die Ge- 
namtfracht von einem der oben erwähnten Hafeuplätze 
nach Mombassa kommt dann billiger zu stehen als 
unter gewöhnlichen Verhältnissen die Hab nf rächt, doch 
sind bis jetzt noch keine derartigen Verladungen zur Aus- 
führung gelangt. Schirati hat im Jahre 11)01 nur 152 
Tonnen Ölfrüchte, darunter 113 Tonnen KrduQsse, ex- 
portiert, Muausn 581 bzw. 579 Tonnen und Bukoba 
sogar nur 10 Tonnen. Mais kommt von den deutschen 
Hafen natürlich gar uicht zur Ausfuhr, dagegen sehr viol 
Reis (Muansa 432 Tonnen), der aber keine Frachteriuäßi- 
guug genießt Von Uganda kommen noch keine nennens- 
wert« Mengen dieser mit einer Fracbtreduktion bedachten 
l<andesprodnkte zur Ausfuhr, und wenn man von Trans- 
portspesen der im Seegebiete erzeugten Landesprodukte 
spricht, hat man daher immer noch mit den obenerwähn- 
ten aus Dampfer- und Bahnfracht sich zusammensetzen- 
den Auslagen zu rechnen. 

Für Einfuhrgüter kommen außer der Bahnfracbt 
folgende Zuschläge in Betracht. 

Erste Klasse -Güter nach Eutehbo 26,70 Mark, nach 
Schirati 26 Mark, nach Muansa 40 Mark, nach Bukoba 
23,25 Mark ; alle anderen Klassen nach Kntebbe 40 Mnrk, 
nach Schirati 24,20 Mark, nach Muansa 60 Mark, nach 
Bukoba 43 Mark. 

Nach diesen Frachtsätzen würde für Ausfuhrgüter 
aus dem nicht an der Ugandabahn gelegenen See- 
gebiete eine Minimalbelastung vou etwa -S7 Mark die 
Tonne und für Einfuhrgüter aus Europa eine solche 
von etwa 165 Mark die Tonne in Betracht kommen. Für 
entferntere Hafenplätze, wie Muansa und Bukoba. würden 
sich die Frachtspesen nuch etwas vergrößern. Zu dieseu 
Kosten kommen nun noch etwa 20 Mark Lmlade- und 
Verfrachtungskosten, 6 bis 10 Pro/., andere mit dem Trans- 
portwesen zusammenhängende Auslagen und bei Ein- 
fuhrgütarn ein Wertzoll von weiteren lOProz. 

Daß der Kaufmann trotz dieser großen Unkosten 
immer noch in der Lage ist, die Produktion»- und Auf- 
nahmefähigkeit der Neegebiote «ich zunutze zu machen, 
ergibt sich am klarsten aus den anwachsenden Ziffern der 

UI..1..U XI I. Nr. 



durch die Schiffe der Ugandabahn-Verwaltung beförderten 
Warenmengen. An Einfuhrgütern transportierten diese 
Dampfer im Jahre 1904 1378 Tons, im Jahre 1905 aber 
schon 3920 Tons, an Ausfuhrgütern 741 bzw. 2602 Ton*. 
Der Handelsverkehr auf dem Viktoria N'iausa hat sich 
i somit im Laufe eines Jahres verdreifacht. Zu gleicher Zeit 
I ist der Güterverkehr der Ugandabahn um das 6' , fache 
< angestiegen, und in Anbetracht dieser Tatsachen wird 
! niemand zweifeln, daß die Seegebiete, auch wenn sie nur 
1 zum Teil einer Mehrproduktion zugänglich sind und 
wenn nur einzelne ihrer Lsndeserzeugnisxc zur Ausfuhr 
. kommen können, in absehbarer Zeit eine große wirt- 
schaftliche Bedeutung erlangen. 

Von den de utsch-osta fr ikanischenlfer gebieten 
dürfen wir einen solchen Fortschritt mit Sicherheit or- 
warten. und Uganda ist in wirtschaftlicher Beziehung 
dem Kawirondogebiet schon so sehr voraus, daß mau 
viel größere Hoffnungen auf dieses Land setzen darf, als 
auf irgend ein anderes Gebiet im Norden des Viktoria 
Niansa. Zu einer starken europäischen Besiedelung wird 
es freilich auch in Uganda nicht kommen, denn wenn 
die Lufttemperatur hier auch eine »ehr mäßige ist, so 
wird die starke direkte Sonnenstrahlung dem Europäer 
dort nie eine dauernde Beschäftigung im Felde gestatten. 
Wie verschieden die Lufttemperatur von der Radiations- 
kraft dor Sonne ist, konnte ich auf meiner letzten Reise 
feststellen. Ich maß am .10. Januar mittags 12 Uhr 
bei 13° C Lufttemperatur und 34 Pro/. Luftfeuchtig- 
keit 52,0" C Insolation ab, am 3. Februar bei 18° C und 
38 Pro*. Luftfeuchtigkeit nur 23M und am II. Fe- 
bruar bei 28" C und 18 Proz. Luftfeuchtigkeit 52,5° C 
Insolation. Bei diesen starken Radiationsschwankun- 
gen, die nicht nur durch den Stand der Sonne, die ab- 
solute Höhe der Gegend und die Bewölkung, sondern 
auch durch den Feuchtigkeit»-, Rauch- und Staub- 
gehalt der Luft bedingt werden, ist es für den Euro- 
päer äußerst gefährlich, ohne genüg euden Sonnenschutz 
in der freien Luft sich zu bewegen. Die britische Re- 
gierung wird daher auch in Uganda keine Siedelungen 
von europäischen Kleinfarmorn schaffen wollen. Sie wird 
dagegen jedes europäische und auf Landwirtschaft ab- 
zielende Großunternehmen fördern und auch hier die 
Eingeborenenkulturen in höchstem Maße zu pflegen beab- 
sichtigen. Der Anfang für europäische Großunterneh- 
mutigen ist durch die Vorpachtung großer Kautschuk- 
areale an weiße Händler bereits gemacht. Diese Unterneh- 
mungen werden sich allmählich zu Kautschukpflanzungen 
umwandeln, und wenn erst einmal eine goregelte Groß- 
kultur eingeführt ist, so werden ihr wohl sehr rasch andere 
folgen. Die Eingeborenen dürften durch die zunehmen- 
den Versendungen von Mnansa-Reis zu dessen Anbau 
geleitet werden und in Zukunft auch der Erdnuß- und 
Matammakultur ein größeres Augenmerk schenken. IHe 
Viehzucht, die heute so große Mengen von Häuten auf 
den Markt liefert, dürfte au Bedeutung aber etwas ein- 
büßen, da der Handel mit Rinderhäuten und Ziegenfellen 
bekanntlich nur auf Raubwirtschaft beruht und eine Menge 
von Tieren nur getötet wurde, um das Fell gebrauchen 
zu können. Noch schlimmer ist in dieser Beziehung ja 
in Deutsch-Ostafrika gehaust worden , wo die Regierung für 
t gewisse Gebietsteile den Fellhandel völlig verbieten mußte. 
Berühmt wegen »einer schönen Rinder ist der Distrikt 
Ankole, aber auch anderorts sind wertvolle Viehherden 
vorhanden, so daß gute Kühe, die iu Nairobi mit 100 bis 
170 Mark Wählt wurden, in Uganda für 40 bis 60 Mark 
und Schlachtochsen für 20 bis 30 Mark verkauft werden. 
Bevor wir unsere Betrachtungen über dio Fntwicke- 
I lungsfähigkeit der Ugandabahngebiete schließen, möchte 
; ich den Leser noch rasch in eine liegend führen, die 



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im; Alfred Kuiser: Die wirtschaftliche K 

heute zwar noch n]s wirtschaftliche Terra incognita ab- 
seits vom Bahugeleise liegt, binnen wenigen .Taliren aber 
diu ihr gebührende Beachtung linden wird. I - ist der 
Berglandkomplex von N in Ii. Sotiko und Lumbwa, 
der, südwärts dur Itahnlinie gelegen, die Fortsetzung des 
(iuasso Ngischu-Hochlandes darstellt, aber viel eher als 
jenes einer wirtschaftlichen Erschließung sich fähig 
zeigen wird. 

Wie in Kikuyu entrollt »ich dem Besucher hier ein 
höchst eigenartige» Landschaftshild , nur wilder noch 
und in frischerer l ! rs|irünglirhkeit. Mit dem Verlasgen 
de* Nyandotale.« verschwindet der schwarze Schwemm- 
landboden.nuf dem die Wukawirotido ihre Farmen anlegen, 
und an seine Stelle tritt wieder die typische Hoterde, 
die wir auf dein Kikuyu- und (iuasso Ngiscbu-Hocblande 
angetroffen hatten. Zum letzten Male sehen wir den 
silberglänzenden Wasserspiegel de* Viktoria Niansa, die 
felsigen Kilnnde der Kawirondobucht und das dunstblnue 



twiekeluug der l.'gandahabu-Läuder. 

kegulhütten der Eingeborenen (Abb. 21), und auf den 
Talterrassen glimmt der frisch gebrannte Urwald der neu 
okkupierten Farmflächen. Im Walde ertönen die Kriegs- 
hörner, und zu Hunderten schon umschwärmen uns die 
kampfbereiten Itergsöhne. Doch es kommt nicht zum 
Gefecht, denn die Alten haben unsere 1 ltermacht er- 
kannt, und nun sucht ein jeder auf friedlichem Wege 
etwas von uns heran« zu schlagen. Die schweren Kisen- 
lanzen werden in den Roden gesteckt, und hinter ihren 
Schilden kauernd , warten die beutegierigen Manner den 
Ablauf der von den Kiudern und Weibern inszenierten 
Tauschgeschäfte ab. Alle» geht glatt und ohne Zwischen- 
fall. Auf ausgebreiteten Baumwolltüchern türmen sich 
die in Körben und Lcdersä cken herbeigeschleppten Nah- 
rungsmittel zu großen Haufen an, und vergnügt ziehen 
die kleinen Händler mit den dafür erhaltenen Kauri- 
tn uschein, (ilasperlen und Zeugstoffen zu den in der 
Nahe lagernden Kriegern. Jetzt wächst auch bei diesen 




AI. ii lleusenllsi here I aui Viktoria Münsa. 



Vnlkaurnassiv des Klgon-(tel>irges. Daun geht es hinein 
in tiefe Waldschluchten, über rauschende Rergbnche, 
nackte Felsenriffe und sanft gewellte (irnsllurcn in daB 
Wohngebiet jener freien Bergvölker, die. wild und kultur- 
feindlich wie sie sind, mit scheuen Blicken den Wanderer 
verfolgen und manchen der neuen Ankömmlinge mit 
ihren Lünzen durchbohren. Wo wir hinschauen, sehen 
wir nichts wie Zeichen größter Fülle und tropischer 
F.rtragsfähigkeit. Hirse. Mais. Kürbis, Ziegen, Hühner, 
Vitt und Honig so viel, als man nur haben will. Auf den 
grünen Weiden, die wie Alponteppiche die vielen Hügel- 
wellen ibeivieheu . -teilen zahlreiche Kindel' , hinkende 
Schafe und bemannte Ziegen. Diu Talsohlen sind durch 
großblättrige Laubbäume ausgemustert, und an den Ge- 
hangen wachst ein mannstiefer Rasen üppiger Fairen in 
die Höhe, behangen von glitzernden Tauperleu und über- 
ragt von farbenprächtigen Liliaceen. Blaue Schwertlilien, 
feuerrote Königskroiien, weißer Klee und rankende Brom- 
beeren mischen sieh unter die formen- und farbenreichen 
Tropengewächse, und so geht es weiter in endlosem 
Wechsel. Auf den Höhenkäniiiien erspähen wir die Spirz- 



der Mut, und »nrglii* s,.|icii wir sie einige Munden später 
zwischen unseren Zelten herumstehen. Auch sie bringen 
nun Lebensmittel, sie verkaufen hin und wieder sogar 
eine Lanze oder ein Schwert, und gegen eine Handvoll 
.Perlen oder Kuurimuscbeln kann man bei ihnen sogar 
die wunderwirkenden Amulette ihrer Frauen und Kinder 
erstehen. 

Wir haben Lumbwa passiert und sind mitten in 
Sotiko, dem tlreuzgebiete von Deutsch-Ostafrika. Die 
Ugandubahn ist in der Luftlinie kaum tili km entfernt, 
und dennoch befinden wir uns in einem völlig unerschlos- 
neneu, noch ganz jungfräulichen Kolonialgehiet. Wie 
kommt das. werden wir uns fragen, und warum hat die 
britische Regierung den kulturfördernden Schienenstrang 
nicht durch die«e« vielversprechende Rergland geführt? 
Die Antwort liegt nahe; denn es sind Stil) km von hier 
bis zur Meeresküste, und die Ausfuhr von Laudesprodukten 
könnte niemals das große Mehr von Ran- und Betriebs- 
auslagen bezahlen, das ein Bahnhau dur*h dieses stark 
kupierte Terrain verursacht hätte. Es ist zwar an- 
zunehmen , daß in nicht allzu ferner Zeit eine (ielois- 



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Alfred Kaiser: Iii»* wirtsehuftliche Entwickelung der Dgandahuli n- Lnnder. 



107 



Verbindung mit der Ugandubahu hergestellt wird. Diese 
Verbindung wird aber ohne Zweifel nur durch eine 
Schmalspur-, vielleicht sogar nur durch eine Draht- 
seilbahn hergestellt werden. Gewinnbringende Kulturen, 
wie Tabak, Tee oder Kuffee, können von Kingebore- 
neu, wie sie uns in den Walumbwa, Wanaudi und 
Wasotiko entgegentreten, unmöglich ausgeführt werden. 
Wenn das Land sich zu deren Anbau eignet, was neben- 
bei gesagt kaum zu bezweifeln iat, so werden nur europäi- 
sche Siedler sie in Angriff nehmen können. Warum soll 
man die Siedler aber vorerst in diese küstenfernon 
(iebiete führen, derweil in Kikuyu durch Kröffnung von 
Nebengeleisen und Fahrstraßen noch so ausgedehnte 
Pllunzungsurenle zur Verfügung stehen? Kolonialschwär- 
mer hatten hier wohl wieder mit kühnen Bleifederstrichen 
die -richtige Trasse" vorgezeichnet, die praktischen Eng- 
länder aber machen so etwas nicht so rasch. Sie ließen 
sich von der Fruchtbarkeit und der gesunden Lage dieses 
Hochlandes nicht verblenden. Sie er- 
kannten die Rückständigkeit dieier Berg- 
völker und die Gefahr eines drohenden 
Arbeitermangels und ließen das Land in 
seiner Abgeschlossenheit beiseite liegen. 
Den ursprünglichen, den politischen und 
strategischen Zweck ihrer Ugandubalin 
nicht vergessend, ließen sie sich nicht 
beirren durch einige wirtschaftliche Aus- 
sichten. Sie werden dieses abgelegenu 
Land erst dann durch eine Bahn er- 
schließen, wenn küstennahere (iebiete in 
vollem Maße bewirtschaftet sind. Nur 
eine Möglichkeit könnte diesem I>ande 
ein beschleunigtes Aufblühen verschärfen, 
das Vorfinden bergbaulicher Schiit ze näm- 
lich, die iu diesem vielfach zerklüfteten, 
von gewaltigen Kruptivgängen durch- 
setzten und von jüngeren Ergußgesteineu 
umfluteten Urgebirge nicht ganz aus- 
geschlossen sind. Solange von solchen 
Funden über keine verbürgte Nachrichten 
an die Öffentlichkeit gelangen, wollen 
wir die bloße Annahme einer solchen 
Möglichkeit nicht zum Grundstocke 
eines phantastischen Zukunftshaues 
machen. 

Auf steilem Hergpfade führen uns un- 
sere Schritte wieder bergab in eine wasserarme, durstende 
II och landste ppe. Nachdem wir die waldbedeckte Tal- 
niederung de» Dabascbflusses überschritten haben, gelan- 
gen wir wieder in offenere Weidegründe eines dem Ostraudo 
des Guasso Ngischu -Gebietes nicht unähnlichen Hoch- 
landes. Die hohen Rauchsäulen im nördlichen Wuldlaude 
versteckter Jägerlager und die kahlen Baumleichen vom 
Feuer Versehrter Waldparzelleu mochten ans die Ver- 
mutung nahe legen, daß diesos ganze Hochplateau früher 
von einem zusammenhängenden Urwalde überwachsen 
war und erst später durch das sorglose Kingreifen dos 




Abb. IM. SollkouiüUchen. 

Mit Ohrtchmuck der MxnallrautD. 



(•rundgesteine suchen, sowie in den trocknenden Luft- 
strömungen, die hier auf diesen Hochländern eine so 
große biologische Bolle spielen. Die gleichen Faktoren, 
die auf dem nördlich des Mauwaldes gelegenen Guasso 
Xgischu-Plateau das Vorherrschen trockener Grusaavan- 
nen uud das Zurückbleiben des Waldes bedingen , sind 
auch hier im Süden des Maugebiotes maßgebend. Wir 
scheu unendliche Grasflächen iu Hachen Wellen gegen die 
deutsche Grenze sich ausdehnen und in weiten Zwischen- 
räumen hier uud da eine Felskuppe, das hervorgebrochene 
altkristallinische Urgebirge, über die Ebene sich erheben, 
ein Pendant zu den Felsenriffen auf dem Guassu Ngischu- 
Plateau, den Sirgoi-, Sambu- uud Kldalatkuppen. Auch 
hier linden wir jene abflußlosen Vertiefungen, die auf 
dem Guasso Ngischu -Hochlande als Weideplätze eine so 
hohe Bedeutung gewinnen. Hier sind sie von den Masai 
aber nicht verlassen, sonderu regelmäßig begangen und 
an manchen Stellen wie zur Zeit der Moguan- Erbauer 
sogar noch mit kleinen Pflanzungen be- 
stellt. Wo die jüngereu Eruptivgesteine, 
auf dem Guasso Ngischu- Plateau dunkel- 
graue Phouolithe, hier ein hellerer Ba- 
salt, den tiefer gelegenen Gneis oder die 
Quarzgesteine zutage treten lassen , da 
linden wir wieder die hübschen Akazien- 
baine, die kindsknpfgrnße Zwiebel einer 
Buphaneart (von den Masai Olgeselelwa 
genaunt) und eine mir unbekannte blau 
blühende Rute (Elörowid), welche die 
Masai uud Waudurobbo mit großer Vor- 
liebe essen, und die wirklich auch sehr 
gut schmeckt. Nur die wilde Dattel- 
palme uud den Affeubrotbaum, den ich 
am Nsoiaflusse so häufig beobachtet habe, 
suchen wir hier vergebens, dafür über 
ist eine malerisch verzweigte Raphia- 
palme, eine Baumaloe und ein Pachy- 
podium nicht selten auf diesen Höhen. 
Wie in allen Steppengebieten, so ist auch 
hier der Wildstand wieder recht reich- 
lich vertreten. Die zahlreichen Wando- 
rohbofeuer bedeuten ein häufiges Vor- 
kommen von Elefanten; auf den grünen- 
den Grasllächen weiden unzählbare 
Antilopen und kleine Straußenfamilien; 
im dürren Busche stehen die grauen 
Riesenleiber von Nashörnern , im Staube wälzen sich 
spielende Zebras, und in stillen Talmulden schuuehen 
wir struppige Warzenschweine auf. Wo Schwärme 
der Wanderheuschrecke »ich niedergelassen haben, da 
kreisen Hunderte von Milanen in der Hohe, und wo 
die Raupe der Grasmotte den kahl gefressenen Boden 
betleckt, da haben sich Tausende von Hausstöreben 
und große Marabugesellscbaften zum Schmause ver- 
sammelt, in der Nacht ballen eich schwarze Gewitter- 
wolken üher dem Horizont zusammen, die Luft wird 
von zuckendeu Blitzen durchleuchtet, und fernes Donner- 



Menschen in das dürftige Steppengewand gekleidet wurde, rollen mischt sich in das Konzert der Hyänen, Löwen, 



in dem der nördliche Teil des Hochlandes jetzt vor 
unseren Augen sich ausbreitet. Bei genauerem Zusehen 
merken wir aber bald, daß es nur der Bodenwechsel ist, 
der oiueu solchen l'nterschied des Vegetatiouscharakters 
bedingt. Die Waldbrände, durch sorgloses Verlassen von 
Lagerfeuern und noch öfter durch das Houigsucheu der 
Eingeborenen hervorgerufen, mögen mancherorts an der 
Erweiterung der Steppe etwas mithelfen, die eigentlichen 
Stepponbildner sind sie über nicht. Die letzteren müssen 
wir vielmehr in der physikalischen Zusammensetzung 
der Verwitteruugsböden und der unter ihnen liegenden 



Paviane und Kröten. Ein kalter Sturmwind droht Zelt 
und Lagerfeuer mit sich fortzufegen, es fallen einige 
schwere Hegentropfen, beim Morgengrauen ist aber alles 
wieder trocken. Genau so, wie wir es auf dem Gumio 
Ngischu- Plateau erlebt haben. Es ist dieses Land wie 
das Guasso Ngischu-Hochlaud ein Gebiet für Viehzucht 
und sehr beschränkten Ackerbau, am besten von Ein- 
geborenen oder südafrikanischen Buren zu bewirtschaften, 
für den europäischen Kleiusiedler aber nur dann von 
Bedeutung, wenn er im (ienossenschaftsverbande seine 
Herden ;iuf die unberechenbaren Weidegründe treibt. 

15« 



108 



A.: Di* Heidenatämme der Malaiischen Halbinsel. 



Wir haben unsere Umschau beendet und aind tob 
der Peripherie des Wirkuugsfolde* der Ugandababn nun 
dem lebhaft pulsierenden Hauptstrome, dem Schienen- 
geleisc selber, wieder uaher getreten. Au* der Summe 
der gewonnenen Kiudrücke iu ihrer Kombination mit 
den kulturellen und wirtschaftlichen Erfahrungen aus 
anderen Tropeugcbicteu durften wir wohl manches Urteil 
una erlauben. Wir haben uns überzeugt von der frucht- 
baren Kulturarbeit, welche die Engländer mit dem Aus- 
baue ihrer Ugandabahn geschaffen haben. Auf der 
uudereu Seite haben wir aber auch gegen mancherlei 
übertichwengliche Hoffnungen angekämpft und irrige 
Vorurteile zu beseitigen versucht. Der sittliche Einfluß 
des Bnhubaues auf die Kingcborenen ist uns klar Tor 
Augen getreten, und an manchen Punkten haben wir 
auch einen großen wirtschaftlichen Fortschritt entdeckt. 
Wohl haben wirden kulttirförderitden Einflußdes Schienen- 
stranges nur auf 30 bis höchstens 50 km Kntfernung 
hin zu verfolgen vermocht. In der Längsachse seines 
kulturellen Arbeitsfeldes alwr haben wir nur eine sehr 
geringe Abnahme der wirkenden Kr&fte konstatieren 
können. Unsere Erfahrungen haben vielmehr gezeigt, | 
daO die Intensität und das Tempo der kulturel- I 
Ion Arbeit von der sog. Küstenferne nur in 
geringem Maße beeinflußt werden. Wo wir un- 
produktive Steppen durchwanderten, einerlei, ob sie sich 
iu der Nilbe der Küste oder im fernen Innern fanden, 
da hat diu Hahn nur wenig und nur sehr ephemere 
Leistungen zu vollbringen vermocht. Wo barbarische 
Nomaden und Halbnomadeu, wilde Bergvölker und ver- 
kommene Negerstämme ihr Dasein fristen, da hat 6ie ; 
höchstens den Zerfall der alten Sitten herbeigeführt, eine 
gefährliche Scheinkultur gezüchtet, einer gesteigerten I 
Produktivität aber nur sehr schmale Wege eröffnet. Wo 
sie hingegen durch fruchtbar» und von intelligenten 
Kingcborenen bewobuto Gebiete führt, da hat sie in wenigen 
Jahren schon «ehr erfreuliche Früchte gezeitigt, den Han- 
del gehoben und die Ansiedelung von weißen und farbigen 
Kolonisten ermöglicht Sie gestattet hier eine intensivere 
Bearbeitung des Bodens auch ohne die Mithilfe grußer 
farbiger Arbeiterrotten; sie ermöglicht dem Eingeborenen 
den Absatz der von ihm erzeugten I-andesprodukte und 
bietet durch diu Konzcutration größerer Menschen massen 
auch dem Handel, dem Handwerk und der Kleinindustrie 
die Möglichkeit einer ruhigen Woiterentwickcluug. 

Überall drängt sich aber die eine Tatsache hervor, 



daß ohue diu Gunst der natürlichen Vorbedingungen, 
worunter wir sowohl die physischen Eigenschaften des 
Landes als auch die klimatischen Verhältnisse und den 
intellektuellen Wort des Kingeboronen oder des Siedlers 
verstehen, der Hinfloß des Hahnbaues nur sehr beschränkt 
sein könnte. Eisenbahnen zu bauen ohne vorhergehende 
genaueste wissenschaftliche Untersuchungen hat daher 
keinen /weck, und wenn Kapital zur Erschließung 
der Kolonien sich findet, so soll es im Interesse unserer 
Kulturbestrobungen und zum ferneren Wohle der Kolonial- 
gebiete nicht ohne weiteres zum Ausbau irgend einer 
unmotivierten, nur von phantaBiereichen Schwärmern und 
Spekulanten vorgeschlagenen Bahnlinie verwendet werden. 
Bautecbnische Urteile sollen erst in zweiter Linie berück- 
sichtigt werden, denn wenn ein Land in wirtschaftlicher 
Beziehung eines Bahnbaues würdig erscheint, so kämmt 
es wahrlich nicht darauf an , ob das Kilometer Bahn- 
strecke nun 80000, 100O0O oder gar 120000 Mark 
kostet. In dieser Hinsicht kann man vieles von den 
praktischen Engländern lernen. Sie bauen erst die- 
jenigen Hahnen, die ihnen am aussichUvollsten erscheinen, 
und lassen manche Kolonien daher jahrelang brach liegen, 
bevor sie mit Hahnbauten sie zu erschließen beginnen. 
Erst das Notwendigste, das andere läßt sich dann um so 
besser ausführen. So haben sie in ihrem Kanada schon 
im Jahre 1636, also gleichzeitig mit Deutschland, die 
erste Eisenbahn eröffnet und bis zur Gegenwart jenes 
Hahnnetz auf nicht weniger wie 30000 km Länge aus- 
gebaut. In den Jahren 1 8 45 und 1 848 folgten Jamaika und 
Guayana und 1853 erst Indien mit heute über 40000 km 
Bahnlinien. Australien, mit gegenwärtig 22000 km Bahn- 
geleise, erhielt erst 1854 den ernten Schienenstrang, und 
Kapland mußte bis zum Jahre 186.'! auf den ersten 
eisernen Verkehrsweg warten. Ks folgten im Bahnbau 
dann Mauritius (1864), Ceylon, Trinidad und Natal (1870), 
New Foundland, Barbados und Labuan, und erst im 
Jahre 1899 wurden im eigentlichen Tropengürtcl von 
Afrika die ersten englischen Bahnen erbaut. Bei Heginn 
dieses Jahrzehnts hatten diese in Sierra Leone, Lagos und 
Aschantiland gelegten Hahnen eine Länge von etwa 400km. 
Seither sind aber eine Menge neuer Linien eröffnet, so 
daß im tropischen Afrika England heute schon etwa 
5000 km Hahnen dem Betrieb übergeben haben 'dürfte. 
Der Ausbau einer Kap — Kairobahn scheint keine Utopie 
mehr zu sein, und bald werden wir auch in der Breiten- 
richtung den schwarzen Kontinent durchqueren konuen. 



Die lleldenstämme der Malaiischen Halbinsel. 

Seit der Mitte ilei vorigen Jahrhundert* haben die heid- 
nischen Stämme der hinterindischen Halbinsel, die als Ur- 
bevölkerung angesehen werden und nach Rasaeneigenschaften, 
Sprache und urtümlicher Lebensweise von den benachbarten 
Malaien wesentlich sich unterscheiden, die Aufmerksamkeit 
der Ethnographen. Anthropologen und Sprachforscher in ganz 
besonderer Weise angezogen Ks war über sie eine sehr 
reiche, aber recht zerstreute Literatur vorhanden, die vor 
einem Jahre von Prof. Rudolf Martin in seinem hervorragen- 
den großen Werke .Die Inlandstämme der Malsiischin Halb- 
insel" zusammengefaßt und in «eine eigenen Reiseerfahrungon 
eingefügt wurde. Und jetzt wieder erscheint ober jene Völ- 
ker ein ebenso umfangreiche?, gleichfalls auf eigener For- 
schung beruhende* Werk, da» ebenso die gesamte bisherige 
Literatur berücksichtigt 1 ). Die Verfasser, Skeat und lilng- 
den, halsen beide jahrelang als Deamte mit diesen Stammen 
zu tun gehabt, die sie liebevoll erforschten. So reich an 
Tatsachen auch das vorliegende Werk ist, jene« Martins 
wird dadurch nicht entbehrlich, beide ergänzen einander, 
namentlich ist jenes Martins in bezug auf die somatische An- 

') W. W. Skeat un.l Oll O. HUüdeu, l'sj.iu Hier« et" 
the Mal.iv l'eiiinsula. i Biliar. Mit .-»lilrei, li.n Abbildungen. 
L«nd.-n. M >. „„)!,„ u . Co., 190». 42 s. 



thropoiugi« da» ausführlichere. In gewisser Jtezieliuug kann 
die Ethnographie der heidnischen Stämme mit diesen beiden 
Werken als abgeschlossen betrachtet werden, wenn auch noch 
vieles im einzelnen zu erforschen ist und dem tiebiete der 
Hypothesen, z. B. über den Zusammenhang dieser Heiden 
mit anderen Stämmen, immer noch ein weiterer Spielraum 
offen bleibt. 

Bekanntlieh ist die Nomenklatur der lulaudstämme eine 
etwas verwirrte; die Verfasser des vorliegenden Werkes be- 
vorzugen daher, ohne die Einzelheit zu übersehen, die all- 
gemeiner übliche, einfachere Einteilung und reden, ab 
gesehen von den Unterabteilungen, 1. von deu negritoartigen 
Semung, 2. von den drawido ■ australischen (V) Hakai und 
I "'. den einheimischen malaiischen Jakun. Damit kommt 
man im allgemeinen auch aus. Die Gesamtzahl der iu Rede 
stehenden .Wilden" wird auf etwa 40000 angegeben. Wir 
übergehen liier die, namentlich durch Martin, ausgiebig ge- 
schilderten körperlichen Eigenschaften der verschiedenen 
Stämme uud verweisen mir noch auf die besonders für das 
Werk aufgenommenen sehr zahlreichen Photographien, die * 
fast sämtlich allerersten Hanges sind und von der äuDere» 
Erscheinung, der Lebensweise, Wobnart usw. der Stämme 
uns ein gan* vorzügliches Bild geben, 

Erfreulich wirkt, daO die Verfasser sich von unnötigen 
Hypothesen iu ihrem Werk.- frei halten und uns ein klares 



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A.: Di.- H<-i<l<Mi*t»iiiiiie der Mnlu ■ ino b wii Halbinsel. 



1U0 



Tatsachenmaterial vorlegen. Freilich ist da» Studium de« 
in »einein Aufbau «ehr zerstückelt erscheinenden Werke* kein 
«ehr leicht», *«i auch die Verfasser selbst gefühlt haben, 
da sie, entschuldigend, sagen, daß die heterogene Natur ihres 
Sb.ffes, des eigenen und fremden, eine harmonisch.« Dar«tel 
lung verhindert hatte, überreich aber .gellen uns di« Tat 
Sachen entgegen, und aus dienen einige zur Kenntnis de« 
Werkes herauszugreifen ist der Zweck dieser Anzeige. 

Die am niedrigsten stehenden BLamme sind durchau« no- 
madischer Natur, da sie selten langer als drei bis vier Tage 
an einem Orte weilen, den sie sofort verlassen, wenn er «ab- 
geweidet" ist, d. h., wenn di* d.irt vorhandenen pflanzlichen 
Nahrungsmittel erschöpft Find, da nie nur wenig Fleisch 
ohne Zubereitung zerreißen und aus der Hand verzehren, 
üleich Tieren. Ihr (jetrank ist Wasser, und hier erfahren 
wir, daß einer der Stamme, die ürang Laut, es versteht, da« 
in der Handfläche aufgefangene Wasser auf die F.iitfemutig 
von einem FuD sich in den Mund zu werfen, ohne dabei da« 
Gesicht zu benetzen. Reis, das malaiisch« Hauptnahrung- 
mittel, verzehren sie ausnahmsweise nicht. Feuer erzeugen 
Semang und Sakai nuch durch Reibuug von Hölzern, 
während die mehr malaibderteu Stämme Stein und Stahl be 
nutzen. Da das Fleisch, was noch hervorzuheben, durchaus 
roh verschlungen wird, wenn auch nicht von allen Stämmen, 
s<> ist die Bezeichnung des Menschen als eines .kochenden 
Tieres* in bezug auf sie hinfallig. Die gleichen urtümlichen 
Zustände herrschen bezüglich der Kleidung. Unrichtig ist 
aber die von einzelnen aufgestellte Behauptung, daß sie 
völlig nackt giugeu; dl« Scham wird bedeckt. Niemals aber 
benutzen sie Tierhäute: Gürtel aus einer Schwammart und 
Rindenstoffe treten an ihre Stelle, wo nicht etwa schon von 
den Malaien erhaltene Stoffe benutzt wurden. Unter den 
nicht fehlenden Zieraten spielen die Haarkäinine aus Barn- 
ims eine Holle, von beiden Geschlechtern als Zaubermiltet 
gegen Krankheiten getragen, eigentümlich ornamentiert, wo- 
rüber ein ausführliches HnupUtück de« Werkes handelt. 

Urtümlich, wenn auch Eutwickelungsatadien zeigend, sind 
die Wohnungen: Folsüberhange, Höhlen, Zweiganhaufungen 
und Schirme aus Palmblättern, bienenkorbähnliche, ans Palin- 
blatteru hergestellte Hütten, endlich den Malaien nachgeahmte, 
auf Pfosten stehende Behausungen mit Dächern, da, die see- 
fahrenden Drang Laut haben überhaupt keine Wobnungen, 
sottdem drangen sich in einem kleinen Boote von ß his 7 m 
Lange zusammen und verbringen da ihr Dasein. 

Ist auch die Hauptnahrung vegetabilischer Art, so haben 
die Inlandstäinme doch die .lagd. das Fallenstellen und die 
Fischerei in ü1>erra*chender Weise entwickelt, und bedienen 
sich dabei zum Teil recht sinureicher Apparate. Bekanntlich 
ist (neben Bogen und Pfeil I das Blasrohr mit vergifteten 
Bolzen ihre Hauptwaffe. Nur selten fehlen sie selbst im 
dichtesten Oestrilpp, uud Tiger wie Elefant erliegen ihren 
Waffen. Dazu kommen ihre scharfen Sinne; Gesicht uud 
(lehör sind vorzüglich entwickelt, namentlich der Geruch. 
Sie riechen z. B. die Fährten einer Schlange. Bogen und 
Pfeil, sowie das Blasrohr sind jedoch nicht gleichinnCii; den 
Stämmen eigen; erstere kommen den Seuittug, letzteres den 
Sakai zu. Bemerkenswert ist, daß die Sakai Fischdämme und 
Wehre In den Flüssen bauen, die sie wohl den Malaien ent- 
lehnt haben. 

Irgend etwa», was als Wertmesser und Geld angesprochen 
werden kann, gibt es ursprünglich nicht bei diesen Stämmen, 
aber sie treiben mit ihren Lnndeserzcuguisseu , Gutte|>ercha, 
Dainarharz. Kampfer, wohlriechenden Hölzern, Tausch- 
handel, uud zwar in der Form de« stummen Handels, in- 
dem sie ihre Erzeugnis*« an einer Waldstello niederlegen, 
sich zurückziehen und dann sehen, was die Malaien ihnen 
dafür an Tabak, Balz, Stoffen, Gerateu, Perlen. Spiegeln usw. 
niederlegen. 

Heute sind Blasrohr, ltogen und Pfeil, eingeführte Messer 
und Beile die Waffen der Stamme. Die uiebt «eilen im 
Lande vorkommenden Steinbeile werden gewöhnlich auf 
ihre Vorfahreu zurückgeführt. Indessen die Verfasser weisen 
diese Ansicht zurück und erwähnen daboi eiue Oberlieferung, 
daO vor den Sakai, Semang und Malaien noch eine andere 
Kasse die Halbinsel bewohnte, von der die zahlreichen Stein- 
lasile herrühren. Niemals zeigen diese paläolithischen Cha- 
rakter, sie gleichen vielmehr unseren neoliüiischen Beilen; 
durch ihre Masseuhaftigkeit beweisen sie. daO die Steinzeit 
sehr lange auf der Halbinsel gedauert haben muß. 

Vorn Landbati zeigen sich die allerdiirftigsten Anfänge, 
de aus diesem Grunde sind «le erwähuenswert. Die 
(zu den Jakun gehörin) verzehrten gewisse Fruchte 
immer unter einem Schutzdache an einer bestimmten Stelle. 
Dort warfen sie auch die Kerne fort, und nun sproßten dort 
dicht und massenhaft die neuen Fruchtpllanzen auf Da.« 
war für deren Verbleit uinr nicht vorteilhaft, und sie wech- 



selten nun öfter die Ort«, wo sie die Fruchte verzehrten, 
damit diese sich weiter verbreiteten. Ausgerodete Waldstellen, 
wo Aussaaten stattfanden, und von denen verwüstende Tiere 
durch Zaubersprüche ferngehalten werden, sind vorhanden. 
Meister sind die Wilden im Fallen von Baumen, ihre Auf- 
hiebe fallen haarscharf stets auf die gleiche Stelle, und die 
Schnlttriache eines gefällten Baumes .ist so glatt wie eine 
BillardtafeU. 

Von Belang ersebeiut, was das Werk über die Arbeits 
tellung von Mann und Frau beibringt, die danach eiue 
durchaus gerechte, den Geschlechtern angemessene ist, so daß 
von einer Unterdrückung uud Ausnutzung des Weibes auf 
jener niedrigen Kulturstufe nicht die Rede sein kann. Alle«, 
wozu körperliche Kraft notwendig ist, besorgt der Manu, da« 
übrige die Frau. Zur Töpferei sind die Stämme noch nicht 
vorgeschritten, sie ist sonst gewohnlich Sache der Frauen. 
Die Künste sind natürlich sehr gering entwickelt, und hier 
I spielen die Verzierungen an Kämmen, Blasrohren usw. eine 
große Rolle, welche die Aufmerksamkeit der Ethnographen 
längst erregt haben und den Beisendeu des Berliner Mu- 
seum* für Völkerkunde, Vaughan Stevens, zu einer Theorie 
geführt haben, die nach den Verfassern auf Sand gebaut ist. 
Seine Blumentlieorie, die er den fast nackt gehenden Negriio- 
•tämiuen zuschreibt, und die .auf wissenschaftlichen Grund 
»atzen aufgebaut erscheint, würde einem botanischen Werke 
nicht zur Schande gereichen", heißt es. 

Die Gesellschaftsordnung der Stamme steht, wie 
vorauszusehen, auf sehr niedriger Stufe. Die Semang haben 
die Anfänge eines Hüuptlingswrsens, und nur die Jakun sind 
in dieser Beziehung weiter gelangt. Kindlich ist alles, was 
in das Gebiet der Gesetze und der öffentlichen Ordnung ge- 
hört. Unter den Semang z.B. kommen nur wenig Verbrechen 
vor, und Diebstahl oder Verführung von Weibern wird mit 
Wertstraf on belegt; im Falle der Nichtzahlung tritt Trügel- 
| straf« ein. Kino Art Richter (Pcnghalu bei den Sakai) ist 
vorhanden und besitzt absolute Autorität. Auf Mord steht 
| bei den Sakai Todesstrafe, ausgeführt von den Verwandten 
des Krmordeteu. 

Sehr ausführlich sind die Mitteilungen über Geburt, 
Heirat und Totenbestattung. Auch den Semang er- 
scheint die Seele als Vogel, wie so vielen Völkern, und das 
schwangere Weib führt ein Bambusbehältnis mit sich, in 
dem sie einen Vogel bewahrt, deu sie gelegentlich verzehrt, 
um dem Embryo eine Seele zuzuführen. Ehen erfolgen durch 
Kauf; bei den Semang herrscht große eheliche Treue, wäh- 
rend die Sakai bis xu einem gewissen Grade l'olygamisten 
sind, und bei den Jakon ein bemerkenswerter Brauch, das 
Kennen der Verlobten um einen Hügel oder Ameisenhaufeu 
statlrlndrt, wobei der Bräutigam hinter der Braut herlaufen 
muß, bis er sie erhascht. Im übrigen beschließen den einfachen 
Akt einige Fragen der Braut: „Kannst du gut mit dem Blas- 
rohr umgehen?* .Verstehst du es gut, Bäume zu fällen!* 
.Kauust du gut klettern?" .Bauchst du Zigaretten ?" Damit 
ist die Heirat fertig. Die Negritoit.-iinme fürchten sich uictit 
vor den Geistern der Verstorbenen, was dagegen bei den 
Sakai im höchsten Maße der Kall ist. Erstere begraben 
daher ihre Toten einfach, während die Sakai sie enteatzt 
liegen lassen, ohne jede weitere Fürsorge, und fortan die 
Todesstätte meiden- Die Jakun endlich, die allerdings auch 
die Geister der Toten fürchten, sorgen in religiöser Art für 
die««, bauen ihnen kleine, mit Nahrung versehene Seelen 
hütten und führen selbst durch die Erde Bambusrohre zum 
Munde des Bestatteteu, um ihm Nahruug einzuflößen. 

Daß die Künste gering bei diesen Natui Völkern entwickelt 
sind, wurde schon erwähnt. Sie liesitzen ein einfaches Saiten- 
instrument, einige Arten Flöten aus Bambus und Trommeln. 
Hervorzuheben ist die Nasenrlöte, die bekanntlich ihre Ver 
breitung bis in die Südsee hat. 

Aus dem reichen Kapitel über di« Religion bemerken 
wir folgendes: Die Semaug kennen einen Donnergott, Kari, 
und v-rschiedeue kleine Götter. Zeremonien besitzen sie keine, 
und nur schwache Spuren von Dämonen Verehrung sind vor- 
handen. Animistische Vorstellungen fehlen. Dagegen ist die 
Religion der Sakai fast ganz Dämonenverahrung, auch kennen 
sie «ine unter verschiedenen Namen vorkommende Hauptgott- 
heit. Zwischen. Menschen uud Geistern vermittelt der „Hala*. 
ein Schamane. Die Jakun besitzen die altmalailsche, vorislami- 
sche Religion der Halbinsel. Indische und mohammedanische 
KinflöMe lassen sich in allen drei Religionen erkennen. 

Der überaus wichtige Abschnitt über die Sprachen 
rührt von Bhigden h.-r Diese ungeschriebene», in zahlreiche 
Mundarten zerfallenden Idiome bieten dem Sprachforscher 
eine große Anzahl Probleme dar. Karten zeigen uns ihre 
Verbreitung, und die Zersplitterung ist «<> groß, daß oft gt«n/ 
kleine Sippen, ja einzelne Familien ihren besonderen Dialekt 
Das Malaiisch-, als Lingua frunca der ll.lhin-el 



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1 10 



Georg Ilren: Der ehemalige Königs-. Tegern- und Kochelsee. 



dient Jabel als allgemeines Ver»tändigun£su]ittel auch für 
Kuropäar und Chinesen uud greift unter deu Stummen immer 
mehr um «ich, die heimischen Idiome verdrängend Früher 
zogen «ich die von den Malaien gehetzt«!) Urhewohner in die 
Wälder zurück; jetzt, wo Knglander und Siamesen Ordnung 
geschaffen haben, verkehren nie mehr mit den Fremden, und 
dadurch wird der Untergang der heiniixclieti Muudarten be- | 
xchleunigt; in einigen Generationen werden -ie erloschen sein. | 
Blagdeu unterscheidet eine typische S^m^ngsprachgruppe, die ' 
gänzlich von der typincb.cn Kakaispracbgruppe verschieden 
i*t. Der Unterschied liegt wesentlich auf phonologischera i 



Gebiete, ganz ahi 



der 



igen Verschiedenheit de» 



Wnrtvorrale«. Im grollen Ganzen fallen hier also die Sprach- 
mit den anthropologischen zusammen. Wuhin 



aber diese Sprachen zu stellen sind, darüber sind wir durch 
zahlreiche nuuerv Arbeiten (F.. Kuhn, W. Schmidt u. a.) jetzt 
klar. Sie gehören zu der groUeu Mon- Khmer-Uruppe, in 
welche Volker iu Annam, dem nördlichen Siitm und Vorder- 
indien (die Mundasprache) eingereiht werden. __tio erscheinen 
denn die Sakai und Bemann als vernprengte Überreste einer 
einst zahlreicheren Rasse, die «ich in Urzeiten über die Ma- 
laiische Halbinsel vorbreitet hatte. A. 



Der ehemalige Königs-, Tegern- und Kochelsee. 

Historisch-geographische Skizze von Georg Breu. München. 



Das rapide, in den letzten Jahrhunderten durch dag 
Eingreifen des Menschen beschleunigte Zurückweichen 
dor Seen zeigt, daß die zerstörenden Kräfte der Natur 
beständig an der Arbeit sind. Ein genauer Beobachter 
kann deshalb mit Sicherheit behaupten, daß die Zahl und 
Größe der Seen im Laufe der Jahrtausende mehr uud 
mehr Abnehmen mußte, und zwar in dem Matte, als Flüsse 
und Bäche die Gebirge benagten. Von allen großen 
Alpenseen laßt »ich der Nachweis erbringen, daß ihr« 
Fliehe vorzeiten größer war, al* »ie heute ist, und die 
Zahl der kleinen Alpenwannen, die in geschichtlicher 
Zeit, ja in duu letztun zwei Jahrhunderten völlig ver- 
schwunden sind, ist erstaunlich groß. 

Di» historische Geographie lindut daher kein bessere« 
Feld für ihre Tätigkeit ala dort, wo üie jenen morpho- 
logischen Änderungen am besten nachgehen kanu. Weun 
wir also hier in diesem Sinne unseren romantischen Seen, 
dem Königs-, Tegern- und Kocbelsee, eine Betrachtung 
widmen, so glauben wir nicht nur der Limnologie im 
besonderen, sondern auch der historischen Geographie 
im allgemeinen einen Dienst zu leisten. 

I. Der ehemalige Königssee. 

AI* zuflußnrmer See Ist der Königsse« gleich dem 
Walchensee mehr vor der Zuschüttung bewahrt geblieben 
als andere Seen, und infolge dieses Utnstandes wird er 
noch in vollster Schönheit prangen, wenn die weiten 
Becken eines Würm- oder Kochelsee* langst von sterilen 
Moorflachen erfüllt sind. 

Dennoch arbeiten auch hier, wenngleich nicht so 
mächtig, die zerstörenden Krftfte der Natur und besiegeln 
sein einstiges Hude. Der See reichte ehemals im Süden 
bis zum Fuße der Seihtatt- und Röthwand , und der 
heutige Obursee ist uooh ein Teil dieses Restes. Gegen 
Norden hat ein gewaltiger Bergsturz den Obersee vom 
beutigen Königssee abgetrennt, und eine weitere, aber 
anders geartete Abgliedcruug dürfte einst der Elsbach 
vollziehen. Dieser hat beruits durch seinen Scbuttkcgel 
die Breite und Tiefe des See» bei St. Bartholome auf die 
Hälfte reduziert und dadurch den oberen Teil dos Königs- 
see!« merklich gegenüber dem unteren Abgeschnürt. Hier 
soll gleich betont werden, daß gerade von dieser Stelle 
aus die Znschüttuug iinseres Wasserbecken« am raschesten 
vor «ich geht , du hier der bröcklige Hauptdolomit an 
die Ufer des Sees tritt Ein einziger Regenguß am 
7. September 1*85 genügte, berichtet uns Pcnck, um 
hier eine Aufschüttung von 12,5 m im Bette des Eis- 
haches am Königsäee hervorzubringen. Auch brach im 
gleichen Jahre ein Stück von der Größe des Schlosses 
Bartholom* in den See, dessen Becken verkleinernd. 
Freilich treten solche Katastrophen nur «fiten auf. Da- 
gegen erfolgt unablässig und kaum merklich die Zcr- 
störung des Landes durch ununterbrochen uud konti- 
nuierlich wirkende Kräfte- unmerklich unterminieren sie 



da« Ufer, bis plötzlich ein kleiner Anstoß erfolgt, um 
ein großes Werk kutitstrophenartig zu vollenden. So 
muß zuletzt auch der Königssee aus der Landschaft ver- 
schwinden, freilich viel spater als Dutzende andere seiner 
Genossen, 

Auf immer? — Gewiß nicht! 

Wenn jene Zeit hereinbricht, iu der unsere Alpen 
wieder von einem machtigen Eiaroantel überdeckt sind und 
gewaltige Gletscher wieder ihre erodierende Tätigkeit ent- 
faltet!, wenn diese Gletscher dann wieder nach jahrtausend- 
lungem Dasein von der Energie der Sonne besiegt iu 
ihre Berge sich zurückziehen: dann bricht für unseren 
Königssee und alle seine Brüder wieder ein frischer 
junger Tag ans Grabcsnacht hurein, ein neuer Schöpf uugs- 
morgen, der leider bei seiner Geburt schon wieder den 
Vernichtungskeim mit Sicherheit iu «ich birgt: Schon 
am ersten Tage, nachdem die Becken vou den Fesseln 
der alpinen Eisberge befreit sind , beginnen die zer- 
störenden Agenzien abermals ihr Werk, teils unheimlich 
langsam, teils katastropbenartig, wie wir sie heutzutage 
oft vor unseren Augen sich abspielen sehen. 

II. Der ehemalige Tegernsee. 
Auch dieser herrliche See ist eine opbeinore Erschei- 
nung der Landschaft. Die zahllosen Gehjrgshäche schieben 
unablässig ihre Schuttablagerangen iu das stille Gewässer, 
zum Teil iu regelmäßigen Deltas. Die Wellen siebten, 
sie lassen die groben Gerölle an den Mündungen der 
Zuflüsse liegen, spülen den Sand am Ufer entlang, wo 
er an Ausbieguugen sich festlegt und spornartige Vor- 
sprüngo bildet, uud lassen den Schlamm weit hinein iu 
den See gelangen, soweit die Transportkraft des zu- 
fließenden Wassers reicht. Auf dem seichten Seeboden 
fassen Algen und Rohrgräser Fuß; haben sie ihn mit 
ihrem Abfall bereichert, dann tauchen schwimmende 
Wasserpflanzen, wie Seerosen, Wasserranuukeln, Myrio- 
phyllen, auf, und ist der Boden hoch genug gewordon, 
daß er zeitweise oberflächlich trockou liegt, so entsteht 
durch Ansiedelung von Hied - und Wollgräsern eine 
Sumpfwiese. Die bedeutendste Lüngeuausdebnung hatte 
der See nach Süden zu. und er reichte, wie diu Alluvio- 
nen der Rottach und der Weißach beweisen, früher bis 
zum Fuße der Bodenschneid und des Wall- und Setz- 
berges. Diese Ablagerungen führten den See auf ein 
Drittel seiner früheren Ausdehnung zurück, der ehedem 
10 bis 1 2 ni höher als heutzutage war, wie mehrere schön 
ausgeprägte Terrassen auf der West-, Ost- und Nordseite 
bezeugen. Söllbuch, Zeiselbach, Breitenbach und Filz- 
bach arbeiten unablässig im Westen an seiner Vergäng- 
lichkeit. Dieses Werk wird noch weiter unterstützt durch 
vereinzelte Moore zwischen Wiessee und Villa Tauereck; 
außerdem zieht sich ein Streifen „alter Seeboden" von 
Kaltenbrunn bis Gmund, von hier am Ostufor entlang 
etwa 1 , km lang und 11)0 bis 200 m breit. Am süd- 



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Dr. F. Maurer: Die Ablösung nf nrmt 

Heilsten Ends <les Kingseeg schlängelt »ich etwa 250 in 
laug ein Altwasser de« See« dahin, da« vor 40 Jahren 
noch mit dem eigentlichen Wasserbocken zusammenhing. 
Krwähnt muß außerdem werden, daß sich am Ostufer 
von der Villa „Am See" Iii« gegen Augermann eine 1000 in 
lange und etwa 200m breite Schilfzone erstreckt, wo- 
durch der beste Boden zur Verlandung gegeben ist. So 
geht auch der Tegernsee »einem l'ntergange entgegen. 
Obersee und Ringaee werden sicherlich zuerst zugeschüttet; 
dann entsteht natürlich durch die auffallende Tätigkeit 
der gegenüberliegenden Bäche, des Aalbaches einerseits 
und des Söllbaohes andererseits, eiu Doppelbeoken , und 
in etwa 18000 bis 20000 Jahren hat der See vollständig 
■<eiue Existenz eingebüßt, so daß nur mehr ein Fluß, 
gespeist von den QueMüssen Rottach und Weißnch, träge 
durch die Kbene zieht. 

III. Der ehemalige Kocbelsee. 
Von sämtlichen alpinen Vorlandsseen fallt wohl der 
Kochelsee am schnellsten dur Zerstörung anheim. Während 
von Süden und Südwesten her die Alpenflüsse und -Bache 
daran arbeiten, diesen lieblichen See aus der erhabenen 
Landschaft zu verdrängen, tun dies in ungleich größerem 
Ma ßi tobe noch die geheimnisvoll arbeitenden Moor- 
kräfte von Norden und Nordwesten her. Wenn man in t 
alten Urkunden und Chroniken liest, daß vor mehreren 
Jahrhunderten noch die Klostcrherren von Benedikt- 
beuern zu Schiff von ihrem Kloster aus Besuche bei den 
Kollegen zu .Schlehdorf machten, so muß man stuunen, 
wie rapid dieser Vermoorungsprozeß vor «ich geht So 
ist das ganze Gebiet von Kochel bis gegen Bichl hin im 
Osten einerseits und von Scblehdorf bis Sindelsdorf im 
Westen andererseits, sowie von der Linie Schlehdorf — 
Kochel im Süden bis zum Moränenzuge Sindelsdorf — 
Bichl im Norden ganz vermoort und vertorft, eine Fläche 
etwa von der achtfachen Grüße des heutigen Wasser- 
beckens. Daß der Spiegel des Kochelsees ehemals viel 
höher lag als hentzutage, beweisen kräftig ausgebildete 
Nischen bei der llurg und Nase, sowio markonte Strand- 
linien am Südostende des Sees. Diese Strandlinien liegen 
3 cm, 1 m und 2 in hoch und decken sich vollständig mit 
den als Wahrzeichen der früheren Größe des Sees in die 



n im Alten und Neuen Testament. III 

Felsen eingemeißelten Nischen. Kine Schifferhütte bei 
Schlehdorf, jetzt 7 m vom See entfernt, war vor etwa 
15 Jahren noch vom Seewasser bespült. Genaue Mel- 
sungen zeigten, daß das Wasser hier nun volle 5 in 
zurückgegangen war; dio übrigen 2 m waren versumpft. 
Wer überdies die Zone der Seerohre und Schilfe schon 
gesehen hat, wird sieh bald im klaren sein, daß os nur 
noch weniger Dezennien bedarf, bis diese große „Schilf- 
zoue" vermoort ist- So rasch erleidet der See auch eine 
Veränderung von Westen her. Nur der Nordwesten des 
Gebietes macht eine Ausnahme, wo die Loisarh mit ihrem 
starken Oefälle und ihren großen Goröllmasseu der Ver- 
inoorung einigermaßen F.inhalt gebietet. 

So haben wir gesehen, daß die Zuscbüttuug eines 
Sees bald zusehends rapid, bald langsam und unmerklich 
vor sich geht. End welcherlei Art sind die Kräfte V Die 
Zuflüsse führen bestandig Material in den See und 
erhöhen ihn, die Abflüsse nagen sich tiefer in die Erd- 
kruste und erniedrigen so den Seespiegel. Dazu kommt 
die Vegetation, die ihr Werk meistens am Rande beginnt 
Die organischen Stoffe, die sich stets in dem See ablagern 
und langsam vermodern, geben von diesem Zeitpunkte 
an den Verwesungspllauzcn reichlichen NuhrungsstolT. 
Ks beginnt am äußersten Saume, wo die günstigen Ver- 
hältnisse am frühesten eintreten, eine Moorbilduug, 
die mehr vom Rande in das innere des Wasserbeckens 
hineinwächst Endlich zeigt sich, daß die Geschwindig- 
keit des Aussterbens sich in den letzten anderthalb 
Jahrhuuderten gesteigert hat. Das Eingreifen des 
Menschen trägt auch daran die Schuld. „Wiesen-, 
Streue- und Torfland werden nämlich weit höher gewertet 
als je zuvor, und um sich vor Überschwemmungen der 
Alpenbäche durch plötzliche Hochwasser zu schützen, 
leitete man diese in Seen." 

So haben durch diese Kräfte unsere betrachteten 
alpinen Wannen das Stadium der Reife längst erreicht; 
freilich wird us noch Jahrhunderte dauern, bis sie er- 
loschen sind. Den Kochelseo wird dies Schicksal, wie 
gesagt, am ersteil treffen, dann kommt der Tegernsee an 
die Reihe, zuletzt erst der wildromantische Königsseo, 
der schönste aller Alpenseen. 



Die Ablösungsformen im Alten und Neuen Testament. 

Von Dr. F. Maurer. 



Die Krinnerung an das Menschenopfer, speziell Kindes- 
opfer, hat sich bei den meisten Völkern erhalten. Dio 
griechische Mythe und Sage ist reich an solchen Erinne- 
rungen. Beginnt doch die Geschichte der jüngeren Zeit 
mit dem Sturz des alten kiudermordeuden Gottes. Im 
Alten Testament liegen die Ablösungsmvthen in zahl- 
reicher Ausprägung vor. 

Wir können drei Arten von Ablosungsforwen unter- 
scheiden: die blntigen, die unblutigen und eine auf 
priesterlichc Konstruktion gegründete. 

1. Die älteste Form der blutigen Ablösungen dürfte 
wohl die Hingabe eines Teiles statt des ganzen Leben* 
und Blutes sein. Daher hat die Besch uoidung eine 
so weite Verbreitung gefunden Daß sie eine Ablösung 
involviert ixt aus der Erzählung Ex. 4, 24 ersichtlich. Dem 
mit seinem Weib und Kindern nach Ägypten ziehenden 
Moses tritt Jahve im Zorn entgegen. ..Da nahm Zippora 
einon Stein ') und beschnitt die Vorhaut ihres Sohne» 

'i Die Beschneidung reicht bis in die Zeil de» Mulier 
reeht* zurück; später wurde *ie von Männern vollzogen. | 



und berührte seine Fülie J ) und sprach: Wahrlich, ein 
Blutsverbundener (Blutbräutigam) bist du mir. Da ließ 
er (Jahve) von ihm ab, als sie gesagt hatte, Blutbräutigam 
um der Beschneidung willen." Die Beschneidung wird 
zum Bundes/eichen Jahve» , das von jedem mänulicheu 
Israeliten zu tragen ist. Denn Kx. Kl. 2 beißt es ausdrück- 
lich; „Weihe mir alle Erstgeburt, alle«, whs die Mutter 
bricht bei den Söhnen Israels, bei Menschen und Vieh, 
mein ist es.' 1 

2. In der Erzählung von der Opferung Isaaks wird 
weiter die Ablösung durch das Tieropfer angebahnt. 

Kleinmesser blieben bei diesem Akt noch lange üblich. Noch 
1716 kam zu Kendel in der Wetierau eine jüdische Beschtici- 
dung mit einem Schieferateiii vor; vgl. Behudt, Jüdisch* 
Denkwürdigkeiten, ti. Hm-h, *«. Kap,. Nachtrag. S87. 

*| Kiese Stelle wird verschieden iiliersetxt. .Sie bestrich 
-.eine Füße damit*; „sie warf «i« ihm zu Kütten'; „sie h« 
rührte seine, d. i. Munis (ieschlechtsteile'. Ob darin eine 
Adoption liegt, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. In 
Uabylonien siegelt» man die t'itiiwlilen der Adoptiertet! ; vgl. 
MeiBner, Althatryl. Privatrecht. Leipzig I»»:». fl. l.v.% Ann». V. 
Kine analere Adoptionsform ist da« ,Sehoßge1>iaivn " ; tion 



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112 



I»r. V. Maurer: Uie Ahlosungsfnrmcn im Alien und Neuen Testament. 



Abraham *) «oll seinen erstgeborenen Sohn opfern und 
darf dafür auf Jahves Befehl den in der Hecke hangenden 
Widder 4 » schlachten. Die Ablösung isi von der Gottheit 
gewollt und ihr angenehm. 

3. Die Ablösung durch da« Tieropfer liegt auch dein 
Passabmytkus zugrunde. Hei den Mexikanern "') ging 
die göttliche Urmutter Centeotl bei ihren Festen durch 
das Land und die Wohnungen der Menschen. Zum 
Schutze des Leben» zerstachen sie sieb die (ilieder, sam- 
melten das Blut und hingun es iu altertümlichen Gefäßen 
an die Türpfosten der Hauser. Der gleiche Gedanke 
kommt im Paasahmythus zum Ausdruck. Zur Festzeit 
kommt der F.ngel Jahves und tötet die Erstgeburt der 
Ägypter. Die Israeliten aber hatten sich durch die Opfe- 
rung eines Lammes und durch Bestreichen ihrer Türen 
mit Blut geschützt. An die Stelle der israelitischen 
Erstgeburt tritt die der Ägypter. Der biblische Passah- 
uiythus benutzt die Vorstellung der Ägypter, dall die 
Begegnung mit einer Gottheit todbringend sei, ferner 
die Tatsache, daß bei ihnen das Menschenopfer längst 
«bgesohafft war, und verlegt daher die Ablösung der 
israelitischen Erstgeburt nach Ägypten. 

Die Ablösung durch die ßeschneidung und durch da» 
l'nssablainm gehört zwei verschiedenen Kulturperioden 
au. Wenn im späteren Gesetz die Beschneidung zur Be- 
dingung für die Teilnahme am Passahtnnhl gemacht wird, 
»o geht daraus hervor, daß die Beschneidnng die ältere 
Ablösungsform darstellt. „Die Ablösung durch das Blut - 
opfer der Leibeseinscbnitte 6 ) und die Stellvertretung 
durch das zahme Haustier teilen die Juden mit zahl- 
reichen Völkern, die erstere insbesondere mit den afrika- 
nischen, die zweito mit den asiatisch-europäischen Hirten- 
völkern." 

4. Bei den blntigeu Ablösungsformeu ist noch zu 
erwähnen die Hingabe alles Blutes als Ablösungswert 
an die Gottheit „Denn das Leben de* Fleisches ist im 
Blute, und ich habe es für euch auf deu Altar gegeben, 
um eure Seele zu versöhnen, denn das Blut versöhnt das 
Üben« (Lev. 1 7, 1 1). Den Israeliten ist deshalb der Genuß 
des Blute« verboten. So kann die Knthaltung vom 
Blutgenuß auch als Ablösungsform gelten. Da* Blut 
gehört Jabve allein. Darauf gründet sich das ganze 
Opfersysleui der Israeliten. 

5. Von den unblutigen Ablösungsformen bind zwei 
erwähnenswert. Eine große Bolle spielen die ausgesetzten 
und später berühmt gewordenen Männer, wie Sargou, 
l'yrus, Mose», Komulus und Reniu*. Die Aussetzung 
»teilt gleichfalls einen Versuch der Ablösung des Kiudee- 
opfers dar. Ohne da* Kind zu opfern, wird es der Gott- 
heit Hugoboten , die ihr Wohlgefallen durch Erhaltung 
des Kindes ausdrückt. Die Gottheit hat gesprochen und 
die Ablösung gutgeheißen. Diese Ahlösungsform tritt 
uns auf israelitischem Hoden iu der Lebensgescbichtc 
Moeis entgegen (Kx. 2). 

G. Eine andere Form gründet sieb auf die Kom- 
patibilität. Hui diu Gottheit für deu Entgang de* 
Hintes zu entschädigen, muß der Vater des Kindes sieh 
bestimmten Vorschriften unterwerfen. Daher liegt. David 
bei der Geburt und Krkriinkung seines Kindes, auf der 
Erde und fastet '•). Denn „wer weiß, -lahve erbarmt sieb 
wohl meiner, daß der Knabe am Loben bleibt". (2. Saiu. 
12. 16—22.) 

') Die Atilöüung »teilt mit .lein Vitterrecht in etiirem Zu- 
sammenhang. 

') Vgl. lpbujeni» und die Hirschkuh. 
'•> Lippcrt : Kulturgeschichte, II. 8. :su. 
*) Lippen II, 9. 318. 

"1 Uie Höflinge wundern sich über Davids Ueuehuieii; 
*ie halten da» Kasten mit l'nreehl für eine» Trnuerrilu*. 
AK-r «Ins Kind war j« noch nicht jrestorbeu. Als Kulthaml 



7. Die jüngste Ablösungsform ist die Hierodulie. 
Sie wird Num. 3,39 — 46 erwähnt Danach ist jeder Erst- 
geborene dienstpflichtig Am Heiligtnme Jahves. Diese 
Dienstpflicht hat der Stamm Levi übernommen und muß 
dafür entschädigt werden. Für den Überschuß von 27.1 
Erstgeburten über die Zahl der Leviten ist eine Geld- 
eutschüdigung von 13<>5 Silbersekel zu leisten. Die 
dem Grundgedanken des Priesterkodes entsprechende 
Konstruktion liegt klar zutage und hat wohl niemals 
Geltung erlangt. 

8. Alle diese Ablösungsformen beziehen sieb auf deu 
Menschen. Auoh .die Erstgeburt der Tiere ist tabu und 
soll Jahv* geopfert werden. Nur die Erstgeburt de» 
Esels darf durch ein Lamm oder Schaf gelost werden. 
Wenn es nicht geschieht, soll dein Esel das Genick ge- 
brachen werden (Kx. 13, 13; 34, 20). 

Wenn wir alle Ablösungsformen zusammengestellt 
haben, so läßt sich aus ihrer großen Anzahl schließen, 
wie tief dieses Problem das Volk beschäftigte. Denn 
das Kindesopfer ist vou großer kultischer, aber auch 
wirtschaftlicher Bedeutung, zumal für ein Volk, das wie 
die Israeliten vom Nomadenleben zum Ackerbau übergeht 
Wir sehen jedoch, wenn in spaterer Zoit das Kindesopfer 
wieder aufgenommen wurde, daß die alte Kultform uuf 
die jüngere wirtschaftliche Form keine Blicksicht nimmt 
(Kzech. 20, 25). 

Die zahlreichen Ablösungeinythen zeigen, „wie sich 
allmählich der Mensch der Schlinge zu entwinden ver- 
suchte, die ihm der unabwendbare Gang seines eigenen 
Denkens um den Hals geschlungen hatte" In der 
Erzählung vom Auszug aus Ägypten klingt noch etwa* 
vou dem Kampf dieser gewaltsamen SelbBtbefreiung aus 
dem Banne des Tabugedankens („alle Erstgeburt ist 
I mein") nach. Daß die Ablösungsmythen in so tnanuig- 
: faltiger Ausprägung vorliegen , hat seinen besonderen 
Grund: sie sind Kultsagen der verschiedenen Stämme, 
ausgegangen von ihren Lokalbeiligtümern. So steht der 
Mensch im Mittelpunkt des wirtschaftlichen und kultisch- 
religiösen Ubens, aber erst allmählich hat er seine eigene 
Bedeutung und seinen Wert erkannt. 

Von den Ablösungsformen des Alten Testaments 
findet sich im Neuen die' Beschneid ung und das 
Passah. Luc. 2, 21 wird erzählt, daß Jesus beschnitten 
wurde. Mit diesem Akt war die Namengebung verknüpft. 
Auch das Passah hat er gleich seinen Volksgenossen 
festlich begangen. 

1. Die Enthaltung vom Blutgenuß war gewiß 
damals allgemein üblich. Daher wurde auf der Apostel- 

i Versammlung zu Jerusalem beschlossen, dies Gebot auch 
1 auf die Heidenchristen auszudehnen. Die israelitische An- 
schauung sollte auch Tür sie verbindlich sein (Apost. 1 5. 20). 

2. Der Gedanke der Kompatibilität ist erhalten iu 
derl. Kor. 15, 29 erwähnten Totuntaufc. Schon zur Zeit 
des Apostels Paulus muß es Sitte gewesen sein, daß 
l/ebende zugunsten der Toten sich taufen ließen Diese 
Sitte mag analog der Totensühnung (II. Makk. 1 2, 43) oder 
der stellvertretenden Übernahme heiduischer Taurobolien 

! entstunden sein. Verbürgt ist, daß sie sich bei den 
Sekten der Montanisten, Keriuthianer, Markioniten lauge 
1 erhalten bat. Verwandt hiermit ist die volkstümliche 
; Vorstellung, deu Toten durch Aluiuscngebeii oder Seelen- 
messen zu erlösen. 

Oer Gedanke der Kompatibilität liegt überhaupt der 
Tiiufe iiu allgemeinen zugrunde. Köm l>, I beißt es: „So 

Iiiiik kann es auch nicht aufxel'attt werden, denn s.inst hätten 
die Undinge diese Zeremonie verstehen müssen Ks ist viel 
leicht eine Art .MäDiierkind In-ti eine damals nicht mehr 
j verstanden« Atdr.suiigsfonii. Uns einriß Heispiel'. 
I : i Lippen II, H. II. 



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Ilui-hcrsehan. 



113 



sind wir mit ihm begruben durch die Taufe in den Tod -'*), 
auf daß, gleich wie Christus irt auferweckt von den Toten 
durch die Herrlichkeit des Vater», also solle» auch wir 
in einem neueu Leben wandeln." Die Taufe ist nicht 
nur ein Lustrationsritug, aondern auch eine AblösuogH- 
form. Deshalb wurde früher in der christlichen Kirche 
eine wirkliche abrenuntiatio diaboli vomTäufling gefordert. 

3. Die einzige blutige Ablö*ung*form im Neuen 
Testameut ist der Opfertod Jesu. Im AnscbluB an 
da« Passahmahl spricht er von seinem Tode als vou der 

*) Jeder Getaufte hat teil am Opfertode Je«u, wird gleieh- 



Hingabe seine« Leben» zur Lösung der Menschen, damit 
„wir haben die Krlösung dnreb sein Blut" (Eph. 1. 7), 
Dadurch eind die Tieropfer unnötig geworden und auf- 
geholten. Kin Mensch hat «ich für alle dahingegeben 
(Hebr. 9). 

Vom Standpunkte der Keligionsgeschicbte aus sollte 
man eine Fortbildung erwarten. Das Menschenopfer 
sollt« völlig überwunden Sein. Wir »eben jedoch, es wird 
noch einmal aufgenommen. Mit diesem einen Menschen- 
opfer aber sollen alle anderen Opforgystewe fallen. 

So ateht das Menschenopfer am Anfang nud 
am Knde aller Versuohe, die Gottheit zu ver- 
söhnen. 



Bücherschau. 



Ylac. Pollack, Über Erfahrungen im Lawinen verbau 
in Österreich. !»0 Seiten mit Abbildungen. Leipzig u. 
Wien, Kranz Dcuticke. 190<i. 5 M. 
Das Buch ist ein erweiterter Hondurdruck aus der Zeit- 
schrift de« österreichischen Ingenieur- u. Arehitektenverein» 
und schildert an der lland der gewonnenen Erfahrungen, 
nnter welchen Bedingungen sich ein Verbauen von Lawinen 
in den Abbruch«g«-bi«t«n und, wtnu erforderlich, auch liefer 
im ßturzkanal »In Ökonomisch gerechtfertigt zeigt. Dabei 
wird ausführlich beschrieben, wie eiue im Lawinenbereich zu 
liegen kommend« Eisenbahnstraße zu behandeln ist. Als un- 
gefähren Durchschnittspreis für 1 <|m Vcrbauuiigstläche be- 
rechnet, in bt Verfasser 0,4 bis 2 Kronen nn; gewöhnlich ge- 
nügt jedoch I Krone für 1 <jm. Welche Summen trotzdem 
dabei herauskommen, ergibt »ich beispielsweise aus den zu 
>twa 800000 Kronen veranschlagten Arbelten in den Ab 
broehs- und Sturzgebieten der Arlberg-Westrampe von Lan- 
gen bis Brenz. 

Die einzelnen in Betracht kommenden Arbeiten variieren 
natürlich in hohem Malle und sind durch S7 Abbildungen 
erläutert. K. Roth. 



Das deutsche Njassa- und 
Kuwomagebiet, Land und Leute, nebst Bemerkungen 
Fiber die Sehirelander. (Deutxch-Ostnfrika. Wissenschaft- 
liche Forschuiigsreaultate Uber Land und Leute unsere« 
ostafrikanischen Schutzgebietes und der angrenzenden 
Länder. Bd. IX.) XX u. «311 H. Mit 200 Abb. und eim-m 
Atlas, enthaltend II» Lichldrucktafeln und 2 Karten. 
Berlin, Dietrich Reimer, 1»U6. Textband 80 M. Atlas 
65 M. 

Der Verfasser, früher Arzt der ostafrikauisebeu Rehulz- 
truppe, hatte in den Jahren 18»" bis isou Gelegenheit, den 
Süden Ostafrikas zwischen der Küste und dem Rukwasce 
kennen zu lernen: er war Teilnehmer an Expeditionen gegen 
die Wahehe und Wangonl und durchstreifte, uuterstützt 
durch die Mittel der Heckmann Weutzelstiftung der Preußischen 
Akademie der Wissenschaften, vorzugsweise zwecks zuologi 
■eher Forschungen das Njaase- und Kingagebirge. Die zoolo- 
gischen und botanischen Ergebnisse sind bereits veröffentlicht 
worden, auch hat der Verfasser selbst sein anthropologisches 
Material vor vier Jahren in einem reich ausgestalteten Werke 
(»Beitrage zur physischen Anthropologie der Nord - Njaasa- 
länder", Berlin 1902) herausgegeben. In dem gleichen opu- 
lenten Gewände liegen nunmehr hier die ethnographischen 
Studien Ffilleborn* vor. Den Textband zieren zahlreiche 
Abbildungen, und die Tafeln de* Atlas bieten in prächtiger, 
klarster Lichtdruckwiedergabe gegen H<H> Ansichten von ' 
l<endschafu-n, DorfaDlagen. Hausbau, Gerätschaften, Jagd- < 
und Fischereibetrieb, Bcgiähiiii-stillten, Tiinzen, ferner Volks- ' 
typen und auch einige Btatiousbilder und Beiseszenen — | 
«inen bildlichen Stoff, dessen Wert für Geographie und Völker- I 
künde gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Den ■ 
Text eröffnet und schließt je ein Kapitel, das die Form der 
Rviseschilderting trägt. Die übrigen Kapitel beschäftigen sich 
mit der großen Krihc von Stimmen, die den Rüden der Kolonie j 
bewohnen, wobei auch die geographischen Verhältnisse (z. Ii. 
Rukwaaee , die Kraterseen im Norden de« Njass») nicht ver i 
nachlassigt sind. Der Jagd und dem Fischfang dor F.in- | 
geborenen ist dann noch ein in «Ich geschlo»-*nes Kapitel 
gewidmet, das unter anderem viel Interessantes über Fallen 
enthält. Der Verfasser hofft, mit dieser Bearbeitung des 
Stoffes auch größere Kreise /u interessieren; alx-r dazu dnrl'lo 
das Werk leider zu teuer «i-in. 



Der Verfasser bat sich nicht darauf beschräukt, seine 
eigenen Beobachtungen niederzuschreiben, sondern er bat 
sich in die bereit* bestehende Literatur vertieft und deren 
Angaben mit seinem Material verschmolzen, dabei aber durch 
eine sehr detaillierte, wenn auch etwas unpraktisch durch- 
geführt« Quelleuzitierung für deu Leser das Fremde von dem 
Eigenen sorgfältig geschieden. Vielleicht wäre es empfehlens- 
werter gewesen, nur da» eigen« Material zu bieten und auf 
das übrige in Fußnoten zu verweisen; doch mag ja die Kennt- 
nis von Land und Leuten zu solchen Zusammenfassungen 
einen Reisenden oft mehr befähigen als einen anderen ledig- 
lich die Literattirkenntois. Diese Literatur i»t, wie der Ver- 
fasser sieh immer mehr überzeugen mußte, gar nicht so arm, 
und hätte er sein Buch nicht schon sehr früh abgeschlossen 
— die zitierten Quollen reichen über das Jahr 1B05 oder gar 
1*0-1 ineist nicht hinaus — so würde er noch manches andere 
gefunden haben, z. B. Booth' schöne Arbeit über die Wan- 
goni (Oktober 1905). Als einen Maugel kann man es wohl 
auch bezeichnen, daß Mitteilungen über den geistigen Kultur 
besitz der besprochenen Völker im allgemeinen sehr zurück 
treten. F.* liegt das au den Quellen sowohl wie an den 
eigenen Beobachtungen. Denn nur wenige unserer .Afrikaner'' 
haben Geschick und Neigung, und die meisten haben auch 
keine Zeit, mehr als den materiellen Knlturbesitz, der sich 
dem Auge darbietet, zu invrntansien n. Speziell des Ver- 
fassers Hauptaufgaben lagen ja auch auf anderen Gebieten. 
Jedenfalls aber haben wir alle Ursache, mit dem in dem 
vorliegenden Werke Aufgezeichneten zufrieden zu sein Das 
Buch ist ein Lichtblick in der jetzigen trüben Zeit unserer 
Afrikaliteratur. Sg. 

Max FJirderreuthor, l»ie Allgäuer Alpen. Land nnd 
Leute. XVI u. S2Ü S. Mit 42.1 Abb. im Text, 2 Karten 
und 2<t Kunstbeilagen. Kempten, Jos. Kösclsche lliicli 
Handlung. H»nT. 10 M. 
Die um die heimatskundtiche Literatur des Allgäu ver- 
diente Kftselsehe Buchhandlung in Kempten und ein guter 
Kenner der Landschaft, M. P<>rd erreut her, haben sich vereinigt, 
um in diesem Buche eine populäre Landeskunde des Allgäus 
zu schaffen. Der Erfolg kann als erfreulich bezeichnet werden, 
und das Buch wird nicht zuletzt auch unter denen sich viele 
Freunde erwerben, die in großer Zahl allsommerlich als 
Krholungsbedürftige oder Touristen jenen Teil der schönen 
deutschen Alpen und sein Vorland aufsuchen. Obwohl, wie 
angedeutet, das Buch für einen weiteren Leserkreis bestimmt 
und in einzelnen Abschnitten touristisch gehalten ist, so ist 
doch nirgends eine gewisse wissenschaftliche Basis verlassen 
wonleu, und manche Abschnitt« können als gute volkskund 
liehe Bilder gelten. Die Morphologie kommt im ersten Abschnitt 
für den vorliegenden Zweck ausreichend zu ihrem Recht 
Dann werden dem Freunde des Allgäus dessen landschaft- 
liche Schönheiten in beredten Worten vorgeführt. Es folgen 
Abschnitte über Pflanzen- und Tierwelt mit vielen Dreifarben- 
drackabbildungen blühender Pflanzen, wobei auch die pflanz- 
lichen Naturdenkmäler (die alte Eibe im Hintersteiuer Tal 
n. a.) nicht vergessen sind. Von Interesse ist, daß noch 
18ül ein Bär die Gegend unsicher gemacht hat, während der 
letzt« Luchs «ebon 183«, der letzt« Wolf gar schon IW! 
erlegt worden ist. Die Geschichte des Allgäus wird im 
fünften Abschuitt skizziert. Zahlreiche Burgruineu sind noch 
landen, und eine Burgenkarte veranschaulicht ihre Lage 
Verteilu 



lung. Dem V.ilk, »eiuen Ansiedelungen und Erwerb» 
zw.igen gelten die AW.unitte >l bis 8. Die Siedeln»« wird 
sehr eingehend behandelt, der Ei^euart des Hauses viel Auf 



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114 



Kleine Nachrichten. 



iiierksamkcit in Wort und Bild geschenkt. Der Erwerb igt 
sehr vielgestaltig und hängt natürlich insbesondere mit der 
berühmten Viehzucht und der Mitchverwertung zusammen, 
dirch hat jetzt dort mich manche andere Industrie ihre Stätte. 
Ein Scblußkapitel. .Die vier Jahreszeiten" überschrieben, 
bietet noch einige Ergänzungen zu der Schilderung de» Lebens 
de» Allgäuer*. Erscheint die topographische Übersichtskarte 
de* Ruche« in I : 2M>'10U etwa* dürftig, auch technisch, h» 
verdient der reiche Bilderschmack all*-' Lob. Kr i«t nicht 
nur schön (t'oinplonsche Aquarelle usw.), «oudern auch zweck- 
entsprechend ; auch »iblreiche Reproduktionen aller Bilder 
find von Interesse. 

Dr. J. D«COr»e, Hu ConfO au Lac Tcbad. i Miesion 
Chari — Lac Tehad 1902— 1904). tarnet de roule. VII 
und 34" Seiten. Mit 1 Abbildung. Bari«, Assetin et Hou- 
zeau, 190«. .H fr 
Dar Verfasser war Mitglied der Kx|wdition < hevaliers in 
die Schari- und Tsadseeläuder und hatte die zoologischen und 
ethnographischen Arbeiten übernommen Die Expedition ging 
ülier den Ubangi zum Schari und diesen abwärts zum Tsad- 
see, doch trennten sich die Mitglieder mehrfach und machten 
Abstecher in die links und rechts vom Schart liegenden 
Gebiets. Decorse selber hielt »ich längere Zeit in Fort 
Archambautt auf und konnte unter anderem die tiara genann- 
ten Stämme mit ihrer verworrenen Ethnographie genauer als 
seine Vorgänger kennen lernen. Später besuchte er einen 
Teil vou Deutlich- Bürau. Dir vorliegenden Heiseskizzeu treten 
in unscheinbarem Gewände auf, enthalten aber viel« im Text 
zerstreute nicht unwichtige Notizen vornehmlich ethnogra- 
phischen Inhalt*. Am Kern« gibt es große Kanus, die bis 
80 Menschen fassen können. Sie wurden von den Dorf- 
bewohnern gemeinsam hergestellt und waren Dorfeigeutum. 
Heute baut mau sie nicht mehr, auf berechtigter Furcht, daß 
die Weißen sie sich aneignen. Von hier wird <S. 28) ein 
Kindermusikinstrument beschrieben, das einem von Schwein- 
furth für die Bongo (.Im Herzen von Afrika" II, S. 314) 
angegebenen ahnlich ist. Viol Aufmerksamkeit hat Decorse 
den Uüttenformen und den Fiachereimethodeu gescheukt, so 
denen der lloro. Tunia und Kaba bei Fort Arvhanibault. Bei 
den Nielliiu wird unter anderem die Weberei beschrieben 
IS. Iii), bei den San» (S. I5:t) eine eigentümliche Mann- 
haftigkeitsprobe. Der durch Malstre eingeführte Name Sara 
umfaßt physisch sehr verschiedene, doch sprachlich uniforme 
Stamme. Hara Ipedeutet die Cinzäunung der Hütte; der Name 
kommt nie allein, sondern immer in Verbindung mit eiueni 
Stammnamen vor. Der breite Kopf der Sara scheint auf 
künstlicher Deformation des Schädels zu beruhen. I'ber die 
Begräbuisart bei den Kotoko um Fort Lamy -teilt Decon<e 
folgende* mit: Der Tote wird, die Hände unter den Knien 
vereinigt, in eino etwas gekrümmt« Stellung gebracht und in 
einer Grube seitlich liegend, den Kopf nach Süden, das 
Gesicht nach Osten gewendet, beigesetzt; die Grabzell* wird 
daun vermauert. Wie Nachtigal, so hält auch Decorso die 
Kotoko für die direkten Nachkommen der So oder Sao. Die 
Bewohner des Ortes Sto im deutschen Gebiet sprechen einen 
'lein Kotoko sehr nahen Dialekt. Hier fand 1/ecorsc zwei 
vom Regen frei gelogle Skelette, die ebenfalls mit dein Kopfe 
nach Süden und mit dem Gesicht nach Osten lageu. Aus 
Zeit- und Geldmaugel konnte er leider keine eingehende 
Grabungen vornehmen. (Vgl- hierzu Freyers Bemerkungen 
über die Knochen in den „ Riesentöpfen" von Kusseii, Globus. 
Bd. 9t, S. 61). Bezüglich des Tsadsee* bemerkt Dccors«, daC 
die, die dein See den Untergang prophezeiten, den Schari 
ganz auller acht ließen, der doch zuvor aufhören mimte dem 
See Walser zuzuführen. Die Fischarteu des Tsad seien die- 
selben wie im Kongo und Sil. Ülier die „Tuburistraße* 
äußert sich Decorse sehr skeptisch; er hebt auch hervor, daß 
nicht Lenfaut, sondern Fnur« der erste gewesen ist , der sie 
erforscht hat. In Krebedje ist Rabehs letzter Sohn Siebe 



interniert, der Decorse einen Bericht über Behaglei Besuch 
in Dikoa gab. Raben ließ dort Be hagle schließlich hinrichten , 
der Franzosr hat durch suio höchst unkluges Auftreten offen 
bar selbst die Schuld au seinem Tode. Von einem in Archain- 
bault lebenden Manne, dessen Vater Raben nahe stand, erfuhr 
Decorse einige Einzelheiten über die Geschieht»' jenes Krobe 
rer» (S. in fg>. 

B. £. Deunelt, At the Back of the Black Mau s Miud 
or Notes <<n the Kingly Oflice in Wtwt Africa. l<ond«u, 
Mactnillan and Co., ll'Ori. 10s. ß d. 
Ein etwas schwierig zu bewältigendes Buch, in dem eine 
solche Fülle von durch KapitaUchrift ausgezeichneten afrika- 
nischen Eigennamen und Appellativen sich drängen, daß mau 
dadurch deu euglichen Fallen fast verliert. Bei dem lang- 
jährigen Aufenthalte des Verfasser« in Westafrika und seiner 
Bekanntschaft mit Negertpracheu bietet das Werk jedenfalls 
eine Fundgrube für den Ethnographen, wenn man auch nicht 
I mit dem übereinstimmt, was der Verfasser alles im tiefsten 
Hintergründe des Gemütes der schwarzen Menschen sieht. 
Das Buch »oll zeigen, daß neben dem Fetischismus noch eine 
Art höhere Religion und Gotteserkenntnis in Afrika vorhan- 
den ist, als man gewöhnlich annimmt, und dann zweiten«, 
daß die Königswbrde iu den sozialen Verhältnissen gleichfalls 
von weit größerer Bedeutung ist, als man glaubt. Wenn 
beides genügend erkannt sein wird, meint Dennett . dann 
»erden sowohl Missionare al« die Kolonialregierungen davon 
reichen Gewinn haben. 

Zwei westafrikanische Gebiete sind es, mit denen das 
Werk sich beschäftigt, einmal die Loangoküste , daun Benin, 
und daß der Verfasser hier gut zu Hause ist, lassen seine 
froheren Arbeiten erkennen, namentlich »ein hier schon an- 
gezeigtes Buch ,Folk-Lore of the Fjort". l'nter diesem Na- 
men begreift er die anderweitig Fioti genannten Loangoneger, 
die heute unter französischer Herrschaft stehen um) 1*73 
durch die mißglückt« deutsche Expedition in die Literatur 
eingeführt wurden. Etwa 15 Jahre hat dann Dennett unter 
ihnen zugebracht, die Sprache völlig erlernt, aber immer 
noch, nagt er, sei ihm mancherlei unklar geblieben. Das gibt 
natürlich zu denken gegenüber manchen abschließenden l'r- 
teilen, die Reisende nach oft sehr kurzem Aufenthalt ab- 
gehen, und mit Recht warnt Dennett vor solchen Schreibern. 
Der längere Aufenthalt in Beuio, allerdings nach seiner Zer- 
störung durch die Engländer, gab dem Verfasser Gelegenheit, 
mancherlei Aufklärungen über dessen nun in den europäischen 
Museen zerstreute Altertümer mitzuteilen. Noch arbeiten 
dort Handwerker iu Eisen und Bronze, doch sind ihre Er- 
zeugnisse mit deu alten nicht zu vergleichen, und das gleiche 
ist bei den KlfenheiiiM:hiiit?ereien der Fall; doch siud die 
Tonskulptureu vortrefflich. Aufklärung erhalten wir z. B. 
ober die eisernen sog. Zauberstäbe, die bei dem zerstörten 
Königspalimte standen und in verschiedenen Exemplaren in 
Berlin, Stuttgart usw. sich erhalten haben. Sie heißen Ematou 
und die ( hamäleoufiguren daran sind .Zeichen der Weisheit'. 
Das ltlätterbüschel am Ende stellt A,ja vor, den Wald, wo 
Feen den Leuten die Kenntnis der Medizin vermittelten; 
ebenso werden andere Figuren gedeutet, die uns bisher un- 
klar waren. Von Belang ist auch , was über die Monals- 
nameu der Beniner berichtet wird; man numeriert sie ein- 
fach mit den Zahlwörtern 1 bis 14; aber jedes Zahlwort hat 
eine auf den Landbau bezügliche Benennung, und diese sind 
rocht sinnreich- Der sechste Monat z. B. heißt Ihan, das 
Wort für sechs , das aber zugleich Verknüpfung bedeutet. 
Nun heiratet man meistens in diesem Monat und treibt in 
ihm die Pfähle bei den Yamswurzeln ein, an denen diese 
ihre Reben emporwinden können (S. i!17). Dieses nur als 
Prot>eu , wie der Verfasser infolge laugen Aufenthaltes und 
seiner Sprachkenntnis in die feinsten Einzelheiten einzudrin- 
gen vermochte. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck Hur mit Qnc4len*nV*t« (taUMel 



— Eine nachgelassene Schrift des liHitf verstorbenen bc- | 
rühmten Monchener Philologen W. t: brist handelt von der i 
sprachlichen Verwandtschaft der Gräko-ltaler (I'hi 
losophiseh philologische Klasse der bayerischen Akademie der 
Wissenschaften 190«, Heft II), wobei er sich nur auf die 
Sprache stützt. Kr untersucht für den vorliegenden Fall 
den Wortschatz, die flaute und die Flexion und kommt bei 
allen dreien xu im wesentlichen ul*reiiistimmenden , wenn 
auch nicht ganz gleichen Ergebnissen. Da* Gesamtergebnis 



[ aber ist, daß tatsächlich vor der Sonderentwickelung des 
i Griechischen uud Lateinischen eine gemeinsame urako italische 
Vorstufe anzunehmen ist, die jedoch schon verschiedene Dia 
lektc aufwies. An Raab und Leitha wohnten die Vorfahren 
beider Völker in regen Wechsellwxiehungen nebeneinander, 
jedoch nicht allzu laupe. „dann zogen sie wieder aus, aber 
nicht zusammen, sondern nur in gleicher Richtung nach Süden, 
und nicht zu gl-icher Zeit, sondern die rrgriechan früher, 
die ITrilaler geraume Zeit später". Die ersteren zogen nach 



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Kleine Na 



Griechenland, die anderen nach Italien Eine Berührung der 
Getrennten trat erst wieder ein, nl* die Griechen, die in der 
Kultur Vorgeschritteneren, ihre Kolonien nach der Ort- und 
Westküste Italien« aussandten. 

Weitere Durchforschung der Stätte La Tt'-ne. 
In der Vorgeschichte bezeichnen wir die Zeit gallischer Größe, 
die Ausbreitung kostbarer heimischer und fremder Gerate 
(Iber Mitteleuropa im 8. und 4. Jahrhundert v. Chr., nach 
einem kleinen Fundorte in der Schweiz: La Tene. Ks im 
ein stilles Plätzchen am Neuenburger See, da gelegen, wo die 
Thiede den See verläßt, und doch »Und hier einst ein hel- 
vetisches Oppid um, das einer ganzen Knlturperiod« den Kamen 
gegeben hat. Seit IST« besaß dort die historische Gesellschaft 
Neuenbürg« da» Hecht zu den Baggerungen und Ausgrabun- 
gen im See, und die von ihr zutaite geförderten Schilt-rc fin- 
den sich im Museum zu NeucbAtel. Seit 18Ä8 waren keine 
systematischen Ausgrabungen mehr gemacht worden; aber 
jetzt (Februar 100") hat die historische Gesellschaft sie wie- 
der begonnen, wofür 20000 Fr. bewilligt wurden. Die ganze 
Area, innerhalb deren man Fund» vermutet, wird Schritt 
für Schritt (solange der Wasserstand es erlaubt) durchforscht, 
und in einigen Jahren hofft man dann vollständig damit zu 
Ende zu «ein. 

— Dia Seen Neu Vorpommerns und Bügens, sowie 
einige der bemerkenswertesten Solle dieser Land- 
schaft untersucht Bellmer im X. Jahresbericht der Geogra- 
phischen Gesellschaft zu Greifswald (I90H) in ideologischer 
und morphologischer Beziehung. Da Neuvorpommern und 
Bügen Gebiete gleichmäßiger glazialer Ablagerung mit dem 
Charakter der Grundmoränenebene sind, so treten Seen hier 
»eltener auf als in anderen Gebieten Pommerns. Nur im 
Südoetwinkel Neu Vorpommerns zwischen Anklam und Wolgast 
liegt in einer stärker kupierten MoräuenUndschaft eine Gruppe 
von etwa 20 Seen, mit Ausschluß der Solle und solcher frü- 
herer Seen, die inzwischen durch Vermoorung oder künst- 
liche Entwässerung trocken gelegt und erloschen sind. Auf 
ganz Bügen kommen nur 12 Seen vor, von denen nur fünf 
Produkte der früheren Vereisung sind, wahrend die übrigen 
zur Kategorie der Strandseen gehören. Verfasser hat im 
ganzen U Beeu ausgelotet, von denen der Borgwallsee mit 
87S und der Krummeuhagener See mit 881 ha bei weitem die 
gröBten sind; der tiefste der untersuchten Seen, der Berliner- 
*e« (lS.5ro), ist nur (1,9 ha groß, der bekannte Herthasee auf 
Bügen Ist 2ha groß, erreicht aber eine Tiefe von lim; er 
ist der letzte Best einer jetzt zum größten Teil vermoorten 
Senke, die keineswegs, wie manche annehmen, als ein Erd- 
fall zu bezeichnen ist, sondern durch die Tektonik des Unter- 
gründe» oder durch den Aufbau der Glaziallandscbaft be- 
dingt wurde. Verfasser hat von den zahlreichen Sollen der 
Landschaft 2* vom Eise bub mittels Feilstangen ausgelotet 
und gefunden, daO nur zwei von ihnen ihre ursprüngliche 
Gestaltung beibehalten haben, währeud alle übrigen durch 
verschiedene Umstände sehr bedeutende Änderungen ihrer 
Bodenkonflguration erfahren haben; in den Sollen bei Dar- 
geliu und Zesteliti wurden Bohrungen bis 711 3,5 m Tiefe 
unternommen. Endgültig die Krage nach der Entstehung 
der ßölle (ursprüngliche Bodeuformen, Erdfälle infolge von 
Auslaugung, Erosionen) zu lösen, lehnt der Verfasser ab, da 
das Vermessung»- und BeoUchtiingsmaterial, das bisher vor- 
lieirt, dazu nicht ausreicht. Ein nur SO m langes, 28 m breites, 
oval geformtes Söll bei Hoh«hmühl erreichte die ansehnliche 
Tiefe von 7m. Halbfaß. 

— Prof. v. Luschan veröffentlicht in der .Zeitschrift 
für Ethnologie" (ItfUA, Heft n) einen .Bericht über eine 
Reise in Sodafrika" (Vortrag vor der Berliner anthropo- 
logischen Gesellschaft). Der Verfasser war Gast der .British 
Association", die im Herbst 1005 ihre Jahresversammlung in 
8üdafrika abhielt. Zunächst erwähnt er die vorläufig noch 
recht sagenhaften Kattea, einen PyjrmAensUmiii auf denkbar 
niedrigster Kulturstufe, der im nördlichen Transvaal hausen 
soll, (lesehen hat einen solchen Kattva allerdings noch kein 
Beobachter, und man kann nicht sagen, ob der Stamm wirk- 
lich existiert oder existiert hat. Weiter wird die Frage der 1 
Stellung der Hottentotten zu den Buschmäunern i 
besprochen. Man beginnt jet/.t, die Unterschiede zwischen | 
beiden Kassen schärfer zu fassen, und erkennt eine höchst 1 
merkwürdige Übereinstimmung der Grammatik der Hotten- 
tottensprache mit hamitischen Sprachregeln Dem Verfasser 
erscheint hier die Annahme «ine» direkten hnmitiseben Ein- 
flusses unabweisbar: es seien Leute mit einer hamitischen 
Sprache vor langer Zeit bis nach Südafrika vorgedrungen, 
die dann in ihren physischen Kigonschaften in der angetroffenen 
alten Bevölkerung aufgegangen seien, nirht aUr in psychischer 



hrichten. 1 1". 



wie Sprache, Grammatik, lleligion. Die Schnalzlaute der 
Hottentotten spricht Meinhof als Leihgut (von den Busch- 
männern) an. v. Luschan verweist noch auf eluen wesent- 
lichen ethnographischen Unterschied zwischen beiden Völkern, 
der nicht übersehen werden sollte: Die Buschmänner sind 
noch heute Jäger und .Sammler*, die Hottentotten aber 
Hirten, wie alle Hamiten seit Jahrtausenden. Die Entschleie- 
rung der hamitischen Wanderungen sei eine der dringendsten 
Aufgaben der afrikanischen Völkerkunde. Weiterbin wird 
die afrikanische Steinzeit berührt. Man findet in Südafrika 
Mengen geschlagener Steinwerkzeuge, und es erhebt sich die 
noch aufzuklärende Krage nach ihrem Alter. Mit Bezug auf 
das Alter und die Herkunft der Ruinen Bhodesias (Siin- 
Uabve usw.) schließt v. Luschan sich der bekannten An 
schauung Bandall-Maclvvrs an, der in ihnen Kaffernbauwerke 
siebt , die nicht iiiler als vier bis fünf Jahrhunderte seieu 
und nichts Phönikisches oder Südarabische» an sich hätten. 
Im Anschluß daran werden die Petersschen .Beweismittel" 
dafür, daß man hior Ophir oder Punt zu suchen habe, kriti- 
siert und abgelehnt. Diese sind zum Teil allerding* sehr 
schwach; so hat sich herausgestellt (Heinrieb Schäfer weist 
das in der dem Bericht folgenden Arbeit .Die angebliche ägyp- 
tische Figur aus Bbode»ia* nach), daß die l'etemsche .ägyp- 
tische Grabfigur" eine Fälschung ist und daß Flinders Pelrie, 
der sie für echt erklärte, sich geirrt hat. Gh die Maelverschen 
Ansichten allgemeine Geltung erlangen werden, ist allerdings 
noch sehr zweifelhaft; die historische Geographie hat hier 
uueh mitzureden. Daß Bent in die Buinen zu viel hiuein- 
geheiinnißt hat, weil er aus »einen ungenauen Messungen auf 
allerlei mathematische und astronomische Kenntnisse der Er- 
bauer geschlossen hat, ist. übrigens nicht erst, wie v. Luschan 
meint, durch Maclver, sondern schon durch Mennell (vgl. 
Globus, Bd. 84, S. 177) erwiesen worden. Bei der Kritik der 
Ausführungen Peters' empfiehlt es sich unsere« Kraehtens, 
die über Ophir von denen über Punt zu trennen. Seine Idee, 
daß dort das ägyptische Punt zu sueben sei, ist wohl schon 
gleich allgemein abgelehnt worden, uud es wurde auch sofort 
darauf verwiesen, daß die Figur, selbst wenn sie echt soiu 
sollte, nicht» beweist, weil man ihren Fundort nicht kennt 
und weil sie wahrscheinlich durch Händler dorthin gebracht 
worden ist. Schließlich beschäftigt sich der Verfasser mit 
der Chinesenf rage und der britischen Eingeborenen - 
Politik in Südafrika. Wir unterschreiben durchaus des 
Verfasser» Standpunkt, daß in unserem Südwestafrlka der 
Krieg zu vermeiden gewesen wäre, wenn man es der Mühe 
für wert gehalten hätte, die Völkerstamme zu verstehen. 

— Das Ergebnis der Volkszählung iu Frankreich 
vom 4. März 1906 ist Anfang Januar d. J. vom französischen 
Handelsmiuister veröffentlicht worden. Danach betrug die 
Einwohnerzahl (mit Ausschluß von Algier) 892A22H7, so daß 
die Zunahme seit der vorangehenden Zählung (1901) nur 
290 122 beträgt. Bekanntlich geht der Überschuß der Ge- 
burten über die Todesfälle lu Frankreich, d. h. der Betrag 
der Bevölkerungszunahme ständig zurück. In dem Jahrfünft 
1808 — 1001 betrug er noch 4<4rtlH Seelen. Zugenommen hat 
die Bevölkerung in nur 82 Departements, am stärksten in 
Alpes- Maritimes, Bouches-du-Bhöne. Finisti-re, Metiribe »t- 
Moaelle, Nord. Pas-de Calais, Khöne und Seine. Es liegt das 
an den großen Städten dieser Departements, die die ländliche 
Bevölkerung anziehen. So lielrägt die Zunahme im Departe 
menl Sein», wo Taris liegt, allein 178 68*. Paris' Einwohner- 
zahl selbst bat um 49825 zugenommen. (~m etwa 26O0O Ein- 
wohner ist Marseille, um etwa 1:1000 Lyon gewachsen. Da 
gegen haben Bordeaux, Lille und Toulouse an Einwohnerzahl 
abgenommen: um 4700, bzw. S100 uud 400. Die Bewohuer- 
zahl von Saint- Etienne ist sich fast gleich geblieben, Nizza 
dagegen ist um fast 300OU gewachsen. Die größte Abnahme 
mit je Uber lOOuu Seelen zeigen die Departements Orne und 
Lot. Folgende 16 Städte hatten über lOOtlOO Einwohner: 











Marseille . . 


. . 31" 4»* 


Le Havre . . 


. . I324ÜO 


















Lille .... 


. . 205 002 


Nancy .... 


. . 110370 


Toulouse . . 


. . 140488 






St.-Ktienii« . 


. . Uli ?(• 8 




. . 10854H 


Nizza . . . 


. . 184 282 







— Regulierung der Grenze zwischen Ägypten 
und Syrien. Der englisch türkische Konflikt über den Ver- 
lauf der Grenze zwischen Ägypten und Syrien, der .Akaha- 
kunflikt", wurde im vorigen Jahre dadurch beigelegt, daO eine 
englisch türkische Kommission eingesetzt und damit beauftragt 
wurde, den Grenzstreifen zwischen dem Golf von Akaha und dem 
Mitteluieer topographisch aufzunehmen und eine den .uatnr 



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116 



Kloine Nachrichten. 



liehen Verhältnissen" entsprechende Grenzlinie zu vurniarken. 
Diese Aufgab« wurde bald beendet, und die beide« Müchte 
aeeeptierten die Grenze durch «in Abkotumeu vom I.Oktober 
1V06, da« vor kurzem veröffentlicht worden ist. Die Grenze 
war dort bisher unsicher, doch führten sie unsere Karten 
gewöhnlich in gerader Linie von der Nordecke d<>» Golf* vi.n 
Akaba mich El -Arisch am Hittelmeer: El -Arisch blieb auf 
der ägyptischen Seite. Wahrend nun Kugland diese Grenz- 
linie noch etwas nach Osten — Endpunkt nm Millelmcer 
Rafah — verschoben haben wollt«, glaubte die Pforte auf 
den ganzen Norden der Sinaihalbinsel Anspruch zu haben; 
sie zog die Grenze von Akaba westwärts uach Sue» und von 
da in nordöstlicher Richtung nach Rafah. Das Recht scheint 
auf der Soile. der Pforte gewesen zu sein, aber sie mußte 
natürlich Kugland nachgeben , das die KileUuinminen der 
Halbinsel alloin ausnutzen wollte. Die endgültige, durch 
13 Pfeiler bezeichnete Grenze beginnt liei Tab», westlich vom 
Kort Akaba , und geht im allgemeinen in gerader Richtung 
— nur in den Gebirgen weicht sie davon etwas ab — nach 
Rafah, das türkisch bleibt. Die südliche Hälfte des Grenz- 
streifens, von Taba bis Mayein , ist eine gebirgige, wasser- 
arme, nur von wenigen Beduinen bewohnte Wüste. Dann 
wird das Gelände etwas wertvoller. Im Wudi el-Jaifl und 
bei KI-Ko*»Gina auf ägyptischer Seite wachst etwas Gerste, 
und es liegen dort einige sehr ergiebige Brunnen, die die 
Herden der Beduinen das ganze Jahr über mit Wasser ver- 
sehen. Dasselbe gilt von der Landschaft El-Auja auf der 
türkischen Seile. Nordwärts von Anja auf Rafah zu geht die 
Steinwiurte von Arabia Pelraca in Handdunen und Steppe ober. 

— über Kiswirkuug au Seeufem bringt 0. Braun 
einen durch photographische Aufnahmen unterstützten Auf- 
satz in den Schriften der phytikal.-okonom. Gesellschaft zu 
Königsberg, Jahrg. 47, IVO«. Bekanntlich bilden sich bei 
starkem Frost in vollständig mit Et» bedeckten Seen Spulten, 
die sich natürlich mit Wasser füllen, das ebenfalls gefriert 
und einen beträchtlichen Druck auf die l'fcrriinder ausübt. 
Rei plötzlich zunehmender Temperatur dehnt das Eis »ich 
stark aus , kann seinen ursprünglichen Raum nicht wieder 
einnehmen und drückt so stark gegen flache Ufer, daß sich 
vor dem Eisrand ein Wall auftürmt, denen Hübe und Be- 
schaffenheit nach dem Material des Ufers «ich richtet. Braun 
hat dies« Erscheinung, die sonst meist nur iu nördlichen KU- 
maten, z. B. in Kanada und in dem nördlichen Teile der Ver- 
einigten Staaten vorkommt, im Januar 1908 am Kordufer 
des Löwcntinaees in Masuren beobachten und photographisch 
festhalten können. Die größte Hohe des Walles, östlich von 
der Stadt Lützen, betrug 1,5 in. In einem später erschiene- 
nen Nachtrage wird auf die neueste ausländische Literatur 
über diese Erscheinung Bezug genommen. HalbfaO. 

— Über abergläubische Vorstellungen und Ge- 
bräuohe des Volkes in Anatolien, und zwar zumeist 
der Christen, macht /'. W. de Jerphanion in der Monats- 
schrift ,Die katholischen Missionen* (Januar 1907) einige 
Angaben. Neben Hitze, Kälte und Furcht gilt der ,bö»e 
Hlick* als eine Hauptursache von Krankheiten. Kindern und 
Haustieren ist er besonder» gefährlich. Zum Schutz dagegen 
bringt man am Hals« der Kinder und Tier», bei Kugtieren 
wohl auch an Mähne oder Schwanz, blaue Perlen oder Amu- 
lette au. Ks «ind dies in der Kegel Dreiecke aus Kupfer 
oder «incra anderen Metall, an denen Papierschnitzel mit 
arabischen Beschwörungsformeln , gewöhnlich i-inum Spruch 
aus dem Koran, befestigt sind. Ebenso gibt es (ilücksamulette, 
die man sowohl an Mensch uud Tier als auch an Häusern 
und Gartenmauern anbringt. Knaben der Mohammedaner 
in Amssia ziehen ihren Fes über die Augen, wenn sie einen 
Missionar sehen. Mädchen bedecken die Stirn mit beiden 
Hunden. Gärten und Reben schützt man vor d«'tn bösen 
Blick auch dadurch, daß man Schädel von Kühen. Pferden 
und Kamelen an den Baumen befestigt oder auf hohen Stan- 
gen rings au der Umzäunung einpflanzt. AU Unglückstag 
gilt der Dienstag. Uuglückbringend sind di« Stunden nach 
Sonnenuntergang. Es ist nicht geraten, dann etwas zu kaufen: 
Milch würde dann gerinnen, Essig zu Wasser werden. Doe.li 
kuuu ulau das verhindern , indem man ein Stückchen Kohle 
hineinlegt. Manche Holzhauer schlagen nach dem 15. eines 
Monats keiu Holz mehr, weil sie meinen, es käme dann der 
Wurm hinein. An bestimmt« Tage knüpfen »ich allerlei 
alwrgliluhische Vorstellungen und Gebräuche. Beim ersten 
Donnerschlag im Jahre wälzt man «ich am Itoden. um die Flöhe 
fern zu hatteu. Da» Brot ist heilig und ehrwürdig, es wird 
als etwas Lebendige» behandelt, da» mau nicht leiden lassen 
dürfe. Das wäre z. B. der Fall, wenn mau es mit senkrecht 



aufliegender Messerschneide, wie mit einer Säge das Holz, 
schnitte. Man muß die Klinge vielmehr rauft in wage rechter 
Neigung durchgehen latsen. Der uralte Kult der Bäume und 
Quellen im Orient lebt noch heute in der Verehrung derselben 
fort, allerdings in der Hauptsache hei Mohammedaner», aber 
auch besonder» bei dem halb mohammedanischen, halb christ- 
lichen Stamme der Kessel Bäsch. Kann man in der Nacht 
nicht schlafen, so ist in dem Viertel jemand gestorben. Bei 
Tisch Wein verschütten heweist, daß die Toten danach be- 
gehreu. Wahrend der Nacht auf den Boden stampfen stört 
die Toten in der Kuhe. Begibt sich jemand auf Kaisen und 
will mau, daß er gesund wiederkehren »oll, so gießt tuitu 
hinter dem Wagen einen Krug Wasser aus; will man das 
Gegenteil, so zerschlage man einen Krug. Bchreit eine Kister, 
so besagt das, daß ein Gast kommt. Wäscht man seine Hände 
nach einem anderen , so hüte mau sich , die Seife aus seiner 
Hand zu nehmen; man warte vielmehr, bis er sie hinlegt. 
Wird sie angeboten, so lasse man sie auf den Handrücken 
legen, /um Schluß wird die ToUmvorebrung besprochen. 
Bei Pilgerfahrten nach einem geheiligten Grabe logt mau 
als ex voto-üaben Stäbe darauf oder knüpft an die umstehen- 
den Bäume Tuchenden, Lappen, Bänder, Schnüre und Bind- 
fäden. 

— Bahnprojekt für Französisch - Kongo. E* hat 
nicht an Babnprojekten zur Verbindung der Gabunküste mit 
einem der schiffbaren nördlichen Kongoxuflfisse gefehlt, und 
einmal, 1 S»-t bis lsi>6, ist die Trasse eiuer solchen Bahn unter 
Benutzung des Flußtnles de« Kwillu - Niari auch studiert 
worden; sie sollte von L<<ang" nach Brazzaville führen. 
477 km lang werden uud »12 Millionen Frank ki>«t*n. Ks sind 
aber diese Projekte eben nur Projekte geblieben. Neuerdings 
ist wkder ein Projekt aufgetaucht, dessen Urheber der be- 
kannte licncralkommissar Gentil ist und für das er den 
französischen Kolotiialminisler insoweit interessierte, als dieser 
dem Vorschlage zustimmte, den Verwaltungsüberschuß des 
Congo franeais vom Jahre 1904 für die Vorarbeiten einer 
Kahn vom Gabun nach dem Likuala-Mosxaka zu verwenden. 
Ks wurde eine Kommission bestellt, dielüOS und IDOii draußeu 
gearbeitet und nun eine Trasse angegeben und Kostenanschläge 
gemacht hat. Ein« der Kommissionsmitglieder, Kapitän 
Cambier, hat in .La Geographie" vom Dezember v. J. dar 
über einiges (mit Kartenskizze) mitgeteilt. Danach soll die 
Bahn bei Owendo am Gabunästuar, 12 km südöstlich von 
Libreville, beginnen und bei Ndjol« den Ogowe erreichen. 
Dieses Stück ist aou km lang und »oll 1I20O0 Fr. pro Kilo- 
meter, im ganzen also -J°J,4 Millionen Fr. beanspruchen. Von 
Ndjole ab soll die Bahn dein nördlichen Ufer des Ogowc bis 
zur Einmündung des Ivindo folgen. Dieses Stück ist ebenfalls 
JüOkiu lang, infolge der schwierigen Arbeil im Ogowetal 
aber erheblich teurer: es soll n:. Millionen Fr., der Kilometer 
also rund I7äooo Fr. kosten. Von der I vindomnnduug end 
lieh soll die Bahn ostwärts nach Makua führen, von wo ab 
der I.ikuala-Mossaka bis /um Kongo schiffbar ist. Hier sind 
wesentlich« Schwierigkeiten nicht zu überwinden. Das Stück 
ist 4.Hö km lang, die Baukosten sollen I JOOOO Fr. pro Kilo- 

1 meter, im ganzen also rund 30 Millionen Fr. betrsgeu. Dem- 
( nach würde diese ganze Balm HJOkm lang sein und 107 Millio- 
I nen Fr. kosten, was für den Kilometer etwa 135000 Fr- 
ergibt. Cambier glaubt, daß die Bahn sich rentieren würde, 
das Ogowegebiet »ei reich an Kautschuk. Natürlich wurde 
die Bahn auch dem Verkehr mit dem französischen Schari- 
und Tsadseegvbiet dienen. Hie Mittel sollten durch eine 
Anleihe der Kolonie aufgebracht werden. Es ist immerhin 
möglich, daß diese» Projekt ein günstigere« Schicksal hat als 
•eine Vorgänger. 

— Die französischen Höhlen, die uns schon so maiinhe» 
prähistorische Rätsel aufgegeben halwn, bereichern uns aber- 
mals mit einem Problem. Felix Regnault iu Toulouse hat 
in der Höhle von Gargn» ( Haute*- Pyrcnce«) auf den schön 
weiß glanzenden Stalagmiten eine große Anzahl roter und 
schwarzer (landabdrücke gefunden. Sie sind so ent- 
standen, dal! mau die ausgebreitete llaud auf die weiße Fläche 
legte und dann mit schwarzer oder roter Farl» umfuhr, so 

| daß die Hand selttst al» eiue Art weißer Silhouette auf dem 
1 Stalagmit erscheint. Die französischen Prähistoriker Car- 
tailhac. und Breml haben »ich von dem Vorbaudensein 
der Handabdrüeke überzeugt ( ^Anthropologie 1K06, S. 6S4), 
wissen aber auch keine Erklärung. Handabdrücke spielen 
Itei Naturvölkern eine greGe Hollo unter den australischen 
Piktographicti kommen sie vielfach vor, clwnso unter den 
nordafrikai.ischeu Petroglyphen , und häufig sind sie unter 
den altmexikanischen Felsritzungen. 



VenntwettUrher R.-.l»H.-.ir : II. «.inner, Srh.-i.-Wrg-n.-rlMi, II....|.|-Imi^ :•« IT...V Kri • I r. Viewen n. sah». Ittuinw Ii weilt. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 



HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VISWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 8. 



BRAUNSCHWEIG. 



28. Februar 1907. 



Sambaqui-Forschungen im Hafen von Antonina (Paranä). 

Ausgeführt im Auftrage des Museums für Völkorkuitde in Hamburg von Vojtech Fric. 



Curitiba. im Oktober 1906. 
Obwobl mir leider nur kurze Zeit zur Verfügung stand, 
war ich dennoch in der Lage, die Sambaquis in der Nähe 
von Antonina im Staate Paranä ziemlich genau zu stu- 



DIE SAMBACHS 
IM HAFEN VON ANTONINA (PARANÄ). 



fehllingen kam mir die Bevölkerung überall sehr liebens- 
würdig entgegen, und es wurden mir von der Munizipa- 
litat ein Boot mit Mannschaft und die für die Ausgra- 
bungen nötigen Arbeiter znr Verfügung gestellt. 




IIIIII 

Sandstrand 
See 
, Sambaqui 
— Fries Route 



Diesen Erfolg habe ich der mir von allen Seiten 
gewahrten Hilfe zu verdanken. Mein Dauk gebührt 
hauptsächlich dem Gouverneur des Staates, der mir viele 
Einpfählungen mitgab, sodann Professor Dario Velloso 
und Senhor Julio Perneta, dessen Gastfreundschaft ich 
Infolge der mir mitgegebenen Kmp- 

Nr, - 



Viele Fragen waren es, deren Beantwortung ich von 
diesen ( ntersuchungon erhoffte, aber nur wenige haben 
Antwort gefunden ; vielmehr tauchte eine ganze Reihe 
neuer auf, die wahrscheinlich erst nach dem Studium 
der im Innern des Paran&staates lebenden Botocudos 
= Sokleng- Indianer, über die wir bisher so gut wie 

16 



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1 18 



Vojtecli Fric; Sa m baq ui - Forschungen im Hafen Ion Antonin» (Paraiia). 



Dicht« wissen (Zeitschr. f. Ethnologie 1904, Heft 6), zu 
beantworten sind. 

Es ist schwer zu erklären, wie ob möglich ist, d»D 
sich über die Sambaquis so lauge auch unter den Ge- 
bildeten eine so lächerliche Ansicht halten konnte: ich 
war oft gezwungen, den Leuten klar zu machen, daß die 
Sanibaquis nicht von der Sintflut angehäufte Knochen- 
mengen, und daß die Skelette, die nun in ihnen findet, 
nicht die von Sandern aus Noahs Zeiten «ind. Das 
nämlich ist noch heute beim Volke die herrschende An- 
sicht, von der es sich durch keine Beweise abbringen 
lädt. Das macht gewissermaßen einen Teil ihrer Religion 
aus, ist für sie ein Beweis für die Wahrheit der heiligen 
Schriften; es ist sozusagen ein Dogma, an das man, ohne 





Abb. i. Sambaqql-Aisteruschalen. Etwa '/« n. Gr. 



zu denken, glauben muß, gegen das keinerlei Beweis 
aeeeptierbar ist. Wie ich glaube, stammt diese Ansicht 
noch aus der Jesuitunzeit. 

ii leid) am ersten Tage, nachdem ich um 4 I hr von 
Curitiba angekommen war, besuchte ich den nächsten 
Sambaqui in Begleitung des Senhor Ignacio da Costa 
Pinto, der sich mit diesen Studien aus Liebhaberei 
schon zeit Dezennien beschäftigt. Er hat verschiedene 
interessante Sachen gesammelt, von denen ich leider — 
er hat sie alle fortgegeben — nur die Zeichnungen 
sehen konnte. 

Dieser Sambaqui ist etwa l'/j Stunde von der Stadt 
entfernt und liegt inmitten der herrlichsten Vegetation 
der Serra de Mar, wo jeder Daum einen wahren Botani- 
schen Garten darstellt. Die Rinde ist mit Hunderten 
von Farnen , Moosen und anderen epipbytischen und 
parasitischen Pflanzen bedeckt-, da siebt mau zwischen 
den Asten riesige Hrumelinceen (Vresia hieroglyphica u.a.). 



Aroideen (Philodendron, Anturhinum), Rhipsalideen und 
Orchideen; welche Schätze für den Botaniker, welcher 
Anblick für den Naturfreund! 

Am Ufer verändert sich diese schöne Flora des Ur- 
waldes und wird su einer stark kontrastierenden Sumpf- 
vegetation: „Mangal". Zwischen diesen beiden Vege- 
tationskontrasten liegt nan der Sambaqui an einer vor 
den Stürmen geschützten Bucht. Hier lebten vielo Jahr- 
hunderte glückliche Menschen, ohne von der Zivilisation 
gestört zu werden, hier feiorten sie ihre Austorabankette, 
schütteten sie die Schalen auf einen Haufen, hier blieben 
absichtlich oder unwillkürlich zerbrochene Steinwerk- 
zeuge liegen, eine Schicht legte sich über die andere; 
und so ging es von .fahr zu Jahr, von Jahrhundert zu 
Jahrhundert, und heute sind diese Sani- 
baquis der einzige Beweis für die einst- 
maligo Existenz von großen Völkern. 

Die Entwickelung eines Sambaqui 
können wir bei den heutigen Ufer- 
bewohneru gut beobachten. Man ist, 
um sich nicht die Füße zu verletzen, 
gezwungen , die Austernschalen auf 
einen Haufen zu werfen, und so ent- 
stehen noch heute machtige Haufen — 
oft nur durch einige wenige Indi- 
viduen — , die sich nur dadurch von 
don alten Sanibaquis unterscheiden, 
daß man unter den Schalen statt der 
Steinäxte zerbrochene Porzellanteller, 
Glasflaschen, Stücke von eisernen In- 
strumenten und Blecbgefäßen findet. 

Heute leben an diesem Sambaqui 
zwei Menschen, die diese Reste zum 
Kalkbrennen ausnutzen und so mit 
schwerer Arbeit und Mühe das Nötigste 
zum Leben verdienen. Ihr Kalkofen 
ist sehr primitiv. Sie legen in einem 
Kreise von 0 bis 10 m Durchmesser bis 
zu einer Höhe von 1 bis 2 m Hölzer 
in strahlenförmiger Anordnung, be- 
decken diese bis zu gleicher Höhe mit 
Austurnschslen.die sie (mit einem primi- 
tiven Handsieh aus Bambus) von der 
Erde gereinigt haben, und dann wird 
das (ranze angezündet; irgend eine 
Mauer oder ein Ofen, durch die man 
die Hitze konzentrieren oder ausnutzen 
könnte, wird dabei nicht angewandt. 
Da die Steuern dieses Staates so hoch 
sind, daß nur noch wenige Kalkbrenner 
weiter arbeiten können, so werden die 
größeren Sambaquis noch für spätere Studien erhalten 
bleiben. 

An dieser Stelle habe ich nur sehr wenig gesehen, 
da sie schon vor vielen Jahren umgewühlt wurde; jetzt 
benutzt man hier schon die kleinen Schalen, die sich 
früher nicht lohnten. Nur die ganz tiefen Schichten, 
dio im Niveau des Wassers liegen, sind bisher unberührt 
geblieben, aber Ausgrabungen in diesen Schichten wären 
zu schwierig gewesun und versprachen zudem gar zu 
wenig Erfolg. 

Den nächsten Tag verbrachte ich mit Vorbereitungen 
in der Stadt; am nächsten Morgen um 4 Uhr war das 
Boot mit 5 Matrosen fertig, und wir fuhren nach der 
gegenüber der Stadt Antonina in einer Bucht des 
Hafens gelegenen Ilha da Guamiranga (oder wie sie 
jetzt heißt „Yamirangu"). Kurz vor Sonnenaufgang 
kamen wir mit Hilfe der Flnt zur Insel , wo ich dann 
in der Nähe eines kleinen Bauernrancho meine Zelte 




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Vojtecli Kriä: Sambauiit-Korsehungen im Hafen von Antonina (Paraiia). 



110 



und wo ich auch Arbeiter für die Ausgrabun- 



aufbaute 
gen 

Unweit unseres Lagers liegt einer der 
baquis, der eine Länge von 266 m und eine Breite von 
60 bis 70 m hat Er beginnt an 
Kamp und bildet einen in den Mangalsumpf 
reichenden Kai (vgl. die Karte). 

Bei genauer Betrachtung der Gegend bemerkt man, 
daß der Sambaqui absichtlich in dieser Form angelegt 
wurde, um den Zutritt zum Rio Cuatinga, in dem sich 
viele Austern finden, zu erleichtern, und daß die ver- 
brauchten Schalen dazu dienen sollten, eine Bracke aber 
den Sumpf zu bilden. 

Aber noch zu einem anderen Zwecke dient« den da- 
malig uli Bewohnern diese rieaigo Hauer: Zur Zeit der 
Fiat verschwindet der ganze Manga] unter Wasser, nnd 
•s bildet sich zwischen dieser Insel und der llha da 
Guamiranguinha ein großer See, der 
sich mit Fischen fallt, die mit der Ebbe 
wieder zur See zurückzukehren suchen. 
Durch die Mauer aber ist die Möglich- 
keit der Rückkehr für sie nur auf das 
Bett des Cuatingaflussea beschränkt, 
und man knuu so mit Netzen oder ge- 
flochtenen Körben ohne viel Arbeit 
große Mengen an Fischen fangen. 
Bei meinen Ausgrabungen in diesem 
habe ich große Mengen von 
Gräten riesiger Fischarten gefunden, 
ein Beweis dafür, daß die Leute hier 
verhältnismäßig mehr Fische gegessen 
haben als die Bewohner anderer Plätze. 
Die Höhe dieser Mauor, die an manchen 
Stellen bis 10 m beträgt, ist gewiß da- 
durch geringer geworden , daß das 
Ganze durch sein eigenes Gewicht um 
mehrere Meter tiefer in den Sumpf 
gesunken ist 

Bei der Ausgrabung fand ich an 
Geräten nur sechs roh gearbeitet« Steiu- 
werkzeuge. Sie stammen alle ans tiefe- 
ren Schichten ; die oberen wurden schon 
vor 40 Jahren zum Kalkbrennen ver- 
wendet. 

Diese Steine dienten wohl zum 
Öffnen der Austern. Man kann bei 
vielen der von mir gefundenen Anatern- 
schalen (Abb. 1) beobachten, daß sie, 
nachdem man ihnen zuerst mit dem 
Stein die Spitze abgeschlagen, dann mit einem anderen 
scharfen Stein geöffnet wurden. Zu diesem Zwecke also 
dienten die verschiedenen Steine, die ich in den Schichten 
fand ; sie sind mehr oder weniger bearbeitet und oft nur 
ein abgebrochenes Stück Granit 

Als wir eines Tages — wir hatten unsere Arbeit 
ziemlich früh angefangen und konnten der Ebbe wegen 
nicht nach unserem Lager zurückkehren — gezwungen 
waren, unsere Mahlzeit zu improvisieren und uns mit 
rohen Austern zu begnügen, konnte ich beobachten, daß 
meine Arbeiter genau in gleicher Weise den Muscheln 
erst mit einem Stein die Spitz« abschlugen und sie dann 
mit einem Buschraesser öffneten. 

Die Sambaquis zeigen verschiedene periodisch sich 
wiederholende Schiebten, die entweder versnhiodeue 
Kulturperioden oder verschiedene den Ort bewohnende 
Völkerschaften charakterisieren. Die Schicht, die man 
am häufigsten findet und die daneben die größte Mäch- 
tigkeit besitzt, besteht ausschließlich aus rohen, nicht 
gebrannten Austernschalen, ohne jede Spur von Feuer. 



Außerdem findet man Schichten, in denen die Austern 
mit andern .Muschelarten (Bacucu oder die 
Sururu) gemischt sind, und in denen man oft 
Holzkohle, aber nie Asche oder Erde findet. Diese zwei 
Schichten bezeichnen meiner Ansicht nach Perioden, in 
denen die Bewohner in der Nähe der Sambaquis wohnten 
und dort nur die Abfälle aufhäuften. 

In anderen Schichten wieder findet man viele ßa- 
cncumuscbeln , dagegen sind die Austern selten, und 
alles ist mit Erde und Kohle gemischt; die Austern sind 
im Feuer gewesen, gebrannt. In dieser Periode be- 
wohnto ein Volk offenbar die Gipfel der Sambaquis, ein 
Volk, das nur gekochte oder gebratene Aulurcus aß. 

Hier findet man auch vereinzelte Fischgräten, Zähne 
von jagdbaren Tieren und sehr selten Menschenknochen, 
denen man keine künstliche Beschädigung boob- 




Abb. :». 



Felszelclmunsren von St. Domingo 

Die Linien der Zrichsuni; * tind all« 



bei Coramba (Bellvia). 

Ik.].f<]|inl*n. 



In allen diesen Schichten kamen , wie mir gesagt 
wurde, begrabene Leichen vor. Ich habe keine gefunden 
und muß mich auf die Wiedergabe von Mitteilungen be- 
schränken, die mir auf meine Fragen verschiedene Ar- 
beiter und Kalkbrenuer machten. Herrn Pinto verdanke 
ich viele Notizen darüber. 

Die Leichen liegen immer mit dem Kopfe nach NO 
und sind entweder mit einem Stein bedeckt oder ein 
Stein liegt unter dem Kopfe oder unter der Schulter. 
An Beigaben findet man Stein Werkzeuge, besonders Axte, 
Pfeilspitzen und Steinperlen. 

Man soll ganze Kirchhöfe von so regelmäßig Begra- 
gefunden haben. Bei einer Ausgrabung batt« 
man viele Skelette ohne Beigaben aufgedeckt und ge- 
meint, sie stammten aus einem Kriege. Im Sambaqui 
Camillo (III) habe ich Schichten gefunden, die von den 
vielen in ihnen enthaltenen Kohlen ganz schwarz waren, 
und in denen recht häufig zerschlagene Menscheuknoclien 
vorkamen. 

Die Steinwerkzenge sind ganz roh und imputiert 

HS» 



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120 



Vojtech Fric: Sambai|ui-Forscbungen im Hafen von Antonius (Paranä). 



Es handelt rieh hier offenbar um ein Volk, das mit 
groüer Vorliebe Menschenfleisch aß, oder um »ine Ab- 
teilang, die mit vielen Kriegsgefangenen an diesem Platze 
ausruhte und hier ihre Orgien feierte. 

Nach dem Sambaqui von liuauiiranguinha (II) fuhren 
wir mit einheimischen Kanus. 

Uiese hier sind sehr schön gearbeitet und haben eine 
elegante Form, wie ich Bie bisher auf meinen Reisen 
nur bei den Guateiadianern beobachtet habe. Ich glaube, 
daß die Form dieser Kinbäume in den verschiedenen 
Gegenden Brasiliens aus den ursprünglichen Formen her- 
zuleiten sind, wie sie diu Portugiesen bei den Indianern 
vorfanden. Dort, wo ursprünglich Guarani wohnten, 
findet man bei der jetzigeu Bevölkerung ganz roh ge- 
arbeitete Kanus, die genau so aussehen wie die, welche 
die Indianer in wildem Zustande in Gebrauch haben. 

Sambaqui II liegt 
ebenso wie fast alle an- 
deren un der der See oder 
der Bucht abgewandten 
Seite des Berges; der 
Zweck war wohl, Bich 
gegen die Seestürme zu 
schützen. In einem tiefen 
Einschnitt, der sich in 
einer Tiefe von 7 m aus- 
heben ließ, waren alle die 
besprochenen Schichten 
recht gut sichtbar und 
wiederholten sich mehr- 
mals. 

Die in dor Nacht ein- 
tretende Flut benutzte ich 
dazu, mit dem Kanu den 
anderen llaf<>n am Ende 
des Sambaqui II zu be- 
suchen, und am nächsten 
Tage fuhren wir dann nach 
dem schon besprochenen 
Sambaqui Camillo i III i. 
Kr liegt inmitten des 
Mangalsumpfes, wo durch 
einige Steine eine kleine 
Insel „Km tempo da nnca" 
gebildet wird. Der Name 
des Sambaqui stammt 
daher, daD vor langen 
.Jahren ein Nagersklave 
namens Camillo täglich 
hierher kam, um für seinen Herrn Kalk zu brennen, 
•letzt bat man hier wieder mit Kalkbrennen begonnen, 
und deshalb habe ioh einen Teil des Sambaqui vom Wald 
befreit gefunden. 

Einige in einem Haufen von Austernschnlen steckende 
Menschenknochen haben die Arbeiter unberührt gelassen; 
in der Umgebung ließ ich rings weiter graben. Die 
ersten Spuren der Reste wurden unter den Wurzeln 
eines gefallenen Baumes entdeckt; beim Weitergrabon 
fand sich dann der Schädel (Abb. 2), vermischt mit 
anderen Knochen. Im ersten Moment dachte ich an 
eine Sitte, wie ich sie beim Kadiuveostamm beobachtet, 
nämlich daO man einen fern von der Heimat gestorbenen 
Indianer provisorisch so lange eingräbt, bis daB Fleisch 
verfault ist. und daß man dann erst die Knochen auf 
den Begräbnisplatz transportiert; nur dadurch konnte 
ich mir zunächst erklären, daß Schlüsselbein und Ober- 
armbein unter dem Schädel lagen. Bei meiner Aus- 
grabung eines Kadiuveokirchhofs (vgl. Man 1906) hatte 
ich die Skelette in ähnlicher Lage gefunden. Erst bei 




Abb. 2. Schädel Im Sambaqui Camillo. 



genauerer Untersuchung entdeckte ich dann, daß alle 
Knochen zerschlagen waren, offenbar zu dem Zwecke, 
das Mark herauszuholen und zu essen. Aua diesem 
Grunde glaube ich, es haudelt sich hier nicht um einen 
Bewohner des Sambaqui, sondern um einen Feind dieses 
Volkes, den mau im Kriege gefangen und dann ge- 
gessen hat. 

Während ich die Photographie fertigstellte, fand 
Senhor Pinto ein zweites Skelett unter denselben Ver- 
bältnissen, nur daß auf diesem zweiten ein Stein lag. 
Dieser Stein war fluch und zeigte keinerlei Anzeichen 
einer Rearbeitung, so daß es sich hier wohl nur um 
«inen Zufall handelt. 

Der Schädel de» Skelettes Nr. 1 lag ursprünglich in 
horizontaler Lage im Wurzelwerk, war aber durch das 
Fallen des Baumes zusammen mit dem Wurzelwerk ver- 
tikal aufgerichtet worden. 
Die Wurzeln haben ihn 
völlig durchwachsen und 
gesprengt. 

Der Schädel des zwei- 
ten Skelette* lag mit den 
Augen nach oben. Auf 
den ersten Blick ist hier 
zu erkennen , daß die 
Menschenknochen nach 
Verzehrung des Fleisches 
ebenso wie die Austern- 
schalen auf diese Stelle 
geworfen wurden. Beide 
Skelette sind natürlich 
ohne Beigaben. 

Wer waren nun die 
Bewohner de« Meeres- 
ufers, die hier jahrhun- 
dertelang Austernorgien 
gofeiert und diese riesigen 
Berge von Schalen auf- 
gehäuft haben? 

Waren ea die Ahnen 
der heutigen Wilden, Aber 
die wir so gut wie gar 
nichts wissen und die wir 
unter dem Namen Boto- 
eudos kennen V Botocudos 
übrigens, die nichts mit 
den Botocudos von Nord- 
brasilien zu tnn haben, 
die von den Caiugang- 
indianern Soklengs genannt werden. 

Ich glaube, daß es sich bei den Bewohnern der Sam- 
baqui» nicht nur um ein Volk handelt; wie man aus 
den verschiedenen Schichten ersehen kann , gab es da 
verschiedene Sitten, verschiedene Kulturstufen. Viele 
Merkmale über weisen darauf bin, daß auch Botocudos 
am Aufbau der Sambaquis beteiligt waren , daß sie erst 
vor kurzer Zeit durch die Weißen von der Küste ab- 
gedrängt wurden. 

Einige Tage, bevor ich meine Sambaquistudien be- 
gann, kam ein Telegramm aus Paranaguii : .Sa madru- 
gada do dia 13 do corrente, uma horda de ferozea boto- 
cudos tentou utacar uma casa nas proxiniidadee da vilia 
de t 'niao da Victoria. Presentidos a tempo os traicoeiroi 
selvicolas näo conseguiram levar a uffeito o seu saugui- 
noleuto intento. A policia, que se conserva em activi- 
dade por ter percebido a sua approximaeäo, £ que 
devemos a esta hora näo estar lamentando mais uma 
desgraca. Um forte destacauiento «eguia ao encaleo dos 
perigOHOs indios, que sc internaram nas uiatas." 



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Vojtech Kric: Sambaqui-Forschungen im Hafen von Antonina (Parunä). 



121 



Ich habe gleich versucht, Näheres über diesen Über- 
fall zu erfahren, und wenn es mir möglich sein sollte, 
die Indianer zu erreichen, will ich eine Reise dorthin 
machen. 

Es genügt«, ein Li einigt) Indianer nachts an eine Fa- 
xende kamen und dort laut riefen — was, das hat nie- 
mand ▼erstanden — , um Soldaten gegen sie auszu- 
schicken; und nicht nur das, es machten sich auch einige 
Privatleute unter Führung eines Italieners auf, um die 
bösen, goführlichen Wilden zu strafen und das Vergnügen 
zu haben, Menschen zu töten. So etwas geschieht täg- 
lich überall im Botocudosgebiet. Jeder Indianer, den 
man findet, wird erschossen, und auOerdem hat man 
auch ganze Expeditionen ausgerüstet, um die Wilden zu 
toten, kleine Kinder zu stehlen und sie dann für 100 Mü- 
rels das .Stück zu verkaufen. So etwas geschieht in 
diesem Jahrhundert in den zivilisiertesten Stauten Bra- 
siliens! Dann braucht man sich nicht zu wundem, wenn 
die Wilden dem Heispiele der Zivilisierten folgen und 
dasselbe tun; so wurde in diesem Monat erst in der 
Nahe des Rio 
Negro im Süden 
des Staates eine 
Familie ermor- 
det. 

Eine ganze 
Anzahl ron For- 
schern hat über 
diese Zustande 
geschrieben und 
hat dabei immer 
die Brasilianer 
als den schul- 
digen Teil bei 
diesen Men- 
schenschlachte- 
reien bezeichnet 
Ich halte es für 
meine Pflicht, 
hiergegen zu 
protestieren. So- 
weit ich fest- 
stellen konnte, 
sind us gerade 
die europäischen Kolonisten, die die Schuld an dienen 
Zustanden tragen; sie unternehmen zwar nie einen 
richtigen Feldzug gegen die Indianer, wenn ihnen aber 
einige Dutzend Maisäliren gestohlen werden, dann 
schicken sie glvich lange Telegramme über eine „Ataque 
de indios" und verlangen von den Behörden, daß die 
„traieoeiros selvaticos" für ihren Frevel mit dem Tode 
ihrer Kinder und Weiber bestraft werden. Dur Kolonist 
vergißt dabei, daß er in einem Laude lebt, da* den In- 
dianern gehörte, duß er nur aus diesem (iruudo das Land 
für einen lächerlich billigen Preis gekauft hat, daß eher 
die Wut und die Rache der Indianer berechtigt sind. 

Zu diesen Indianerverfolgungen werden sogenannte 
„bugreiroi" benutzt, die in der Regel selbst Indianer 
sind oder doch dieser Rasse nicht allzufern stehen. Ich 
habe bereits auf meiner enden Reise im Staate Säo 
Paolo derartige Individuen kennen gelernt, die ihre 
Winchesterkarabiner mit Indianerzähnen „geschmückt" 
hatten, die für jedes Paar Menschenohren bis 130 Mark 
bekommen und die ausschließlich durch Jagd auf Bugres 
ihren Lebensunterhalt verdienen. Et ist peinlich, solche 
vertierten Menschen von ihren W'aldzügou erzählen zu 
hören: „Es ist herrlich, zu sehen, wie ein von einem 
Baume heruntergeknallter Indianer von Ast zu Ast 
herabfällt und dann tot auf der Frde liegen bleibt." — 
Ololmi XOI. Nr. s. 




Abb. *. Petrogljphe in der Nähe von Antonina. 



„Und können die Bugres wohl auch sprechen?" ist die 
gewöhnlichste Frage von Neugierigen. „Sim Seuhor, 
fallam, parece gente, mais <- bicho de matto" („Jawohl, 
sie sprechen, sie sind den Menschen sehr ähnlich, aber 
es sind Waldtiere"). 

Es sind das sehr traurige Verhältnisse, aber man 
soll die Schuld daran nicht den Brasilianern zuschieben, 
wenn die polnischen und deutschen Kolonisten der schul- 
dige Teil sind, Leute, die selbst eine Heidenangst vor 
den Indianern haben und sehr selten selbst gegen sie 
ausziehen. Ich konstatiere, daß, bevor diese europäi- 
schen Kolonisten in diesen Staat kamen, derartige Über- 
fälle auf dio Botokuden zu den größten Seltenheiten 
gehörten. 

In dem oben erwähnten Vorstoß der Botokuden bis 
zum Seeufer nach Municipio de (iuarotuha haben wir 
einen Beweis dafür, daß sie wieder eine Verbindung mit 
dem Meere suchen. Dieser Versuch kann keinen anderen 
Zweck haben, als wieder in den Besitz von Austern zu 
gelangen, wobei dann neue Satubaquis aufgeschichtet 

werden würden. 
Sollte es ihnen 
gelingen , so 
würde man bei 
späteren Unter- 
suchungen eine 
Schicht finden, 
die aus Erde, 
vermischt mit 

zerbrochenen 
eisernen Instru- 
menten , Wein- 
flaschen, Porzel- 
lantellern und 
anderen Resten 
der modernen 
Zivilisation und 
Austernschalen 
bestände. 

Ks ist sicher, 
daß die Indianer 
nicht deshalb 
hier in diese Ge- 
geud eingedrun- 
gen sind, um einige Fazendeiros durch Schreien und 
Schläge gegen die Türen zu erschrecken, sondern daß 
sich wobl bei ihnen eine Erinnerung an den leichten 
Nabruugscrwerb am Meeresufer erhalten hat, und daß 
sie nun deswegen den Versuch machen, hier wieder Fuß 
zu fassen. 

Wer waren aber die anderen Völker, die diese Ge- 
genden einst bewohnt haben, die uns ihre Steinwaffen 
und die Reste ihrer Menschenfresserei in den Austern- 
haufen hinterlassen haben? Wir können ihre Spuren in 
ganz Brasilien linden. Überall dieselben Steinäxte, die- 
selben merkwürdigen bis 75 cm laugen Steinstöcke. Die 
modernen Scharnakoko finden, wio sie mir erzählt haben, 
im Innern des Chaco, am Ufer eines Flusses solche Stein- 
äxte, versehen sie wieder mit langen hölzernon Stielen, 
schmücken sie mit Federn und benutzen sie bei religiösen 
Maskeutiinzen („digilibut"). Erst jetzt finde ich eine 
Erklärung dafür, weshalb die Schamokoko, die schon 
lange gute eiserne Axt* besitzen, immer ihre viele Kilo- 
gramm schweren Steinäxte mitschloppen. Sie wissen 
wohl, daß diese Äxte von den früheren Bewohnern des 
Landes benutzt wurden, daß diese Äxte Eigentum der 
Geister sind, und deshalb versuchen sie in ihrem Geister- 
tanze auch die Waffen der Geister nachzumachen. Fehleu 
ihnen derartige Steinwasen, so stellen sie auch »u- 

17 



122 



Prof. Dr. W. Halhfaß: Zur Frage nach der Zukunft «1er Deutschen Gengraphentage. 



hartem Holz« Äxte her, mit denen «ie — sie taten das 
in meiner Gegenwart — Palmkohl gewinnen. Da» war 
aber zur Zeit einer riesigen Überschwemmung den Para- 
guaytlusses, als wir an allein Mangel litten. Dieser 
Mangel war wohl der Grund, weshalb sie auch diese 
religiösen Äxte zum praktischen Gebrauch benutzten, 
eine Ausnahme, die in mir die Ansicht hervorrief, diese 
Äxt« waren tu täglichen Gebrauch. 

Nach einem Regen entdeckte ich in Punto Catado 
im Paraguay -< haco einige Menschetiknochen und grub 
sie au d; dabei (and ich denn außer dun zerschlagenen 
Knochen eine Steinaxt 

Aber noch mehr; im Korden hat Boggiani große 
Ausgrabungen in Punto Cusado unternommen. Die dabei 
zutage geförderte Sammlung habe ich nach seinem Tode 
von »einem Bruder für den lächerlichen Preis von HO Mark 
für das Museum für Völkerkunde in Berlin erworben. 
Sie besteht aus einigen Bruchstücken von Menschen- 
schAdeln, die sich durch ihre besondere Dicke auszeichnen, 
und aus Topfscherben , die drei verschiedene Typen 
repräsentieren. Der eine Typus gleicht genau den Töpfen 
der modernen Kadiuveo, die früher dort gelebt haben, 
der zweite denen der heutigen Tumanahn (Scbainakoko), 
und dor dritte endlich zeigt dieselben Hitzornamente, die 
man auch in den hiesigen Sauibaquis findet 

In Punto 14 de Mayo linden sich 0,80 bis 1,00 m hohe 
Sambauuis, die aus Schneckenschalen bestehen. Boggiani 
bat diesen Haufen, der ihm gehörte, untersucht und dabei 
zerschlagene Menschenknochen gefunden, also Menschen- 
fresserei konstatiert Er hält die Leute für unlängst 
Ausgestorbene Mbaya vorfahren der Kadiuveo. 

In Bolivien bei St. Domingo bat Boggiani Petro- 
glyphen entdeckt, die ich Bpäter besucht habe. Leider 
waren meine photographischcn Apparate damals nach 
meiner Borororeise in so elendem Zustande, daß ich 
keine Aufnahmen machen konnte. Und da mein Gesund- 
heitszustand nicht besser war als meine Apparate, habe 
ich nur vom Sattel aus kleine Skizzen gemacht (Abb. 3). 
Diese Petroglypheo sind schon von Boggiani be- 
schrieben '). Sie sind in einen flach liegenden Stein ein- 
graviert und bedecken die Lageados von St. Domingo. 

Hier in Paranä, in der Nahe von Antouina, wurde 
ich von Herrn Ignacio da Costa Pinto auf einen Stein 
aufmerksam gemacht, der eine Art Gravierung zeigt 
(Abb. 4). Die regelmäßigen Linien haben riesige Dimen- 
sionen und sind sehr grob in Hochrelief aus dein Stein 
herausgearbeitet Dieser bearbeitete Steiu bat mich 
schon durch seine horizontale I-agerung gleich an die 

') Ich (.'lau'»' im Boll. Bucietä ife«>|fr. luliana. f leh habe 
meine Bm)i. i- lei.ler nicht zur Hanri.l 



Putroglyphen vou St Domingo erinnert Kbenda habe 
ich bei einem Ansiedler eine Steinaxt gesehen , die die- 
selbe Form, dieselbe Schleifung zeigte wie die oben er- 
wähnten. 

Dieee Petroglyphe findet sich auf einem riesigen 
Stein, der aus einer schrägen Bergwand herausragt und 
jetzt zerbrochen ist. Der abgebrochene zweite Teil liegt 
am Ufer eines Sumpfes, das vor nicht langer Zeit noch 
Meereali f er wor; denn das Land dehnt sich hier infolge 
der vom Gebirge herunterkommenden Erdmassen immer 
mehr auf Kosten des Meeres aus, doch bei Sturm und 
Hochflut gehen die Wellen noch heutzutage über das 
Sumpfgebiet hinweg. Auf den ersten Blick ist zu sehen, 
daß dieser Stein einst eine Grotte gebildet hat, die jetzt 
durch das Abbrechen des Decksteins aufgehört bat zu 
existiorou. Dieses Dach der Grott« hatten nun die In- 
dianer mit der Skulptur Torziert. 

Natürlich glaubt die hiesige Bevölkerung, es handele 
sich hier um ein von den Jesuiten hergestelltes Zeichen, 
das die Stello bezeichne, wo sie ihre Sohätze vergraben 
hätten. 

Ich will hier keine Theorien aufstellen, will nicht 
i behaupten, diese Plätze oder die Grotte waren Stellen, 
| wo die Indianer ihre Steinäxte geschliffen hätten, oder 
es haudele sich um Altäre, oder noch andere Ansichten 
äußern, wie es viele Leute so gern tun; denn solche 
Vermutungen bleiben eben immer nur Vermutungen, die 
nicht begründeter sind als der Volksglaube von den 
Jesuitousohatzen. 

Sollten all die Stämme, die die Sambaquis am Araa- 
zonasufer, die von Punto 14 de Mayo, die von Punto 
l'asado, die an der gunzeu Ostküste Brasiliens auf- 
gehäuft die die Petroglyphen am Orinoko (Crevaux), am 
Rio Nogro (Dr. Koch), am Bio Aruguaya (Dr. Fhreu- 
reich), in St Domingo in Bolivien (Boggiani und Fric) 
und die von Antonina hinterlassen haben, die in all 
diesen Gegenden die gleichen hehauonen oder polierten 
Steinwaffen, Steinidole und Töpfe hatten, die überall 
Menschenfresser waren — sollten die nicht zu einem 
und demselben Volke gehören ? Und sollten sie mit den 
moderuon Botocudos identisch soin? 

Werden diese Fragen einmal gelöst werden? Meiner 
Ansicht nach ist eine Lösung erst nach einer gründ- 
lichen Erforschung der fraglichen Botocudos möglich, 
eine Aufgabe, der sich aber ein Forscher mit geringen 
Geldmitteln niebt unterziehen kann. 

Und dann taucht noch eine andere Frage auf: Sind 
diese Völker dieselben wie die, deren Reste Dr. Lund 
in Minas Geraos entdeckt hat und die er für die ur- 
sprüngliche amerikanische Menschenrasse hält ? 



Zur Frage nach der Zukunft der Deutschen Geographentage. 

Von Prof. Dr. W. Hai Ii faß. 



Nachdem zu moiuem Aufsatz über dies Thema, den 
ich in der „Geographischen Zeitschrift" , Novemberbeft 
1905, veröffentlichte, nach einem Vertreter der Schul- 
geographie (Heinrich Fischer im „ Geographischen An- 
zeiger", Dezeuiberheft 11)05) und der Kartographie 
(Dr. Kduard Wagner in der „Geographischen Zeitschrift", 
Februarheft U<06) auch ein Vertreter der Hochschule 
(Prof. W. Ule in dersolben Zeitschrift Dezeuiberheft 1 90(5) 
in dieser Frage das Wort ergriffen haben und ich uußer- 
dom brieflich und mündlich die Ausichton von Vertretern 
der Erdkunde sowohl an Hochschulen wie an höheren 
Lehranstalten kennen gelernt habe, möchte ich an dieser 
Stelle noch einmal auf das in Rede stehende Thema 



zurückkommen und die Punkte herauszuschälen suchen, 
auf die e* mir besonder!« anzukommen scheint. Uber 
einen Punkt scheint allerseits Einstimmigkeit zu herr- 
schen, daß nämlich die Bedeutimg der DuuUchen Geo- 
graphentage seit den letzten Sessionen entschieden im 
Abnehmen begriffen ist. 

Ich will nicht auf der Redewendung beharren, daß 
die Zeit der großen Deutschen Geographen tage mit 
der Bremer Tagung 1 895 abgeschlossen sei, aber ich 
glaube doch, daß die Vorträge auf den Deutschen Geo- 
graphentagen seitdem au epochemachender Bedeutung 
— von Ausnahmen natürlich abgesehen — verloren haben. 
Wenn Ule die Ursache, daß irroüe Kutdeckuiigsreiscn in 



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Prof. Dr. W. HalMaG: Zur Yrugt uaeh der 



123 



den leUten 1 2 Jahren nicht mehr auf der Tagesordnung 
der Geographentage standen, in dem zufälligen Umstände 
cieht , daß diese seit der Karlsruher Tagung nur alle 
zwei Jahre stattgefunden hatten, und daß gerade in den 
Jahren, in denen Entdeckungsreilende zurückgekehrt 
waren, keine Tagungen gewesen «seien, so geht er meines 
Krachtens entschieden zu weit; Ton dieser Zufälligkeit 
hangt dieZnkunft der Geographentage nicht ab. Der Haupt- 
grund scheint mir vielmehr darin zu liegen, daß die akade- 
mischen Lehrer und die Forschunggreisenden, d. h. diu be- 
deutendsten T rager unserer Wissenschaft, mehr und mehr 
den Tagungen fern geblieben sind und daß insbesondere, 
wie Fischer klagt, der akademisch*) Nachwuchs Ton den 
schulgeographischen Sitzungen, in denen zuweilen der 
Schwerpunkt der Gnographentaga zu Hegen schien 
(Breslau), sich fern gehalten hat Ule bat dies Fern- 
bleiben mit dem seit Breslau (nicht Jena) üblichen Pfingst- 
tennin der Versammlungen zu motivieren gesucht. Ich 
will dahingestellt sein lassen, ob der Mehrzahl der Hoch- 
schuldozenten die Pfingstzeit in der Tat ungünstig liegt ; 
für die Lehrer der höheren Schulen, die durch Ministerial- 
erlaß stet» zum Besuch der Geograpbentage beurlaubt 
werden, ist der Pfingsttermin jedenfalls kein Anlaß, den 
Tagungen fern zu bleiben, sie haben im Gegenteil auch 
in letzter Zeit durch regen Besuch gezeigt, daß sie den 
treuesten Stamm der (teographentage bilden. Kein, die 
Forschungereisenden und die Hochschuldozonten kommen 
einfach deshalb nicht mehr so zahlreich wie früher zu 
deu Tagungen, weil ihnen viel mehr Gelegenheit als 
früher geboten ist, die Resultat« ihrer Forschungen einem 
mehr oder weniger empfänglichen Publikum vorzulegen. 
Abgesehen von den zahlreichen Spezialkongressen, die in 
vielfacher Beziehung das Gebiet der Erdkunde streifen 
und erat im letzten Jahrzehnt allmählich eingerichtet 
wurden, dem Deutseben Naturforscher- und dem Ge- 
schichtstag, haben sich die verschiedenen geographischen 
Gesellschaften zu einer Bedeutung und in einem Um- 
fang entwickelt, die ihnen früher fremd waren. Hat 
z. B. jemand eine Forschungsreise in irgend einem Ge- 
biete Asiens, sei sie überwiegend wissenschaftlicher oder 
mehr wirtschaftlicher Natur, hinter sich, so ist ihm nach 
seiner Rückkehr sofort Gelegenheit geboten, die Resultate 
in der Berliner Asiatischen < ieaellschaft vorzulegen; er 
braucht deshalb nicht erst auf den nächsten Geographen- 
tag zu warten. Alle diese Veranstaltungen entziehen 
den Deutschen Geographentagen sozusagen nach und nach 
langsam aber sicher ihre natürliche Nahrung. Die 
großen Treffor und Schlager, die weit reichenden Er- 
eignisse sind ihnen allmählich dadurch verloren gegangen, 
ihr heroische* Zeitalter ist unwiderruflich dahin; dabei 
bleibe ich stehen. Kin ausgezeichnetes Beispiel dafür 
bietet unsere Deutsche Südpolarexpedition, Uber die, wie 
Ule sehr richtig sagt, in Tagosblnttern und Zeitschriften, 
in Kongressen und Vereinssitzungen bereits in aus- 
führlichster Weise berichtet war, lange bevor die Danziger 
Tagung den Bericht brachte. Die Stelle der Berichte 
über Forschungs- und Entdeckungsreisen in den Tagungen 
haben jetzt teils wissenschaftliche Erörterungen über ein- 
zelne geographische Frogen, teils die Nerichte über For- 
schungen in eng begreuzten, topographisch meist schon in 
allgemeinen Umrissen bekannten Gebieten, teils endlich 
schalgeographische Themata eingenommen. Für diese 
Detailarbeit, so wichtig sie selbstredend für die Entwicke- 
lang der Erdkuude ist, fehlt dem größeren Publikum das 
Interesse, daher namentlich der Rückgang in der Erequenz 
bei der einheimischen Bevölkerung, wie er in besonders 
erschreckender Weise in Köln auftrat. Aber auch den 
Kach genant phen bietet sich in neuester Zeit nicht bloß 
in Kongressen und Vereinen, wie ich oben hervorhob, 



sondern auch in Zeitschriften und Büchern viel mehr 
als früher Gelegenheit, mit Fachgonossen Spezialfragen 
zu besprechen und gegenseitig Ansichten auszutauschen, 
so daß ihnen die Aussicht, die Geographeutage zu be- 
suchen, lauge uiebt mohr so dringlich erscheint wie vor- 
dem. 

Wir haben nuu also einen verhängnisvollen circulus 
vitiosns vor uns! Die Fachgeographen halten den 
Geographentag für überflüssig, infolge davon bietet er 
auch den Schulgeographen das frühere Interesse nicht 
mehr, und auch sie werden anfangen ihn zu meiden; 
und umgekehrt: je mehr die Schulgeographen die Geo- 
graphentage beherrschen, desto weniger finden die Fach- 
geographen Veranlassung ihn zu besucheu. 

Wie kann da geholfen werden? Wagner und Fischer 
hoffen alles von einem Appell an die Trager der geogra- 
phischen Wissenschaft in Deutschland, in ihrer Gesamt- 
heit an den Tagungen wieder teilzunehmen und diese 
dadurch wieder auf ihre frühere Höhe zu bringen. Ule 
hofft Besserung durch Verlegung der Tagungen auf eine 
den Hocbscbuldozenten angenehmere Zeit, also zu Ostern, 
durch häutigere Tagung und mehr Freiheit im Programm 
der Verhandlungen, Wenn wirklich der Pßngsttermin 
die Ursaobe des Fernbioibons dor Mehrzahl der deutschen 
Hochschuldozonten ist, so wäre ich der erste, der wieder 
■am Ostertermin zurückkehrte, obwohl für Exkursionen 
die Jahreszeit weniger günstig ist. Jährliche Tagungen 
würden , glaube ich , noch weniger besucht als zwei- 
jährliche, doch käme es ja in dieser Beziehung auf einen 
Versuch an. Auch eine größere Freiheit in der Wahl 
der Themata, etwa wie es bei deu englischen oder italie- 
nischen Versammlungen üblich ist, wäre vielleicht von 
Vorteil für den Besuch der Tagungen. Doch möchte ich 
vor einer zu großeu Zahl verschiedenartiger Vorträge 
entschieden warnen, denn sie führen notwendig zu Sek- 
tionen , wie in Italien, und dadurch zu unerträglichen 
Zersplitterungen. Was für die großen internationalen 
Tagungen notwendig ist, paßt deswegen noch lange nicht 
für beschränkte nationale. 

Ich bin nun der Ansicht, uian könnte bei der nächsten 
Tagung den Versuch recht gut macheu. sie erstens wieder 
in die Osterzeit zu verlegen und zweitens eine größere 
Freiheit iu der Wahl der Vorträge walten zu lassen. Hat 
diese Maßregel dann den Erfolg, eine bedeutend größere 
Zahl von Fachgeographen heranzuziehen und dadurch 
gewiß auch eine höhere Frequenz im ganzen, die für die 
finanzielle Sicherung der Tagungen recht wünschenswert 
ist, herbeizuführen, nun gut. dann ist alles urreicht, was 
wir wünschen, und man könnte fürs erste wieder bei 
diesem Modus bleiben. Bleibt aber der Erfolg, wie ich 
glaube , ans , dann möchte ich doch vorschlagen , eine 
Reform zu versuchen, die wesentlich auf dem Wege liegt, 
den ich in nioiuem ersten Aufsatz (Noveniberheft lilO:» 
der „Geogr. Zeitschr.") andeutete, nämlich die allmähliche 
„Umwandlung der Geographeutage in Ausflugsaerien", 
wie sich Fischer aasdrückte. Die U mwandlung brauchte 
ja nioht so radikal zu geschehen, wie ich sie damals 
vorschlug; beispielsweise wären den Verhandlungen zwei 
Tage einzuräumen, von denen der erste vormittags all- 
gemeinen Fragen, nachmittags der Schulgeographie ge- 
widmet werden könnte, während am zweiten Tage aus- 
schließlich Themata zu bebandeln sind , die mit der 
nachfolgenden Exkursion in Verbindung stehen , also 
wesentlich landeskundlichen Charakter tragen würdeu, 
und zwar sowohl nach dor morphologischen wie nach der 
anthropogeographischen Seite hin. Bei dieser Einrich- 
tung stünden den Exkursionen ein Tag mehr als nach 
der bisherigen Gepflogenheit zur Verfügung, im ganzen 
I also, wenn der Sonntag mit herangezogen würde, vier 

17' 

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124 



Ferdinand ( ■ <> ) d ■ tei ■> -. Die Herkunft der .luden. 



Tagt*. AI* Termin müßte dann natürlich Pfingsten fest- 
gehalten werden, da zum Ostcrtcriniii im allgemeinen ■ 
die Natur in den meinten Teilen Deutschlands noch zu j 
weit zurück ist Die Beteiligung der Lehrer au den i 
höheren Schulen dürfte nach dun bisherigen Erfahrungen j 
kaum auf irgend welche Schwierigkeiten stoßen. 

Mit üle aebo ich in dem Zusammentreffen zahlreicher 
Fachgenossen und dem dadurch bedingten Gedanken- 
austausch den Hauptnutzen der Geographentagc. Sollten 
sie unter Mitwirkung der eigentlichen Fachgeographen 



nur zur Osterzeit zustande kommen, so halt« ich diesen 
Gesichtspunkt für wichtiger als größere Exkursionen 
und verzichte auf sie; sollte die Mitwirkung im Großen 
aber nicht mehr zu erreichen sein, so bin ich der Über- 
zeugung, daß dann die Exkursionen allmählich in den 
Vordergrnud treten müßten, da diese allein dann im- 
stande wären, das Interesse einer größeren Zahl tob 
Freunden der Erdkunde auf die Dauer zu fesseln und 
sie zu einen regelmäßigen Besuch der geographischen 
Tagungen zu veranlassen. 



Die Herkunft der Juden. 

Von Ferdinand Goldstein. 



Du die meiatru Ethnographen auf dem Hoden des 
Naturrechts stehen, dies aber im menschlichen Gefühl 
wurzelt, so haben sie sich, sobald sio die einfache Be- 
schreibung verließen , weit mehr durch das subjektive 
Empfinden als durch die Tatsachen leiten lassen, die die 
Grundlage des positiven Rechts bilden. Eb ehrt die 
Menschen , daß nie sich nach einem höheren Recht als 
dem bestellenden, auf der Gewalt des Besitzes beruhen- 
den Behnen, aber ob das Ideal, daß alles, was Menschen- 
antlitz tragt, nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch im 
alltäglichen Leben gleich ist, jemals erreicht werden wird, 
muß vorläufig dahingestellt bleiben, die Wissenschaft hat 
jedenfalls die Pflicht, unter Hintansetzung persönlicher 
Tendenzen und Wünsche das Tatsächliche zu erforschen 
und zu ergründen. 

Bei Jon Juden ist das der Ethnographie am wenigsten 
gelungen. Der tief wurzelnde Haß gegen si« wurde im 
Mittelalter durch die Religion begründet , die ja damals 
auch die Basis für die Wissenschaft war. Als sie in 
unserer Zeit dieso Bedeutung verlor, suchte man nach 
einem neuen Trennungsmittel und glaubte es in ihrer 
Sprache gefunden zu habeu. Die Juden, sagte man, 
sind Semiten. Damit verstieß man zunächst gegen 
die biblische Überlieferung. Denn da dio Juden aus 
Kanaan stammen sollen, dies aber von der Völkertafel 
im 10. Kapitel der Genesis als Sohn Harns bezeichnet 
wird, so müßten die Juden Hamiten sein. Da indessen 
die biblische Überlieferung nicht mehr bindend war, und 
der Urtext der Bibel in einer Sprache geschrieben ist, 
die man zum aemitischon Sprachstumm zählt, so verband 
man mit dem Ausdruck „Semiten" nicht die natürliche 
Abstammung von Noahs Sohn Sum, sondern verstand 
darunter dio nuf die Sprache gegründete „semitische 
Rasse". Folgerichtig hätte man dann die Assimilierung 
der Juden Deutschland* mit den Anhängern der Staat*- 
religion anerkennen müssen, denn sie sprechen nicht 
Hebräisch, sondern Deutsch, während das Hebräische für 
sie eine tote Sprache ist'). Da man sich mit diesem 
(iedanken aber absolut nicht befreunden konnte, so ver- 
ließ man bei dieser Entgegnung schleunigst das Gehör und 
wandte sich dem Gesicht zu, indem man erklärt«, die Se- 
miten, d. h. Menschen, die eine semitische Sprache sprechen, 

') Bs ist mir nicht bekannt, ob die Juden Kngland* und 
Krankreich» im Hause sich des Englischen und Französischen 
bedienen. Jedenfalls lassen die zahlreichen German je«s in 
London die Vermutung zu, d*S die niedere Kls«« Itotitsch 
spricht. Kino höchst auffallende, von Ethnographie wie 
Philologie übersehene Tiitsaehe ist es, daß die Juden in Kur- 
land , Skandinavien , Ungarn, den BalltHnstnaten sind der 
asiatischen Türkei im Familienleben and bti ihrem Gottes- 
dienst sieh fast ausschließlich der deutschen Sprache be- 
dienet! <v. Firck«, Bevülkorungslehre und Bcvölkcrune;*- 
politik, B. 379). Den bequemen Schluß einer Kinwamlerung 
erlaube ich mir nicht zu ziehen. 



seien dunkelhaarig und hätten krumme Nasen, während 
Arier, d. h. Menschen, die eine arische Sprache sprechen, 
blond seion und gerade Nasen hätten. Hier beginnt die 
unglückselige Konfusion, denn die Begriffe Semiten und 
Arier waren von der Sprache genommen , jetzt aber 
machte man die Sprache zu einem somatischen, durch 
das Auge wahrnehmbaren Einteilungsprinzip. Natürlich 
wird diese 1 kiktriu , da sie den tatsächlichen Verhält- 
nissen Gewalt antut, vom Leben sofort Lügen gestraft, 
denn die Franzosen, Italiener, Spanier und vor allem 
die Urarier Indiens haben ebenfalls dunkles Haar und 
anderseits gibt es Juden mit blondem Haar, während 
die Nase überhaupt kein ethnographisches Einteilungs- 
prinzip ist; man hat sich dem Nasenstudium bisher zu 
ärztlichen, aber nicht zu ethnographischen Zwecken ge- 
widmet- Man mag also die Menseben nach der Sprache 
oder der Hautfarbe oder den Haaren einteilen — eine 
lediglich auf den Schädel gegründete Rasgeneinteilung 
hat schließlich Virchow selber aufgegeben — da die 
Juden eine sogenannte arische Sprache sprechen, da sie 
in Europa wenigstens weiße Haut und blonde oder schwarze 
Haare haben ebenso wie die anderen Europäer, so müsson 
sie auch von der Wissenschaft als Teile von ihnen be- 
trachtet werden. 

Gerade hierin liegt für die heutige Ethnographie eine 
gar nicht hoch genug zu bewertende Schwierigkeit. Denn 
da sie auf dem Boden des Naturrechto steht wie die 
Menge, alle Yölkererscheiuuugen also von ihm herleitet, 
so muß es ihr äußerst schwer werden, sich von dem all- 
gemeinen Vorurteil frei zu machen. Dennoch ist hier 
wie bei allen ethnographischen und politischen Fragen 
das positive, von Menschen geschaffene Rvcht der allein 
richtige Standpunkt. Zwischen den Juden und den 
Anhängern der Staatsreligionen bestehen die denkbar 
größten Gegensätze, die durch die Emanzipation etwas, 
aber nicht viel gumildert worden sind; der Grund dafür 
liegt in ihren verschiedenen Weltanschauungen und der 
darauf gegründeten Erziehung, die beide der Ausfluß 
ihrer geschichtlichen und rechtlichen Entwickelnng sind, 
aber nicht in einer besonderen natürlichen oder Rasse- 
veranlugung. Juden , die sich von den überkommenen, 
spezifischen Ideen frei machen, hören auf, Juden zu sein, 
während sie umgekehrt Juden bleiben können, selbst 
wenn sie sich äußerlich nationalisiert haben ; die Religion 
spielt in beiden Fällen die kleinste Rolle. Treitschke 
sagt: „Kincm Teile der europäischen Judenschaft ist 
es allerdings gelungen . sich ganz und gar zu nationali- 
i siereu in dem Volke, in dem sie leben, und gute Deutsche, 
Franzosen und Engländer zu werden. Daß Benjamin 
Disraeli ein Engländer war durch und durch, bis auf ge- 
wisse Äußerlichkeiten, wird jedermann erkennen; und 
; so tindeu wir in der deutschen Literaturgeschichte ver- 
! schiedetm Juden , bei denen wir das deutsche Wesen als 



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Ferdinand lioldstein: Diu Herkunft der .luden. 



126 



vorherrschend bezeichnen müseen. Dm war bei Mose« 
Mendelssohn im höchsten Grad© der Fall. Ebenso un- 
zweifelhaft aber ist, daß es in Berlin und gar noch weiter 
nach Osten hin viele Juden gibt, welche trotz der Sprache 
in ihrem Inneren unverfälschte Orientalen geblieben 
sind" »). 

IM« amtliche Statistik hat alle Doktrinon aber die 
Juden unbeachtet gelassen, obgleich der Statistiker, ja 
er, der mit dem praktischen Leben vertraut sein muß, 
vielleicht am beaten die Besonderheiten kennt, die sich 
bei ihnen infolge ihrer langen Unterdrückung auegebildet 
haben. Freiherr von Fircka, ehemals Mitglied des preußi- 
schen statistischen Bureana, war von ihrem orientalischen 
Ursprung überzeugt, er wußte auch, daß sie biologisch 
minderwertig und häufiger als die Angehörigen anderer 
Völker mit körperlichen und geistigen Gebrechen be- 
haftet aind, dennoch hat er niemals eine besondere Kasse- 
Veranlagung dafür verantwortlich gemacht und ihr völ- 
lige! Aufgehen in der Bevölkerung Deutschlands von der 
Aufgabe einiger, mit großer Zähigkeit festgehaltener 
Einrichtungen abhangig gemacht 5 ). Indem ich mich 
jetst zu meinem eigentlichen Thema wende, erklare ich, 
daß ich mich ebenfalls von den landläufigen Verallge- 
meinerungen fernhalten werde, daß man insbesondere 
das Nehelgcbilde dor semitischen Rasse, wie Bastian der- 
gleichen Generalisationen nannte 4 ), bei mir nicht finden 
wird, und wer die ©raste Absicht hat, eich in dieser Frage 
Klarheit zu verschaffen, muß es gleichfalls aufgeben. — 

Die Heimat der heutigen Juden Europas soll Kanaan 
sein. Ihre Handelsinteressen sollen sie zur römischen 
Kaiserzeit aus ihrem ursprünglichen Wohnsitz fortgeführt 
und sie zur Ansiedelung iu allen möglichen Lindern ge- 
zwungen haben. Sie waren dann dort geblieben, hatten 
sich stark vermehrt, hatten allen Stürmen zum Trotz ihr 
ursprüngliches Volkstum bewahrt, und so waren die 
Juden iu Europa als „Nachkommen der Propheten" an- 
zusprechen. — Es ist glaubhaft Oberliefert, daß Juden 
aus Kanaan in naohexiliseber Zeit sieb in größerer An- 
zahl des Kandels wegen in den Städten der alten Kultur 
aufhielten, die Schlußfolgerung indessen, daß ausschließ- 
lich von solchen Auswanderern die heutigen Juden ab- 
stammen, ist unzulässig, weil man damals unter Juden 
nicht nur Menschen verstand, die aus dem Lande Judäa 
stammten, sondern alle, die sich zur Jüdischen Religion 
bekannten , ganz gleichgültig welcher Nationalität sie 
waren. So erzählt z. B. die Apostelgeschichte, daß der 
Jude Aquila mit vielen anderen Juden aus Rom aus- 
gewiesen worden war; Aquila aber war ein Pontier von 
Nation (XVIU, 2). Diese Vorstellung dürfte koine 
Schwierigkeiten machen , denn wir verfahren analog. 
Wer heute zum Judentum übertritt, wird zum Judon, 
gleichgültig, ob er deutscher, französischer, englischer, 
russischer, türkischer oder irgend einer anderen Natio- 
nalitat ist, und wenn man ihm selber vielleicht auch den 
Übertritt anmerkt , nach einigen Generationen ist jeder 
Unterschied verschwunden, seine Nachkommon — stammen 
aus Kanaan. Schwieriger aber wird die Sache dadurch, 
daß man in der ersten Zeit des Christentums Christen- 
tum und Judentum identifizierte. Christen wie Juden 
beteten zu demselben Gott, feierten dieselben Feste, be- 
nutzten dieselben Gotteshäuser und bewohnton denselben 
Stadtteil. Die Hauptsache aber war, daß beide beschnitten 
waren. 

Bei dem schroffen Gegensatz, in dem sich heute die 
christliche und jüdische Religion befinden, wird vielen 
die Vorstellung jüdischer Christen nicht leicht werden. 



3 



Politik I, 8.27«. 

Bevölkerungsichre und Bevölkeruii£spolitik, !S. ; 
♦) Keilschrift für Ethnologie, Bd. I, 8.7. 



Da man der Ansicht ist, daß gleich die ersten Christen 
die alte jüdische Religion vernichten und an ihre Stelle 
ihre neue setzen wollten, so scheint eine Vereinigung 
von Judentum und Christentum undenkbar zu sein. 
Die tatsächliche Lage dor Dinge war aber eine ganz 
andere. Die ersten Christen waren der Religion 
nach ebensogut Judon wie alle anderen Bewohner Ju- 
däa». sie benutzten die Tempel und Synagogen, feierten 
dieselben Feste, übten die vorgeschriebenen Zeremonien 
und hielten vor allem streng an der Beschneidung fest, 
nur die Verzerrungen der Priester, die Unsittiichkeit, 
die Heuchelei, die Rechtsbeugungen, also die Auswüchse 
von Staat und Gesellschaft , bekämpften sie und lehrten 
statt ihrer ihre Sittlichkeit. Erst durch die Apostel, vor 
allem durch den Apostel Paulus, wurde die Sachlage ge- 
ändert. Diese erst griffen die jüdische Religion an und 
veranlaßten dadurch die heftigen Kämpfe unter den 
Christen selber, die schließlich zu einer Spaltung unter 
ihnen führten. Niemand bat das klarer erkannt und zum 
Ausdruck gebracht als Reimarus und Lessing. Ich will 
sie daher sprechen lassen"). „ Ich wollte ferner erweisen, 
daß Jesus weder das Ceremonien-Gesetze abzuschaffen ge- 
sucht oder befohlen , noch selbst neue Ceremonien ein- 
geführet habe. Das erkenne ich freylich wohl, und habe 
es auch schon oben erinnert, daß Jesus da» Sitten-Gesetz, 
und die innere Bekehrung des Herzens, dem Ceremonien- 
Gesetze und denen äußerlichen Geberden weit vorziehe: 
und wenn eins dem anderen im Fall der Noth weichen 
muß, das Ceremonien-Gasetz zurücke stelle; und die gegen- 
seitige Heucheley der Pharisäer und Schriftgelehrten hart 
bestrafe, welche bloß auf ehrliche äußerliche Scheinheilig- 
keit hielten und die großen Gebote der Liebe und Barm- 
herzigkeit darüber hindan setzten. Allein übrigeus 
lasset Jesus das ganze Ceremonial-Gesetze in seinem Werth 
und Gange. Kr bezeugt sich demselben in seinem Wan- 
del selbst alle Wege gemäß: er wohnet dem Gottesdienst 
in den Synagogen und im Tempel fleißig bey: er höret 
Mosen und die Propheten nach alter Gewohnheit an den 
Sabbathorn lesen: er reiset nach Verordnung des Gesetzes 
auf die hohen Feste, insonderheit Ostern, sodann auch 
Laubhütten und Kirchweihe nach Jerusalem, und ver- 
richtet daselbst, was die Ordnung des Gottesdienstes mit 
sich brachte; lasset auch für sieb und seine Jünger das 
Osterlamm schlachten, uud isset es, mit don gewöhnlichen 
Lob-Gesängen. Allein er betheuret auch überhaupt, daß 
er nicht kommen sey, das Gesetze aufzuheben, sondern 
alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Kr verwirft nicht, daß 
die Pharisäer auch die geringsten Kräuter verzehndeten ; 
er tadelt nur, daß sie dabey das vornehmste im Gesetz 
verabsäumten: dieses, spricht er, sollte man thun , und 
jenes nicht lassen. Er erklärt es an sich nicht für un- 
recht oder thöricht, daß die Pharisäer (iedenk-Riemen 
trügen, wobey sie sich der Beobachtung des Gesetzes er- 
innerten, wie es Moses befohlen hatte, und Christus auch 
vermutblich selbst that; er bestraft nur, daß sie dieselbe 
vor andern groß und breit hätten , um sich damit sehen 
zu lassen, als ob sie vor andern auf das Gesetz sorg- 
fältig acht hätten. Er betiehlet dem Aussätzigen, nachdem 
er rein worden war, sich den Priestern zu zeigen, und 
die Gabe zu opferu, welche Moses im Gesetze geboten 
hatte. Er sagt dem Volke und seinen Jüngern: auf Mosin 
Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer: alles nun 
was sie euch sagen daß ihr halten sollet, das haltet und 



') Die Arbeit, aui der ich zitiere, ftlhrt den Titel .Von 
dem Zweck© Jesu und setner Jünger - . Sie wurde seinerzeit 
polizeilich beschlagnahmt und fehlt in fast sämtlichen Lessing- 
ausgahen, nur die Hempelschc und die von Mnnckor hesorgte 
Lacbmanusche enthält sie Die zitierte Stelle findet sich 
Tetl I, § IS. 



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12ß Ferdinand (i nldst« in: 



tbuts: »her nach ihren Werken sollt ihr nicht thun. Er 
spricht Ton >ich selber: ihr sollt nicht wähnen, daß ich 
kommen hin , das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, 
sondern zu erfüllen. Danu, Aineu, ich Rage euch, bis 
daß der Himmel und die Erde zergehe, wird nicht ver- 
gehen der kleinst« Buchstabe uoch ein Strichlein im Go- 
setze, bis daß es alle« geschehe. Wer nun eins von diesen 
geringsten Geboten aufloset, und lehrot gleichwohl die Leute 
also, der wird der kleinste heißen im Himmelreich; wer 
es aber thut und lehret, der wird groß heißen im Himmel- 
reich. Dia zeigt so klar als immer möglich ist, daß Jesus 
das Gesetze Mosis in allen Stücken bis auf die geringsten 
Kleinigkeiten (so wie andere Jaden auch thateu) für ewig 
nnd so lang die Welt stehet, unveränderlich gehalten, 
daa nicht allein nicht abgeschattet werden und aufhören 
wOrde , sondern hauptsächlich in seinem Himmelreich, 
welches nahe hcrbeykomnien wäre, in dorn Reiche Gottes 
unter dem Messias, gölten und genau beobachtet werden 
sollt«; so daß wer auch nur der geringsten Gebot« eins 
(als das Vensehudeu bis auf allu Kleinigkeiten, und der- 
gleichen) nicht hielte, und andere I/eute überreden wollte, 
daß man« so genau nicht halten dürfe, in diesem Reiche 
des Messiua der kleinste sein sollt«; wer es aber alles 
genau hielte und zu halten lehrte, der wurde in seinem 
Himmelreich groß seyn. Ks ist also sonnenklar, daß 
Jesus die Absicht in seinem i.ehramte und bey seinem 
vorstehenden Himmelreiche nicht gehabt, ein einzig 
Bnchstab oder Strichlein im Gesetze, das ist, nach seiner 
Sprache ein einziges Ceremonial-Gcsctz, welches in Ver- 
gleichung der Liebe und Barmherzigkeit und anderen 
solchen Pflichten des Sitten-Gesetzes klein heißet, ab- 
zuschaffen, aufzulösen, und als nicht mehr nöthig vorzu- 
stellen: sondern vielmehr das ganze (tesetze in diesem 
bevorstehenden Himmelreiche noch besser im Schwange 
zu bringen. Da nun die Jüdische Religion durch daa 
Ceremonial-Gesetze hauptsächlich die Jüdische wird, und 
■ich von anderen Religionen unterscheidet: so ist auch 
zugleich offenbar, daß Jesus die Jüdische Religion in 
keinem Stücke abschaffen, und statt derselben eino neue 
einführen wollen. Es folget demnach hieraus auch nn- 
widertreiblich , daß die Apoätel der Lehre, Absicht und 
Befehl ihres Meisters Schuurgrade entgegen gelehret 
und gehandelt: da sie nicht allein die Heiden von diesem 
Gesetz entbunden, sondern auch die aus dem Judentum 
Bekohrten von solcher Bürde, als die weder sie noch ihre 
Vater tragen können , los gemacht. Sie hörten nämlich 
selber auf, das Gesetze Mosis zu beobachten, ohne nur 
wenn sie aus Noth und zum Schein noch so was mit 
machen mußten: uud lehreteu öffentlich, das Gesetze sey 
nur ein Schatten und Vorbild auf ( hristum; nun aber 
der , als der Cörpcr selbst kommen sey , so höre das 
Schattenwerk auf; es sey nur ein Zuchtmeister auf Christum, 
der für Kinder gehöre: nun sie aber in die Freyheit der 
Kinder Gottes versetzet wären , hätten sie dieses Zucht- 
meisters nicht mehr nöthig: ja, sie sagten, dieses Cesetz« 
sey nicht allein in sich nicht nütze und vermöge nicht 
selig zu machen, sondern wenn einer auch z. K. sich be- 
schneiden ließe, dem sey Christas nichts nütze. So wurden 
denn bald lieBchneidung, Opfer, Reinigung, Sabhathe, 
Neumonden , Festtage , und dergleichen gänzlich abge- 
schaltet, und das Judentum zu Grube gebracht." 

Danach ist also eine Vereinigung von Christentum 
uud Judentum in der ersten Zuit nicht nur möglich, sondern 
sogar unbedingt notwendig gewesen. Wer der neuen 
christlichen Sittlichkcitidcbre folgen wollte, mußte sich vor 
allem zur jüdischen Religion bekennen, mußte sich also 
beschneiden lassen. Allerdings wurdeu der Ausbreitung 
des Christentums über die Grenzen JudäfiB hinaus in der 
ersten Zeit noch trnderu Schwierigkeiten in den Weg ge- 



Die Herkunft .ler .Inden. 



legt, ei erübrigt sich indessen, darauf näher einzugehen. 
Erst später brach man mit dieser Vorschrift, indem man 
auch Unbescbnittene in die christliche Gemeinschaft anf- 
nahm, doch hielt sich die alte Richtung neben der neuen ; 
noch Justin us Martyr (gest. 165?) polemisierte gegen sie. 

Beider Beschneidung setzte denn auch zuerst die Ver- 
folgung der römischen Regierung ein. Ein römischer 
Bürger, der sich beschneiden ließ, wnrde durah Gesetz 
V'espasians mit Konfiskation seiner Güter und ewiger Ver- 
bannung bestraft, ja dieselbe Strafe traf ihn, wenn er 
seine Sklaven beschneiden ließ, und der Arzt, der die 
Operation ausgeführt hatte, wurde mit dem Tode bestraft 
Auch Juden , d. b. Menschen , die rieh zur jüdischen 
Religion bekannten, wurden mit denselben Strafen belegt 
wenn sie ihre Sklaven beschnitten *). Ks kann (ich hier- 
bei nicht um Jüdisch - Rechtgläubige gehandelt haben, 
denn gegen diese war man von derselben weitgehenden 
Toleranz wie gegen alle Andersgläubigen. Kaiser Claudius 
hatte den Juden ausdrücklich freie Ausübung ihres Kultes 
zugesichert. Josophus war persona gratissima am römischen 
Hof. und Bürger Jndäas, z. B. Paulus, erhielten das römi- 
sche Bürgerrecht. Im schreiendsten Widerspruch würde 
dazu stehen, daß derselbe Kaiser Claudius die Juden aus 
Rom vertrieb. Vergegenwärtigt man sich aber das vor- 
her über die jüdischen Christen Gesagte und ferner, daß 
durch das Claudisc.be Kdikt der jüdische Christ Aquila 
aus Pontus betroffen wurde (Apostelgeech. XVIII, 2), 
so verschwindet der Zickzackkurs, da es unzweifelhaft 
wird, daß die Verfolgung sich nur gegen die Beschnei- 
dung der christlichen, nicht der rechtgläubigen Juden 
gerichtet haben kann. So erklärt es sich auch . warum 
selbst Josephus, von dem wir ausnahmsweise wissen, daß 
er jüdischer Religion und Nationalität war, vier Juden, 
die eine vornehme römische Dame bekehrt hatten, als 
ganz verworfene Subjekte brandmarkt« (Ant. Will, 3. 5). 
Hätte es sich hierbei um das Judentum gehandelt, das 
er meinte, so hätte er sie zweifellos mit hohen l»b- 
»prüchen geehrt; stand doch in Judäa die Proselyten- 
uiacheroi im höchsten Flor. Ks zeigen sich hier aufs 
deutlichste die beiden Gesichter der Religion, das gefübls- 
politische oder psychische oder, wie man heute sagt, das 
sittliche und das realpolitische. Gegen die religiösen 
Lehren und Auslegungen haben die Regierungen noch 
niemals etwas einzuwenden gehabt, solange sie nicht 
gegen die positiven Zwecke verstießen, die sie mit der 
Religion verbaudeu, erst wenn dies geschah, schritten sie 
ein. Noch beute ist nach der Auffassung des Klerus 
i nur der rechtgläubig, der seine Politik unterstützt; Tauf- 
! scheinkatholiken sind noch keine Katholiken. Das Ju- 
daifcieren , d. b. die Bekehrung zur jüdischen Religion 
der Christen uud die dazu ausgeführte ßeschneidnng, 
widersprach aber nicht nur der Religionspolitik der 
Regierung, sondern galt sogar bei Römern wie Griechen 
wie rechtgläubigen Juden für staatsgefährlicb. 

Selbstverständlich waren die außerhalb Kanaans Jndai- 
rierten in ihrer erdrückenden Menge, wenn nicht aus- 
schließlich, nichtjüdiseber Nationalität. Auf erwachsene 
Männer judaiseber Herkunft konnte sich das ßeschnei- 
dungsverbot gar nicht beziehen , da diese bereits als 
Säuglinge beschnitten worden waren, ein Beschneidnngs- 
verbot für Säuglinge ist uns aber nicht überliefert. Wenn 
es also wirklich wahr «ein sollte, daß die heutigen Juden 
von den Juden abstammen, diu mau in den Städten des 
römischen Kaiserreichs traf, so ist damit keineswegs er- 
wiesen, daß sie auch aus Kanaan stammten. Im Gegen- 
teil, da man unter Juden auch die Judaisierten, d.h. die 

') Duruv, Hist. .les Hoinaius. Notivelle Wition (1890), 

IV,>-j:i:i. ' 



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Ferdinand Goldsteiu: Die Hirkunft der Juden. 



127 



jüdischen Christen verstand, deren Zahl aber fast aus- 
schließlich durch den Übertritt von Leuten nicbtjüdischer 
Nationalität ihre gewaltige Vermehrung erfuhr, so könnte 
Ton den heutigen Juden nur ein verschwindender Bruch- 
teil als kanaanaitch bezeichnet werden. 

Indessen die gesamte Lehre, daß die heutigen Juden 
von einigen versprengten Kaufmannsfamilien Judäas ab- 
stammen, muß in sich zusammenfallen, seitdem wir wissen, 
daß isolierte Familien bald erlöschen. Der natürliche 
Stammbaum jedes heute lebenden Menschen muß bis in 
die älteste Urzeit hinaufreichen , ja wir müssen sogar 
das natürliche Geschlecht jedes Menschen als ewig an- 
sehen, denn sonst wäre die Menschheit schon längst aus- 
gestorben. Von diesem naturlichen Geschlecht , du« in 
analoger Weise jedem Tier und jeder Pflanze zukommt, 
ist aber das historische zu unterscheiden, also das Ge- 
schlecht, das der Sprachgebrauch auch schlechthin als 
solches bezeichnet. Das historische Geschlecht wird 
durch willkürlichen, menschlichen KingrifT kreiert, indem 
aus der Masse der Individuen an einem bestimmten Zeit- 
punkt ein einzelner Mann herauspeL'rifli'n , mit einem 
bestimmten Kennzeichen behaftet und als Stammvater 
bezeichnet wird. Von diesem Stammvater wird das 
historische Geschlecht gerechnet, während sein Geschlecht, 
physisch beurteilt , nicht älter und uicht jünger ist als 
jedes andere. Das historische Geschlecht ist also immer 
ein Teil des physischen, und zwar ein sehr kleiner. Das 
gewöhnliche Mittel, einzelne Geschlechter aus der großen 
Masse herauszuheben, ist der Name. Es kann aber j 
auch eine große Tat oder ein großes Ereignis sein, dessen 
Erinnerung eich durch viele Generationen erhält, oder 
auch eine besondere Religion , durch die sich einzelne 
Familien von einem Volksganzen abheben, wie es bei 
den Judon in der Diaspora der Fall gewesen sein soll. 
In der Sache ist das alles dasselbe, denn es handelt sich 
immer um einzelne gekennzeichnet« Familien oder, da 
sie eine Folge bilden müssen, um gekennzeichnete, also 
historische Geschlechter, nur daß das Kennzeichen ver- 
schieden ist. 

Unter den Namen sind die der adligen Geschlechter 
besonders ausgezeichnet, und da der Adel von jeher auf 
Tradition gehalten hat, so lassen sich durch Untersuchung 
seiner Geschlechterfolge wichtige Aufschlüsse aber dio 
I<ebensdauer historischer Geschlechter überhaupt ge- 
winnen. In dieser Beziehung ist eine Publikation von 
Pontus Fahlbeck über den schwedischen Adel Ton grund- 
legender Bedeutung für uns : ). Durch diese ist fest- 
gestellt worden, daß die Adelsgeschlechter in großer Zahl 
aussterben. In der Zeit von 1626 bis 1690 sind 2890 
Adelsgeschlechter kreiert worden, und von diesen lebten 
im Januar 1896 nach dem offiziellen Verzeichnis nur 
noch 802, so daß nicht weniger als 2088 oder 71,1) Proz. 
ausgestorben waren. Besonders ist der Stadtadel ge- 
fährdet, während der Landadel viel mehr Aussicht hat, S 
seine Geschlechter zu erhalten (Fahlbeck, S. 48, 51, 79f.). 

Biese statistisch ermittelte Tatsache läßt sich obne 
Bodunken auf die hypothetischen, über die ganze Erde 
zerstreuten Kaufmannsfamilien aus Judäa anwenden, 
denn es handelt sieh in beidcu Fällen um einzelne 
Familien, die den Zusammenhang mit dem Volksganzen 
verloren hatten , nur daß die Aussichten der hypotheti- 
schen Kaufmannsfamilien viel schlechter waren als die 
des schwedischen Adels. Zwar beHand die Abneigung 
der Römer gegeu die Juden nicht in dem niodern An- 
tisemitismus unserer Zeit, denn die Juden hatten ihren 
Staat, sie hatten ihn auch noch nach dem großen Kriege 

') Der Adel Schwedens (und Finnland»), Eine demn 
graphische Studie von Pontui K raulbeck , l'mfessor an der 
Universität I.und. J<-nu 190». 



mit Rom, sie hatten sich in ihm tapfer geschlagen , und 
die Kömer waren politisch zu fähig, als daß «ie ein solches 
Volk mit der geringschätzigen V erachtung des Pöbels ver- 
folgt hätten. Der Haß, den sie gegen die Juden empfanden, 
war derselbe, der no-oh heute unter den Staaten in so 
unerfreulicher Blüto steht : der nationale, auf wirtschaft- 
licher Basis ruhende, und er wurde violleicht durch das 
von der ganzen gebildeten Welt verabscheute Christentum, 
dessen Mutterland Judäa war, noch geschürt. Es ist 
klar, daß dadurch den hypothetischen Kaufmannsfamilien 
das Leben erschwert wurde, und rechnet man dazu, daß 
sie in der Fremde lebten, und daß der Kaufmannastand 
keine privilegierte Klasse bildete, so müssen die Be- 
dingungen für sie, ihre Familien fortzupflanzen, wesent- 
lich ungünstiger gewesen sein als für den schwedischen 
Adel. Die Hauptsache aber war, daß sie in Städten 
wohnten, und daß gerade die Stadt so leicht das Grab 
von Geschlechtern wird. Das haben auch die großen 
Bürger- und Patruierfamilieu der Heichsetädtc erfahren 
müssen "). Die Stadt Augsburg zählte im Jahre 1 368 
51 ehrbare Geschlechter, im Jahre 1468 13, und im Jahre 
1538 waren nur noch 8 von ihnen übrig. Um den Rat 
besetzou zu können, waren sie in diesem Jahr um 42 ins- 
gesamt vermehrt worden, aber im Jahre 1649 lebton von 
diesen nur noch 12, während die alten auf 6 reduziert 
waren. Im ganzen gab es in Augsburg 124 Geschlechter, 
deren Zahl im Jahre 1649 auf 28 gesunken war, und 
von diesen haben sich einige bis auf die Gegenwart er- 
halten können, weil sie in den Landadel übergingen. In 
Nürnberg gab es im Jahre 1490 112 ehrbare Familien, 
von denen aber nur 49 auf eine hundertjährige Geschichte 
zurückblicken konnten. Die eigentlichen Patrizierfamilien 
Nürnbergs schnitten besser ab, weil sie zu einem in der 
Stadt lebenden Landadel geworden waren. In Lßbuck 
sind die einst zahlreichen und mächtigen Patrizierfamilien 
vollständig ausgestorben. Ihr letzter Sproß wurde im 
Jahre 1848 zu Grabe getragen; er war Vereinsdiener 
gewesen. In Bern waren von 1583 bis 1654 487 Familien 
in die Bürgerschaft aufgenommen worden , von denen 
innerhalb zweier Jahrhunderte 379 ausgestorben waren 
und heute nur noch 58 übrig sind. In Mühlbausen 
wurden im Jahre 1552 im ganzen 629 Familien gezählt, 
doch nur 152 oder kaum 25 Proz. haben sich erhalten. 
Von diesen stammen nur 4G aus dem Jahre 1552, wäh- 
rend 18 im 16. Jahrhundert , 82 im 17. und 6 im 18. 
zugewandert sind. In Lindau wurden seit 1650 306 Fa- 
milien gezählt, aber heute blühen von ihnen nur noch vier. 

Somit sinkt die Lehre, daß die vielen Millionen der 
heute lebenden Juden von einigen wenigen versprengten 
KAufmannsfamilien Judäas stammen sollen , auf das 
Niveau derjenigen herab, die sämtliche Menschen von 
Sem, Harn und Jafct und alle Tiere von den Tierpärchen 
der Arche herleitet, auf das des Märchens. Von wein 
die Irrlehre stammt, weiß ich nicht, sie ist wahrscheinlich 
im Mittelalter erfunden worden, und da sie eine will- 
kommene Basis für die Theorien abgab , die man für die 
Juden brauchte, so wurde sie zur „populären Wahrheit", 
d. h. sie wurde von Laien und Gelehrten ohne Nach- 
prüfung angenommen und mit großer Zähigkeit fest- 
gehalten, obgleich jedermann heute weiß, daß der Handel 
noch niemals die Länder mit einer größeren Menschen- 
umsse bevölkert hat. Deun Karl Bücher sagt zutreffend, 
daß es in den ineisten Wissenschaften populäre Wahr- 
heiten gibt , die ihr handliches Gopräge zu Münzen des 
i geistigen Verkehr* macht und weit über ihr eigentliches 
Gebiet hinausträgt. Und dieser Übergang in den Wiseens- 
und Sprachschatz der gebildetenWelt dient auf der anderen 

") Im folgeudun schöpfe ich au« H»n»en, IM« drei B« 
völkerunpwtufen, 8.174 (f. 



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K. Uotb: Die Vegetation der subantarktisch«n In«« In. 



Seite wieder dazu . ihre Geltung innerhalb des engeren 
Forschungsgebietes, dem sie entstammen, zu befestigen")' 
Da also die alt« Lehre , daß die heutigen Juden von 
einigen versprengten Kaufmaunsfamilien Judaas ab- 
stammen, widerlegt int, und eine Kolonisation Europas von 
Kanaan aus, soweit wir wissen, nicht stattgefunden hat, so 
entatebt die Krage, welches ihre eigentliche Heimat ist 
Diese Frage ist gleichbedeutend mit der, wober die Chri- 
sten stammen. Die christliche Religion stammt aus 
Kanaan ebenso wie die jüdische, sowenig aber die Träger 
dos Christentums daher stammen, sowenig ist es bei den 
Tragern der jüdischen Religion der Fall, und ebensowenig 
wie jene bilden diese eine somatische Einheit Ks gibt 
chinesische Juden, die aus Indien stammen l0 ), du nkel- 
häntige Juden im Kaukasus (s. n.), blonde und schwarze 
Judou in Europa, es ist daher völlig unzulässig, zu fragen, 
wober „die" Juden stammen. Es existiert indessen ein 
bestimmter Typ, der «war aberall in der Welt vorkommt, 
den man aber dsnnoch als spezitisch jüdischen oder, wie 
man sich schanihaft auszudrücken pflegt, als semitischen 
bezeichnet. Am besten ist er aus der Karikatur be- 
kannt, wie der spezifische Negertyp aus Reklametiguren 
in Tabaksl&den ")• Dieser spezifische Judentyp findet 
sich — natürlich ohne die gehässige Verzerrung — in 
auffallend großer Zahl und in verhältnismäßig großer 
Dichte unter den Völkern des Kaukasus. Bei den Tschet- 
schenien ist er weit verbreitet. Namentlich zeigt ihn 
die gebildete Klasse, besonders wurde er auch bei den 
hohen Befehlshabern Hcbamyls bemerkt 13 ). Bei den 
K Urinern ist er ebenso allgemein wie bei den Zachuren ,s ). 
Die Stamme der Andier gelten für .luden, und ihr Aussehen 
ist so unbedingt jüdisch, daß sie von Warschauer Juden gar 
nicht zu unterscheiden sind. Bei der verachteten Stel- 
lung der letzteren und dem tiefgreifenden Haß der Russen 
gegen sie ist es erklärlich, daß sie aus den Andieru nie- 

•) Die Entstehung der Volkswirtschaft, 4. Aufl., 8. »31. 
'*) Läufer im .Globus", Bd. 87 (l»n;,), S. 246. 
Ratzel, Völkerkunde, Bd. H, IS. 3. 
v. Erckert, Der Kaukasus und seiue Völker, S. lSsf. 
v. Erckert, a. a. O., S. 225, 239, 248. 



mals Mannschaften zu dem National-Kavallerieregiment 
des Daghestan ausheben '«). Ebenso erinnern die Taten 
au Juden uud werden im Kaukasus vielfach für solche 
gehalten 11 ), und die Georgier zeigen den jüdischen Typ 
in edelster Form '*). Auch boi don Swaneteu wird er 
gefunden ") , und daß die Armenier große Ähnlichkeit 
mit Juden haben, ist ziemlich bekannt Pantuchow, ein 
russischer Schriftsteller, sagt, daß der semitische Typ, 
der sich nach dein allgemeinen Eindrucke durch eine 
besondere I^gc der Lippen und den Ausdruck der Augen 
kennzeichnet, mehr oder minder unter allen Nationen 
des Kaukasus beobachtet wird "). Ich könnte mich auch 
auf v. Lnschan berufen, trage aber Bedenken es zu tun, 
weil bei ihm der Schädel eine zu große Rolle spielt Da- 
gegen haben die kaukasischen Bergjuden mit den euro- 
päischen Juden weder somatisch noch sozial etwas gemein, 
denn sie haben dunkle Hautfarbe ") und sie hassen die 
europäischen Juden so sehr, daß sie sagen, es ist nicht 
gut, »i« durch «inen Schnitt in den Hals zu töten, sondern 
man muß sie in den Nacken steohen , um sie länger zu 
quälen *°). Übrigens haben sie sich erst vor verhältnis- 
mäßig kurzer Zeit zum mosaischen Gesetz bekehrt"). 

Bei der großen Energie, mit der der menschliche 
Körper seine Eigentümlichkeiten festhält, wird man 
schwerlich einen Zusammenhang zwischen den Völkern 
des Kaukasus und einem Teile der europäischen Juden 
in Abrede stellen können, und die Überlieferung weist 
ebenfalls auf einen solchen hin. Ich würde indessen den 
Leser überlasten, wenn ich jetzt schon darauf einginge. 
Ich will daher nur auf die Forschungen der Assyriologie 
hinweisen , die den Zusammenbang unserer Kultur mit 
der altbabylonischen nachgewiesen haben. 

") v. Erckert, a.a.O., 8. 27« f. 
,v > t. Erckert, a. a. O., S. 296. 
'*) v. Erckert, a. a. 0., S. 334 f. 

''") Merzbacher, Au* den Hochregionen de» Kaukasus. 

Bd. I, S. 3S7. 

") Bei Merzbacher. a.a.O., S. 215, Ann). 
'") v. Hahn, Au« dem Kaukasus, S. 20.1. 
") v. Hahn. a.a.O., 8. 1»2. 
") v. Hahn, a.a.O., B. 163. 



Die Vegetation der anbantarktlschen Inseln'). 

Die deutsche Hüdpolarexpedition von 1901 bis 1901} ver- 
breitet über *o manch« Seiten des antarktischen Lebens neues 
Lieht. K. Werth hat es unternommen, auf Grund der ge- 
machten Aufzeichnungen und mitgebrachten Manien uns 
die Vegetation der KerguelcninM;lu, der Possession- und lleard- 
Insel zu schildern, welche Arbeit wir den folgen.leu Zeilen 
zugrunde legen. 

Ali besonders charakteristisch erweiM sich die Azorella 
Selago Hook, f., sie ist überall bestimmend für das Laud- 
schufUbild, namentlich im weiten Innern der Hauptinsel mit 
seinen seenreichen TIUi-rn und Oden Bergplateaus. 

Bestimmend für da« pHaiizengeographisrhe Klima von 
Kerguelen ist der Wind, der folgende l'nanzunformationen 
schafft: die Wüste mit ganz vereinzelten PlUuzehen, die 
Tundra mit gleichmäßiger, aber durchbrochener Vegetation» 
decke, dio Heide mit ganz oder fai>t zusammenhangendem 
Pflanzenteppich. 

Der wüstenartige Charakter der klimatischen Vegetation« 
form vun Kerguelen ist im wesentlichen ein Produkt der 
stürmischen Winde; die austrocknende Wirkung derselben 
wird dann noch durch die niedrige Bonneuwarme des Randes 
unterstützt, welche die Bodentemperatur berabdriiekt. Die 
antarktische Windwüst« von Kerguelen zeigt eine reichlichere 
Vegetation nur an den windgeech'itzten 0»t- uud Hiidoirt- 
nl.lniiig.-ti uud in weniger hohem Or;»d.r auch an be»nmitcri 
Nordseiten der Berge. 

So bildet dann die l'mbellifero Azurella dort dichte. 
1 Kuß bis 1 rn oder mehr im Durchmesser hüllende Polster, 

') E. Werth, Die V <■*<■! ition .Irr »rib»utarktinbeü luivln. 
I.sutsche S>i.lpi.1»i*s|>#dltioii. H»r»u.g«-8el*n v.iti r.ri. h v. Orr- 
f.lUi. 14-1. VIII. Itetaeik, ll.it I. 40 M. 



I dio zuweilen direkt infolg.- ihrer OriiBe AnlaU zur Terrasaen- 
bildung au abschüssigen Gehangen geben. Der Polsterform 
| bedienen sich auch andere Gewächse, da sie in hohem Mafie 
; geeignet ist. gegen die mechanische wio austrocknende 
i Wirkung des Windes den denkbar besten Schutz zu ge- 
! wahren. 

Besonders markant ist der sogenannte Kerguelenkohl, 
, PriugloB antiscorbutiea R. Br., welchen man don Roeetteu- 
stauden zurechnen kann. 

Überall mit Azorella wächst Acaeua adscendens Vahl. 
als Kriechstrauch, wobei ihr Variationsvermögeu dasjenige 
von allen anderen Pflanzen von Kergiiolen übertrifft. Neben 
anderen Phanerogamen beteiligen sich Moose in groBer Zahl 
an der Znsammensetzung der klimatischen Formationen, auch 
eine reichliche Begleitscbaft von Hechten bildet einen wesent- 
lichen Bestand in der Vegetationsdecke, zumeist den Krusten- 
flechten zugehorend. 

Werth glaubt an eine erst in unverhältnismäßig junger 
Zeit stattgehabte Veränderung des Vegetationsbildes und 
meint die erst 1874 eingeführt«-!! Kaninchen »1» die Urheber 
derselben hinstelle» zu mü«en. 

Auffallend fällt das Uaungkeitsgebiet der Acaena mit 
dem der Kaninchen zusammen; erklärlich dadurch, daS die 
Acaena- Arte» Hakenfrncht« aufweisen, welche auch in der 
mutinalSlicheu südamerikauischen Urheimat der Acaena sich 
in den Pelz der dortigen Saugetiere hingen und so verbreitet 
wurden. In das Inner.- dringt Acaena deshalb nicht vor, 
weil dort die Kamin-lien nicht zu leben vermögen. Im 
Winter müssen sich diese an den durch Sturm ausgeworfe- 
nen Hicsentaug der Küste halten, da im Innom kein Blatt 
zu finden i»t- 

Was die edaphischeu Vegetati.msformen anbelangt, so ist 
znnttchst die r'elsformation zu nennen. Die Pflanzengenossen- 



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Bücherschau. 



schaft des felsigen Bodens biotot eine Auswahl der extremen 
Formen der allgemeinen VegeUtiousfonnen des Landes. Cha- 
rakteristisch sind für di« Felapflanzen die Parnpflauzeu, typisch 
für die Pflanzengenossenschaft der steilen BasalUbstürze die 
(rrüser Pestuca erecta und Poa kerguelensis; auch Agrostts 
antaretica i»t xu nennen, Axorella, Colobanthu* kerguelensis, 
Lyallia kerguelensis usw. In der die Felswände bewohnen- 
den Pflanzengenossenschaft treten die Moose in den Vorder- 
grund, wahrend zahlreich« Flechten allenthalben die Felsen 
überziehen. Im Bereiche der Spritzwogen geht die Formation 
der Felspflanxen in die Strand forma tion über. 

Auf den großen sumpfigen Teiehen spielt Acaena eben- 
falls eine grolle Bolle, doch ist sie hier mehr oder minder 
kriechend. Dazwischen ist Ranunculus biteruatus Hm. uber- 
all zu Anden und andere Gewächse- Zahlreiche Algen be- 
herbergen die Seen, Tümpel und Bache, Laub- und Lebermoose 
besiedeln in Masse die Sumpfe. Charakteristisch sind dio 
Pilze ('oprinus plieatili* Fr. und Bnrlaeina kerguelensis Herrn, 
sowie Lachnea Wertbiana Herrn. Dabei fehlt eigentliche 
Moorbildung vollständig auf den Kerguelen. 

Die Straudformation auf Kerguelen ist floristisch stärker 
charakterisiert als dl« übrigen. Ton Blutenpflanzen siud 
typisch C'otnla plumosa Hook, f., Tillaea moschata Dt'., Ha- 
nunculus trullifoliu« Ilook. f., dann die orangegelbe Krusten- 
Hecht« Placodiuui luoens Nyl., die Laubmoose Bryum nrgen- 
teum L. nnd Poitia fusco-mucronata C. H. 

Possessrion-Eiland zeigt eine ganz ähnliche Gliederung in 
der Vegetation der Insel; charakteristisch ist wieder die kli- 
matische Azoreltaiurmation, doch fehlt Acaena adscendens, 
ob infolge des ungünstigen Klimas oder sonstiger historischer 
Momente, ist zunächst nicht festzustellen. 

Wichtig ist ferner der jährlich« Entwickeluugsgang dar 
Kerguelen Vegetation, welcher sioli auf Orund der phänologi- 
sehen Beobachtungen feststellen ließ, und eine nicht un- 
wesentliche Ergänzung zu den Mitteilungen früherer Expe- 
ditionen liefert. 

Lassen wir die speziellen Einzelheiten beiseite, die mehr 
den Botaniker angehen, so können wir den Satz aufstellen: 
alle Kerguelenpflanzen blühen und fruchten nur einmal im 
Jahre. Die Hauptblütemonate sind die des Hochsommer» : 



Dezember und Januar, die Hauptfruchtzeit ist der wärmere 
Spätsommer: Februar und März. Die Reifung der Früchte 
erfordert oft eine lange Dauer; Pringle« *. B., welche Pflanze 
bereits Ende Dezember im Verblühen ist, tragt erst gegen 
Ende Februar in größerem Umfange reife Früchte. 

Die zeitig im Frühjahr bezüglich Prühsommer blühen- 
den Arten, wie Pringle« und Poa Oookii, entwickeln die neuen 
Laubblätter bereits im Herbst nnd Winter, bei Pringle« ist 
überdies der ganze Blutenstand schon im leisten Sommer in 
allen Einzelheiten angelegt worden. Di« winterliche Wachs- 
tumutfttigkeit der Laubblitter ist charakteristisch und bezeich- 
nend für die Vegetation von Kerguelen und entspricht dem 
geringen t'ntersehiede in der Temperatur des Sommers und 
Winters. 

Alle Kerguelenpflanzen sind mehrjährig, häufig siud auch 
die einzelnen Sprosse mehrjährig. Die ältesten Sprosse be- 
sitzt Pringlca; Verfasser schätzt das Alter mancher Stocke 
auf ein Vierteljahrhundert und darü)>er. Die Stöcke von 
Acaena scheinen nur alle zwei bis drei Jahre Blutenstände 
zu bilden. 

Das größte Lebensalter von den Kerguelenpflanzen be- 
sitzt wahrscheinlich Azorella Selago; mauche Polster im 
Innern des Landes an geschätzteren Lagen sind sicher mehr 
wie 100 Jahr»- alt. 

Von den Moosen scheinen die meisten steht zu bleiben. 
Die Haupt fruchtzeit der übrigen fällt in den Frühling und 
Sommer, d. h. den September bis Februar; nur ungefähr 
15 Pruz. der gestiuiuielteu Moose entstammen den Winter- 
mouaten oder März Iiis August. 

Die zinnoberroten Fruchtschüsseln von Lachnea Wer- 
th] an a Herrn, erschienen im Februar in großer Menge, auch 
Ende März zeigten sie sich noch; im Mai sah man nur noch 
schäbige Fruohtkürper. 

Von Interesse sind auch die phänologischen Beobachtungen 
an eingeschleppten Pflanzen und gesäten Gewächsen. Am 
17. Februar ltHK! ausgesät, keimten bereits am 2a. Kresse, 
am Tilge darauf Radieschen; am 1. März ging Kopfsalat 
auf, am 4. Winterrettich, Winterporree nnd Spinat. 

Wir kommen auf die folgenden Hefte bei allgemein 
interessierendem Inhalt zurück. E. Roth. 



Bücherschau. 



J. PeläkcT, Neue Forschungen zur Sozial- und Wirt- 
schaftsgeschichte der Slawen. I. Die älteren Be- 
ziehungen der Slawen zu Turkotataren und Germanen und 
Ihre soxlalgeschichtliche Bedeutung. Sonderabdruck au* 
der Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 
III. Stuttgart, W, Kohlhammer, 190S. 
Obgleich ich in di« Lage komme, im 3. Bande meiner 
, Rtbuogr. Beiträge zur germanisch slawischen Altertumskunde" 
mich eingehend auf demselben osteuropäischen Boden mit 
den hier vorgetragenen Aufstellungen des Verfassers ausein- 
anderzusetzen, mochte ich doch nicht versäumen, schon hier 
kurz auf das merkwürdige Buch aufmerksam zu machen. 
Wie die früheren Schriften l'eiskers , so fesselt auch diese 
durch die Neuheit der Gedanken , den Spürsinn der Beweis- 
führung, aber auch durch die Kühnheit der Kombinationen, 
die den bisherigen Gesichtspunkt für die Beurteilung der ur- 
slawischen Zustände vollständig zu verrücken verspricht. Wenn 
der Verfasser sich bisher damit begnügt, hat, den slawischen 
Baum von einigen dürren Asten zu befreien («Die serbisch* 
Zadrüga', Zeitschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte VII), 
so legt er hier seine Axt an die Wurzel des Stammes selbst, 
indem er behauptet, daß dieser durch die fortdauernden und 
schließlieh in eine Uberschichtung auslaufenden Einbrüche 
der Toranier nicht nur in seiner natürlichen Entwicklung 
gehemmt, sondern in seinem innersteu Lebensmark unheilbar 
gesehadigrt wäre (S. ii). Die Turkotataren, in denen Peisker von 
Urzeiten her die Nachbaren und Feinde der Slawen sieht, 
Tibnrschweuimton ihre Sitze, vergewaltigten ihre Weiber, schän- 
deten Ihr Blut, raubten ihnen nicht nur ihr Vieh, sondern 
nahmen auch ihre Weiden in Beschlag, so daß sie sich außer- 
stande sahen . eine geregelt« Viebwirt*chaft zu führen. Auf 
diese Weise erklärt sich nach Peisker der allerdings auffällige 
Umstand, daß das Slawische ein eigenes Wort nur für di« 
Biestmilch bat (mlezi), die die Kuh dem Kalbe gibt, keines 
für di« Nutzraiich (mlckof, das es vielmehr erst samt den Aus- 
drücken für Rindvieh (nulA, skotü) dem Germanischen ent- 
nommen bat. Wie der Verfasser den Berieht des fränkischen 
Kredogar über die jährliche Einlagerung der Awaren in die 
böhmischen Dörfer als Beispiel heranzieht für die von ihm 
behaupteten Gepflogenheiten der Turanier, so einen Beru ht 
des Konstantin Porphyrogeuet dem zufolge die .Russen" 



kein Vieh besäßen, daß sie vielmehr von den PeUehtnegen 
kaufen müßten ('), als Zeugnis für die abträglichen Folgen 
derartiger Unbilden; indessen hergenommen, wie sie sind von 
exponierten Außcnj>osten einer späteren Zeit, beweisen diese 
Fälle nichts für die wald- und sumpfbedeckten, schwer zu- 
gänglichen Ursitze der Slawen im Kücken der Karpathen. 
Es bleibt da« Zusammentreffen j*n«r drei Lehnwörter, deren 
Beweiskraft schon dadurch leidet, daß sie nicht allein stehen, 
sondern einer förmlichen Sturmflut von germanischen Entleh- 
nungen angehören, die sich im Anfange unserer Zeitrechnung 
über die Slawen ergossen bat, die aber noch weniger besagen 
angesichts der Tatsache, daß ihueu auf der anderen Seite keine 
entsprechende Anzahl von alten turanischen Entlehnungen 
gegenübersteht, denn solche fehlen so gut wie gänzlich (am 
auffälligsten noch klobuk .Hut* vom turanischen kalpak, 
wiewohl nicht russisch: auch das von Peisker angeführte 
tvarog .Quark 1 ist nicht gemeinslawisch). Diese von P««ker 
nicht beuchtet« Lücke ist durch nichts auszufüllen, auch 
nicht durch den letzten und stärksten Trumpf, deu er aus 
der Wüste Gobi hervorholt, einen .anthropogeograpbischen 
Beweis*, wie er es nennt, der nicht weniger besagt, als daß 
nur Turkotataren, als Nomaden von Anbeginn, in den 
südrussischen Steppen ausdauern könnten , während ein seß- 
haftes Volk, auch wenn in die Steppe gedrängt, aus Mangel 
an Vieh untergehen müßte. Gegeu diese neue Art der 
Beweisführung verwahre ich mich entschieden; wohin man 
damit kommt, zeigt uns Peisker selbst, indem er die Mög- 
lichkeit offen läßt, daß sogar die arabischen Beduinen 
nicht« als semillsierte Turanier seien (S. 47). Was wissen 
wir denn von den Anfängen der Arier zu einer Zeit, als 
die Unterschiede in der Lebensweise noch fließender waren! 
Nichts oiufaeher, als heute, wo es keine arischen Nomaden 
mehr gibt, alles, was man nur noch bei Turaniern beob- 
achten kann, für eigens turauisch zu erklären, und 
das, was in die Beweisführung nicht paßt, auf Mischungen 
hinzuführen, mit denen Peisker sich genötigt sieht, z. B. 
bei der Krage der Skythen , fortwährend zu operieren. Sind 
die alten Preußen verkappte Turanier, weil ihre Vornehmen, 
dio noeh dazu germanisch benannten Witinge, sich in Ku- 
mys l*raiischteu (Altpr. Mouatsschr. IX, S. 330 ff.), wie da- 
nach wohl auch ihre nächsten Verwandten, die 



l.itau.r, 



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Büoherschau. 



diu blondeste Volk der Welt, bei denen mitteii iru Walde 
noch heilt« alles reitet, Weiber and Kinder (0. (Hagau, Litauen, 
8. loa)? Selbst die „aller Sitte arischer Völker widerstrebende 
Roheit* (8. +1 nach Kiepert), die Lieblingsfran, Diener- 
schaft usw. auf dem Grabe zu schlachten, findet ihr Gegen- 
stück im heidnischen Schweden, nur mit der Verschärfung, 
dal) die Frau (des Königs) lebendig mit ihm iui Hügel bei- 
gesetzt wurde (Weinh., Altnord. Leben, 8.277). Noch genauer 
entspricht der Bericht des Arabers Ihn Fadhl&n, wie die heid- 
nischen .Russen" ein Mädchen, das sich einem verstorbenen 
Großen zu Ehren dem Tode geweiht, unter wahrhaft bestia- 
lischen Bräuchen »»«schlachteten (Schieinann, Oescb. Rußlands 
I, 8. 3:1 — SSI. — Übrigens ist die Bkythenfrage nebensächlich, 
Tatsache ist, daß gerade die eigentlichen Skythen iranisch 
sprachen (8. 32) und ihre Familien auf Wagen mit sich 
fühlten (8. 51), was allem turanischen Brauch widerspricht, - 
und daß die Männer uebenher ritten (oder sollten sie ihre ' 
Pferde am Zügel führen*), ist bei einem Steppenvolke nur 
selbstverständlich und kann nicht, wie Peisker seltsamerweise 
will, als Beweis für einen turauischen Kern geltend gemacht 
werden. Auch die Kopfbedeckung der Skythen (Abb. 2, 3) 
zeigt nicht den turanischen kalpak. Andererseits scheinen 
die straffen, groben Hunre der Bilder auf fremde, wo nicht 
turanische, sn ugrise.he Mischung zu deuten (von Bartlnsig- 
kelt, wie Peisker erklärt, finde ich bei Hippokrates nichu, 
S. 36 vgl. mit S. 41). 

Gaul anders steht es mit dem /weiten schon früher (Zeit- 
schrift f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte V, S. 3M ff.) von 
ihm behandelten, liier weiter begründeten Satz (6. 143 ff.), 
für den der Kaum mir aber nur einige Worte läßt. Hier bat 
Peisker dargetan, daß unter den steinschen Slowenen gegen 
das ausgehende Mittelalter eine Zweischichtung bestand, bei 
der die „Supane" gegen die gemeinen Bauern durch größe- 
ren Landbesitz, umfassende Weiderecht« und vielleicht ur- 
sprünglich ausschließliche Verfügung über die Mark bevorzugt 
waren. Wenn die Stellung der Supane in Meißen, wo sie j 
etwa um die gleiche Zeit vorkommen, gegenüber den öuiur- 
den anders geartet Ist, so kann das der deutschen Neuordnung 1 
zugeschrieben werden, die ja auch bei den steinschen Su- 1 
panen, wie die Besiedelung des Pettauer Feldes zeigt (8. 1(S4 
vgl. mit S. 134 ff.) in ähnlicher Weise ciugegriJTcn hat. (Die 
Annahme Rachfahls in den Jahrb. f. Nat.-Ükon. u. Statist., 
Rd. 74, S. 'J04, daß nicht die slawisch benannten Smurdeu, 
sondern die germanisch benannten Lazzen den Kern der 
ululaviscben Bevölkerung ausmachten, ist unhaltbar.) Einer- 
lei aber, wie mau sich zu diesen Schwierigkeiten stellt, der 
Versuch des Verfassers, von einer bisher unbeachteten Seite 
in die slawische Urzeit einzudringen, behält seinen Wert, 
auch wenn es »ich herausstellen »<>llte, daß der Angriffspunkt 
nicht richtig gewählt war. K. Rhamm. 

Ernst tob Hes»e -Wartegg, Indion und seine Fürsten- 
höf e. VIII u. 4rt4 8. Mit 142 Abb. Stuttgart, Union 
Deutsche Verlagsgesellsehaft. 14 M. 
Die Zahl der touristischen Bücher über Indien hat sich 
wieder um ein neues vermehrt, dessen Verfasser der bekannte 
Beisefcuilletonist v. Hesse- Wurtegg ist. Man wird nicht er- 
warten dürfen, darin etwas Neues zu finden, zumal der Ver- 
fasser sich zumeist mit den oft besuchten und geschilderten 
Touristenzielen beschäftigt. Gelegentlich werden wir aller- 
dings auch in seltener von Globetrottern beschriebene Ort 
liebkeiten geführt, so gleich zu Anfang in die siidiudischen 
Fürstentümer Kotschiu und Travancore, später nach dein 
Duodezstaate Bundelkhand, dem Fürstentum Alwar (bei Delhi) 
und dein Opiumstaate Bullau). Besonder* Kapitel betreffen 
das Kelsen auf den indischen Eisenbahnen, von dem der Ver- 
fasser nicht viel Gutes zu berichten hat, Kuriosa aus dem 
Kastenwesen, die KunsUtückchen der „Fakire", militärische Ver- 
hältnisse und Klefauteu- und Tigerkiitn|ife, die indossen wohl 
nicht aus eigener Anschauung beschrieben werden. Der Ver- 
fasser ist ein gewandter Erzähler und weiß die Dinge in ein 
interessantes Licht zu rücken, und darin liegt der Wert auch 
seines neuen Buches. Flüchtigkeiten und Irrtümer muß man 
mit in den Kauf nehmen , und mit den Millionen und Jahr- 
tausenden wird etwas leicht umgesprungen. Gleich im Vor- 
wort wiril eu passant gesagt, Indiens Großstädte seien Jahr- 
tausende alt und reichten bis über die Zeit der Erbauung 
der Pyramiden hinaus. Midlich; aber darüber wissen wir 
nichu. S. 85 wird das Areal Indiens auf 2 Millionen, 8. 4SU 
auf gegen 5 Millionen Quadratkilometer (richtig) angegeben. 
Womit laßt sieb erweisen, daß (8. 17) die Judengemeind« von 
Kot-chin von König Salom.. gegründet sei» Gleich dahinter 



wird von der Einwanderung dieser Juden nach der Zerstörung 
Jerusalems durch Titus gesprochen. Mythen und Legenden 
werden für bare Münze dem Leser gegenüber ausgegeben 
(Tod des Märtyrers Thomas hei Madras). Von Darjeeling 
aus will der Verfasser den Gaurisankar gesehen haben. Wir 
wissen nicht, ob das sein kann; jedenfalls aber hätte er nicht 
von diesem Berge sagen dürfen, er trag« den englischen Na- 
men Moiinl Everest (8. 141). Man weiß doch sehon seit eini- 
gen Jahren , daß das zwei ganz verschiedene Berge sind. 
Durch solche Angaben in populären Büchern wird Schaden 
augerichtet. Manches von dem, was Uber die englische Herr- 
schaft und die sozialen Zustände gesagt wird, ist beachtens- 
wert, doch sind diese Dinge nur kurz berührt. Bezweifeln 
möchten wir indessen, ob man (8. 313) sagen kann, es gebe 
von England .ganz unabhängige" Staaten in Indien. Bhutan 
| hat der Verfasser hier nicht im Auge. Das Buch ist mit 
' einer Fülle schöner Abbildungen und auch sonst gut aus- 
gestattet. 

A. villi GeBnep, Mythes et legendes d'Australie. Etudes 
d'Kthnographie. Paris, E. Guilraoto, 190G. 
Der Verfasser vou.Tabou et Totemiame en Madagaskar* 
hat sich neuerdings den Problemen der australischen Ethno- 
logie zugewandt. Wie schon der Untertitel andeutet, ist 
dem Verfasser selbst die umfangreiche Einleitung der wesent- 
lichste Teil des Werkes, eine Darstellung der für das Ver- 
ständnis der Erzählungen wichtigen australischen Zustände 
und Anschauungen, eine Beleuchtung der daran sich knüpfen- 
den Fragen und eine Kritik der versuchten Lösungen. Da 
wird über die somatische und kulturelle Stellung der Austra- 
lier, über die VerwandUchafusysteme, über die Primitivität 
der Arunta, über Wandlungen der sozialen Einrichtungen, 
über die Anschauungen von Geburt und Wiedergeburt, Uber 
Wiedergeburt und Totemismus, über das Schwirrholz und 
) seine Rolle in dem Gegensatz der esoterischen und esoteri- 
schen Religion, über Zauber und magische Kräfte, über den 
I Zusammenhang von Mythus und Kulthandlung, endlich Ober 
I Art, Bedeutung und Einteilung der australischen Erzählungen 
gesprochen. Mit Eifer und einem dem Franzosen besonders eige- 
nen Geschick hat sich van Gennep in ein ihm bis dahin äugen 
scheinlich ziemlioh fremdes Gebiet hineingefunden und wenig- 
stens in einigen der strittigen Fragen mit sicherem Gefühl eine 
Stellung ergriffen, die trotz der bisweilen ungenügenden Beweis- 
führung im wesentlichen richtig ist. So kann ich der Ab- 
lehnung der Schoetensack ■ Klaatsch sehen Theorien nur bei- 
stimmen, wenn auch der Grundfehler dieser Theorien nicht 
erfaßt ist. Und ganz zweifellos hat er Lang* autoritativer 
Ansicht gegenüber recht, daß bei der Verbindung von Veter- 
und Mutterrecht in Australien wenigstens im aligemeinen 
Kombination, nicht Entwickelung des einen aus dem anderen 
vorliegt. Schwächer ist seine Ableitung der verschiedenen 
Deszendenz von den verschiedenen Anschauungen über Kon- 
zeption, und ebenso unglücklich seine Stellungnahme bei den 
Verteidigern der Arunta-Primitivitüt. Immerhin ist er doch 
Lang gegenüber auch hier im Becht, daß Primitivität eben 
ein relativer Bqrriff und jedenfalls größere Komplexität nicht 
immer ein Beweisgrund für hohe Entwickelung ist. Der 
entscheidende Punkt, daß nämlich die Aruntaform des To- 
temixmus selbst nichu weniger als ursprünglich ist gegenüber 
der der übrigen Australier, ist von beiden nicht erfaß« worden. 
Ganz unglücklich und leider nicht scherzhaft gemeint ist 
die geflissentlich« Vergleichung australischer Vorstellungen 
und Mythologeme mit Anschauungen der neuesten Natur- 
wissenschaft, voll anzuerkennen aber wiederum die Bedeutung 
der Tatsache, daß selbst in primitivsten Völkern wie den 
Australiern das Individuum eine nicht zu unterschätzende 
Bolle spielt und den eigentlichen historischen Faktor dar- 
stellt. Von der Verwendbarkeit der Arunta - Legenden als 
historische Quellen wird uns der Verfasser dagegen wieder 
nicht überzeugen können. 

Die Erzählungen selbst, die in sachlicher Anordnung 
durchweg bekannten Werken entnommen sind , lesen sich 
fließend und Bind im wesentlichen gut übersetzt. Dankens- 
, wert sind die zahlreichen und teilweise umfangreichen An- 
merkungen, die das Verständnis erleichtern und mit ihren 
mannigfachen Verweisen von einer recht guten Durcharbei- 
tung Zeugin? ablegen. Auch hier ist noch eine ziemliche 
Anzahl kritischer Bemerkungen enthalten. Alles in allem 
ist van üeuneps Buch eiu erfreuliches Zeichen, daß auch in 
Frankreich das ethnologische Interesse lebendig bleibt oder 
wieder zum Leben erwacht. F. Graebner. 



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Kleine Naohriohten. 



131 



Kleine Nachrichten. 



— Endrös hat seine Seiehesuntersuchungcn neuer- 
dings auch auf die Seen de« Salzkatumergutes aus- 
gedehnt (Petermanns Mitteilungen 1906, Heft 11). Mittels 
des von ihm vereinfachten transportablen Limuimeters und 
das von ihm eraonnenen Zaigerlitnnimeteri gelang es ihm in 
lehn Tagen, die wichtigsten Seichesgroß«» von sieben Seen 
zu finden. Die Übereinstimmung mit der neuen exakten 
hydrodynamischen Theorie der Seiches von Chrystal im Oe- 
genaaU au dar unzulänglichen Theorie von du Boys ist in 
den meisten Fällen vorhanden. Geographisch besonders Inter- 
essant ist das Resultat, daß die Beckenform des Mondsees, 
soweit sie aus den Simon y sehen Lotungen hervorgeht, mit 
der Wirklichkeit wahrscheinlich nioht übereinstimmt und 
die größte Tiefe dieses Seea noch nicht gefunden ixt, da der 
Knoten der Hanptschwingnng nach der Berechnung an die 
Stelle der grollten Tiefe fallen müßte , wahrend nach der 
bisherigen Auslotnng diese Stelle 1 km nordlicher fällt. Der 
St. Wolfgangsee bildet ein Gegenstück zum Waginger- 
Taehingersee, da auch er in der Mitte eine starke Ein- 
schnürung und infolgedessen eine nach der du Boys sehen 
Begel viel zu groCe Periodendauer dar Hauptschwingung be- 
sitzt. An dieaem See haben Grund- und erst« Oberschwingung 
das Verhältnis von 1:0,19, das kleinste bis jetzt an Seen 
beobachtete. 

Folgende Tabelle faßt die beobachteten Seichesperioden 



HalbfaO. 

— Fast unglaublich klingt, was Kalomori Reinach nach 
einem Berichte der Alliance isra£lile in L'Anthropologie 1806, 
S. 633 von einem kurdischen Begenzauber berichtet. 
Bleibt im Frühling oder zu Beginn des Winters der Regen 
in Kurdistan aus, danu gaben die Kurdeu auf einen jüdischen 
Friedhof, reiften die kürzlich Bestatteten aus den Gräbern, 
schneiden ihnen die Köpfe ab und werfen diese in einen FluB. 
Die Kurden glauben auf diese Weise den Zorn dea Himmel« 
zu stillen und Regen hervorzurufen. Beschwerden der Juden 
beim Gouverneur blieben 



anderer Inseln: Bali, Timor, die Saleier, I elebes, Pumbawa. 
besucht. Eiugebend behandelt Heger das m Weltevreden bei 
Batavia gelegene Museum der Bataviaasch Genootschap, das 
in bezug auf Schätze aus dem malaiischen Archipel über- 
reich ist, über deren Aufstellung und Konservierung aber 
kein günstiges Urteil gefallt wird. 





Dauer 


Verhältnis 








beider 


See 


der Haupt- 


der Ober- 


Schwin- 




schwlngung achwingung 


gungen 




in Minuten , in Minuten 


zueinander 




5,0 


3,0 
»,0 


0.60 




15,4 


0,62 




9.5 








11,8 


6,5 


0.58 




22,4 


11,8 


0,53 


HallsUtter Kee , . . . 


IM 


6,4 


0,38 


8t. Wolfgangsee .... 


32.0 


6,24 


0.19 



— Den so oft erörterten Fetischismus der Neger hat 
Missionar SpiaB in Togo aufs neue zum Gegenstand« einer 
Abhandlung gemacht, die den Vorzug hat, eine grolle Anzahl 
gut beglaubigter Beispiele zur Grundlage zu haben. Fetisch, 
vom portugiesischen feitico (aus dem lateinischen factitius), 
ist bekanntlich etwas Gemachtes, ein künstliche» Gebilde. 
Mit dem Gotteaglauben der Neger hat es uichu zu tun; es 
ist der Fetischismus vielmehr dem Aberglauben, Zauberei- 
nnd Wahrsage wesen bei uns gleich zu stellen, die ja auch 
nicht zur Religion gehören, wenn sie auch oft an diese heran- 
streifen. Der Evhesprache kundig, hat nun Missionar Spielt, 
um ganz klare Vorstellungen über die verschiedenen Formen 
des Fetischismus zu erhalten , eine große Anzahl Neger und 
Negerinnen über ihre F«ti*ohhaiid)ung«n ausgefragt und gauau 
die Angaben niedergeschrieben. So bat Spieß uns recht zu- 
verlässig« Kunde vermittelt und namentlich die Grenze zwi- 
schen Fetischismus und Religion der Neger genau festgestellt. 
Dl« Abhandlung steht in „Deutsche Geographische BliUter' 
1906, Band 4», Heft 4. 

— Der Direktor de» ethnographischen Museums in Wien, 
Franz Heger, berichtet in den Annalen des Naturhistori- 
schen Hofniuseums, Bd. 21, über seine erfolgreiche Studien- 
reise nach N iederländisch - Indien , die er 11*04 zu 
Sammolzwecken unternommen. Der Hauptaufenthalt wurde 
anf Java genommen, außerdem wurde eine größere Anzahl 



— Das kanadische Begierungsschiff „Arctic", das frühere 
deutsche Südpolarschiff .Gauss , hat im Sommer 1806 unter 
dem Kommando des Kapitäns Bernier eine Fahrt nach 
dem arktischen Amerika ausgeführt, zu dem Zwacke, die 
dortigen Inseln (Parryarchipel usw.) für die kanadisch« Re- 
gierung formlich in Besitz zu nehmen, Die „Arctic", die als 
Polizeischiff in der Baftinbai stationiert war, erreichte am 
16. August die Bylotinsel und fuhr in den Lancastorsund und 
die Barrowstraße ein. Sie lief hier Port Leopold an (an dar 
Nordostecke von North Somerset), wo die Amundsenvcbe Gjöa- 
Expedition «in Depot angelegt- hatte, und segelte der Ostkante 
eines dichten Pnckeis'eldes entlang zur ürifuthinsel , dann 
nach der Cornwallis- uud Bathurstin-iel, deren Besitzergreifung 
vollzogen und durch Errichtung von Steinhaufen mit Doku- 
menten darüber ausgedrückt wurde. Bei dieser Arbeit wurde 
die , Arctic" einmal auf drei Tage vom Eise besetzt Bei 
Kap Cockburu auf der Bathurstinsel wurde noch MeClintocks 
Bericht von 1851 vorgefunden. Weiter ging die Fahrt west- 
wärts zur Byam Martininsel , wobei sehr schweres Eis zu 
passieren war; doch wurde eine Laudung etwa* westlich von 
der Südspitze, Kap Gillman , ausgeführt. Die nächste der 
Parryinseln, Melville, wurde am 30. August an einer unter 
75* 6' nördl. Br. und 106* wettl. L. liegenden Stelle (etwa bei 
Point Grlfflth) erreicht und Kanada einverleibt. Dem gleichen 
Schicksal verfielen hierauf die Inseln Prince Patrick, die 
westlichste bekannte Insel des Archipels, Eglinton und Ein«- 
rald. Auf der Rückreise fuhr Bernier ein Stück den Peel- 
sund hinauf und besuchte die Erebusbai (Beecheyinael) , wo 
am 4. und 3. September das Franklindenkmal ausgebessert 
wurde. Schließlich wurde der Admiralty Inlet. der vom 
Lnncastersund südwärts in Cockbumluud einschneidet, unter- 
sucht. In den Verzweigungen des Admiralty Inlet gelangte 
Bernier bis zu einer Stelle unter 71* 14' nordl. Br. und 
85" woetl. L., wo das Wasser »ich noch weiter out- und süd- 
wärts fortsetzte. Er glaubte indessen, daß hier ein Schiff 
wie die .Arctic* südwärts nicht durchkommen würde, und 
ging nach Fonds Inlet zurück, wo er am 9. September an 
langt«. Bernier» Karte seiner Fahrt im Admiralty Inlet wird 
von Iuteraase sein. Hoffentlich hat er auch sonst mehr heim- 
gebracht als seine .Besitzergreifungen*; die meisten der von 
ihm besuchten Meeresteile hat seit der Franklinsuch«rz«it 
kein Forscher wehr befahren. 

— Im Frühjahr 1908 wurden vou der Kolonialverwaltung 
zwei wissenschaftliche Forschungsezpeditionen auf Vorschlag 
uud nach dein Plane der Landeskundlichen Kommission des 
Kolonialrates uach Deutsch-Ostafrika ausgesandt. Die 
eine Expedition anter Dr. Fritz .Iii gor (mit Eduard Oehler 
als Begleiter) sollte geographische Studien in dem Gebiete 
zwischen dem Kilimandscharo und dem Victoria Njansa vor- 
nehmen. Die andere unter Prof. Dr. Weule (nach Abände- 
rung der ursprünglichen Aufgabe) sich der Untersuchung der 
ethnologischen Verhältnisse im Hinterlande von Lindi und 
Mlkidani (vgl. die Notiz Globus, Bd. 90, S.3S8) in umfassend 
ster Weise widmen (Danckelmans Mitteilungen, 190«, 4. Heft. 
Zur genügenden Orientierung eignet »ich am besten Dr. Dantz' 
Kart« von Deutsch Ostafrika [l:2uoo0O0], Dauckelm. Mitt., 
Jahrg. 1904). 

Dr. Jäger brach Ende Juni 11*06 von der Ostknste auf 
und folgte zuerst der Karawanenstraße von Korogwe (am 
Sfldrande von Usambara) über Mgera (an der Nordspitze von 
Ungun) bis zu den Kidjungubergen in der großen Masaisteppv. 
Als nächstes Ziel setzte er «ich die Erreichung des in den 
Karten wohl eingezeichneten, aber noch von keinem Euro- 
päer besuchten Kiniaroksees. Die allgemeine Lage des 
vermeintlichen Sees im Norden der Kidjunguberg« war rich- 
tig, doch in zu geringer Entfernung von denselben; der See 
befindet sich ziemlich nahe am l'angani, da, wo dessen linkes 
Ufer an die Lassitiberge herantritt. Ferner stellt' 1 sich her- 
aus, daß Kiniarok nur eine Grasetoppe, ounn jede Spur von 
Wasser, selbst nach kaum beendeter Regenzeit, ist. Dagegen 
ftndeu sich in den Talmulden und in den Höhlungen flacher 
Felsknppe» weit zerstreut in der ganzen M:i«Bisteppc Was<er- 



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i:»2 



Kleiue Neohrichten. 



löcher, von deneu einige ui« völlig anatrocknen und 60 m 
lang, 20 m und 1 Iii» 1'/, m tief «Ind. Von dienern noch un- 
erforschten Teile der Maaaisteppe konstatierte Dr. Jäger, daß 
er ein« eben« Abtragungafläche mit einzelnen Inselbergen 
sei, bestehend au* Oneii und Granit, überdeckt von Latent, 
in den Mulden mit schwarzem Moorboden erfüllt. Die Fläche 
iat nicht, wie man bisher annahm, ein abflußlose» Becken, 
sondern besitzt eine nordöstliche Neigung tum Graben de« 
Panganiflusael. Mit diesen neuen geographischen Beiträgen 
tchlieOt einstweilen der Beisebericbt ab. Interessant dürfte 
außerdem noch sein, was Dr. Jäger, der von Muschi aus vom 
10. bis 2S. Auguit die 8hdwe«t»elte des Kilio bi« Jura Fenck- 
gletacher bestieg, (Iber die Entstehung des „Büßerschneea" 
(Nieve penitente) bemerkt: ,. Zuerst entstehen schmale, »teil 
stehende Kirnblatter, die in dar Kompaßrichtung hin- 
ziehen, unbekümmert um die Neigung der Firnoberflftche, über 
Tiller und Rücken hinweg. Krst nachtraglich werden diese 
Firnblätter in der Richtung des größten Gefalle« zerschnitten, 
also offenbar durch Schmelzwässer. So entstcheu dann ein- 
zelne Zacken, die .Büßer". Für die Entstehung der Fim- 
blatter, die 285° streichen, vermag ich ebensowenig eine 
befriedigende Erklärung zu geben, wie sie bisher gegeben 
wurde. Ich vermute auch, daß die Blätter durch die Soonou- 
strahlung aufgeschmolzen werden, kaou aber noch nicht 
sagen, wie.' Von Aruscha, am KuOe des Kilimandscharo, 
wendete er sich nach Westen und erreichte über Iraku und 
den Hohenlube-Se* am 15. November 190« Muansa am Vic- 
toria Njansa, und er gedenkt nach der Durchforschung de« 
abflußlosen Seengebietes im Nordosten etwa im Juni 1907 au 
der Külte wieder einzutreffen. 

Aua den kurzen Berichten da« Dr. Weule i«t vorläufig nur 
die eingeschlagene Reiseroute zu entnehmen. Am 11. Juli 
marschierte er durch das Lukuledital nach Massassi ab, wo 
er sich zwei Wochen aufhielt. Von hier durchstreifte er die 
Gegenden südlich bis zur Mündung des Bangnla in den Ro- 

Am 18. Novamber kam er nach Lindi zurück, um im De- 
zember die Heimreise anzutreten. Zur Hauptaufgabe hatte 
er sich gemacht, Sprache, Abstammung. Gebräuche und 
Lebern« eis« der Wajao, Makua, Wakonde und Wamuera ein- 
gehend zu studieren, ausgerüstet mit photo-, phono- und 
kinematographischen ApjMvratcn. £Lne sehr wesentliche Bei- 
hilfe boi der Enträtselung de« auch den benachbarten Küsteti- 
negera unbekannten Wajaodialekts leiatete ihm der Norweger 
Knudsen, «eit Jahren Uandwerkslehrer in Lindi. Die Kennt- 
nis des Ki-jao hat nicht nur einen wissenschaftlichen, sondern 
auch «inen praktischen Zweck, da e» in den Lindern «wischen 
der Külte und dem Njaaeasee dieselbe Rolle als Verkebrs- 
■pracbe spielt, wie das Ki-Suaheli im äquatorialen Oatafrika. 

Da Dr. Weule die Lebensweise und Handwerkstätigkeit 
und die Wohnstätten der Eingeborenen bis in alle nur mög- 
lichen Einzelheiten studierte, mittel» de« Kine-, Photo- und 
Phonographen da« Gesehen« und tiehörte lebendig getreu 
fixiert« und ül>erdie* an ethnographischen Gegenständen gegen 
1SO0 StOck gesammelt hat, «o ist zu erwarten, daß die Resul- 
tate seiner Expedition Ton außergewöhnlichem Interesae sein 
werden. B. F. 



— A. Delebecriue bat drei Heen im Zirkus von 
Rabuons (Seealpen) ausgelotet (Uompt. rend. de l'aoa- 
demie francaise, 29. Oktober löufi). welche die hochstgelegsn- 
slen Seen Krankreichs sind, die bisher ausgepeilt wurden. 
Es sind die« der große See von Rabuons (2,"«20 m hoch, 54 m 
tief) und dio beiden olntren Seen de» gleichen Namens in 
2«15 brw. 2ö;kim Hohe und 10,7 bzw. 10,S m Tiefe. Die 
Durchsichtigkeit des großen Sees iat 8,i, des tiefer gelegonen 
kleinen Seas 10 m (am 2S. Juli IVO«). Der i-'ha große Ra- 
buonasee i»t der vierttlef«te See der französischen Alpen und 
wird an Tiefe nur Ton den Seen von Girotte, Uotepen und 
Lovitel übertroffen. Hall.faß. 



— Eine Reise in den zentralen Teil von Borneo 
l>esehrelbt Kapitän ,1. J. Stolk in der „Tijdschrift van hat 
Ned.rl. Aardrijkskundig Genootschap", 1907, Heft 1. Bei- 
gegeben ist eine Koutenkart* in 1 200UOO. Die Reise, die 
den Oktotx-r 1906 in Anspruch nahm, Imgann in l'uruk Tjahu 
am Barito (0° 3ö' «üdl. Br.) und ging den vom Tumbang 
Babuat ab unbekannten Oberlauf dieses Flusses hinauf. 
Dieaer ist vielfach von Schnellen durchsetzt, über die die 
Boot« himiltergescharit werden mußten. Schließlich hörten 
die Dorfer auf, und mau kam vom Tumbang Djuloi (etwa 
0' 10' «üdl. Br.) ab in unbewohnte« Gebiet. Der Fluß heißt 
dort Busang. Stolk überschritt dann die Wasserscheide zwi- 
schen dem Barito und dein Mahakam und erreichte am 



Kasauflusse die Reisewege Nieuwenhuis'. In den dortigen 
Gebirgen , die die Uauptwasoerscheide der lniel , einen 
Quellenknoten bilden, traf man häutiger auf die Ansiedelun- 
gen der Dajnks. Den Rückweg bewerkstelligte Stolk , indem 
er zunächst nach Südwesten und Westen abbog und lieh 
auf der Wasserscheide Mahakam — Kapuas und Kapuaa— Ba- 
rito bewegte. Schließlich erreichte er einen westlichen Neben- 
fluß des Busang-Barito und fuhr nach seinem Ausgangspunkt« 
zurück. 

— Erland XordenskiOld» archäologische Unter- 
suchungen in den Grenzgebieten von Peru und Bo- 
livia sind in den Verhandlungen der schwedischen Akademie 
der Wissenschaften, Bd. 42, Nr. 2 jetst erschienen. Die Ex- 
pedition fand in den Jahren 1*04 bis 1905 statt und erstreckte 
aich auf da» im Norden des Titicaeaseei gelegene Borggebiet, 
in dem heute namentlich Quichua hausen. Sehr zahlreiche 
Gräber wurden geöffnet und deren Inhalt genau untersucht, 
wobei reiche Au»beute gemacht wurde, trotzdem «ich zeigt«, 
daß die Gräber schon vielfach vorher geöffnet worden waren. 
Sebon Bandelier hatte gezeigt, daß die alte Art der Bestattung 
noch über 100 Jahre nach der Ankunft der Spanier fort- 
gesetzt wurde, ja daß teilweise die Gräber, mindestens bis in 
die Mitte des 17. Jahrhunderts, von den Indianern erneuert 
wurden; man brachte wiederholt Speise und Trank in die 
alten Gräber, woraus hervorgeht, daß die jetzt darin gefun- 
denen Gefäße nicht die ursprünglichen ««in konnten. Norden- 
akiöld fand bei «einen Nachgrabungen dieses bestätigt, indem 
er in vielen Fällen moderne Beigaben in den wiedergeöffneten 
Gräbern entdeckte, moderne Glasflaschen, Kreuze, vergoldete 
Glasperlen. Kubhorner u. dg]., alles Dinge, die erst mit den 
Spaniern in» Land kamen. Es war daher genau auf die 
Untersuchung von alt und neu zu achten. Unter den der 
alten Kultur angehangen Sachen Helen namentlich, abgesehen 
von den bemalten Gefäßen , die Nadeln (Topo) mit Doppel- 
köpfen auf, die aus einer Kupferlegierung bestanden uud 
Lamaköpfe zeigen. Von Belang ist auch, waa Nordenskiöld 
über das nicht seltene Vorkommen der Petroglyphon mitteilt, 
die er nach «chwediacher Art als Hällristningar bezeichnet- 
Diese Fetsritzuugen von Tieren (Hirschen usw.) nnd Manschen 
sind in der bekannten urtümlichen Weise hergestellt und 
werden in guten Abbildungen, t. B. aus d«r Höhle von Corani 
in Peru, wiedergegeben. Reich war die Auabeut« an Geräten 
aua Kupferlegierungen, dio Nadeln mit breitgeklopfter Scheibe, 
die Messer, zungenförmigen Meißel, die hölzernen Puppen- 
figuren, Knocheuablen , Kämme, Steinäxte von typischer 
T-Form usw., vertreten. 



— Kine diale ktologiache Karte RuSranda wird von 
einer besonderen Kommission bei der Abteilung für russische 
Sprache und Literatur der Kaiserlichen Akademie der Wissen- 
schaften in St. Petersburg bearbeitet. Diese Kommission be- 
steht schon seit drei Jahren, und der Plan zur Sammlung und 
Verarbeitung des Material» wurde gleich bei ihrer Begründung 
unter Vorsitz des Akademiker» F. E. Korsch festgestellt. Ea 
wurde dann ein spezielles Programm zum Bammeln von Ma- 
terial ausgearbeitet und in all« Gegenden Rußlands gesandt. 

Wertvolle Materialien aus verschiedenen Gouvernement« 
sind inzwischen »ehon eingelaufen; »ie werden beim Eingang 
registriert „und dann nach einem beatimmten System ver- 
arbeitet. Über die Bücher und Abhandlungen bezüglich der 
Dialektologie und Geschichte der russischen Sprach« wird 
ein besonderer Zettelkatalog geführt, der später im ganzen 
Umfange veröffentlicht werden soll. 

Zur Vervollständigung ihrer Materialien hat »ich die 
Kommission mit den Akademien der Wissenschaften iu Krakau 
und Prag, der Wissenschaftlichen Gesellschaft 8chewtachenko, 
der galizisch - russischen Matiza (letztere beide in Lemberg) 
und anderen Organisationen in Verbindung gesetzt, wodurch 
sich namentlich die Bibliothek der Kommission bereichert hat. 

AI« besonder» nützlich haben sich di« Reisen von Mit- 
gliedern der Kommisaion zu dialektologischen Zwecken ina 
Innore Rußland» erwiesen. So hat z. B. der Dozent der Mos- 
kauer Universität N. N. Durnowo wertvolle« Material über 
die südlichen großrussischen Dialekte zusammengebracht. 
Bie haben die Kommission zu dem Schlüsse geführt, daß 
der «ndgroßrussische Dialekt in den zehn zentralen und 
Schwurzerd-Uouverucmeuts zu hören ist Ander« Mitglieder 
der Kommission haben die Grenzen der südgroßruaaischen 
und weißruasi<cheu Dialekte in den einzelnen Gouvernements 
untersucht , die Materialien über die Dialekte der einzelnen 
Kreis* verschiedener Gouvernement« ausgearbeitet u. a. Auch 
die Krage eiuer Grammatik der Sprache Puacbkim wurde 
erhoben. P. 



Vcr»«tworUlcl»r RwUlWur: H. Sin»*r, Scbt.urberg.BcrÜB. Hiupl.tr»». M. Nruek; Krisdr. VI.w.k u. 8obp, Br»nnwhw«l». 

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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VOX H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof.'D*. RICHARD ANDRES. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 9. BRAUNSCHWEIG. 7- März 1907. 



Eine Reise durch Ostturkestan und Westtibet. 

Von Dr. Erich Zugmayer. Wien. 
Mit 5 Abbildungen nach Aufnahmen de« Verfassers. 



Um nach Tibet zu gelangen, dem unwirtlichen und 
bis in die jüngste Zeit noch «ehr geheim nisvollen Hoch- 
land im Norden den Himalaja, gibt es drei Hauptronten, 
die alle bereits mehr oder weniger oft von Expeditionen 
liegangen oder doch in Angriff genommen wurden. Die 
•in« fuhrt auf dem Landwege durch das russische und 
chinesische Turkentan , die zweite erfordert eine völlige 
Durcbquerung Chinas von einem der pazifischen Hafen- 
plätze aus nach Westen, die dritte ginge von Indien Ober 
einen der Pässe im Himalaja oder einem der großen 
Durchbruchstäler entlaug. Diese letzt« Route bringt den 
Reisenden am raschesten an die Grenzen des verbotenen 
Landes und gestattet ihm, sich uoch kurz vor dessen 
Betreten in relativ recht zivilisierten Gegenden zu be- 
wegen; der Weg Aber Indien wäre also der kürzeste und 
bequemste, und man wurde kaum uach einem anderen 
so suchen brauchen. l'nd doch kann gegenwärtig und 
bis auf weiteres diese Route für europäische Reisende 
nicht in Betracht kommen. Nicht nur, dalt von alters- 
her die Zugänge von Indien aus stets von den Tibetern 
sorgsam bewacht werden und daß der Eindringling nur 
minimale Aussichten hat, ungehindert vorwärts zu kommen, 
es ist vielmehr in der allerletzten Zeit den Tibetern ein 
mächtiger Verbündeter in (io-stalt dor britischen Regierung 
entstanden, die das Überschreiten der Grenze von ihrem 
Schutzgebiet aus allen Europäern kurzerhand vorbietet. 
Diese Maßregel ist eine Folge der letzten englischen 
militärischen Invasion nach Tibet und hat den doppelten 
Zweck, einerseits das durch die kriegerischen Ereignisse 
erregte Volk von Tibet allmählich wieder zu beruhigen, 
andererseits nach Möglichkeit das Bereuen des Landes 
durch nichtenglische Fxpeditionen zu verhindern. Den 
Tibetern gefällt dieses System natürlich sehr gut, und 
sie haben nicht versäumt , ihrerseits alle anf die Ver- 
schließnng des Landes vor den Europäern abzielenden 
Gesetze und Vorschriften aufs neue aufzufrischen. Es 
wird sich erst zeigen müssen, ob sich bei diesem Spiel 
die Engländer oder die Tibeter als die Klügeren gezeigt 
haben, jedenfalls aber bedeutet die englische Grenzsperre 
für die Tibeter nur eine Unterstützung in einem von ihnen 
seit jeher angewendeten System. Die Monte von Osten 
her wurde zwar erst vor drei Jahren und in diesem Jahre 
selbst mit Erfolg von der Expedition Filchner-Tafel vor- 
sucht, aber auch dieser kühne Vorstoß konnte nicht ganz 
bis zum Ziele durchgeführt werden, und die Gefahren 
dabei gingou weit über das Mittelmaß hinaus. Auch ist 
xa. Sr. 11. 



verständlich , daß eine Expedition nicht allzuviel Aus- 
sicht auf Erfolg bat, wenn sie erst eine monatelange Reise 
dnreb resistente» Gebiet bewältigen muß, bevor sie an 
die Schwelle des eigentlichen Arbeitsfeldes gelangen kann; 
je weiter die Basis abliegt, desto schwieriger die Operation; 
aber gerade aus dieser Erwägung stellt sich das Unter- 
nehmen der obengenannten Reisenden als eine Glanz- 
leistung dar, die einen neuen Typus der Tibetforschung 
geschaffen hat. 

Der dritte Weg, der durch Turkestan, ist zurzeit der 
aussichtsreichste und bietet den Hauptvorteil, daß die 
durch Menschen hervorgebrachten Schwierigkeiten erst 
dann eintreten , wenn man auf jeden Fall bereits ein 
großes Stück von Tibet bereist hat. Der ganze Norden 
und der größere Teil von Mitteltibet sind menschenleer, 
und wer os nicht auf eine Nordsüd-Durchquerung ab- 
gesehen hat, kann beliebig lange im Lande weilen oder 
wandern, ohne im geringsten belästigt zu werden. Vollends 
für den Naturforscher ist dieso Route die günstigste, zu- 
mal sie ihm noch den Vorteil bietet, daß er in den un- 
bewohnten Hochländern die Tier- und Pflanzenwelt in 
ihrer urwüchsigen , durch keine Art von Kultur beein- 
flußten Gestalt kennen lernt. Dazu kommt noch, daß 
der von Turkestan vordringende Reiseudo Tibet mit 
frischem Material an Mann und Tier und mit unge- 
schmälerten Vorräten betreten kann. 

Allerdings muß dem gegenübergehalten werden, daß 
„unbewohntes Land" in diesem Falle gleichbedeutend ist 
mit „unbewohnbares Land" und daß, wenngleich der 
Meusch nicht als hemmender Faktor auftritt, die Natur 
selbst um so grimmigeren Widerstand leistet; mit einem 
Gleichnis könnte man sagen, daß zwar kein bissiger Hof- 
hund da ist, aber dafür eine hohe Mauer mit Dorneu 
und Glasscherben. 

Mein Plan war eine Durohquerung Tibet« von Nord- 
west nach Südost mit vorwiegend zoologischen Zwecken. 
Ich will gleich hier bemerken, daß die Durcbquerung 
bei weitem nicht glückte, wenngleich der naturwissen- 
schaftliche Erfolg sehr befriedigend war. Ich hatte das 
chinesische Turkestan als Basis ausersehen und konnte 
dank den großen Bahnhauten der Russen sehr rasch 
inB Herz von Asien gelangen. Die Bahnfahrt von Mittel- 
europa nach Andischau, am Nordwestfuße des Pamir, er- 
fordert nur elf Tage, und ich konnte bereits vier Wochen 
nach der Abfahrt aus Wien die russisob-oh inesische Grenze 
Mein Ausgangspunkt für die erste orust- 

18 



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131 



Dr. Erich Zugmayer: Kine Reise durch Uatturkestau uud Wcsltibet. 



baffere Etappe der Heise, deu tiebirgsühergang vom 
russischen nach dem chinesischen Turkestan, war die 
Stadt Osch , die ich durch eine eintägige Wagenfuhrt 
von Andischan aus erreichte. Hier wurde eine Karawane 
von Ii) gemieteten Pferden und vier Mann zusammen- 
gestellt, von denen einer, ein sartischur Dschigit (Post- 
reiter), mich auf der ganzen Reise begleitete. Außerdem 
befand sich in meiner Begleitung noch ruoin Diener 
Weichbold, ein Jäger au» den steirischen Alpen, der mit 
mir früher bereits im Kaukasus, in Portion und im russi- 
schen Turkcstan gewesen war. Der Weg von Osch nach 
Keschgar ist ungefähr 450km lang, and eine mittelgroße 
Karawane braucht dazu 10 bis 14 Tage; wir bedurften 
deren 12 und begegneten nur auf dem noch tief ver- 



und hauptsächlich die ausgedehnten Basare , aber nur 
die kleinere Hälfte der etwa 75000 Einwohner; die an- 
dere Hälfte lebt in den garten umgebenen Vurdorforn, die 
sich rings um die Stadt, erstrecken. Alt-Kaschgar selbst 
kann in architektonischer Beziehung keinen Vergleich mit 
Samarkand, Chiwa oder Buchara aushalten; man lindet 
darin kein Gebäude, da» durch Schönheit oder Großartig- 
keit uufüele. Was aber die Stiidt interessant macht, 
ist das überaus bunte Völkergemisch, das viel mannig- 
faltiger ist, als in den Städten des russischen Turkestau. 
/war sind die Chinesen fast nur durch Beamte und 
Militär vortreten, aber sie werden ergänzt durch die Zahl 
der Dungauen, chinesische Muhamniodauer, die meistens 
Kleinkaufleute sind und als wandernde Händler weit 




Abb. 1. PaB mi Itnschl. 

OrMm iwiackn TMitattu und T>u«t. 4tuoui. 



eisten Grenzpaß TVrek Dawan (bei Mieler kiudschabai) 
einigen Schwierigkeiten. Die Rasthäuser, die man am 
Ende jedes Marsches antrifft, sind sehr primitiv , aber 
bei Wind und Frost doch weit angenehmer als das Lagern 
iu Zelten. 

Am 12. April 1906 trafen wir in Ka*chgar ein, wo 
ich im Hause des russischen Konsuls Herrn S. A. Kolo- 
koloff gastfreie Aufnahmu fand. Die kleine europäische 
Kolonie — einschließlich der 60 Konsulatskosukcn noch 
nicht 10O Köpfe — wohnt außerhalb der Stadt- 
mauer; auf einem Grundstück beisammen liegen das 
Konsulat, die Kaserne, Offiziers- und Beamtenwohnuugen 
uud die Filiale der russisch-chinesischen Bank, die von 
einem Deiitschruasen . Herrn Th. Th. Hammerbeck, ge- 
leitet wird. Der britische diplomatische Agent und die 
wenigen schwedischen Missionare wobuen auf besonderen 
Grundstücken. Die niaucrumschlosscne Altstadt ent- 
hält die chinesischen Hegierungsgebiude , die Moscheen 



herumkommen. Hindus und Juden haben eigene Vierte) 
für sich, die übrigen mohammedanischen Asiaten, die 
Kaschmirer. Afghanen , Tadschiken , Perser und Nord- 
inder, mischen sieb in die Hauptmasse der sartischen 
Bevölkerung, 

Kaschgar und mit ihm die ganze Tariiu- Ebene kam 
im 7. Jahrhundert zuerst unter chinesische Herrschaft; 
um das Jaht 1000 entzog es sich dieser infolge des Vor- 
dringens des Islam und war ein selbständiges Land bis 
zum Auftreten Dschingis Khans. Nach dessen Tod ge- 
hörte es bis um 1360 zum Besitz seiner Nachfolger, um 
dann von den ölöthischeu Kirgisen unterjocht zu werden. 
China setzte sich erst 175S wieder im Lande fest und 
herrscht dort noch heute; die kurze Unterbrechung dieses 
Verhältnisses unter dem Usurpator Jakub lieg könnte 
übergangen werden, wenn sich nicht an sie das Auftreten 
dur Europäer in Ostturkestau knüpfte. Jukub Beg be- 
nutzte um die Mitte der sechziger Jahre des !!•. Jahr- 



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Dr. Erich Zu„'inayer: Kine Ueise durch Ostturkestan und Westtibet. 



136 



hundert* den Aufstand der Dunganen, um Bich zum 
Herrn über Kaschgarien zu machen, und knüpfte als 
solcher Handelsverbindungen mit Kußland an. Als 
Jakub Beg im Jahre 1877 starb und die Chinesen das 
Land wieder besetzen wollten, muliton sie sich bereit« 
eine starke musische Kontrolle gefallen lassen, die sich 
in kleinen Gebietsabtretungen und in der Errichtung 
russischer Konsulate in Kaachgar nnd l'rumtschi äußerte. 

Jakub Reg bat aber wahrend seiner kurzen Regierung 
mehr Bleibendes für das Land getan als irgend jemand 
vor und bisher auch nach ihm. Die meisten schönen 
und soliden Bauwerke, die man antrifft, rühren von ihm 
her, eine grobe Zahl von Brücken, Straßen und Kanülen 
ebenso-, und ein Karawansarai von Jakub Heg kann man 
bereits auf einen Kilometer von den chinesischen Rast- 
häusern unterscheiden. Auf meinem Wege am Rande der 
Waste Taklu Makau hatte ich drei Tage ohne Wasser 
und Quartier durch den Sand ziehen müssen, wenn nicht 
Jakub Beg große, aus festem Stein erbaut« Sarais er- 
richtet und tiefe Brunnen darin gebohrt hatte; diese 



und stand eben im Begriff, in seine Heimat zurückzu- 
kehren. An dem Umweg, den ich ihm zumutete, lag ihm 
nichts, und so konnte ich diesen wertwollen Mann um 
mäßigen Lohn in meinen Dienst nehmen. Die Löhnungen 
bei längeren Reisen sind relativ gering, richten sich aber 
natürlich nach den Fähigkeiten der Leute; ein gewöhn- 
licher Pferdeknecht erhält nach deutschem Gelde 20 bis 
2 i M. monatlich, ein guter Koch oder Schütze 25 bis 
90 M., ein Karawanbaschi, d. i. ein Mann, der für das 
Wohlergehen der Lasttiere, regelmäßige Fütterung, best- 
mögliche Pflege usw. zu sorgen hat, je nach seiner Er- 
fahrung 30 bis 40 M. Allerdings kommt dazu die voll- 
ständige Verpflegung der Mannschaft, und es ist ebenso 
üblich wie notwendig, die Leute mit Schuhwerk, Filz- 
docken und Schafpelzen auszustatten. Die Preise für 
Lasttiere können , gutes Durchscbnittamaterial voraus- 
gesetzt, mit 70 M. für ein Pferd, (50 M. für einen Yak, 
50 M. für einen Esel und 3 bis 4 M. für einen feisten 
Hammel angenommen werden. Maultiere kosten zwischen 
400 und 700 M., Kamele zwischen 150 und 300 M. das 




Abh. 1 La^er am Sagu* Kai. 



(iebüude wirkten wie Paläste im Vergleich zu den bau- 
fälligen niederen Lehmhütten, die ich sonst meistens 
atitraf. Auch in Jarkend, der der Einwohnerzahl nach 
größten Stadt des Tariinbecken», macht sich sein Eiutluß 
geltend, und selbst jenseits von Khotan noch stößt man 
auf Zeugen seiner Fürsorge. 

Khotan war die letzt« Stadt, die ich auf meinem Wege 
gegen Tibet antraf, nnd hier hatte ich mich mit allem 
zu versorgen, was mir noch an Mannschaft, Tieren, Ge- 
räten nnd Lebensmitteln fehlte. Die chinesischen Be- 
hörden, die mir einen glänzenden Empfang bereitet 
hatten, und der sartische Bürgermeister, bei dem ich 
wohnte, unterstützten mich dabei in freundlichster Weise. 
Meine Leute hatte. ich teils unterwegs aufgelesen, teils 
warb ich sie in Khotan an; es waren ihrer sieben, und 
zwar der Nationalität nach ein Afghane, drei Turkestaner 
und drei Kaschmirer; unter den letzteren verdient be- 
sonders mein Dolmetscher erwähnt zu werden; er war 
ein Tibeter aus Ladak, der in seiner Kindheit bei eng- 
lischen Missionaren in Nordindien gewesen war, von denen 
er außer der englischen Sprache in Wort und Schrift 
noch ein bescheidenes medizinisches Wissen erworben 
hatte. Dieses ausnutzend, hatte er in der letzten Zeit in 
verschiedenen Städten Turkestans nl» Arzt praktiziert 



Stück. Erprobte und gut zugerittene Reitpferde variieren 
ebenfalls stark im Preise, doch kann man für 100 M. 
schon ein hübsches Tier liekommen. Meine Karawane 
bestand, als wir Pohl, das letzte Dorf am Nordfuß des 
Kuen Lün, verließen, aus N Yaks, Ki Pferden, 36 Eseln, 
lti Hammeln und 3 Hunden. Von der Idee, die Hammel 
zum Tragen leichterer Lasten zu verwenden, kam ich 
sehr bald wieder zurück, da die ungewohnte Anstrengung 
die Tiere sehr rasch abmagern läßt; und gerade ihr 
Fleisch war es, womit aie uns dienen sollten. 

Am 18. Jnni begannen wir, verstärkt durch aus dem 
Dorf Polu bis über den Grenzpaß angeworbene 20 Mann 
und 10 Esel, den Anstieg. Der Sit Rascbi oder Kisil 
Dawan (Abb. 1) ist einer der schwieligeren Zugänge 
nach Tibet, wurde aber wiederholt von Europäern über- 
schritten, da er dem von Europa kommenden Reisenden 
zunächst liegt und ohne Zwiscbenstadien direkt auf das 
Hochplateau führt. Er wird auch von turke-stanischen 
Goldsuchern gelegentlich benutzt, doch ist von einem ge- 
bahnten Wege nichts zu linden, sondern es handelt sich 
im besten Falle um mehr oder weniger erkennbare Steige. 
Eine ausgesprochene Markierung erhält der Weg durch 
die Skelette von Eseln, Pferden und Yaks, zu denen jede 
neue Partie einige hinzufügen muß. Die Skelette der 

18* 



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13« 



armen Tiere, die man in Gräben und Schluchten sieht, 
nehmen meist ganz abenteuerliche Stellungen ein, her- 
vorgerufen, wie Crosby treffend bemerkt, durch drei 
Faktoren, Schwerkraft, Totenstarre and Aasgeier. An 
den schwierigsten Stellen müssen die Tiere abgeladen 
werden, und nachdem man sie Stück für Stück über die 
kritische Stelle geführt hat, kann das Gepäck, das durch 
die Leute nachgebracht ist, wieder aufgepackt worden. 
Trotz dieser Vorsicht fehlt es nicht an Gelegenheit zu 
Abstürzen , und mich kostete der PaO insgesamt fünf 
Tiere; dieser Wegfall konnte aber noch aus den ge- 
mieteten Eseln ergänzt werden. Das Dorf Polu liegt 
2560 m hoch; bei unserem ersten Lager maß ich 2*10 in, 
beim zweiten ziemlich genau 3000 m Seehohe-, am dritten 
Tage erreichten wir .1ti50m, das Lager vor der Paßhöhe 
lag um volle 1000 m höher; die Paßhflhe selbst, die 
wir am fünften Tage überschritten, liegt 5180m über 
dem Meer und das erste Lager in Tibet, das am gleichen 




Abb. 3. Landschaft In YYesttlbel 



Abend bezogen wurde, maß ich wieder mit 4<>50 m. Diese 
für Nordwesttibet geringe Seehnhe ist durch lokale vul- 
kanische Ablenkung zu erklären; da« Decken de» Sagüs 
Kul (Abb. 2) und Atschik Kul, um das es sich hier han- 
delt, gebort seiner ganzen Bildung nach zum Gebiet des 
Keria Dnrja, ist aber durch Senkung abflußlos geworden. 
Von unserem siebenten Lager an befanden wir uns 
wieder in Seehöho von über 5000 m, und es verfloeseu 
zwei Monate, bis wir wieder in die Yiertausendor hinab- 
stiegen. Die dünne Höhenluft verunlaßte bei mir und 
meinen Leuten keinerlei Krankheitserscheinungen, von 
der angeworbenen Hilfamannschaft mußte ich aber noch 
vor der Paßhöhv fast die Hälfte wegen Bergkrankheit 
heimschicken. Hasches Gehen und besonders Steigen 
fallt allerdings in solchen Höhen sehr schwer, aber das 
I 'imngenehme dabei war für uns lediglich diu übermäßig 
gesteigerte Tätigkeit von Lungen und Herz, die in kurzen 
Zwischenpausen zum Stillstehen und Atem schöpfen nötigt. 

Fs war meine Absicht, nach dem Betreten von Tibet 
in südlicher und südöstlicher Richtung möglichst lauge 
Zeit durch unbewohntes Gebiet zu ziehen, um mit den 
Eingeborenen möglichst spät in Berührung zu konnuen; 



denn nach den Erfahrungen aller bisherigen Reisenden 
schwinden die Auasichten auf ungestörten Weitermarsch 
sehr, wenu die Tibeter erst Kunde von dem Herannahen 
einer europäischen Karawane haben. Daß mich dieser 
Weg über daa bisher von Europäern kartographierte 
Gebiet hinausführte, war mir nur recht; denn wenngleich 
ich mein Hauptaugenmerk auf zoologischo Studien richtete, 
unterließ ich es nicht, regelmäßig astronomische Orts- 
bestimmungen vorzunehmen und in dem allerdings be- 
scheidenen Ausmaß zu triangulieren, auf das sich der an 
zahlreiche andere Arbeiten gebundene Reisende eben ein- 
lassen kann. Die Seehöhen aller Lagerplätze, Pässe und 
anderer wichtiger Punkte maß ich mittels Siedethermo- 
meter und Ancroid, ebenso wie ich über die barometrischen, 
meteorologischen und Temperaturverhältnisse ständig 
Journal führte. 

Auf den bestehenden Karten von Tibet cind uatürlich 
nur die schmalen Streifen genauer aufgenommen, die längs 

der Marsch- 
linien der we- 
nigen Reisenden 
liegen ; alles da- 
zwischen be- 
findliche Land 
ist in den Kar- 
ten nurungenau 
und nach mehr 
oder minder be- 
gründeten Ver- 
mutungen ein- 
gezeichnet. Das 
Beste , was der 

nachfolgende 
Reisende also 
tun kann, ist, 
daß er sich auch 
in den bereits 
kartogruphier- 
ten Gebieten 
nach Möglich- 
keit nicht auf, 
sondern neben 
der Route seine« 
Vorgängers be- 
wegt Freilich 
läßt sich dies 
nicht immer 
durchführen, da der einzuschlagende Weg vielfach durch 
Flußtäler und Pässe eindeutig bestimmt wird. Bei meinem 
ersten Versuch in der erwähnten Taktik fanden wir zwar 
einen sehr hübschen Anstieg auf einen bisher un begangenen 
Paß, der Abstieg aber war ein von einem Bergsturz aus- 
gefülltes Couloir, und wir brauchten elf Stunden, um eine 
Horizontale von I km bei einer Höhendifferenz von etwa 
600 m hinter uns zu bringen. In diesem Fallu wird mein 
Nachfolger sicher gut tun, nicht genau meiner Route zu 
folgen. 

Der Oberlauf des Keria Darja bildet auf ein längeres 
Stück die Grenze zwischen bekanntem und unbekanntem 
Gebiet, und ich wollte den weißen Fleck durchqueren, 
um beim Markham-See wieder den Anschluß an die 
Landkarte zu Huden. Der Plan schlug fehl, und dieser 
Mißerfolg war das erste Glied in der Kette vou widrigen 
Umständen, die mich schließlich von der vorgesteckten 
Route ganz abbrachten. Ich hatte am rechten l'fer des 
Keria Darja ein Tal gefunden, das weit in die Schneeberge 
hinein und nach einem Paß führte. Wir folgten diesem 
Tal, und im Anfang ging alles gut. Wir hatten den 
Räch, Gras fand sich in genügender Menge, wir kamen 



137 



gut vüd der Stelle und rasch in die Höhe. Ks war am 
Mittag das 4. Juli, als wir eine kleine Talarwaiterung 
vor dein letzten Anstieg erreichten. Die Ortlichkeit lag 
5!*f>0 n ü. M., und ich rechnete lieber darauf , an diesem 
Tage noch einen (irasplatz jenseits der Höhe erreichen zu 
können. Aber wir seihen nicht weiter kommen. Das 
Tal verengte sich plötzlich zu einer eis- nnd schnee- 
gefüllten Schlucht mit steilen Wanden, und trotzdem ich 
zu Fuß und unter mühsamem Klettern durch die Schlucht 




Abb. 4. Zelt tibetanischer Nomaden 

bis auf die «ilOOm hohe Paßschartc kam, 
zeigte sich keine Möglichkeit, die Tiere und 
das (iepäck nachzubringen. Wir suchten 
uach einem Ausweg aus dieser Falle, fan- 
den aber keinen und mußten, da die Nacht 
hereinbrach, an Ort und Stelle kampieren. 
Zwischen den Steinen des zugefrorenen 
Haches wurde mein Zelt aufgestellt, und 
bei einem Minimum von — 1 1°C und einem 
Schneesturm, der wütend durch d.i.- enge 
Tal herabtobte, verbrachten wir die Nacht, 
die vier Kseln, einem Yak und einem Pferde 
das Leben kostet«. Am folgenden Morgen 
blieb nichts als der Rückzug nach dem 
Keria Darja Übrig. Wir erreichten ihn am 
Abend des dritten Tages und lagerten 
dort bis zum 10. Juli. Aber meine Last- 
tiere waren zu hart mitgenommen; wieder 
verendeten ihrer fünf in diesem Lager, 
und, um nicht noch mehr zu verlieren, 
beschloß ich, den Jeschil Kul aufzusuchen, 
den tiefstgelegenen Punkt, der mir in der 
Nahe bekannt war. Losere Hammel hatten 
wir bei einem neuerlichen Schneesturm 
verloren, aber der Schade war nicht groß, da uub 
fortan die Jagd auf Antilopen, linsen und Vogelwild 
stets genügend Fleisch lieferte. Mit kurzen Märschen 
fanden wir dun Jeschil Kul, der 5050 m Seehöbe hat, 
aber dort kein Wasser. Die nächste Grasgegend mit 
Süßwasser — denn der See ist bittersalzig — mußte im 
Westen liegen, und wir fanden sie auch am folgeuden 
Tage. Von den Tieren aber waren wieder mehrere ein- 
gegangen; wir hatten bereit .» ein Zelt, mein Faltboot, alle 
Konserven, viel ReiB und andere eutbuhrlicho Vorräte 
zurücklassen müssen, und noch immer verminderte sich 

Oktal XCL Nr. S. 



die Zahl der brauchbaren Tiere in erschreckender Weise. 
Ks mußt« eine neue Änderung im Plan getroffen werden. 
Wir nahmen Richtung nach dem großen Süßwassersee 
Apo Zo (Arport Tso, Horpa Tso) und erreichten ihn nach 
Durchquerimg größtenteils nicht aufgenommenen Gebietes 
in den letzten Julitagen. Wahrend die Karawane sich 
dort auf ein längeres Lager einrichtete, sandte ich meinen 
Dolmetscher, der sich dort als ladakiseben Händler aus- 
geben sollte, auf die Suche nach Nomaden, von denen 
lieue Lasttiere gekauft werden 
konnten. Er kam nach acht 
Tagen zurück, brachte aber 
nur drei Yaks; und da in der 
Zwischenzeit die Zahl der 
brauchbaren Tiere auf 18 ge- 
sunken war — tili waren es 
zu liegin n gewesen — , warder 
Krsatz viel zu geringfügig, 
als daß man mit der so ver- 
minderten und geschwächten 
Karawane weiter hinaus ins 
Unbekannte hätte ziehen kön- 
nen. Wohl oder übel mußten 
wir alle nach Südwesten, denn 
von dor lleschaffung neuer 
Tiere hing nun alles ab. Ich 
sagte mir im Inneren bereits, 
daß der Marsch auf Ladak das 
F.nde der ganzen Sache sein 
würde, hatte aber doch noch 
etwas Hoffnung, die Südrich- 
tung oder sogar die nach Süd- 
ost wieder aufnehmen zu kön- 




Abb. 5. Paßböhe des Kl Sn La (.WlOm). 

(irtnxe tum Tibet und Ksachmlr. 

neu, wenn es nur gelaug, die Stadt Rudok zu erreichen; 
dort konnte man sich dann frisch verproviantieren und aus- 
rüsten. Wir ließen das meiste Gepäck in einem sicheren 
Depot zurück und zogen, so rasch es ging, nach Südwesten. 
Wieder führte der Weg durch unbekanntes Gebiet, uud erat 
am 1 1. August kreuzten wir die Route Wellbys. Dort trafen 
wir auf Nomaden (Abb. t), denen ich nach vieler Mühe 
acht Yaks und drei Pferde abkaufen konnte. Zwei Leute 
gingen zurück, um das DejM.it zu holen, und nach ihrer 
Wiederkehr setzten wir den Marsch gegen Rudok fort. 
Aber wir sollten es nicht erreichen. Schon drei Tage 

1!' 



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lSä 



Hauptmann Maniuardseu: Der Berg Miudif in Adomaua. 



vor der Stadt kamen uns zwei Abgesandte entgegen, mit 
der Forderung, sofort nach Norden umzukehren. Ich 
gab ihnen kein Gehör, ebensowenig einer Kommission 
von sechs Mann, die uns am übernächsten Tag anhalten 
wollte. Bei dem Dorfe Noh jedoch, nur mehr einen halben 
Tagemarsch von Rudok, wurden wir von einer größeren 
Anzahl Bewaffneter gestellt, und stündlich kamen neuu 
hinzu. Ich mußt« mich mit dem Befehlshaber der Stadt 
durch Boten auf Verhandlungen einlasson. Der Kurier 
ritt täglich hin und zurück, brachte immer frische Leute 
mit »ich, und die Forderung, daß wir unseren Weg zu- 
rückgehen sollten, wiederholt« sich unter wachsenden 
Drohungen. Ich erklärte aber, lieber in Noh über- 
wintern zu wollen, bevor ich zurückginge, und erreichte 
feohließlich, daß man mir den Weg nach Ladak freigab. 
Ala ich dann erklärt«, ich würde Tibet in dieser Richtung 
verlassen, worden unsere Gegner wieder freundlich, ver- 
kauften uns bereitwillig Yak*, Gerste und Schafe, und 
ich erhielt ein „Ehrengeleit", dessen wirkliche Funktion 
natürlich die einer Sicherung meines rascheren Verlassens 
von Tibet war. Man schrieb mir den Weg längs den 
Panggongseen vor, doch gelang ob mir, trotz dea Wider- 
streben» meiner Eskorte, eine mehr nördliche Route ein- 



zuschlagen, die mich zu guter Letzt noch einmal auf 
uubetreteue Pfade brachte. Wir überschritten einige 
bedeutende Pässe, schließlich den Greuzpaß Ki Su La 
(Abb. 5), und am 1. Oktober traf ich in Leh ein, der 
Hauptstadt von Ladak. 

Von hier an wickelten sich die Dinge rasch und ein- 
fach ab. Ich bliob zehn Tage in der malerischen kleinen 
Stadt, in der zwei Missionsfauiilieu leben, löste meine 
dürftige Karawane auf und entließ meine turkestenischen 
Begleiter, die sich beeilton, noch vor Beginn des stren- 
geren Winters über den Karakorumpaß in ihre Heimat 
zurückzukehren. Ich selbst reiste mit meinem Diener 
und einer gemieteten Karawane von 18 Pferden nach 
Sriusgar, der Hauptstadt von Kaschmir. Von dort aus 
erreichte ich nach einer zweitägigen Fahrt im Hausboot 
auf dem Dschelam und einer ebenso langen Kilwagenfabrt 
am 4. November die Eisenbahn in Rawal-Piudi. Auf 
meinem Wege nach Bombay besuchte ich noch Lahor«, 
Amritsar, Delhi uud Agra, Benares, Jaipur und Udaipur. 
Am 25. November war ich in Bombay und am 1. De- 
zember schiffte ioh mich auf dem „Imperator" des öster- 
reichischen Lloyd nach Triest oin. 



Der Berg Mindif in Adamaua. 



Von Hauptmann 

Als Heinrich Barth anf seinein Zuge von Bornu nach 
Adamaua den Marghiort Issgc erreichte, gewann er vou 
einer kleinen Granitkuppe den ersten Ausblick auf das 
Mandaragebirge. „Hier war es", schreibt er 1 ), „wo ich 
die erste Ansicht vom Berge Menden oder Mcndif ge- 
wann, der, seitdem er von Major Denham auf seiner 
abenteuerlichen Unternehmung gegen eiuige der Fellata- 
ansiedelungen im Süden von Mora zuerst erblickt worden, 
in Kuropa so berühmt geworden ist und Veranlassung 
zu allerlei Vermutungen uud Theorien gegeben hat." Im 
Jahre 1903 04 habe ich von derselben Bergkuppe, wie 
auch von anderen Punkten , vergeblich den von Borth 
beschriebenen und skizziertet! Berg festzustellen ver- 
sucht. Auch die Eingeborenen wußten mit dem Namen 
Mindif uichts anzufangen. Da das Barthsche Werk ein 
unerschöpflicher Katgeber für unsere Kamerunreisenden 
ist uud für lange bleiben wird, dürfte es sich lohuen, 
die Barthseben Angaben über diesen Punkt richtigzu- 
stellen und die Entdeckungsgeschichte desselben auf- 
zufrischen. 

Der Mindif wurde im Jahre 1823 zuerst von Denhaui 
gesehen. Er erregte die Aufmerksamkeit des Reisenden 
durch die kühne Form seiner schlanken Spitze 1 ), die in 
einer Profilzeichnung niedergelegt wurde. Iter nicht 
genau angegebene Ort der Entdeckung ist entweder bei 
Mora selbst oder südlich Mora zu suchen. Der Stroif- 
zug Denbanis in das Mandaragebirge ist kartographisch 
sehr mangelhaft in der Übersichtaskizze des Dcnhaojschcn i 
Werkes niedergelegt. Auf dieser erscheint der Mindif 
in süd-süd-westlicher Richtung von Mora. 

Denselben Berg glaubte Barth 1 801 von jenem Granit- 
hügel bei IsBge wiederentdeckt zu haben. Nach der 
Luge des Mindif auf der Denbaiu*cbcu Karte uud nach 
der Ähnlichkeit deB von ihm gesehenen Berges mit der 
Deubatngcheii Profilzeicbuuiig lag auch keine Veran- 
lassung zu Zweifeln vor, als die Eingeborenen auf Be- 
fragen diesen Berg als Mindif bezeichneten. Auf der 

') Rn«'i. uii.1 KmdeekuiiKen in N<>r.l- iiikI /«Mitral -Afrika, 
Bd. II, S. 4eu, u. Kurte«. 

*i Travels amt Diseoverie», IM. II, S. :t|.*i u. f. 



Marquardsen. 

Konstruktion der Barthschen Aufnahmen findet sich der 
Mindif daher jetzt auf dem Westrande des Mandant- 
gebirges in der Nähe der bekannten Berge Kamalle und 
Mitschiga. 

Der Reisende Rohlfs, der Mandara 1866 besuchte, 
hat den Mindif nicht gesehen. Seine in Peterm. Mitteil., 
Erg.-Heft 34 veröffentlichten Berichte sind von einer 
vortrefflichen Karte von Zentralafrika begleitet, auf der 
Peterm ann die gesamten Forschungsergebnisse von Rohlfs 
und allen seinen Vorgängern zusammengestellt hat. Auf 
dieser Karte, die sich sonst eng an die Barthschen Auf- 
nahmen hält , erscheint dor Mindif in einer völlig ver- 
änderten Lago, nämlich als eine isolierte Berggruppe 
östlich des Mandaragebirges. Da s«it Barth nichts Neues 
über den Berg geliefert worden war, muß die neue und 
richtige Lage auf konstruktivem Wege gefunden sein. 
Ich glaube, daß eine peinliche Konstruktion der zahl- 
reichen von Barth nach bloßen Erkundigungen nieder- 
gelegten Konten, von denen eine Anzahl am Mindif vor- 
beiführt , die Verschiebung des Berges an eine andere 
Stelle zur Folge gehabt hat. Diese Verbesserung macht 
nicht nur dem Konstruktionstalent Petermanns alle Ehre, 
sondern ist ein weiterer Beweis für das außerordentliche 
Ausfragetalent de» Forschers Barth. Die Barthschen 
Erkundigungen sind an vielen Stellen praktisch erprobt 
worden und haben sich stets glänzend bewährt. Hier 
gaben sie dem Konstrukteur die Möglichkeit, einen Fehler 
1 zu berichtigen, an dem Barth um so weniger ein Ver- 
schulden trifft, als die falsche Karte Denhams die Aus- 
sagen der Eingeborenen zu bestätigen schien. 

Paeaarge ist der erste nach Denham, der den richtigen 
Miudif gesehen hat (1893). Er erblickte ihn von einem 
Hügel bei Marua in südlicher Richtung, also in Über- 
einstimmung mit der eben erwähnten Petermannschen 
Karte. Pa**nrgo weist auf die Verwirrung 3 ) hin, die in 
den Angaben über die I-ftge de» Berges bestanden. Irr- 
tümlicherweise gibt er aber an, daß Rohlfs den Mindif 
von Mora gesehen und die Verschiebung seiner Lage 



J ) A.lan.uu;», S. il*. u, f. 



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Aruo Senfft: Die Reehtsiiitten der Jap-Eingeborenen. 



gegenüber den Barthgehen Angaben veranlaßt hübe; da 
man aber Ton Mora aus den Mindif wegen der Kntfer- 
nung und wegon de« dazwischenliegenden Gebirges nicht 
»eben könne, sei die Übereinstimmung der Roblfsschen 
Karto mit seiner eigenen sehr merkwürdig. Daß hier- 
nach die bestehenden Zweifel noch nicht gehoben waren, 
kommt auf der Kamerunkarte des Großen Deutschen 
Koloniulatlas zum Ausdruck, auf der zwei Mindifs ver- 
zeichnet sind — der falsche Barthscbe am Westrande des 
Mandaragebirges und der von Passarge gesehene isolierte 
Berg östlich des Gebirges. 

Während meiner Heise in Adamaua konnte ich fest- 
stellen, daß am Westrande des Mandaragebirges ein Berg 
dieses Namens nicht existiert. Ks besteht demnach kein 
Zweifel, daß nur die isoliert« Berggruppe südlioh Mtnm 
den Anspruch darauf hat, der einst so berühmte Mindif 
zu sein. 

Im Januar 1904 ist der französische Reisende Len- 
fant 4 ) am Fuße des Mindif vorbeigezogen und hat auch 
den Ort Mindif besucht Leider acheint ihm die Ent- 

4 ) La grande r.mte de Tc-had, B. 211. 



deckungsgeschichte des Berges nicht bekannt gewesen zu 
sein; denn er begnügt sieb mit seiner bloßen Erwähnung. 
Unseren Adamauareisenden ist somit die erste Besteigung 
des Mindif, die Erforschung seiner geologischen Be- 
schaffenheit und die Bestimmung seiner Höhe, über welche 
die Angaben sehr schwanken, vorbehalten. Wenn auch 
der Berg an sich heute kaum mehr Interesse beansprucht 
als manche anderen des schönen Mandaragebirges, so ist 
es doch für den Forscher ein besonderer Genuß, den 
Spuren früherer Entdecker nachzugehen. An dieser 
Stolle sei daher auch eine nachträgliche Routenaufuahme 
des Denhamschen Zuges von Mora nach Musfeia an- 
geregt. Auf dieser waghalsigen Espedition hatte Denham 
sicher keine Muße, sich viel mit dem Kompaß zu be- 
schäftigen , woraus sich auch die ganz fehlerhafte Ein- 
Zeichnung des Mindif erklärt. Durch oinen geraden 
Strich im Mandaragebirge wird seine Itoute auf den 
Karten bezeichnet. Die Beschreibung de« Zuges in dein 
Denhamschen Werke bietet so viel Anhaltspunkte, daß 
ein Wiederauffinden der genauen Route auf keine Schwie- 
rigkeiten stoßen dürfte. 



Die Rechtssitten der Jap-Eingeborenen. 

Von Arno Senfft. Jap. 



V o rbomerku ug. 

Zur Beurteilung bzw. zum richtigen Verständnis der 
Rechtssitten eines Volkes ist natürlich die Kenntnis seines 
Charakters notwendig; aus ihm heraus wird es uns orst 
möglich werden zu verstehen , wie vieles , was uns mit 
unserem durch die hochzivilisierten Verhältnisse und den 
härteren Kampf um das Dasein geschaffenen Egoismus 
als natürlich erscheint, ganz fehlt, und man mnC sich 
ferner gegenwärtig halten , daß sich das Leben der Be- 
wohner einer einsam im Meere gelegenen Insel, die nur 
selten von wenigen Nachbarinseln besucht und vor einigen 
Dezennien kaum einen Angehörigen der weißen Rasse 
kannte, vollkommen zuschneidet auf ihre einfachen Be- 
dürfnisse, die durch die Produkte der Insel, was des 
Leibes Notdurft und Nahrung anbetrifft, reichlich gedeckt 
werden. Eine Reihe von Eigentumsdelikten scheidet 
also von vornherein aus. Einfach wie das lieben ge- 
stalten sich auch die Rechtaanschauungen. 

Was nun den Charakter des Jupers, der zur mikro- 
nesischen Rasse gehört, anlangt, so habe ich bereits vor 
drei Jahren darüber folgende Beobachtungen ') nieder- 
gelegt: 

r Mir ist neben den Bewohnern der InBel Nauru kein 
Volk bekannt, welches an edler Gesinnung mit ihnen 
wetteifern könnte. Sie sind freie und stolze Natur- 
menschen, sie sind feinfühlig und besitzen einen Herzens- 
takt, der über jedes Lob erhaben ist. Bei meinem engen 
Verkehr mit ein und denselben Personen mehrere Jahre 
hindurch hat sich doch kaum einer eine plumpe Ver- 
traulichkeit gestattet. Sie zeigten ein sehr feines Emp- 
finden für das, was augenehm berührt, Bie stellten keine 
Fragen, deren Beantwortung etwas Peinliches an sich 
getragen hätte, sie hielten Unangenehmes fern nnd waren 
stets höflich, gehorsam und bescheiden. Zu bewundern 
ist ihre würdige Haltung in der HäupterverBammlung 
und vor Gericht. Heftige Redoweiso oder Beschuldigung 
des Gegners der Lüge habe ich nie gehört. In dem 
Rechtsstreite eines Oberhäuptlings gegen einen übel 
beleumundeten Tagalen behauptete der letztere, Zahlung 

') Petermanns Mitteilungen tm.i, Heft ». 



an ersteren geleistet zu haben; dieser bestritt es und 
erklärte bei der wiederholten Behauptung, obschon er 
genau wußte, daß der Tagale log: .Dann muß ich es 
vergessen haben." Ein Beispiel für das Feingefühl der 
Japer ist folgendes: Vor Jahren war ein Weißer auf Jap 
von seinem Prinzipal entlassen worden und, da ihm kein 
anderer seiner Rasse ein Unterkommon anbot, auf Ein- 
ladung eines Eingeborenen zu ihm unentgeltlich in Kost 
und Logis gozogon; dieser hatte ihn nach Möglichkeit 
verborgen. Nach längerer Zeit wurde der Japer von 
einem neu hinzugekommenen Europäer darüber befragt. 
Er war über das Bekanntwerden erschreckt und bat, 
es nicht weiter zu verbreiten, ,weil es für seinen Gast 
peinlich sein müßte". Derartiger Beispiele ließen sich 
noch viele anführen. Gerade dem Fremden gegenüber 
zoigt sich der Japer von seiner besten Seite; er ist ent- 
gegenkommend, hilfsbereit und duldsam gegen fremde 
Gewohnheiten, er überläßt, was man vielleicht nirgends 
wieder rindet, dem Fremden alles weit billiger als seinen 
eigenen Landsleuten. Bei ausstehenden Forderungen 
drängt or nicht, es kommt ihm nicht darauf an, Zahlungs- 
fristen auf Jahre hinaus zu bewilligen, dabei ist er ein 
ehrlicher Schuldenzahler. Es ist mir roebreremal vor- 
gekommen, daß er seine Schuld als größer bezeichnete 
wie der Gläubiger. Die in die Polizeitruppe eingestellten 
jungen Männer haben sich als pflichttreu, aufrichtig und 
verständnisvoll für ihre Aufgaben erwiesen; eifrig und 
selbstbewußt in ihrem Dienst, blieben sie doch immer 
höflich und rücksichtsvoll gegen jedermann. 

„Das Vertrauen und der Gehorsam , den die Jap- 
bevölkeruug der deutschen Regierung entgegenbringt, 
wird kaum übertroffen werden können. Es ist zuweilen 
geradezu rührend, mit welcher Ergebenheit sie für ihre 
meist nur kleinen Verguhen die Strafe auf sich nahmen; 
so hatte ich beispielsweise über einen Jüngling wegen 
Zuwiderhandlung gegen eine Verordnung eine Strafe zu 
verhängen. In der Begründung führte ich aus, daß er, 
obschon ihm die Verordnung nicht bekannt gewesen sei. 
doch bestraft worden müsse, daß ich ihn aber nur zur 
Zahlung von 100 Kokosnüssen verurteilte, während er 
500 zu zahlen haben würde. Er erwiderte darauf, 

19* 



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MO Arno Senfft: Die Rccbti-sitteu dor Jap-Eiugehoruiicn. 



wenn er ein ballobalean (Dummkopf) sei, der sich nicht 
um das bekümmere, wm verboten, so müsse er auch 
500 Nüsse bezahlen." 

Jetzt, nachdem ich weitere Jahre unter ihnen lebe, 
brauche ich mein Urteil nicht umzuändern, ich hätte 
ihm höchstens noch eine hervorstechende Eigenschaft 
hinzuzufügen, da» ist die Verachtung des Klatsches und 
eine geradezu übertriebene Diskretionssucht. So hält 
es beispielsweise äußerst schwer, daß ein Häuptling in 
der allmonatlich stattfindenden Versammlung, die eben 
den Zweck hat, einzelne Themata zur Diskussion zu 
stellen, mit irgend einem selbst unbedeutenden Anliegen, 
einer Beschwerde, einein Ersuchen an die Verwaltung 
öffentlich hervortritt. Ich maß mich dem beugen und 
nach Schluß der Versammlung hinter geschlossener Tür 
mir in Flüsterstimme von einem Häuptling mitteilen 
lnsRen, daß ein Untertan beim Wegebau faul sei und 
bestraft werden müsse, daß ich aber um des Himmels 
willen nicht den Angeber nennen solle, oder daß eiu 
Untertan sich schon seit längerer Zeit besuchshalber 
außerhalb des Huuptlingsbernichs aufhalte und ich ihn 
veranlassen sollte, zurückzukehren. 

Ich glaube, daß diese Scheu einem Gefühl der Un- 
sicherheit entspringt, denn die Hinrichtung der Hanptlings- 
versaromlung ist etwas Neues. Verwaltuugsbefugnisse 
in unserem Sinne sind den Häuptlingen erst verliehen, 
sie fürchten deshalb jedenfalls, in den Augen der un- 
beteiligten Dritten sich mit diesen oder ähnlichen Fragen 
zu blamieren , denn andererseits empfindet es unsere 
Anschauung als einen Widerspruch, wenn Angelegen- 
heiten auf politischem und selbst mit einem Einschlag 
ins sexuelle Gebiet breit in Gegenwart ton Kindern vor- 
handelt werden. 

Freilich muß man sich von vornherein mit Wider- 
sprüchen abfinden, für die uns jode Erklärung fehlt, 
dafür ist mir aber von einem vertrauten alten Ein- 
geborenen entgegengehalten worden» daß er bei Beob- 
achtung der Weißen auch auf Widersprüche stößt; so 
würde z. B. von der Mission allgemeine Menschenliebe 
gelehrt, und Amerika und Spanien hätten sich bekriegt 
und Matrosen »ich auf den Schilfen und an Land ge- 
prügelt und ihnen Früchte gestohlen. 

Als ein Ausfluß ihres Charakters stellen sich die 
Strafen dar; abgesehen von dem ursprünglichen Grund- 
satz „Auge um Auge, Zahn um Zahn" 1 auf kriminellem 
and Kompensation auf zivilrechtlichem Gebiet, laufen sie 
zumeist auf eine Kennzeichnung der Moral hinaus, auf 
eine Kennzeichnung des Übeltäters als einen Nicht-Oontlo- 
mau in der Öffentlichkeit. 

Für die absolute Riohtigkeit der Angaben läßt sich, 
wie jeder weiß, der solche Arbeiten zu lösen versucht 
hat, keine Gowähr leisten. Erst seit Einrichtung der 
deutschen Verwaltung findet ein Verkehr aller mit allen 
statt, vorher standen sich viele Ortschaften seit Generatio- 
nen feindlich gegenüber und besuchten sich deshalb nie. 
Unter einheitlicher Leitung hat sich Jap, soweit die 
Erinnerung reicht, nie befunden — nur für den Kriegs- 
fall gab es bis heute ein Oberhaupt odar besser einen 
Oberschiedsrichter — es konnten sich deshalb auch ver- 
schiedene Rechtsanschanungen ausbilden , wie sich auch 
auf anderen Gebieten Verschiedenheiten finden, und so 
empfahl es sich , nur die Beobachtungen niederzulegen, 
die durch Befragen von Vertretern verschiedener Teile 
der Insel übereinstimmend beantwortet siDd. Dann aber 
fällt es dem Eingeborenen, da er zu denken nie gelehrt 
wurden ist. außergewöhnlich schwer, sich in den Gedanken- 
gang des Fragenden hineinzuversetzen, xelbst wenn ihm 
immer nur ganz einfache konkrete Fälle vorgelegt 
werden. Nach kurzer Zeit wird er durch da« ungewohnte 



Denken müde oder konfus, und ich konnte mehr als ein- 
mal beobachten, daß, wenn ich mehrere befragte und 
mich mit dem einen längere Zeit befaßte, der eine oder 
andere einnickte. Man erhält auch häufig eine selbst 
gemachte Antwort, nur um den Fragenden zufrieden zu 
stellen. Auf die Frage: „Was geschieht mit X, wenn 
er zur Nachtzeit das Hans des Y ohne Genehmigung 
betritt?" erhielt ich den Bescheid: „Das ist keine Art, 
nachts in anderer Leute Häuser zu geben." Ich habe 
mir auch die Antwort gefallen lassen müssen: »Was 
fragst du eigentlich? Du weißt das doch besser als 
wir." Bei Prüfung der Aufzeichnungen durch andere 
Ratgeber stellen sieb unter solchen Umständen oft große 
Abweichungen dar, es ist aber kaum möglich, durch 
Gegenüberstellung der Auskunfterteilenden das Richtige 
zu ermitteln, weil bei der oben geschilderten übermäßigen 
Rücksichtnahme dem, der die erste Antwort gibt, meist 
sofort beigestimmt werden wird: so kam einige Tage 
nach einer Besprechung einer der Teilnehmer wieder, 
um geheimnisvoll zu sagen, ich wäre falsch unterrichtet 
worden; nach langem Hin- und Herreden wußte er aber 
schließlich auch nichts anderes zu bekunden. 

Immerhin wird sich ein annähernd genaues Bild über 
die RcchtsBitten der .In per bilden lassen und vor allem 
meinen Nachfolgern manchen Anhalt für die Beurteilung 
der ihrer Verwaltung und Rechtsprechung anvertrauten 
Insulaner geben, auf Grund der Praxis werden sie manches 
richtig stellen oder ergänzen können. 

Als Ratgeber hatte ich vorzugsweise ober die Ober- 
häuptlingo Lirau, Ronnewei, Iudifell, sowie die angesehenen 
Eingeborenen Rnhebung, Tomangin um) Wuak von Ngol- 
log zu vorfügen, als Dolmetscher über die Eingeborenen 
Gumanru und Mafäl. 

Daß einzelne Augal>eu, die ihrem Inhalte nach unter 
mehrere Gebiet« gehören, sich auch dort wiederholen, 
rührt daher, daß ich bemüht war, jede Materie für sich 
möglichst vollständig zu gestalten. 

AIb Unterlage hat unter anderein der Fragebogen 
zur Erforschung der Rechtsverhältnisse der sog. Natur- 
völker von Professor Kohler und derjenige der inter- 
nationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissen- 
schaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin gedient. 

1. Familieu- und Personenrecht. 
Allgemeines. Die Bevölkerung teilt sieb in zwei 
scharf getrennte Klassen, den freien Ja per (Pi-Uap) und 
den Hörigen (Milingei), erBtere machen 80, letztere 20 Proz, 
der Bevölkerung aus. Auf welche Weise diese Ver- 
schiedenheit entstanden ist , wissen die Japer nicht mit 
Bestimmtheit anzugeben , sie sagen , soweit ihre Tra- 
dition reicht, sei es schon immer so gewesen. Nach der 
einen Ansicht sollen die Milingei von fremden Inseln 
aus Nahrungsmangel nach Jap gekommen sein, dort 
wäre ihuen Land zur Benutzung gegen Arbeitsleistung 
bei ihren Herren überlassen worden. Nach einer anderen 
Version seien die Japer von fremden Inseln gekommen, 
hätten die Bewohner unterworfen und sich zu Herren, 
jene zu Hörigen gemacht. Augenscheinlich handelt es 
sich aber um Ur- und zugewanderte Bevölkerung, denn 
da die Lebensbedingungen für beide dieselben sind, 
könnte ein äußerer Unterschied nicht auftreten; dieser 
besteht aber in der Tat. denn die Japer sind imposantere 
Erscheinungen, meist heller und kräftiger als die Milingei, 
und da Heiraten unter den beiden Rassen nicht vor- 
kommen, können die Milingei zur Aufbesserung der 
ihrigen auch nichtH tun. Die Pi-Uap teilen sich in fünf 
dem Range nach verschiedene Klassen , die Milingei in 
zwei. Auf der am Schluß folgenden Ubersicht sind die 
Namen dor einzelnen Dorfer mit der Ik'wohnerzahl an- 



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141 



gegeben. Die rechtlichen und sozialen Unterschiede sind 
unter den einzelnen Rechtsmaterien behandelt. 

Vaterrecht. Die Familienorganisation gründet «ich 
auf auageprägte« Vaterrecht im Gegensatz zu den ineisten 
Inseln Mikronesiens, insbesondere zu den benachbarten 
Palau und Zentralkarolineu. 

Dan Kind gehört also dem Vater, deshalb folgt es 
ihm auch bei Auflösung der Ehe durch Tod oder Trennung. 
War die Witwe zu Zeiten des Todes ihre» Mannes schwan- 
ger, so tritt der Postbumua io dessen Familie; trennen 
sich dagegen schwangere Frauen von ihren Männern 
oder diese von jenen, so gehören die nach der Trennung 
geboronen Kinder in die Familie der Frauen. 

Erbrecht Nur die Söhne beerben die Väter, die 
Töchter und die Witwe haben, solange nie nicht verhei- 
ratet oder wiederverheiratet sind , nur den Nießbrauch 
an dem Nachlaß der Verstorbenen derart, daß sie in 
ihren Häusern wohnen und die Felder weiter bearbeiten 
und abernten können. Ist kein Sohn vorhanden, so 
fällt der Nachlaß an den Vater des Erblassers, ev. an 
den Bruder oder dessen Sohne iu der aufgeführten 
Reihenfolge; beim Fehlen dieser Verwandtschaftsgrade 
an entferntere männliche Familienmitglieder des Ver- 
storbenen. Die Söhne teilen sieb in die Erbschaft , der 
ältere übernimmt in der Regel das Wohnhaus de« Vaters, 
und der jüngere baut sich auf dem väterlichen Grand 
und Doden ein neues Haus. Zwist unter den Erben 
scheint kaum vorzukommen, wenigstens ist innerhalb 
sechs Jahren kein Streitfall vor die Behörde gebracht 
worden. Gute Freunde setzen sich auch mündlich in 
Gegenwart von Zeugen zu Erben ein, hierbei handelt es 
sich aber nur um die Verfügung über einzelne Nachlaß- 
objekte, weil der Erblasser sonst seine Kindor, die alle 
nnr von seiner Seholle leben, nicht nur besitz-, sondern 
auch heimatlos machen würde; er muß ihnen einen Pflicht- 
teil, d. b. Grund und Boden für einen Haushalt vermachen. 

Der Druder des Erblassers gilt als gesetzlicher Vor- 
mund von dessen Kindern. 

Eheschließung. Eine Verlobung in unserem Sinne 
geht der Ehe nicht vorauf. Diese kanu schon vor der 
Pubertät der Nupturienten durch deren Eltern geschlossen 
werden , ein Zusammenwohnen findet aber in diesem 
Falle noch nicht statt. Zur Eheschließung ist die Ge- 
nehmigung der Eltern erforderlich; wenn die Ehe von 
diesen nicht selbst gestiftet ist, hat der Jüngling nach 
Aussprache mit dem erwählten Mädchen bei deren Vater 
anzuhalten nnd ihm nach seinen Vermögensverhältnisseu 
Geschenke zu geben, die in Perlmuscheln, Farbstoff oder 
Itnnanenfaser bestehen , er erhält für diese ein Gegen- 
geschenk. Das Geschenk an .seinen Schwiegervater 
liefert er nach Überlassung der Frau ab, es wird auch 
im Falle der Trennung der Ehe niebt zurückgegeben. Die 
Mädchen werden aus einem in demselben oder möglichst 
gleichem Range stehenden Dorf gewählt, sie können auch 
dem Dorf des Bewerbers augehören. Auf Virgiuität wird 
kein Wert gelegt , denn Enthaltsamkeit verlangt die 
Sitte weder vom Manne noch von der Frau. Mitgift 
bringt die Frau nicht in die Ehe. Besondere Feierlich- 
keiten sind mit einer Hochzeit nicht verknüpft, es findet 
nur ein Mahl statt, zu dem die näheren Verwandten 
lieider Familien hinzugezogen werden. 

Da* Alter, in dem die Ehen geschlossen werden, ist 
sehr verschieden, es sotzt Geschlechtsreife voraus, die bei 
den Mädchen 100 Tage nach der ersten Blutung als vor- 
handen gilt. 

Polygamie besteht, aber nur im beschrankten Maße 
bei den Pi-Uap. Mehr wie vier Frauen hat zurzeit kein 
Mann, in den weitaus meisten Füllen herrscht Monogamie. 
Mehrere Frauen desselben Maunes bewohneu getrennte 



Häuser, die, wenn er au verschiedenen Plätzen Grund- 
besitz bat, auch in den verschiedenen Plätzen liegen. 
We Frauen bzw. die Kinder haben alle dieselben Rechte, 
eine gesetzliche Bevorzugung gibt es nicht. Vettern und 
Basen können einander nicht heiraten, früher galt es 
auch als ein Verstoß gegen die Laudessitte, wenn ein 
Brüderpaar ein fremdes Schwesterpaar ehelichte. Die 
Schwestern seiner verstorbenen oder getrennt lebenden 
Frau zu heiraten ist erlaubt , dagegen darf der Vater 
nicht seine verwitwete oder geschiedene Schwiegertochter 
heiraten oder ein Mann sein Pflegekind. Ehen unter 
Geschwistern gelten als Blutschande. Jüngere Geschwister 
können ror alteren heiraten. 

Nach der Landessitte heiraten Pi-Uap und Milingei 
nur unter sich. Wennschon Pi - Uap • Männer aus den 
höchsten Plätzen Mädchen aus allen Schichten heiraten 
können, so kommen doch Ehen zwischen ihnen und Mi- 
lingeinaädchen fast gar nicht vor, sie haben außerdem 
zur Folge, daß der Mann, abweichend von der Kegel, 
sein Heim in des Mädchens Dorf zu verlegen hat Wenn 
ein Mädchen aus oinem hohen Platz sich mit einem 
Mann aus nicht standesgemäßem Platz verheiratet, so 
kau 1 1 sie kaum nach ihrem Ort zurückkehren, am aller- 
wenigsten mit ihrem Mann, denn sie werden beide gesell- 
schaftlich gemieden. Daß ein Mädchen ans einem hohen 
Platz einen Milingeimann geheiratet hätte, soll noch 
nicht vorgekommen sein. Als standesgemäß für Ehe- 
schließungen gelten die Plätze 1. bis 3. Ordnung nnd 
3. bis 5. untereinander, ebenso die beiden Klassen der 
Milingei. 

Weiberraub zum Zwocke der Ehe ist nicht bekannt, 
nur zu Prostitutionszwecken, wie weiter hinten dargetan 
werden wird. 

Die Eben werden zwar nicht mit der Absicht der 
späteren Auflösung geschlossen , aber de facto gibt es 
kaum ein Ehepaar selbst mittleren Alters, das von jeher 
zusammengehört hätte; wohl aber ist die Beobachtung 
häufig zu machen, daß ein Ehepaar nach verschiedenen 
Zwischenehen sich wieder zusammenfindet Schürzen- 
recht, Schein- und Gruppenehen, sowie Polyandrie sind 
triinz unbekannt, ebenso die Ijcvirataehe als öffentliche 
Einrichtung. 

Stellung der Frau. Die Frau ist dem Manne 
unterstellt, ihr gebührt der weitaus größte Teil der häus- 
lichen Arbeit Während sich der Mann darauf beschränkt, 
zu fischen, sein Besitztum in Stand zu halten, Kokos- 
und Betelnüsse zu ernten, Tauwerk und Schmuckstücke 
anzufertigen, Fischreusen aufzustellen, Kanus zu zimmern 
und Kalk als Gewürz für die leidenschaftlich gekauten 
Betelnus&e zu brennen, ruhen auf den Schultern der Frau 
alle übrigen Arbeiten. Ihr Tagewerk beginnt morgens 
uro 6 Uhr mit dem Reinigen der Häuser und deren Um- 
gebung, dann hat sie zu kochen und die Kinder zu ver- 
sorgen, danach begibt sie sich auf das Feld, jätet, gräbt 
und pflanzt Taro und Süßkartoffeln, Bananen und Yams, 
sio hat Farbstoff zu pressen, I'andnnus- und Kokoswodel 
als Dachmaterial zu bearbeiten , Matten und Körbe zu 
flechten, das feinere Strickwerk zu drehen, für ihre nnd 
ihres Mannes Kleidung zu sorgen, Feldfrüchte, Wasser 
uud Feuerholz nach Hause zu scbleppeu, zu kochen und 
die Kinder zu warten. Den Frauen einzelner Milingei- 
dörfer liegt ferner noch die Topf- und Hutfabrikation ob. 

Die Frau bewohnt ein Haus für sieb und ißt auch 
allein. Solange die Kinder klein sind, wohnen sie alle 
bei der Mutter, von größereu Kindern ziehen die Knaben 
in das Haus des Vaters, die Mädchen bleiben bei der 
Mutter oder erhalten eine eigene Hütte. 

Schwangerschaft Schwangere Frauen werden 
insofern von ihren Ehemännern geschont, als nach dem 



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142 



Arno Senfft: Die Reohtssitteu der Jap-Eingeborenon. 



dritten Monat der Schwangerschaft der Geschlechtsverkehr 
aufhört. Vom sielientou Monat ab bekommt dio Schwangere 
Medizin aus Gräsern nnd Kokoswasser, jed«>n Neumond 
und bei der Nachricht vom Tode eines Bekannten wird eine 
harmlose Zauberei getrieben, um die Mutter vor Miß- 
geschick zu bewahren. Vom vierten Monat der Schwanger- 
schaft an darf der Ehemann keine Bananen oder herunter- 
gefallene Kokosnüsse essen oder ein Haus niederreißen, 
weil man sonst einen Abort fürchtet-, er darf keine Bäume 
fällen, weil sonBt die Gliedmaßen der Kinder brechen oder 
sie eine Hasenscharte bekommen, keinen roll (eine Art 
Scholle) essen, weil das Kind kraftlos, und keine Schild- 
kröte, weil es ohne Finger geboren werden würde. Er 
darf auch in dieser Zeit keine Geldsteine, Farbstoffe 
und die üblichen kleinen Gebrauchsartikel, die er in 
einem Korbe bei sich zu tragen pflegt, fortgeben. 

Da» Verbot des liananenessens erstreckt sich nur 
auf die Zeit vom vierten bis sechsten Monat. Es dürfen 
von den Ehemännern ferner keine Krabben und ge- 
sprenkelte Fische genossen werden, weil sonst das Kind 
gesprenkelt zur Welt käme, und keine Bindfaden gedreht 
werden, weil man fürchtet, die Nabelschnur wickele sich 
um den Hals des Kindes. Kurie vor der Geburt sind 
einige Frauen ständig bei der Wöchnerin. Ihre Mutter 
oder Schwiegermutter schneidet die Nabelschnur 1 dem 
vom Leibe und vergräbt sie in der Erde, sie ist uicht 
Gegenstand abergläubischer Gebräuche, ebensowenig wie 
die Nachgeburt. Die Entbindung wird in einem besonde- 
ren Hause abgewartet, das Kind von der Mutter getrennt 
und von einer Frau gepflegt 

Werden Zwillinge geboren, übergibt man ein Kind 
dem Bruder des Vaters oder bei Krmangelung dessen 
einem anderen nahen Verwandten, weil man glaubt, daß 
sonst eins der beiden Kinder stürbe. Das fortgegebene 
Kinrl kann auch dann nicht zurückgefordert werden, 
wenn das andere sterben sollte. 

Zwillinge, Mißgeburten und Blödsinnige nehmen keine 
Ausnahmestellung ein, die letztgenannten erben aber 
nicht und stehen nach dem Tode ihres Vater» unter der 
Vormundschaft von dessen Bruder oder ihrer eigenen 
Brüder, wenn diese erwachsen sind. Die Neugeborenen 
werden so lange mit Muttermilch genährt, als diese vor- 
handen ist. 

Das Kind erhält seinen Namen zwei Tage nach der 
Geburt, die Schwester des Vater» fragt diesen, welcheu 
Namen der Neugeborene erhalten soll, und überbringt 
die Nachricht der Mutter; vorzugsweise pflegt man die 
Kinder nach Vorfahren zu benennen. 

Nach der glücklichen Geburt bringt der Großvater 
des Kindea mütterlicherseits dem Vater Früchte (Bananen, 
Taro, Süßkartoffeln und Nüsse), sowie einen Geldatvin, 
jener macht seinen Schwiegereltern wiederum Geschenke 
mit Kokosnüssen , Bananen , Fischen , Perlschalen und 
Farbstoff. Bei hohen Häuptliugsfauiilien gibt der 
Schwiegervater seinem Sohne Geldsteine, die dieser an 
die Dürfler verteilt, während diese ihm Perlschalen. Farb- 
stoff und Nuhrung bringen, die er wieder seinem Schwieger- 
vater übereignet. 

Kinder. Unter den einzelnen Familienmitgliedern 
herrscht tiefe Zuneigung, besonders der Eltern zu den 
Kindern- Die Kinder werden in der ersten Zeit sorg- 
fältig und überhaupt sehr milde bebandelt, man läßt 
ihnen die größte Freiheit, züchtigt sie kaum schroerz- 
haft, die Knaben werden von ihren Vätern selbst mit in 
die Versammlungen genommen, in denen Familien- und 
öffentliche Angelegenheiten verhandelt werden: man ent- 
fernt sie uueh nicht, wenn Themata angeschlagen worden, 
deren Erörterung bei uns auch in Gegenwart erwachsener 
Kinder ganz ausgeschlossen ist Ein Hecht , die Kinder 



zu töten, hat der Vater nicht Er haftet für die Ver- 
gehen unerwachsener Kinder bzw. bis sieb diese einen 
eigenen Hausstand gegründet haben. Teknokratio ist 
unbekannt, ebenso die Beschneidung und Jünglingsweihe. 
Kindern wird etwa bis zum achten oder zehnten Jahre 
das Haar kurz geschoren, sie tragen in der ersten Zeit 
keine Kleidung und heißen bitir, später legen die Knaben 
eine schmale Leibbinde an und heißen dann kapolpol. 
Wenn sie das Jünglingsalter erreichen, heißen sie bag&l, 
sie lassen sich dann das Haar lang wachsen und knoten 
es zusammen, bei Ausgängen und in Gegenwart von 
Frauen tragen sie über dor Schambinde Doch einen Bast- 
büschel. Sie dürfen dann auch einem Faluklub beitreten. 

Nach dem zweiten oder dritten Jahre erhalten die 
Mädchen ein Grasröckchen. Bis zur Zoit der ersten 
Menstruatiou heißen sie buliel, nach der ersten Men- 
struation wird über das Röckchen noch ein großer bau- 
schiger Gras- oder Bastrock gebunden und um den Hals 
eine schwarze Schnur; sie heißen dann rugor. Hat das 
Weib geboren, wird es lukan arro, und in höherem Alter 
nach Eintritt der Unfruchtbarkeit buelwol genannt 

Ehotrennung. Die Ehe kann Jederzeit von Jedem 
aufgelöst werden und ohne besondere Formalitäten, es 
muß aber ein Grund — es genügt sogar ein Scheingrund 
(gall) — vorhanden Bein. Ehebruch, Abtreibung nnd 
Unfruchtbarkeit sind ohne weiteres Gründe für den Mann, 
desgleichen ein böses Mundwerk. Gegenseitige Abneigutig 
wird nicht eingestanden. Vor allem bat sich die Schwieger- 
tochter gegen ihre Schwiegermutter gehorsam und auf- 
merksam zu benehmen. Der Mann kann Beine Frau 
verkaufen, wenn sio Ehebruch getrieben oder sich gegen 
ihre Schwiegermutter ungebührlich benommen hat 

Der Ehebruch des Mannes gibt, sofern er mit einer 
anderen als einer Prostituierten begangen ist, der Frau 
einen Scheidungsgrund , ebenso Mißhandlung. Das un- 
eheliche Kind hat rechtlich keinen Nachteil, aber vom 
sittlichen Standpunkte aus haftet ihm ein wenn auch 
nur kleiner Makel an. Es tritt, wenn sich sein Vater 
»einer uicht annimmt, in die Familie seiner Muttor und 
beerbt seinen Großvater. Der Verführer der Mutter 
hat nichts zu zahlen. Geschlechtsverkehr steht den Un- 
verheirateten frei. 

Kurz vor der ersten Blutung wird das Mädchen in 
eine kleine, von dorn Wohnhaus entfernt gelegene Hütte 
gebracht die sie erst drei Tage nach Eintritt der menses 
verlassen darf, um sich in der Nähe des elterlichen Hauses 
aufzuhalten. Der Vater baut dann eine weitere kleine 
Hütte, ebenso wie die erstere in der Nähe des Men- 
struationshauses des Dorfes gelegen , iu welcher sie mit 
einer Milingeifrau noch 100 Tage schlafen muß; erst 
dann ist ihr erlaubt, in das väterliche Anwesen zurück- 
zukehren. Nach der ersten Blutung steht der geschlecht- 
liche Verkehr frei, sie bekommt dos schon früher be- 
schriebene schwarze Band (marafa), und ihre Zähne 
werden schwarz gebeizt wie folgt: Es wird eine in dem 
Dorfe Gatachalnu.aberaucb in den Tarosümpfcn gefundene 
Krdo (rungedu) mit dem Blättersaft von käll (Terminalia 
catappal, aberur (Sonneratia acida) und ngumat (?) ge- 
mischt, daraus werden sechs wurstähnliche Rollen geformt; 
diese werden nach und nach während einer Nacht zwischen 
Lippen und Zähne geschoben, wo jode etwa zehn Minuten 
bleibt. Dies genügt, um die Zähne für Lebenszeit schwarz 
zu beizen. Am Morgen nach der Färbung kommt die 
Familie zur Besichtigung und bringt eiuo Perlschale als 
Geschenk. 

Die Bluthäuser für die Frauen der hohen Orte befinden 
sich nie an diesen Plätzen, sondern in den zu ihnen 
gehörenden Milingeidörfern oder Dörfern niederen Hanges. 
Wenn eiu Mädchen von der ersten Blutung auf dem 



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143 



Woge befallen wird, so darf es sieb nicht auf die Erde 
setzen, sondern hat unter Angabe dm Grunde* um eine 
K'.>koaAuß<«nschalo als UnterInge zu bitten. 

Der Verkauf bzw. die Übergabe der Frau erfolgt in 
listiger Weise so, dali der Ehemann seine Frau unter 
einem plaueibelo Vorwaode mit nach dem Platte nimmt, 
an dem der Küufer wohnt, dort wird sie dann fest- 
gehalten. Der Preis betragt etwa zwei Geldsteine, sowie 
einige Perlschalen; ist der Käufer ein guter Freund 
des Ehemannen, so genügen auch ein puar Perlschalen 
allein. 

Eine Verpfandung von Frauen ist unbekannt, wohl 
aber besteht die Sitte, die Frauen für eine Nacht intimen 
Freunden oder dem Oberhüuptling zu überlasen; dieser 
I.iubosdienst wird hoch bezahlt, den Preis erhält der 

Im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod ist 
es den Männern gestattet, ohne an eine bestimmte Zeit 
gebunden zu sein, eine andere Ehe einzugehen, bei den 
Witwen verlangt die gute Sitte eine Wartezeit von etwa 
18 Monaten. Eine Ausnahmestellung ist für Witwen 
nicht begründet. Sie haben die Wahl, in dem Hauswesen 
ihres verstorbenen Mannes zu bleiben oder zu ihren 
Eltern zurückzukehren. 

Adoption. Adoption ist bekannt und üblich, sie 
ist wader bei dem Adoptierenden noch bei dem Adop- 
tierten an ein Alter gebunden , ein Preis wird von 
keiner Seite gezahlt. Der Adoptiert« tritt in dieselben 
Rechte wio die leiblichen Kinder seines Adoptivvaters, 
er scheidet aber au« seiner eigenen Familie aus und kann 
von ihr nur wegen schlechter Behandlung zurückverlangt 
werden. Kinderlosigkeit de» Adoptierenden braucht 
nicht vorzuliegen. 

Früher soll wegen Nahrungsmangel bzw. Menschen- 
überfluß der Kindesmord durch Erdrosseln geübt worden 
sein. Zweifellos iat Jap in alten Zeiten dicht bevölkert 
gewesen; denn man findet mitten in den unfruchtbarsten 
Teilen Zeichen ehemaliger Ansiedlungen. Es geht die 
Hede, dali es Zeiten gab, in denen auf den Kopf der Be- 
völkerung nicht eiue Kokospalme kam. 

Tätowierung. Tätowierung ist nicht von alters her 
in Jap geübt worden , sie ist von Ugoi , der nordöstlich 
benachbarten Insul, eingeführt, angeblich erst vor etwa 
100 Jahren durch einen Bewohner des Dorfes Maki, des- 
halb ist auch diesem Platze bis heute noch erlaubt, sich 
zu tätowieren. Eine andere Bedeutung als die des 
Schmuckes, bzw. — wie weiter unten ausgeführt wird 
— der Auszeichnung für Tapferkeit wird ihr nicht bei- 
gelegt Die Prozedur wird nur von Männern bei Männern 
vorgenommen; benötigt wird dazu ein au« dem Knochen 
eines in Jap nicht heimischen SeevogelB — anscheinend 
des Kormoran — gemachtes Hamuierchen und der Ruß 
der Nuß des t'alophyllumbaumes. Der zu Tätowierende 



muß 100 Tage in seinem Hause bleiben und wird während 
dieser Zeit besonders gut genährt Man unterscheidet 
zwei besondere Arteu von Tätowierungen, die des Ober- 
körpers vom Nacken bis zum Beginn der Oberschenkel 
einschließlich der ganzen Arme (joll) und die der Beine 
bis zu den Knochein herunter (tbillepatschar). Joll 
dürfen nur die Plätze der ersten drei Rangstufen haben 
mit Ausnahme der hohen Platze Gillufith und Malai. 
Während tbillepatschar ursprünglich nur eine Auszeich- 
nung für hervorragend tapfere Krieger war, findet man 
sie jetzt auch ohne diese Voraussetzung; beide Arten 
sind den Milingei verboten, diese dürfen nnr einige 
schmucklose Streifen an den Arnion oder Beinen «ich 
tätowieren. Die joll-Tätowierung ist außerordentlich 
geschmack- und kunstvoll, sie ist im Globus, Bd. 87, 
S. 147 wiedergegeben; bei thillepataohar ist mit Aus- 
nahmeweniger schmaler Ringe um die Schenkel da» ganze 
Bein blauschwarz gefärbt. Es liegt in dem freien Er- 
messen der Berechtigten, ob sie sich tätowieren lassen 
wollen, ein Zwang besteht also nicht; der höchste Häupt- 
ling Lirau ist beispielsweise tätowiert, der nächste nach 
ihm aber nicht. 

Auf Ziernarben (nun) wird kein Wert gelegt; sie 
werden nur am Oberarm angebracht und können von allen 
Klassen getragen werden. Charakteristisch ist aber, daß 
die Knaben sie sich selbst beibringen zum Zeichen, daß 
sie Mut haben und Schmerz nicht fürchten. Ihe Narben 
werden mit einem glühenden Stäbchen, meist dem Stiele 
der Kokosnuß, gebrannt. 

Die Obren werden bei Kindern im Alter von zehn 
bis zwölf Jahren von bestimmten Männern durchstochen, 
die Wundstelle wird mit warmem Öl bestrichen und in 
das Loch ein feine» Bambus?ttbchen (morr) gesteckt; 
jeden zweiten Tag wird die Öffnung vergrößert und 
später mit den Blättern der riet] - Pflanze (Cordyline 
terminalis) ausgefüllt. Das I»och dient zum Befestigen 
von Ohrsclimuck aus Muschelscheiben, Blumen, Blättern, 
Federn u. dgl. Bei den Mädchen werden die Öffnungen 
größer gemacht als bei den Knaben. 

Durchbohrung des Septums kommt auch vor, wenn 
auch nicht allgemein. Ks wird bei Erwachsenen wie bei 
Kindern beiderlei Geschlechts von ihnen selbst oder 
anderen ausgeführt; ein Zierart wird aber nie in die 
Öffnung gesteckt. Nach dem Tode wird jedem, bei dem 
es nicht bereits zu Lebzeiten geschehen ist, die Nasen - 
Scheidewand durchbohrt, damit er, wie sie sagen, .das 
richtige Haus im Himmel findet". Erwähnt werden mag 
an dieser Stelle, daß sie künstliches Nasenbluten hervor- 
rufen, indem sie sich mit dem Rande eines Paudanus- 
blattes, an dein sie den obersten Stachel belassen, so 
hoch, wie sie können, in dio Nase stechen; sie behauptet!, 
nach dem Nasenbluten einen klareren Kopf zu haben. 

(Fortsetzung folgt.) 



Die Einführung von Kamelen nach Deutsch-Südwestafrika. 



Der Gedanke, in Südwestafrika Kamele alt« Last- und 
Reittiere zum Durchqueren der wassurloseu und vege- 
tationsarmen Durststrecken der Kolonie zu verwenden, 
ist fast so alt wie diese Kolonie selbst Es war jedoch bis 
zum Aufbruch des Aufstandes immer nur bei Versuchen 
geblieben; trotzdem diese Versuche im allgemeinen be- 
wiesen hatten, daß die Tiere bei richtiger Behandlung 
gute Dienste leisten konnten, sich verhältnismäßig leicht 
akklimatisierten und — vorausgesetzt, daß ihueu Ge- 
legenheit dazu geboten wurde — auch fortpflanzten. 

Die ersten Kamele brachte dor damalige Landes- 



hauptmann v. Francois 1898 nach Südwest. Einige 
Jahre darauf wurde eine neue Herde von 20 Tieren ein- 
geführt, mit denen auch Zucbtversuche gemacht werden 
sollten. Die Beschaffung der Kamele war einem deut- 
schen Konsulat in Nordafrika übertragen wordeu. Aber 
die ersehnte Nachkommenschaft entsprach an Zahl bei 
weitem nicht den in sie gesetzten Hoffnungen. Als man 
genauer nach der Ursache forschte, stellte sich heraus, 
daß unter den Tieren nur eine einzige Stute war. Darauf 
wurden weitere Versuche leider nicht mehr gemacht. 
Auch eine in Keetmaushoop ansässige Firma führte übri- 



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U4 



Biicherschau. 



gens um dieselbe Zeit eine kleine Herde von Dromedaren 
von Las Palmas aas ein, die seitdem mit Erfolg zum 
Transport zwischen Keetmanshoop und der Küste ver- 
wandt wurde. Erst der jetzige Aufstund in Südwest- 
afrika hat zur Einführung von Kamelen in gröberer Zahl 
geführt Es wurden in fünf verschiedenen Transporten 
im ganzen 2000 Dromedare nach der Kolonie gekracht. 
Nie stammen von beiden Ufern des Roten Meeres. Von 
ihnen waren 1 70 Reitdromedare, der Rest Lasttiere. Mit 
Rücksicht auf spatere Nachzucht waren unter den Last- 
kamelen 300 Stuten mit angekauft worden. Der Rest 
bestand aus Hengsten und Wallachen, die im östlichen 
Afrika die Hauptarbeitetiere sind. 

Mit den Kamelen wurden gleichzeitig 350 arabische 
Katnelreiter als Begleiter, Pfleger der Tiere usw. für 
Süd westafrika au geworben. 

Es ließe sich an der Hand der Geschichte der Kämpfe 
in Südwest leicht nachweisen, welche Vorteile es gebracht 
haben würde, wenn die früheren Versuche, Kamele in 
der Kolonie heimisch zu machen, energischer und ratio- 
neller betrieben worden waren, wenn mau bei Ausbruch des 
Aufstande» schon über ein Kamelreiterkorps verfügt hätte. 
Die neu eingeführten Kamele haben sich gut bewahrt. Den 
an der Grenze dos Sandfeldes und der Kalahari stehenden 
Feldkompagnien wurden kleinere auf Kamelen berittene 
Trupps angegliedert. Diese haben wiederholt treffliche 
Dienste geleistet, besonders wenn es galt, die weiten Durst- 
•trecken zu überwinden und den Feind von den versteckt 
liegenden wenigen Wasserstellen in dor Wüste zu ver- 
treiben. Aber auch noch für die Zukunft wird die Unter- 
haltung einer solchen Truppe von Wert sein. Erinnert 
sei nur an die Möglichkeit eines Ovambokriegcs und diu 
Schwierigkeiten, die in einem solchen die großen Durst- 
strecken, die es auch dort oben gibt, im Verein mit der 
im Norden besonders heftig auftretenden Werdesterbe 
einer auf Pferden berittenen Truppe entgegensetzen 
können. Dali es auf die Dauer uhne Krieg mit den 
Ovambo abgehen wird, kann kaum angenommen 
werden. Aber auch für die dauernde Aufrechterhaltung 
der Ruhe in dem jetzt unterworfenen Teile der Kolonie 
wird ein stets bereites Detachement von Kamelreitern 
mit einer Anzahl Lastkamelen für Munition, Wasser und 
Proviant von Nutzen sein. Es wird vor allen Dingen 
bei plötzlichem Auftauchen von Räuberbanden oder zur 
Unterdrückung lokaler Aufstände schnell zur Stelle 
■ein können. Und welchen Wert rasches Handeln im 
Eingeboreneukriege hat, das haben der Zug des Haupt- 
manns Erancke sowohl wie der Ritt des Hauptmanns 
v. Koppy deutlich gezeigt Ein weiterer Vorteil einer 
solchen Truppe ist es, daü sie — - uuabhängig nicht nur 
von den schwerfälligen Ochsenwagenkolonnen , sondern 
(infolge der Genügsamkeit der Reittiere) auch von Weide- 
feld und Wasser unabhängiger, als eine Pferdereitertruppe 
— den in die Berge oderSandwusten entweicheudeu Bau- 
den bis in die entferntesten Schlupfwinkel zu folgen vermag. 



In den zahlreichen Feldzügen der Franzosen, Eng- 
länder uud Italiener im nördlichen und östlichen Afrika, 
wie der Türken in Arabien, also in Ländern, die in 
vielen Beziehungen ähnliche Schwierigkeiten für euro- 
päische Trappen bieten wie Südwest, finden wir überall 
die Verwendung von Kamelreiterkorps. Auf Drome- 
daren berittene Infanterie ist eine ständige Einrichtung 
bei den Franzosen in Algier und Tunis, bei den Eng- 
ländern im Sudan und im Somalilaude und bei den 
Italienern in Eritrea. Allerdings aind — was nicht 
außer Berücksichtigung gelassen werden darf — die 
Kamelroiter hier meist eingeborene Soldaten. Nichts 
ober hindert unB, in Südwestafrika, ähnlich wie in 
Deutsch-Ostafrika, eiueu Teil unserer Schutztruppe aus 
Nordafrika zu rekrutieren. Ein Anfang da/u ist ja mit 
der Einführung von über 300 nordafrikanischen bzw. 
arabischen Kameltreibern nach Südwostefrika gewisser- 
maßen schon gemacht. 

Auch zur Verwendung in friedlichen Verhältnissen 
wäre für Südwestafrika die dauernde Einbürgerung des 
Kamels an Stelle desTieckocbaen, oder wenigstens neben 
ihm, wünschenswert. Herr Karl Hugenbeck, der in solchen 
Fragen wohl als Autorität angesehen werden kann, und 
der auch die Lieferung der nach Südwestafrika einge- 
führten 2000 Tiere ausgeführt hat, empfiehlt in einer 
mir liebenswürdigerweise erteilten Auskunft über die 
Verwendung von Kamelen, das Lastkamel für Transport- 
zwecke nicht als Trag-, sondern als Zugtier zu ver- 
wenden. Nach seinen Erfahrungen vermag das Kamel 
etwa das Fünf- bis Sechsfache von dem zu ziehen, was 
es auf dem Rücken vorwärts schaffen kann. In Süd- 
rußland wie in Sibirien wird daher auch das dort ge- 
züchtete zweihöckerige, eigentliche Kamel ausschließlich 
als Zugtier — sogar zur Landbestellung — benutzt. 
In Syrien, Algier und in Ägypten wird das Dromedar 
ebenfalls schon »ls Zugtier benutzt; in Südarabien, be- 
sonders in der altcu englischen Besitzung Aden, sogar 
fast allgemein; seine Anwendung als solches dehnt «ich 
hier immer weiter aus. Benutzt werdeu dabei zum 
Lastentransport primitiv gebaute, zweiräderige Karren, 
die mit einem oder mehreren Tieren bespannt wer- 
den können. In den Feldzügen der Engländer gegen 
den Mullah in Somaliland wurden mit solchen von 
Dromedaren gezogenen Wagen gute Erfahrungen ge- 
macht. 

Erwähnt sei noch, daß auch in Australien (West- 
australien), sowie in den Wüstengegenden Nordamerikas 
(Arizona, Neumexiko) dio dort eingeführten Kamele sich 
bewährt haben und teilweise sogar verwildert aind. Die 
Frage der Eingewöhnung, die übrigens durch die früheren 
Versuche inSüdwestofrika eigentlich schon im bejahenden 
Sinne gelöst war, dürfte daher auch hier kein Hindernis 
für die dauernde Beibehaltung dieses nützlichen Haus- 
tieres sein. Gentz. Oberleutnant. 



Bücherschau. 



Dr. Otto Arendt, Die parlamentarischen Studien- 
reisen nach West- und Ostafrika. Keisebriefe au* 
'l'ojju, Kamerun und Dcutsch-tMafrika. 174 S. Mit •! Abb. 
Berlin. C. A. Schwetsehka und Sohn, l'JOii. .'i M. 
Di" in bester Absicht von der Kolonialgesellscliaft ver- 
anstalteten, aber doch nur komisch wirkenden sogenannten 
Studienreisen von Keichstagxabgeurtineteti naHi West- und 
Ustafrika hat der Verfasser, der an beiden teilgenommen hat, 
in Keisebriefen an eine Berliner Zeitung geschildert, w<i »ie 
am besten der Vergessenheit anheimgefallen wären. Ks ist 
aber f.ir niilig »«runden worden, sie xu einem Buche ver- 



einigt nochmnlx dein Publikum vorzusetzen. Wenn wir uns 
hier kurz mit ihneu beschäftigen , so geschieht «s nur, um 
vor ihnen zu warnen. Waren die Bücher vou Semlsr uud 
1'awsche wenigstens iusöfom einigermaßen beachtenswert, als 
aus ihnen eine dnheim betriebene eingebende Beschäftigung 
mit den kolonialen Verhältnissen sprach, so lallt das vor- 
liegende an Flachheit nichts zu wünschen übrig. Uanz 
besonders gilt das von Briefen über die l'nbrt von ll»05 nach 
der Küste von Kamerun und Togo. Kein Tourist, der etwas 
derartiges schriebe, könnte darauf rechnen, sich irgendwo 
.^•druckt" zu sehen; ein It« icbstagsalvjteordm tcr aber darf 



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Bacherschau. 



146 



«ich damit kl* , Kenner" anstaunen lassen und wird nach 
vielfach angestaunt! Darin liegt die überaus große Gefähr- 
lichkeit solcher an sich bedeutungsloser Veröffentlichungen. 
In Viktoria siebt der Verfasser unter den Europäern gesunde, 
kräftige beute; damit ist für ihn der .Beweis* erbracht 
(B. 33), dafl es mit den gesundheitlichen Gefahren .von 
Kamerun* — als» des ganzen gruflen Kameruni - nicht so 
schlimm steht. El-mao sicher ist das Urteil iilx-r die Knt- 
wickelung Deutsch-Ost afrikas, der Kolonie, die größer ist als 
das europäische Deutschlaad, das gewonnen ist am Tage der 
Ankunft in Dar es Salain, nachdem die Herren vorher noch 
ein Weilchen in Tanga gewesene die Kntwickelung der Kolonie 
— so wird dem stellvertretenden Gouverneur am Abend beim 
festlichen Mahle versichert — sei weiter vorgeschritten, als 
man sich gedacht. Und nachdem der Verfasser rieh ein paar 
Tage in Uaambara umgesehen, in einigen Küstenorten feier- 
lich empfangen worden ist, auf einer Fahrt auf dem Viktoria 
Njansa die Stationen Bukoha, Muansa und Schirati angelaufen 
bat, schließt er sein« Briefe mit der Versicherung, Ostafrika 
sei für uns ein Indien. Hat der Verfasser denn gar keine 
Ahnung davon, wie lächerlich derartige Behauptungen sind* 
Recht bedenklich wird man auch , wenn der Verfasser seine 
Leser über die Geographie Afrikas unterrichtet. So erzählt 
er wiederholt, er sei in Guyana ('), »o läOt er Stanley Uganda 
entdecken, den Nil in den Biponfallen entspringen. ' 

H. Singer. 

Dr. E. Stephan und Dr. F. öraebner, Neu-Mecklcn- 
bürg (Bismarck-Archipel). Forschungsergebnisse hei den 
Vermessungsarbeiten von 8. M. S. Möwe im Jahre 1904. 
Mit 10 Tafeln, 8 Notenbeilagen, zahlreichen Abbildungen 
und 1 Übersichtskarte. Berlin, Dietrich Reimer, 1907. 
Ii! M. 

Dr. E. Stephan, Südseekunst. Beitrage zur Kunst de« 
Bismarck-Archipels und zur Urgeschichte der Kunst über- 
haupt. Mit l.t Tafeln, 2 Kartenxkizzen und zahlreichen 
Abbildungen. Berlin, Dietrich Beimer, l«t>7. 6 M. 
Mühsam haben die Verfasser alterer ethnographischer 
Handbücher wie Wailz. l'eschel, Müller sich den Stoff zu 
ihren Werken aus einzelnen Reiseberichten zusammensuchen 
müssen. Der in die Welt hinausziehende Forscher war mehr 
Bntdeckungsreiaender und Geograph oder Naturforscher ; 
ethnographische Fragen kamen nur nebenhiu in Betracht. 
Sollte jetzt wieder ein Gelehrter es unternehmen, da* Oesutuit' 
ergebnis ethnographischer Forschung etwa in dem Umfange 
wie Waitz zusammenzufassen, so würde ihm eine ganz an- 
dere, kaum von einem eiozeluen zu bewältigende Stoffülle 
zu Gebote stehen, die aber im Gegensatz zu jenen alteren 
Arbeiten verfaßt ist von Leuten, die mit der vollsten Kennt- 
nis der nötigen Fragestellung hinauszogen in die bunte 
Völkerwelt. Und zu diesen gut vorbereiteten Forschern ge- 
hört auch der Marinestahsarzt Dr. Stephan, dem im ersten 
der hier angezeigten Werke sich Dr. Graebner vom Kölner 
Run tenstrauch- Museum als Mitarbeiter angeschlossen hat, 
während das zweite, nur auf die Kunst bezügliche Werk 
allein von Dr. Stephan herrührt. Man kann wohl sagen, 
daS er mit Liebe sich »einer Aufgabe unterzogeu hat, deren 
Wichtigkeit er stark betont, auskllugend in dem ernsten 
Mahnworte, rasch und tatkräftig noch bei den hinschwin- 
denden Naturvölkern zu sammeln und zu buchen, ehe sie 
und ihre Sprachen, diese unschätzbaren Urkunden für die 
Kalturgeschichte der Menschheit, verschwunden sind, ein 
Prozeß, der mit reißender Schnelligkeit sich vor unseren 
Augen vollzieht. 

An den unnötigerweise erteilten Namen Neu-Mecklenburg 
müssen wir uns schon gewöhnen, nachdem 150 Jahre lang 
das von Dampier gegebene „Neu-lrland* im Gebrauche war. 
Ein einleitendes Kapitel macht uut mit der Kntdeckungs- 
gesehichte, Geologie, Fauna und Flora bekannt, während die 
ethnographische Forschung sich vorzugsweise mit der süd- 
lichen Hälfte der lusol beschäftigt. Und hier tritt uus uiu 
überwältigender Reichtum von Einzelheiten eutgegen, die 
zumeist auch mit vortrefflichen Abbildungen versehen sind, 
so daß sie in der gesamten bisher vorliegenden Literatur das 
Vollständigste über die Eingoboreneu Neu-Mecklenburgs bie- 
ten. Dabei fehlt es keineswegs an zusammenfassenden Be- 
trachtungen, wie der Abschnitt über die verschiedenen Kul- 
turbezirke, deren Abgrenzungen und Wechselbeziehungen 
zeigt. Hier erstrecken »ich die Untersuchungen der Verfasser 
nieht bloß auf den Bismarck-Archipel, sondern greifen einer- 
seits über nach Neuguinea, andererseits nach den Salomonen. 
Eine merkwürdige Mischung verschiedenartiger F.lementu uud 
Durchdringung verschiedener Kulturen wird in sorgsamen Ein- 
zeluntereuchungen nachgewiesen, wobei Siedelungsgeschiehte, 
Sprache und Anthropologie herangezogen werden, so daß alle 
Hilfsdisziplinen, deren die moderne F-thnopniphie »Ich erfreut, 



zu ihrem Rechte kommen. Da die geistige Kultur, die reli- 
giösen und politischeu Verhältnisse aber immer noch nicht 
I genügend durchforscht sind , so muß im wesentlichen die 
I materielle Kultur hier zugrunde gelegt werden- Es handelt 
sich dabei aber um so viele Einzelheiten, daß auf Anführun- 
gen verzichtet werden muß. Aber so viel ergibt sich schon 
mit Sicherheit, daß eine lange und reiche kulturgeschichtliche 
Entwicklung bei die*en Völkern sich vollzogen hat. 

Mit besonderer Liebe, hat Dr. Stephan das zweite, den 
Manen Bemhrandts gewidmete Werk über die Hüdseekunst 
geschrieben, wobei er sich nicht auf sein besonderes For- 
schungsgebiet beschränkt, soudern, weiter ausgreifend, die in 
den letzten Jahren häufiger bebandelte Urgeschichte der Kunst 
bespricht, wobei ihm seine reiche Sammlung als Grun-iln^e 
dient. Nicht nur die prähistorischen Anfänge, auch die an- 
tiken Anschauungen (Vltruv) uud die neueren Forschungen 
von Stolpe, v. d. Steinet), Th. Koch u. a. werden dabei be- 
rücksichtigt, so daß das Werk auf breitester Grundlage sich 
aufbaut Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus werdeu 
in der Sndnee eine ganze Anzahl bestimmter, gut ausgepräg- 
ter Kunststile (allein sechs in Polynesien, mehrere im Bis- 
marck-Archipel) unterschieden, wobei das allgemein übliche 
Wort „Ornamentik* zurückgewiesen und statt dessen „Be- 
kunstung* eingeführt wird. Erstaunlich ist wieder der reiche 
Stoff, dor gut beobachtet und tiefsinnig erläutert beigebracht 
wird, aber die bildend« Kunst der Insulaner mußte gerade 
in dieser Richtung dazu auffordern, ihr näher zu treten; 
denn kaum ein Gebrauchsgegenstand ist ohne künstlerischen 
Schmuck, sei es nun ein liauspfosten, ein« Waffe, ein Werk- 
zeug, ein Boot, der bemalte Körper oder die mit Stickerei 
verzierte Regeukappe der Kinder. Hier können unsere Kunst- 
historiker vom Ethnographen lernen. 

P. J. Meier» Die Bau- und K unstdenkmnler des Her- 
zogtums Braunschweig. III. Bd., Abteilung I u. Ii. 
Wolfenbüttel, Julius Zwißler, DKM u. l»0fl. 
Das große Werk, das einen hervorragenden Platz unter 
den die h'unstdenkmäler Deutschlands schildernden Fach- 
nrbetLen einnimmt, hat vor den meisten derartigen eiu» vor- 
aus, was die Anzeige an dieser Stella begründet. Es greift 
nämlich in vielen Fällen über den Rahmen der Kunst- 
geschichte, berücksichtigt auch die prähistorischen Denkmale, 
den bäuerlichen Hausbau und die Siedelungskuude, so daß auch 
auf diesen Gebieten in gründlicher Weise Belehrung geboten 
wird. Darauf wollen wir hier hinweisen. Die erste Abteilung 
des in vorzüglicher Weise reich mit Tafeln und Textabbil- 
dungen versehenen dritten Bandes behandelt die Residenz- 
stadt Wolfenbüttel, deren Name nicht etwa auf die Weifen 
zurückgeht, sondern auf einen Wolfher, der nach sächsischer 
Art hier siedelte; es ist zugleich die südlichste Ortschaft 
all' der zahlreichen „Büttel*. In der zweiten Abteilung 
lernen wir die Ortschaften des Kreises samt dem dazu ge- 
hörigen Teile des Harzes kennen, und hier werden nament- 
lich die für die Hausbaukunde belangreichen Dörfer mittel- 
deutscher Art ausführlich besprochen und abgebildet. Da 
der Vorfasser, Museumsdirektor Paul Jonas Meier, unterstützt 
von seinem Mitherausgeber, Dr. Steinacker, persönlich jedes 
einzelne Dorf, ja man kann sagen Haus durchforschte, so 
hat die überall in Deutachland rege einsetzende Hausforschung 
hier eine dankenswerte Bereicherung erfahren, wie dieses in 
den beiden ersten Banden bezüglich des niedenächsischen 
Hause« der Fall war. Tritt auch im dritten Bande die früher 
befolgte Hervorhebung einzelner prähistorischer Funde zu- 
rück, die wegen verborgener Literaturangaben immerhin 
dankbar war, aber kein zusammenhängendes prähistorisches 
Hild des Landes bieten konnte, so haben wir ca hier mit 
einer in alle Einzelheiten eingehenden, mit Karten und 
Durchschnitten versehenen Schilderung der belangreichsten 
alten Befestigungen am Reitling im Elmgebirge zu tun, auf 
Grundlage der sorgfältigen Aufnahmen und Forschungen 
von Lühmann. Schon lange haben diese mächtigen Burg- 
wälle zu beiden Seiten des Keitlingtales die Prähistoriker be- 
schäftigt, aber erst jetzt beginnen wir klarer zu sehen und 
verschifdeue Perioden zu unterscheiden. Das Ergebnis ist, 
kurz zusammengefaßt: „Die ganze umfangreiche Anlage in 
ihrer Vollendung muß als eine altsächsische angesprochen 
werden, aber die Funde spaterer Keramik können anderer- 
seits als Beweis dafür angesehen werden, daß dieBe noch in 
karolingischer Zeit uud später benutzt worden ist.* Die 
Grundlagen dieser altsächsischen Befestigungen gehen aber 
in frühere Zeiten zurück, wenigstens bis zu der des nord- 
thüringiscbeti Reiches- Haben wir es hier also mit einer 
frübgeschichtlichen und in das Mittelalter hineinreichenden 
Burganlage zu tun, so erweist sich die Annahme, daß die 
durch Heinrich IV. schon bekannt gewordene Harzburg auf 
vorgeschichtliche Anlagen zurückgehe, als irrig- Schon die«e 



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146 



Kleine Nachrichten. 



kurzen Andeutungen zeigen, wie da» schöne Werk auch für 
den llrgeschiehts- uud Volksforseher eine Fülle sorgfältig 
verarbeiteten Stoffes birgt. Richard Andre«. 

Hermail Hirt, I> i t» IndogArmnnen, ihr«- Verbreitung, ihre 
Urheimat und ihre Kultur. Zweiter Band- Mit 4 Karten 
und t» Abbildungen. Straßburg, Karl J. Trüboer, IW>7. 
9 M. 

Die Pagiiiierung lauft in diesem zweiteu Teile fort von 
S. 40» bis 771, und Ton diesen .'100 Seiten entfallen allein 
auf die Anmerkungon 220. In letzteren, die oft weit über 
das besondere FVirschutigsgebiet de« Verfasser* hinausgreifen, 
liegt ein großer Wissenssehatz aufgestapelt, der zur Begrün- 
düng des Haupttextes dient. Prähistorie, Archäologie, Anthro- 
pologie, Ethnographie, verschiedene naturwissenschaftliche 
Disziplinen » erden ausführlicher oder gelegentlich herbei 
gelogen, und man erkennt deutlich, wie es dem Verfasser 
durum zu tun gewesen ist, «ein schwierige» Tfaetna nicht 
bloß vom sprachlichen Standpunkte aus zu erörtern. Und 
da liegt ein gewaltiger Fortsehritt gegenüber jenen älteren 
Arbeiten, die, nur auf linguistischer Grundlage stehend, fein 
säuberlich die Indogerniancn über Kaukasus und Trat nach 
Humpa wandern und dort sich ausbreiten Hellen. 

Hie Gesellschaft nnd geistige Kultur der Indogermanen 
sind es, die in klarer Weise in diosem zweiten Knude be- 
handelt werden, wobei auch Streiflichter auf die übrigen 
Völker Europas fallen. Ks ist da ein gute» Oesamtbild ge- 
liefert worden, wenn auch bei der HaschHiissigkeit der For- 
schung manches heule schon iu anderem Lichte erscheint, 
als in dem Werke angegeben ist. Von den heigegebeueu 
Karten ist nur die letzte Original; sie zeigt uns die Aus- 
breitung der indogermanischen Sprachen mit Pfeilou und 
Strichen, wie sie nach <leu Forschungen Hirts in Kuropa 
sich darstellet! und mit ihren arischen Auslaufern ütier den 
Kaukasus nach Armenien und weiter nach Asien gelangen. 
Daß mit allen Neueren der Verfasser die Heimat der Indo- 
gernianen in Kuropa findet, braucht kaum besonders hervor- 
gehoben zu werden, da die gegenteilige Ansicht kaum noch 
Anhänger besitzt. Aber er bestimmt sie auch genauer. ,Ks 
kann kaum ein anderes Gebiet für sie iu Betracht kommen 
als die große Tiefebene Mitteleuropas, die durch ein mäch- 
tiges Waldgebirge ziemlich scharf nach dem Süden zu ab- 
geschlossen war. Dieser Abschluß macht sich noch In spaten 
Zeilen geltend, und so haben wir hier in Mitteleuropa zweifel- 
los eiu Gebiet vor uns, das seiner ganzen Natur nach zur Aus- 
bildung eines besonderen Volkstypus und einer besonderen 
Sprache geeignet war." 

Dr. Otto Bdrkcl, Psychologie der Volksdichtung. 
Leipzig. B. G. Teubner, l»<>». 7 M. 
Ein eigenartiges, mit viel Sachkenntnis, großer Literat ur- 
beherrscbuug und Liebe zum Gegenstande geschriebenes Werk, 
das den Beweis liefert , daß man auch dem von vielen Ihj- 
handelten Volksliede noch neue Seiten abzugewinnen weiß. 
Auf breiter Grundlage baut der Verfasser «eine „Psychologie" 
auf, er berücksichtigt auch die Naturvölker (im ctbnographi 
sehen Sinno), doch erkennt man leicht, daß ihm der Stoff 
hier nur mehr zufällig uuter die Hände gekommen ist. Der 
Schwerpunkt liegt in der Volksdichtung der europäischen 
Volker, und hier wondet er, was leicht zu Mißverständnissen 
führt, den Ausdruck .Naturvölker* sogar auf die schon mit 
Schrift versehenen Völker wie Letteu, Esten, Basken usw. 
an. Kine Fülle von gut gewühlten Belegen begründet die 
einzeluen fein unterschiwlenen Alischnitte , wenn auch das 
Kapitel über den Ursprung des Volksgesauges aus dem Kufe 
als unmittelbarer Ausbruch seelischer Krregung nicht un- 
geteilten Beifall haben wird. Sehr ansprechend sind die 



Hauptstricke über den Zusammenhang der Volksart und der 
Sprache mit der Volksdichtung (hier /.. B. Nachweise, wes- 
halb im plattdeutschen Gebiete das Volkslied meistens hoch- 
deutsch ist), den Anteil der Frau am Volksliede, die Wande- 
rungen des Volksliedes, Wettgonäinge, Humor und Spott, Kriegs- 
lieder usw. Viele Jahre hat der Verfasser gebraucht, um 
i den Kieseustoff zu bewältigen, der nun, gesichtet und unter 
I allgemeine Gesichtspunkte gebracht, uns die Psychologie des 
| Volksliedes vorführt- Zum Schlüsse empfiehlt er warnt dessen 
Pflege und Auffrischung in unserer Zeit der überhandnehmen- 
den Tingeltangellieder. 

Richard Wossldlo, Mecklenburgische VolkBÜberliefe- 
rungen. Dritter Band; Kinderwartung und Kinder- 
zucht. Wismar, llinstorff, 1«>>'>. ft,4» M. 
Wie iu den beiden früheren Bänden, so tritt uns hier 
abermals ein überwältigender Keichtuin entgegen, den der 
Sammeleifer Wossidlos zu Ehren seiner Heimat ans Tages- 
licht gefördert bat. Freilich versteht er es auch meister- 
haft, zu forschen, wie er uns kürzlich (Zeitschr. des Vereins 
für Volkskunde, 1906) selbst erzählt hat. Weit über «000 
auf die mecklenburgische Kinderstube bezügliche Heime, 
Spruche und Gedichte teilt er uns hier mit, ganz abgesehen 
, von den zahllosen, noch immer sehr reichlich bemessenen 
Varianten. Und das alles systematisch geordnet, so daß man 
iu dieser Volksweisheit die ganze Entwicklung und Erziehung 
des Kinde» verfolgen kann. Dazu die reiche Verarbeitung 
der einschlägigen Literatur, nicht bloß der norddeutschen, 
und die Vergleiche mit den Kinderliedern anderer Länder, 
die mundartlichen Erläuterungen, die Verzeichnisse von 
Schimpfwörtern uud sorgfältige Register, die nach den ver- 
schiedensten Richtungen deu gewaltigen Inhalt bei|uem über- 
schauen lassen, dem an Keichtuin nur noch De ("oeks und 
'IVieiiiucks „Kiuderspicl und Kinderlust in Südniederlaud* 
gleichzustellen ist. 

Greifen wir einzelnes heraus, so ist die Derbheit uud 
Naturwncbsigkeit, die so häutig sich in den Reimen und 
Sprüchen zeigt, nicht »Hein bei den Mecklenburgern, sondern 
bei allen Völkern zu finden. Ks ist selbstverständlich, daß 
derartiges nicht unterdrückt werden durfte. Durchweg trägt 
das Mitgeteilt« deutschen l'hnrakler, stimmt auffallend mit 
dem, was wir sonst aus Niedersnchsen und anderen deutschen 
Landschaften wissen. Ich habe keinerlei slawische Anklänge 
gefunden, was um so »uffallendor ist, als wir jetzt durch 
Wittes Forschungen darüber genau unterrichtet sind, wie in 
verschiedenen Gegenden Meckleuburga das slawische Element 
sich länger rein erhielt, als bisher angenommen wurde- Aber 
die Germauisierung erfolgto gründlich. Dagegen lassen sich 
iu dein ganz protestantischen Lande noch einige katholische 
Überlebse] nachweisen. Auf den „Kolkismus- möchte ich 
auch Nr. 1025, „Fickefacke dotniue, tut die ganze Woche 
weh*, zurückführen, wobei es sich um eine Fistula domini 
als Züchtiguugsgerät handelt. Fast durchweg sind die Über 
lieferungen plattdeutsch, und wenn hochdeutsche Kinder 
gebete: „Abb«, lieher Vater, erbarme dich über mich kleines 
Kind', sich Anden, so können diese erst mit der Reformation 
gekommen sein. Einzeln sind auch aus Uberdeutachland 
eingedrungene Kindcrlicdchcn vorhanden (Nr. 495 bis 510). 
Erfreulich wirkt iu der Heimat Fritz Reuters der Humor; 
hat das Kind *ich an deu Kopf gestoßen, so sagt man: „Ist 
die beste Laus nun tot '", oder, wenn der Sohn vom Vater 
geschlagen wurde, meint jener: .Der Valer und ich konnten 
wie Brüder leben , wenn er nur das Prügeln ließe." Mytho- 
logisches blickt öfter durch, wie in deu Böötsprüchen 
(Nr. 55S ff.), in der Erwähnung des Wort , vor dem man sich 
fürchtet, wie auch in einer ausführlichen Auseinandersetzung 
über .Buko von Halberstadt' der Verfasser mythologische 
Andeutungen nachweist Richard' And ree. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit 4n*llen»l>ir> t " > »»«Uttel, 

— Professor Alfred Kirchhoff ist am ».Februar in | künde entfaltete, zu deren ältesten akademischen Vertretern 

Mockau bei Leipzig gestorben. Kirchhoff war am 2:i. Mai in Deuts. bland er gehörte. Kirchhof!« Verdienste liegen außer 

lH.'ü* in Krfurt geboren, studierte tu Jena uud Bonn Natur- auf dem Felde der lyehrtatigkeit vornehmlich auf den Gebteteu 

Wissenschaften und war zunächst jahrelang als Schulmann landeskundlicher Forschung, der Geographie unserer Kolonien 

an verschiedenen Orten, zuletzt in Berlin, tätig, wo or seit und der Schulgoographio , zuui Teil auch der Botuuik , der 

1*71 auch au der Kriegsakademie erdkundliche Vortrage hielt- . manche seiner alteren Veröffentlichungen galten. Kine „Schul- 

lt<7.'t folgte er einein Ruf als Professor der Erdkunde an die geograptite' von ihm ist in vielen Auflagen erschienen; meh- 

Universität Halle, wo er bis 1 «s>4. bis zu seiuetn Übertritt in reie Aufl. igen erlebten auch seine „ Erdkunde für Schulen" 

den Ruhestand, eine segensreiche'] ätifkeit im Interesse der F.rd- und seine .Schutzgebiete des Deutschen Reiche«". Nach 



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Kleine Nachrichten. 147 



Paschels Tod«- bearbeitete er mehrfach dosscu .Völkerkunde". 
Kirehhoft war ferner Herautgeber und Mitarbeiter einer groll 
ungelegten „Länderkunde von Kuropa*, Mitherausgeber der 
bisher in drei Binden vorliegenden „Berichte über die neuere 
Literatur zur deutschen Landeskunde* und, im Auftrüge der 
Zentralkommjssion für wi*««n*chafllichA Landeskunde von 
Deutichland, Herausgeber der „Forschungen zur deutschen 
Landes- und Volkskunde", eines Sammelwerken, da» in zahl 
reichen Händen viel« wertvolle Mimographieu gebracht hat. 
Dieses ihm besonders am Heilen liegende Werk redigierte er 
bis zu seinem Tode. Ferner gab er von 1891 bis 1904 ein 
, Archiv für Laude«- und Volkskunde der l'rovinz Sachsen* 
heraus. Kirehhoff» Tod reißt im Mitarbeite! kreise vieler 
wissenschaftlicher Zeitschriften eine schmerzliche Lücke. 

— Südpolarforschung. Auf dem Polarforscherkongreß, 
der im September v. J. in Brüssel stattfand, wurden bekannt- 
lich eine belgische und eine französische Büdpolarexpeditinn 
für die nächste Zeit in Aussicht gestellt. Gesichert erscheint 
jetzt zunächst eine belgische Expedition; sie wurde be- 
schlossen iu einer Sitzung, die Ende Jauuar d. .1. in der Woh- 
nung des Staatsministers Baernaart stattfand. Dem Programm 
dürften die Vorschläge Arctowskis auf dem Kongreß zu Möns 
(vgl. Globus, Bd. »8, 8. 380) und die Beschlüsse des erwähnten 
Brüsseler Kongresse* (Globus, Bd. »o, 8.2-11) zugrunde gelegt 
werden. Wann der Aufbruch erfolgen wird, ist aus den bis- 
herigen Nachrichten nicht zu ersehen. — Ferner meldet 
.Beuten Bureau", dal» im Oktober d. J. eine englische 
Sildpolarexpedition hinausgehen »oll. Wer sie veranstalte!, 
ist nicht ersichtlich. Die Fuhrung liegt in den Händen des 
Leutnants E. Shacklelon, de« dritten Ofliziers der „Discovery "- 
Expedition, deren auf Hchlllteureisen gewonnene Resultate 
durch die neue Expedition erweitert werden sollen. Das Ziel 
ist mithin das Viktorialand. Außer Hunden sollen sibirische 
l'onie* und «in Motorschlitten mitgonommen werden. 

— Sven v. Hedins Tibetreise. Uber Gyangiae isi Anfang 
Februar eine Nachricht von Sven v. Hedin eingetroffen, die be- 
sagt, daß er am '21. Januar .in Kgangnn Tsn 1 " eingetroffen sei 
und Ende Februar Schigatse am Sangpo zu erreichen hoffe. Die 
Nachricht gibt Aufschluß über die Beschwerden der Heise 
und einige Erlebnisse und zählt die Entdeckungen und wissen- 
schaftlichen Arbeilen auf, ohne jedoch nähere Mitteilungen 
über den eingeschlagenen Weg zu enthalten. Er habe Tibet 
in seinem dunkelsten Teile „diagonal* durchquert , sagt der 
Forscher. Nach den bis dahin letzten Nachrichten war v. lledin 
Mitte September J&oS am Jcschilkul im Nordwesten von Tibet, 
den vor ihm auch Zugmayer (vgl. oben 8. Ii') berührt hatte. 
Ngangon Tw> wirr vielleicht .der" Ngangon Tso (Tso — See) 
wird in dem Seengebiet im Nordwesten von Lhassa zu 
suchen sein, so daß v. Hedin vielleicht das große unbekannte 
Stück Tibets zwischon den Routen Wellbys und Bowers durch- 
kreuzt hat. Bei Nganglso wurde v. Uedin am II. Jannar 
durch Tibetaner aufgeballen, doch ließen sie ihn zwei Tage 
spater weiter ziehen. 

— Dr. Tafeis Tihetreise. Auf S. 3fi de» 9o. Globus 
bandes wurde mitgeteilt, daß Dr. Albert Tafel nach einem 
verunglückten Versuche, über den Kukunor in Tibet ein- 
zudringen, im Januar 1906 nach Sinnig zurückgekehrt war 
und spater den Versuch auf einem andeien Wege wieder- 
holen wollte. Das hat er inzwischen getan. Die leinen Nach- 
richten darüber datieren aus ßaruu iu der Landschaft Zai- 
dam, südwestlich vom Kukunor. Er war von Sining zunächst 
seiner mit Filchner gemeinsamen Boute von 1004 gefolgt und 
verließ sie am Ü3. April in Scbarakuto. Er wandte »ich von 
hier mit zehn chinesischen Begleitern, er selber in chinesischer 
Verkleidung, südwärts gegen den Hoangho, um diesem »o weit 
wie möglich abwärts zu folgen. Kr durchwanderte die wasser- 
loso, dürre Stepp« Tava oder i'nta, ein Alluvialplateau, iu 
das dort der Hoangho sich einschneidet. Der auf Kilchners 
Kartenskizze als Zufluß des Hoangho verzeichnete Ilujujnng 
endet in einem kleiueu Doppelsee namens Sinitso, der von 
Sanill>«rgen umgeben ist und sein Wawr unterirdisch zum 
Hoangho durchsickern läßt. Den Hoangho im Osten lassend, 
wandte Tafel sich süd und südwestwärt«. Futteren, und 
Prschewnlskis Routen kreuzend und berührend, gegen das 
Amne- Matschiiigebirge und seinen und Filchner« Heiseweg 
von 1004, doch wurden beide nicht erreicht. Es himli-rt« 
Tafel dort daran ein von ihm Tschürnong - tschü genannter 
großer westlicher Nebenfluß de.» Hoangho (jedenfalls l'rsche- 
walskis Tschurmen), dessen wildas Felsentiil sich ul« unüber- 
schreitbar erwies. Ho wandt* sich Tafel uach Nord westen 
und kam auf die Route Roborowsky- -Koslow und wieder an 
den Tschürnong-tschü. Hier wäre der Fluß zwar zu passiereu 
gewesen, aber nuu zwangen die Tibetaner den Reisenden zur 



l'iukehr. Sie erklärten Tafel, er sei ein Fremder, und die 
Stämme am Amne - Matschiu würden die Entheiligung de» 
Gehirges durch ihn nicht dulden. Tafel war dort dein tte- 
> birge bis auf 40km nahe gekommen; er zog nun westwärts 
zum Tosnonnor, womit er wieder die Route von 1904 gewonnen 
hatte, und folgte dieser 1' t Tage nach Nordosten. Dann 
ging er durch das Tsagantal (Rockhilla Weg) nach Kchangiirti 
und Barun in Tsaidam (Mitte Juli), um sich bei den dortigen 
Mongolen für den Marsch nach Süden zum Hoangho und 
Jangtsekiang (Dauglagebirge) auszurüsten. 



— Die wirtschaftlichen Verhältnisse Tripoli- 
tanieus erscheinen nach den in der .Oster. Monatsschrift 
für den Grient' (Januar 19»") abgedruckten Mitteilungen 
aus dem Jahresl>ertcbte des österreichisch - ungarischen Kon- 
sulats in Tripolis für 190.'' recht trübe. Die einheimische 
Lind Wirtschaft und Industrie stehen noch auf ganz primitiver 
Stufe. Diu Gesamt handclslieweguiig dos Vilajel* war zwar 
um 18d6u00 Fr. gegen 15)04 auf 20 :■•_'.'> 000 Fr. gestiegen 
— und zwar betrug die Einfuhr UOiKioOO (|- 2095000) Fr., 
die Ausfuhr S4n50OO (— 22eooo) Fr. — aber diese erhöhte 
Bewegung ist nicht als eine Resserung, sondern eher als ein« 
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu betrachten; 
denn über die Hälfte des Einfuhrüberschusses wurde nur 
durch Mehl , Olivenöl und andere Nahrungsmittel herbei' 
geführt, well die tripolitanische CereAlien- und Olivenerute 
für den heimischen Verbrauch nicht auareichend gewesen 
war. Der Export von Olivenöl hat nicht nur gänzlich auf- 
gebort, «ondem e» mußte 1905 für Ü'iaooo Fr. gegen 84000 Er. 
im Vorjahre eingeführt werden. Es ist das eine Folge da- 
von, daß die Iiaudleute, um Brennholz zu gewinnen oder die 
für jeden Fruchtbaum zu entrichtende Steuor zu ersparen, 
die wenigen Gartouhestände allmählich niederhauen , ohne 
irgend welche Neuanpflanzuugen anzulegen. 

Nach und nach stirbt der Karawanenhandel mit 
dem Sudan ab; erwies gegen 1904 wiederum eine Abnahme 
auf. Der Rückgang — so heißt es in dem Berichte — ist 
ein ständig andauernder. Während sich die Werte vor 12 Jah 
ren uoch auf it Millionen Frank bezifferten, sind sie bis zum 
Jahre 1005 stufenweise auf weniger als l' , Millionen Frank 
herabgesunken. Diesen Niedergang schreibt der Bericht 
hauptsächlich drei l'mstftudeu zu: den neueren und günsti- 
geren Wasserstraßen über Nigeria, der in steter Zunahme 
begriffeneu Unehrlichkeit der tripolitanischen Karawanen 
fübrer und der Unsicherheit auf dem langen Wüstenwege 
nach Bornu. Hierzu kommt aber wohl auch das immer mehr 
von Erfolg gekrönte Bemühen Frankreichs, die westlichen 
Wüstenband eis wege nach Algerien abzulenken. Demnach 
hat Tripolis seit 10 bis 12 Jahren an seiner Bedeutung al< 
Trausttbamlelsplau und als Ausriistungsort der abgebenden 
und Zielpunkt der ankommenden Karawauen immer mehr 
eingebüßt, und es ist keine Aussicht dafür vorhanden, daß 
das wieder anders wird. Auf dem Niedergange de* Tausch- 
handels mit Dinerafrika beruht unter anderem der traurige 
Rückgang der Anafuhr von Straußenfedern. Sie hatte 1890 
noch einen W«-rt von H34O000 Fr., H'ö« wurden noch für 
580O0O Fr. Federn, 1905 nur noch für 300 000 Fr. ausgeführt' 

— Prähistorisches von Capri. Die Tausende, die 
alljährlich das schöne Eiland im Golfe von Neapel besuchen, 
wissen wohl, daß «eine Geschichte zurückgeht bi» auf die 
erste Siedelung der Griechen an der kampauischen Küste, 
aber weiter zurück verfolgte man die Vergangenheit von 
t'apri nicht. F>rst in der allerletzten Zeit ist es gelungen, 
nachzuweisen, daß auch auf Capri der prähistorische Mensch 
gehaust hat. Schon 1901 fand Bellini bei einem Wegebau 
iu der Nähe der bekannten Cellos» behauene Feuersteine, 
1905 entdeckt© dann Dr. t urio beim Grundgraben zu einem 
Antwu des Hotels Quisisana in 6 bis 8111 Tiefe neben zahl- 
reichen Tierknochen Steinartefakte. Letztere sind Wuiirzite, 
und ihre Form gleicht den bekannten von St. Achvul in 
Frankreich. Was die Tierreste betrifft, so sind mit Sicher- 
heit bestimmt worden Elephas antii|uus, Hippopotamus, Rhi- 
noceros tichorhinus, Ursu« spelaeus, Sus scrofa usw. (Figo- 
rini. Materiell pulotnologici dell'lsola di Capri, 1908. Sonder- 
abdruck au* Bd. 3-' des Boll, di (talethnologia italiaiia.) 

— liegen das ehemalige Vorhandensein einer 
Kupferzeit wendet sich der Professor der Metallurgie 
W. Gowland (Journal of tha Antbropological Institute 1008, 
p. 11). Nach der gründlichen Arbeit von Matthäus Much 

' über die Kupferzeit, die 1893 schon iu zweiter Auflage er- 
1 schien , w urde ziemlich allgemein das Vorhandensein einer 
besonderen Kupferzeit zwischen jüngster Steinzeit und ältester 
■ Bronzezeit angenommen. Nach einem kurzen Überblick ü»mr 
. die älteste Metallgewinnung, der die BenuUuug der gediegen 



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148 



Kleine Nach.riob.teu. 



vorkommenden Metall" (Gold , Kupfer) voranging , geht der 
Verfasser xur Schilderung; «einer metallurgischen Versuche 
Uber und zeigt hierbei klar, daß die Erfindung der Bronze 
einfach dem Ausschmelzen solcher Krze zu verdanken int, 
die nebeneinander Zinn und Bronze enthielten. War auch 
da« Kupfer vor der Bronze teilweise kurze Zeit im tiebrauch, 
■o waren doch die aus ilim hergestellten Geräte (meist Meißel, 
Cclte) nur wenig brauchbar, wilhrend neben ihuen die Bteln- 
waffen für Krieg und Gebrauch hauptsächlich beibehalten 
waren. Dabei weist Uowland auf eine von den Prahistorikem 
übersehene, den Metallurgen aber wohl bekannt« Tatsache 
hin, nämlich: Kupfer kann nur in offenen Formen glatt ge- 
gossen werden , in geschlossenen aber wird e« von löcheriger 
Oberflache. Daher machte man auch nur die flachen , sehr 
einfachen Celte und Äxte aus Kupfer, feinere, verzierte Ge- 
rate daraus kommen nicht vor. Das Vorhandensein einer 
allgemein vor der Bronze herrschenden Kupferzeit leugnet 



— Das englisch-franzosisch-italienische Abkom- 
men über Abessinien, das im Sommer v. J. geschlossen 
wurde (vgl. Globus, Bd. 1*0, 8. 172), ist. am 13. Dezember v.J. 
in London unterzeichnet nnd der Wortlaut veröffentlicht 
wurden. Als allgemeines Ziel des Abkommens wird die Auf- 
rechtcrhaltung dor Integrität Abessinicus „so weit als mög- 
lich* und die Gleichberechtigung de» Handels und der 



ebörigen der drei Vertragschließenden 
Außerdem wird durch das Abkommen den speziellen Inter- 
essen der drei Machte Rechnung getragen. So hat England 
sich die Anerkennung seiner Wünsche wegen einer Regu- 
lierung der abessini scheu Nilzutlüsse gesichert. Bezüglich der 
Bakubautou hat jede der drei Mächte in Alwssini«» ihre be- 
sondere Interessensphäre. Die Dschibuti- Eisenbahn soll durch 
die jetzige odor eine andere französische Gesellschaft von 
Diredaua nach Adis Abeba mit einer eventuellen Zweiglinie 
geführt werden, doch sollen der Verwaltung 
wischen Gesellschaft ein englischer und ein ita- 
lienischer Vertreter angehören. Braucht Abcssimen für einen 
Weiterbau dieser Bahn nach Westen fremde Hilfe, so soll 
sie nur von England gewährt werden dürfen; auch darf Eng- 
land eiue Bahn von Britisch - Somaliland zur ßudaugrenze 
bauen. Betonbauten endlich, die den Zweck haben , Eritrea 
mit der Benadirküste zu verbinden, sind Italien vorbehalten, 
falls Abessinien dazu auswärtiger Unterstützung bedarf. Daß 
dieser wirtschaftlichen Aufteilung Abeesiniens unter seino 
drei Nachbarn die politische in absehbarer Zeil folgen wird, 
wurde im Globus (a, a. O.) bereits ausgeführt. 

— Ein Erdbeben hat am 13. Januar Jamaika heim- 
gesucht und insbesondere die Hauptstadt Kingstown stark in 
Mitleidenschaft gezogen. Der englische Seismologe Charles 
Davison bespricht es in der „Nalure" vom 24. Januar mit 
vergleichenden Hinweisen auf das Beben von 1092, das die 
ganze Lnsel betraf und Port Royal zerstörte. Das jetzige 
Erdbeben hat seine Zerstörungen auf einen kleineren Krois 
beschrankt, so daß die Verluste über einen Radius von 15 
bis 80 km um Kingstown hinaus nicht beträchtlich zu sein 
scheinen; so sind Port Antonio, 4 i km nordöstlich , und Hol- 
land Bay, 60 km ostlich von KingsUiwn, fast unbehelligt ge- 
blieben. Der Stoß war plötzlich und narh den Beobachtungen 
in der Hauptsache vertikal. An vielen Stellen bei Kingstown 
war der Erdboden geborsten . die Wasserleitung beschädigt. 
Ans diesen Umstanden zieht Davison den Schluß, daß der 
Herd des Bebens in unmittelbarer Näh« von Kingstown. viel 
leicht gerade darunter, und in geringer Tief« lag, und aus 
den scismographischen Beobachtungen der Observatorien von 
Washington, Bhide und Edinburg, daß es geringeren Grades 
war als das von San Francisco und Valparaiso. Auch sei 
es möglich, daß der Herd der Beben von 16W2 und 1M07 der- 
selbe sei. 

WVMiikIh d, »»gl Davison, zeichnet «ich durch »teile Ober' 
flächeiigradienten aus, die Gebiete von großer Unbeständigkeit 
kennzeichnen. Jamaika liegt zusammen mit l'ortoriko und 
dem Süden von Haiti auf einem Krdkrusteurücken , der »ich 
westwärts in die Gebirge von Houdurn« verlängert und von 
einem korrespondierenden Rücken mit Kuba durch die uiiiar- 
seeisebv l*epression der Bart lett - Tiefe getrennt ist. Gegen 
Osten vereinigen «ich der Jamaika- und der Kubabogvn zu 
einem Hauptrlicken , der sich dann heruinbiegt , um in den 
durch die vulkanischen InBelu der Kleinen Antillen bezeich- 
neten Bogen überzugreifen. Diese Inseln bezeichnen die Nord - 
und Ostgrenze der große» Tiefen des Kanadischen Meeres. 
Im Süden desselben liegen die Gebirgskette» Venezuelas usw., 
die, wie wir aus den Erdbebeu von Cumana 17^' und 1KVI 



und von Caracas 1812 wissen, noch im Zustande kräftigen 
Wachsens sich tiefinden. Im Westen und mit den westindischen 
Reihen verbunden , finden sich die zentralaxnerikanischen 
Ketten, die ebenfalls mit Vulkanen besetzt sind und teilweise 
häufig von heftigen Erdbeben betroffen werden. In diesem 
westindischen Gebiete ist es, wie auch anderwärts, nicht un- 
wahrscheinlich, daß die Gebirgsbögen die Neigung haben, 
auf ihrer äußeren uud konvexen Seite herauszupressen nnd 
sich gegen das Innere zu senken. Die Bewegungen auf der 
Linie der Kleinen Antillen verraten ein Westwärtsgleiten in 
die Karaibischen Tiefen. Auf Jamaika, das sich der Nord- 
grenze des Karaibischen Meeres entlang lagert, mag die Be- 
wegung komplizierter sein, da die Nordseite des Jamaika- 
rückens die Tendenz hat, sieh nordwärts und gegen die 
Bartlett-Tiefe zu bewegen, während Im Süden ein beständiges 
Herabsinken und Uerabgleiten zum Karaibischen Meere statt- 
findet. Von solchen intermittierenden Verwerfungen scheinen 
die Reben von 16»2 und iao7 die jüngsten Äußerungen zu 



— Die Technik de* Federschmuckes der 8üd- 
amerikaner ist bisher noch nicht näher untersucht worden, 
und doch verdient sie diese« schon wegen dar erfinderischen 
Art, mit welcher die Federn Itefeetigt und zusammengestellt 
werden. In den neu erscheinenden Antbropological Papers 
of the American Museum of Natural History (Bd. I, Teil 1, 
New York 1907) behandelt Ch. Mead jetzt eingehend diesen 
Gegenstand, wobei er namentlich die im regeuloteu Gebiete 
Perus in alten Gräbern wunderbar farbenfrisch erhaltenen 
Federmäntel usw. seinen Untersuchungen zugrunde legt, aber 
auch vergleichsweise die Federarbeiteu südamerikanischer 
Naturvölker, wie der Schamakoko und Guato in Paraguay, 
der Karaja in Brasilien u. a., herbeizieht. Die Art der Be- 
festigung der ledern au verlängerten, sinnreich angeknüpften 
Kielen, da* Znsammeiirelhen zu schönen, farbenprächtigen 
Mustern wird eingehend beschrieben; wir können aber ohne 
Beigabe von Abbildungen auf diese technisch interessanten 
Dingo nicht näher eingehen. Von Belang ist, was der Ver- 
fasser über die Verschiedenartigkeit der peruanischen Art 
der Technik und jener der heutigen Indianer feststellt, ob- 
wohl Verwandtschaft zwischen beiden Methoden 



Vfrwitvr.'rtlLcber BraUklear - 11. Stnirsr, Wm-tV-rM». 



— Menschliche Reste im Löß von Nebraska. In 
.Science" vom )K. Januar 1907 bespricht Erwin Hinckley 
Barhour, l'rofessor der Geologie an der Nebraska-Universität, 
einen interessanten Fund in dem Löß bei Omaha in Nebraska. 
Es liegt dort am Missouri, etwa 15km nördlich von Omsks, 
in l>oiiglas County, eine Long's Hill genannte Erhebung von 
15 in relativer Höhe. Auf dem Gipfel des Hügels liegt ein 
Mouud, in dem Barbour bis Anfang Dezember 1908 Nach- 
grabungen vorgenommen hat. Der Hügol verdankt der Ero- 
sion seine Entstehung und Form. In der obersten Schicht 
fanden sich Moundbuilder- Reste, mehrere Schädel und Knochen. 
Daß es sich hier um einen Hegräbnisplatz handelt, ergab 
sich aus der Duichmiscbung schwarzer uud heller Erde, wie 
sie beim Durchgrnbeu hervorgerufen wird. Dieso Schicht 
war nur etwa ''/, m dick. Darunter lag Löß, der durch 
Menschenhand offenbar nie eine Störung erfahren hatte, und 
hier fand Barbour zahllose menschliche Knochenfragmente, 
Lößrauscheln und Kiesel in Tiefen von 2 bis 3'/«m über alle 
Teile des Hügels, in denen nachgegraben wurde. Zu diesen 
Resten gehören unter anderem ein niedriges Stirnbein, Kiefer, 
ein Stück von eiueui Schädelboden, Fragmente von Kippen, 
Schenkelkiiochen, Schulterblättern, Kreuzbeinen, ein Schlüssel- 
bein, Fersenbein, vollständige Rückenwirbel uud Zehenkuochen. 
Ein interessantes Fundstück war ein gänzlieh zergliederter 
Schädel , dessen Teile über einen Raum von etwa 2 um zer- 
streut waren. Dieso wurden sorgsam mit der umgebenden 
Erde ausgestochen. Barbour legt natürlich Wert darauf, 
nachzuweisen, daß alle diese Stücke durch Ablagerung hierher- 
gekommen sind und daß man nicht im einen Grabfund zu 
deuken liaL Träfe letztere» zu, so meint er, müßte die Löß- 
erde durcheinandergemischt und in ihrer charakteristischen 
i Struktur gestört «ein, was nicht der Fall sei. Auch die zum 
■ Teil beträchtlich« Tiefe spreche gegen ein Grab, ebenso die 
i weite Verstreuung der Fragmente. Sie lägen aber in völlig 
! ungestörtem Löß und seien gleicbalterig mit dessen Bildung- 
Für diesen primitiven M< n>chcn schlägt Harbour den Namen 
„MebrToka- Lou- Mensch" vor. Die Frage nach dem Alter 
jenes 1/öU erklärt er für nebensächlich (er hält ihn für alt); 
es genüge der Nachweis des Zusammenhanges der Reste mit 
irgend einer Periode der Glazialzeit; od mit der eigentlichen 
Glazialzeit oder mit einer interglazialen Epoebe, sei un- 



Fritttr. Viewtif ti. Sohu. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE. 



DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND* 4 UND „AUS ALLEN 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANOREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 10. 



BRAUNSCHWEIG. 



14. März 1907. 



Nftvbdraek nur web Üb«r»inkulk mit **r Vc-rUfCthAiMlIiUMr S««t»1t*t. 



Die Rechtssitten der Jap-Eingeborenen. 

Von Arno Senfft. Jap. 
(Fortsetzung.) 



Prostitution- Prostitution als Beruf besteht nicht, 
wohl aber gibt es Mftdchuu, diu sich bestimmten Männern 
für eine gewisse Zeit hingeben. Ks besteht die Sitte, 
daß sich eine Anzahl Männer zu einem Klub vereinigt, 
der sich mit großen Geld- und Zeitopfern ein meist am 
Wasser gelegenes, schönes geräumiges Haus (falu) baut, 
in dem die Mitglieder sich gegen Abend zu treffen und 
auch die Nachte iu verbringen pflegen. Für diese Hauser 
suchen sie ein oder mehrere Mildchen zu gewinnen, deren 
Benutzung dann den Mitgliedern derart freisteht, daß 
jedem ein bestimmter Tag gebührt. Auch hierbei sucht 
jeder Ort nur Madchen aus gleichklassigen Platzen zu 
erhalten. Die Madchen werden entweder gewaltsam ent- 
führt nnd in die fähig geschleppt, wo sie sorgfältig be- 
wacht werden, oder es hat eine Einigung zwischen ihnen 
bzw. ihren Kltcrn und dem Klub stattgefunden, sie werden 
ein oder mehrere Jahre festgehalten und sehr reichlich 
belohnt. Auch wenn die Entführung gewaltsam war, 
findet zwischen den beteiligten Parteien meist eine nach- 
tragliche, gütliche Einigung statt. Die Eltern des Madchens 
erhalten gleich zu Anfang und dann während der ganzen 
Zeit des Aufenthaltes größere Geschenke. Aus ver- 
schiedenen Filllen, die vor mich gebracht wurden, konnte 
ersuhen werden, daß der Kaub abgekartete Sache zwischen 
dem Madchen und ihren Entführern war, und das ist 
ganz erklärlich: das Mädchun will den Vorwürfen ent- 
gehen, die ihm anhaften, wenn es sich prostituiert. Es 
laßt sich deshalb rauben und gelangt so ohne Makel zu 
seinem Zweck. Wird ein solches Mädchen (mongol) 
Matter, so wird sie von dem geheiratet, den sie als 
Vater in Anspruch nimmt. Wenn schon die Krauen des 
Dorfes nie ein falu betreten, in dem sich Freudenmädchen 
befinden, so igt deren Gewerl« doch nicht im entferntesten 
so verachtet wie in Europa; sie werden zu öffentlichen 
Vergnügungen mitgenommen, schmuck gekleidet, gut 
verpflegt, brauchen nicht zu arbeiten und finden auch 
sofort Männer, nachdem sie ihr l^ben im Klub auf- 
gegeben haben. 

Freie und Hörige. Eine Sklaverei im römisch 
rechtlichen Sinne besteht nicht , wohl aber eine gewisse 
Hörigkeit der „Milingei" genannten Rasse oder Klasse. 
Sie wohnen in Gemeinden für sich und vorwalten sich 
politisch selbständig, sie haben also ihre eigenen Häupter 
und Rathäuser, besitzen persönliches und Gemeinde- 
eigeutura. Sie heiraten nur unter sich; ein Milingei 
wird nie ein Pi-Uap-Mädchen zur Frau erhalten; wenn 
auch ein Pi-l'ap-Manu sich eine Milingeifrau nehmen 
0M.1» XCI. Nr. 1... 



darf, so kommt das doch nur ganz selten vor. Gesell- 
schaftlich verkehren beide Klassen nicht miteinander. 
Die Milingei können auch auf der Reise nie die Klub- 
häuser derPi-Uap als Aufentbaltsraum benutzen, sondern 
nur die der Milingeidörfor; eine Ausnahme hiervon 
macht der Platz des höchsten Häuptlings, das Dorf Täb, 
in dessen Klubhaus sich die Miliugei tagsüber und in 
der Nachtzeit, wenn keine Frau darin anwesend ist, auf- 
halten dürfen. Sie genießen einzelne Speisen, welche 
von der anderen Klasse uicht angerührt werden , z. Ii. 
die Wurzel einer Mangrove (rock), eine Knollenfrucht 
(ijoi *), die Nuß des Calopbyllumbaumes (biodsch), den 
Meeraal (loth), Trepang (lugul) und den Hai. 

Das Recht, von den Milingei tributäre Arbeit zu ver- 
langen, ruht auf Grundstücken, ohne Rücksicht darauf, 
ob sie in dem Herrschaftsbereich des den Milingei über- 
geordneten Oberhäuptlings liegen oder nicht Ist ein 
Milingeidorf mehreren Herren tributpflichtig, so hat es 
bei großen Arbeiten dem zu folgen , der zuerst gerufen 
hat. Rei kleineren Arbeiten teilen sieb die Bewohner 
und arbeiten bei ihren Herren zu gleicher Zeit. Die 
Leistungen sind nicht besonders drückend, sie werden 
neben freier Verpflegung mäßig honoriert. Im Kriege 
haben sie ihrem Oberhäuptling Folge zu leisten. Der 
Oberhäuptling, für den sie wirtschaftlich zu arbeiten 
haben, braucht nicht derselbe zu »ein, dem sie Heeres- 
folge leisten müssen. Ist ein Milingeiplatz im Kriege, 
erworben, so gehört er dem Sieger persönlich, unabhängig 
von dessen Grundbesitz; das Recht der Dienstforderung 
geht von dem Sieger auf dessen Bruder über und nicht 
auf den Sohn, der sonst die Erbschaft überkommt. 

Kinen llaarkamm und eine Sitxunterlage , das Ab- 
zeichen der Pi-Uap, dürfen die Milingei nicht tragen, 
ebensowenig die Tätowierung jener, ferner keine kost- 
baren Schmucksachen, wie gau, thaue 3 ), größere ja tau »), 
sie dürfen auch kein Steingeld (fa) über vier Spannen 
groß besitzen, der Tanz tii ugi I'alau ist ihnen verboten. 
Die Frauen der beiden Klassen tragen kein künstliches 
Unterscheidungsmerkmal. Die Miliugeimänner halten auf 
dorn Wege auf die Seite zu treten, wenn sie Pi-l'ap-Frouen 
treffen , und die Milingeifrauen haben vor Japiuännern 
niederzuknien. 

Der Herr kann das Verfügungsrecht über sie angob- 
lich verkaufen, aber nur an Dörfer ersten bis vierten Hanges ; 

*) Diuscorin. 

'I BchloBteii au* Chama jiaeinca Prot. 
*) Conti* millepunctalus. 

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150 



dieses Recht würde aber in einem Widerspruch damit 
stehen, daß oa an ein bestimmte« Grundstück gebunden 
ist, jedenfalls hat sich da« Recht in diesem Falle ge- 
lockert, weil es keine Instanz gibt, die einem Abweichen 
entgegentreten könnte. Ohne Strafgrund kann der Herr 
den Milingei Eigentum nicht abnehmen, er kann Hie be- 
strafen, aber nur in Fallen schwerfiter Verfehlungen Uten. 
Wenngleich er hieb in ihre inneren Verhältnisse nicht 
hineinmischt, so kann er ihre Häuptlinge doch absetzen. 

Kr haftet Dritten gegenüber für sie, kann sich aber 
nicht durch ihre Überlassung von seiner Haftpflicht be- 
freieu, es gibt auch kein Boudorccht. 

In früheren Zeiten bestand für Individuen wie für 
ganze Dörfer die Möglichkeit, von Milingei zu Pi-Uap 
erhoben zu werden. Das geschab, wenn sie sich im 
Kriege für ihre Oberherren rühmlich ausgezeichnet hatten, 
so z.B. die Dörfer Rumu und Inuf; aber seit Errichtung 
der deutschen Herrschaft haben die Fehdun und damit 
die Möglichkeit für eine Rangerhöhung ganz aufgehört 

Im übrigen gelten mit Ausnahme einiger Strafbestim- 
mungen für die Milingei dieselben gesetzlichen Bestim- 
mungen wie für die Pi-Uap. 

Das Verhältnis zwischen dem Herrn und Milingei 
ist kein hartes, »ein Los hat sich mehr und mehr ge- 
bessert; wahrend er früher, als Jap noch stark bevölkert 
war, von der Küste ganz abgeschlossen und in das 
weniger fruchtbare Innere verbannt wurde, befinden sich 
Jetzt fast alle Milingeidörfer am Meere, und der Milingei 
kann wohlhabender sein als der Pi-Uap. 

Blutsbrüderschaft. Blutsbruderschaft ist un- 
bekannt, wohl aber bestehen zwischen einzelnen Pentonen 
oder Dörfern enge freundschaftliche Beziehungen, wie 
zwischen den Orten Lauiär und Keng, Giltens und Kanif, 
die entweder aus den Kriegszeiten noch herrühren oder 
aus wirtschaftlichen Gründen angeknüpft wurden, bei- 
spielsweise zur gemeinsamen Benutzung von Pandauus- 
und Maugrovewälderu. 

Glaube an ein Jenseits. Der Glaube an ein 
Fortleben im Jenseits ist allgemein verbreitet. Er gründet 
sieb auf folgende Sage: 

Ein Mann aus dem Dorfe Goror namens Gilluwei hatte 
seine verstorbene Schwester, entgegen jeder Japeitto, mit 
einem Männerarmband (jatau) geschmückt und in das 
Meer versenkt. Bei der Rückkehr seines Vaters von 
einem Kriegszuge der Landschaften Tomil und Gatschbar 
machte ihm dieser dafür die schwersten Vorwürfe, (iilluwei 
konnte sie nicht urtragen und fuhr, mit Nahrung aus- 
gerüstet, auf seinem Kanu weit fort nach Westen; dort 
fand er einen großen Felsen, von Seevögeln bewohnt, die 
morgens fortflogen und abends wiederkamen, um zu 
nächtigen. Er tat einige Kokosnüsse in sein Fischnets 
und schwang sich mit ihm auf einen besonders großen 
Vogel, der mit ihm in unendliche Höbe flog bis über ein im I 
Äther gelegenes Land. Gilluwei ließ das Fleisch einer Kuß 
fallen in der Erwartung, daß sich dann der Vogel herunter- 
lassen würde, um us zu fressen. Das geschah auch, Gilluwei 
stieg ab und verbarg sieh im Wolde, wo er eine Frau 
Gelbwurz waschen sah. Sie nahm ihu durch deu Geruch 
wahr, fand ihn und brachte ihn in ihr geräumiges Haus, 
in dem sich ihre sieben Kinder befanden. Wahrend des 
Tages waren diese alle abwesend, sie kauen nur mittags 
und abends auf ein von ihrer Mutter mit dem Fuß 
gegebenes Glockenzeichen zum Essen , das in einem 
großen Topf gekocht wurde; das Feuer entfachte die 
Frao mit einer Handbewegung und dämpfte es eben.so. 
Gilluwei geuoß von dem ihm unbekannten Kssou und von 
dem Getränk, dag ihm aus demselben Gefäß gereicht wurde. 
Von den Kindern sehliefen einige im Hause, ebeuso die 
Muttor und Gilluwei; bei einer Berührung im Schlafe be- 



merkte er, daß sie viel größer geworden und hart wie 
Stein war. 

Nach längerem Verweilen und Kenntnis der fremden 
Sprache erfuhr die Frau auf ihre Frage, weshalb er ge- 
kommen sei, seine Leidensgeschichte. Sie behauptete, 
ihm seine Schwester zeigen zu können, wenn er es 
wünschte, diese ginge jeden Nachmittag spazieren und 
sie könnt« ihn dorthin führen. Zur Wiedererlangung 
des Jatau müßte er einen Spruch lernen und sich mit 
seiner Schwester die Hand mit ausgestreckten Armen 
reichen. Auf seine Bitte führte sieibn zu seiner Schwester 
Sefallemar. Er hörte wobl Geräusch gehender Menschen, 
konnte aber niemand sehen und sagte dies der fremden 
Frau, die eine Büchse öffnete, aus der Rauch aufstieg 
und seine Augen beizt«. Noch Aufhören des Reizes 
bemerkte er seine Schwester, er gab ihr die Hand und 
sagte seinen Spruch; das Armband kam dann auf sein 
Handgelenk. Bei der Trennung von Meiner Schwester 
löste xich der Schmuck aber wieder und verschwand in 
der Richtung nach ihr. Auf seiue Klage bei der fremden 
Frau lehrte Bie ihn einen neuen Spruch , machte ihn 
wieder seheDd, und nun kam das Armband nach der 
alten Zeremonie zu ihm und blieb auch bei ihm. Bei 
dieser Gelegenheit bemerkte er eine Anzahl Verstorbener 
aus seinem Dorfe. 

Sein Leben änderte sich aber nicht, er blieb in dem 
unbekannten Lande, big er weiße Haare bekam ; da fragte 
or die fremde Frau, ob sie ihn nicht wieder nach seinem 
Dorf bringen könnte, die Sehnsuoht danach mache ihn 
krank. Sie bejahte die Frage und hieß ihn, sich neben 
einer Tür im Fußboden des Hauses niederlegen. Sie 
öffnete sie, legte einen Stein auf die Schwelle, nm das 
Zuschlagen zu verhindern, und ließ ihn schlafen. Als 
er eingpscblnfen war, band sie ihm zwei große Hähne 
und zwei Hennen an die Anne und rollte ihn in die Tür. 
Bei seinem Erwachen war es Nacht, er konnte aber doch 
erkennen, daß er sich in seinem Dorfe befand. Mit 
Tagesanbruch strömten die Dörfler zusammen, denen er 
seine Erlebnisse erzählte. Die Hühner waren die ersten 
in Jap, man hatte sie in eine Hülle gesteckt, weil man 
ihr Fortfliegen fürchtete. Seine Rückkunft hatte sich 
weit und schnell verbreitet, und von überall eilten die 
Japer herbei; als er ihnen die Hühner zeigen wollte, 
flogen sio fort in den Wald und vermehrten sich da. 

Während seines Aufenthaltes in dem fremden Lande 
hatte er auch einen ihm bisher unbekannten Tanz gelernt, 
in dem er nun seine Landsleute unterwies. Als sie ihn 
aber naoh längerer Übung bei einem Fest aufführten, 
wurden sie von einem Orkan überrascht, der ihre Pflan- 
zungen zerstörte. Daraus schlössen sie, daß der Tanz 
nur für jenes Land bestimmt sei. Da Gilluwei zudem dort 
ftcino verstorbenen Landsleute wiedergesehen hatte , die 
für sein Auge ohne fremde Hilfe nicht wahrnehmbar 
waren, glaubten die Japer nun nach ihrem Tode an ein 
Fortloben und nannten das fremde Land „tarraini". 

Tod. Die Beseitigung der Leichen erfolgt durch 
Beerdigung auf besonderen, vielfach in Miliugeigemeinden 
gelegenen Plätzen, jedenfalls nicht in unmittelbarer Nabe 
der Wohnhäuser. Der Tot« wird in sitzender Stellung 
in Matten gewiekelt, das Grab befindet sich nur wenige 
Fuß unter der Erde und wird durch einen mit Steinen 
eingefaßten terrassierteu Hügel kenntlich gemacht Die 
Bestattung erfolgt meist am ersten oder zweiten Tage 
nach dem Hinscheiden, nur in Ausnahmefällen läßt man 
die Leiche längere Zeit Legen und sucht durch Versenken 
in Salzwasser oder durch ständiges Fächeln die Verwesung 
zu verlangsamen. Man nimmt an, daß die Leichen die 
Umgebung verunreinigen, und genießt keine Früchte aus 
der Nachbarschaft des Crabes. Einige Milingeidörfer 



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Arno Sonfft: Die Recbtasitten der Jap-Eiugeborenen. 151 



sollen in dieser Hinsicht eine Ausnahme machen. Die 
Sitte der Klageweiber, die nach dem Tode, aber auch 
noch an Erinnerungstegen , oft viele Jahre nach dem 
Tode, in Tätigkeit treten, ist bekannt. 

Die Pietät gegen die Toten ist groll, selbst wenn die 
Erinnerung dessen, den das Grab birgt, Terloren gegangen 
ist, wird e» nicht berührt. 

II. Vermögensrecht. 

Allgemeine«. Organe der Rechtsprechung und de» 
Vollzugs gibt es weder für das Vermögens- noch für da» 
Strafrecbt. Selbst die Oberhäuptlinge üben generell 
keine Rechtapfloge, sondern treten nur in gewissen Fällen, 
insbesondere wenn es sich um Streit zwischen Fi-Uap 
und Milingei handelt, ah Richter auf. Es ist ganz 
charakteristisch für den Japer, daß er sich in allen 
Rechtsstreitigkeiten selbst zu helfen hat, nötigenfalls mit 
Unterstützung seiner Familie: indussen Tollzieht sich die 
Selbsthilfe nicht willkürlich und uneingeschränkt, denn 
da« einzige Mittel, das ihm zur Erzwingung von Hand- 
lungen oder Unterlassungen zur Verfügung steht, ist 
die Pfändung (bungut), deren Nichtachtung als ein so 
schweres Vergehen erscheint, daß sie zum Kampf oder 
Totschlag führen kann. 

Gebeimbunde zum Zweck der Rechtshilfe gibt es nicht 

Zahlungsmittel. Als Geldsurrogato sind in erster 
Linie zu nennen: Geldsteine nach Art unserer Mühlsteine 
im Durchmesser Ton etwa 20 cm bis über 2 m (fä), Perl- 
mutterschalen (jar), die an den Breitseiten spaten form ig 
abgeschliffen und am Schloßteil durchbohrt werden, kleine 
an einer Schnur aufgereiht« Perlmutterschalen (jar in 
bodschu), daneben noch Farbstoff (reng) aus der Wurzel 
der Curouma und seltener feinste Bananenfasser (mbul). 
Streng genommen kann keinem dieser Tauschmittel die 
Natur vertretbarer Sachen beigelegt werden, denn sie 
werden nicht fabrikmäßig oder mechanisch hergestellt 
und sind deshalb alle unter sich mehr oder weniger 
unterschiedlich. Abgesehen von der Größe ist der Wert 
auch durch das Aussehen bedingt; das gilt ganz un- 
eingeschränkt von den Geldsteinen. Als Tauschmittel 
ist endlich noch das „gau" zu nennen, der schöne rote 
Schloßteil der Muschel Ohama pacitica. .Sowohl fä wie 
jar und gau wird von außerhalb nach Jap eingeführt. 

Grundeigentum. Dor Grund und Boden als Vor- 
bedingung der wirtschaftlichen Existenz de» Japers in 
seinem früheren und jetzigen Zustande wird ererbt, ge- 
kauft oder durch (iescbenk erworben. Jeder Eigentümer 
kann darüber frei verfügen, sofern die Lebensführung 
seiner Familie dadurch nicht stark beeinträchtigt oder 
sogar ausgeschlossen wird. In älteren Zeiten scheinen 
Landverkaufe größeren Beschrankungen unterworfen 
gewesen zu sein, jedenfalls durch die weit zahlreichere 
Bevölkerung veranlaßt; denn selbst heutigentags, wo 
die meisten Japer viel mehr Landbesitz haben, als sie 
brauchen, ist bei ihnen große Zurückhaltung im Verkauf 
zu beobachten. Der Japer überlaßt wohl ohne große 
Entschädigung Teile seines Grundeigentums anderen zur 
Nutzung oder Bearbeitung, aber er überträgt ungern das 
Eigentum. Zu dem Grundbesitz werden auch die im 
Meere wachsenden Mangrovenwälder gerechnet. Grund- 
eigner sind immer die Männer, deu weiblichen Familien- 
mitgliedern steht nnr der Nießbrauch zu, und zwar der 
persönliche, sie können das Nießbrauchrecht also nicht 
weiter übertragen. 

Familienbesitz. Als Familieneigentum kann man 
den Teil des Grundbesitzes bezeichnen , der nicht in 
ständiger Benutzung der einzelnen Mitglieder stobt. 
Während beispielsweise die Häuser mit ihren Höfen im 
Einzeleigentum der Brüder stehon, steht die Benutzung 



der Felder und des Waldes sämtlichen Geschwistern zu, 
im Fall einer Verfügung hierüber würde es dor Zustim- 
mung der Familie bedürfen. 

Gemeindebesitz. Im Gemeindeeigentum stehen die 
Gemeindehäuser (bäwei) und der Versammlung*-, sowie 
die Tanzplätze; ferner das Riff. Letzteres steht unter 
der Obhut eines besonderen Gemeindeaogehörigen. Das 
Gemeindeeigentum kann von alleu Angehörigen unent- 
geltlich benutzt und dag Fischen auf dem Riff auch 
Fremden gestattet werden. Beim Verkauf von Gemeinde- 
eigentum wird der Erlös unter die Mitglieder verteilt. 
Die Frage, ob auch Felder im Gemeindeeigentum stehen, 
ist strittig. 

Herrenloses Land. Sogenanntes herrenloses Land 
gibt es nicht, jeder Familie sind die Grenzen ihres Land- 
besitzes genau bekannt, ohne daß künstliche Grenzzeichen 
errichtet sind. 

Schutzmittel des Eigentums. Es finden sich 
zwar Muscheln, Fischknochen u. dgl. als Amulette an 
Häusern und Körben, sie sollen aber nicht Schutz dea 
Eigentums als eines Recht« bezwecken, als vielmehr das 
Eigentum vor Unglück bewahren. Tote, die als Haus- 
geister das Haus schützen «ollen, werden darin nicht 
begraben. Die Gegenstände, deren Benutzung man Dritten 
untersagt, werden mit einem Kokosblatt timbunden, z. B. 
die Palmen, von denen sich sonst ein Wanderer als Wog- 
zebrung Nüsse herunterholen kann. Bei uhb findet man 
ähnliche Vorkehrungen mit gleichem Zweck, wie die Be- 
festigung von Strohwischen an Obstbäumen. 

Gemeinschaftlicher Besitz. Kommunistische Ver- 
hältnisse im vermögensrechtlichen Sinne sind nicht be- 
kannt geworden, ebensowenig das Recht der Teilnahme 
des eineu am Überschuß des anderen. Als gemein- 
schaftlicher Besitz treten nur die Klubhäuser (falu) und 
die dazugehörigen Tanz- oder VersammlungsplAtze in 
Erscheinung. 

Gastfreundschaft Auf Verlangen wird jodem 
Passanten Speise und Trank, ebenso Schlafgelegenheit 
im Gemeindehaus gewährt , allerdings , wie schon oben 
bemerkt , nur den Klassengenossen, also von den Pi-Uap 
untereinander und den Milingei unter sich. 

Funde. Gefundene Sachen müssen ohne Finderlohn 
zurückgegeben werden. Hat der Finder die Sache weiter- 
verkauft so haftet er dorn Verlierer für den Wert 

Gestohlene Sachen. Pfandrecht. Dem Dieb 
läßt man für gewöhnlich die gestohlene Sache uud pfän- 
det ihm ein Stück Feld durch Einrammen eines Stockes 
mit einem Kokosblatt (man nennt das bungut). Eiumal 
bestraft man dadurch moralisch in den Augeu der Leute, 
denn es wird bald bekannt, aus welchem Grunde die 
Pfändung vorgenommen ist; dann aber entzieht man 
auch das Feld dor Benutzung. Die Frage, ob der Pfänder 
das Pfandstück benutzen kann, wird bejaht und verneint 
sicher aber trägt die Maßregel den Charakter einer einst- 
weiligen Verfügung, denn daß der Gepfändete das Pfaud- 
atück nicht benutzen darf, steht fest. Das Pfandzeichen 
wird von jedem beachtet und kann nur mit Genehmigung 
des Pfänders entfernt werden. Der Gepfändete sucht 
sich nun mit dem Berechtigten selbst oder durch Vor- 
mittelung eines Familienmitgliedes zu einigen, er bietet 
desholb Tauschmittel an, die auch angenommen werden 
müssen , wenn ihr Wert als guuilgende Sühne erscheint. 

Bungut wird sowohl bei unbeweglichen wie bei beweg- 
lichen Sachen angewandt; bei diesen kommen haupt- 
sächlich Kanus, Fischnetze und auch fä in Betracht. 
Pi-Uap können unter sieb und bei den Milingei pfänden, 
letztere nur unter sich. Kommt ein Milingei in die Lage, 
gegen einen Pi-Uap mit Pfändung vorzugehen, so wendet 
er sich an den Gemeindevorstaud seines Schuldners, der 

20* 



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15ü 



Arno Seufft: Die KouhtssitUu der Jau-Eingeboreucn. 



auf Erfüllung der Pflichtou dringt, eventuell unter An- 
wendung von bungut. Durch Vornahme des bungut an 
einem Grundstücke wird keine Gemeindezngebörigkeit 
erworbon. 

Kauf. Besitzt die gekaufte Sache nicht die vor- 
bodungenen Kigenschuften und wird der Kaufpreis sofort 
nach Wahrnehmung der Mangel gegen Überlassung der 
Sache zurückgefordert, so muß er zurückgegeben werden. 
Stellt sich aber beim Kauf eines Feldes bei der Ernte, 
vielleicht erst nach Jahresfrist, an den schlechten Erträgen 
die Minderwertigkeit des Kodons heraus, so ist der Käufer 
eine Entschädigung zu verlangen berechtigt.. Ist der 
Grund noch nicht in Bearbeitung genommen, so können 
die Kontrahenten vom Vertrage zurücktreten, bei beweg- 
lichen Sachen nur innerhalb weniger Tage. Der Kauf- 
preis wird oft gestundet, und zwar sehr lang«, ohne daß 
dafür eine Zinszahlung üblich wäre. 

AI» Zwangsmittel bei verwoigorter Zahlung findet 
wieder das bungut Anwendung. 

Mit Übergabe der Sache geht auch die Gefahr an 
den Käufer über. 

Leih«. Die I*eihe wird nicht berufsmäßig betrieben, 
es handelt sich dabei nur um Fischnetze, Kanus u. dgl. 
Leihpreld wird dafür nicht gefordert, weil sie wahrschein- 
lich auf Gegenseitigkeit beruht. 

Darlehen. Darlehen (manti) in fä und jar kommen 
vor. Man zahlt für etwa drei bis vier Monate überhaupt 
keine Zinsen , darüber hinaus pflegt mau 1 jar und bei 
besonders lauger Dauer 2 jar als Zinsen zu entrichten. 
Da weder ein bestimmter Zinssatz noch eine genau be- 
grenzte Zeit festgesetzt ist, scheint os sich, was dem 
Charakter dos Japers auch entsprochen würde, mehr um 
die Erfüllung einer Anstandspflicht als eine gesetzliche 
Vorschrift zu handeln; dafür spricht auch, daß Nicht- 
zahlung von Zinsen nicht zum bungut berechtigt. 

Geschenke. Geschenke sind allgemein üblich, 
müssen aber nach Landessitte erwidert werden, die dafür 
Zeiträume von Jahren zuläßt; beispielsweise für die beim 
Tode eines Oborliäuptliugs hohen Familien gegebenen 
Geschenke, die erst aus gleichem Anlaß in der Familie 
des Geschenknehmers erwidert werden. 

Vertragsform. An bestimmte Formen sind Ver- 
träge nicht gebunden, Vertragtfeierlichkeiten, Fluch- oder 
Verwünschuugsformon sind nicht bekannt. 

Familienhaftung. Fürdie Schulden des Gläubigers 
haftet die Familie; in welcher Reihenfolge, ist nicht aus- 
gesprochen. Für gewöhnlich wird man sich in erster 
Linie an deu Vater, dann an die Brüder wenden. Die 
Haftung bezieht sich auf das bowBgliche und unbeweg- 
liche Vermögen. Alten Leuten wird ungern geborgt, 
weil sie Imld sterben und sich dann Schwierigkeiten mit 
deren Erben ergeben können. 

Bürgschaft. Die Einrichtung der Bürgschaft ist 
bekannt, der Bürge haftet dem Gläubiger in Höhe dor 
übernommenen Bürgschaft, nach seinem Tode geht die 
Pflicht auf seine Erben über. Dor Vertrag wird in 
Gegenwart von Zeugen geschlossen, daneben pflegt der 
Schuldner dein Bürgen einen Gegenstand als Legitimation 
(bau) zu gebou , der gewissermaßen den geschriebenen 
Vertrag vertritt. Der Bürge hält sich seinerseits nach 
Erfüllung seiner Verpflichtung an den Schulduer bzw. 
nach dessen Tode an die Familie. Zur Erzwingung dor 
Zahlung kann bungut erfolgen. 

Schlu ßbemerkung. Der Gläubiger hat kein 
Rocht auf den Leichnam des Schuldners, der auch die 
ebrlieho Bestattung nicht verliert. Der Bestattende härtet 
deshalb nicht für die Schulden, l'fandsklaven gibt es 
nicht. 



III. Strafrecht. 

Allgemeines. Als Grundsatz des Strafrechts gilt 
Talion oder mit einigen wenige» Ausnahmen seine Um- 
wandlung in Vennögentstrafe. 

AI» Strafarten sind nun üblich der Tod, Körper- 
verletzung ohne den ausgesprochenen Zweck der Ver- 
stümmelung, Sachbeschädigung, Geldzahlungen. Un- 
bekannt ist Beschränkung der Freiheit, Symbolismus, 
Versklavung, Feuertod, sowie der Grundsatz, daß der 
Tater mit dem Körperteil büßt, mit dein er gefrevelt bat. 

Blutrache findet bei Mord statt. Sie richtet sieb nur 
gegen deu Mörder uud wird über ihn hinaus nicht weiter 
geübt, auch nicht von neuem gegen den Mörder des 
Mörders; mit dem Umbringen des Mörders gilt dessen 
Tat in aller Augen als gesühnt. An einem Hörigen an 
Stelle seines Herrn kann die Blutrache nicht erfolgen. 
Sio wird ausgeübt vom Bruder oder dem Sohn' oder dem 
Vater oder des Vaters Bruder oder dem Schwager in der 
hier angeführten Folge, und wenn keine männlichen zur 
Blutrache berechtigten Verwandten vorhanden sind, kann 
der Oberhäuptling auf Anruf den Mörder töten lassen, 
sofern er zu seinen Untertanen gehört, oder den zu- 
ständigen Oberhäuptling darum ersuchen. Der An- 
rufende bezahlt dafür eine Abgabe. Ist der Mörder 
unerreichbar, wird ihm sein gesamte« bewegliches und 
unbewegliches Eigentum genommen; die Blutrache richtet 
sich also nur gegen den Täter, keineswegs gegen «in 
anderes Mitglied seiner Familie. 

Ist ein Milingei von einem Japroann hoben Ranges 
getötet worden, so kann die Familie des Getöteten selbst 
keine Blutrache begehen, sondern hat sich an den Häupt- 
ling des Mörders zu wenden , der sie selbst ausübt oder 
durch einen der Dorfbewohner ausüben läßt. Ist der 
Täter unerreichbar, so zieht der Häuptling des Mörders 
Eigentum für sich ein. 

Die Blutrache kann nie abgelöst werden. 

Versehen und Zufall. Bei zufälliger, absichts- 
loser Tötung macht man einen Unterschied zwischen 
grobem und leichtem Verschen. Das orstero heißt „gonnr" 
und wird wie Mord beurteilt, da« letztere heißt „makal" 
und läßt straffrei. Als Beispiele seien erwähnt: In der 
Absicht, ein ins Dickicht geflohenes Schwein zu schießen, 
tütet der Schütze einen dort verborgenen , für ihn un- 
sichtbaren Menschen. Dieser Fall wird als goinir be- 
trachtet nnd berechtigt zur Blutrache. 

Eine Frau trägt ein fremdes Kind auf dem Arm, sie 
bemorkt an sich einen Skorpion, in ihrer Angst sucht 
sie ihn abzuschütteln, das Kind entgleitet ihren Händen, 
fällt zur Erde und bricht sich das (Jen ick. Hier bandelt 
es sich nur um einen unglücklichen Zufall (makal), der 
nicht vertreten zu werden braucht. 

Unterbleiben der Blutrache. Straffrei von der 
Blutrache überhaupt bleiben die Fälle, wenn dor Täter 
bei einer unerlaubten Handlung getötet worden ist 
Beispielsweise wenn jemand unberechtigterweise nacht« 
in ein fremdes Haus sich einschleicht oder wenn er naebts 
obne Fenerbrand durch ein Dorf geht. 

Festlichkeiten halten die Blutrache nicht auf. 

Asylrecht. Die Frage, ob es ein Asylrecht gibt, 
wird verschieden beantwortet. Nanb Ansicht der einen 
bietet jedes Wohnhaus (tabinau), das der Mörder mit 
Genehmigung des Berechtigton betritt, Asylrecht. Diese 
Ansicht rindet ihre Stütze in dem auch in Jap gültigen 
Grundsatz „my house is iny ca*tle"; denn ohuo besondere 
Aufforderung wird das Wohnhaus nur von den Ver- 
wandten und näheren Bekannten betreten, für alle übrigen 
sind die Gemeinde- oder Klubhäuser die Orte für Zu- 
sammenkünfte. Diejenigen, die dem Wohnhaus die 
Eigenschaft einer Asylgtiitte bestreiten, gehen von dem 



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Weiß: Land uud Loutc von Mpororo. 



IM 



Grundsatz aus, daß man einem Mörder oder Totschläger 
überhaupt keine Aufnahme gewährt Darüber aber sind 
die Meinungen eiuig, daß daa Haus des Oberbäuptlings 
in Tab, der oberster Schiedsrichter im Kriege ist, Asyl- 
recht gewährt 

Heihilfe. Beihilfe wird wie die Tat solbst behandelt, 
wenn der Helfer in keinem verwandtschaftlichen Ver- 
hältnis »um Tnter steht; sonst geht er straffrei aus. 

Versuch. Versuch wird mit bungut bestraft, das 
hier nicht nur als Mittel zur Krzwingung oder Unter- 
lassung einer Handlung, sondern als selbständiges Straf- 
mittel auftritt 

Notwehr. Notwehr scheint nur anerkannt zu wer- 
den, soweit sie die Abwehr eines augenblicklichen An- 
griffs gegen Leben oder Eigentum bezweckt, ohne daß 
der Angreifer dabei ums Lehen kommt; sonst ist dessen 
Familie zur Blutrache berechtigt. 

Straf bürgschaft Strafbürgschaft ist unbekannt 

Einzelne Straftaten. 

Ehebruch. Durch den mit der Frau eines Ober- 
häuptlings begangenen Ehebruch hat der Täter die Todes- 
strafe verwirkt. Wenn er kein Untertan de« vorletzten 
Oberhauptes ist, wird von diesem der zuständige Häupt- 
ling ersucht, der die Tötung bewirken läßt 

Bei anderen Japern verschafft sich der Ehemann 
Genugtuung durch Anzünden des Hauses des Ehebrecher», 
Fortuahtne eines Kanus , bungut und in neuerer Zeit, 
weil man das Einschreiten der Behörde fürchtet, Ab- 
schneiden der Haare, so daß der Geschorene dem Gespött 
dor Leute ausgesetzt wird. Auch der Milingei darf einem 
Japmann, der mit jenes Frau Ehebruch getrieben hat, 
die Haare abschneiden oder ihn schlagen, die Bestrafung 
kann durch Zahlung einer Sühne angewandt werden. 

Die Ehebrecherin kann verstoßen oder an einen Klub 
verkauft werden. Dio Frau des Ehebrechers rächt sich 
oft an der schuldigen Frau dadurch, daß sie ihr die Ohr- 
läppchen aufreißt. 

Gehört der Mann einem Klub an, der sich mongol 
hält, so darf er mit diesen verkehren, die Landessitte 
betrachtet den Verkehr mit mongol nicht als Ehe- 
bruch. 

Weiberraub. Innerbalb der Grenzen des Dorfes 
des Weibes können die Räuber getötet werden, außerhalb 
und auf dem Meere kann ihnen die Heute nur noch ah- 
nen werden. Nach Bergung de» Raubes wird 



Oborhüuptling Anzeige unter Lieferung von 
Geschenken gemacht, die von diesem an den Oberhäupt- 
ling des Weibes geschickt werden, der sich dafür bedankt 
und die Angelegenheit für erledigt erklärt. Es handelt 
sich in solchen Fällen immer nur um mongol, nicht um 
Raub zum Zwecke der Eheschließung und deshalb um 
gegenseitige Konzessionen. 

Notzucht Der Begriff der Notzucht scheint zu 
fehlen. Ist sie an einer Frau bogaugen, so treten diu 
Folgen des Ehebruches ein. Was mit einem Manne 
der einem Mädchen Gewalt antut, konnte nicht 



beantwortet werden; offenbar erblickt man darin keine 
strafrechtlich verfolgbare Handlung. 

Selbstmord. Selbstmord gilt als erlaubt 

Abtreibung. Abtreibung der Leibesfrucht und 
Verhinderung der Konzeption soll weit verbreitet »ein bei 
jungen Frauen, die fürchten, nach der Geburt an körper- 
lichem Aussehen einzubüßen. AI» Mittel zur Herbei- 
führung eines Abort oder der Blutung wird alsbald nach 
Ausbleiben der menses gekochtes Seewasser getrunken. 
Die Abtreibung gilt als schimpflich und ist ein Ehe- 
scheidungsgrund, aber kein» rechtlich strafbaru Handlung. 

Körperverletzung. Bßi der Körperverletzung gilt 
in erster Reihe der Grundsatz: Auge um Auge, Zahn 
um Zahn. Sie kann, wenn der Angreifer starker ist, 
durch Zertrümmern des Kanus oder bungut geahndet 
werden und begründet auch Schmerzensgeld (wöpul). 

Kriegsverrat Auf Verrat in Kriegszeiten erfolgt 
Tötung des Verräters, das scheint aber auch die einzige 
staatliche Strafe zu sein , wenn man vou denen infolge 
von Beleidigungen des Oberhäuptlings als Vertreters des 
Staates absieht. Verletzungen auf diesem Gebiete sollen 
aber kaum vorkommen, es bat sich deshalb dafür auch 
keine bestimmte Strafart herausgebildet. Das Oberhaupt 
wird eine Beleidigung seiner Person entweder bekannt 
geben und den Täter der öffentlichen Verachtung über- 
lassen, oder ihn nach den Palauinaeln verbannen, damit 
er dort Geldsteine bricht, oder ihn töten langen. 

Beleidigung. Für eine schwere Ehrverletzung darf 
der Japmann hohen Ranges einen Milingei töten, wenn 
dieser sich im Orte des Japers befindet; sonst kann er aioh 
nur durch einen Beauftragten aus seinem Ort im Dorfe 
des Milingei Genugtuung verschaffen lassen. 

Bestimmte Strafen für Beleidigungen unter Pi-Uap und 
Milingei scheint es nicht zu geben. Wörtliche Beleidi- 
gungen siud anscheinend sehr selten, eigentliche Schimpf- 
worte kommen dem Fremden nicht zu Ohren. Der Aus- 
druck .balebalean" oder „balean" kann als Narr oder 
Schafskopf übersetzt werden, er hat aber auch allgemein 
die Bedeutung „wenig begabt 1 *, „ungeschickt", »un- 
erfahren 1 ", und jeder Japer wird von sich seibat niemals 
als „lovan" das Gegenteil von „baleau" sprechen, sondern 
sich selbst nur als balean bezeichnen. 

Diebstahl. Der Diebstahl iat unter Vermögens- 
recht behandelt, dort iat aufgeführt, daß das Korrelat in 
bungut besteht. 

Zauborci. Zauberei ist au «ich straflos. Stirbt 
jemand ohne ersichtlichen Grund, so gilt die Annahme, 
er sei durch Zauberei ums I^ben gekommen. Wenn 
sich aber ein Zauberer damit brüstet, eine Person um- 
gebracht zu haben, so sotzt er sich der Gefahr aus, daß 
an ihm Blutrache geübt wird, die in diesem Falle recht- 
lich begründet ist 

Brandstiftung. Brandstiftung wird mit derselben 
Handlung bestraft und hat damit ihre endgültige Er- 
ledigung gefunden, wie es bei dor Blutrache geschieht, 
wenn der Mörder gleichfalls umgebracht ist 

(Schluß folgt.) 



Land und Leute von Mpororo. 

(Nord westecke von Deutsch -Ostat'rika.) 

Mit Abbildung nach Aufnahmen des Verfassers. 
III '). 

Als Beweis dafür, daß die Wahimaweiber sich durch j dienen. Sie stellt zwei Mädchen im Alter von etwa 
schöne Körperformen auszeichnen, mag auch die Abb. 14 | IL' Jahren, die also gerade heiratsfähig geworden sind, 

— j dar. Das Mädchen rechte ist allerdings noch nicht voll. 

') Vgl. IM. ho, Nr. 17 und 21 ! entwickelt, auch etwas schwächlicher gebaut wie das 

OK.bui XCL Kr 1". 21 



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IM 



WeiU: Land und Leute von Mpororo. 




andere. loh photographierte es deshalb, weil hier am 
deutlichsten die eigenartige HaArtraoht zum Aufdruck 
kommt, die weiter unten beschrieben ist. Die Schaltern 
stehen in Natur nicht so hoch, wie es bei dem Madeben 
rechts sichtbar ist; sie sind hier nur hoch gezogen; es 
war eben bei diesen so außerordentlich scheuen Menschen, 
die zum großen Teil vor Kintreffen unserer Grenzexpe- 
dition noch keinen Europier gesehen hatten, sehr schwer, 
eine natürliche Körperhaltung zu bekommen; immer trat 
die Angst vor der Camera wieder zutage. 

Viel (ieduld und Geschenko (Stoffe und Perlon) (re- 
hörten dazu, die Leute überhaupt Tor den photographi- 
achen Apparat zu bringen. In 
unserem Kontrollbasislagcr an 
der Kongoecke hatte ich mir 
mit vieler Mühe eine nett« 
Grup]M* von Wapororo (Män- 
ner, Weiber und Kinder), die 
zu uns ins Luger gekommen 
waren , um Lebensmittel zu 
verkaufen , zusammengestellt, 
um sie zu pbotographiereu. 
In dem Augenblick jedoch, 
als ich unter dem schwanen 
Tuch verschwand , um dus 
Bild scharf einzustellen, liefen 
alle wie der Wind davon. Zum 
Teil von meinen Boys zurück- 
berufen und von mir nach 
dem Grunde ihrer Flucht be- 
fragt, antworteten sie: „Ja, 
das ist ein großes Gewehr und 
du willst uns schießen." Ich 
versuchte nun nochmals in 
längerer Rede ihnen klar zu 
inachen, daß die Camera ein 
durchaus friedfertiges Instru- 
ment sei und sie keine Furcht 
haben sollten. Jedoch sie 
schüttelten mißtrauisch den 
Kopf. Da stellte ich mich 
vor die Camera und befahl 
meinem Boy abzudrucken. Als 
dies geschehen war. sagte ich 
zu den Leuten: „Jetzt könnt 
ihr mir doch glauben, daß dies 
kein Gewehr ist, sonst müßte 
ich doch tot sein." Aber auch 
jetzt noch schüttelten sie miß- 
trauisch den Kopf und ant- 
worteten mir: „Dir schadet 
dieses Gewehr nichts; denn 
du hast vorher ein Zauber- 
mittel dagegen gegessen , wir 
nicht und müssen sterhen." 
diese Leute zu überzeugen. 

Besonders große Schwierigkeiten machte es, Wiibima- 
fmuen und -Kinder zum Photographieren zu bewegen. 
Sind doch für den Durchmarschierenden die sorgfältig 
behüteten Wahimaweiber überhaupt nicht sichtbar. Hat 
man sich einmal ohne Geräusch und ungesehen einem 
Dorfe genähert, so kutin man wohl für einen Augenblick 
die verhüllten Frauen (Abb. 15) vor dem Dorfe erblicken, 
in dum Moment aber, wo man selbst gesehen ist, sind 
sie in den Hütten verschwunden. Nur die Männer bleiben 
vor dem Dorfe sitzen, um den Fremdling grußlos mit 
mißtrauischen Blicken vorüberziehen zu lassen. Ist man 
jedoch mit ihnen bekannt oder hat man sein Kintreffen 
anmelden lassen , so daß sie über die Person und fried- 





i 4 



Ahl.. 14 Wahimitniiidchon 



haben aber dieses Mittel 
Ich mußte es aufgeben, 



liehe Absicht unterrichtet sind, so kommen sie dem 
Europäer mit freundlichem offenen Gesicht entgegen, um 
ihn mit Handschlag zu begrüßen und ihn zum Lager- 
platz zu geleiten. Kaum steht das Zelt , so sind auch 
die üblichen Geschenke: Milch und Butter, Ziegen, Schafe, 
häufig sogar ein Scblnchtocbse zur Stelle. 

Nie jedoch wird, auch wenn man mit den Wuhiraa 
längere Zeit bekannt und befreundet ist, ein Wahima- 
weib oder -Mädchen, wie das doch bei allen anderen 
Stammen Brauch ist, zum Verkauf oder Austausch von 
Lebensmitteln das Lager betreten. Daß es mir gelang, 
eine ganze Reibe Aufnahmen von Wahimaweihern und 

-Mädchen zu machen , ver- 
danke ich der Freundschaft 
und Dankbarkeit des Sultans 
Kissilerobo, zu der ich ganz 
ohne mein Verdienst auf fol- 
gende Weise gekommen bin: 
Ich hatte mein Lager un- 
mittelbar an der englischen 
Grenze im Gebiet« des ge- 
nannten Sultans, als dieser 
zu mir kam mit der Bitte, 
ibn gegen die im englischen 
Gebiete wohnenden Ankole- 
leute zu unterstützen, die ihm 
zwölf Rinder geraubt und zwei 
Leute erschlagen hätten. Ich 
mußte es mit Bedauern ab- 
lehnen, mich in diese An- 
gelegenheit zu mischen, und 
verwies ihn an die zuständige 
Militärstat ton Bukoba. Trau- 
riff verließ er mein Lager. Zu- 
fälligerweise traf ich am näch- 
sten Tage den sehr liebens- 
würdigen englischen Kollektor 
Dashwood, der eine Inspek- 
tionsreise durch seineu Bezirk 
machte. Ich erzählte ihm den 
Vorfall, worauf er sofort die 
Angelegenheit untersuchte 
und dem Sultan Kissilerobo 
die geraubten Rinder zurück- 
schickte. Das zog mir die 
Freundschaft und Dankbar- 
keit des Sultans zu, der mir 
in seinem Dorfe sämtliche Be- 
wohner zwecks photographi- 
scher Aufnahmen zur Ver- 
fügung stellte. 

Wie bereits erwähnt, sind 
die Wabiinn ein hamitischer 
Stamm, der vom oberen Nil her eingewandert ist und 
sich das Land unterworfen hat. Den äußeren Unter- 
schied zwischen diesen hohen, schlanken, sehnigen (te- 
stalten mit den edel geschnittenen , eher an Ägypter als 
an Neger erinuernden Köpfen und den Urbewohnern, 
denWapororo (Wanjambo), haben bereits die Abbildungen 
im letzten Artikel gezeigt. Hierzu tritt noch die be- 
deutend hellere Hautfarbe der Wahima, die von Gelbbraun 
bis Schokoladenbraun wechselt , während die Wapororo 
eine tief dunkelbraune Hautfarbe haben. Ganz helle 
Farbentöne, die an Araheriuuon erinnern, findet mau 
bei Frauen der herrschenden vornehmsten Wahima- 
familien. Diese gelten auch als besonders wertvoll und 
erzielen einen höheren Beirats preis. 

Ferner Behen wir im Haar einen Unterschied zwischen 
beiden Stämmen. Während die Wapororo krauses, hartes 



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Weiß: Land und I,e 



ute von Mpororo. 



155 



Wollhaar haben, zeigt sich bei den Wahima weiches, 
leicht gewellte« Haar. Hin weiteres charakteristische» 
Kennzeichen der Wahima ist ihre ruhige, vornehme, 
selbstbewußte Haltung und ein stolzer offener Blick, wie 
ich es nur noch bei den Massai gefunden habe, im 
Gegensatz zu der scheuen, kriechend unterwürfigen und 
dabei hinterlistigen oder bei den Bergvölkern West- 
mpororos unverschämten Haltung der Wapororo. 

Leider kann man sich in gefährlichen Lagen auf die 
Wahima nicht verlassen. Ich habe nur eine Rasse 
kennen gelernt, die unbedingt, auch bei höchster Lebens- 
gefahr zuverlässig ist: die Sudanesen. Hiermit soll nicht 
gesagt sein, daß es unter den anderen Stämmen gar 
keine zuverlässigen I<eute gibt; sie bilden aber nicht die 
Kegel, sondern nur die Ausnahme. 

Die Sprache der Wahima konnte ich leider infolge 
Zuitmangels nicht untersuchen. Folgende beiden Mög- 
lichkeiten liegen vor: Entweder hat die Urbevölkerung 
die Sprache der Wahima, ihrer Herrscher, angenommen, 



Bei der angestrengten Tätigkeit als Grenzkoinmissar 
habe ich mich ja nie in diese Dinge vertiefen, sondern 
nur einige Brosamen sammeln können. 

Auffallend sind des weiteren sowohl bei Männern, 
als auch bei Weibern die schmalen, langen, wohlgeformten 
und nie arbeitsbnrten Hände (sie arbeiten allerdings 
auch nichts) und ein gut gebauter schlanker Fuß. Die 
schmalen Fingernägel werden nicht, wie bei den Wapo- 
porn, abgekaut, sondern lang getragen. Eine Boschnei- 
dung findet im Oegensatz zu den ihnen sonst sehr ähn- 
lichen Massai nicht statt, ebensowenig ein Ausschlagen 
oder Ausfeilen der Zähne. Charakteristisch ist noch die 
etwas vorspringende Stellung der Kiefer, der Oberkiefer 
überragt ein wenig den Unterkiefer, und die großen 
Schneidezähne stehen etwas schräg nach vorn geneigt. 
Ks ist das ganz auffallend erkennbar beim Lachen und 
nach meiner Ansicht mit eiu Hauptcbarakteristikuru des 
echten Milium. Die Wahima rauchen, sind aber bei 
weitem nicht so leidenschaftliche Raucher wie die Wa- 




Abl>. 15. Wahlmawrlher in gewöhnlicher Tracht und junges Mädchen mit Brnder. 



oder die Wahimu die der Urbevölkerung. Jedenfalls 
stellte ich folgendes fest: Als die Wahima (dort schon 
Watussi genannt, aber derselbe Stamm; Abb. 16) aus 
dem 3 bis 4 Tagemärsche südlich der Grenze gelegenen 
Gebiet (an die Berge Ruandas grenzend) zu mir ins 
Lager kamen , begrüßten sie sich mit meinen Wahima 
freundschaftlich und konnten Hieb mit ihnen verständigen, 
nicht aber mit den Wapororo. Um mich mit ihnen unter- 
halten zu können, bediente ich mich meines Askari 
Kirangano (der Kisuaheli und die Sprache der Wa- 
pororo [WanjamboJ sprach) und meines Mhimaführers. 
Zu dem Aükari sprach ich in Kisuaheli, er zu dem Mhinui 
in der Sprache der Wanjambo (Kinyoro?) und dieser 
Mhimu endlich in underer Sprache, die von meinen Leuten 
keiner verstand, zu den südlichen Wahima (Watussi). — 
Zeuge dieser höchst umständlichen Unterhaltung war 
der englische Kapitän Behrens. 

Hieraus ziehe ich den Schluß, daß nicht, wie Stuhl- 
manu sagt, die Urbewobner die Sprache der Wahima 
(Kinyoro?) angenommen halten, sondurn daß das Um- 
gekehrte der Fall ist. Ob ich recht habe, weiß ich 
nicht; denn leider kann ich keine Belege beibringen. 



poporo (Wanjambo). Junge Männer rauchen fast gar 
nicht, erst im vorgeschrittenen Mannesalter, und dann 
allerdings mit steigender Passion, greifen sie zur Pfeife. 
Wahimaweiber rauchen nicht. 

Die Wahima sind ein reines Hirtenvolk und treiben 
gar keinen Ackerbau. Die wenigen zum Leben erforder- 
lichen Vegetabilien liefern ihnen die untergebenen Wa- 
pororo (Wanjambo) oder sie werden bei diesen gegen 
Milch und Butter eingetauscht Ihre Hauptnahrung be- 
steht in Milch, seltener Fleisch. Die Wahima hängen 
so sehr an ihrem Vieh, daß sie es nur selten über das 
Herz bringen, eins der Tiere zu schlachten ; dagegen 
wird krankes und gefallenes Vieh gegessen. Also auch 
hier eine Abweichung von den Gebräuchen der Mussai, 
die bei jeder festlichen Gelegenheit Ochsen schlachten. 
Des weiteren unterscheiden sich beide Völkur darin, daß 
die Wahima ihren Rindern nicht durch Aderlaß Blut 
abzapfen, um es rein oder mit Milch vermischt zu ge- 
nießen, was ein ganz bekannter Massaibrauch ist. Dua 
Wahimarind gehört zu einer lnnggehörnten , buckellosen 
HasBO, wie sie am Nil und in Abessinien vorkommt, und 
ist von den Wahima eingeführt, Sofort beim ersten 

21* 



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15« 



Blick füllt einem der Unterschied zwischen dein kleinen, 
sonst in Ostafrika vorkommenden Buckelrind mit kleinen 
Hörnern und dem schonen großen, buckelloseni Inf* 
gehörnten Wahimarind auf (Abb. 17). Leider gibt auch 
das Wahimarind nur wenig mehr Milch als das Buckel- 
rind, d. h. eine gute Milchkuh, morgens und abends 
gemolken , täglich :; Hb 4 Liter. Kine weitere Eigen- 
tümlichkeit der afrikanischen Milchkuh, die der Europäer 
anfangs mit Befremden wahrnimmt, besteht darin, daß 
sin nur ao lange Milch gibt, als auch das Kalb der 
Milch bedarf, und sich nur melken laßt, wenn das Kalb 
daneben steht. Bei den häufig recht anstrengenden 
Märschen, die unsere Expeditionsmilchkühe auszufahren 
hatten, mußten die Viehhirten ganz besondere Acht auf 
die Kälber geben ; denn der Tod eines Kalbes hatte 
gleichzeitig den Verlust der Milch zur Folge. 

Als ich au einem Spätnachmittage durch mein Lager 
ging — es war in der wasserarmen Massuisteppe — kam 
ich gerade dazu, wie meine Rinderbirten die Kühe melkten. 



habe ich jetzt nicht mehr als im Durchschnitt 200 bis 
400 boi jedem mittelgroßen Dorfe gezählt. Ob diese 
Viehsterbe auch hier durch die Rinderpest oder durch 
eine andere Seuche hervorgerufen wurde, weiß ich nicht, 
ich glaube aber, daß es die Rinderpest war, denn ein- 
mal stimmt es mit dem Zeitpunkt überein (etwa 1892), 
und ferner sind auch wie in der Massaisteppe in dem 
der Landschaft Mpororo benachbarten Ankole fast sämt- 
liche Büffel dieser Seuche zum Opfer gefallen. 

Ganz wunderbar ist es, wie vertraut die Wahinia 
mit ihren Rinderherden umgeben; trotzdem es doch 
häufig recht bösartige Bullen unter ihnen gibt, habe 
ich es nie erlebt, daß ein Mhiina von diesen angegriffen 
wurde. Nur wenige Hirten genügen, um Herden von 
mehreren hundert zusammenzuhalten und lange Märsche 
mit ihnen auszuführen. 1 bis 2 Wahinia setzen sieb, 
ganz eigenartig durch die Zahne pfeifend, an die Spitze 
der Herde, die ihnen wie Hunde folgt, auch wenn längere 
Strecken im Trabe zurückzulegen sind, oder es Uber 




Abb. 16. Bewaffnete Watussl (Wahlma). 



Was sah icli da — ich glaubte meinen Augen nicht zu 
"trauen! Vor der einen Kuh stand, von einem Mann ge- 
halten und von der Kuh mit rauher Zunge liebevoll 
beleckt, das mit Gras ausgestopfte Kalbfell. Es gehörte 
wirklich eine sehr lebhafte Phantasie dazu, diese Atrappe 
für ein Kalb zu halten. Das Kalb war vor zwei Tagen, 
jedenfalls infolge der anstrengenden Märsche, gestorben, 
die Leute hatten es nicht gewagt, mir diesen Vorfall zu 
melden, sondern schnell das Fell abgezogen und im 
durchaus berechtigten Vertrauen auf die Dummheit des 
Rindviehs sich schnell ein neues Kalb konstruiert. (Für 
diesen Vorfall sind europäische Zeugen vorhanden.) Na- 
türlich gingen die Leute straffrei aus. 

Mit großer Liebe hangen die Wahima an ihrem 
Rindvieh, das von ihnen mit viel Sorgfalt gepflegt wird; 
verdanken sie doch den Rindern ihren ganzen Lebens- 
unterhalt. Auch ist von der Zahl der Rinder die ganze 
soziale Stellung der Familie, z. B. die Zugehörigkeit zum 
Adel abhängig. (Vgl. auch Dr. Kaudts .Mitteilungen 
über Ruanda.) Leider sind auch hier, wie in den Ge- 
bieten östlich des Viktoriaseeg, Tausende von Rindern au 
einer Viehseuche eingegangen. Während früher sich der 
Riuderrcichtum eines Wabimadorfes auf Tauseiide belief, 



schwieriges bergiges Gelände und durch Wasser geht. 
Dieselbe Wahrnehmung' habe ich bei den Massai ge- 
macht. Hierauf beruht ja auch der Umstand, daß es 
diesen, falls der Gegner nicht ganz überraschend und in 
Überzahl auftritt, fast immer gelingt, ihr Rindvieh in 
den Schlupfwinkeln unterzubringen und andererseits mit 
geraubten Rinderherden schnell zu enteilen. (In gleicher 
Weise sollen ja auch die Ilerero mit den I 'forden um- 
zugehen verstehen.) Am Tage weiden die Rinder oft 
stundenweit vom Dorfe entfernt, und zwar die Kälber 
getrennt von der Herde. Täglich aber gegen 5 bis 6 1 . 
Uhr abends trifft die Herde im Dorfe wieder ein , die 
Kälber werden für kurze Zeit zu den Kühen gelassen, 
diese dann gemolken, die Kälber hingegen in besonderen 
kleinen Hütten untergebracht. Die Zugänge des Dorfes 
werden geschlossen, und die Wache facht ein stark 
qualmendes Feuer an, das mit trockenem Rindermist 
genährt wird, um das Vieh vor den zahlreichen Peini- 
gern: Stechiiiegen, Mücken und Zecken, zu schützen. 
Mit Tagesgrauen, 5' , bis G Uhr, werden dann die Kühe 
wieder ceniülkcu, und etwa um 7 Uhr wird die Herde 
auf die Weide getrieben. Gegen Ende der Trockenheit 
machen diese Weideplätze allerdings einen kümmerlichen 



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Weiß: Land and Leute Ton Mpororo. 



157 



Kindruck ; müde hängen die gelblichen Halme, mehr 
Stroh als Gras, zur Krde, und man sollte nicht glauben, 
daß eine solche Weide noch Nährwort, besitzt. Es muß 
aber doch der Fall sein, denn ich habe auch iu dieser 
Jahreszeit du» Wahimarind in einem prachtvollen Futter- 
zustande gesehen, in ganz erheblich besserem jedenfalls 
alt die Rinder der Wadscbagga am Kiliuinujaro, die auf 
Stallfutter angewiesen sind. Wenige Wochen vor dem 
Einsetzen der Regenperiode ist der Zeitpunkt gekommen, 
wo die Wahima in die Steppe ziehen und dort weite 
Flächen des trockenen Grases niederbrennen , indem sie 
im Weitergehen ihre Feuerhrände in das Gra* werfen. 
Ein ganz pruchtvoller Anblick, vor allem in bergigem 
Gelände, wenn man abends, vor seinem Zelte sitzend, 



bin wertvolle Milchgefäß wieder mitnehmen wollten, so 
stellte ich ihnen einen meiner Kochtopfe zur Verfügung. 
Sie lehnten aber dankend ab mit dem Bemerken, daß 
die betreffende Ruh sterben müsse, weil in dem Topfe 
schon Fleisch gekocht sei. Auch der Hinweis, daß meine 
Milchkühe noch immer gesund seien, trotzdem in diesem 
Topf Fleisch und Milch gekocht werde , vermochte sie 
nicht zur Annahme des Topfes zu bekehren. 

Ein Teil der Milch wird zu Butter verarbeitet, der- 
art, daß Weiber oder Halberwachsene das hölzerne Ge- 
fäß in schüttelnde Bewegung setzen ; die fertige Kutter 
wird sodann in runde irdene Töpfe getau. Eine Ver- 
unreinigung der Milch und Butter, wie bei manchen 
Stämmen üblich, findet nicht statt, dagegen werden die 





Abb. 17. VYiihimu - (Watnssl-) Rinder. Mpororo. 



die langen Flammenketten durch die Steppe züngeln 
sieht. Unangeuehm allerdings, wenn sie sich dem Lager 
so nähern, daß man zu Schutzmaßregeln gezwungen 
wird. So manches Kriechtier wird hierbei ein Kaub der 
Flammen, aber ebenso Striucher und junge Bäuine. Un- 
schädlich sind diese Steppenbrände in der Kegel für aus- 
gewachsene Bäume. Sobald der erste Kegenfall diese 
abgekohlten Flächen getroffen hat, sprießt faxt zusehends 
ein üppiger, prachtvoll frischgrüner Graswuchs empor, 
die denkbar beste Viehweide. 

Die Milch, in große irdene Tupfe biuaiu gemolken, 
wird in die weiter unten beschriebenen, birnenförmigen 
hölzernen Gefäße umgefüllt und teils in frischem Zu- 
stande genossen, häutiger aber iu geronnenem. Stets 
dürfen die Milchgefäße nur zur Aufnahme der Milch be- 
nutzt werden, nie zum Fleischkochen. Eines Tages er- 
schienen Anverwandte meines Mhimaführers mit Milch 
in meinem Lager für diesen. Da sie das für sie imraer- 



Gefäße vor jedesmaliger Füllung erst ausgeräuchert. 
Hierzu dienen kleine irdene Kannen mit seitlicher Öff- 
nung zum Anblasen des Feuers und einem Hals zum 
Hineinleiten des Bauches in die Gefäße. Wunderbarer- 
weise wird die Butter von den Wahima nicht als Nah- 
rungsmittel benutzt, sondern dient einmal als Tausch- 
artikel, zweitens, mit Ockererde oder rotem Ton ver- 
mischt, zum Einfetten des Körpers und der Kleidung. 
In erster Linie werden die Felle damit geschmeidig ge- 
macht. Man kann keinen Gegenstand der Wahima be- 
rühren , ohne nicht sofort das Gefühl zu haben , man 
habe Fett angefaßt. Auch geht von Mensch und Gegen- 
ständen ein ganz eigenartiger ranziger Duft aus. Neben 
dem Rind Huden wir bei den Wahima Ziegen und Schafe 
einer kleinen Kasse mit geraden Nasen und kurzen 
Hörnern. Hühner werden nicht gehalten. 

Für sehr dankenswert würde ich eine Kreuzung des 
Buckelrindes mit dem prachtvollen Wahimarind halten, 



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156 



Weiß: Land und Leute von Mpororo. 



um 90 mehr als die Kahlreichen Rinderherden am Meru- 
berge und Kilimanjaro der Auffrischung bedürfen, »ullcn 
sie nicht bald degenerieren. Früher brachten die Massai 
durch ihre zahlreichen Kriegszüge frische« Blut in ihre 
Herden; das kommt aber jetzt, da die Eingeborenen 
unter dem Schutze der Stationen leben, gänzlich in 
Fortfall. Die Hedenken, die von verschiedenen Seiten 
hiergegen geltend gemacht werden und die auf Tsetse- 
gefahr und Trauspurt Unbilligkeit des Wahimarindes hin- 
zielen, halte ich nicht für stichhaltig, denn das Rind ist 
nicht empfindlicher als ein Maultier; ich habe aber mein 
Maultier monatelang in Mpororo gehabt und es dann 
völlig frisch und gesund von der Kongoecke über Kut- 
ebbe, Schirat i, durch die Maas&isteppe, am Kilimanjaro 
und Jipcaeo vorbei bis Mombo gebracht, wo es zu einem 
guten Preis verkauft wurde. Von dem in Schirati ge- 
kauften Rindvieh ist mir auch bis Mombo kein einziges 
Stück eingegangen, mit Ausnahme eines Ochsen, der am 
Hufntiuß beim Saufen von einem Krokodil ins Wasser 
gezogen wurde. Der Hur Fourie am Meruberge, dem 



Ästen, die wiederum an zahlreichen Bitumen Stützpunkte 
linden. Die wenigen Zugänge werden zur Nachtzeit 
noch durch besonders starke Astverhane geschlossen 
und bewacht. Krfolgt ein Überfall (nur zur Nachtzeit, 
mit Vorliebe kuns vor Tagesanbruch), so läßt die Wache 
ein weithin schallendes Alarmgeschrei ertönen, das von 
Hof zu Hof weiter gegeben wird. Auf dieses Alarm- 
guHrhrei kommen aber nicht etwa die Wahimader anderen 
Uehöfte den bedrohten Landsleuten zu Hilfe, wie man 
vermuten sollt«, sondern überlassen sie ruhig ihrem 
Schicksal und fliehen mit Rindern, Weibern und Kin- 
dern (und zwar in dieser Reihenfolge) eiligst in ihre 
Schlupfwinkel. Daß selbst so außerordentlich stark be- 
festigte Dörfer keinen Schutz gegen die überfalle der 
räuberischen Bergvölker gewahren, erlebte ich im Fe- 
bruar 1904. Zwecks Wiederaufbau eiues weit südlich 
gelegenen trigonometrischen Signals befand ich mich am 
Kakitumbebnch, als die in Abb. 16 sichtbaren Watussi 
(Wahima) bei mir mit der Meldung eintrafen, in der 
vorigen Nacht habe ein Überfall von der gesamton 




Abb. 18. Dorf des Sultan« Klssllcrobo. Mpororo. 

Sämtliche Bc«ri>linrr ror ilrm Ilnrfr. 



ich diesen Kreuzungsvorsclilag machte, hatte die fest« 
Absicht, aich ans Hukoba Wahimarinder zu holen; ob er 
es inzwischen getan bat, weiß ich nicht. Nehmen wir 
den ganz ungünstigen und nicht denkbaren Fall au, daß 
von 10 Bullen nur einer bis zum Kilimanjaro kommt, 
so ist er immer noch viel billiger als ein von Europa 
eingeführter Bulle. 

Die Anlage der Dörfer ist je nach dem Wohnsitz der 
Wuhiuia verschieden. In Ost- und Mittelmpororo bauen 
sie offene (iehöfte derart, daß die höchst dürftigen Hütten 
im Kreise angelegt werden, in der Mitte einen freien 
l'latz lassend, gerade groß genug zur Aufnahme des 
Viehes während der Nacht. Die Zwischenräume zwischen 
den einzelnen Hütten werden mit einer schwachen 
Dornenhecke geschlossen; am Tage hat das Dorf Zu- 
gang von allen Seiten. In Westmpororo hingegen werden 
mit Rücksicht auf die raublustigen Bergvölker stark be- 
festigte Dörfer angelegt; jedes Dorf zerfällt in mehrere, 
wieder iu sich stark befestigte Abteilungen, so daß eine 
abschnittsweise Verteidigung und somit, wenn die an- 
greifende Partei nicht zu zahlreich ist, ein gedeckter 
Rückzug möglich ist. Die Befestigung besteht aus 2 bis 3 in 
hohen, ", bis Im breiten Ast verhauen aus armdicken 



Kriegsmacht des Sultans Ratangaboa stattgefunden, zwei 
Dörfer seien gänzlich niedergebrannt, eine Anzahl Minner 
niedergeschlagen, 2000 Rinder und ebensoviel Ziegen 
und Schafe, sowie ihre Weiber und Kinder ihnen ge- 
raubt. Ich setzte natürlich große Zweifel in die Rich- 
tigkeit dieser Meldung; als sie mir jedoch mehrere von 
Speeren und Pfeilen herrührende Verwundungen auf- 
wiesen, beschloß ich, nach dem nur einige Stunden ent- 
fernten Tatort zu marschieren. Hier sah ich dann die 
I /eichen neben den niedergebranuten Dörfern. Leider 
hatte ich weder das Recht, noch die Macht, ihnen zu 
helfen, denn zu einem erfolgreichen Zuge gegen die 
Räuber wäre vielleicht eine ganze Kompanie ausreichend 
gewesen, nie aber vier Askari ; ich schickte sie daher 
mit ihrer Klage an die Militärstation Bukoha. Auch 
in Mittelmpororo hatten die Rnkigaleute den Versuch 
gemucht, in der Nacht aus einem Dorfe des Sultans 
Kissilevomho Vieh zu stehlen, nicht jedoch in räuberi- 
schem Überfall, sondern cb hatte Bich wie Diebsgesindel 
ein Trupp an das Dorf geschlichen, eine Öffnung in die 
Dornenhecke gelegt und war von der Wache in dem 
Augenblicke abgefaßt worden, als sie eine Ferse am 
Strick herausziehen wollten. Am nächsten Morgen 



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Dr. C Mehlis: Das römisuhe Urenzwohrsy stem in der Nordschweiz. 



150 



bestritten di« Rukigaleute natürlich lebhaft, daß sie 
das Rind hätten stehlen wolleu; «io scion nur her- 
gekommen , am sieh die Kinderberde einmal anzu- 
sehen. 

Wie die Anlage der Gehöfte in West- und Ostmpo- 
roro Unterschiede zeigt, so sehen wir eg auch beim 
Huttenbau. Die kegolförmigen Hütten in Ost- und 
Mittelmporuro sind ganz roh in wenigen Stundon aus 
Schilf und Asten zusammengeflochten and unregelmäßig 
und notdürftig mit Gras beworfen (Abb. 18). Regnet 
es durch, so wird ein Rinderfell auf die betreffende Stelle 
gelegt. Das Innere der Bütte geigt dieselbe, eher eine 
noch dürftigere Einrichtung als die der Wapororo; Bett- 
gestelle haben nur die vornehmsten Wabima, dafür 
Huden wir als Unterlage und zum Bedecken Rinderfelle. 
Das Hausgerät besteht aus den schon bei den Wapororo 
beschriebenen Kochtöpfen und Kalebassen, neu tritt 
hinzu das Milchgefäß, das einzige Hausgerät, auf dessen 
geschmackvolle Ausstattung sie etwas Wert legen. Der 
Mhima, der mit großer Liebe an seinem Riud hangt, 
hält anscheinend ein gewöhnliches irdenes Gefäß nicht 
für würdig genug, seiue Haupt- und Lieblingsnahrung 
aufzunehmen. Das Milchgefaß ist ein aus einem massiven 
Holzblock herausgearbeitetes birnenartiges (iefäß, das 
bei den wohlhabenden Wabima in gefloohtenen Netzen 
in der Hütte hängt, rot gefärbt ist und hübsche ein- 
gebrannte Strich- und Krenzlinienmiisterung zeigt. Der 
äußerst primitive Hüttenbau dieser Wahima Mittel- und 
Ostmpororos ist wohl darauf zurückzuführen, daß sie 
häufig mit Rücksicht auf die Weideplätze ihre Dörfer 
▼erlegen und dann natürlich auf den Aufbau keine 
große Zeit und Mühe verschwenden. So haben Emin 
Pascha und Stuhlmann 1891 da» Dorf der Niawingi 
(vgl. weiter unten) an einer ganz anderen Stolle gesehen 
wie wir 1903. Wahrscheinlich wohnten die Niawingi 
Gebiet, während sie za unserer 



Zeit im deutschen Gebiet V« Stunden südlich der Grenze 
hausten. 

Die Wahima Westmpororos hingegen sind infolge 
der starken Befestigungsanlagen ihrer Dörfer nicht ini- 
I stände, diese häufig zu verlegen, und treiben lieber ihr 
Vieh stundenweit zu günstigen Weideplätzen; stets sind 
sie aber bis 5» „ Uhr abends wieder im Dorfe. Wü- 
schen daher hier auch häufig auf den Bau der Hütt« 
und auf deren Ausstattung größere Sorgfalt verwandt 
An Stelle der kegelförmigen treten häutig länglich» mit 
seitlichem Eingang (starke Ähnlichkeit mit der Massai- 
forni, aber nur Grasbckleiduug, nicht, wie bei diesen, 
Ix>bm oder Mist). Der Grasbelag ist stärker und sorg- 
fältiger angeordnet. Außer dem bereits beschriebenen 
Hausgerät fand ich große runde Holzgefäße, die wohl 
15 bis 20 Eiter Milch aufnehmen konnten, während die 
kleineren birnenförmigen Gefäße nnr l 1 s bis 2 Liter 
fassen. Fast in Jeder Hütte sah ich ein Bettgestell wie 
die bereits bei den Wapororo beschriebene Art, außerdem 
breite, aus Scbilfgras geflochtene Matten auf dem Boden 
und an den Wänden. 

Geradezu unbegreiflich war es mir, daß dieser edle 
Volksstamm, der in sittlicher Beziehung sowohl, wie in 
seiner äußeren Erscheinung den Bantuneger weit über- 
ragt, sich in diesen erbärmlichen Dörfern, die von Schmutz 
starren und in deneu es von Ungeziefer wimmelt, wohl 
fühlen kann. Wie es im Innern des Dorfes, in dem von 
6 Uhr abends biB 6 Uhr morgens dichtgedrängt das 
Vicht steht, aussieht, kann man sich denken. Der Mist 
wird etwa nicht aus dem Dorfe entfernt, sondern nur 
ab und zu innerhalb des Dorfus zusammengefegt. In 
holzarmen liegenden, wie in Westmpororo beim Sultau 
Katreia, dient der getrocknete Mist als Brennmaterial. 
Nie jedoch wird er, wie da* bei den Mussai üblich ist, 
znm Verschmieren der llüttenwände benutzt 

(Schluß folgt.) 



Das römische Orenzwehrsystem in der Nordschweiz. 



Mit Kartenskizze '). 



Uber diesen Gegenstand sind in den letzten zwei 
Jahren mehrere wichtige Schriften erschienen. Über die 
Hauptresultate soll der folgende Bericht eine Über- 
sicht geben. 

Zunächst findet sich in dem Jahresberichte der Geo- 
graphisch -ethnographischen Gesellschaft in Zürich für 
1904/05 eine Arbeit des Herausgebers Prof. Dr. Heierli 
„Über das römische Grenzwehr-Systom am Schweizer 
Rhein" (mit Karten und Abbildungen). Auf Grund 
neuester Bodenuntorsucbungen wird hier der unter Dio- 
kletian hergestellte Rhein -Limes mit seinen Kastellen 
und Warten (Castrum uud specula) zum Teil mit Grund- 
rissen dargestellt Aus solchen zum Teil noch erhalte- 
nen Türmen der Römerzeit hat sich zweifellos der Berg- 
friod des Mittelalters entwickelt*). 

Diese Limes-Anlage der Nordscbwuiz, die das rechte 
Rheinufer von Konstanz an bis Basel gegen die Einfälle 
der Germanen bzw. der Alemauuen verteidigt«, hat schou 
Ferdinand Keller im Jahre 1871 in seinen Grundzügen 
nachgewiesen (vgl. „Atizeiger für schweizerische Alter- 
tumskunde'', 1*71, S. 237 bis 240). Später ist Pfarrer 
G. Borkart in seine FuQstapfen getreten und hat die 



') Nach Meiert! , Iiiirkart, liurckhanlt- lliedermann und 
Fabrieius dargentellt von Dr. <'. Mehlis. 

*) Vgl. hierzu Komerturm Tom lYerchgrabeu im „An- 
zeiger für schweizerische Altertumskunde". Neue Folg«. 
V. Band, 8. 2M. Seitenlange = ll.SOm; Hübe «3 m (»). 



römischen Befestigungen von Mumpr bis Kaiseraugst 
festgestellt (vgl. a. a. 0., N. F., 1903 Ol, & 256 bis 267). 
Diu Kastell bei Stein a. Rh. hat dor dortige Altertums- 
verein freigelegt Den interessanten Römerturm am 
Pferchgraben ließ die Stadtbehörde zu Rheinfelden aus- 
graben. Nach Heierlis Angabe (S. 29) soll eine eid- 
genössische „Subkommission für römische- Forschungen" 
die wissenschaftliche Erforschung aller in Betracht kom- 
menden Plätze durchführen. 

Den gegenwärtigen Stand des Grenzwehr-Systems 
läßt Heierlis Arbeit klar erkennen. Er bespricht im 
einzelnen: 

I. Die Römerfunde in Konstanz und diu Warte bei 
Hertingen im Thurgau. 

II. Das Kastell Burg bei Stein a. Rh., da« nach 
einer fragmentierten Inschrift und nach Angabe de« Pto- 
lemaeos Tasgaetion oder Tascaetium hieß. Seine Mauern 
wurden nach einer weiteren Inschrift unter Diokletian 
und Maximian wiederhergestellt. Nach Tb. Burckhardl- 
Riederinann (vgl. Römische Kastelle am Oberrhein aus 
der Zeit Diokletians. Westdeutsche Zeitschrift für Ge- 
schichte und Kunst, 1906, 25. Jahrg., S. 138 bis 131», 
145 bis 149) wurde dies Kastell mit Eck- und Seiten- 
türmen in der Weise bewehrt, wie sie Diokletianische 
Kastelle im Ostjordanland und am syrischen Limes auf- 
weisen. Die Errichtung des Kastelles Tasgaetion fällt 
in das Jahr 291. 



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!«<) 



Dr. C. Mehlis: Das römische (i renzwuh rsy h te m iu der Nordsobwei*. 



III. Die römischen Wachttürme zwischen Stein und 
Zurzach. Es sind Speculae mit steinernem Unterbau 
iiud Überbau aua Holz, wie solche die Trajanssäule dur- 
stellt. Mittels optisoher Signale (Fackeln und angezün- 
dete Strohhaufen) wurden Warnungen von Turm zu 
Turm — sie lagen in 1,4 bis 2,6 km Entfernung von- 
einander, vgl. G. Burkart, a. a. O. — weitergegeben. 

IV. Da» Kastell Burg bei Zurzacb. das eigentlich 
auH zwei Befestigungen besteht, zwischen denen die 
Romerstraße nach der Rheinbrücke geführt bat, Diesen 
Platz nennt die Tabula Peutingeriaua Tenedo. Auch 
den Namen Forum Tiberii will man diesem Kastell zu- 
weisen. Bei den letzten, ton Heierli geleiteten Gra- 
bungen (1903 bis 1904) wurden Manzen Ton Marcus 
Aurelius (161 bis 180) bis Gratian (375 bi* 383) fest- 
gestellt. 

V. Die römischen Warten zwischen Zurzach und lk- 
gelaugst Wichtig sind hier die Grabungen zu Mumpf, 



Über die Größe der Nordschweizer Grenzkastelle 
gibt Burckbardt-Bicdermano (a.a.O., S. 261) Aufschluß: 
Kastell Kaiseraugst 36000 <|m, Kastell Bnrg bei Stein 
8100 qm, Kastell Zurzach westlich und östlich : 
6394 «jm, Kastell Irgenhauaen 3177 ([in. 

Kaisernugst ist fast so groß als das Limes! 
Pföriug, größer als Weißenburg a. S. und Friedberg. — 
Von Truppenkörpcrn worden in späterer Zeit ge- 
nannt: 1. Die Tungrecani seniores, 2. die Legio octata 
(AugustaV). Hinter der römischen Rhiingreuze bildete 
die zweite Etappenlinie die große, von Kastellen (Solo- 
durum, Vindonissa, Vitodurnm, Adfines, Arbor felis) ge- 
schützte Heerstraße, die von Ao&ta über M&rtigtiy nach 
Avenches (Aventicum), Biel, Solothurn, Ölten und Win- 
disch zog und weiter Ober Adfines zum Bodensee und 
über den Rhein nach Bregenz ihren Lauf nahm. Hier 
traf sie die von Mailand über Chnr nach Augsburg sie- 
hende SQdnordstraße»). Straßen, Kastelle, Wachttürme 




> 1:1076000. 
tirenzwehrsystera In der Nordschweiz. 



die im dortigen römischen Mauerstumpf zwei Bau- 
periodeu erkennen ließen. Die Ryburg, einen prähistori- 
schen Hingwall, gebrauchten die Römer, um hier eine 
Specula zu erbauen. 

VI. Die Kastelle von Basel- und Kaiseruugst. Jenes 
ist identisch mit der Neugründung des Augu.-tiig 
Augusta Rauracortim. An deren Stelle tritt itu 3. Jahr- 
hundert im heutigen Kaisuraugat das Castrum Raurn- 
cense, das wie Burg bei Stein nach den Untersuchungen 
von Burclchardt-Bicdcrtnanu vorgekragte Eck- und 
Seitenturme besaß. Von Intersse sind aus diesem Ka- 
stell zwei Iuschriften, die «lein Mercurius August us ge- 
widmet sind. 

VII. Warte in Hard und das Kastell Itasilia. Auch 
diese Warte hatte wie der Rttuierturm am Pforchgrubeu 
bei Rbeinfelden Luftzüge, um das Mauerwerk trocken 
zu halten. In den Jahren 1S!>3 und 1901 wurden zu 
Basel, und zwar am Münsterplatz, Fe«tung<mauer und 
Fcstungsgiaben der R..merzeit festgelegt. 



stehen im engen Zusammenhang miteinander. Nur so 
ist es zu erklären, daß das Wehrsystem (— Limes) mit 
dem Rhein als Festungsgraben zweimal den Nord- 
ländern Halt für Jahrhundert« geboten hat. Nach den 
Forschungen von Keller, Heierli, Burckhardt-Biedermann, 
Burkart u. a. wird die eidgenössische „Subkommission 11 
koine besondere Arbeit mehr zu bewältigen haben, son- 
dern nur die früheren Ergebnisse nachprüfen und sichern 
können. 

Ein dringendes Bedürfnis ist und bleibt es, daß auf 
deutscher Seite der Rhein als Grenzstroui der 
früheren und späteren Römer/eit endlich gewürdigt 
und die Reste der römischen Verteidigunganstalten 
von B.nel bis Köln auf dem liuken Rbeinufer syste- 
matisch und baldigst festgestellt werden. 

Dr. 0. Mehlis. 

') Vcl- hierzu Näher. l>ie römischen MilitantraOen in 

der Kidiweiz und in Süd Westdeutschland. 2. Aufl. 1888. 8.1 
Iii* !• und Karte I. 



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IM 



Ist der Große KuBicrunber» »och titig I 

Die Frage nach dem aktive» Vulkanismus de« Kainerun- 
gebirges finde ich auf 8. 274 des 90. Bandes de« .Globus" 
anläßlich der Besprechung der Simmerschen Vulkaustudi« 
Uber Afrika (Münehener geogr. Studien, 18. 8t. ) von Walther 
von Knebel ausdrücklich verneint. An keiner Stelle war 
bisher der Beweis für eine noch andauernde vulkanische 
Tätigkeit de> Berge* gefunden worden , und allgemein galt 
der Vulkan »U völlig erloschen. Auch halt v. Knebel mit 
Recht die Meereanähe desselben nicht für beweiskräftig für 
seine Aktivität (wie Simmer theoretisch folgert), ebensowenig 
natürlich Hary Kingaleys Angabe, daß der Kommandant von 
fiuea kein Vertrauen in die Kühe des Berges setze. Ältere 
Eingeborene erinnern sich auch noch, w ie bei einen» 
vor wenigen Jahrzehnten erfolgten Ausbruch die 
Lava den Berg herunter kam und ihre Felder verwüstete; 
ihre Erzählungen fanden leider keinen Glauben. 
Ich erlaube mir aber im folgenden, die Aufmerksamkeit der 
Geologen und Geographen auf einen i» der „Köln. Ztg.* 
(2. Sept- 1904) erschienene» Bericht von Assessor lt. Meyer 
(Kamerun) zu lenken, der es verdient, der ihm drohend«» 
Vergessenheit oder vielmehr Nichtbeachtung entrissen zu 
werden. (Die ihm beigegebene Marschskizze ist leider ganz 
ungeschickt.) 

Durch zwei im September 1905 und März 1900 aufgetretene 
Erdstöße veranlaßt, begann Assessor Meyer am 21. April v. J. 
mit einigen schwarzen , infolge der allgemeinen Furcht vor 
dem Berggipfel nur mühsam erhaltenen Begleitern von Buea 
aus am Nordostabhang des Mongo ma lx>ba seine "Wanderung, 
eben in dar Richtung der ihm als .place, where Are come 
fur outside", als Ort, wo Feuer herausgekommen ist, be- 
zeichneten Aasbruchstelle. Am anderen Tage schien »ich 
gleich ein alter Seiteukrater gefunden zu haben (2440 m), 
der »ich aber bei näherer Prüfung nl* Bergrutsch heraus- 
stellte, und nach zwei weiteren Stunden marschierte mau über 
ein ausgedehntes Lavafeld mit auffallend glatter Oberfläche 



dahin. Dieses horte plötzlich auf, uud nur auf Ermutigung 
des eingeborenen Führers hin stieg Meyer durch Grasland 
weiter hinauf. Im folgenden wird der Originalbericht von 
Iuteresae sein. „Schon nach 20 Minuten aber begann wieder 
Lava und tiefe Asche , und kurz darauf hörte ich vor mir 
deu Freudenruf aus zwei Kehlen: »Masea, Massa, öreplaoe 
live, he smell, he smell too much (Herr, Herr, hier ist der 
Krater, er stinkt, er stinkt mikchtlg).» Atemlos stampfte ich 
durch die Asche aufwärts, zerteilte das auf der kleinen An- 
höhe stobende niedrige Gebüsch, und richtig, da lag an einer 
Stelle, an der es an« allerwenigsten zu erwarten war, da« 
Ziel meiuer Sehnsucht, ein regelrechter dampfender Krater. 
Zwar viel Staat war nicht damit zu machen, denn es war 
eigentlich nur eine Miniaturausgabe. Was ich sab, war ein 
genau kreisrundes, etwa 1& m Durchmesser haltendes, gähnen- 
des, schwarzes Loch mit senkrechten Wänden und rings über- 
hängenden schwefligen Bändern, aus dessen Boden unaufhör- 
lich bald schwacher, bald starker werdender blaugrauer, nach 
Schwefel riechender Dampf emporstieg. Immerhin w«r die 
Tiefe recht beträchtlich, etwa Mim, wie ich mir nach der 
mir am Aufschlagen hineingeworfener Steine ausrechnen 
konnte, und jedenfalls war das Dasein einer wenn auch 
geringen, noch andauernden Tätigkeit des allen Vulkan« 
nunmehr wohl endgültig allen Zweiflern zum Trotz nach- 
gewiesen.* 

Wie ersichtlich, handelt es sich um einfache Soifataren- 
tätigkeit. Die StJirke der Rauchentwicklung schwankt; 
Weihnachten 1905 soll sie nach Berichten der Eingeborenen 
sehr bedeutend gewesen sein, zu anderen Zeiten wieder 
begnüge sich der Krater damit, sich durch üblen Geruch in 
Erinnerung zu bringen '). Daraus aber auf ein Erlöschen 
zu schließen, wäre verfrüht. Die gangbaren Handbücher 
sind hiernach zu berichtigen. Der Krater liegt nach Angabe 
der Skizze auf 26bb m Seehöhe. Bernhard Struck. 



') „Me Lear l„m „mell» - M> h«e ihn »linken", lautete der 
plii>li»the AuMlrutk dafür. 



Bücherschau. 



Schnller^ Geografia fisien y eufcrica de las provin- I 
cias del Paraguay y Misiones Guaranies. Com- 
pueata por Don Felix de Azara. En la Asunciön del 
Paraguay 1790. Als Band I der Secciön histörico -filosoficn 
der Anales del Museo National de Montevideo. Monte- 
video 1904. 

Bs ist erfreulich, daß auch iu Uruguay jetzt ein gröOe- 
res wissenschaftliches Leben beginnt Das unter der Leitung 
von J. Arechavaleta stehende Nationalmuseum gibt hier als 
ersten Band seiner Annlos ein hochbedeutendes Manuskript 
aus den Bestünden der Nationalhibliothek zu Montevideo her- 
aus. Das Manuskript ist aber keineswegs das einzige über 
Azaras Reisen handelnd« auf dortiger Bibliothek, sondern es 
liegen mehrere vor, von denen eines 1873 von General Mitre 
in Buenos Aires veröffentlicht worden ist. R. R. Schuller 
hat sich der Mühe unterzogen, das andere, desaen Titel oben 
angegeben ist, herauszugeben. Daß dieses Manuskript von 
Azara stammt, ist. obwohl es nicht von ihm seihst geschrietieu 
ist, zweifellos, da es von ihm verbessert und unterschrieben 
ist. Über diese Dinge verbreitet sich die von Schuller ge- 
gebene Einleitung S. I bis XXVIII. Sie enthalt ein wert- 
volles Verzeichnis aller von Azara selbst oder aus seinem 
Nachlaß von anderen herausgegebenen Schriften, im ganzen 
IT, aus der Zeit von 1»01 bis 1B7.H, darunter die beiden 
deutschen Ausgaben von W. A. Lindau in Leipzig und 
1'. Weyland in Berlin, beide l*»in erschienen; ferner eine Be- 
schreibung des Lebens Felix de Azara«, das am 1H. Mai 
174S in Barbunales in Aragon begann und ebenda am I". 
Oktober IBtfl endete, dennoch aber reich war an Bewegung, 
Ereignissen und Schicksalen. Brachte Azara doch volle üo 
Jahre. 1781 bis 1B"1, in dem Stromgebiete des I* Pinta zu. 

Im übrigen finden sich in der Einleitung noch Belege, 
Briefe uud Dokumente aus Wnlcketiner* Ausgabe von l«0B 
(8. XXIX bis XL); eine Widmung von R. R. Schüller und 
.Zwei Worte* von demselben über die Schwierigkeiten der 
Drucklegung des vorliegenden Werke«; eine höchst wertvolle 
Bibliographie der über die Eingeborenen vorhandenen Lite- 
ratur, ebenfalls von Schuller; endlich eine sehr umfangreiche 
Vorrede von Schuller über da« in Frage stehende Manuskript, 
mit Wiederholungen v.»n Karten der La PlataUnder, /. B. 
Paraguay von G. t'otek l>-30 nus dem Blaeu sehen Atlas; 
Misiones von Winkler 174«; l'urnguxy von mehreren Je- 
suiten, Nürnberg 170u; ein Stück der Original karte Azaras; 
Generalkarte von Paraguay aus Azaras Atlas von 180»: 



Völkerkarte Südamerikas. Besonders wichtig ist die Erörte- 
rung Schullers über die Ethnographie des von Azara he- 
reisten Gebietes (LXXVIII bis CXXXI1) mit Übersichtstafel 
über die Sprachen der GusyeuruFamilie und Verarbeitung 
alles neuen Materials. 

Dann beginnt die Reisebeschreibung Azaras, zunächst 
wieder mit einer Vorrede von diesem (8. 5 bis 10), weiter 
mit der Rvise nach Villarica (S. II bis 44); es folgen dann 
zehu weitere Reisen, kleinere Streifzüge, zum Teil auch von 
Untergebenen Azaras (8. 287 bis 439), allgemeine Beobach- 
tungen über das Land, seine Bewässerung, Klima, Pflanzen- 
decke, Tierwelt, Mineralschätze, hauptsachlich aber über die 
lndianerbevölkerung nach Stammen, über die Neger, Mu- 
latten, Weißen, über Asuncion und endlich eine Liste der 
für die Karte von Paraguay als Grundlage bestimmten geo- 
graphischen Koordinaten. Die gesamte Darstellung ist von 
zum Teil sehr umfangreichen Fußnoten Schüllers durchsetzt 
und ziemlich reich mit Reproduktionen der dem Manuskript 
beigegebenen Plane von Hütten und Dorfern versehen; auch 
die Indigopflanze und der Paraguay-Teebaum sind abgebildet. 

W. Sievers. 

Prof. Dr. E. Löffler, Dänemarks Natur und Volk. Eine 
geographische Monographie. VIII u. lao 8. Mit :i» Illu- 
strationen und Kalten Kopenhagen, Uhrnann u. Btage, 
1805. 2,*0 M. 

Die Schrift kommt einem Bedürfnis entgegen; denn in 
deutschen Werken begegnet mau oft um Jahrzehnte ver- 
alteten Ansichten und Angaben über dänische Verhältnisse. 
Mit um so größerer Freude ist es zu begrüßen, daß der Ver- 
fasser die ursprünglich für die .Bibliothek der Länderkunde" 
geschriebene Monographie bis zur Drucklegung fortwährend 
revidiert und ergänzt und nunmehr «elUUndig publiziert, hat. 
Die drei Hauptbestandteile Danemarks (das eigentliche Däne- 
mark, die Faröer. Island) sind der Gliederung de« Werkes 
zugrunde gelegt. In jedem Hauptabschnitte werden erst die 
Katurverhältnisse. , altdanu die Bevolkerung*verhältnisse ge- 
schildert; daran schließt «ich für das eigentliche Dunemark 
eine topographische Übersicht. Für Umfang und Darstellung» 
art war der ursprüngliche Zweck der Schrift maßgebend; 
aber selbst innerhalb des gesteckten Rahmens wäre es mög- 
lich gewesen, die topographische Übersicht wirkungsvoller zu 
gestalten. Der Salz .Die dänischen KüstensUidte sind fast 
durchweg Kiisteustädte und verdanken ihre" Entstehung häufig 



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162 



Kleine Nachrichten. 



einer Barg oder einem Kloster" hätte trotz der in ihm ob- 
waltenden Faradoxic diesem Abschnitt alt Motto dienen 
müssen. Gegenwärtig trügt der Abschnitt an vielen Stellen 
zn sehr daa Gepräge eines Heiseführers, den wir in der Hand 



Wegweiser" gibt Hüffler einen wertvollen Nachweis für weiter- 
gehende Studien Uber die geographischen Verhältnisse Däne- 
marks; der Ausländer wird jedoch den Hinweis auf vorban- 
den« Ubersatzungen (8. Müller, Nordische Altertumskunde) 
oder leichter zugangliche Ausgaben vermissen. Mächten die 
in dem Buche enthaltenen Angaben zeitgemäße Darstellungen 
in der deutschen Literatur veranlassen: 

Kiel. A. Loreuzen. 

A.W. Naue, Die Denkmaler der vorrömischen Me- 
tallzeit im Elsaß. LXXXVI und 5J9 Seiten. Mit 
Textbildern, 2 Karten und 32 Tafeln. Straßburg, Straß- 
burger Druckerei und Verlagsanstalt, 1905. 
Der Sohn des bekannten Müncbuncr 1'rähistorikers l'rof. 
Dr. Julias Kaue legt hiermit ein tüchtige* Erstlingswerk dein 
Kreise der Fachmanner vor. Zugleich bildet die Arbeit die 
gekrönte Preisschrift der „Gesellschaft für Erhaltung der 
geschichtlichen Denkmäler im Elsaß* und wurde mit Unter- 
stützung der Regierung des Reichalandea gedruckt. 

Die Einleitung bildet den Versuch einer prähistori- 
schen Terminologie, die gegenüber der Unsicherheit des sich 
hier breit machenden Dilettantismus sehr nm Platze ist. Ob 
sie durchdringt, ist eine andere Krage. Bei den Gefäßen 
hält sich der Verfasser an die klassischen Termlui lechuici, 
auch an alpine Auadrucke (Weidling usw.). 

Den Hauptteil der Arbeit bildet die nach den Kreisen 
und auf Grund der literarischen Quellen, sowie eigener Btu- 
dieu (Sammlung Nessel zu Hagenau) verfaßte Beschreibung 
der Grabhügel-Nekropolen. Lage der Hügel und ihr Inhalt 
werden genau beschrieben und die Quellen kritisch behan- 
delt. Folgerungen über die Zeil der einzelnen Tumuli wer- 
den in dieser Abteilung des Werkes nicht gezogen. Besonders 
ausführliche Schilderung erhielt der Kreis Ilagenau, wo 
Bürgermeister Nessel vnn 1870 bis 190« Sin .Heiligen Forst" 
sorgfältige Grabungen unternahm, deren Kunde im städti- 
schen Museum zu Ungenau jetzt aufgestellt sind. Aus der 
Darstellung erkennt man den Reichtum des F.tsaß an Denk- 
mälern dieser Art, die bis zur Bronzeperiode hinauf und bis 
zur La T«-ne-Zeit herab gehen. 

Die Abbildungen im Text sind etwas spärlich ver- l 
treten. Auf 32 Tafeln stellt die Künstlerhand seines Vaters I 
die wichtigsten Formen der Grabgefäßc aus Ton und Metall, I 



der Schmuckringe aus Üagat und Bronze, sowie der berühmten 
Tonnwn-Anuwulsie aus Gagat und Bronze dar. Der Referent 
vermißt hier die zierlichen Hallstatt-Fiboln, sowie die be- 
kannten Oürtelplatten aus der Sammlung Nessel. Zwei 
Karten stellen die Nekropolen im Ilagenauer Forst und im 
Hartwald nördlich der Schweizer Grenzo klar und deutlich 
dar. 

Wir begrüßen das inhaltreiche Werk, daa einen entschie- 
denen Fortschritt der behandelten Materie in Stoff und Tech- 
nik für die Prähistorie im allgemeinen mit sich bringt. 

Dr. C. Mehlis. 

Radulf Bielefeld, Die Geest Ost frieslaud*. Geologische 
und geographische Studien zur < 
und zur Entwickelungsgeschichte 
173 Seiten. S Tafeln. (Forschungen 
und Volkskunde, Bd. XVI, Heft 4.) Stuttgart, J. 
horn, 1908 

Den größten Teil dieses Heftes (S. 9 bis 67) nimmt die 
Geologie des ostfriesischen Diluviums ein, die Hydrographie 
beansprucht die Seiten 68 bis 104, die Physiographie der ost- 
friesischen Geest wird S. 105 bis 132 abgehandelt. Bei der 
Kliiuatologie kommen Winde, Temperatur, Niederschlag und 
Sonnenschein in Betracht, bei der Pftanzengeographie unter- 
scheidet man das Gebiet der natürlichen Wiesen oder Meeden, 
diu kultivierte und die bewaldete Geest und das Gebiet der 
Heide und des Kiefamscheidewaldes. Iu tietreff der Tierwelt 
muß Verfasser zugestehen, daß unsere Kenntnis der Fauna 
der ostfriesischen Geest noch außerordentlich dürftig ist; ein 
dürftiger Beitrag über die Käfer dieser Gegend ist alles, was 
wir in zoologischer Hinsicht besitzen. Anthropogeographiach 
klebt der Friese an der Marsch, der Niedersachse bevölkert 
die Geest. Für die Hydrographie- wird festgestellt, daß die 
große Aa die mit geringerem Gefälle ausgestalte Ems zwang 
in ihrer Richtung zu fließen. Beide flössen vor ihren Ver- 
ciuigungspunkten zwischen Leschede und Hanekenfähr ur- 
sprünglich westwärts und mündeten in der Nähe des Dorfes 
Brandlecht im Kreise Bentheim in die Vecht, von der die 
obere Ems demnach einen großen rechten Nebenfluß bildete. 
Die im Spätvitaglaxial an der Ost flanke der hohen Geest 
liegenden Seen sind allesamt jugendliche 
Ausräumung. 

Von don drei Karten (ursprüngliche Verbini 
Oberems und Hase mit der Vecht. l'rvecht und Urema, die 
glazialen Stromtäler der Weser) dürfte namentlich die letzte 
interessieren. 

. S. F.. Roth. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck aar satt Qnslleuaemlt« gestaltet. 



— Ameisen und Pflanzen. Hutger Seniander hat in 
einer größeren Arbeit (Kgl. Svenaka vetensk. handi., Bd. 41, 
190«) darauf hingewiesen, daß bei der Pflanzcnverhreitung 
die Ameisen eine weit größere Rolle spielen, als man anzu- 
nehmen geneigt ist. Als älteste Quelle, daß diese Tiere 
Samen sammeln und fortschleppen, hat die Bibel zu gelten 
(Sprüche Saloumni« VI, 6 bis R). Wissenschaftlich wurden 
die Beobachtungen aber erst von Interesse, als man entdeckte, 
daß gewisse Samen besondere Eigenschaften oder Organe be- 
sitzen, durch die »ie die Aufmerksamkeit der Ameisen er- 
regen, und denen sie also ihre Verbreitung verdanken. Ver- 
fasser will die Pflanzen, deren Samen oder Verbreitung*- 
eiuheiten wegen besonderer Eigentümlichkeiten der Organisation 
von Ameisen aufgesucht und transportiert werden, Myrmeko- 
choren nennen. Meist wiesen diese Samen ein eigentümliches 
fettes Öl in Gestalt eigener Gebilde auf, die er ElaiBome be- 
nennt. Von verschiedenen Seiten sollte eine Art Mimikry 
bei diesen Samen vorliegen, sie sollten Insekten nachahmen, 
doch liegt bisher kein bestimmtes Zeugnis dafür vor, daß 
Mimikry an und für sich eine Ameisenart dazu verlocken 
könnte, eine Verbreitungseinhelt zu transportieren, Dabei 
sind die Ziffern für die transportierten Samen recht beträcht- 
lich. Verfasser berechnet« für jeden Ameisen staat im süd- 
lichen Schweden ;|R4BU Stück, gibt aber selbst zu, daß diese 
Zahl in eminentein Urade nur als eine Miniiiiumzuhl zu bv 
trachten ist. Wenn sich auch die Beobachtungen gewisser- 
maßen erst in einer Art Anfatigsatadium betlnden, so ver- 
machte doch Sernander Transporte über 10 tu und weiter zu 
registrieren. Ob nun aber 10 oder 70 m erreicht werden, 
jedenfalls steht fest, daß nach dem Zeugnis der obigen Ziffer 
die Verbreitung der Mutterpflanze und für fio eine äußerst 
wichtige sein muß. Zunächst erstrecken sich diese üuter- 



suchungeu nur auf europäische Verhältnisse. Dabei 
sich ökologisch, daß mit Ausnahme von Rosmarinus und 
einigen Euphorbia • Arten unter den Myrmekochoren keine 
Holzgewächse sich betluden; wir haben »a — auch Wasser- 
und Salzpflanzen scheiden aus — mit Wald- und Ruderal- 
bewohnern zu tun, denen sich eine kleine Gruppe Felsen- 
ptlanzen anschließt. Aber jedenfalls haben wir es bei unseren 
Myrmekochoren nur mit einem Teile derjenigen zu tun, 
die an verschiedeneu Enden unserer Erdkugel ausgebildet 
worden sind. Unsere Myrmekochoren gehören hauptsächlich 
zu den Schattcnpflanzeii und steuern so eiDttn Typus zu den 
Verbreituugsvorrinhtungen bei. Interessant ist anch folgen- 
der Hinweis. Die Waldtypen, die jetzt die Hauptgruppe der 
Myrmekochoren hegen, leben, wenigstens von der älteren 
Tertiärzeit, in den ungeheuren Gebieten unserer Erde fort; 
in ihren Überbleibseln, dem Bernstein, finden sich bekannt- 
lich auch Ameisen. Wahrscheinlich haben also diese damals 
bereits dieselbe Rolle gespielt, die heute unseren Formikon 
zufällt. Ob nicht die Tropen mit ihren Scharen Ameisen 
in dieser Umsicht noch intereasante Aufklärungen bringen 
werden ? Sernander erinnert dabei an die Beobachtung von 
Ott.) Kuntze, daß Samen von Caric* Papaya von Ameisen 
transportiert werden; liier tritt der erste Baum in unserer 
ökologischen Gemeinschaft auf. Im Vergleich mit anderen 
verbreitungsblologisehen Typen halten wir es in der Myruie- 
kochorie wobl mit einer sehr jungen Eigenschaft zu tun. 



— Zwergwuchs in den Alpen. Neuordings sohreibt 
man so viel über die im Innern Afrikas lebonden Pygmäen, 
daß es angebracht scheint, auf sieben Zwerge hinzuweisen, 
die Sehmolek (Virchow* Archiv f. pathologische Anatomie, 
Bd. 187, r>07) aus dem Kamminer Tal, einem Kebental des 



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KUino Nachrichten. 



ICH 



Inotalcs, beschreibt. Man zählt dort nur 35« Einwohner in 
sechs Ortschaften io 1500 m bi> 1800 m Höhe. Die Zwerge 
stammen «amtlich von zwei Geschwistern ab, vor dem Jahre 
1B73 igt ein derartiger Zwergwuchs dort nicht beobachtet 
worden. Neuerdings scheuen »ich die Talbewohner, eine Khe 
mit einem Gtiede dieser Familien «inzugehen na« Furcht, 
ihre Nachkommenschaft möge auch zu Zwergen degenerieren. 
Dafür, daß man es mit echtem Zwergwuchs zu tun bat, zeugt 
der vollkommen ebenmäßige Körperbau, das Fehion aller 
Knochenverbiegungen und -Auflreihungen, der Mangel an 
Intelligenzdefekten; höchstens erscheinen einzelne in ihrem 
Wesen etwas zu kindlich und zu wenig »elbständig. Die 
Schuld an dem Vorkommen des Zwergwuchses dürfte den 
vielen Verwandtenehen zuzumessen sein , die seit uuerdenk- 
licher Zeit in dem abgelegenen Tale geschlossen sind. Er- 
schwerend füllt der l'mstand freilich ins Gewicht, daß im 
benachbarten Unter-Kngadin protestantischer Glaub* herrscht, 
wodurch Khen zwischen den Bewohnern der benachbarten 
Täler so gut wie ausgeschlossen sind. 

— Radlof f-Festschrif t. Am 18. Januar l>eging der 
Akademiker Dr. Wilhelm Radioff seinen 70. Geburtstag. Zu 
dem Festtage wurde von den Akademikern Herren Balumann 
und Oldenburg und den Assistenten des Ethnographischen 
Museum» der Akademie der Wissenschaften zu Bt. Peters- 
burg, den Damen Krau Petti, Frl. Romanoff und den Herren 
L. Sternberg, Ii. Adler und J. Uudewig, dem Jubilar eine 
Festschrift überreicht. Die Arbeit zerfallt in zwei Teile, von 
denen der erste, vom Akademiker Balemann verfaßt, die be- 
deutendsten Arbeiten des Jubilars auf linguistischem und 
ethnographischem Gebiet« aufzählt. Die imposante Zahl von 
100 Titeln, die meistens dickbändige Werke umfassen, ist 
weitaus nicht vollständig. Aus diesem Verzeichnis, das chro- 
nologisch geordnet ist, kann der Leser erkennen, wie die 
Arbeitskraft und das Arbeitsfeld Dr. Radioffs sich entwickelte. 
Als junger Doktor nach Sibirien gelangt, gewann der Kor- 
scher das Gebiet der Türkolugie lieb, dem er auch sein 
ganzes Lehen treu blieb. Das Ruch „Aus Sibirien*, das 
.Wörterbuch der Turksprachen", die Arbeiten der Orehon- 
expedition bleiben wichtige Marksteine in der Literatur über 
Asien. — Der zweite Teil ist dem ethnographisch anthropo- 
logischen Museum der Akademie, dem der Akademiker Rad- 
ioff als Direktor vorsteht, gewidmet. Dieser Teil enthält 
eine ausführliche Geschichte der Verwaltung der letzten zwölf 
Jahr«, die Dr. Radioff Direktor war. In dieser kurzen Frist 
seiner langen, beinahe 400 jahrigen Existenz ist das Museum 
eines der reichsten Institute dieser Art geworden. Die Ab- 
teilungen der Aino, der Tschuktachen. der Jenissei-Ostjaken 
und Samojeden können al» die reichsten Schatzkammern für 
das Studium dieser Völker dienen. Die anthropologische Ab- 
teilung mit vielen wertvollen Exemplaren von menschlichen 
und tierischen Mißgeburten, die reiche Rezenlsehädelsamralung 
(etwa 1300 Stück), ebenso die archäologische mit vielen 
Funden aus dem russischen Neolithikum wie aus der Kupfer- 
und Bronzezeit Westsibirien» erganzen die Sammlungen aus 
dem Gebiete der Völkerkunde. Das riesige Wachsen des Mu- 
seums macht die Krage eines neuen Raumes brennend, doch 
wer den geschichtlichen Teil der FeaUchrift gelesen hat, 
muß davon Überzeugt sein, daß ein Enthusiast wie Dr. Rad- 
ioff seinem Institute Mittel und Kaum schaffen wird: man 
braucht sich nur dessen zu erinnern, daß Dr. Radhiff die 
Verwaltung des Museums mit einem jährlichen Budget von 
15U0 Rubel übernommen und es auf etwa 12000 Kübel ge- 
bracht hat — ■ Indem man dem greisen Korscher ein lange* 
und gesundes Lehen wunscheu mag, muß auch seinem Mu- 
seum Gedeihen und stetes Blühen gewünscht werden. r. 

— Cber den Selbstmord bei Naturvölkern besitzen wir 
verschiedene wertvolle Abhandlungen vou Dr. R. Lasch. Neue 
Beitrage zum Selbstmord bei den Negern finden wir in 
dem Werke von A. G. Leonard, The l»wer Niger and its 
Tribc«, 8. 258 ff. (London 190«), Die Vorstellung, daß bös 
artige Geister iu den Menschen fahren, ist uueh am unteren 
Niger allgemein; es gehen daher Kranke und selbst Gesunde 
zugrunde nur in dem Wahne, daß 'in Dämon sie besitzt, 
alle Hoffnung hört auf, und der Mann stirbt. Auch der 
Selbstmord erfolgt unter solchen Vorstellungen. Er ist im 
Braßdistrikte etwas Gewöhnliches, und eine Methode besteht 
darin, daß der Selbstmörder den Atem so hinge anhält, bis 
er stirbt. Auch wird der Tod durch Verweigerung von 
Nahrungsaufnahme herbeigeführt. Der Verfasser führt auch 
einen Fall an, wo Heimweh die Ursache des Selbstmordes 
war. Bei dem leicht erregbaren Ijostamme kommt Bellistmord ! 
■ehr häufig und aus den nichtigsten Ursachen vor. Ein j 
Mann, dem sein Weib Vorwürfe machte, trank zwei Flaschen ' 
Schnap» Und erhängte sich an einem B;oiuk-, Auch ein Fall • 



wird erzählt, wie ein Neger »eine Geliebt«, die ihm nicht in 
eein Dorf folgen wollte, diese und sich seihst ersohoß. Ein 
anderer Fall zeigt, daß auch verletztes Ehrgefühl zu Selbst- 
mord treibt. Ein junger Efik in Üld Calabar beging Selbst- 
mord, weil er des Diebstahls in einer Faktorei unschuldig 
angeklagt war. Abweichend von den übrigen Stammen in 
Lower Nigerin verabscheuen die Ibo den Selbstmord nnd ver- 
achten den Seibatmörder. 

— Die persischen Häfen Buscbir und Bender 
Abbas. Unter der Führung von A. U. G leadowe-New - 
eomen war im Winter 1904/05 eine von der indischen Regie- 
rung ausgesandte Mission zum Studium der wirtschaftlichen, 
der Verkehrs- und Handeliverhiiltnisse des südöstlichen Teile« 
von l'ernien tätig. Über ihre Tätigkeit, ihre Erfahrungen 
und Vorschläge ist im vorigen Jahre in Kalkutta ein offizieller 
Bericht erschienen i, Report on the British Indian t'ommer- 
cial Mission to South- Easrterii l'orsia during 1904— 1905*), 
dem einiges über die beiden Hauptbäfen am Persischen Golf, 
Buschir und Bender Abbas, entnommen sei. 

Buschir beherrscht zurzeit die Einfuhr über See nach 
dein südlichen l'ersien, und das ist deshalb wunderbar, weil 
es alle erdenklichen Mängel besitzt, die ein Hafen nur auf- 
weisen kann, und nichts bisher getan worden ist, sie abzu- 
stellen. Von) Innern durch einen Oebirgswall abgeschnitten, 
ist es von Sehiras mehr getrennt als mit ihm verbunden 
durch die denkbar schlechteste Straße. Die einzige Gastlich- 
keit die dieser llaupthafen Persiens dem Seeverkehr darbietet, 
ist die einer offenen Reede, die von der Stadt durch 5 km 
breite Untiefen geschieden ist, und einer Außenreede 10 km 
vom Strande, wo alle Schiffe ankern müssen. Und dieser 
Ankerplatz ist plötzlichen Schneestürmen ausgesetzt, die das 
KntladungsgeschMft gefährlich nnd oft unmöglich machen 
und die Schiffe manchmal zwingen, die offene See zu suchen, 
um nicht an di« Kümt« geworfen zu werden. Ks wäre aber 
nach dem Bericht nicht schwierig und übermäßig teuer, 
durch die Baggerung eines Kauais durch die Barre eineu 
guten Hafen zu schaffen. Heute sind zwei Umladungen zu 
riskieren: eine zwischen dem Schiff und dem Zollkai und ein« 
zweite zwischen Buschir und Schief. In Schief liegen die 
Güter am Strande den Unbilden des Wetters ausgesetzt oft- 
mals wochenlang und warten auf die souveränen und un- 
zureichenden Bootsleute, die ihnen dann noch unendlichen 
Schaden zufügen und sie uicht selten brandschatzen oder 
über Bord werfen. Auch die belgische Zollverwaltung in 
Buschir tut dem Bericht zufolge durch ihre Handhabung der 
Geschäfte alles, um den Handel zu erschweren. 

Bender Abbas dagegen ist der beste und atn bequemsten 
gelegene Hafen de« Golfes, mit Ausnahme von Ahwas. Ks 
ist die natürliche südliche Ein- und Auamnndung für den 
Handel nicht nur Südnetpersiens, sondern auch für den 
ganzen gewnltigen Landstrich zwischen Hernt und Josid, 
Mescbed und Bampur. Die Heede ist ziemlich gut und 
könnte durch Baggeruug und Errichtung einer M»le und 
eines Kai« zu einem wirklich schönen Hafen gemacht werden, 
wo die Schiffe iu aller Sicherheit vor der durch die Südost- 
winde bewirkten Brandung ankern, laden und löschen könnten. 
Infolge der mangelhaften I'rovinzialverwaltung ist gegen- 
wärtig die Unsicherheit auf den ins Innere führenden Straßen 
so erheblich, daß die natürlichen Vorzuge von Bender Abbas 
nicht zur Geltung kommen. 



— K. Kastner schildert den Einfluß offener Ge- 
wässer auf den Urund Wasserstand (Mitt- d. k, k. geogr. 
Gesellsch. in Wien, Jahrg. 49, 1908). HU jetzt nahm man 
an, daß der Grundwasserspiegel tiefer als der Fluß- oder 
Seewasserspiegel ist. Liegen diese drei im gleichen Niveau, 
so läßt sich der Zusammenhang zwischeu ihnen leicht nach- 
weisen. Liegt der Spiegel des Grundwassers höher als der 
Fluß- oder Beespiege), so wird ein Teil des Grundwasser« zu- 
tage treten und in das offene Wasser sich ergießen , und ein 
Ruderer Teil wird als Quelle im Flusse oder See aufsteigen. 
Das offene Waaser bildet aber für eine tiefer liegende Partie 
des Grundwassers die Basis, und mit dem Steigen und Fallen 
der letzteren steigt oder fällt zunächst jene tiefer liegende 
Partie, die dann auch das höher gelegene Grundwasser ent- 
sprechend hebt oder senkt. Iu allen Fällen können der Zu- 
sammenhang, di« Größe und die Atudehnilugssphäre zwischen 
Fluß- oder Seewasser einerseits und Grundwasser andererseits 
auf die einfachste Weise durch entsprechende Messung der 
Spiegelhöhen festgestellt werdeu. Bei der Regulierung der 
Ströme wird das Flußbett in der Regel eingeengt. Diese 
Einschnürung bedingt ein schnelleres Abfließen des Wassers, 
eine intensivere Schotterabfuhr und infolgedessen eine Tiefer- 
legung de» Flußbettes. Dadurch wird die absolute Höhe des 
FlußWRsoerapiegela kleiner, die Basis des Grnndwasserstrmne« 



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1&4 



wird erniedrigt, somit sinkt entsprechend auch der Spiegel 
de« Grundwasaerstromes. Jlui Hochwasser wird ferner, auch 
wenn noch nicht die Ufer ill>ernutet werden, das Btauwaaser 
von unten in die Keller hinaufgepreßt, wobei die vcrschiedo- 
nen Krankheitserreger aus der Tiefe mit hinaufgespiilt wer- 
den, and von wo sie dann weiter wandern und ihre verderb- 
lichen Wirkungen äußern. Am Ufer ist die Stauung starker 
als weiter ab: so spielen sich denn auch die Epidemien fast 
durchweg zu Beginn un den Ufern der Strome ab und treten 
von dort au* ihren verhängnisvollen Weg an. 

— Das Ergebnis einer eingehenden Untersuchung des 
sog. Tuburi- Wasserweges veröffentlichen Kapitän d'Ad- 
he mar und Schiffsfähnrich Audoin in den „Renseignements 
coloniaux* des „Hull. du c™, de I Afn.|ue francaise" für 
Dezember ltHM, Man kennt die Bedeutung, die in franzosi- 
schen kolonialen Kreisen der Krage, ob und inwieweit jener 
Weg die Verbindung des Tsadseegobietes mit dem Meer« 
verkürzt und verbilligt, beigelegt wird, und entsinnt sich der 
Expedition Lenfant« von 1903/04, die jene Krage klaren sollte, 
die aber mehr ein geographischer Entdeckungszug gewesen 
ist als eine systematische hydrographische T'ntersuchung. 
Deshalb beauftragte mit einer solchen der Militärkommandant 
die genannten beiden, durch ihre Forschungen über den 
Tsadsee vorteilhaft bekannt gewordenen Offiziere während 
der Öchwellzeit der in Betracht kommenden Gewässer Logone 
und Tuburi. Die Instruktion umfaßte : Untersuchung di-r 
Verbindung zwischen liogone und Tuburi, die Leufant 1003 
mit seinem Boot« befahren haben wollte; Untersuchung des 
Tuburtsumpfe*; Feststellung eines l'nnktes am Mao Kebbi 
unterhalb der Falle, der für das Umladen der Güter am 
geeignetsten wäre. Dies« Aufgabe wurde von Anfang August 
bis Mitte Oktober UM)* mit aller wünschenswerten Gründlich- 
keit gelöst. Das Ergebnis war kurz folgendes. Wie schon 
Hauptmann Dominik beobachtet hatte, trennt eine Boden- 
schwell« den Logone von Tuburisysteui. Um diese mit (tu cm 
tiefgehenden Fahrzeugen zu überwinden, wäre vorauszusetzen, 
daß der Logone um 1 tu höher steigt als im August 1604. 
Das konnte aber nur ein Ausnahmefall sein, und die beiden 
Offiziere meinen, daß das vielleicht nie der Fall ist. Aber 
auch das Resultat des Studiums des Tuburi ist nicht sehr 
tröstlich. Au* der beobachteten schwachen Wasserbewegung 
nach Westen geht hervor, daß die Tuburiserike zum System 
des Mao Kebbi, d.h. das Benui', gehört. Für Böte mit ISO cm 
Tiefgang ist die Benutzbarkeil beschrankt nnd nicht auf dem 
ganzen Tuburi möglich. Infolgedessen schlagen die beiden 
Offiziere vor, die Lasten mit Dampfern nur bis Tren« am 
Mao Kebbi, oberhalb Lew und unterhalb der Falle, zu 
schaffen und sie von da auf dem Landwege durch Tragtiere 
oder Träger zum Logone zu befordern, auf dem wieder der 
Scbiffstransport beginnt. Allerdings ist auch hierbei zu be- 
denken, daß der Mao Kebbi in gewöhnlichen Jahren nur 
zwei Monate, August und September, offen steht. Ob uuter 
dicseu Umstünden der Benueweg dau Franzosen viel nützt, 
bleibt noch abzuwarten. Erwähnt sei, daß die große Fulbe- 
stadt Binder, die für die Stellung tun Tragern Bedeutung 
hat, nach den Bestimmungen der 0»tkarnerun Greiizexpcdition 
in der Tat, wie schon Loetlor und Lenfant lx-hauptet hatten, 
südlich des 10. Grades uordl. Br., d. h. auf französischem 
Gebiet liegt. Im übrigen erscheint IjenfnnU Glaubwürdigkeit 
leider wieder in einem trüben Lichte. Bereits Hauptmann 
Stieber hatte festgestellt, dall er entgegen seinen Angaben 
die Strecke zwischen dem Nordeudo des Tuburi und dem 
Logoue nicht in ununterbrochener Bootfahrt zurückgelegt 
hat, sondern daß er dort Boot und Lasten größtenteils hat 
tragen lassen. Lenfaul, der gegenwärtig wieder in Afrika 
ist, wird nicht umhin können, sich nach seiner Rückkehr 
über dies« Angelegenheit zu äußern. 

— Bei dem Vergleich der glazialen Erscheinungen 
im Odenwald mit den typischen Glazialerscheinutigeti 
kommt Willi. Becker (i'rogr. d. üymn. Opfenbach a. M. 
190«) zu dem Resultat, daß sich ein wesentlicher Unterschied 
zwischen denen iu Hchwarzwald und Vogesen mit denen des 
Odenwaldes ergibt. Da nach Penek ürundmoränen mit Glet- 
scherschliffen nur ausschließlich und allein von Oletschern 
gebildet werden und einem Gletscher angehöron müssen, 
kann bei ihrem notorischen Fehlen eine Vergletscherung im 
Odenwald nicht stattgefunden haben. Dadurch wird das 
Bilil der Eiszoit der oberrheinischen Gebirge aber mehr und 
mehr zu einem einheitlich hannonisolien. Was die im Oden 
wald zutage tretenden Gebilde anlangt, so mögen viele als 
l>seudoglaziate im Sinne von Penck und Blanckeuhorn zu 
erklären sein. Das «ine ist jedenfalls sicher, die Gebilde 



sind in der mitt«ldiluvial«u Zeit unter dem Einfluß der 
Haupteiszelt, die auch in Europa ungleich größere Nieder- 
schläge und, besonders im Winter, niedrigere Temperaturen 
erzeugte, entstanden, vielleicht vermochten die mächtigen 
Bchneemaasen , die infolgedessen die Höhen bedeckten und 
wohl zum Teil nicht abzuschmelzen imstande waren, ähn- 
liche Wirkungen auszuüben wie die Gletscher. 



— Pflanzeuformationen von Transvaal und Rho- 
desia. Wenn auch Rhodesia durch die Euergie von <°«cil 
Rhode« ziemlich aufgeschlossen ist, so unterblieb doeh bisher 
die botanische und pAaitzengeographische Erforschung de« 
Landes so gut wie gänzlich. A. Engler lernte nun auf 
einer Meise nach Südafrika an den Vietoriafällen das Sam- 
besi einen großen Teil di«ses Gebiete« persönlich kennen und 
berichtet jetzt darüber mit seinem durch frühere Reisen in 
Südafrika geschärften Blick (Sitzungsber. d. kgl. preuß. Aka- 
demie d. Wiasenscb., 190«. Nr. M Iiis 53, S. 666 bis 906). Die 
Erforschung von Englisch- und Deutsch Ostafrika wie des 
nördlichen Rhodesia hat immer mehr die Zusammengehörig- 
keit dieser Gebiet« zueinander, sowie auch zu Angola nnd 
Benguela uud einem großen Teil von Deutsch- Süd westafrika 
ergeben; ähnlich ist die Flora von Natal mit der von Mo- 
sambik und des Sansibarküsteugcbietes verwandt. Hier uud 
da herrschen gewisse Artengruppen vor, andererseits gehen 
einzelne Arten durch mehrere Unterperioden hindurch. An- 
klänge an Natal sind gering. Baum- und Ruschsteppe sind 
mit dein Trockenwald die häufigsten Formationen, abwech- 
selnd mit Grassteppen in Transvaal und Halbstrauchsteppen 
im Maschonaland. Bei der Halbstrauchsteppe ist auf- 
fallend, daß viele der Halbsträucher zu Gattungen gehören, 
deren Arten wir sonst mehr oder weniger kräftigen baum- 
oder strauchartigen Wuchs annehmen sehen. Im Maacbona- 
hochland und im Matabelehochland wie auch im mittleren 
Transvaal haben wir ein ausgesprochenes Winterxerophyten- 
klima, da* Steppen- und Trockenwälder bedingt. Die Bau in 
Vegetation wird in tieferen Lagen reicher, cio trägt aber 
auch dort mit wenigeu Ausnahmen deu Stempel der längereu 
winterlichen Trockenheit. Die stärkere Erwärmung in den 
Frühling*nionaten genügt ferner, um die in den Rhizomeu 
und Zwiebeln, den mehr oder weniger über die Erde treten- 
den Grundstöcken der Halbsträucher oder die iu den Stämmen 
enthaltenen Wassermengen in Bewegung zu setzen und den 
schon vorher angelegten Blütenknospen zuzuführen. Im ein- 
zelnen führt dann Kngler seine Beobachtungen aus über die 
Vegetationszonen am Fuße der Magalisberge, am Westrand« 
des südafrikanischen Gebirgslandea zwischen Maleking uud 
Bulawayo, über die Vegetationsformen des Matabelelandes 
und im östlichen Sambcsia. Den Schluß machen die Vege- 
tationsformeo des Maschoualandes und die des Abfalle« des 
Gebirge* bis zur Küstenebene. 



— Untersuchungen über Abstammung und Hei- 
mat der Negerhirse stellte Paul Leeke an (Zeitschr. f. 
Naturwissensch., Bd. "9, 1907). Das Pennlsetum americanum 
(L.) K. Kchuui. gehört zu den wichtigen Cerealien. Nicht nur 
der gesamte afrikanische Kontinent wird von ihm eingenom- 
men, sondern auch in Arabien. Afghanistan, Vorderindien, 
wie in den Gebieten des Kbasiagebirges in Hinteriudien und 
in Westindien ist die Kultur dieser Getreidepflanz« verbreitet. 
Trotzdem wissen wir über den Ursprung der Art, über die 
wildwachsende Stamuipflanze und dementsprechend über ihre 
Heimat bisher nichts Genaueres. In bezug auf die elemen- 
tarsten Fragen sind wir hier so weit unterrichtet, als ganz 
allgemein Afrika als Hoiinut angesehen wird. Der bekannte 
Monograph der Getveidepflanzen bat zwar die Negerhirse in 
ihrer Gesamtheit vorzüglich charakterisiert, war jedoch nicht 
in der Lage, genauere Angaben über die Kulturformen zu 
machen. Verfasser unterzog zunächst das gesamte Genus 
einer monographischen Bearbeitung, da nur so ein Ein- 
blick in die Fonnenkrctse der als Htnuiuipflanze der Neger- 
hirse iu Betracht kommenden Arten zu erzielen war. AU 
sichere* Ergebnis der trefflichen Untersuchungen ergibt sich 
dann, daß die Negerhirse nicht, wie di« übrigen Cerealien, 
ja wie alle übrigen bekannten Kulturpflanzen, monophyletiacb 
ist, d. h. auf eine wilde Stammform zurückgeführt werden 
kann, sondern daß sie aus der Blutmischung — so der Ver- 
fasser" — einer gBnzeu Auzahl wohl charakterisierter und 
im tropischen Afrika einheimischer wilder Formen entstanden 
ist. Weitere Forschungen in dieser Hinsicht dürften wohl 
noch Erweiterungen dieser Ansichten, ja vielleicht geringe 
Modifikationen derselben ergeben, aber au der Richtigkeit 
der Lvekeschen Behauptung dürfte nicht zu rütteln sein. — 
Die Arbeit erschien auch als Uallesche Doktorarbeit. 



V^rjnl«..rtlicti»r Knliihlmir: II. Slng-rr. ScliMi.l.rrK lVrUn. H.iu|,tr.triGr 6«. Druck i rnJr.Vlfi.fg u Sobo. Braun.Oiwri«. 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDRES. 

VERLAG von FR1EDR. VIEWEG & SOHN. 

Bd. XCL Nr. 11. BRAUNSCHWEIG. ai. Marz 1907. 

Nachdruck nur nach Cbtreiiikunit mit der Ycrl*tfih»ndlung gMUtlat. 



Land und Leute von Mpororo. 

(Nordwestecke von Deutsch-Ostafriksi.) 

Mit Abbildung«« nach Aufnahmen des Verfaulen. 
IV (Schluß). 



loh wende mich jetzt su einer kurzen Schilderung 
der Wahimabekleidung. Die Männer trugen ursprüng- 
lich Felle in der bei den Wapororo beschriebene!) Art, 
jedoch sieht man sie bei den Wabiina nur noch selten. 
An ihre Stelle sind Stoffe getreten, die teils auf der 
rechten Schulter zusanimengeknotet so getragen werden, 
daß beide Arme, teil» so, daß nur ein Arm frei bleibt. 
Bevorzugt wird der blaue Stoff (kariki) oder auch weißer 
(merikani) , die 
aber mit Ocker 
nnd Butter ein- 
gerieben werden, 
so daß von der 

ursprünglichen 
Farbe nichts 
mehr zu erken- 
nen ist Wohl- 
habende nehmen 
auch gern die 
teueren bunt- 

duich wirkten 
Tücher (kitambi, 
vgl. Abb. 16, Wa- 
tussi), die 2 1 bis 
3 Rup. kosten im 
Gegensatz zu den 
anderen Stoffen 
zu 1 Rup. Unter 
diesem Überwurf 
wirdein kleinere» 
Tuch um die Len- 
den geschürzt. 
Die in Abb. 16 

bei den 3 bis 4 Tage südlicher wohnenden Watussi (Wa- 
hima) sichtbare reiche Stoffbekleidung ist darauf zurück- 
zuführen, daß kurze Zeit vorher dort eine Hsndlerkarawane 
aus Bukoba Vieh gegen diese Stoffe eingetauscht hatte. 1 >io 
Tracht der Weiber besteht aus einem Unterkleid in Gestalt 
eines weich gegerbten und mit Butter und Ocker ein- 
geriebenen Kinderfelles und einem großen Tuche (früher 
auch Fellüberwurf), das die Weiber so über den Kopf 
schlagen, daß (vgl. in Abb. 1 5 die beiden Weiber links ) nur 
•in kleiner Teil des Gesichts frei bleibt und man beim 
besten Willen nicht feststellen kann, ob uiun ein junges, 
hübsches Weib oder ein älteres Semester vor Bich hat. 

Glotm. XC1. Nr. IL 




Abb. 1». Wahlmaklnder 



Die Felle sind übrigens sehr sorgfältig weich gegerbt, 
werden mit der behaarten Seite nach innen getragen 
und zeigen besonders bei den vornehmen Wahimafrauen 
als Schmuck eine sehr sorgfältig ausgeführte schach- 
brettförmig angeordnete Näharbeit, die darin besteht, 
daß etwa 7 cm lange rhombenförmige Fellstücke heraus- 
geschnitten und an ihre Stelle andersfarbige Fellstücke 
eingenäht werden. Auf meine Fragen, wer das Fell her- 
gerichtet habe, 
antworteten mir 
die Wahima- 
frauen, sie hätten 
es selbst getan. 
Das ist aber nur 
zum Teil richtig-, 
denn alle grobe 
Arbeit wird 
durch die Wapo- 
roro bewerkstel- 
ligt, und die 
Wahimafrauen 
führen nur zum 
Schluß die Näh- 
arbeit aus. Ge- 
nau so verhält 
es sich auch mit 
den hölzernen 

Milchgefäßen, 
die mit Ockererde 
gefärbt und hüb- 
schen, am Halse 
und am Bauche 
eingebrannten 

Mustern die einzige Zierde der Hütte bilden. Auch 
hier behaupteten die Wahimafrauen , daß sie das ganze 
Gefäß hergestellt hätten. Ks wird aber von beson- 
deren Handwerkern unter den Wapororo (Wanjambo) 
in langer mühsamer Arbeit mit drei verschiedenen In- 
strumenten aus einem massiven Holzblock heraus- 
geschnitten und ausgehöhlt ; von den Wahimafrauen 
hingegen wird nur die Färbung und Musterung aus- 
geführt. 

Die Krfahrung macht man dort draußen bald , daß 
brauchbare Resultate bei Nachforschungen nur su er- 
zielen sind, wenn man immer und immer wieder in ganz 

22 



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um; 



verschiedenen Dörfern den Leuten dieselben Fragen vor- 
legt , und zwar möglichst nur den Dorfältesten. Denn 
Antworten bekommt man auf seine Fragen schnell; ob 
sie aber richtig sind, kann man erst durch wiederholtes 
Kontrollieren feststellen. Am gewissenhaftesten und 
sorgfältigsten in diesem Punkte ist wohl Hauptmann 
Merker bei der Frforschung der Massai »erfahren. 

Erheblich vernünftiger gekleidet gehen die Wahima- 
madchou, die sieb ein Zicgenfell oder zum Teil auch 
schon Stoffstürkt! auf der rechten Schulter zusainuieu- 
knoten oder um die Hüften binden, beide Arme und die 
Brust frei lassend. 

Die Wahimakinder endlich, die zum grollten Teil 
recht habsch sind und lebhaft an die Somal und (ialla 
erinnern, tragen bis zum 5. oder 6. Jahre keine Klei- 
dang (Abb. 1 9), nlsdnnn ein kleines Fell oder anch einen 
/eugstreifon nach Art der jungen M&dchcn (s. Abb. 13). 



kugel- und zylinderförmige, aus Pflanzenfasern zusammen- 
gerollte Hallen von 2 bis 5cm Lange, die an gleichfalls 
aus Pflanzenfasern gedrehten Schnüren um den Hals 
getragen werden. Als Amulette werden, wie bei den 
Wapororo (Wanjambo), jedoch in nur geringer Anzahl, 
an Schnüren aufgereihte kleine Holz- und Knochenstücke, 
zuweilen auch kleine Schaf- und Zieguihörner um den 
Hals getragen. 

Der Schmuck der Weiber besteht wie bei den Männern 
aus wenigen Perlenketten um Hals und Handgelenke, 
aus dünnen geflochtenen Kupferringen, zuweilen auch 
dickeren eisernen Armringen und aus zahlreichen (150 
bis 250) dünnen geflochtenen eisernen Ringen um die 
Knöchel, die bis fast zum Wadenansatz heraufreichen; 
bei vornehmen Wuhimafraucn auch in Kupf erringen. 
Amulette werden in derselben Art wie bei den Männern, 
nur in größerer Anzahl, um den Hals getragen. Am 




Atib. 21. Watussl. Haartrachten and Narben. 



Als Schmuck tragen die Männer Stirnbinden; um 
Hals, Arme, Handgelenke und Knöchel Hinge aus dünnem 
Kupferdraht, in die häutig noch einzelne Perlen ein- 
geflochten sind; seltener auch Perlenketten (weiße Perlen 
bevorzugt), (ianz vereinzelt sah ich an dünner Schnur 
um den Hai» getragen - bis 3 cm große kugel- und 
zylinderförmige, mit kloinen roten und weißen Perlen in 
hübschen Mustern von den Wahimaweibern bestickte 
(Gegenstände (wieder ein Anklang au diu Massiii >, vgl. 
Abb. 12, beim Onkel des Sultans Kissilerobo. F.in gunz 
eigenartiger und seltener Schmuck ist die in Abb. 20 
au dem mittleren Mtussi auf der Brust sichtbare Tasche; 
sie dient zur Aufbewahrung von Tabak und Pfeife, ist 
aus Gras sehr sorgfältig geflochten, hängt an einem 
Follstuck um den Hals und ist zu beiden Seiten mit je 
vier aus Fischotterfellen gedrehten Schwänzen verziert. 
Nach Aussage des Besitzers ist die Tasche von noch 
einige Tagemärscho weiter südlich lebenden Watussi 
eingetauscht (wahrscheinlich vom Kiwuseegebiet). 

Ein anderer häutiger Watussischmuck , wie ich ihn 
in Mpun.it n nur ganz vereinzelt gefunden habe, sind 



wenigsten Schmuck tragen die jungen Mädchen, als 
wüßten sie, daß sie es nicht nötig haben. Nur ver- 
einzelte Perlenketten um den Hals, daneben die Amu- 
lette. Arme, Hund- und Fußgelenke sind frei. 

Die Kinder schmücken sich mit Perlenketten um 
Hals und auch um Handgelenk, zuweilen auch mit eisernen 
und kupfernen Ringen um Hand- und Fußgelenke. Die 
Amulette werden auch hier in der üblichen Weise ge- 
tragen, nur sieht mau merkwürdigerweise gerade bei 
kleinen Kindern besonders zahlreiche und große Holz- 
amulette. (Vgl. dos gähnende Kind in Abb. 15.) 

Hecht verschieden sind die Haartrachten der Wa- 
hima. Bei den Männern sehen wir kurz rasiertes Haar 
(Abb. 10 und 12), zum Teil nur, und zwar spiralförmig 
ausrasiertes Hanr, wie in der Abbildung der Wapororo (7) 
sichtbar ist, ferner halblanges, leichtgewelltes Haar 
(Abb. 10) und endlich bei den Watussi hochstehendes 
struppiges Haar (Abb. 21. links), das aber ganz weich 
bleibt im (Gegensatz zu dem krausen, barton Negerhiiar. 
Genau dieselben Abweichungen linden sich in der Haar- 
tracht der Frauen. Wir sehen ganz abrasiertes oder 



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Weiü: Land und Leute von Mpororo. 



167 



spiralförmig ausradiertes oder halblanges wirren Haar; 
foroer, allerdings seltener, in lange dünne Strähne ge- 
flochtene Haare. Ks scheint also wie bei uns dies 
ganz dem Geschmack der Wahimadamen anheimgcstellt 
in werden. Kur eins ist allgemeine Sitte, daß nämlich 
das junge Mädchen am Tage der Hochzeit sich das Haar 
nhrasiereu oder spiralförmig ausrasieren lädt. Ganz 
eigenartig und interessant ist die Haartracht der jungen 
Madchen ; fast alle, mit ganz wenigen Ausnahmen, flechten 
sich mit Hilfe von Butter das Haar in lange dicke Strähneu. 
die ihnen häutig über Augen und Ohren fallen. In diese 
Flechten sind zum Schmuck Kaurimuscheln nnd Perlen 
eingellochten, was den jnngen Hamen gar nicht Abel 
steht. Sehr häufig ist noch von Ohr zu Ohr eine hand- 
breite Stelle ausrasiurt oder kurz geschoren. 

Als ich nach einem Zeiträume von 4 Monaten wieder 
an dem Dorfe des Sultans Kissilerobo vorbeikam, hatten 
sich die auf Bild 14 sichtbaren jungen Mädchen nn 



dern das gleichmäßig breite Blatt sich erst im letzten 
Augenblick stumpfwinkelig zuspitzt. Ferner fähren Wa- 
bima und Watussi etwa 1,60 m lange Bogen und ge- 
fiederte Pfeile nach Art der Wapororo ( Wanjambo), deren 
eiserne Spitzen mit Widerhaken versehen sind. Ferner 
haben die Wahiina geflochtene, 40 bis 50 cm lange und 
35cm breite Schilde, die in der Mitte einen hölzernen 
Buckel zeigen. Bei vornehmen Wahiina ist dieser mit 
schmalen langen Lederstreifeu, an denen häufig noch 
Perlen oder kleine Amulette befestigt sind, geschmückt 
Kinen gans wesentlich anderen Schild fuhren die 
Watussi (vgl. Abb. 16). Es ist ein hölzerner, etwa 1 m 
langer und 35 cm breiter Schild, der in der Mitte einen 
spitzkegeligen hölzernen Buckel trägt und mit rotweißer 
Malerei recht geschmackvoll verziert ist. Der ganze 
Schild ist gleichmäßig nach innen gewölbt Ich glaube, 
daß sowohl Wahiina wie Watussi die Schild-, Bogen- und 
Pfeiibewaffnung erst von den Ureinwohnern übernommen 






Abb. 22. Watassi. Haartrachten und Narben. 



Stelle ihrer Kaurimuscheln die von mir zurückgelassenen 
Sodorpatronen eingekochten , was nach ihrer Ansicht 
noch hübscher aussah. 

Diu Haartracht der Kinder ist aus Abb. 19 ersichtlich. 

Kine weitere auffallende und charakteristische Kigen- 
nrt der Wahiuia (Watussi) ist die nur bei Männern au- 
gewandte Tätowierung. Ich habe sie schon bei den Wa- 
pororo (Abb. 8) als Nachahmung der Wahiinasitten er- 
wähnt. Da ich diese eigenartige Ornameiittätowiorung 
bei keinem anderen Volksstamm beobachtet habe, so ist 
vielleicht die Folgerung richtig, daß sie mit zu den 
Kennzeichen hamitischer Abstammung gehört. Diu 1 ., bis 
1 cm hohen Tätowierungen sind nicht mit dem Mesner, 
sondern mit Fouur ausgeführt (Abb. 21 und 22). 

Die Bewaffnung besteht aus einer Lanze, ' deren 
Schaft infolge de« Holzmangels recht dürftig ist und 
erst bei den Watussi besser wird. Das sehr sorgfältig 
ausgearbeitete, etwa 25 cm lange, schmale, in eine 
schlanke Spitze auslaufende Blatt ist scharf geschliffen 
und zeigt 2 Blutrinnen. Kine Abweichung in der Form 
de« Blattes sehen wir bei den Watussi (Abb. 16), wo die 
Blätter nicht in eine schlanke Spitze auslaufen, son- 



haben. Bei einem Wettschießen, daß ich nach einer 
leeren Petroleumtonuu in meinem Ijiger veranstaltete, 
zeigten sowohl Watussimänner als auch Jünglinge eine 
staunenerregende Kraft und Gewandtheit iu der Hand- 
habung der Bogen, während die Waankole und Waganda, 
die, wie wir in einein späteren Artikel sehen werden, 
ebenfalls mit Bogen bewaffnet sind, diese gar nicht mehr 
handhaben konnten. Ks ist das ein Beweis dafür, daß 
die Watussi durch zahlreiche Kleinkriege iu ständiger 
Waffen Übung bleiben, während die früher sehr kriegeri- 
schen Waankole und Waganda durch die Stationen 
schon seit einer Reihe von Jahren im Zaume gehalten 
werden. Bei diesem Wettschießen übrigens baten mich 
die Watussi , doch anch einmal mit ihrem Bogen su 
schießen; natürlich habe ich mich hier fürchterlich bla- 
miert, ich wetzte alier diese Scharte dadurch wieder aus, 
daß ich zu meiner Mauserpistole griff und sie jetzt zu 
einem Wettschießen aufforderte. 

Die Heirat erfolgt in der dort allgemein üblichen 
Weise, nämlich nach längeren Verhandlungen zwischen 
den Vätern oder zwischen dem Heiratslustigen, falls er 
schon selbständig ist, und dem Vater des Mädchen* 

22» 



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1C8 



Weiß: Land und Leute von Mpororo. 



durch Kauf. Die Hochzeitsgabe beiträgt 3 bis 10 Kinder, 
war aber vor der Kindersterbe erbeblich höher. Hei 
keinem Volkastainni ist mir du* rauche Dahinwelken der 
Weiber, sobald sie verheiratet sind, ho aulgefallen wie 
bei den Wahinia. So fand ich die Nichte des Sultan» 
Kissilerobo bei meinem ersten Eintreffen als junges 
blühendes Mädchen vor, das sich in wenigen Tagen ver- 
heiraten sollte. Nach vier Monaten erkannte ich sie 
nicht wieder. Das lange Haar war abrasiert, die schönen 
Brüste waren schlaff, und sie war fett geworden. Das 
liegt in erster Linie 
an der eigentüm- 
lichen Lebensweise. 
Während sich die 
jungen Mädchen im 
Freien tummeln, 
bleiben die jungen 
Frauen ständig in 
den Hütten und 
arbeiten so gut wie 
nichts , genießen 
aber ganz erbebliche 
Mengen Milch. Die 
Folge ist , daß ein 
großer Teil der Wa- 
hitnafrauen bald die 
schöne schlanke Fi- 
gur verliert und dick 
und plump wird. 
Kine weitere Folge 
dieser Lebensweise 
ist ein Erschlaffen 
der nie mehr ge- 
übten Beiniuuskeln. 
liei noch ganz jun- 
gen Frauen habe 
ich einen müden, 
schlappenden Gang 
und Atembeschwer- 
den . selbst wenn es 
sich nur um einen 
Marsch von weni- 
gen Kilometern, wie 
beim Wohnungs- 
wechsel, handelte, 
gesehen. Mit Aus- 
nahme der vorneh- 
men herrschenden 
W.iliima besitzt im 
Durchschnitt der 
Mhiina zwei Frauen, 
deren jede etwa 3 bis 
4 Kinder zur Welt 
bringt, von denen 
etwa der dritte Teil 

in frühester Kindheit dahinstirbt Die Krankheit habe 
ich nicht feststellen können, sie soll mit starkem Husten 
verbunden sein. Die Wahinia werden nicht »lt. Auch 
hier ist die Ursache eine lirustkrankheit, die häutig 
noch verbunden ist mit einer ganz außerordentlich hart- 
näckigen Verstopfung, die ich mit meinen Mitteln nicht 
habe beseitigen können. 

Ich wende mich nunmehr zu den beiden interessan- 
testen Erscheinungen der Bewohnerschaft von Mpororo. 
Es sind dies die Königinnen Niawingi und Mumusa. 
Sie sind keine eigentlichen Königinnen in unserem 
Sinne, sondern Hohepriesterinnen des Geiste» Niawingi, 
der das Volk durch seine Hohepriesterinnen regieren 
läßt. 




Abb. '.'o. Watnsal (Wahl 



Als I- min Pascha und Stahlmann im .fahre 1*92 
durch Mpororo marschierten , wünschte Niawingi mit 
dem Pascha zu verhandeln, ließ ihm aber gleichseitig 
sagen, daß hie sich nicht zeigeu dürfe, sondern hinter 
einem Vorhang mit ihm sprechen würde, worauf Emin 
Pascha erwiderte, unter diesen Umständen würde er 
nicht zu ihr kommen, da er nicht gewohnt sei, mit einer 
Wand oder einem Vorhang zu verhandeln. 

Da wir unser astronomisches Kontrollbeobachtungs- 
lager nur eine halbe Stunde vom Dorfe der Niawingi 

entfernt aufgeschla- 
gen hatten, so be- 
schlossen Herr 
Hauptuiann Sehlo- 
bach und ich, ihr 
an einem Sonntage 
unseron Besuch zu 
machen, um so mehr 
als sie den Wunsch 
geäußert hatte, mit 
Herrn Hauptmann 
Schlebach über ver- 
schiedene Fragen zu 
verhandeln. 

Als wir uns dem 
Dorfe näherten, ka- 
men uns ihre Mi- 
nister und Würden- 
träger entgegen, 
um uns bis zur 
Hütte der Niawingi 
zu führen. Bevor 
wir unter Führung 
des ersten Ministers 
die Hütte betreten 
durften, mußten wir 
unsere sämtlichen 
Leute, mit Aus- 
nahme eines Dol- 
metschers, aus dem 
Dorfe entfernen, 
erst dann führte 
uns der Minister 
hinein. 

Die eine Hälfte 
dieser Hütte ist 
durch einen Vor- 
hang abgeteilt, hin- 
ter dem nach Aus- 
sage des Ministers 
Niawingi sitzen »oll. 
Wir bekommen sie 
jedoch nicht zu se- 
hen, sondern hören 
sie nur in hohen 
Fisteltuuen reden; 'ins soll, wie UM der Minister erklärt, 
die Stimme des Geistes sein. Sie spricht jetzt in natürlichem 
Tone zu ihrem Minister und verdolmetscht ihm das, was 
der tieist soeben gesagt habe; der Minister wiederum 
verkündet es uns mit Hilfe eines Dolmetschers. Es sind 
die üblichen Bitten und Wünsche, die einem jeder Sultan 
im Innern vorträgt: Niawingi beklagt sich darüber, daß 
ein Teil ihrer Untertanen ihr den Gehorsam verweigert 
habe und Leute aus den Rukigabergen bei ihr eingefallen 
seien, ihr verschiedene Leute erschlagen und ihr Kind- 
vieh gestohlen hätten. Sie bittet uns um unsere Unter- 
stützung gegen diese; in erster Linie sollten wir die 
Rukigaleuie bekriegen und ihr das Kindvieh zurück- 
erobern. 



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Weiß: Land und Leute von Mpororo. 



Es wird ibr geantwortet, daß wir hierzu absolut 
keine Zeit und kein Hecht hätten, sie müsse sich schon 
an die zuständige Militärstat ion Bukoba wenden. Sie 
war Aber diese Antwort sehr traurig und vorsuchte nun 
nochmals, den Geist in Fisteltönen auf uns einreden zu 
lassen. Als auch der zweite Vernich mißlang, bat sie 
uns um Geschenke, die wir in Gestalt von bunten Tüchern, 
Decken and Perlen überreichen ließen. Hierauf geruht« 
sie zum Dunk uns ihre Hund, die schmal, wohlgeformt 
und von hellbrauner Furbe war, durch dpn Vorhang hin- 
durch zu reichen. Wir 
baten sie nun, doch ans 
Tageslicht zu kommen 
und uns, wie es bei uns 
in Kuropa Sitte sei, 
„G uten Tag" zu sagen. 
Nach einigen Verhand- 
lungen willigte sie auch 
ein, fragte aber erst 
noch einmal, ob koiu 
anderer in der Nahe sei, 
der sie sahen könne. 
Nun erst trat sie hinter 
dem Vorhang hervor und 
begrüßte uns. Schön war 
sie nun gerade nicht, sie 
kann es abur früher ein- 
mal gewesen lein. Sie 
spielt auch heute durch- 
aus nicht mehr die Rolle, 
die sie einst gespielt 
haben soll , sie ist bei 
weitem nicht mehr, wie 
die Wahima sie nennen, 
die Beherrscherin von 
Mpororo. Nominell ge- 
horchen ihr die Wahima 
und zahlen ibr sogar, 
wie z. B. der ganz selbst- 
ständige, im englischen 
Gebiet lebende Sultan 
Sugaramn, Tribut; im 
(irunde tun sie jedoch, 
was sie wollen. Ich 
habe den Kindruck ge- 
wonnen, daß der größte 
Teil der Wahima an deu 
Geist nicht glaubt, sie 
halten aber an diesem 
Kultus fest mit Rück- 
sicht auf die umwohnen- 
den , ihnen Untertanen 
sehr ubergläubischeu 
Negerstämme, die Weru 
(Wapororo oder Wan- 
Jambo). 

Während Hauptmann Schlobach noch mit Niawingi 
verhandelt, sehe ich mich in der großen, ziemlich dunkeln 
und nicht gerade sehr sauberen Hütte um und entdecke 
hierbei in einer Ecke zwei junge Mädchen im Alter von 
10 bis 12 Jahren, die, wie die Königin uns selbst sagt, 
ihre Töchter sind ; für eine Hohepriesterin eine immerhin 
etwas seltsame Tatsache! Ich äußere nun den Wunsch, 
sie zu photographieren, und bitte sie, zu diesem Zwecke 
aus der Hütte herauszutreten. Anfangs will sie hiervon 
gar nichts wissen, als ich ihr jedoch noch einige Tücher 
und Perlenketten gehe, erklärt sie sich einverstanden 
unter der Bedingung, daß das Dorf so weit abgesperrt 
wird, daß niemand sie sehen kann. Außerdem muß der 
(IIoIkii tat. Nr. II. 




Abb. !!■». 



Minister eine große geflochtene Strohmatte als spanische 
Wand so vor die Hütte stellen, daß sie vom Eingang 
des Dorfes her nicht gesehen werden kann. Somit ge- 
lang es mir endlich, einige photographische Aufnahmen 
zu machen , von denen hier eine wiedergegeben ist 
(Abb. 23). Im Anschluß hieran bat aie uns nochmals, 
in die Hütte zu kommen; sie selbst ging voraus uud 
führte unsdurch einen schmalen, niedrigen, ganz dunkeln 
Gang in eine dahinter gelegene, zweite kleinere Hütte, 
in der uns völlige Nacht umfing. Hier versuchte aie 

nun von neuem den 
Geist reden zu lassen 
und uns zu bewegen, 
ihr zu helfen. Wir 
ließen ihr wiederum 
unser lebhaftes Be- 
dauern darüber aus- 
sprechen, daß wir das 
nicht, könnten und 
dürften, worauf sie una 
sagen ließ, Niawingi 
sei ein sehr mächtiger 
(•eist, und wir würden 
ihn nach unserer Rück- 
kehr nach Europa sicher 
dort treffen. Bis jetzt 
ist mir dies allerdings 
nicht gelungen! 

Herr Hauptmann 
Schiubach forderte sie 
dann auf, uns in deu 
nächsten Tagen ihren 
Gegenbesuch zu ma- 
chen , was tatsächlich 
auch mit dun nötigen 

Vorsichtsmaßregeln, 
wie Abaperreu und Vor- 
halten eines großen ge- 
flochtenen Schirmes, er- 
folgte. Bei dieser Ge- 
legenheit wurde ibr von 
Hauptmann Schlobach 
der Phonograph vor- 
geführt und ihr erklärt, 
in diesem säße unsere 
europäische Niawingi, 
die bedeutend mächti- 
ger sei als ihre Nia- 
wingi, worauf sie bat, 
wir möchten diese Nia- 
wingi aufhören lassen 
zu sprechen. Sie fürch- 
tete wohl , erkannt zu 
sein. Nach Empfang 
von einigen Gescheuken 
verließ sie unBer Lager; 
selbstverständlich hatte sie bei diesem Besuch wieder 
versucht, uns zur Bekämpfuug ihrer Nachbarn zu vor- 
anlassen. 

Wie wenig Macht die»e Niawingi über ihr Volk be- 
sitzt, erhellt daraus , daß sie nicht einmal in der Lage 
war, unsere Karawane während unseres vierwöchigen 
Aufenthaltes dort zu verpflegen, und wir auf Nachschub 
aus dem Gebiete des Sultans Kissilevombo angewiesen 
waren. Nach etwa 14tägigero Aufenthalt ließ sie uns 
dann durch ihren Minister sagen, wir hätten nun doch 
gerade lange genug in ihrer Nähe gesessen; helfen 
wollten wir ihr ja nicht, also sollten wir nur wieder ab- 
marschieren. 

>3 



Die Königin Moiuusa In Ihrem Tragkorbe 
mit Ihren ersten Minister. 



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170 



Weiß: Land und honte von Mpororo. 



Vier Monat« später traf icb zum Grenzpfeilerbau 
wieder in dem Gebiete der Niawingi ein und fund hier 
verschiedene Veränderungen vor. Ihr Dorf war nieder- 
gebrannt und an einer ungefähr 2 1 t km weiter ent- 
fernten Stelle wieder aufgebaut. Der erste Minister, 
der mir entgegenkam und mich begrüßte, hatte ge- 
wechselt. Auf meine Frage, wo denn sein Vorganger 
geblieben Bei, antwortete er mir: „Ja, der ist tot". 
„Woran ist er denn gestorben P* fragt« ich weiter, „es 
war doch ein junger kraftiger Mann." Anfangs wollte 
er mit der Sprache nicht recht heraus, dann erzählte er 
mir aber folgende Kpisode: Der erste uud zweite Minister 
hatten im Dorfe der Niawingi Streit bekommen , wer 
mehr zu sagen habe. Der Wortwechsel wurde immer 
heftiger, schließlich liefen beide in ihre Hütten, kamen 
sofort, mit Speeren bewaffnet, wieder heraus und rannten 
sich gegenseitig die Speere in den Leib. Kurz darauf 
waren beide tot. Jedenfalls ein einfaches und empfehlens- 
wertes Duellver- 
fahren! 

Ich begrüßte 
hierauf die Nia- 
wingi, die die 
üblichen lütten 
auch jetzt wie- 
der an mich rich- 
tete. Sie beklagte 
sich, daß die 
Macht der Ru- 
kigamänner im- 
mer größer 
würde und sich 
bereits ein Teil 
ihrer Untertanen 
von ihr losge- 
sagt habe und 
in die Rukiga- 
berge ausgewan- 
dert sei. Helfen 
konute ich ihr 
natürlich eben- 
sowenig wie das 
erste Mal. Auf 
vieles Bitten 
meinerseits nnd 
gegen zahlreiche 
Geschenke er- 
hielt ich von ihr ein recht seltenes Stück, nämlich ihr 
eisernes Zepter, das sie seinerzeit auch Einin l'ascha 
entgegengeschickt hatte, als Zeichen ihrer Würde. 

Kurz bevor ich der Niawingi diesen zweiten Desuch 
machte, kam ich durch dus Gebiet der Königin Mu- 
tnusu. (Ich hatte diesen Umweg machen müssen, da 
ein Triangulationssignal, das ich notwettdig gebrauchte, 
„umgefallen", wahrscheinlich aber von Nashörnern um- 
geworfen war.) Dicht neben ihrem Dorfe schlug ich gegen 
3 Uhr nachmittags mein Lager auf und wurde von 
ihren Würdenträgern begrüßt. Auf meinen Wunach, 
ihre Königin sehen zu wollen, führte mich der erste 
Minister in ihre Hütte, die größer und sorgfältiger ge- 
baut war als die der Niawingi und in der Einrichtung 
des Inneren erheblich mehr Ausstattung zeigte als dort: 
an den Wänden hingen in sauber geflochtenen Netzen 
hübsch geformte und zum Teil mit Mustern versehene 
Holzgefäße, bestimmt zur Aufbewahrung von Milch. Auch 
war Mumusa entschieden vernünftiger als Niawingi. So 
verzichtete sie darauf, erst den Geist zu uns in Kistel- 
tnnen reden zu lassen, und streckte mir gleich hinter 
dem Vorhang ihre Hand zur Begrüßung entgegen, bei 




welcher Gelegenheit auch ihr wohlgeformter hellbrauner 
Arm sichtbar wurde. Auf meine Bitte schlug sie sogar 
ohne langes Zögern den Vorhang zurück und wurde nun, 
allerdings im Halbdunkel sitzen bleibend, sichtbar. Ihr 
Außeres ist bedeutend angenehmer als das Niawingis : 
wunderhübsche braune Augen in einem edel geschnittenen 
Mhimagesicht, dazu, wie ich später sehen konnte, eine 
recht schön gewachsene große Figur. Ich überreichte 
ihr die mitgebrachten Geschenke und bat sie, meine Ka- 
rawane für den heutigen Tag zu verpflegen , worauf sie 
auch sofort ihrem Minister Anweisungen gab , das Er- 
forderliche herbeizuschaffen. Wie Niawingi bat ich 
gleichfalls Mumusa, sich von mir photographieren zu 
lassen. So vernünftig sie sonst war, das wollte sie aber 
durchaus nicht tun. in erster Linie wohl aus Furcht 
davor, daß einer ihres Volkes sie bei dieser Gelegenheit 
aehen könne. Erst als ich ihr weitere Geschenke gab 
und ihr auch versprach, das ganze Dorf absperren zu 

lassen , so daß 
sie von niemand 
gesehen werde, 
willigte sie ein. 
Sie hüllte sich 
vollständig in 
ein großes Tuch 
und klatschte 
dreimal in die 
Hände, worauf 
zwölf wohlge- 
baute Wahiina- 
jünglinge herbei- 
eilten und sie in 
eine bereit sto- 
hende Trag- 
bahre, die, wie 
unsere Abb. 24 
zeigt, große Ähn- 
lichkeit mit einer 
Dadewanne bat, 
setzten. Durch 
mehrere an den 
Seiten befind- 
liche I lsen wurde 
j« eine lange 
Stange gesteckt 
und so die Köni- 
gin Mumusa aus 

der Hütte getragen. Hierauf verschwanden sofort die 
zwölf Wubitua wieder , nur ihr erster Minister blieb bei 
ihr. Ich ließ ihr nun durch diesen sagen , sie möchte 
aas der Tragbahre heraussteigen, damit icb sie in ganzer 
Figur photographieren könne, vor allem möchte sie aber 
ihr Kopftuch zurückschlagen, damit auch ihr hübsches 
Gesicht zu sehen sei. Jedoch wollte sie von einem Ver- 
lassen der Tragbahre absolut nichts wissen, und auch 
das Kopftuch schlug sie nur ganz wenig zurück, nachdem 
ich auf ihren ausdrücklichen Wunsch noch meinen 
Boy, der mir heim Photographieren behilflich war, und 
meinen Dolmetscher entfernt hatte. Als ich nun selbst 
den Versuch machte, ihr Tuch noch weiter zurück- 
zuschlagen , ließ sie mir durch ihren Minister sagen, 
ich dürfe unter keinen Umständen ihr Tuch berühren, 
dazu habe höchstens der Minister' das Hecht, worauf 
ich sie bitten ließ, es so weit zurückzuschlagen, daß 
wenigstens der ganze Kopf siebtbar würde. Somit ge- 
langen mir nach vielem Hin- und Herreden, und nach- 
dem ich eingesehen hatte, daß eine Aufnahme in voller 
Figur unmöglich war, einige Aufnahmen. Als ich damit 
fertig war, trat sie auf dieselbe Weise den Rückweg in ihre 



Abb. n. Die Königin Niawingi mit Ihren Töchtern und erstem Minister. 



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Arno Senfft: Di« Reoktssitten der Jap-Einfceborenen. 



171 



Hütte an. Hier ließ sie mir durch ihren Minister sagen, 
daß sie gehört habe, ich führe in meiner Karawane uin 
ihr noch unbekanntes Tier mit, das sie kennen lernen 
wolle. Nach verschiedenen Kreuz- und Querfragen stellte 
ich mit Hilfe meines Dolmetschers fest, daß sie meinen 
Hundsaffen „Fips* sehen wolle. Ich ließ ihr sagen, daß 
ich natürlich sehr gern bereit sei, ihr meinen Affen au 
aeigen, bU müsse mir jedoch ihren Gegenbesuch machen 
und sich den Affen in meinem Lager ansehen. 

Anfänglich sträubte sie sich dagegen , doch : Weib 
bleibt Weib, die Neugier siegte! Schon nach einer halben 
Stunde meldete mir mein Boy (ich war inswischen in 
mein Zelt zurückgekehrt), die Königin Mumusa mit 
ihrem Gefolge nahe. Ich trat zum Zelt heraus und 
sah einen großen Zug Wahiniamänner, bewaffnet mit 
Schilden und Speeren, sich nähern. An derSpitzc schritt, 
einen großen Bambusstock in der Hand tragend, der 
erste Minister; ihm folgte, in der schon vorher beschrie- 
benen Weise getragen, die verhüllte Mumusa, zu beiden 
Seiten und hinter dem Korbe oine große Anzahl Männer 
und Jünglinge. Bis jetzt hatte ich noch kein anderes 
weibliches Wesen su Gesicht bekommen. 

Dicht vor meinem Zelt wurde der Korb niedergesetzt, 
und alles, mit Ausnahme des Ministers, zog sich auf 
ihr Händeklatschen weit zurück. Sie schlug nun ihr 
Kopftuch ein wenig zurück und bat, den Alfen sehen 
zu dürfen. Ich forderte sie auf, doch in meinem Zelt 
auf einem bequemen Stuhle l'Istz zu nehmen, was sie 
jedoch ganz energisch ablehnte. „Fips", von meinem 
Boy geführt, erschien auf der Bildtlache und erregte 
sichtlieh ihr Erstaunen, als er jedoch zutraulich wurde 
und zu ihr in den Korb springen wollt«, bat sie mit 
ängstlicher Stimme, ich möchte das Tier entfernen. Ich 
ließ ihr nun wiederum einige Geschenke übergeben und 
erhielt von ihr ihr Porlenstirnband, das recht geschmack- 
voll aus sehr kleinen schwarzen und weißen Perlen von 
ihr hergestellt war. Hierauf kehrte sie wieder in ihr 
Dorf zurück , hatte mir aber noch versprochen , mir am 
nächsten Morgen, bevor ich abmarschiere, einige Wa- 
himafrauen und Kinder, die ich bei ihr überhaupt noch 
nicht su Gesicht bekommen hatte, zum Photographien 
zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich waren am nächsten 
Morgen vor der Hütte der Mumusa Weiber und Kinder 
pünktlich zur Stelle. So war ich noch eine halbe Stunde 
phutographisch tätig und verließ dann, in jeder Weise 
von diesem Besuch zufrieden gestellt, die Residenz der 
Königin Mumusa. Sie hat mir in ihrem Äußeren, wie 
»och in ihrem Wesen orhoblich besser gefallen wie die 
berühmtere Niawingi. Auch hat sie entschieden die 
umwohnenden Untertanen besser in der Gewalt wie jene; 



die Verpflegung für meine Karawane traf pünktlich und 
reichlich ein, was bei Niawingi nicht immer der Fall war. 

Ganz selbstverständlich ist es, daß auch Mumusa 
den Versuch machte, mich zu einem Kriege gegen ihre 
räuberischen Nachbarn zu bewegen. Wie mir Mumusa 
noch erzählte, sei auch sie weiter nichts wie eine Hohe- 
priesterin des Geistes Niawingi, und es gäbe noch eine 
dritte im KongosUate. 

Dieser Niawingikultus hatte übrigens während meiner 
Anwesenheit dort auch ansteckend auf die Bewohner von 
Ankole gewirkt. So kamen eines Tages, als ich beim 
Pfeilorbau dicht an der Grenze arbeitete, zwei Weiber 
und sechs Männer zu mir, welche behaupteten, die jüngere 
der beiden Weiber sei die echte richtige Niawingi, die 
andere in Mpororo sei gefälscht; ich möchte doch dieser 
echten Niawingi wieder zu ihrer Macht verhelfen. Ich 
lachte sie natürlich aus und schickte sie nach Hause. 

Ks ist sehr lebhaft zu bedauren, daß die Wahima 
sich so zersplittert haben und somit nicht in der Lage 
sind, den räuberischen und recht zahlreichen Rukiga- 
männern energisch Widerstand zu leisten. Ganz Mpo- 
roro in der Hand eines einflußreichen Mhimasultans, wie 
es früher vor Niawingi gewesen sein soll, wäre fraglos 
ein starkes Land, das keine Nachbarn zu fürchten hätte. 

Gern habe ich mit den intelligenten, sympathischen 
Wahima zu tun gehabt. Um so mehr als sich hier in 
Mpororo dieser Stamm noch rein und nnvermisobt er- 
halten hat, unter Beibehaltung seiner alten Sitten und 
Gewohnheiten. So manche interessante und angeregte 
Unterhaltungsstunde habe ich dort draußen in Mpororo 
mit diesen Nnturkindern gobabt, die mir ebenso wie die 
Massai in steter lieber Erinnerung bleiben werden. 

Mit lebhaftem Bedauern habe ich dann später in 
Ankole die unter dem Kinfluß der dort herrschenden 
Wagandahäuptlinge lebenden Wahima gesehen, die sieb 
europäisch kleideten und auch sonst verschiedene Kultur- 
gebrauche angenommen hatten. Naturgemäß beirateten 
die Wagandahäuptlinge die viel schöneren Wabimafrauen, . 
so daß hier schon starke Vermischung eingetreten war. 
Wohl traf ich in Ankole noch wiederholt Leute, die naoh 
Wuchs nnd Gesichtsschnitt wohl hätten Wahima sein 
können, aber es waren keine mehr. 

So erfreulich für die kulturelle Entwickeln nj? des 
Landes es fraglos ist, wenn die Leute europäische Ge- 
bräuche annehmen, so wenig erfreut das den, der dort 
draußen Naturmenschen sucht und deren Sitten er- 
forschen will. 

M. Weiß, 

Oberleutnant im Eisenbahn- Rgt. Nr. I, kommandiert sur 
Trigonometrischen Abteilung der Landesaufnahme. 



Die Rechtssitten der Jap-Eingeborenen. 



Von Arno Senfft. Jap. 



Organe des Strafrechts. 
Der Dorfhäuptling hat kein Strafrecht, sondern nur 
der Oberhäuptling, aber auch nur in den angeführten 
Fällen und auf Anruf; ex officio mischt er sich also 
nicht in die Angelegenheiten seiner Untertanen, weder 
in die vermögensrechtlicher noch strafrechtlicher Art. 
Eine allgemeine staatliche Strafgewalt gibt es also nicht, 
sondern es gilt der Satz: Wo kein Kläger, da kein 
Richter. Es ist jedes Japers eigene Sache, sich 
,u verschaffen und das Beweismaterial hierfür 



(Schluß.) 

so kann er die Vermittelung eines Zauberers nach- 
suchen, der mittels Kokosblättern , Draxäneu, einer Art 
Gelbwurzel, Fackeln, Feuer und Muschelblasen den 
Täter zu ermitteln sucht. Hat er seine Manipulationen 
beendet und er bläst in das Muschelhom, so soll der 
Täter in dem Distrikt wohnen, aus dem am ersten Hunde- 
gebell ertönt. Eine bestimmte Formel, die die Zeugen 
zur Wahrheit ermahnt, gibt es nicht. Der Oberhäuptling 
ist also auch nicht höhere Instanz. Wenu von einer 



solchen überhaupt gesprochen werden kann, so würde es 
Wenn ihm das nicht selbst gelingt, | die Familie seiu; denn iu Fällen, wo sich der Pfänder 

23» 



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172 



eines Mißbrauch» de« bungut nach Ansicht des Gepfän- 
deten an der gepfändeten Sache schuldig macht, wendet 
sich des letzteren Familie an die des enteren, um eine 
andere Entscheidung herbeizuführen. Das geschieht auch 
dann, wenn das bungut ohne Genehmigung des Berech- 
tigten fortgenommen wird und dieser nicht gleich zum 
Äußersten schreiten will. 

Kolter und Gottesurteile, Bali r probe und Zweikampf 
sind ganz unbekannt , auch kann sich der Verdächtige 
durch keine Beteuerung oder Verwünschung für den Fall 
seiner Schuld reinigen. 

Verstöße gegen die Landessitte. 

Den Milingei ist es nicht gestattet, Kimme, Sitz- 
unterlagcu, Schmuck aus gou und größere Armbänder 
zu tragen, sie dürfen auch keine (ieldsteine besitzen, die 
mehr als vier Handspannen im Durchmesser haben. 

liei Cbertrutung dieser I^indessittcn ist jeder I'i-Usp 
berechtigt, die verbotenen Gegenstande fortzunehmen ; 
sie werden dem Herrn ausgeliefert, der den Milingei nach 
seinem Ermessen noch strafen kann mit Arbeit oder 
Zahlung von fit oder jar. Wie schon an anderer Stelle 
bemorkt, ist es verboten, ohne Feuerbrand zur Nachtzeit 
Dörfern sich zu nähern. Die Nichtbeachtung dieses Ver- 
bots berechtigt zum tatlichen Angriff auf den Uber- 
tretenden. 

Die Annäherung an die Hlutbäuser (tabal), in denen 
sich die Frauen zur Zeit der Menstruation und die 
Mädchen zur Zeit der ersten menses aufzuhalten haben, 
ist den Mannern strengstens verboten und berechtigt die 
Gemeinde, zu der diese Häuser gehöret! , zum tätlichen 
Angriff, ja selbst zur Tötung des Zuwiderhandelnden, 
sofern er nioht zu dem Dorf gehört; im letzteren Falle 
wird er von den anderen Gemeindeangebörigen zur 
Rechenschaft gezogen. 

Ferner ist die Annäherung an die Hütten verboten, 
in denen die Fraueu einzelner Milingeidörfer Töpfe an* 
fertigen, weil sie bei dieser Beschäftigung ganz un- 
bekleidet sind. Hier scheint man die Bestrafung den 
Familien der Frauen zu überlassen, die sich zur Zeit der 
Zuwiderhandlung gerade in der Hütte befanden. Die 
Strafe besteht meist in einer Geldzahlung oder in bungut. 

Beim Fang der fliegenden Fische haben die Teil- 
nehmer beim Aussegeln eine bestimmte Reihenfolge der- 
art zu beobachten, daß der höchste Platz voraufgeht, der 
niedrigst« zuletzt folgt. 

Das Berühren der von dem Grusrock bedeckten 
Körperteilo dor Weiber, sowie die F.ntblößnng der Männer 
in ihrer Gegenwart gilt als grober Verstoß gegen den 
Anstand und berechtigt den Mann der beleidigten Frau 
oder einen männlichen Verwandten zur Bestrafung des 
Übeltäters mit bungut. 

Als Verletzung der guten Sitte gilt es ferner, wenn 
Augehörigen höheren Hanges von denen niederen Ranges 
aur den Wegen nicht l'latz gemacht wird. 

IV. Staats-, Verwaltung«- und Völkerrecht. 

Staat und Gemeinde. Auf der Insel Jap belinden 
«ich acht Staaten, die wirtschaftliche Einheiten bilden 
insofern, als sie unter je einem sogenannten Friedens- 
häuptlitig stehen- Diese Staaten setzen sieh aus 106 
(iemeinden zusammen. Die zu einem Staat gehörigen 
bilden mit wenigen Ausnahmen auch einen geschlossenen 
Komplex. Die Gemeinden werden durch Familien ge- 
bildet, die Zugehörigkeit zur Gemeinde durch Grund- 
besitz bedingt. 

Über die Raugfolge der einzelnen Staaten sind die 
Ansichten geteilt, man darf aber als Meinung der meisten 
sie wie folgt wiedergel>eiir 1. T*b (Toinil), 2. Ngollok 



(Rul), 3. Gatschbar, 4. Gillefis, 5. Nif, 6. Kanif, 7. Goror, 
8. Okau. 

In unserem Sinne lassen sich diese politischen Organi- 
sationen aber nicht als Staaten bezeichnen, weil sie im 
Kriegsfälle aufgelöst werden können und nach einem 
später zu betrachtenden System gegeneinander zu kämp- 
fen gezwungen sind. 

Freie und Hörige. Über die Einteilung der Be- 
völkerung in Freie und Hörige und deren Recht* und 
Pflichten befinden sich Ausführungen unter den einzelneu 
Titeln. 

Beruf garten. Verschiedene Bernfsarten, insofern 
deren Angehörige ihren Lebensunterhalt aus ihnen ge- 
winnen, gibt es nicht, Einzelne zeichnen sieb durch 
besonderes Geschick im Haus- und Kanubau aus und 
arbeiten deshalb für dritte, andere verdingen sich in den 
Dienst Fremder als Matrosen oder Händler. All das 
sind aber nur vorübergehende Beschäftigungen; der 
eigentliche und einzige Beruf ist der des IjindwirtB, auch 
derjenigen Personen, die man als Zauberer oder Ärzte 
bezeichnet; beide üben ihre Tätigkeit nur nebenamtlich aas. 

Oberhäuptlinge. An der Spitze der Staaten steht 
der Oberbäuptling, der seinen Titel „Pilu* mit den Dorf- 
häuptern teilt. Abzeichen seiner Würde sind nicht üblich, 
es gibt sogar einige, die nicht einmal den Kamm, das 
Abzeichen des freien Mannes, tragen. Jeder Eingeborene 
macht ihm Platz, er geht vorauf, die anderen folgen, das 
Passiereu seiner Person geschieht in gebückter Haltung, 
im geschlossenen Räume setzen sich die Untertanen, wenn 
er steht, nach dem Grundsatz, daß er auch in der äußercu 
Haltung seine I-eute überragt. Seine Macht scheint mehr 
faktisch als rechtlich zu sein. Inwieweit er bei der 
Rechtspflege mitwirkt, ist schon angeführt. Der Ein- 
mischung in Familien- und Vermngensangelegenbeiten 
enthalt er sich gauzlich und bekümmert sich um Privat- 
angelegenheiten seiner Untertanen nur auf Anruf. Inso- 
fern ist er Ratgeber und Helfer in der Not. Er besucht 
Schwerkranke und verbringt di« letzten Stunden bei den 
Sterbenden. Obwohl wenig beschränkt in seiner Macht, 
ist seine Herrschaft doch nicht autokratiech, er wird bei 
wichtigeren Angelegenheiten alte Männer vorher um ihro 
Meinung fragen. Vor dem traditionellen Recht des einzel- 
nen steht seine Macht still. Erst vor oiuigen Jahrzehnten 
hatte ein Oberhäuptling gröblich gegen die Rechte seiner 
Untertanen verstoßen und konnte sich vor deren Rache 
nur durch Flucht zu dem obersten Häuptling über Krieg 
und Frieden nach Toinil flüchten, sonst wäre er um- 
gebracht worden. Seine Herrschaft ist sehr milde, trotz- 
dem wird ihm allenthalben Gehorsam und Achtung gezollt 
auch von Nichtuntertanen. 

Die nachweislich älteste Dynastie dürfte die des 
Oherhäuptlings Rounewei (streng genommen ist er nur 
Regent für seinen Neffen Fauru) sein. Nach dessen Be- 
hauptung hätten seine Vorfahren immer hei der Geburt 
deB ersten Sohnes einen Stein auf das ihnen gehörige 
und dir Herrschaft begründende Landsl iick gelegt. Dar- 
auf liegen nun 13 Steine; Ronuewei würde also, da er 
selbst einen Sohn hat, elf Vorfahren nachweisen können. 

Dem Vater folgt der älteste Sohn in der Häuptlings- 
würde, diu eine dingliche ist und den Besitz eines be- 
stimmten Grundstücks zur Voraussetzung bat . wie bei 
uns beispielsweise das Pntronat über Kirchen. Ist der 
Nachfolger noch jung, so nimmt er einen älteren Mann 
von hohem Rang als Ratgeber, und ichließt eine zu 
große Jugend die Geschäftsführung aus. so tritt statt 
seiner seines Vaters Bruder als Regent in Wirksamkeit. 
Charakteristisch für die weitgehendo Rücksichtnahme ist 
es, daß der Regent oft während seiner ganzen Lebens- 
zeit in der Würde belassen w ird , weil ihm sein Neffe 



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Arno Senfft: Di« Uecbtssitten der Jap -Eingeborenen. 



17S 



das unbehagliche Gefühl der Degradation ersparen will. 
(Beispiele daför sind zurzeit die Oberbäuptliuge Ronnewei 
and Jattemann). 

Ausnahmestellung. Eine Ausnahmestellung unter 
allen Oberhäuptern nimmt das von Gatschbar ein bezüg- 
lich seiner Oberherrschaft oder Suzeränität über sämtliche 
Karolinen bis nach der Insel Truk und selbst die auf 
den Marianen ansässigen Eingeborenen der Karolinen. 
In früherer Zeit pflegten alle Jahre von diesen Inseln, 
die bis 850 Seemeilen von Jap entfernt liegen, mit dem 
Nordoetmonsum einige Abgesandte auf Kanus zu kom- 
men, um Matten, Gelbwurz, Gürtel und gau (Chama 
pacifica-Muscbelo) als Tribut zu bringen. Bei diesen 
weiten Fahrten kamen naturgemäß viele Leute ums Leben, 
und die Bewohner der Östlichsten tributären Inseln halfen 
sich spater so, daß sie ihre Abgaben nach den westlichen 
Nacbbarinseln brachten, diese wieder bis nach Lamutrik, 
und von hier aus wird bis zum heutigen Tage der Tribut von 
allen davon westlich belegenen Inseln gebracht; das ist 
immerbin noch eine Entfernung bis zu 500 Seemeilen. 
In Jap werden sie von ihrem Oberhaupt bis zum Eintritt 
der westlichen Winde verpflegt und kehren dann mit 
Gegengeschenken nach ihren Heimatsplätzen zurück. 
Noch vor wenigen Dezennien reiste der jedesmalige Ober- 
häuptling von Gatschbar nach allen seinen tributären 
Inseln, nahm von jeder einige Vertreter mit, fuhr von 
Ruk sogar nach den Marianen, um die dort wohnenden 
Karoliner zu besuchen , und begab sich mit all seinen 
Begleitern dann nach Jap zurück. Es ist diett eino 
Strecke von etwa 2300 Seemeilen. Auf die innere Ver- 
waltung dieser tributären Inseln hat der Ober Häuptling 
bei den weiton Entfernungen und der seltenen Verbindung 
kaum Einfluß, es ist aber sicher, daß er absoluten (iehorsain 
genießt. Vermutlich ist Gatschbar ein heiliger Platz für 
die Bewohner der genannten Inseln. Dafür spricht, daß 
seine Frauen für den Oberhäuptling tabu sind und daß 
der Glaube besteht, die iDseln würden von einer Sturm- 
flut zerstört, wenn die Verbindung mit Gatschbar unter- 
brochen würde. Worauf sich dieses ganze Verhältnis 
gründet, ist nicht mehr bekannt. 

Ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen dorn Ort 
Gorror auf Jap und der etwa 50 Seemeilen davon ent- 
fernten kleinen Insol Ngulu (Matelot es). Die Bewohner 
Ngulus sind aber Japer, während die Tributäre Gutschbars 
in Gestalt, Sitte, Sprache, Charakter und Veranlagung 
ganz verschieden sind. 

Gemeindevorsteher. Unter den Staatshäuptern 
stehen die Gemeindevorsteher, die ebenfalls den Titel 
„Pilo" führen, der Hieb mit Leiter oder Aufseber über- 
setzen läßt und auch zur Kennzeichnung der Stellung der 
Europäer verwandt wird; z B. Pilu ko telegraph, d. h, 
der Telegraphenvorstand, Pilu ko Tarang, der I<eiter dor 
Faktorei auf der Insel Tarang. Strafbefugnisse stehen 
dem Ortsschulzen nicht zu, er ist das Organ des Staats- 
hauptes, Vertreter der Gemeinde nach außen und Leiter 
der Versammlungen: am besten läßt sich seine Stelle 
vielleicht mit der eines Vereinsvorsitzenden vergleichen. 
Es gibt Gemeindepilus für die wirtschaftlichen Verhält- 
nisse und solche, die die Leitung im Kriegsfall übernehmen; 
letztere gehören fast jetzt Bchon der Geschichte an. In 
dei Regel ist die Stelle des ersteren au oh in der Familie 
erblich und ebenfalls mit dem Besitze des Grundstücke« 
verbunden, wie bei uns der Besitzer eines Rittergutes 
die Polizeigewalt in seinem Gutsbezirk auszuüben pflegt. 
Das Grundstück de» Häuptlings von Matalei gehört zur 
eraten oder «weiten Rangklnsse, während das Dorf selbst 
zur niedrigsten Klasse der Japer gehört. Es liegt hier 
also eine Ausnahme von der Regel vor. Auch an dem 
Wohnsitz der StAatshnupter fungiert ein Gemeinde- 



vorsteher neben jenen. Sie können auf Wunsch der 
Gemeindeangebörigen abgesetzt werden, an ihrer Stelle 
wird ein neuer gewählt, der der Bestätigung des Ober- 
häuptlings bedarf. 

Distriktsvorsteher. In den Landschaften Bul und 
Nimigil schiebt sich zwischen die beiden Häuptlingsarten 
eine dritte ein, ein Distriktshäaptling, dessen Zuständig- 
keit sich über eine Anzahl Gemeinden erstreckt, in denen 
er gewissermaßen als ständiger Vertreter des Staats- 
hauptes amtiert. Diese Distriktshäupter sind Mitglieder 
vornehmer Familien , die ihren Posten gleichfalls kraft 
des auf ihrem Grundbesitz ruhenden Rechts ausüben. 
Sämtliche Häupter bekloidon ihre Ehrenstellen unbesoldet. 

Gemeindeversammlung. Eine durch Wahl hervor- 
gegangene Ratsvergammlung gibt es nicht, auch haben 
bestimmte Familien keine Privilegien. Für die Gemeinde- 
versammlungen ist keine Geschäftsordnung in Kraft, 
sondern für die Regelung von Frage und Antwort der 
stark ausgeprägte Takt maßgebend. Daraus ergibt sich, 
daß dem Rang und Alter des Sprechenden Itechnung 
getragen wird. 

Frauenhäuptlinge. Die Frauen einer Gemeinde 
haben ihren Häuptling für sich, der ihre Versammlungen 
leitet, die sich natürlich nur mit den sie interessierenden 
Angelegenheiten, keinesfalls aber mit politischen befassen. 
Mit dieser entsprechenden Änderung gilt streng der Satz 
, in ulier taceat in ecclesia*. Auch da, wo das Staatshaupt 
männliche Nachkommen oder nahe Seitenverwandte nicht 
hinterläßt und seine Tochter die gauze Häuptlingsfamtlie 
in sich umfaßt, ist sie doch zur Würde selbst nie berufen. 
Ergibt sich die Thronfolge nicht mehr klar, so tritt eine 
Versammlung der zum Staate gehörigen Gemeinden zu- 
sammen und macht sich über den zukünftigen Ober- 
häuptling schlüssig. Das ist natürlich meist schon zu 
Lebzeiten des Oberhauptes geschehen, so daß jedes Inter- 
regnum vermieden wird. Das die Würde begründende 
Grundeigentum soll auf den neuen Häuptling übergehen. 
Der Berechtigte folgt sofort iu der Regierung. Der Tod 
des Staatsbauptes wird nicht geheim gehalten, es tritt 
auch keine momentane Gesetzlosigkeit ein. Au» Anlaß 
seines Todes sind, wie dies auch bei anderen Japern 
üblich ist, Klageweiber tätig, und es findet oiue Zusam- 
menkunft statt, zu welcher der Thronfolger nicht nur die 
ganze Familie, sondern auch eine große Anzahl Vertreter 
der höchsten Plätze einladet, und bei der er allen Geschenke 
macht, die fast sein ganzes Vermögen verschlingen können. 
Diese Trauorfeste werden wegen der damit verbundenen 
zahlreichen Umstände selten zwischen Tod und Bestattung, 
meist nach ihr, sogar noch Verlauf von Jahren abgehalten. 

Staatsvermögen. Ein Staatsvermögen scheint es 
nicht zn geben, es könnten als solches vielleicht die langen 
Steinpiero angesehen werden, die sich an einzelnen hohen 
Plätzen befinden und von allen Staatsangehörigen her- 
gestellt sind; aber auch das ist zweifelhaft, weil der de» 
Bau anordnende Oborbäuptling die Arbeiter zu ent- 
schädigen pflegt 

Gemeindevermögen. Über dos Gemeiudeverniögen 
ist schon an anderer Stelle gesagt worden, daß e» sich auf 
Riffe, Rathäuser, Versammlungs- und Tanzplätze be- 
schränkt. Hierzu treten bei kleinen 1 Kirfern zuweilen 
noch Fischwehre. Da außer dem eigentlichen Nutzland 
die meisten Gemeinden viel Brachland vorzugsweise mit 
l'andanusvegetatiou besitzen, so macht es keineu Unter- 
schied, ob ein Dörfler von seinem eigenen Grunde das 
benötigte Material nimmt oder von dem eines anderen 
Eigentümers. Bei dem vorhandenen Oberfluß darf man 
sogar in der fremden Gemeinde seinen Bedarf decken. 
Praktisch kann man sonach wohl von Geiueindcuutzland 
sprachen. 



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174 



Arno Scufft: Die Rcclitssittcn der Jap-Eingcborenen. 



Dan Betreten fremden Eigentum» mit Ausnahmo der 
Wohnhäuser und der unter Strafrecht aufgeführten Aus- 
nahmen ist gemeinhin gestattet. Den engeren Besitz, vor 
allem die bewohnte Niederlassung, pflegt man mit einem 
Zaun oder einer lebenden Hecke zu umgeben. 

Gemoindezugehörigkeit Daß die Zugehörigkeit 
zur Gemeinde durch Grundbesitz erworben wird, ist mit 
den Ananahmen von dieser Kegel schon angegeben. 

Öffentliche Abgaben. Der Staat erhebt keine 
regelmäßigen Abgaben; bei den Gelegenheiten, wo gemein- 
same Auegaben entetehen, beispielsweise bei Festen, 
Stenern die einzelnen Gemeinden jar, fä und Nahrungs- 
mittel bei. Das kommt aber sehr selten vor, weil der 
Staat al* solcher kaum auftritt, sondern nur das Staats- 
hanpt; insoweit trifft für ihn das „L'KUt o est moi u zu. 
Ihm gebühren aber von seinen Untertanen Abgaben Ton 
deren Fischbeute, Feldfrüchten und ähnliches, und er 
hat das Vorkaufsrecht auf gau und Schildkröten. 

HepräHentativ erscheinen nur eine oder mehrere 
Gemeinden zusammen, die alle Kosten unter sich auf- 
bringen, wie für den Bau der Rathäuser, für Tanze und 
andere Festlichkeiten, die durch die dabei üblichen 
Geschenke große Aufwendungen erfordern. Die Ver- 
teilung der Kosten erfolgt in der Gemeindeversammlung. 

Staaten verbände, Staaten verbände gibt es nur 
unter gewissen Voraussetzungen, die weitor unten auf- 
geführt werden. Uber abhäugige Staaten findet sich das 
Mitteilenswerte bei dem Kapitel „Staatshftupter". 

Gesetzgebung. Neue Gesetze, d. h. solche, doren 
Urheber noch bekannt sind, haben sieb nicht ermitteln 
lassen, der Umstand aber, daß es für die ganze Insel 
allgemein gültige Vorschriften polizeilicher, hygienischer, 
religiöser oder abergläubischer Natur gibt, läßt die An- 
nahme zu, daß die ganze Insel unter einem gemeinsamen 
Oberhaupte gestanden bat, ohschon das nicht mehr be- 
kannt ist Zu den allgemein gültigen Vorschriften ge- 
hören die über 1. das Tragen von Feuerbränden zur 
Nachtzeit in der Nähe Ton Wohnungen, 2. über die 
Nahrungsbeschränkungen für die Eheleute zur Zeit der 
Schwangerschaft und die geschlechtliche Enthaltsamkeit, 
3. über die Bewegung»- und Nahrungsbeaebränkungen 
der Teilnehmer am Fang fliegender Fische. Die Teil- 
nehmer am Fang fliegender Fische haben beim Aufenthalt 
an Land 100 Tage in einem für sie besonders hergerich- 
teten Verschlag des Beweis zu wohnen und sich während 
dieser Zeit des Umganges mit Frauen gänzlich zu ent- 
halten. Von diesen 100 Tagen dürfen sie die erste Hälfte 
nur im Boot oder Bäwei zubringen, in der zweiten dürfen 
sie es verlassen, aber über keine Bäche schreiten oder 
Berge besteigen. In der ersten Hälfte ist ihnen der Genuß 
von innerhalb des Riffe gefangenen Fischen verboten. 
Sie glauben, daß eine Übertretung des Verbots den Tod 
des Zuwiderhandelnden zur Zeit des Fischfanges im 
nächsten Jahre zur Folge bat, und daß diejenigen sterben, 
die das Keuschheitsverbot überschreiten. 

Befreiungen von diesen allgemeinen Verboten scheint 
es nicht zu geben. 

Vorbote von nur lokaler Bedeutung sind unter anderem 
das „makau" für den Distrikt Rul und einige benach- 
barte Gemeinden , sowie die Landschaften Okau , Adulip I 
Abinau und Fanif. Innerhalb dreier Monate darf keine 
Arbeit in Wald und Feld verrichtet und kein Leguan 
getötet werden. 

In der Landschaft Tomil müssen sich in jedem Jahr, 
das 24 Monate hat, fünf Männer 100 Tage lang des 
Ketelkauvns und des Geschlechtsverkehrs enthalten; sie 
dürfen nnr Fische und Feldfrüchte essen. 

Im Dorfe Gall dürfen die Eingeborenen zwar Hammen 
bauen, aber nicht en-en. 



Auf Beschränkungen in der Benatzung des Bodens 
und im Geschlechtsverkehr stößt man mehrfach; viel- 
leicht haben weise Gesetzgeber dadurch einer zu starken 
Auanutzung des Bodens und einer Übervölkerung vor- 
beugen wollen. IMese Ansicht erhält eine gewisse Stütze 
an dem Umstand, daß die Insel vor langer Zeit notorisch 
übervölkert war, so daß sogar Kindesmord bestanden 
haben soll. Da sich aber die große Menge in ihren 
Handlungen durch Rücksichton auf da» ulJKeiuoLne Volks- 
wohl nicht bestimmen läßt, hat der kluge Gesetzgeber 
den Aberglauben zu Hilfe genommen, um mit ihm seine 
national-sozialen Ziele zu erreichen. 

Krieg. Für den Fall, daß Krieg zwischen zwei 
Orten ersten oder zweiten Ranges ausbricht, sind sämt- 
liche Staaten, oder richtiger Gemeinden, in zwei Parteien 
geteilt, nämlich 1. in die wan Pilung mit den führenden 
Orten Ngollok, Kanif, Gilletis, Goror und Nif nebst den 
zu ihnen gehörenden Gemeinden und 2. in die wan in 
hagäl mit den früheren Orten Gatschbar und Okau, denen 
als weitere hohe Plätze Bugol, Gotschol, Dugor, Fall und 
Toru mit ihron Gemeinden zutreten. 

Auffallend dabei ist, daß die zur selben Partei ge- 
hörigen Gemeinden bunt durcheinander gewürfelt mit 
denen der anderen Partei liegen. Ganz neutral ist der 
Ort T&b in der Landschaft Tomil, dessen Häuptling über 
den Parteien steht, uud dessen Genehmigung zur Krieg- 
führung zuvor eingeholt werden muß. Ebenso bat er 
über den Frieden als oberster Schiedsrichter zu ent- 
scheiden. Der Kampfplatz wird vorher bestimmt, ebenso 
die Zeit Man kämpft vorzugsweise im Kulturgelände, 
dessen Unterholz von Frauen möglichst gereinigt wird. 
Der Häuptling von Täb kann auch die Anzahl der 
Kämpfer auf jeder Seite bestimmen. Zur Zeit, als die 
Milingei einen größeren Prozentsatz der Bevölkerung 
ausmachten, wurden sie in erster Linie ins Treffen ge- 
schickt Wie bemerkt, findet diese Organisation nur 
Anwendung, wenn Krieg unter den höchsten Plätzen aus- 
gebrochen ist. Es ist dies eine ganz eigenartige Ein- 
richtung, die mehr den Charakter eines ernsten Turniers 
oder einer Massenmensur mit einem Unparteiischen 
tragt. 

Handelt es sich um Krieg zwischen anderen Orten, 
so kämpfen diese unter sich, eventuell mit Bundesgenossen 
unter Anwendung aller im Kriege erlaubter Mittel des 
Armes und Verstandes. 

Gefangene wurden nicht gemacht; wer in die Hand 
des Feindes fällt wird getötet Eigentum zerstört. Frauen 
und Kinder werden nicht verletzt. 

Auch hier kann der Oberhäuptling von Täb dem 
Kampf jederzeit Einhalt tun. 

Das System der Geiseln ist unbekannt Soweit das 
Eigentum der besiegten Partei nicht zerstört ist, fällt 
das bewegliche dem Sieger als Beute zu. Das Grund- 
eigentum scheint man nie oder nur zu einem kleinen 
Teile abgenommen zu haben. Nach den Anschauungen 
Japs können die Besiegten auch nie zu Hörigen gemacht 
werden, sie verlieren nicht einmal ihren Rang; wohl aber 
kann die siegende Gemeinde im Rang aufrücken, wenn 
auch mehr faktisch als rechtlich (z. B. die Gemeinde 
Onean infolge ihres Sieges Über Gatschbar). Dagegen 
können ganz unbestritten Milingei einzeln oder in ganzen 
Dörfern in die Klasse der Freien einrückeu mit Genehmi- 
gung ihrer Herren und deH Oberhauptes. 

Stehende Truppen gibt es nicht, jeder waffenfähige 
Eiugoboreneist verpflichtet, dorn Kriegsruf Folge zu leisten. 
Zur Zeit, als ohne Feuerwaffen gekämpft wurde, pflegten 
die Frauen uud Kinder aus einer gewissen Entfernung 
zuzusehen, später wurden sie erst in Sicherheit gebracht. 
Friedensangebote werden durch Frauen überbracht Sie 



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Arno Senfft: Die Reehtssitten der Jap-Eingeboronen. 



175 



bestehen zunächst in Bananenfaser (mbul). Das An- 
zünden Ton Häusern da* Feinde« zur Nachtzeit gilt als 
schimpflich. 

Internationale Beziehungen. Außer den schon 
an anderer Stelle behandelten Beziehungen toü Jap zu 
den Zentral- und Ostkarolinen bzw. Marianen beeteben 
noch solche mit dem etwa 200 Seemeilen entfernten Palau, 
auf denen sich immer eine Anzahl Janer zum Zwecke der 
Geldsteinfabrikation aufhält. Vor Jahren pflegten, sich, 
Oberhäupter beider Inseln zu 



Ohne Abschluß förmlicher Verträge besteht zwischen ihnen 
ein freund nachbarliches Verhältnis, das den gegenseitigen 
l'ntertanen oder Angehörigen jode Art Gastfreundschaft, 
Geschenke und Gegengeschenke gewährt. Insbesondere 
legen die Palauer den Japern keinerlei Schwierigkeiten 
bei deren Liebhaberei, Steingeld zu brechen, in den Weg. 
Diese zeigen sich dadurch erkenntlich, daß sie den zu- 
ständigen Palauern Geschenke mitbringen oder für sie 
öffentlich nützliche Arbeiten ausführen (der gepflasterte 
Weg in Koror, der Steinwall bei Kirei). 



Bevölkerung. 



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170 



Fritz Albrecht: Chinesen in Simoi. 



Chinesen 

Bekanntlich ist eine der wichtigsten Existenzfragen 
für den Ansiedler auf Samoa die Arbeiterfrage. Große 
Strecken recht fruchtbaren Lande« stehen zu ziemlich 
mäßigem Preise zur Verfügung. Woher aber die zu ihrer 
Bearbeitung erforderlichen Kräfte nehmen? 

Der Samoaner zeigt leider nur sehr minimales Ver- 
ständnis für planmäßige, regelrechte Arbeit, und wir 
können ihm das schlechterdings kaum so sehr verdenken. 
Mietet ihm doch die freigebige Natur Reiner Inseln 
Nahrung in Halle und Fülle. Nur wenn er einmal einen 
ganz besonderen Wunsch hat, will er z. Ii. für sich oder 
sein Mädchen ein Stück Tuch gewinnen, dann treibt es 
ihn zur Arbeitsstätte; aber nur so lange, als es ihm paßt, 
beißt er in die harte Nuß. Kin Ansiedler erzählt« mir, 
duß der dritte Teil seiner samoanischen Angestellten 
durchschnittlich bummle; er rechne von vornherein immer 
nur mit einem Teil der Leute. Nun, jedermann» Sache 
ist es nicht, «ich auf so unsichere Dingo einzulassen. Mit 
Hecht rief man nach Arheiturn, die diesen Namen auch 
verdienten, wie z, Ii. die arbeitsamen, anspruchlnsen 
Malaien, dio sich auf den Pflanzungen Niederländiseb- 
Indiens so bewährt haben, oder aber die nimmermüden 
Chinesen, deren Kuf als tüchtige, willige und in ihrer 
Genügsamkeit konkurrenzlose Arbeiter ülrar die ganze 
F.rde verbreitet ist. 

Diesen durchaus berechtigten Wünschen kam das 
Kaiserl. (iouvernement entgegen, indem es vor reichlich 
zwei Jahren zunächst einige hundert chinesische Kulis 
einführte. Da sich dieser Versuch hervorragend bewährt 
hat, folgten im vorigen Sommer weitere Chinesen, so daß 
«ich jetzt ungefähr 1000 von diesen gelhen (leseilen im 
Schutzgebiet befinden — uud zwar auf allen Pflanzungen 
zerstreut. Wohlweislich hat man ihnen das Anaiedlungs- 
recht in der Kolonie Tersagt. Nur wer ihren rastlosen 
Eiter und ihr Geschick aus eigener Anschauung kennt, 
weiß die Gefahr zu beurteilen, die diese Menschen für 
die anderen Kassen bilden. Deswegen muß unbedingt 
verhindert werden, daß sie sich im Kaufmanns- oder 
Handwerkerstände heimisch machen. 

Ober ihre Tätigkeit als Pflanzuugsarbcitor herrscht 
bei den Ansiedlern nur eine Stimme des Lobes und der 
Anerkennung. Freilich meinen viele, daß sich diese 
Arbeitskraft zu teuer stelle. Der Chinese bekommt zwar 
monatlich nur 12 M. neben freier Uuterkunft und Ver- 
pflegung. Dazu kommen jedoch nun noch Berechnungen 
für Trausportkosten, Krankenbcbaudlung usw., so daß 
sich dio Kosten für einen Kopf insgesamt auf rund 400 M. 
jährlich belaufen. Nun, allen Leuten kann man es ja 
nie recht machen ! 

So fleißig diese Kulis oder, wie sie offiziell heißen, 
„ Kontraktarbeiter - nun auch bei der Arbeit sind, so 
haben sie doch mich andererseits bedeutende Schatten- 
»eiten. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Bekannt 
ist chinesischer Jähzorn, ihre sinnlose Wut, wenn ihre 
Itachsucht einmal geweckt ist. Man pflegt zu sagen, wo 
auch nur drei oder vier zusammen sind, bilden sie einen 
Geheimbund. So gibt es denn auch hier schon geheime 
Gesellschaften religiöser Natur, die jedoch bis jetzt glück- 
licherweise noch nicht unangenehm in Erscheinung ge- 
truUm sind. Prügclszeneu freilich gab e* schon genug. 
Sie pflegten jedoch kein weiteres Nachspiel zu haben als 
eine gelinde Prügelstrafe in Gegeuwart des l'hinescn- 
kommissars. 

Allerdings sind auch einige schwerere Fälle anzu- 
führen. So war kürzlich au feiner Pflanzung eine Meinungs- 
verschiedenheit zwischen dem weißen Aufseher und den 



in Samoa. 

[ chinesischen Arbeitern entstanden, und zwar wegen Lohn- 
abzuges. Als nun am nächsten Morgen zur Arbeit an- 
| getreten wurde, sog ein Gelber dem Aufseher hinterrücks 
einen Sack über den Kopf, und sofort fiel die ganze 
Bande über ihn her, warf ihn zu Boden und prügelte ihn. 
Von einigen Schürfungen abgesehen, kam der Über- 
fallene mit dem Schrecken davon. Anscheinend wollteu 
die Kulis auch nur ihm einmal ihre Übermacht recht 
.sinnfällig" vor Augen führen. 

Bei derartigen planmäßigen Gewalttaten begegnet 
gewöhnlich dio Ermittelung der Täter den größten 
Schwierigkeiten. Das ausgeprägt« Solidaritätsgefühl der 
Chinesen macht es fast unmöglich, sie herauszufinden. 
Alle — ohne Ausnahme — machen sie genau dieselbe 
Aussage, nämlich, daß sie von der Sache nicht das 
Geringste wissen. Uud doch läßt gerade das darauf 
schließen, daß es sieb um ein abgefeimtes Komplott 
handelt. 

Böser endete ein anderer Fall, der sich im letzten 
Winter auf der Pflanzung der neuen Samon-Kautschuk- 
Kompanie ereignet*. Die Einzelheiten der Tat sind 
romantisch genug. Ein chinesischer Aufseher war seinen 
Untergebenen wegen seiner rücksichtslosen Strenge ver- 
haßt. Der Leiter der Pflanzung nun hörte eines Abends 
in der Nähe einen gellenden Schrei und fand, als er hin- 
auseilte, den Aufseher in einer Blutlache liegend, sterbend 
vor. Seine letzten Worte waren: „Herr, Kuli!" Unter 
diesen hatte man also den Mörder zu suchen. Auch hier 
wurde von allen zunächst standhaft geleugnet. Als 
jedoch auf einen Chinesen der Verdacht der Täterschaft 
fiel, verriet dieser den wirklichen Mörder, der sich denn 
auch zu einem umfassenden Geständnis bequemte. 

Häufig sei er von dem Aufseber geschlagen worden. 
Als er nun gehört habe, daß ein Kuli — angeblich ein 
naher Verwandter von ihm — au den erlittenen Miß- 
handlungen im Hospital verstorben sei, habe er be- 
schlossen, sich und seine Genossen von dem Peiniger 
zu befreien. Tatsächlich ist jener Mann an einer Darm* 
krankheit gestorben; aber »ei es, daß der rachsüchtige 
Chinese das nicht wußte, oder daß er es nicht glauben 
wollte, er wartete wochenlang nur auf eine günstige 
Gelegenheit, den Vorgesetzten zu ermorden. 

Endlich au einem Sonntag Abend sollte ihm der 
Anschlag gelingen. Die meisten Arlmiter — es sind ihrer 
über hundert — waren schon zur Ruhe gegangen. Nur 
im Kochhause saßen noch vier Chinesen — am Boden 
gekauert beim Glücksspiel. Der nach zwei Seiten hin 
offene Raum wurde nur matt durch eine am Boden 
»teilende Öllampe erleuchtet. Hinter einem Spieler stand 
der Aufseher, das Spiel interessiert verfolgend. Das war 
die willkommene Gelegenheit zur Tat. Mit einem Beil 
schlich sich der Mörder hinter sein Opfer und versetzte 
dem Ahnungslosen von hinten einen Schlag ins Genick, 
daß er röchelnd zusammenbrach. Die Spieler stürzten 
entsetzt davon, der Täter badete im Fluß und erzählte 
dann seelenruhig in der Baracke, in der er zu schlafen 
pflegte, einem Kameraden, daß er den Aufseher erschlagen 
habe. Es war das der Mann, der ihn später verriet, um 
den auf ihn gefalleneu Verdacht von sich abzulenken. 
Der Mörder wurde in Apia zum Tode verurteilt. 

Im allgemeinen brachten die importierten Chinesen 
manch neues Bild in da* friedliche Inselreich. An Fest- 
tagen sieht man sie in großen Scharen durch Apia ziehen, 
wo sie mit ihreu kreischenden Stimmen und ihren uftseln- 
dun Lauten eineti sinnfälligen Gegensatz zu dem ruhigen, 
gemessen oinhersehreitenden Samoaner bilden. In doli 



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A. Lorenzen: Die Mollusken in den Kreidealllagerungen Dänemark!. — Rücherschau. 177 



Straßen sieht man awei chinesische Polizisten in Khaki- 
aniform einherstolzieren, die .natürlich uur ihren Lands- 
leuten gegenüber Polixeibefugnisse haben. Auch bei den 
beim Wegebau beschäftigten Gefangenen findet man stets 
das gelbe Element vertreten. 

Die Samoaner kümmern sieb im allgemeinen wenig 
um die Kuli», auf die sie mit «tolzcr Verachtung herab- 



sehen. Die samoaniseben Mädchen indes, sagt man, 
»ollen den Gelben nicht ao abgeneigt sein. Nun, daß 
die samoaniseben Nichtstuer etwas von chinesischem 
Fleiß, von chinesischer Regsamkeit sich sn eigen machen 
möchten, wünschen wir von Herzen zum Heil Samoas 
und der jungen deutschen Kultur in der fernen Südsee. 

Fritz Albrecht 



DI« Mollusken in den KreldeabUgermngen Dänemark» 

hat P. P. J. Bavn (K. D. Vidensk.-Selsk. Bkrifler. fl. R., 
nat fc matb. Afd., XI, 2, 4, 6) monographisch bearbeitet. In 
den stratigraphiseben Untersuchungen berücksichtigt er auch 
die durch II. J. Posselt bearbeiteten Rrachiopoden der däni- 
schen Kreideforinatlonen (Danmarks geologiske Undersßgelse. 
IL B. No. 4), so daß die von ihm zugrunde gelegte Fauna 
18» Arten. nämlich +2 Bracbiopoden, 8« LamellibrancUiatcn, 
85 Oastropoden und Ii Kephalopoden umfallt Von deoseltien 
kommen jedoch nur 4 Arten in allen Abteilungen der däni- 
schen Kreide vor: Lima ttmisulcata Nilss., sp-, Otirra semt- 
plana Sow., Osfrra hippttpodium Nilss., Kxoffifrii lattralis Nilss. 
sp., während Ptettn inrtrsu» Nilss. sowohl in der Ältesten als 
dar jüngsten Kreideablagerung vorkommt und wohl nur in 
den zwischenliegenden fehlt, weil diese anderen Facies an- 
geboren. Aur Clrund des paläontologischen Befundes gliedert 
er die dänischen Kreideablagerungen wie nebenstehend folgt. 

Das ältere 8* Don ist nur auf der in seinem geologischen 
Aufbau Dänemark fremden Insel Bornholin vertreten; im 
eigentlichen Dänemark bildet die zur jüngsten Abteilung der 
Mucronata-Zone gehörende Schreibkreide die älteste bekannte 
Ablagerung, so daß die ganze Mamillatus-Zono und die älte- 
sten Abteilungen der Mucronata-Zone völlig fehlen oder viel- 
mehr nicht nachgewiesen sind. 

über die A Herstellung de« Fischtons und de« Cerlthium- 
Kalkes. Trotz ihrer verhältnismäßig geringen Bedeutung — 
sicher ist der Fischton nur von Stevne Klint, der Ceritkium- 
Kalk von Stern» Klint und von Kerslav bekannt — haben 
beide Schichten bei allen (ieologen, die sich mit der baltischen 
Kreide beschäftigt haben, detaillierte Berücksichtigung ge- 
funden, weil ihre Altersstellung stark umstritten war- Wie 
Ravo überzeugend nachweist, sind Fischton und Orithlum- 
Kalk nichts anderes als gehärtete Rchreibkreide . die ibre 
gegenwärtige Form sekundären Einflüssen verdankt. 





Crania-Kalk 


Crania tuberculata Nils».. 


Danien 


Baltholms Kalk, 

Rleicbkrvid« 
Bryozoen-Kalk , Ko- 

rallenkalk 


Ananrhytea tulcala Goldf. 
Dromiopsis rugosa 
v. Schlot heim, sp. 




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Lücke 






Cerithium-Kalk 


| (Attanehytes ocata Leske 
IlSeap/iires eonstrietui Sow., 
■ sp. 
Beiemmltlla mucronata 
1 ( v, Scblotb., sp. 


Jüngeren 
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Fischton 


Schreibkreide 




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Älteres 


Arnager-Kalk 
Mergel von Blykob- 
beaa 


1 1 Imxtramut lingua Goldf. 
1 1 Stolley 


Mergel von Mulebyaa 


Actinoramax lundgriui 
Stolley 




Griinsand von Born- 
holm 


Aetinocamar wt*t/,ilicus 
Schlüt. 



Gegen den Abschluß der Benon-Epoche erfolgte im gan- 
zen westlichen Europa eine negative Niveauverilnderung, die 
sich auch auf das gegenwärtige Dänemark erstreckte. 

A. Lorenzen. 



Bücherschau. 



Wirtschafts-Atlas der deutschen Kolonien. Heraus- 
gegeben von dem Kolnnialwirtschaftlichen Komitee, lo 
Kartenblätter mit Text Berlin 190«. 
Aus AnlaiS seines zehnjährigen Bestehens bat das Kolo- 
nialwirtsehaftliche Komitee den vorliegenden interessanten 
wirtschaftlichen Atlas erscheinen lassen. Das Komitee ver- 
fügt aus den Studienreisen, die es aungerüstet hat, und in- 
folge dar Mitwirkung guter Kenner der einzelnen Schutz- 
gebiete über ein reiches Material über deren wirtschaftlichen 
Stand, und die Kartographen Sprigade und Muisel haben mit 
ihrer Erfahrung und Geschicklichkeit diesen Stoff zu einer 
Beihe hübscher und instruktiver Kartenblätter verwertet. 
Durch zahlreiche farbige und schwarze Signaturen sind die 
vorhandenen Kulturen, die nachgewiesenen Bodenschätze, die 
Statten von Pferdezucht. Viehzucht usw. bezeichnet, so daß 
ein recht buntes Bild entstanden ist, das allerdings allein 
nicht sagt, wie es mit dem Werte aller dieser kolonialen 
.Schätze* bestellt ist. Die Baumwollkolonien Togo und Ost- 
afrika sind noch mit je einem zweiten Blatte vertreten, aus 
denen man die .Stellen intensiveren oder erst beginnenden 
Baumwollbaues ersieht Unter den Verkehrswegen (Inden 
sich auch die vorhandenen und projektierten Eisenbahnlinien 
eingetragen. An letzteren ist besonders Ostafrika mit einer 
Nordbahn nach Mnansa, einer Zentralbahn nach Udjidji und 
einer Bädbahn zum Njaasa sehr reich. Bescheiden ist Ka- 
merun mit solchen Bahnen der Zukunft ausgestattet, es ist 
nnr die Manengubababu eingetragen. Auf dem Ouersichts- 
blatt von Afrika (Karte a) ist sie dagegen so weit als es 
geht, nämlich bis zur Münduug des Schar i in den Tsadsee 
fortgeführt. Für Togo wiederum scheinen solche weitreichen- 
den Pläne und Wünsche noch nicht zu bestehen. Eine kleine 
Ergänzung zu den Karten bietet die Hatidelsiibersicht des 
Textes, im übrigen sind sie durch die gesamte kolonialwirt- 



schaftliche Literatur zu erganzen, wie denn auch der Atlas, 
wie ausdrücklich bemerkt wird, nur eine Ulustrierung der 
zahllosen Einzelangaben dieser Literatur zu sein beansprucht 
Vorausgeschickt ist eine übersiebt über die Leistungen des 
Komitees, Uber deren Verdienstlichkeit ja kanm Meinungs- 
verschiedenheiten bestehen. 

Arthur «Ijn Leonard, The Loser Niger and its Trlbes. 
London, Macmitlan and Co., 1906. 12 s. 8d. 
Ein mit warmer Sympathie für die Neger geschriebenes 
religionswissenschaftliches Werk auf antbropogeographiseber 
Grundlage. Zehn Jahre hing hat Major Leonard eingehend 
die Sprachen und die Menschen von Southern Nigeria studiert, 
jener britischen Kolonie, die sich zu beiden Seilen des Niger- 
deltas erstreckt, östlich bis an die Grenze von Kamerun reicht 
und von ".ehr verschieden gearteten Stämmen bewohnt wird. 
Von vornherein suchte er alle europäischen Vorurteile über 
Barbarei und Kultur abzustreifen, und manchmal urteilt er 
über seine egoistischen Landsleute »ehr hart , denn er hatte 
sich, um einen Ausdruck der verstorbenen Miss Kingsley zu 
gebrauchen, gewöhnt, „schwarz zu denken*, d. h. vom Stand- 
punkte des Negers aus zu urteilen. Man kann wohl sagen, 
daß mit der Vertiefung unserer ethnographischen Kenntnisse 
Afrikas iu der einseitigiin Beurteilung der Neger ein Um- 
schwung eingetreten ist und wir nach gerechterer Anschauung 
über ihn ringen, und auch der vortreffliche Ethnograph Uaddon 
in Cambridge, der eine Vorrede zu dem Buche Keschrieben 
hat , steht auf diesem Standpunkte. Leonard geht von der 
natürlichen Umgebung aus , um seine Nigerdeltaschwarzen 
richtig beurteilen zu Können , und zeigt eingehend die Wir- 
kung de« Lebensraume» auf sie. Die Religion lasse sich von 
der Geographie nicht trennen; sie «ei das natürliche Ergebnis 
menschlicher Entwickclung innerhalb der den Menschen um- 



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178 



Kleine Nachrichten. 



««banden, auf ihn wirkenden Natur. Diene müsse man in 
Southern Nigeria zurrst verstehen lernen, ehe man die dort 
wohnenden Neger verstehen könne, und weil diese* die Euro- 
päer nicht getan, hatten aie auch den Neger nicht verstanden. 
Bas vorliegende Work aber soll das Verständnis fönlern, und 
deshalb beginnt «* mit einer Schilderung de« sumpfigen, 
feuchten, von Wasseradern durchzogenen, von der Malaria 
geplagten Landes in der Regenzeit und des dürren , sonnen- 
verbrannten Lande« in der trockenen Jahreszeit. Auf diesen 
starken Gegensatz der Natur führt Leonard alsdann den aus- 
gesprochenen Dualismus im Charakter und sozialen Leben der 
Eingeborenen zurück. Eingehend berichtet er dünn über die 
Einwirkungen dieser Umgebung auf die Religion, zeigt, wie 
die oft wunderbaren Zeremonien und der reiche Symbolismus 
alles Äußerungen für die Herbeiführung des lebenspendenden 
Kegens sind. 

Besonders hebt Leonard auch die engen Beziehuugen der 
sozialen Verhältnisse des Volke* zu »einer Religion hervor. 
An der Spitze der Familie steht der über Tod und lieben 
verfügende Vater als der Befruchtende; es folgt die Mutter, 
die als Ernährerin und Erzeugerin des ältesten Sohne* geehrt 
wird; dann der älteste Sohn usw. Mit der EntWickelung 
einer Familicngemeinschaft geht nun gleichzeitig die Ent- 
wickelung der Götter vor sich. Der Gott eines jeden Haus- 
haltes ist nur das Emblem eines früheren Ahnherrn , durch 
diese entstand die Gottesidee. Daneben entstanden Famllien- 
götter: der Vaterschaft als de« regierenden und befruchten- 
den Gottes; der Mutterschaft als der produzierenden und 
nährenden Gottheit, de« Hohnes als dos Ergebnisses der 
gemeinschaftlichen Tätigkeit bolder. Diese Dreiheil ist z. B. 
unter den Ibani scharf ausgeprägt. Adum war der Vater 
aller Götter, er beiratete die Göttinmuttvr Okoba und zeugte 
mit ihr Kberebo, den Gottsohn, einen sehr tüchtigen, gescheiten 
Gott, dem man Kinder weihte, die an seineu göttlichen Eigen- 
schaften teilnahmen. In den Ju ju- Däusern der einzelneu 
Gemeinden ist diese Dreihelt nebeneinander aufgestellt. Man 
sieht hieraus, daß man diese Götterbilder nicht nur nach 
ihrer barbarisch erscheinenden Außenseite beurteilen darf, 
wie meist geschehen ist, sondern daO hinter ihnen noch ein 
höherer Inhalt, religiöse Vorstellungen stecken. Die Ueligion 
der Nigerdeltaleute beruht also auf der Ahuenverehrung ; 
äußerlich wird tic dargestellt durch Embleme, diu allerdings 
je nach Zeit und Umstanden sioh ändern können. Erscheinen 
sie auch meist roh und abschreckend , so entbehren sie doch 
keineswegs geistigen Inhaltes, als etwas Heiliges, das im un- 
mittelbaren Zusammenhange mit dem m&chtigou Familien- 
geist steht, und nicht als Gegenstände, die an und für sich 
übernatürlich« Kräfte besitzen. Der Kultus besteht haupt- 
sächlich in Huldigungen uud Verehrung. Durch Darbriugutig 
von Opfern wird die Versöhnung erreicht, Gebete haben we- 
niger Wert. Ein solches lautet: , Rewahre unser Leben, o 
Geiatvater, der vor uns war, und mache dein Haus frucht- 
bar, damit wir, deine Kinder, uns mehren, reich und mächtig 
werden." Die Religion ist nur Sache der Person oder Fa- 
milie, keine öffentliche oder nationale Angelegenheit. 

Das Buch ist so tiberreich an religionswissenschaftlirhen 
Tatsachen, daß wir uns auf die allgemeinen Ausführungen 
beschränken müssen. Wir wollen aber darauf hinweisen, daQ 
es Uber zahlreiche Anschauungen , die bisher gültig waren, 
neue Aufklärungen gibt, z. B. über die Menschenopfer, die 
auch mit. dem Ahncnkultus im Zusammenhange stehen, die 
Embleme (Tiere, Steine, Schlangen), unter denen Geister ver- 
ehrt werden, die noch wenig beachteten Wassergeister, die 
Tabubräuche. Ei ergeben sich da hauög Tatsachen, die zur 
Krklärung dunkel gewordener aller Religionsgebräuche vor- 
teilhaft herangezogen werden konneu. 

W. Fred, Indische Reise. Tagebuchblättor. 214 S. Mit 
"3 Abb. München und Leipzig, H. Piper u. Co. 
Der Verfasser berichtet über seine Eindrücke an einigen , 
der berühmtesten Stätten Nordindiens und in Hangoon und ' 



erzählt auch von »einen Beobachtungen und Erfahrungen 
Uber die Bewohnerschaft. Er gibt diese (S. 135) mit .zwi- 
schen 300 und 400 Millionen" Eingeborener* etwas zu hoch 
•n. Als Gesamteindruck vun »einem Standpunkte als Euro- 
päer aus verzeichnet er deu „eine* noch ganz unzivilisierten 
Volkes, sowohl was das geistige all auch was <li 
vor allem aber das moralischo Leben betrifft", 
des und lesenswert«« Kapitel (H) ist der indischen Kunst ge- 
widmet. Auch Aber das Reisen iu Indien verbreitet sich ein 
Kapitel. Die indischen Eisenbahnen erklärt der Verfasser 
für komfortabler, z. B. zum Übernachten, als die Hotels, die 
im allgemeinen schlecht und teuer seien. Zu berichtigen 
wäre die Notiz (S. 16i), daß der Kandschindschinga um 
3tt4Ü m niedriger ist als der Mt, Everest; der Unterschied ist 
nur gering. Auch ist es etwas zu viel gesagt (8. 101), daß 
über Rangnon hinaus England in Indien nichts mehr zu 
sagen habe; die englische Herrschaft in Birma ist doch ziem- 
lich überall gesichert. Den Abbildungen liegen eigene Auf- 
nahmen zugrunde, man begegnet daher unter ihnen auch 
anderen, als den in Büchern über Indien immer aufs neue 
wiederkehrenden gekauften. 

Dr. E. M. Kronfold, Der Weihnachtsbaum. Botanik 
und Geschichte des Weihnachtagrüos. Mit 25 Abbildungen. 
Oldenburg und Leipzig, Schulzesche Hofbuchhandlung, 
o. J. * M. 

Im Jahro 1892 erschien ein Werk .Deutsche Weihnachten* 
von Fritz Ortwein, dessen Inhalt sich in »ehr vieler Beziehung 
mit dem vorliegenden deckt. In dem Verlaufe, den die Volks- 
kunde in der letzten Zeit genommen hat, wandte man auch 
dem schönsten deutschen Fest« mehr und mehr Aufmerksam- 
keit zu, und so ist die Literatur über dieses, die wissenschaft- 
liche wie die mehr populäre, recht angewachsen. Bei groller 
Ähnlichkeit der beiden Bücher, die jedes in seiner Art tüchtig 
sind, herrscht doch in ihnen ein grundverschiedener Zug. 
Ortweiu stellt das christliche Element in den Vordergrund, 
Kronfeld bringt viel Botanisches hinein , behandelt im Zu- 
sammenhange mit dem Weihnachtsbaum verschiedene Nadel- 
hölzer, Mistel, Stechpalme usw., deutet das Weihnaohti- 
grün als Ableger eines .himmlischen Lichtbaume* der Indo- 
gerroanen" — was man bei ihm nachlesen möge. Indessen 
gebt er keineswegs so weit, unserem heutigen Weihnachtsbaum 
einen heidnischen Ursprung beizulegen, und er schließt sich 
den durch Tille u. a. gewonnenen Ergebnissen an , daß wir 
ihn nicht weiter als bis zum Heginu des in. Jahrhunderts 
mit dem Ausgangspunkte Elsaß nachweisen können. 

Eine wesentliche Bereicherung der Weihnachtsbaum- 
litoratur bringen die Nachrichten über die sieghafte Aus- 
breitung unseres Weihnachtsbaume» über Europa und dar- 
über hinaus. Namentlich ist da des Verfassers österreichische 
Heimat reich vertreten, wo er keino Mühe scheute, betagte 
Greise und die Literatur zu befragen, wann die Sitte «um 
ersten Male auftauchte. 1821 war der Baum in Wien noch 
unbekannt. Eingeführt wurde er 1829 durch die Gemahlin 
de« Krzherzogs Kar) , eine nassauische Prinzessin , und .das 
Beispiel vou oben" wirkte für die Verbreitung. Eine wörttem- 
bergische Prinzessin brachte ihn 1819 nach Ofen; in Prag 
fand er in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
Eingang. Für einen großen Teil Österreichs erhalten wir 
genaue Belege des ersten Auftreten». Weniger reich ist das 
Deutsche Reich bedacht- Überall werden volkskundlichc Be- 
merkungen eingenochten , »ehr viele poetische Ergüsse be- 
leben den Text, und mit einem Blick auf den .Weltsieg des 
Weihnachtsbaumes" schließt das Buch. Erwähnt hätte da 
werden können , daß er auch bis in hohe nordisch« Breiten 
gedrungen ist uud daß die auf einer Eisscholle treibenden 
schiffbrüchigen Ilansaleute der zweiten deutschen Nordpolar- 
expedition in einem aus Kohlenvorräten erriohteten Hause 
Weihnachten 1870 sioh au» Besenreisern eluen Baum errich- 
teten, den sie mit Lichtern schmückten. K. A. 



Kleine Nachrichten. 



gildlm»! It-» 1 "' tt*«l»tlrt. 



— Die Forschungsreise des .Planet*. Das Ver- 
messungsschiff .Planet* ist am 12. Oktober au seinem Be- 
stimmungsort Matupi eingetroffen. Einen Abriß über die 
Ergebnisse bis zur Ankunft in folumbo, Anfang Juli v. J., 
hat einer der Teilnehmer. Prof. Dr. Krämer, iu Nr. 7 des 
M>. Globu«bnnd«s veröffentlicht. Ferner wurde S. M des 
laufenden Bandes die Bestätigung des Siindagrnbeu» südlich 



von 7ooo in jenem Graben, diu bisher größte bekannte Tiefe 
des ludischen Ozeans, mitgeteilt. Nach den inzwischen in 
den .Annalen der Uvdrographie* (bis Heft 2, 1907) veröffent- 
lichten offiziellen Bericbtou über die Arbeiten von Oolombo 
bis Matupi sei noch folgende* erwnhnt: Die Westküste von 
Sumatra wurde bei Padaug erreicht und auf der Fahrt nach 
Batavia das Vorhandensein einer Grnbenbildung jener Küste 



von Java durch Jen .rinnet" und «eine interessante Lotung , parallel festgestellt. Von Bat« via wurde Java mit dem oben 



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17!) 



erwähnten Ergebnis im 8üden umfahren und dann Makassar 
und Aniboina angelaufen. Die Weiterreise fuhrt* um die Nord- 
k liste von Neuguinea herum. Die hier vorgenommenen zahl- 
reichen Lotungen zeigten, daß jene Knute noch Metler zur Tief- 
sc* herabfiinkt all die Osteeite von Madagaskar; *> wurden in 
einem Küstenabttande vou nur 9 Seemeilen im Nordwesten am 
7. September S3SJ m gemessen. Die übrigen Lotungen in jener 
Uegend dienten zur Festlegung det Plateau« von 1000 bis 
1500 m Tiefe, auf dem sieh die Katty-, Echiquier-, Hermit- 
und Admiralitätsinaeln erheben. Der Abfall dieser Insel- 
gruppen zur Tiefe erfolgt anfangs unter einem Winkel von 
etwa 45*. eine Lt>tung in der Herrn itgruppe ergab 1 425 in 
Tiefe in nur 2,5 Seemeilen Entfernung vom Riffrande. Zur 

auch wurde in der Adm^litä'sgruppe zu'gleichem Zweck ein 
Aufenthalt von einigen Tagen genommen. Die Drachen- 
und Ballonaufstiege auf der Fahrt von Makaasar nach Ma- 
tupi (in der Südostmonsunpeiiode) ergaben : Sehr geringe Hübe 
des t'nterwindes (400 bis 500 m); dann Stillenschicht von 
wechselnder Stärke; darüber fast reiner Ostwind bis in die 
höchsten erreichten Höhen (schätzungsweise 10000 m). Linter 
138* ösü. L. im Norden von Neuguinea wurde der einzige 
Ballon-sonde-Aufstieg wahrend der ganzen Brise unternommen, 
der halbwegs glückte. Beim Anbordnehmen des nach dem 
Platzen des Ballons niedergesunkenen Apparates stellte es 
sich heraus, daB die Uhr versagt hatte, so daß nur höchste 
Höhe und geringste Temperatur abzulesen waren. Erwähnt 
sei noch , daS, wahrend die Drachen im Atlantischen Ozean 
über 20O0 m Höhe im allgemeinen nicht heraufzubringen 
waren, Im Indischen Ozean 5000 m erreicht wurden. Die 
Pilotballons stiegen bis 8000 m (im Inditchen Ozean); von 
den Ballons -sondes wurden schätzungsweise Höhen bis zu 
ISOOOm gewonnen, aber diu Ballons gingen eben verloren, 
»der die Aufstiege mißglückten sonst. — Der .Planet* wird 
inzwischen mit seinen Vermessungsarbeiteu in der deutschen 
Südsc* begonnen haben, die ihn dort für viele Jahre be- 
schäftigen werden. _ 

— Das Mazzenfest der Juden zu Ostern (Mazzoth- 
' fest), bei dem die bekannten ungesäuerten, fladenartigeu Ge- 
bäeke genossen werden, hat durch B. D. Kerdmans eine 
neue Erklärung gefunden, wobei er sich wesentlich auf 
ethnographische Parallelen stützt (Orientalische Studien, 
Theodor Noldeke gewidmet, II, S. 671). Die Tbora schreibt 
vor, im Frühjahr während sieben Tagen ungesäuerte Brote 
zu essen. Gewöhnlich wird dieses Mazzothfvst zu den Ernte- 
festen gerechnet; andere verbinden es mit Passah. Nach 
Kerdmans hat man dabei aber nur ausschließlich das Essen 
der ungesäuerten Brote zu erklären versucht und nicht be- 
achtet, daB andere Brauche auf diese Weise nicht erklärt 
werden. Nach ihm ist das Fest nur zu verstehen aus den 
primitiven animistischen Vorstellungen über Wachstum und 
Ernte. Dazu führt er eine Anzahl Belege von Naturvölkern 
an, bei denen die drei charakteristischen Punkte de* Mazcoth- 
festes sich gleichfalls Huden: die Verpflichtung, nur Un- 
gesäuertes zu essen, das Wegschaffen von allem Gesäuerten 
und das Gebot, daB jedermann, auch der Fremde, sich des 
Gesäuerten zu enthalten hat. Freilich sind die ursprünglichen 
alten animistischen Sitten bei den Juden nicht mehr ver- 
standen worden, als sie ein Teil der höheren religiösen Sitte 
beim Erntefest geworden waren. Die Abhandlung ist ein 
beredte« Zeugnis, wie auch der Orientalist mit Vorteil die 
Bitten und religiösen Vorstellungen der Naturvölker zu Kr- 
kann. 



— über das Zurückgehen der Niagarafälle und 
den voraussichtlichen Einfluß ihrer geplanten wirtschaftlichen 
Ausnutzung äufiert sieh Prof. J. W. Spencer in einem Be- 
richt der kanadischen Geologie»! Survey für 1905. Seine 
Untersuchungen begannen bereits 1890 nnd wurden 1904/05 
zu Ende geführt; sie galteu zuletzt der kanadischen Seite 
der Fälle. Ihr Zurückgehen auf der amerikanischen Seite ist 
nur schwach. Von 18»u bis 1905 hat das Zurückgehen nur 
die Hälft« des Betrages der voraufgehenden 15 Jahre erreicht, 
und zwar hauptsächlich infolge des gröBeren Widerstandes 
des Gesteines; dann auch infolge der Verringerung der 
Wassermassen durch die Niveauänderung des Kriesees. Nach 
Spencer wird das Zurückgehen nicht »Hein durch das Unter- 
minieren des harten, überhängenden Sandsteins verursacht, 
sondern dadurch. daB dieser an Querspalten durchbrochen 
und schließlich abgetrennt wird, so daß das Wasser auf 
niedrigere Leisten aufschlägt. Eine besondere Eigenart der 
Kante des Falles ist der Wechsel zwischen einer breiten oder 
flachen Sichel und einer solchen mit keilförmigem Seheitel. 
Der Betrag des Zurückgehens war in den letzten 15 Jahren 
0,B7m jährlich im Durchschnitt gegen l,«r,tr. zwi.cheu 1*75 



und 1890. Von 1842 bis I88S ist die Mitte des Falles um 
87m zurückgegangen, die folgenden Jahre bewirkten nur 
eine Erweiterung der Sichel. Neuu Zehntel der gesamten 
Wasaermaase des Niagara kommen durch den kanadischen 
Kanal, das Niveau des Flusses oberhalb wird durch eine Fels 
leiste von der Spitze von Goat Island bis fast zum kanadi- 
schen Ufer bestimmt. Da die größte der Kraflausnutzungs- 
Geeellschaften ihr Wasser vom Ende dieses Hiegehl entnehmen 
will, so muB der New Yorker Seite ein großes Wasservolumen 
entzogen werden, weshalb auch die Wassermassen der kana- 
dischen Seite in Mitleidenschaft gezogen werden. Die be- 
absichtigte Verringerung um 10 bis 15 Proz. würde den Kanal 
verengern und das Wasser von den flacheren Teilen ablenken. 
Nach Spencer ist die dortige Grenze zwischen Kanada und 
den Vereinigten Staaten nicht, der gewöhnlichen Annahme 
zufolge, veränderlich, sondern durch die Kommission von 
1819 festgelegt. Hie läuft 100 ni von Goat Island au», indem 
sie alles außer einem Ende der Sichel der kanadischen Fälle 
auf kanadischem Gebiet läßt, und ist von dem tiefen Teil 
des Kanals nicht weit entfernt. Aus den Lotungen Spencers 
geht unter anderem hervor, daß dicht unter der Goat Inland- 
Platte eine Tiefe von 58 m vorhanden ist. 

— Auf den diluvialen Menschen von Krapina in 
Kroatien kommt K. Gorjanovif -K raraberger noch ein- 
mal im Zusammenhange zurück (Földtani Közlöny, 38 Köut, 
1900). Er unterscheidet: Homo priinigenius, var. Spyeniti* 
(Hpy, Krapina, La Naulclte, Malumaud, d'Arcy, Sipka), homo 
primigenius var. Krapiuensis (Krapina), homo sapiens fos- 
silis (Löß von Brünn. Galleyllill usw.), homo sapiens (der 
rezente Mensoh). Da die Entwickelungsreibe de* Homo pri- 
migenius eine bis heute ununterbrochene war, der Galley- 
Hill -Mensch aber älter als der Homo primigenius ist und 
dabei ein jüngeres Aussahen besitzt, muß man notwendiger 
weise annehmen, das seit dem ältesten Diluvium bereits zwei 
Mensabenarten nebeneinander lebteu, die sich verschieden 
rasch bzw. langsam entwickelten. Die ein* Art starb dann 
im oberen Diluvium aus, wo sie dann der Mensoh von Gnlley- 
Hill erreichte und ersetzte. Verfasser will namentlich jene 
rezent aussehenden Schädel, die man ihres modernen Aus- 
sehens halber oft ad acta legte, einer abermaligen Unter- 
suchung unterzogen wissen, dabei jedoch die geologischen 
Verhältnisse ganz besonders ins Auge fassen, da ja bloß diese 
allein bei der Beurteilung feststellen werden, ob ein modern 
aussehender Schädel dem älteren Homo sapiens foosilis oder 
dem LöBiuenscben zuzuteilen ist. Eine derartige Feststellung 
dürfte dann für die Ansicht des Verfassers, daß bereits im 
unteren Diluvium nebeneinander zwei sehr verschiedene 
Menschenrassen lebten, als beweiskräftig gelten. 

— Die Nordlichter in Island und Grönland unter- 
zieht Svante Arrheniui einer näheren Betrachtung 
(Meddel. fr. K. veteusk. Nobelinstlt., Bd. 1, 190«). Es zeigt 
sich, daß die Periode der isländischen Nordlichter während 
der 31 Jahre von 1873 bi* IS03 ganz nahe der Sonuenflecken- 
periode folgt, wnhreud der Gang nur 1885 bis 188* in den 
beid*n Fällen umgekehrt ist. Viel weniger ist diese Regel- 
mäßigkeit für Grönland ausgeprägt, da die 1 3jährige Periode 
1888 bis 1898 sieh abnorm verhält. Di* ruhigen Nordlichter 
spielen dort ein* hervorragende Rolle, so daß beispielsweise 
Nordenskiöld in dem sehr sonnenfleckenarmen Jahre 1870 
während der Ober Winterung der „Vega* fast jede klare Nacht 
regelmäßig d-n Nordlichlbogen in der Richtung des magneti- 
schen Meridians beobachten konnte. Die Jahresperiode der 
Nordlichter für Island und Grönland i»t anders beschaffen 
als für ander« Polarlichter, indem die bei diesen charakte- 
ristischen doppelten Maxima im Frühling und Herbit sich 
in den polaren Gegenden zu einem einzigen Maximum im 
Dezember zusammenziehen. Arrheoiu* will die»' Abweichung 
dem Einfluß de« Tageslichtes uud der Dämmerung zuschreiben, 
soweit ältere Beobachtungen in Betracht kommen. Neuer- 
dings lassen sich aus den Aufzeichnungen ein llauptmaxiinum 
im Februar und ein zweites kleineres im November deutlich 
nachweisen. Die plausible Erklärung muß eine Änderung 
der Tageszeit sein, bei der die Beobachtungen ausgeführt 
wurden. Von den drei Perioden der Nordlichter, die auf der 
Einwirkung der Soune beruhen, eiuer jährlichen, 11,1 jähri- 
gen und 25,93 tägigen Periode, schien die erstgenannte iu Is- 
land und Grönland nur ein Maximum, im Dezember, aufzu- 
weisen, während in anderen Weltgegenden zwei Maxima. iin 
März uud September oder Oktober, auftreten, doch ergeben 
eben die neueren Untersuchungen auch jotzt je ein Maxi- 
mum im Herbst nnd Frühling. Zur Stiimenflecken|>eriode 
verhalten sich die Nordlichter aus Island und Grönland 
qualitativ im großen und ganzen wie andere Polarlichter, 
nur ist die Amplitude der bei reffende,, 1'eriodiziUU stark 



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Kleine Nachriohten. 



reduziert, speziell was Grünland anlangt. Auch in >*>zug 
aaf die 2r>,93tägige Periode verlauft die Schwankung in 
demselben 8inno wie für ander« Weltteile, die Amplitude ist 
nnr, besonder» für Grönland, ungewöhnlich gering. 

— Über die Murchison- und Davenportkctteu in 
Zentralaustralien nnd über die geographische!! Verhält- 
nisse nördlich der Macdonaldkette berichtet Allan A. Da- 
vidson, d««scn Expeditionen im Nordtemtorium von Süd- 
«nstrnlien im Globus, Bd. MO, B. H4 erwähnt wurden, der 
Londoner Geographischen Gesellschaft. Im allgemeinen er- 
heben die Ketten sich 1 50 bis 300 tu über die Ebenen , die 
»«Iber ein Meerosböhe von 300 bin 'MO m haben. Die genlogische 
Zusammensetzung besteht aus Quarzit, Sandstein, Konglome- 
raten usw. mit eingelagerten Schichten eruptiver Gesteine: 
Diorite, Diabase u. a. m. Kim- hervorstechend« Form ist die 
Reibe langer uniformer Rücke» au« Qnxrzit und Sandstein, 
die durch enge, einander parallele Taler getrennt sind. Es 
wird diese Uniformität nur gestört in der Nachbarschaft der 
zentralen Kerne der vorkauibrischen Gesteinsmassen, Uber 
denen die Quarzite »ich gefaltet haben. Diene» System von 
Tälern und Kücken ist durch die Denudation des weicheren 
Sandsteines zwischen harten Quarzitzonsn und die schnelle 
Zersetzung der eingelagerten Eruptivgesteine entstanden, die 
an vieleu Stellen den weichen Saudstein ersetzen. Die Ketten 
werden von einer ausgedehnten Reibe von Krieks, zum Teil 
solchen von betrachtlicher Größe, mit niedrigen Ufern und 
sandigen, bis 60 m breiten Betten durchschnitten. Belm Ver- 
lassen der Ketten schneiden sie sich auf weite Entfernungen 
Kanäle durch die sandigen Ebenen, verschwinden aber 
schließlich in sandigem Gebiet oder breiten sich über lehmigen 
Niederungen zu Teichen aus. Deu Krieks entlang Anden 
Bich zahlreiche Was»erlöcber bis zu sechs Monaten nach 
starkem Regen, aber «Und ig hält sich das Naß nur in einigen 
natürlichen Becken, die durch die Strudel Überfluteter Kriek» 
oder durch Wasserfälle in den harten Fels geschürten worden 
sind. Mehrere Kiecharten, bis zu '/, kg schwer, kommen in 
diesen Wasserlochern vor, es sind wahrscheinlich Varietäten 
solcher Arten, die sich in den Flüssen der höheren Gebiete 
rinden. Am Ostabhange der Ketten erscheint Granit mit 
eruptivem und metuuiorpbem Gestein, und hier sowohl wie 
in den Eruptivstreifen der Kelten wurde Gold, Kupfer und 
Bleiglanz gefunden, aber in kaum abbauwürdiger Menge. Das 
Tierlebeu ist dürftig, obwohl nach dem Begen Insekten und 
anderes Ungeziefer sich mit erstaunlicher Schnelligkeit ent- 
wickeln. Die Eingeborenen scheinen nach und nach auszu- 
sterben. Im Gebiete de* Tennant Kriek beobachtete Davidson 
die Sitte, daß Frausn nach dem Tode ihrer Männer sehr 
lange Zeit nicht sprechen dürfen, weshalb »ich eine aus- 
gedehnte Zeichensprache entwickelt hat. („Geogr. Journ.", 
Februar 1907.) 

— Von einem Ausbruch eines der Kiwuvulkane 
im Jahre 1904 liest man in einer Notiz über das Missions- 
feld der WeiBen Väter in der Zeitschrift .Die katholischen 
Missionen", Jahrg. 1»0S,07, 8. Iii. Die Weißen Väter haben 
eine Reihe von Stationen in Ruanda, darunter Njundo oder 
.Maria Kiwu* an der Nordostspitze des Kiwnsees. .Von 
hier aus*, »o heißt es dort, .genießt man einen herrlichen 
Ausblick auf die Vulkane, von denen einige noch ihre Rauch- 
säulen emporsenden, während die anderen mit ewigem Schnee 
bedeckt (*) sind. Noch vor zwei Jahren (d. b. 1904) fand 
ein Ausbruch statt. Drei Tage lang ergoß sich die feurige 
Lava zu Tal; der gerötete Nachthimmel war auf ein« Strecke 
von 14 Tagemärschen weit siebtbar. Eine Feuergarbe um 
die andere stieg aus dem Krnterschluud empor, den die Ein- 
geborenen .das Tor der Hölle* nennen. Mit dem Vulkan- 
ausbruch war ein Erdbeben verbunden. Eine Insel hob sich 
aus dem Kiwusee, und eiue Menge getöteter Fische bedeckte 
die Wasserfläche." 

Tätig sind von den Kiwuvulkanen heute nur noch die 
beiden westlichen, der Kirung* ■ tscha- Niragongo und der 
nördlichere Kirunga-tscha-Narnlagini, ersterer seltener uud 
schwächer, letzterer stärker. Die obig« Notiz ist »o vage, 
die Bezeichnung .Tor der Hölle* noch dazu offenbar falsch, 
eine Missionursidoe , daß es nicht möglich ist, daraus zu 
entnehmen, welcher der beiden Vulkan« sich geäußert hat. 
Daß im Jahre 1*04 etwa» in dem Vulkangehiet und auch 
mit dem Kiwusee passiert ist, darüber gibt ja der allerding» 
mich recht unbestimmte Bericht de« lo'Ugostaat liehen Unter- 
offizier» Knoetig die Bestätigung (vgl. Globus, Bd. 83, S. 352), 
und es handelt sich offenbar um die nämliche Katastrophe 
(Mitte Mai), Danach konnte man an den Kirunga tscha- 



Namlagira denken. — Es ist zu bedauern, daß die zahlreichen 
Weißen Väter in Buanda und der Nachbarschaft 10 geringes 
Intereue für diese doch nicht allein wissenschaftlich wich- 
tigen Vorgänge in dem Vulkangebist beweisen, nicht ein 
wenig beobachten und klar berichten. In der Gegend sind 
auch kongostaatliche und deutsche Posten (ein deutscher 
z. B. in nächsUr Nähe von Njundo, in Kissenji); bei deren 
Inhabern aber fehlt das luteretae für diese Ersct 
natürlich ganz. 

— Ethnographen wollen wir auf eine kurze, mit Abbil- 
dung«» versehene Arbeit von Julius Euting über den 
I Kamelssattel der Bedainen verweisen, die in den 
.Orientalischen Studien, Theodor Noldeke zum 70. Geburts- 
tag« gewidmet" (II. S. 393. Gießen 1904) erschienen ist. 
Zwar ist sio wesentlich sprachlicher Natur, aber es werden 
die verschiedensten Formen des Sattels (Scbdäri, Rabit, Ha- 
dageh), ihre technische Gestaltung, Formung aus hartem 
Tamariskenholz, Verzierung mit Zinn- oder Messingnägeln, 
di« Art, wi« das Kamel gesattelt wird, die Anbringung der 
Doppeltaschen für das Gepäck, für Zaum, Halfter, Treib- 
knnppel usw. genau beschrieben, alle mit den arabischen Be- 
nennung«», »o wie sie Euting aus dem Munde der Beduinen 
horte. A. 



— Tfcilgifte in Westafrika. Im allgemeinen ist be- 
kannt, daß hauptsächlich pflanzliche Stoffe zur Vergiftung 
von Pfeilspitzen von den Negern verwendet werden, von 
denen namentlich Ilaemanthus toxicaria aus der Familie der 
Amaryllideeti und Strnphanthus von d«o Apocynaceen in dieser 
Hinsicht einen traurigen Ruf genießen. F. C'reighton Well- 
man führt nun (Deutsche entomol. Zeitscbr. 1907, Heft 1) 
aus dem fernsten Süden von Angola noch eine Coleopteren- 
larve für denselben Gebrauch an. Diamphidia locuita, die 
Verfasser niemals erhalten konnte, um sie aus dem Larven - 
zustande aufzuziehen, ist ein bernsteingelber Katar mit 
schwarzen Längsstreifeu. Der Biß der Larven wie der Käfer 
soll gefährlich sein und wie das l'feilgift fast augenblicklich 
töten. Die Angaben Wellmans stammen nur von den Ein- 
geborenen und den Kolonisten, doch ist ihm nicht bekannt, 
ob gegenwärtig überhaupt noch Giftpfeile von den Cmbuodo« 
in Angola zum Jagen oder im Kriege verwendet werden. 
Di« Feuerwaffen haben eben Bogen und Pfeil mit Ausnahme 
des Innern fast vollständig verdrängt, und die Pfeilgift - 
bereilung wird in absehbarer Zeit 



— Die Mak i'i Indianer im Rio Xegro- und Yapurn- 
gebiet bespricht Theodor Koch-G rün berg in einer Arbeit 
in der Zeitschrift .Anthropos*. 190«, 8. 877. .Makü* ist ein 
Aruakwort, ein schweres Schimpfwort, mit dem die niedrig 
stehenden nomadisuheu, bei ihren Kachbarn verhauten In- 
dianerslämme des dortigen Urwaldgebietes bezeichnet werden. 
Ks dürften die Rest« einer sehr ursprünglichen Bevölkerungs- 
schiebt sein. Die Sprachen weicheu sehr voneinander ab und 
haben nirgeuds in Südamerika eine Verwandtschaft. Kleinere 
Reste der Makü sind auch seßhaft gemacht und haben die 
Sprache ihrer Besieger angenommen. Koch lernte solche 
Makü kennen. So traf er am Curicuriarygebirg« tief im 
Walde auf zwei verlassene, sehr primitive Makülager. Sie 

i bestanden aus vielen kaum mannshohen Kchutzhüttstn aus 

I pyramidenförmig in die Erde gesteckten uud mit Zweiget! 

' bedeckten Stöcken. Diese wilden Makü führen lang« Bogen 
und zum Teil Giftpfeile, Blasrohre mit Giftpfeilchen und 

i Keulen; es sollen auch noch Steinbeil« im Gebrauch nein. 

I Der Hausrat beschränkt sich auf einige roh gearbeitete Töpfe 
und Schalen. Die Lagerstatt beBtebt aus Blättern am Boden. 
Kanus besitzen sie nicht. Z» Ii lue Makü, die sich durch 
kleinen Wuchs — wenig über l'/,m hoch — auszeichnete», 
und von den Weißen al» Kautschuksammler, Jäger und 
Fischer beschäftigt werden, traf Koch am mittleren Rio 
Negro. Er gibt hier drei W'örtcrlisten und etwa* grammati- 
sches Material über drei Maküsprachen, die ersten Sprach- 
prolien überhaupt aus dieser seltsamen Völkargruppe. Die 
Wörterliflteu betreffen die Maku des t'uricurinn , vom Ti'iuK- 
und vom l'apurv (Nebenfluß des Caian'-Uaiip^*). Die ersten 
beiden Ll»l<-u zeigen «-n^e Verwandtschaft, die dritte ist in 
den meisten Wörtern v,-n ihnen gänzlich verschieden. Doch 
stimmt der lautliche IL.bitu« und der Aufbau der Wörter 
überall so sehr überein. daß Koch, obwohl mit Vorbehalt, 
auch da» Maku vom Papurv zu derselben Gruppe mit jenen 
rechnet. Alle drei Idiome haben eine Menge nasaler und 
gutturale 



H. Si.iusr, 



W4. - I>niuk; Fri.'iir. Viowc« o. Sohn, 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER ITNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG ft SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 12. BRAUNSCHWEIG. 28. Mlrz 1907. 

Kx'hdrutk aar nrh CtoniBknnfl nil 4*f V*rl»s>luta<llun« g«.UU«l. 

Besiedelungsmöglichkeiten in Mexiko. 

Von Ralph Zürn. Grunewald-Berlin. 



Obgleich die deutsche Auswanderung iu den letzten 
Jahren dauernd zurückgegangen ist, ist es dennoch die 
Pflicht eines Weltpolitik treibenden Staat««, sein Augen- 
merk mehr und mehr darauf zu lenken, wohin «ich die 
Auswanderung richtet Auswanderer sind Kapital. Ebenso 
wie im Aualande nutzbringend investierte» Kapital wie- 
der dem Mutterlande zugute kommt, so nützt eine sacb- 
gemäO geleitete Auswanderung dem Handel nnd der 
Politik de» Heimatlandes. Auewanderung bedeutet aber 
auch Export und im letzten Punkte Machtzuwachs. Aus 
politischen Gründen und aus Gründen weltwirtschaftlicher 
Unerfnhrenheit und Kurzsichtigkeit hat mau jahrelang 
der Auswanderung von Regierungsseite teils gleichgültig, 
teil« mit Vorurteilen gegenübergestanden. Und trotzdem 
haben sich neue deutsche Volkszeritren in der Welt ge- 
bildet, die für den hohen Wert unserer Volkskraft, für 
die urgesunde Entwickelungsfahigkeit des Deutschen auch 
ohne staatliche Hilfeleistung das beredtest« Zeugnis ab- 
legen. Die Hauptzentren liegen naturgemäß auf dem 
amerikanischen Kontinent. Wir finden das eine Zentrum 
in den Vereinigten Staaten von Amerika, und es reprä- 
sentiert dieses bei einer Gesamtbevölkerung der Ver- 
einigten Staaten von 90366345 Menschen allein für den 
Zeitraum 1821 bis 1904 eine deutsche Einwanderung 
von 5234 290 Köpfen (1906 26005), also '/,„ Aar Ge- 
samtbevölkerung. Nach Dr. E. von Halles „Amerika" 
sind nach dem Status von 1900 2663 418 Einwohner der 
Vereinigten Staaten in Deutschland geboren, das sind 
3,5 Proz. der Gesamtbevölkerung, bei 623420 der Ein- 
wohner waren beide Eltern, bei 1585258 Vater oder 
Mutter in Deutschland geboren. Betrachtet man diese 
Zahlen, so wird man zugeben müssen, daß die deutsche 
Auswanderung nicht verloren gegangen ist, und die 
Behauptung, alle diese Millionen deutschen Menschen- 
materiat* seien dem Vaterland« entzogen, entpuppt sich 
als ein tendenziöses Märchen. 

Die zweite Zentrale deutscher Einwanderung liegt 
in Südamerika, und zwar in Südbrasilien und in den 
La Plataländern. Hier versagt das genaue statistische 
Material, doch kann man für Brasilien sieber 300000 
Deutsehe, für die übrigen linder 20000 bis 30000 Köpfe 
annehmen, wobei Chile mit 2000« Deutschen ebenfalls 
noch in Betracht gezogen werden muC. Zwischen diesen 
beiden Zentralen deutscher Besiedelung gähnt aber eine 
große Lücke. Seien es die unruhigen politischen Ver- 
haltnisse, seien es die teilweise ungünstigeren wirtschaft- 
lichen und klimatischen Bedingungen, die dieses veranlaßt 
haben: die Tatsache besteht, und e* dürfte an der Zeit 
mobn. XC% Kr. Ii 



sein, daran zu denken, diese Lücke auszufüllen. Prak- 
tisch durchführbar ist dieses jedenfalls in Mexiko. 

Mexiko ist von allen zentralauicrikanischcn Staaten, 
zu denen es schließlich doch, schon mit Rücksicht auf 
seine Geschieht« und Bevölkerung, zu rechnen ist, der 
am weitesten fortgeschrittene. Es ist sozusagen über 
die Kinderkrankheiten süd- und zcntralanierikanischer 
Staatenentwickelung hinaus und geht einer Ära des 
Aufschwunges, der friedlichen Entwicklung entgegen. 
Die Gerüchte einer bevorstehenden mexikanischen Re- 
volution, die im vorigen Jahre die Zeitungen durchliefen, 
haben ihre Haltlosigkeit inzwischen selbst bewiesen. Por- 
firio Diaz sitzt nach wie vor auf dem PrfiBidentenstuhl, 
Handel und Wandel sind ruhig weiter gegangen , und 
die Börsen der Welt haben die Gerüchte eines mexikani- 
schen Boxeraufstandes unter der Spitzmarke „Mexioo para 
los Mexicanos" mit Stillschweigen übergangen. Zuckun- 
gen , wie sie in der jungen industriellen und montanen 
Arbeiterschaft Mexikos vorgekommen sind, siud unver- 
meidlich und gehören zur Entwickelung eines Landes, 
vor dessen Toren Arbeitertrust und Gewerkschaftaorgani- 
sation iu der Federation of Labor mit ihren 112 National 
Unions das denkbar großartigste Arbeitssystom gescharfen 
haben. 

Werfen wir nun einen Blick auf die sich aus 27 Staa- 
ten, 2 Territorien und 1 Federaldistrikt (mit der Haupt- 
stadt) zusammensetzende Republik. Die 1987 201 qkn> 
Fläcbenrnuni werden von 13601259 Menschen bewohnt, 
von denen etwa 13 550000 Mexikaner und etwa 520O0 
Auslinder sind. Von letztereu waron nach dem Handels- 
berichte des Kaiserlichen Konsulates in Mexiko von 
1904 05: 16250 Spanier, 15 265 Nordamerikaner, 397« 
Franzosen, 2*45 Englander, 2561 Italiener und 25«. r > 
Deutsche, wovon 19H0 Männer und - r >85 Frauen waren. 
Wir sehen hieraus, daß wir uns an fünfter Stelle befinden, 
und können weiter daraus lerneu , was für uin weites 
Feld unserer Auswanderung hier noch offen steht. Um 
ein Land auf seine Aufnahmefähigkeit für Auswanderer 
hin zu beurteilen, ist das Verhältnis dor vorhandenen 
Bevölkerung xu dem verfügbaren Flächenraum von ge- 
wissem Interesse. Au» den oben angeführten Zahlen 
ergibt sich eine Verteilung von 6 bis 7 Bewohnern auf 
den Quadratkilometer (Vereinigte Staaten 9,3 Einwohner 
pro 1 qkm). Ihese Ziffer springt in ihrer Bedeutung 
aber noch mehr ins Auge, wenn man, des gesamten 
Landes als bewohnbar und kulturffthig angenommen, 
bedenkt, daß die Hauptstadt allem etwa -150000 Ein- 
wohner. Guadalajara 120000, Puebla etwa 100000 

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1^2 Ralph Zürn: Besiedelungsmf.gliehkeiten in Mexiko. 



und 17 weitere Städte 7OO00 big 30000 Einwohnor 
biibon. 

Selbstverständlich eignen «ich für eine deutgebe Be- 
siedelung niebt alle Teile .Mexikos. Das Land, da» der 
Auswanderungsstrom bevorzugen wird, muß neben den 
Möglichkeiten kaufmännischer , industrieller oder mon- 
taner Betätigung für den Einwanderer, Bei es als Arbeiter 
oder Unternehmer, auch die Möglichkeit der landwirt- 
schaftlichen Besiedelung gewähren. Hierbei ist sowohl 
das Vorhandensein genügender eingeborener Arbeitskräfte, 
als auch die Möglichkeit für den Europäer, selbst als 
Arbeiter tätig zu sein, maßgebend. In den Küstengebieten, 
den TierraB calientes und im Süden wird der Europäer 
deshalb immer nur eine leitende Stellung als Plantagen- 
auf aeher, Angestellter von Eisenbahnen und Minen, so- 
wie als Kaufmann iu den Städten einnehmen können. 
Die Einwanderungsmöglichkeit und Kolonisationsfäbig- 
keit ist also für den Europaer beschränkt. Anders liegt 
der Fall in dem mittleren und nördlichen Teile der Re- 
publik, welcher der Tierra templada bzw. fria angehört, 
liier sind es die Staaten Sonora, (.'hihuahua, Toahuila, 
Siualoa und Durango, die als besonders geeignet erschei- 
nen. Die Lage der drei erstgenannten Staaten , an der 
Grenze der Vereinigten Staaten, des HauptabsatzgehieteB 
für landwirtschaftliche Produkt«, in erster Linie für 
Schlachtvieh, sowie die gesunden holz- und wasserreichen 
Züge der Sierra madru, die diese Staaten von Norden nach 
Süden durchlaufen, gewähren dem Einwanderer einiger- 
maßen Sicherheit für sein Fortkommen. Diese Aussichten 
werden noch dadurch verbessert, daß Sonora, ('hihuahua 
und Durango die aufblübeudsten Minendistrikte ganz 
Mexikos einschließen. 

Ehe ich näher auf die Resiedelungsfäbigkeit einzelner 
Teile eingehe, möchte ich einen kurzen Rückblick auf die 
Kolonisationsgeschichte Mexikos überhaupt einfügen. 

Ich sebe hier vou den Großfarmbetrieben, Haciendcn, 
ab, da sie schließlich nur das darstellen, was teils mit 
Kapital, teils mit Arbeit von Generationen, von einzelnen 
für einzelne, geleistet werdeu konnte. Spanier, Italiener, 
Franzosen und einige Deutsche haben diesen Reweis der 
Kolonisationsfähigkeit Mexikos im vollsten Maße erbracht. 
Das, was uns hier interessiert, sind aber Kolonien von 
Einwanderern mit geringen Karmitteln , deren Haupt- 
kapital in ihrer Arbeitsfähigkeit besteht 

Von diesen Niederlassungen finden wir die älteste, 
eine französische, im Staate Veracruz, die einige hundert 
Köpfe stark ist, andere liegen im Staate l'uebla, in Mo- 
relos, Chianas und ('hihuahua. Eine blühende Nieder- 
lassung ist die italienische Kolonie „Fernandez J>eal* im 
Staate Pucbla, in der Nähe von Cholula, des durch seine 
Pyramide bekannten Platzes. 

Eine andere blühende Ackerbaukolonio ist die Mor- 
monenkolonie im Staate Chihuahua. Sie liegt etwa 350 km 
südwestlich von El Paso bei der Stadt Dublau und gibt 
einen weiteren Beweis für die Existouzfäkigkeit von 
Ackcrbauuicderlassungen. Überhaupt haben sich die 
Mormonen, unter denen sich viele Deutsche befinden, als 
erfolgreiche Kolonisten bewiesen, die nahegelegenen Kolo- 
nien Juarez, Pacheco, Diaz, Garcia u. a. zeigen dieses. 
Jeder ueue nach Mexiko kommende Ansiedler sollte Mühe 
und Koston nicht scheuen , um hier durch eigene An- 
schauung zu lernen. Auch Huren haben mehrfach An- 
siedelungaversucbo im Norden Mexikos gemacht, jedoch 
nicht mit demselben guten Erfolge wie die Mormonen. 
Mir sagte ein solcher Hureneinwauderer: „Wir verstehen 
uus hier nicht mit den Eiugeboreuen. Viel besser als 
die Kaffern sind sie auch nicht, aber man darf sie doch 
nicht so behimdelu!" Ich glaube, der Mann bat den 
richtigen Grund erkannt. Dem Buren ist das Herrentum 



dem Farbigen gegenüber zu sehr in Fleisch und Blut 
übergegangen, als daß er einen Unterschied zwischen 
Schwarz und Braun machen könnte. Gewöhnung wird 
über auch hior viel tun. 

Die Vergebung des Landes liegt in den Händen des 
Ministeriums de Fomento. Aus der darüber erlassenen 
Bestimmung, sowie der Einwanderungsgesetzgebung seien 
hier nur die wichtigsten Punkte herausgegriffen; -Näheres 
gibt in sehr ausführlicher Form H. Lemke in seinem 
Buche: Mexiko, das Land und seine Leute (Berlin 1900), 
auch Paul George in: Das heutige Mexiko und seine Kultur- * 
fortschritte (.Tena 1906). 

Als Normalgröße einer Farm ist ein Komplex von 
2600 ha von der Regierung für Jeden Einwanderer an- 
genommen. Die Bezahlung hat innerhalb zehn Jahren 
zu erfolgen. Die Preise werden durch Abschätzung des 
Landes dureb die Regierung in jedem besonderen Falle 
festgelegt. Gratis wird Land erst von der Regierung 
nach erbrachtem Beweis verlieben, daß der Ansiedler es 
mindestens fünf Jahre ununterbrochen in seinein Besitze 
hatte und mindestens der zehnte Teil bewirtschaftet 
worden ist. Jedoch erhalt der einzelne alsdann nicht 
mehr wie 100 ha. Zur Niederlassung als Ansiedler ist 
für den Ausländer ferner unbedingt eine Bescheinigung 
seines Konsuls nötig, die aber in besonderen Fällen auch 
von der Gesellschaft ausgestellt «ein kann, in deren Kou- 
zessionsgebiet er sich ansiedelt. Dem Ansiedler werden 
von der Regierung folgende Privilegien für die Dauer 
der ersten zehn Jahre nach erfolgter Niederlassung ge- 
währt: 1. Befreiung vom Militärdienst; 2. Befreiung von 
allen staatlichen Abgaben (d. h. nicht von den Konimunal- 
ubgaben); .'S. zollfreie Einfuhr aller Lebensmittel, die am 
Platze selbst uicht erhältlich; 4. Zollfreiheit für den Ex- 
port persönlich kultivierter Bodeuprodukte; 5. zollfreie 
Einfuhr des ersten Ausstattungsgutes (Hausgerätes usw.), 
sowie für landwirtschaftliche Geräte und Maschinen; 
fi. Preise für besondere Leistungen auf dem Gebiete der 
Agrikultur, sowie für Einführung neuer Bodenkulturen 
oder Industrie; 7. Befreiung von Gebühren für Pässe, 
Beglaubigung von Unterschriften usw. 

Man sieht, die Zugeständnisse sind weitgehend, und 
wenn man die vielfachen Cbikanen bedenkt, denen neuer- 
dings Einwauderer iu den Vereinigten Staaten ausgesetzt 
sind, so kann man nur annehmen, daß die günstigen Be- 
dingungen, welche die mexikanische Regierung Kolonisten 
bietet, in weiten Kreisen noch nicht bekannt sind. Anders 
läßt sieb sonst die verhältnismäßig geringe Einwanderung 
nicht erklären. Zu den genannten Erleichterungen tritt 
schließlich noch eine andere, die nur auf besonderes An- 
suchen gewährt wird, und deren Bewilligung im Ermessen 
der Regierung liegt. Es können dem Ansiedler auch die 
Reisekosten für sich und seine Effekten vergütet werden, 
ferner kann ein freier Transport bis zn dem Punkte der 
Ansiedelung und eine Unterstützung an Saatgut, Bau- 
material und Vieh gewährt werden. Der Betrag hierfür 
ist aber später zurückzuvergüten. Diese Bestimmungen 
sind äußerst praktisch und ermöglichen es der Regierung, 
den Ansiedlerstrom aus politischen und wirtschaftlichen 
Gründen bestimmten Gebieten zuzuführen. Besondere 
Bestimmungen regeln die Konzessionen der Ansiodelungs- 
gesellschaften. Bemerkenswert ist hierbei, daß bei allen 
Konzessionen die Regierung »ich das Recht vorbehält, 
alle verliehenen Hechte für null und nichtig zu erkläreu, 
falh die Gesellschaft nicht innerhalb eines bestimmten 
Zeitraumes mit der Kolonisation beginnt 

Betrachten wir nun das zum Kolonisieren besonders 

') Kin Studium dieser Bestimmungen dürfte auch für 
unsero Kolonialpulitiker im Hinblick auf die siidwastafrikani- 
»olieu Aii»i.*d«lunfrsvorhiiltni*se von Interesse »ein. 



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Ralph Zürn: Besiedclungsraöglicbkeiten in Mexiko. 



183 



geeignete Gelände der nördlichen Sierra Madre etwas 
genauer. Die neu« von ChihuaLua nach Westen laufend« 
Kansas City — Mexico and Orient Railway erschließt hier 
ein weite« zukunftsreiches Gebiet. Allein schon der Aus- 
gangspunkt dos westlichen Teiles der Bahn , Chihnahua, 
bietet für ein weites Farmgebiet einen stets wachsenden 
Absatzplatz. Die Stadt, die jetzt etwa 40000 Einwohner 
hat, wichst rapid. Durch die Eisenbahn werden ihr die 
Erze der zahlreichen in den Sierra* liegenden Minenplatze 
zugefdhrt und in ihren Schmelzöfen verarbeitet. Als 
Knotenpunkt der Kansas City — Mexico and Orient Rail- 
way mit der Mexikanischen Zentralbahn ist diesem Platze 
eine grolle Zukunft beschieden. An seinem Aufblühen 
wird aber der gesamte Staat Cbibuabna teilhaben. 

Die Bahn bringt uns zunächst nach dem Gebirgs- 
städtchen Minaca und von da aus in da« eigentliche wald- 
reiche Gehirgsland. Mich erinnerte die Landschaft bald 
an den heimatlichen Schwarzwald , bald ähnelte sie da, 
wo Schluchten den Hinblick auf weite Matten (Meeas) 
gestatteten, dein bayerischen Hochlande. Allenthalben 
linden wir hier noch einen jungfräulichen Waldbestand, 
dem selbst der Babnbau, bei dem nach amerikanischer 
Art mit Holz gewüstet wird, nicht viel hat anhaben können. 

In den Tälern trifft man fast überall guten Alluvial- 
boden, uud hier und da verrät aufsteigender Rauch das 
Vorhandensein von Ansiedelungen. Die eigentliche Er- 
schließung dieser weiten Ländereien soll aber erst vor 
sich gehen und wird ihren Höbepunkt erreichen, wenn 
der vom Stillen Ozean, vom Hafen Topolobampo aus- 
gehende Schienenstrang den von Westen kommenden 
erreicht haben wird. Mit der Eröffnung de* neuen Hafens 
Topolobampo, der auch für die Hamburg— Amerika-Linie 
ein neuer Ausgangspunkt werden soll, wird das gesamte 
Hinterland einen riesigen Aufschwung erfahren, vor allen 
Dingen das herrliche Fuertetal , • in dein der Fuertefluß 
seinen Weg zur pazifischen Küste nimmt. Wenn auch 
ein Teil dieses weiten Gebietes mit Konzessionen der 
Eisenbahugesellschaft belegt ist. so ist noch viel Land 
für die Ansiedelung frei. Auch die Preise des Gesell- 
schaftslandes in der Nähe der Bahn sind noch durchaus 
Ferner sind die klimatischen Verhältnisse 



im Gebirgalande vorzüglich und die Bedingungen für 
Ackerbau und Viehzucht sehr gut, vor allem, da auch 
die Wasser- und Niederschlagsverhältiiisse günstig sind. 
Südlich dieses Geländes, 100 km von dem Minen platze 
Batopilas südwärts, liegt ebenfalls ein neues Ansiedelungs- 
gebiet, das für uns insofern besonders interessant ist, 
als eine deutsche Gesellschaft, die Chihuahua-Land- und 
Kolonisationsgesollschaft, hier ein großes Konzessions- 
gebiet besitzt. Herr Dr. Endlich, der in unseren heimat- 
lichen kolonialwirtschaftlichen Kreison wohl bekannt ist, 
hat mir seine Berichte über eine Studienreise in diesem 
Teile der Sierras zur Verfügung gestellt, da ich bei meinem 
Aufenthalt« in Moxiko nicht selbst in der Lage war, 
speziell diese Gegend zu bereisen. Ich möchte hier mit 
seiner Erlaubnis einiges aus diesen wertvollen Aufzeich- 
nungen wiedergeben, die, wio ich aus eigener Erfahrung 
bestätigen kann, für einen großen Teil der Sierra Madre 
Oberhaupt zutreffend sind. 

Dr. Endlich schreibt: „Die Ländereien liegen zwischen 
einer größeren Zahl von Minenplätzen, von denen Parral 
und Umgebung im Osten, Batopilas im Westen, Guuda- 
lupe y Calvo und Guana Cevi im Süden die bedeutend- 
sten sind. Die Stadt Parral kommt zunächst als wichtig- 
ster Abnehmer für Nutz-, Bau- und Brennholz in Betracht. 
Außerdem lassen sich dort , ebenso wie in den übrigen 
benachbarten Minenplätzen landwirtschaftliche Produkte 
zu guten Preisen absetzen. Die Station Ojito an der I 
Parral — Durango-Eisenbahn, diu den bequemsten Zugang I 



su den Konzeaaionaländereien bietet, ist 70 km von Parral 
entfernt. Der Hauptweg nach Batopilas und nach anderen 
bedeutenden Minenplätzen im Westen der Sierra Madre 
führt in der Hauptsache an der Nordgrenze des Kon- 
«essioosgebietea entlang. Im Innern des Gebietes finden 
sich allenthalben Reit- und Transportwege. Die Moeros- 
höhe dieser I.änderoien schwankt in der Hauptsache zwi- 
schen 1900 und 2700 m. Höhenlagen über 2700 m finden 
sich vereinzelt in den südlichen Teilen, während im Nord- 
osten die vom Rio San Juan allmählich aufsteigende 
Ebene in ihren tiefsten Lagen etwas weniger als 1700 m 
aufzuweisen hat. Der höchste Punkt im Norden, der 
ferro Nanamchic, der »ich bis zu einer Höhe von an- 
nähernd 2450 m erhebt, gewährt einen großartigeu Über- 
blick über mehr als zwei Drittel des ganzen Gebietes. Die 
im Mittelpunkte gelegenen Lagunen von Satevo erreichen 
eine Höhe von 2360m, wogegen das benachbarte Teco- 
riebie nur 2100 m über dem Meere liegt. Die Wasser- 
scheide der Zuflüsse des Rio Conchos und des Rio del 
Fuerte bildet im Süden dieses Komplexe? einen breiten 
Gebirgsrücken von etwa 2700 m mittlerer Höhe. Die Be- 
dingungen für ein gemäßigtes, dem Europäer zusagen- 
des Klima sind durch die geographisch« Breite (etwa 
27° nördl. Br.) und durch die Meereshöhe des Konzessions- 
gobieU'8 gegeben. Den bedeutenden klimatischen Gegen- 
sätzen Mexikos ist es zuzuschreiben, daß nach der landes- 
üblichen Einteilung der Klimate der größere Teil obiger 
Ländereien als Tierra fria bezeichnet wird. Mit dem 
allgemein üblichen Begriffe der kalten Zone hat diese 
Benennung selbstverständlich nichts zu tun. Im Gegen- 
toil stellen sich die dortigen Durchschnittstemperaturen 
wesentlich höher als in den wärmsten Gegenden Deutsch- 
lands. Die Winterkiilt« ist in den gegen den Nordwind 
geschützten Lagen durchaus erträglich. Beobachtungen 
über Temperaturen, Regenhöhe usw. fehlen leider voll- 
ständig. Klimatische Krankheiten sind in dieser Region 
bisher weder bei Menschen noch bei Tieren beobachtet 
worden. 

Im April, wo noch vielfach Nachtfröste auftreten, 
nimmt die Vegetationsperiode ihren Anfang; sie findet 
im November allmählich ihrou Abschluß. Im Winter 
1904 habe ich sogar noch gegen Ende Dezember inmitten 
der Sierra bei Cuiteco blühende Pflanzen angetroffen. 
IHe für ein gemäßigtes Klima sehr kurz« Vegetations- 
pause kommt der Landwirtschaft in hohem Grade zu- 
guto. Die Hauptregenzeit stellt sich meist im Juni mit 
dem höchsten Sonnenstände oiu und dauert bis Oktober, 
doch kommen auch in den übrigen Monaten atmosphä- 
rische Niederschläge vor, die im Winter, namentlich im 
Januar und Februar, in Form von Schneefällen auftreten. 
Selbst in der trockensten Zeit, iui April, hatten wir Ge- 
legenheit, wiederholt Reganfälle zu beobachten. Dies« 
günstigen NiederacblagsverhältniHS« außerhalb der Zeit 
der Sommorregen siud allem Anscheine nach auf den 
Einfluß der Passate (paaaatischo Steigangsregen) zurück- 
zuführen. Hagelschläge sind in diesen Teilen der Sierra 
Madre ebenso wie im übrigen Moxiko bekannt; von ihrem 
schädigenden Einflüsse auf die Saaten wissen die dorti- 
gen Bewohner nichts zu berichten. Als Hauptargnment 
für den Regenreichtum dieser Zone läßt sich die Tat- 
sache anführen, daß die dort entspringenden Zuflüsse des 
Rio Conchos und des Rio de Fuerte das ganze Jahr hin- 
durch Wasser führen. Stellenweise kommt es wohl vor, 
daß ein kleiner Baoh versiegt, auch verschwindet bis- 
weilen ein Wasserlauf in der trockensten Zeit auf einige 
Entfernung, um dann plötzlich wieder aufzutreten. Diese 
günstigen Wasservorhältnisiio sind nicht nur dem Ein- 
flüsse der Gebirge, sondern auch dem der Hochwälder 
zuzuschreiben. Wie die Waldungen einerseits die Extreme 



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1*4 



Ralph Züru: Besiedclungsmöirlichkeitcu in Mexiko. 



der Temperatur abschwächen, so vermehren sie ander- 
seits die Feuchtigkeit der Luft und verursachen auf 
diese Weise, daß die Bodenfeuchtigkeit zurückgehalten 
wird. Hierdurch erklärt »ich das Vorhandensein »ahl- 
reicher (Quellen (Citinegas) in einem großen Teile des 
Konzessionsgebiet«*. l>ie llodenfeuchtigkeit in den Tälern 
ist meist so bedeutend, daß die Tarahunjares (eingeborener 
Indianerstamm) die Bestcllungsarbeiton im April, also 
zur Zeit der größten Trockenheit, ohne Rücksicht auf 
vorhergegangenen oder zu erwartenden Regen vorzuneh- 
men pflegen. 

Die von den Gebirgen abgewaschen«!) und in den 
Erweiterungen der Taler angesammelten Alluvionen sind 
von großer Fruchtbarkeit. Ihre Gesaiutauadehnnng ist 
jetloch verhältnismäßig klein. An die Lagunen von Satevö 
schließt sich die Mesa de La ('ieneguita (l 1 j loguas 
laug *) an und in der Richtung nach dem Cerro Nana- 
ruchic folgen die Mesas de Sta. Rata, de los Potroritoa 
und de Segoriachic, weitere Mesas finden sich in den 
östlichen Teilen dieser iJlndereieu. 

Das Gebirge des hier in Betracht kommenden Ge- 
bietes ist aus altem Eruptivgestein aufgebaut. Die am 
meisten vertretenen Gesteinsarten sind Porphyre; da- 
neben kommen vielfach Andesite, Tracbyt« (Tbyolite), 
Itasalte und Tuffe vor. Den günstigen Niederschlags- 
Verhältnissen entsprechend ist der bei weitem größte 
Teil der hier in Frage kommenden Läodereien mit Hoch- 
wald bestanden. Die hauptsächlichsten Vertreter der 
Hochgebirgswaldungen setzen sich aus einer Reihe Koni- 
feren zusammen. Mit den Nadelhölzern mischen sich 
verschiedene Qucrcus- und Arbntus- Arten. Unter den 
übrigen Pflanzen haben die Gräser, vor allem Futter- 
gräser, die weiteste Verbreitung." 

Soweit die Darstellungen des Herrn Dr. Endlich. Sie 
seien ein Beleg zu dem Ober die Sierra Madre- Lander 
vorher Gesagten. 

Was nun die landwirtschaftliche Ausnutzung dieser 
Gebiet« anlangt, so mögen hier zuuächst die Kulturen 
angeführt werden, die die Eingeborenen mit Erfolg be- 
treiben. Es sind dies Mab, Robnen, Kartoffeln, Tabak 
und Chile. Aber auch Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, 
Luzerne, Kohl und andere licuiüsu gedeihen, wie dieses 
einige Versuche erkennen lassen, ausgezeichnet. Ebenso 
zeigen bereits kleine bestehende Obstplantagun von Äpfeln, 
Birnen und Pfirsichen , daß dieser Teil von Mexiko mit 
der Zeit ein zweites Kalifornien werden kann. Zu er- 
wähnen ist ferner der Anbau von Agaven. Von ihnen 
kommt für das nördlicho Mexiko die Agave americana 
(Maguey) und die Agave Ixtle besonders in Betracht. 
Der von ihnou gewonnene Faserstoff bildet einen wert- 
vollen Exportartikel. Es wurden davon im Jahre 1902 
Ii' 18300D kg im Werte von 1 706982 inex. DolL aus- 
geführt, wahrend die Produktion an ans dem Agavesaft 
gewonnenen Sprit 18877000 Liter betrug. Eine Haupt- 
einnahmeijuelle wird aber für die Kolonisten die Viehzucht 
bilden. Zur Orientierung seien hier einige Preise für 
Vieb, wie sie im Osten der Sierra Madre gelten, angeführt 

1 Arbeitaoehse kostet :t0, — bis 40, — tnex. Doli. 

I gut milchende Kuh 'Ji,— , 5o, — . . 

1 junge Kuti bis zu 'J Jahren . . 9, - . . 

1 junger Ochse U,— . 15,— . 

I Blute 15,— 

1 junge» Pferd 20,- 

1 Maultier 50,- . 70.- . 

1 Ilammel von l' , Jahren . . :<,— 

1 Z'"g» 2- 

') 1 Lefruu = 4,|si kui. 



l Arroba Schweinefleisch (11' , kg) . 4, — bis 5, — mex. Doli. 
1 Arroba Rchweinftfett e,— . 6,35 . 

Diese Zahlen sprechen für sich und bedürfen keines 
weiteren Kommentars. 

Es bleibt noch zu bemerken, daß die Arbeitslöhne 
0,75 bis 1 mex. Doli, betragen. Dieses gilt aber nur in 

! der Nähe der Minenplätze, wo die Arbeiterlöhne natur- 
gemäß höhere sind. Bei einer sich entwickelnden Kolo- 
nisation werden die noch vereinzelt in der Sierra, teils 
in Reservationen lebenden Indianerstämme sehr bald ein 
brauchbares Arbeitermaterial stellen, das sich auch mit 
geringerem Arbeitslohn begnügen wird. In der Haupt- 
sache ist aber wohl anzunehmen , daß der Kolonist sein 
eigener Arbeiter sein wird, zumal da, wo ob sich uro 
kupfreiche Familien handelt. 

Die Landpreise schwanken. 1,20 Doli, (etwa 2,40 M.) 
pro Hektar ist der Preis, den die Regierung verlangt, wobei 
zu bemerken ist, daß die Bezahlung gewöhnlich in 3proz. 
mexikanischen Bonds geschiebt, die der Staat alsdann 
zum Pariwert annimmt, was für den Käufer einen Gewinn 
bedeutet Aub der Hand von Konzessionsgesellschaften 
ist Land bereits für 2 Doli, pro Hektar erhältlich, jedoch 
wird auch, je nach Lage, bis 4 Doli, verlangt. Für Kolo- 
nisten dürfte es aber immer angebrachter erscheinen, 
falls sie nicht über größere Barmittel verfügen, aus zweiter 
Hand zu kaufen, da dio Verhandlungen mit der Regierung 
immer noch langwierig sind und eine gewisse Routine 
erfordern. In Fällen, wo mehrere Familien sieb zwecks 
Auswanderung zusammentun, ist es immer am besten, 
wenn ein oder mehrere Vertrauensmänner vorausreisen, 
um den Ankauf des Landes in die Wege zu leiten, und 

' erst wenn dieses geschehen, die übrigen nachfolgen. Vor- 

I sieht ist wie überall auch in Mexiko für die Einwanderer 
geboten, und gewissenlose Agenten finden sieh auch hier, 
die die Neuangekommenen auszunutzen suchen. 

Ein Urteil aber, wie es sich in dem sonst zu den 
besten deutschen über Mexiko geschriebenen Büchern 
gehörenden Werke des Prof. Ratzel: „Aus Mexiko", Bres- 
lau 1878, findet, ist heutigentags nicht mehr zutreffend. 
Ratzel sagt in dem über Kolonisation handelnden Ab- 
schnitt seines Buches: „....abor es vergißt auch keiner 
seinem Lob die Klausel anzuhängen, daß eine gesunde 
wirtschaftliche Entwicklung im großen nicht möglich 
ist, solange die Bevölkerung nicht einer festen Regierung 
unterworfen wird, die die unruhigen Element« im Zaume 
hält, die Sicherheit der Personen und Besitztümer garan- 
tiert und für die Aufscbließung des Landes durch Anlage 
von Wegen und möglichst ehrliche und intelligente Ver- 
waltung Sorge trägt*. 

Alle diese Bedingungen sind inzwischen unter der 
Regierung dos klugen und energischon Präsidenten Por- 
firio Diaz erfüllt, und Mexiko ist ein moderner Staat 
geworden, für den es heutigentags — und wäre es 

. auch nur infolge des mächtigen Einflusses, den die Ver- 
einigten Staaten auf das wirtschaftliche Gefüge der Re- 
publik gewonuen haben — kein Zurück mehr gibt *ou- 
dern nur ein Vorwärts. Dieser Einfluß garantiert aber 
auch bei einem etwaigen Ableben des jetzigen Präsidenten 
ein Fortbestehen der Verhältnisse. Unruhen größeren 
Stiles dürften kaum zu befürchten sein, da auch die maß- 
gebenden mexikanischen Kreise in den vom amerikanischen 
Kapital kontrollierten wirtschaftlichen Unternehmungen 
beteiligt Bind. Für die deutsche Einwanderung wird es 
aber immerhiu, wie schon oben erwähnt notwendig sein, 
vorurst durch »eitere Explorierung der zur Besiedelung 
in Betracht kommenden Gebiete feste Grundlagen für 
ein gedeihliches Fortkommen der Ansiedler zu schaden. 



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IST, 



Die Hochzeit des Maises und andere Geschichten der Huichol-Indianer. 



Reisebericht III Ton K. Th. Prouß. 



S. Itidro, 14. Oktober 1906. 
Was in Deutschland Krailling und Sommer für das 
Gemüt und die Tätigkeit der Mengeben bieten, das er- 
zeugt in der Sierra diu Regenzeit. Zwar wechseln die 
Bäume ihr Kleid schon in der Trockenzeit und nicht alle 
auf einmal, sie tragen zum Teil Blüten, und in den letzten 
Monaten vor dem Reginn des Regens gibt es eine Fälle 
Ton Früchten: tunas, die Frucht des Nopalkaktua, 
pitavas, ciruela* (Pflaumeu), inesquitea und guamucbiles, 
die Hitze ist in den Tälern bereits im Marz außerordent- 
lioh, da die Sonne auf ihrem Wege noch Norden im Mai 
durch dun Zenit gebt Aber trotzdem macht die Sierra 
in dieser ganzen Zeit den Kindruck des Winterschlafes 
oder des Greisenalters. Eintönig zieht die Sonne ihre 
Strafe, kein Wölk- 
chen schützt vor ihren 
sengenden Strahlen, 
hart zeichnen sich die 
Bergkämme den gan- 
zen Tag am Himmel 
ab, die Flüsse neh- 
men nicht den zehn- 
ten Teil ihres gewalti- 
gen Steinbettes ein, 
die meisten Bäche 
sind vertrocknet, die 
Rancbos oft wegen 
Wassermangels ver- 
lassen und die Matten 
mit ihrem hoben Za- 
categras dürr und 
grau. Fa gibt keine 
Saat und keine Ernte. 
Den Reisenden , der 
halb im Schlafe auf 
seiner Mula bergauf, 
bergab schwankt, 
weckt zuweilen ein 
Knattern wie Ge- 
webrfeuer, wenn einer 
der Arrieros, die die 
in langem Zuge auf 
schmalem Pfade ein- 

hertrottenden Maultiere autreiben , ein Streichholz oder 
einen Zigarettenreat fortgeworfen und das Gras Feuer 
gefangen bat. Namentlich in der Nacht sieht man häufig 
ganze Gipfel der Sierra schön im Feuer leuchten, das 
dann meist absichtlich angelegt ist. Dazu kommen im 
Mai die zahlreichen „Coamil u -ürände, wenn der im No- 
vember niedergelegte Wald zum Zwecke der Auasaat 
angezündet wird. 

So sah ich die Sierra während des halben Jahres, 
das ich — von Endo Dezember 1905 bis Ende Juni 1 'JQG 
— bei den Oora-Indianern zubrachte, die etwa sechs 
Tagereisen nördlich von Tepic wohnen. Obwohl noch 
täglich neue Frz&hlungen und religiöse Gesänge zu 
meiner Textsammlung hinzukamen, mußte ich doch ein 
Ende machen, als der Fluß von Jesus Maria, wo ich mein 
Hauptquartier aufgeschlagen hatte, mehr und mehr an- 
schwoll und mir den Weg zu den Huichol-Indianern ab- 
zuschneiden drohte , denen ich das nächste halbe Jahr 
meiner Tätigkeit widmen wollte. Die großen Saattanz- 
feste, von den Cor» Mitote genannt, waren vorüber, auf 
die Götter war genügend eingewirkt worden, um Regen 

Olorm« XCI. Nr. 19. 




Abb. l. Hulchol aas Sa. Catarloa, aufgenommen In der Mosa 
de Najarit. 

Kin Khepaar mit «einem Sohn und einen) Verwandten. |u> Ehepaar erhebt im 
Moment der Aufnahme die Hand vor den Mund, wahrscheinlich aus Furcht vor 
Eintritt ein« Zaubert. 



und Wachstum des Maises von ihnen zu erlangen, und 
es begann allentballven die Aussaat, die mir mein Arbeits- 
■natorial, die Indianer, raubte. So saß ich denn zunächst 
allein mit meinen beiden mexikanischen mozos , männ- 
lichen „Mädchen für alles*, in dem von mir gemieteten 
Rancho S. Isidro , der etwa vier Stunden östlich von 
Jesus Maria nahe der Grenze des Staates Jalisco liegt, 
die Hütte vollgestopft mit meinen für die ganze Regen- 
zeit bis Oktober berechneten Vorräten an Mais, Reis, 
Höhnen, Kaffee, Zucker, Tabak usw., den Tauschartikeln, 
besonders weißem Baumwollstoff (tnanta) , verschieden- 
farbigen Wollen (estambre), weißen und blauen Perlen 
(cha<iuira), bunten Tüchern u. dgl. m-, den Sätteln und 
aparejos für meine sechs Tiere und den vielen sonstigen 

Artikeln, die man auf 
solch einer Fxpedition 
braucht. Dazu kamen 
dann sehr bald die 
zahlreichen Samm- 
lungsobjekte, die zur 
Unterscheidung der 
Muster übersichtlich 
aufgehängt wurden. 
Dieses Zimmer wurde 
m it der Zeit der Schau- 
platz mancher idylli- 
schen Szene, nachdem 
ich hier meine Cora- 
Übersetzungen mit 
meinem Interpreten, 
dem Cora Fraucisco 
Molina, beendet hatte. 

Inzwischen hatten 
sich die Berge mit fri- 
schem, dunklem Grün 
bedeckt, an den Ab- 
hängen erscheint hier 
und da das hellere 
Grün einer Mais- 
pHanzung, die inner- 
halb drei Monaten 
die Nahrung für das 
ganze Jahr liefern soll. 
Die lluicbol haben für diesen Anblick, den die Sierra 
jetzt bietet, den merkwürdigen Namen natikäri. „ihre 
(der (iötter) Nacht*, ein Ausdruck, der in ihren religiösen 
Liedern häufig vorkommt, und tikiiripa „in der Nacht" 
bedeutet demnach auch „iu der Regenzeit", en las aguas, 
wie der Mexikaner diese Jahreszeit zum Unterschiede 
von las llnvias, den vereinzelten gewitterlosen Regen 
der Trockenzeit, nennt. Es ist, als ob in dieser Zeit 
der längsten Tage die Winternacht zur Erde heruieder- 
gestiegen sei. Auch haben ihre mit schwarzen Wolken- 
zeichnuugen bedeckten geritzten Tanzstäbe aus Rohr und 
und die schwarz bemalten Holzstäbchen , die sie als 
Regenzauber den Gottern weihen, den Namen yuaitsu, 
„blauer (statt "schwarzer.) Stock". Aber diese Nacht 
erfüllt das Herz des Indianers nur mit Freude. Sie ist 
kein Gegenstand des Schreckens wie die Nacht, die jen- 
seits des eine halbe Tagereise im Westen der Mesa de 
Nayarit liegeuden Borges autarika aufäugt , von wo aus 
man das Meer mit seinen gefährlichen Schlangen und 
die ganze Gegend der Toten überschauen kann. Wer 
zum erstenmal diesen Rerg auf der Wanderung uach 

25 



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K. Th. Preuß: Die Hochzeit de» Maises u»w. 



Santiago überschreitet, 
das Gericht, fassen ihn 
im Laufschritt hinauf 
schützende Bergwand. 
Ober den (üpfel gehen. 



dem verhüllen zwei Gefährten 
unter die Arme und ziehen ihn 
und ebenso zurück hinter die 
Erat dann kann er ohne Gefahr 
Während mit Eintritt der Nacht 
alle Wanderungen der Indianer unterbrochen werden, hält 
sie kein noch so starker Regenguß und das stärkste Ge- 




a hi.. s. Tempel, zwei Gotteshüuschen und zwei Hutten In Sa. Harham 



solcher Kanus gibt os nur eins b«im Pueblo Jesus Maria 
und eins an der Mündung de» Chapalogana. Auch ist 
die Gefahr des Abstürzens auf den durchweichten Pfaden 
viel gröOer, zumal die Maultiere wenigstens vorn be- 
schlagen werden müssen und dadurch unsicherer gehen. 
Indessen sind vieltägige ununterbrochene Regen so leiten, 
daß ein solcher von vier Tagen Dauer in den Iluichol 
bereit« Besorgnisse wegen einer neuen 
Flut zu erwecken vermochte. 

Rings um meinen Rancbo wohn- 
ten zerstreut nur Iluichol - Indianer 
(Abb. 1), mit denen ich sehr bald auf 
gutem Fuße stand. Sie sind viel 
zutraulicher als die Cor», die, ab- 
gesehen von den Hewohnern des 
I'ueblo S. Francisco, nichts von dem 
Fremden wissen wollten und nur 
vereinzelt durch schweres Geld zur 
Hergabe ihrer Objekte und ihrer 
Kenntnisse veranlaßt wurden. Ge- 
wöhnlich waren schon früh morgens, 
wenn ich aus der Tür trat, einige 
Huicbol versammelt, die teils die 
Hoffnung auf Bohnen und Tortillas, 
teils der Verknuf ihrer Objekte und 
Erzählungen, teils der Einkauf von 
Tauschartikeln herbeigelockt hatte. 
Andere passierten den Rancbo aus 
weiter Entfernung in Geschäften, 
7.. 11. zum Einkauf von Mnis, zum 
Fang von Hirschen für das Fest der 
jungen Maiskolben (belotes) oder ein- 
fach aus ihrem Hang zum Umber- 



witter, das in dieser Zeit jeden 
Regen zu begleiten pflegt, von not- 
wendigen Gangen ab. Freilich be- 
steht ihro ganze Kleidung hier nur 
aus Hemd, Hut und Gürtel, und 
erster»» vertauschen sie dann noch 
mit einer Schanibinde. Sicherlich 
ist dos freudige Gefühl, da« den 
Hnichol in der Regenzeit beseelt, 
fast ausschließlich den winkenden 
Maiskolben zuzuschreiben, die dam 
chronischen Hungerzustande vor 
der Krnte ein Ende macheu. (Bei- 
läufig kostote der Hektoliter Mais 
im September -0 Mark.) Indessen 
ist gleichfalls sicher, daß das Spiel 
der Wolken und Blitze mit den 
Berggipfeln und die hin und her 
wandernden »ch warzgrauen Regen- 
wände, für die sie eine Menge Na- 
men haben , an sich angenehme 
Empfindungen in ihnen erwecken 
— ebenso wie in dem Reisenden, 
so sehr er unter der Regenzeit zu 
leiden hat. Nur am Vormittag kamt 
man sich mit einiger Aussicht auf 

trockenes Wetter bewegen, und zwar nur, WO keine größu- 
ren Bäche zu überschreiten lind. Die beiden .Flüsse", 
die das Lund der Cora bzw. der Iluichol von Norden nach 
Süden mitten durchschneiden und zum Rio Grande oder 
Rio Santiago abfließen, der Hin de Jesus Maria und sein 
Nebenfluß Chapalagana, in der Trockenzeit mit I/eichtig- 
keit zu überwinden, »ind in der Regenzeit nur auf frag- 
würdigem Kinbaum zu nehmen , dem man unter keinen 
Umständen wertvolles Gepäck anvertrauen kann. Und 




Abh. :i. Tempel In X«. Gertradis. 

»andern, wobei Orte in der Entfernung einer Tagereise 
als ganz nahe gelten. Freilich gehen Iluichol mit der 
doppelten Geschwindigkeit einer Mola und können ganz 
andere Wege wie diese verfolgen. 

Man darf nun nicht glauben, daß diese Besucher 
direkt eiu brauchbare» Material abgeben, besonders wenn 
man erst die Sprache an Ort und Stelle lernen muß , da 
von ihr ho gut wie nichts bekannt ist. Sie dienen eigent- 
lich nur zum Studium ihre» äußeren Gebarens, zur Ver- 



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K. Tb. TreuU: Die Hochzeit dea Maisos usw. 



187 



broitung dea ihnen eingeflößten Vertrauens unter ihren 
Stammeagenossen und zur Anknüpfang von Kragen an 
den Interpreten aber ihro persönlichen Verhältnisse und 
anderes. Wenn man über die üblichen Fragen nach 
den einheimischen Namen Ton Kö qterteilen, vorzuzeigenden 
Objekten usw. hinaus will, ist ein gut Spanisch sprechen- 
der Iiuichol als Interpret notwendig, von dessen Brauch- 
barkeit die gute oder schlechte Ausnutzung der verfüg- 
baren Zeit abhängt. Schon von Jesu» Maria aus hatte ich 
viele Anstrengungen deshalb gemacht und konnte glück- 
licherweise genau mit dem Tage der Vollendung meiner 
Cora-Überaetzungen meine Arbeiten mit Jose Maria 
Carrillo beginnen , der selbst viele Erzählungen wußte, 
mit einigen Cantadores der Feste und Curanderos (Heil- 
künstlern) verwandt oder verschwägert war und vermöge 
■eines Ansehens als Hilfsrichter, obwohl erst 23 Jahre 
alt, die brauchbaren Leute nach meinem Rancho komman- 
dierte, /war sprach er 
schlechter Spanisch als mein 
t'ora Molina, war aber da- 
für im Gegensatz zu diesem, 
der allein von allen seinen 
Stammesgenosseu die alte 
Keligion verachtete, voll- 
kommen gläubig und den 
alten Gebrauchen durchaus 
ergeben, so daß er mir mit 
zunehmender Intimitat alles, 
was er der Weltanschauung 
der Indianer gemäß dachte 
und tat, mitteilte. Ander- 
seits scheute er sich nicht, 
sobald wir allein waren, mir 
allerhand Votivgaben aus den 
zahllosen von mir besuchten 
Gotteshänschen (Abb. 2) zu 
, verkaufen die neben den 
großen für alle Götter be- 
stimmten Tempeln für jeden 
einzelnen errichtet werden. 
Er sagte ihnen jedoch vor- 
her dreimal „Guten Tag" 
(texe, töxv, tt-xi- '). Ja sogar 
die Seelen seiner («roßeitern 
und seiner Eltern verkaufte 
er mir in Gestalt von Steinen, 
die bald nach dem Tode oder 
am Fest des Maisröstens vom 
Cantador in der Luft ergriffen 
bzw. in ein Schäleben des ein- 
heimischen Maisbieros (tejuino) geleitet werden , wo sie 
■ich erhärten, da sie zunächst ganz weioh sind. 

Ich konnte hier gleich mit dem Aufschreiben von 
Erzählungen und Gesängen beginnen , während ich bei 
den Tora länger als einen Monat benötigte, um überhaupt 
einen .Wissenden" aufzutreiben. Auch brauchte ich 
hier nur den vierten Teil des bei den Cora üblichen 
Tagelohnes zu bezahlen, nämlich 6 bis 8 Reales = etwa 
1,50 bis 2 M. , für die Huichol eine bedeutende Summe, 
da der übliche Tageslohn bei der Feldarbeit nur 2 Iteales 
beträgt. I Kirch ein raffiniertes Zahlungssystem — Grati- 
fikationen nach Ablauf von einigeu Tagen ununter- 
brochener Arbeit und besondere Vergütung, wenn sie Ober 
Nacht blieben — erreichte ich es auch , daß sowohl 
Carrillo wie einige andere regelmäßig kamen, bzw. sogar 
in meiner Hütte schliefen. Waren sie trotzdem einmal 
bis acht Uhr nicht erschienen , so schickte ich meinen 

') X — dem deutschen ach. 




Abb. 4. Der Singer vor der Trommel sitzend. 

Da» Kell der Trommel ist abgenommen. Im HiiitergrUDile der 
Tempel ton Sa. Barbara. 



Mozo, der es auch fertig brachte, sie halb wider ihren 
Willen herzubringen, wenn er sie fand. Freilich war 
dann der Vormittag verloren. Auf das bloße Versprechen 
des Wiederkommens ohne besondere Reizmittel ist bei 
den Huichol wie bei den Cora nichts zu geben. Noch 
schlimmer für den Reisenden ist freilich der Hang der 
Indianer zu zwecklosen Lügen , zwecklos auch insofern, 
als die Schadenfreude an der Täuschung de« „Griugo* 
— so heißt der Fremde — als Motiv in Betracht zu 
kommen scheint. Eines Tages kam eine Schar Indianer 
aus Sa. Gertrudis, einem eine Tagereise im Süden nahe 
dem Cbapalagana gelegenen Rancho, und erzählte, daß 
im dortigen Tempel in drei Tageu ein Regenfest zum 
Herbeiführen weiteren Regens gefeiert werden würde. 
Sie hätten schon eine Kuh zum < Ipfer besorgt und gingen 
nur nach dem nahen I'ueblo Sa. Rosa, um Mais für das 
Fest zu kaufen. Ich hatte nun nichts Eiligeres zu tun, 

als am anderen Morgen nach 
Sa. Gertrudis aufzubrechen, 
da infolge der reichlichen 
Regen eine andere Gelegen- 
heit, ein solches Fest zu sehen, 
nicht zu erwarten war. Aber 
nicht nur, daß der Rancho 
bei unserer Ankunft voll- 
ständig verlassen war, weil 
alle Leute bei ihren Mais- 
feldern wohnten und au kein 
Fest dachten — mau hielt 
uns auch dort noch acht Tage 
mit der Aussicht anf ein Fest 
hin, obwohl mau uns anderer- 
seits sehnlichst los zu werden 
wünschte. Ohne meine Vor- 
sicht, meinen Cora -Inter- 
preten mitzunehmen, wäre das 
alles nur ein Zeitverlust ge- 
wesen. So aber konnte ich 
im dortigen großen Tempel 
(vgl. Abb. S), wo wir wohn- 
ten, meine Coratexto fördern. 
Ahnlich erging es mir mit 
dem Fest der calabazas in 
einem fünf Stunden entfern- 
ten Rancho, wo wir ebenfalls 
niemand fanden , trotzdem 
■ich Carrillo selbst aufs sorg- 
fältigste an verschiedenen 
Stellen erkundigt hatte. Hand 
in Hand mit dieser Lügen- 
haftigkeit geht die Leichtgläubigkeit der Huichol. So wur- 
den nach und nach fast meine sämtlichen ständigen Be- 
sucher wegen angeblicher Viehdiebstähle vor den Richter 
nach Sa. Rosa geschleppt, und zwar von ihren eigenen 
Landsleuten , Willkürakte , die natürlich nur möglich 
waren, weil die Huichol großen Respekt vor der Re- 
gierung haben. Für mich bildeten diese Fälle die größte 
Quelle de* Argers, da ich Carrillo anf diese Weise man- 
chen Tag verlor, dem ich den Eifer für diese unbezahlten 
I'olizeidienste nicht ausreden kounte. 

Gewöhnlich ging das Aufschreiben der Huichol-Texte 
inmitten einer Anzahl Indianer vor sich, nnd auch die 
Ankunft neuer Besucher störte uns nur kurze Zeit trotz 
der allgemeinen Unterhaltung. Alle hockten und lagen 
auf dem Erdboden , der Tabaksbeutel und Maisblätter 
zum Anfertigen von Zigaretten ging reihum, alle spuckten 
und rülpsten — wie ei auch bei den Mexikanern üblich 
ist — , schwatzten und lachten. Einer meiner Mozos 
untersuchte nun die Umhängetaschen der Leute nach 

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K. Th. Preuß: Die Hochzeit den Maises usw. 



brauchbaren Sammlungsobjekten , prüfte die breiten , in 
schönen Mustorn gewebten Gürtel , deren manche Tier 
bis fünf übereinander trugen, die Figuren in den Kopf- 
bändern, Ohrgehängen und Armbandern u.dgl. in., breitete 
die Tauschartikel verführerisch aus oder hielt die an- 
k'eliKteiir Summe immer «-Inder vnr die AiiL'en 'le.s Be- 
sitzers eines gewünschten Artikels. So konnte ich mich 
ganz meinen speziellen Stndien widmen, insbesondere den 
Texten. Nachdem festgestellt war, daß ich eine Erzählung 
noch nicht oder nicht in der rechten Art aufgeschrieben 
hatte, diktierte der betreffende Huichol — und es war 
dazu fast jeder zu gebrauchen — langsam, wahrend ich 
Wort für Wort wiederholte und Carrillo bei schlechter 
Aussprache des Erzählers als Zwischenglied funktio- 
nierte. Dann wurde sofort eine Interlinearübersetzung 
des von mir vorgelesenen Textes mit Hilfe von Car- 
rillo angefertigt, die zunächst natürlich viel zu wün- 
schen übrig ließ. Sie hatte nur den Zweck, fest- 
zustellen, ob Carrillo alles verstanden habe, und sollte 
mir Gelegenheit ge- 
ben , Fragen nach 
der Bedeutung des 
Inhaltes an den Er- 
zähler zu tun. Alles 
Sprachliche blieb 
dann späterem Stu- 
dium mit Carrillo 
vorbehalten. Die 
Ähnlichkeit vieler 
Wörter und des 
ganzen Baues der 
Sprache mit der der 
Co ra erleichterte die 
Arbeit bedeutend. 
Weiter im Osten, 
z. H. in Sa. Catarina, 
sind die Worte we- 
gen des Wechsels 
von Konsonanten — 
1 statt r und r statt 
x (seh) — weniger 
den Coraworten 
gleich. 

Große Schwierig- 
keiten m.-idite daB 
Aufschreiben der 
religiösen Gesänge. 
Während die Canta- 
dores der Com stets llott jeden Gesang diktierten, dauerte 
es hier lange Zeit, ehe die drei mir zu Gebote stehenden 
Sänger «ich bewegen ließen, mir Wort für Wort mitzuteilen. 
Sie lieferten zunächst unter viel Zeitverschwendung nur 
einen Extrakt mit manchen Zusätzen, noch dazu so apho- 
ristisch, daß der Inhalt Uber eine Aufzählung von Götter- 
namen und Guräten wenig hinausging, und waren dann 
nicht dazu zu bringen , denselben Gesang ausführlich zu 
wiederholen. Erst nach vielen Versuchen — zwei lernten 
es nie — erzielte ich eine wörtliche Wiedergabe, von 
Anfang bis zum Ende, und nun wurde mir zu meinem 
Schrecken klar, weshalb die anderen nicht dazu zu be- 
wegen gewesen waren. Hier wiederholen sich nämlich 
nicht die Gesänge bei den verschiedenen Festen wie bei 
den Cora. Auch gibt es nicht einzelne Gesäuge be- 
stimmten Inhalts, sondern ein einziger Gesang währt 
die ganze Nacht, ein anderer den ganzen folgenden Tag, 
wenn das Fest so lange dauert. Das ist nur möglich 
durch breite Ausführung jedes einzelnen Gedankens und 
seine Anwendung auf die vielen Götter aller vier bis 
sechs Weltrichtungen. Trotzdem sind es nicht direkte 




Abb. 5. Zeremonie vom Fest der calabazas nnd jungen Malskolben 
in Sa. Barbara. 

I>er .Sänget erhebt Jen Kederalab vor dem aufgehängten GUrtel , der den Weg der 
teuninuriie ihm h Otlen bedeutet. Seitwärt» das Hänichen der Mai»guttheit. 



Wiederholnngen , so daß zum Verständnis immer der 
ganze Gesang notwendig ist. So entstehen wahre Un- 
geheuer von Gesängen , die nur dadurch etwas verkürzt 
werden , daß der Chor jeden Satz des Sängers sofort 
wiederholt, angeblich, damit er nicht zu sehr ermüdet, 
und ihm so die Hälfte der verfügbaren Zeit raubt. Es 
ist oft kein Genuß, diesen Cbor zu hören, dessen Teil- 
nehmer in allen möglichen Stellungen um das Feuer 
liegen und sitzen. Es ist manchmal mehr ein Geheul 
als ein Gesang, weil jeder für sich singt, ohne sich um 
die anderen viel zu kümmern. Auch bleibt der Tonfall 
des Sängers immer der gleiche während der ganzen Nacht, 
Doch habe ich einigen mit Genuß zugehört. Bei manchen 
Festen wird ohne Musikbegleitung gesungen, bei anderen 
schlägt der Sänger mit den Händen gleichmäßig auf die 
Trommel, die dem aueuetl der alten Mexikaner gleicht. 
(Abb. 4.) Den Inhalt der Gesänge bildet meist ein Zwie- 
gespräch der Götter mit dem Boten des Feuergottes 
tateuäri — dem losen Schalk Kauyumäri, der ein Hirsch 

ist nnd das Stern- 
feucr zu bedeuten 
scheint, oder mit 
tateuäri selbst. Es 
sprechen Natur- 
objekte, deren Ta- 
ten zugleich erzählt 
werden, Federn von 
Vögeln , Pfeile und 
andero Zeremonial- 
geräte, kurz, es ist 
eine Welt der Wun- 
der, die noch ganz 
den heutigen An- 
schauungen der 
Huichol entspricht. 
Um nur eins anzu- 
führen, so wird in 
dem Tagesgesang 
des Festes der cala- 
bazas und jungen 
Maiskolben ihre 
Reise von Westen 
nach Osten zum 
Ende der Welt und 
zurück nach dem 
Tempel beschrieben. 
Von Westen kom- 
men alle Götter und 



alle Erzeugnisse her, und die jungen Maiskolben tragen 
speziell den Namen eines kleinen Vogels mit gelben Federn, 
der an der Küste lebt. Er heißt uaiuu, und die jungen 
helotes demnach teuuinurixe, wobei te „Mutter" bedeutet. 
Sie werden beim Fest durch Knaben nnd Mädchen im Alter 
von 1 bis 5 Jahren in Festkleidung dargestellt. (Abb. 5 
u. €.) Beim Saatfest nimmt die MaiBgöttin niui-tsika von 
allen Göttern Abschied, weil sie jetzt sterben muß, und ist 
daher die Sprecherin. Da es nun etwa zehn Feste gibt 

— gesehen habe ich bis jetzt das Saatfest (eigentlich 
„Enthülsen des Maises"), das Fest der Folderreiuigung 
(.Waschen der jicaras"), die Feste der calabazas und 
helotes und des Kochens der helotes — und der Sänger 
auch im Falle der Kraukeuheilung oder eines Todes uicht 
unter einer ganzen Nacht Singen seine Arbeit zu leisten 
vermag, so kann man sich ungefähr vorstellen, wieviel Ar- 
beit mich hier erwartet. Eine Aufnahme derselben Lieder 
an einem anderen Punkte des Huichollandes , wo sicher 
wiederum wie in den verschiedenen Puebloa der Cor» 
eino Fülle von Variationen vorhanden ist , wird daher 

— abgesehen von einigen Proben — bei der mir zur 



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K. Th. l'reuli: Die Hochzeit des Mai««« u»w. 



189 



T 



■-•-in. Außer 
bis jetzt da» 
TotenbesuchB 



Verfügung stehenden Zeit nicht möglich 
Teilen von anderen Fnstliedern habe ich 
Fest der Saat, der Felderreiuigung , des 
und der „Kuh", letzteren zur Herbeiführung de« Kegeng, 
aufgeschrieben. I>aB Totenlted wird fünf Tage nach dem 
Tode während der Nacht gesungon , wo der Tote von 
Kauyumdri, dem (iötterboten , aus dem Toteuroiche zum 
letzten Besuch in Beiner Hütte zurückgeholt wird. Hier- 
bei werden die Schicksale des Verstorbenen auf seiner 
Reise nach dorn Totenland im Winten in höchst dramati- 
scher Weise geschildert. 

Ich will hier aber nicht näher auf die Keligion der 
Huichol eingehen, zum Teil achon aus dem einfachen 
Grunde, weil ein Überblick Uber diese Hunderte von Gott- 
heiten, die in den Liedern aufmarschieren, und über die 
verschiedenen Arten von Festen erst am Schluß meiner 
Studien möglich ist. Manche Zeremonien, auch manche 
Zeremonialgeriita sind die gleichen wie die der Cora, und 
ich zweifle nicht, daß auch die religiösen Grundideen 
ähnlich sind 
trotz des Man- 
gels an Götter- 
namen bei den 
Cora und trotz 
der sinnverwir- 
renden Man- 
nigfaltigkeit an 
(»eräten und 

Handlungen 
bei den Hui- 
ohol. Erat die 
Masse dor Er- 
scheinungen, 
die aus den 
gleichen Ideen 
emporwiiehst, 
vermag über 
diese selbst 
Klarheit zn ge- 
ben und damit 
zugleich das 
Dunkel der 
mexikanischen 
Archäologie zu 
erhellen. An- 
scheinend weit- 
ab von der He- 
ligion liegen 
nun die Märchen, die ich im folgenden in wörtlicher 
Übersetzung der Originale wiedergeben will. Doch um 15 
ich auch bei ihnen zum Schluß einige Worte über die 
NatuniuffasHting der Huichol und so über ihre Religion 
anfügen. Iiis jetzt weiBt meine Sammlung einige 40 
Mythen auf, von deneu etwa der vierte Teil Ähnlichkeiten 
mit denen der Com enthält. Trotzdem glaube ich, daß 
noch sehr viele hinzukommen werden, zumal ich in An- 
betracht der ungewöhnlich reichen Ernte im ganzen etwa 
acht bis neun Monat» unter den Huichol zu weilen ge- 
denko, davon die letzten drei Monate in Sa. Catarina 
und den anderen I'ueblos der Huichol. 

Die Hochzeit des Maises. 

Ks herrschte große Hungersnot. .Ich habe Hunger (sagte 
der Mann) und will die Leute fragen.* .Wo kauftet ihr (den 
Mais)*, fragte er sie. .Dort gibt es Mais, geben wir hin 
und kaufen.* Uemeinsam brachen si« auf. .Hier Wullen 
wir übernachten." Sie legten sich nieder. Als er aufwachte, 
war niemand da , und er hatte keine Haare mehr. Kr war 
kahlköpfig. .Was tue ich, ich habe Hunger.* Auf einein 
Bergkaimn (sitzend) sah er oine Tautie herankommen , die 
Mailteig (im Schnabel) trug. .Kanu ich in deine Hütte 




Abb.«. Zeremonie vom Fest der ralnbaxas and jungen Malskolben in 8a. Barbara. 

Im Hintergrunde der Tempel. Vor der Türöffnung der Singer mit der Trommel. Im Vorder- 
gründe ein anderer Singer, W*>iir auf dai Haupt der die Maiskolben darstellenden Kinder 
träufelnd. Eine '.nippe von Weibern »iUt in die »nf dem Boden liegenden helotes und 
raUha»«. Daneben Pfeile und andere Zeremonislgeräte. Der aufgehängte Ourtel bedeutet 
den Weg, den die helutes Mich dem Osten inrUcklegen. 



kommen >* fragt« er. Er machte sich auf den Weg und kam 
zur Hütte. .Gibt es hier Mail zu kaufen! Ich komme hier- 
her, (weil) mich (Leute) aufforderten. Hier bleiben wir 
(sagten sie). Wohin verschwanden sie? 8ie Schoren mich. 
Hier gibt es Mali, sagten sie mir. Wohin verschwanden si«? 
Ich allein komme und möchte Mais kaufen.* .Out*, sagte 
die Besitzerin der Hütte, eine alte Krau, .gut, wenn du willst 
und deine Mutter (gleichfalls) will, so gebe ich dir ein 
Mädchen." Hie öffnete (die Tür und rief): .Komm, gelber 
Mais; mter Mais komm: schwarzer Mais, komm; punktierter 
Mais, komm; weiiler Mais, komm; komm, Kürbisblüb?; komm, 
rote Ouaute'). Du gehst (mit ihm), gelber Mais.* .Nein." 
.Koter Mais, du gehst.* .Nein." .Schwarzer Mais, du gehst.* 
.Ich gehe nicht." .Punktierter Hais, du gehst.* .Ich gehe 
nicht. Morgen oder übermorgen zankt «r mich aus. Ich gehe 
sehr langsam." .Kürbisblüte, du gehst.* .Nein, man 
schneidet mich mit dem Messer." .Rot« Ouaute, du gehst." 
.Nein, man wirft mich fort." .Weißer Mais, du gehst." ,<fa, 
ich gehe.* .»richte fünf Maisbebalter und baue eine schone 
Hütte. Fünf Tage lang legst du (in der Hütte) rote t'empoal- 
bl fiten im ßiidon nieder, gelbe Cempoalblüten im Norden, 
Beton ieas im Osten, Toniprauillas im Westen, und in der Mitte 
legst du Corpusblriten nieder. Fünf Tage lang steckst du in 
der Nacht eine Kerze an. Du schiltst sie nicht, hältst sie im 

Haus« und fegst 
ei rein." » 
machte sich auf 
den Weg. Nach 
fünf Tagen 
langt« (das Mäd- 
chen) an. Kr 
sah den Mais in 
Haufen in seiner 
Hütte und au. 
(Aber) seine Mut- 
ter schalt sie: 
.Bereite (das 
Kssen). Du bist 
eine Frau und 
kein Mann , um 
dir das Essen zu 
geben", sagte sie 
ihr. Sie fing an, 
Mais zu mahlen. 
Das Blut rloli 
ihr von den Hän- 
den. Weinend 
mahlte sie (den 
Mais). Sie ver- 
brannt« sich die 
Hände. (Schließ- 
lich) verschwand 
sie. Kein Mais 
war (mehr) in 
der Hütte vor- 
handen. .Was 
esse ich ** sagt« 
die Alte. .Bring« 
sie wieder, sie 
«ntwich nach 

ihrer Hütte.* Der Mann ging, kam an und fragte: ,Ich 
verlor sie; kam sie (hier hin)"" .Ich sage dir, du hast sie 
gescholten. Ich gebe sie dir nicht (m«hr). Sie kam (hierher). 
Hier ist sie. Ihr« Hände waren ganz verbrannt. Och du 
allein. Du verstehst nicht zu essen * Kr ging. In seiner 
Hütt« angekommen, schalt er seine Mutter: .Du hast sie 
ausgezankt. Deshalb ging si«, und wir werden vor Hunger 
sterben.* 

Wenn einem gesagt wird . daß die Leute , die den 
Helden der (ieschichte kahl Schoren, Ameisen (arrieras) 
sind, so ist der Sinn des Märchens klar. Der Held ist 
der herror«prießende Maiskolben (jilote), der noch keinen 
Mais enthält. Die Arrieras sind dafür bekannt, daß sie 
in langem Zuge den Mais wegschleppen. In meinem 
Kancbo mußt« ich täglich mit Feuerbräuden Krieg gegen 
sie führen. Sie freaBen auch in dem Maisfeld die lang 
herabhängenden Narbeubüschel der jungen Maiskolben 
ab, die die Mexikaner cabellito („Härchen"), die Huichol 
ebenso kupäixa nennen (kupä, Haar), und dann verdorrt 

*) Huichol: uiiue wird zwischen den Mais gesät. Man 
macht tortillas daraus oder trinkt sie in gesüßtem Wasser. Ist 
nicht identisch mit cliia. 



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1H0 



K. Th. Preuß: Die Hochzeit des Maises n»w. 



der Maiskolben. Da die Ameisen unserem Helden diese 
Haare abscheren, während er auf der Suche nach Mais 
ist, so ist »ein „Hungertod" Ton yornherein besiegelt, 
und er vermag daa ihm bestimmte Maismadeben nicht 
dauernd in seinem Hause zu behalten. Alle anderen 
Maissorten mit Ausnahme des weißen Maises wachten 
sehr langsam, daher wollen sie nicht mitgehen: „ich gehe 
•ehr langsam." Der Kürbis wird zerschnitten, und die 
Guautc hat gunz kleine Samen , so daß bei der Ernte 
viel verloren geht: „man wirft mich fort." Die Zere- 
monien bei der Aufnahme entsprechen den Vorbereitungen 
im Hause bei der Maisernte. Fünf endlich ist die heilige 
Zahl der Huichol und Cora. Der Sinn des Märchens 
war sowohl bei den Tora, bei denen ich eine lange Va- 
riante der Geschiente aufschrieb, wie bei den Huichol ver- 
gessen. Die Taube int bei den Cora und Huichol das 
Tier der Krd- und Maisgöttin. Die Huichol nennen den 
Mais in einem von mir aufgeschriebenen Liede direkt 
„Taube". 

IMe Entstehung der Wolke. 

Kr verheiratete sieh. Denn hatten sie ein Kind . das 
immer weinte. Sic mochten ihren Sohn nicht und warfen 
ihn heraus. „Weshalb weinst du * wir töten dioh.' Sie warfen 
ihn heraus. Die Mutter warf ihn hinter die Hütte und blieb 
selbst (inueu). Sein älterer Bruder war nicht zugegen. Am 
Nachmittag kam er und fragte nach seinein jüngeren Bruder. 
„Ich warf ihn heraus", sagt« sie (die Mutter) zu seinem 
Bruder. .Weshalb habt ibr das getan und ihn entfernt?* 
Rr sah nach, ei war niemand da. „Wo hast du meineu 
jüngeren Bruder gelassen*!" Kr weiute. Nur Spuren meines 
Spielens waren vorhanden. Kr fand ihn nicht. Auch die 
Mutter «ah nach, ohne ihn zu finden. .Was widerfuhr ihm»* 
Da der Bruder ihn nicht fand , setzt* er sich nieder. Kr 
machte sich auf den Weg und ging immer seiner Spur nach, 
bis er ihn in einer Lagune fand. Kr redete ihn an: „Rruder, 
ich suche dich, da bist du , komm Bruder, weshalb gehst da 
so weit fort." .(Die Mutter) warf mich heraus. Ich gehe 
nicht. Sie schalten mich. Nein , ich gehe nicht. Geh du 
allein, Bruder." Da weinte dieser und ging. (Der andere) 
wollte nicht. Weinend kam er zu seiner Hütte. ,Wo ist 
dein Bruder*" fragte die Muttor. ,Kr war fortgegangen und 
wollte nicht kommen. Ich forderte ihn auf, (doch) er kommt 
nicht. Hie haben mich gescholten und herausgeworfen. * 
Wiederum machte er sich auf dun Weg: .leb gehe ihn suchen." 
Dort, wo er ihn vorher fand, war niemand da. Er folgte 
immer der Spur, die er spielend hinterlassen , und fand ihn 
in einer Laguue spielen. „Hier kommst du (nach Hause), 
Bruder, ich will nicht, daß du fern bleibst, gehen wir, ich 
schelte dich nicht, komm." „Ich gehe nicht, ich bin fort- 
gegangen. Nur fertige für mich meinen Stuhl, meiue jicara, 
meinen l'feil, meine Sandalen und mein Armband", sagte er. 
.Dann erwartet mich I, V, 3, 4, 5 Nttchte. Ich erscheine woiO 
auf der Spitze des Berges.* An seinem Tage erschien er als 
Wolke. Vater, Mutter und Bruder «etzten Kerzen hin und 
erwarteten ihn. Kr stieg zum Himmel empor und dounert", 
kam zu seinen Kitern und redete zu ihnen. .Wir verstehen 
nicht, was du sagst*, sprachen sie. Kr fiel auf sie herab und 
tötete sie, tötete seine Mutter und seinen Vater. Der Bruder 
allein »Urb nicht. .Nun sind sie tot," sagte er. „Hier regnet 
unsere Mutter." Die Geschichte geht noch weiter. Deshalb 
schlügt der Blitz in die Fichte und in die Kiche, seine Speise, 
Das Kraut") kann er nicht ansreitleu. Hier endet die Ge- 
schichte. Ks bleibe (das Haar auf dem Kopfe). 

Die Schlußsätze erklären die ganze Geschiebte. Fliehe 
und Fichte, die in den höher gelegenen Teilen der Sierra 
vorherrschen , werden häufig vom Blitz getroffen. Sie 
sind die Filtern des Wolkenkindes, da« Kraut ist sein 
Itruder. So meinte auch Currillo, der mir die Geschichte 
diktierte. Allein die Anschauung, daß die Berg- und 
Uegengötter kleine Kinder sind , ist eltruexikanisch. Bei 
den Huichol wird der Regen den Regengött innert der vier 
Richtungen , den Müttern, insbesondere tat« \ (unsere 
Mutter) närimime zugeschrieben, die im Osten wohnt. 
Das Kind ist so klein, daß es nur auf allen vieren kriechen 
kann, obwohl os natürlich spricht wie alle Objekte der 

') Ein hestiinmte* Kraut uaikiüxn. 



Mythen. Und in demselben Alter befanden sieb die 
kleinen Kinder, die in Mexiko als Repräsentanten der 
kleinen Berg- und Regengötter zahlreich geopfert wurden. 
Wenn sie vor dem Akte viel weinten, so galt das als ein 
Zeichen für starken Regenfall — also dieselbe Idee, wie 
sie sich in dem weinenden Wolkenkind des Märchens 
ausdrückt. Die Kerzen uud die Übrigen Gaben an die 
Wolken sind Zereinonialgerüte im Dienste aller Huichol- 
(iotter. Das Schlußwort bedeutet, daß dem Erzähler 
gerade dieser Geschichte das Haar ausf&Ilt, wenn er nicht 
am Schlüsse sagt: „Ks bleibe." 

Erzählungen dieser Art, die einfach einen sich immer 
wiederholenden Naturvorgang schildern, bilden den weit- 
aus größten Teil der Huichol- und Cora-Mythen. Blumen, 
Bäume, Tiere, Wolken uud dergleichen sind die Helden. 
Am meiston ist darunter aber der jährliche Wechsel 
zwischen der Herrschaft des Sterulichtes und de« Sonnen- 
lichtes vertreten, der einen Bruder hat, den Regen, da 
Regenzeit und Sonnenherrschaft zusammenfallen. Als 
Probe gebe ich das Folgende. 

(Eine Schildkröte) konnte eino Bteiuhalde nicht Qber- 
schreiten und rief „ Hirsch !" Dieser kam. .Dich will ich 
nicht*, sagte sie. (Das wiederholte sie im ganzen fünfmal*.) 
Sie rief. Ks kam ein großer Hirsch. .Dieb will ich, du 
setzt mich über, ich kann die Bteiuhalde nicht überschreiten, 
da setzt mich in dem Bache ab." Sie stieg auf. Ein Stück- 
eben war er gegangen, da sagte sie: .Gib mir einen Stein." 
Kr reichte einen. . Kineu anderen schärferen," sagte sie. Er 
gab ihn. Weiter wandernd kamen sie zum Bache. Sie ver- 
setzte ihm Schläge (mit dem Stein), so daß er fiel. Sie stieg 
ab, zog ihm das Fetl ab, schlug Hol« und warf es (in eine 
Grube'». Wahrend sie es hineinwarf, kam (ein Wolf). „Da 
bist du, Schwager* (sagte er). „Ja." .Ich gehe nuu.* .Da 
ich Fleisch dämpfe, so, essen wir, (dann) gehst du." .Nein, 
ich gehe nach telamuyewie, um Mais rösten zu lassen"), ich 
komme sofort", sagte er. Kurz darauf erschien (das Eich- 
hörnchen). „Da bist du , Schwager." .Ja." „Was machst 
du'' .Ich tötet« einen Hirsch und dämpfe ihn." .Gut, wer 
kam vorbei« Hier verläuft «ine Spur." .Ja, ein Mensch 
kam vorbei, er ging (wieder). Es scheint 7 ), er sagte, er gehe 
Mais rösten lassen. Am Nachmittag scheint es f ). kommt 
er." „Gut, nicht Mais rösten geht er, er frißt dich*, sagt* 
(das Eichhörnchen), „er ging seine Gefährten holen. Nimm 
schnell (das Fleisch) heraus, ich mache ein Nest.* Ks stieg 
auf eine Fichte und brach (Zweige) ab. Als es fertig 
war, stieg es wieder herab und brachte das Fleisch herauf. 
„l>ort *«scn wir", sagte es, „Schwager, fasse oben an meinen 
Schwanz." Es sprang, und sie setzten sich nieder. (Kaum) 
waren sie da, so erschien (ein Wolf). „Schwager, ich sagte ee 
dir. - Sie kamen zu dem Loch, suchten und fanden nicht. 
Kine Alte setzte ihren Sohn unter ihren Zufluchtsort. Dort 
suchten sie. Sie fanden nicht Die Schildkrute lieS einen 
Knocheu los. Kr Sei auf den Kopf (des Kindes). Ks nug 
an zu weinen. .Wer warf'" sagte (die Matter). Sie kam 
uud ergriff ihren Sohn. , Sucht", sagte sie zu ihren Ge- 
fährten. Darauf sagte das Kind: „Was ist das? Es ist ein 
Hals") " „Wo?" „Dort ist er.' „In der Tat, wir wollen ihn 
umhauen, bringt eine Axt." Sie brachten eine und fingen 
an zu hauen. Sie gab einen Schlag und einen zweiten. 
Da zerbrach die Axt. „Gut-, bringe (eine andere)." Man 
brachte «i*. 8i* fingen an zu schlagen. Er fällt. „Gut, 
Schwager, er fallt, springen wir, fasse oben an meinen Schwanz.* 
(Das Eichhörnchen) sprang auf «inen anderen (Baum). (Das 
wiederholt sich im ganzen fünf mal'). Sie setzten sieb. „Da 
i»t er", sagte das Kind. Sie kamen und liugen an zu hauen. 
„Ergreife oben meinen Schwanz, Schwager, lasse nicht los, 
wir springen (weit), dort ist ein Bach." Als (der Baum) im 
Fallen war, sprangen sie. (Die Schildkröte) kam bis zur 
Mitte, ließ los und fiel herab. Ks ertönt* der Bach. Sie fiel 
allein in den Bach. Darauf suchte nie sie. .Wo fiel sie hin?" 
sagton (die Wölfe). Sie suchten und konnten nicht finden. 
Sie ermüdeten. Da sagte dor Rabe: „Da ist sie.' .Wo'' 

') Statt fünfmaliger Wiederholung derselben Worte gesetzt. 
') Ilm m unter der Krde zu dampfen. 
*) Als Zukost zum Fleisch. 
'") Eigentlich .man sa^t* (uaniü). 
") Der vorgestreckte Hals der Schildkröte. 
") Statt der Wiederholung fast der gleichen Worte des 
Testes gesetzt. 



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191 



sagt er?", sprachen sie. Kr schleifte sie am Boden und rief: 
.Da." Sie lief«» herbei, fanden sie und verzehrten sie. «Geht 
Wasser holen, Knaben, wir wollen trinken." Sie gingen zum 
Wasserloch , als tie ankamen , war ea trocken. Sie kamen : 
.B» ist nichts da, es ist trocken " .Geht zum Kluß Wasser 
holen, dort ist es nicht ausgetrocknet." Bei ihrer Ankunft 
war es trocken. .Es gibt keins", kamen sie zurück. „Geht 
zum Bach nach Was*er , dort trocknet es nicht aus." „Ks 
war nur Schmutz da." Sie fanden nichts. Alle Knaben 
starben vor Durst. Während sie im Sterben waren, badete 
das Eichhörnchen, das ein Mensch war, in einem Bache und 
warf ein weuig Wasser in die Höhe. .Werfe, werfe uns zu, 
wir wollen trinken*, sagten sie atu ihm. E« warf ein wenig, 
(das Wasser) blieb dort. .Sterbt," sagte ea, „ihr habt das Wasser 
ssen, ihr versteht Wasser zu machen, trinkt das Wasser." 
starben vor Durst. Nachher sagt« es zu ihnen — zwei 
wareu übrig — : .Übergebt euch.* Sie übergaben «ich. ,Nuu 
naht die Schildkröte zusammen und stopft Baumwolle hinein." 
Sie taten es. .Mnche Wämser", sagten sie zu ihr. Kin wenig 
kam heraus. Sie leckten ea auf. .Weshalb?" sagte (da* 
Eichhörnchen) zu ihnen. »Laßt es zum Klusse gelangen, dann 
trinket." Darauf sagte e» zu ihnen: .Nun trinket. Niemals 
tut da* gleiche, (nonst) züchtige ich euch.' Bje tranken das 
Wasser, indem sie sich niederwarfen und lange so verharrte». 
Dann erhoben sie sich und legten Aich an derselben Stelle 
nieder. Wihreud sie da lagen, platzte der eine auf, und 
Wasser sprang heraus. Auch der andere platzte auf. Nun 
starben sie. Bas taten sie. Nun besteht die Schildkröte aus 
(Stückchen und ist zusammengefügt. Nur so weit geht die 
Geschichte. 

Bei den Cora, wo ich eine Variaute derselben Erzäh- 
lung aufachrieb, war der Glaube noch lebendig, daß die 
Sterne Hirsche sind. Das geht auch aus ihren , sowie 
aus den religiösen Zeremonien der Huichol hervor. „Die 
Schildkröte macht, daß das Wasser fließt", sagte mir ein 
Cor«. Von den vielen Arten von Eichhörnchen in der 
Sierra ist das teakü genannte der Erzählung das Tier 
der Sonne, d.h. die, Sonne selbst, wie mir z. B. bezuglich 
des tacuache (h. yauuxu, wahrscheinlich das Opossum), 
des Tieres des Feuergotte» , unzweideutig gesagt wurde, 
daß es dieser selbst, d. h. das Feuer sei. Da nun hier 
Eichhörnchen (Sonne) und Scliildkröte (Wasser) in höohst 
origineller Weise vergesellschoftet sind , so ist die Be- 
ziehung auf die gleichen Schicksale der Sonne und des 
Waasers in der Natur ohne weiteres klar: Zur Zeit des 
nördlichsten Sonnenstandes hat die Rogenzeit bereits ein- 
gesetzt, und bald nach der Herbirtgleiche hören die Kegen 
auf. In vielen anderen Erzählungen tritt die Sonne als 
Befreier des Bruders Wasser auf. Wiederum in anderen 
haben beide die gleichen Schicksale, es geht beiden 
schlecht, und ihr Gegner ist tlkAkaim-, der „Nächtliche", 
der Gott des Todes, d. h. die Nacht, die zur Trockenzeit 
dominiert Eb tötet also die Schildkröte, d. b. die Regen- 
zeit, den größten Hirsch, die Sterne. Während sie und 
das Eichhörnchen, die Sonne, mit der Zubereitung und 
Verspeisung des Fleisches beschäftigt sind , kommen die 
Sterne bereits allmählich wieder, wie ea ja tatsächlich 
sofort nach dem Siege der Sonne um die Sonnenwende 
geschieht, und zwar in Gestalt eines Wolfes, der seine 
Genossen bezeichnenderweise vom Süden heraufholt, von 
dem Ort tetamuyewie (»wo der Stein hängt"), der im 
Süden von GuadalupoOcctan im südlichsten Huicbolgebiet 
liegt. Die Sanne hat nämlich nach alttnexiknnischer 
Anschauung stets mit den Sternen des Südhimmels, dun | 
.vierhundert südlichen" (ceutzon uitznaua) zu kämpfen, 
da sie zur Zeit ihrer schwersten Kämpfe im Winter bzw. 
in der Trockenzeit im Süden woilt, I lern Wasser werden 
oben wie in den anderen Erzählungen Sonnenachicksale 
zugewiesen. Schließlich unterliegt die Schildkröte, die 
Trockenzeit beginnt. Nur das Eichhörnchen (die Sonne) 
hat immer Wasser, Ha diesem nach der Huicholanschauung 
ebenso wie nach der der Altmexikaucr immer von Osten . 
kommt. Das Zerstückelt- und Wiederzusammengesetzt- 
werden der Schildkröte ist wiederum ein Sonnen- 
schicksal: die Sonne wird im Winter in die Sterne zer- 



stückelt und ersteht im Frühling wieder als eine einzige 
Sonne. Das gleiche geschiebt mit der Sonne in (testalt 
des Leguans in einer Geschichte der Cora, und in meinem 
vorigen Reisebericht (Globus, Bd. 90, S. 165) habe ich 
die Cora-Zeremonie des Hähnezerreißens im Hochsommer 
mitgeteilt, die in gleichem Sinne zu deuten ist und alt- 
mexikanischem Festbrauche entspricht '*). Bai den 
Huichol ist der Hahn gleichfalls das Tier der Sonne, 
d. b. die Sonne. Die Idee der Zerstückeins rührt also 
nicht etwa von dem Aussehen der Schildkrötenscbale 
her, die aus vielen Stückchen zusammengesetzt er- 
scheint Die Bezugnahme auf diese Gestalt der Schale 
ist nur Begleiterscheinung wie überhaupt alle Erklärun- 
gen de» Aussehens eines Tieres, die in Mythen vor- 
kommen. Auch daß die Wölfe die Schildkröte fressen 
und dann die Teile wieder von sich geben, ist ein Sonnen- 
Schicksal. 

Eine andere Geschichte der Huichol läßt die Sonne im 
Winter der Erde den Rücken zukehren und zum Himmel 
aufsteigen, wo sie an Geschwüren krank daniederliegt. 
Andere aber, die bei ihr sind, trinken den Eiter und das 
Blut das aus den Wunden herabträufelt Daß die Sonne 
vollständig verzehrt wird, was ja nicht den Naturverbält- 
nissen entspricht, ist nur ein weiterer Schritt im Verfolg 
dieser Idee und entspricht den umgekehrten , wo die 
Sonne im Frühling die Sterne verschluckt wie der alt- 
mexikanische Früblingsgott Xipe oder wie der griechi- 
sche Kronos , der nicht nur im Frühling seine Kinder, 
die Sterne, verschlingt sondern sie auch wieder im Herbst 
von sich gibt So verzehren die Wolfe, d. b. die Sterne, 
im Herbst das Wasser, das an Stelle der Sonne steht und 
geben ea im Frühling im Beginn der Regenzeit wieder 
von sich, wo die Schildkröte, das Wasser, ihrerseits 
den Hirsch, d. h. die Sterne, tötet und verzehrt. Beide 
Teile verleiben sich den Glanz des Gegners im Herbst 
bzw. im Frühling ein, das Sonnenlicht verwandelt sich in 
das Licht der Sterne und umgekehrt 1 '). 

Endlich ist auch das Material, mit dem die Schild- 
kröte ausgestopft wird, nicht beliebig, Bondern absichtlich 
ist ungesponnene Baumwolle genommen, das bei den Cora 
wie bei den Huichol „Wasser" bedeutet 

Ich könnte nun schließen, möchte aber auch diese 
wenigen Beispiele aus meiner Mythcnsammlung nicht 
ohne eine kurze Nutzanwendung dahingehen lassen, zu- 
mal meine Texte reiches Material iübezug auf die Ent- 
stehung von Mythen aufweisen. Zunächst werden alle 
Erzählungen als absolute Wahrheit aufgefaßt: früher war 
es so. Früher waren die Wurzeln, Pflanzen, Blumen, 
Früchte, Bäume, Tiere, Borge, das Wasser und andere 
Naturobjekte, die handelnd und redend in den Erzäh- 
lungen auftreten , Menschen , wushalb häufig tewiari, 
.Mensch", zudem Namen des Naturobjektes hinzugesetzt 
wird Der Mensch selbst kommt nur ganz verschwindend 
in den Mythen vor, obwohl er anscheinend oft der Held 
ist. Es wird nämlich immer frisch darauf los erzählt, 
ohne zu sagen, welches Tier oder sonstiges Naturobjekt 
der Erzählung zugrunde liegt. Erst wenn mau direkt 
fragt, erfährt man manchmal , was gemeint ist. Dabei 
ist auch das Konkrete der ganzen Anschauung bemerkens- 
wert Sage ich %. B., dieser Mensch scheint das Wasser 
zu bedeuten, so erwidert der Erzähler, „inan nagt, es sei 
ein Wassermann.* Andererseits sind viele Naturobjekte 
Tiere. Ei st wenn man davon überzeugt ist, daß der Mensch 

w ) Vgl. hierzu die Mythen von der Zerstückelung de* 
Dionysos in meiner Arbeit: Der dämonische Ursprung des 
griechischen Dramas, erläutert durch altmexikanische Paral- 
lelen, Neue Jahrb. f. d. kla«. Altertum XVIII, laotl, S. 17) ff. 

") Ich muß zum näheren Verständnis auf meine frühere» 
Arbeiten, insbesondere auf die angeführte verweisen. 



aX 



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192 



I'.: Ruturlins Kxpeditioii au die Kolyma. 



in diesen Geschichten nicht vorhanden ist, und man weiß 
bzw. abnt, welches Naturobjekt (gemeint ist, ist ein Ver- 
ständnis aus dar Natur dea betreffenden Gegenstandes 
möglich. Die Geschichten sind in der Hauptsache nichts 
weiter als Schilderungen von alltäglichen , sich wieder- 
holenden Naturrorgängen , die aber Sa Berat wunderbar 
und abenteuerlich erzählt werden. Der Grund, weshalb 
man diesen Vorgingen so viel Interesse entgegenbrachte 
und in der Art wiedergab, liegt in der Auffassung be- 



sonderer (Zauber-) Kräfte, die jedes Naturobjekt beeilst, 
teils au sich, teils als Abbild eines anderen Objektes, wie 
ich es in dieser Zeitschrift (Bd. 87) unter dem Titel „Ur- 
sprung der Religion und Kunst" ausgeführt habe. Dal! 
z. B. der Mais zur Ernährung dient, ist eine so wunder- 
bare (Zauber-) Kraft des Maises, daü sein ganzer Lebens- 
lauf wichtig und interessant ist Die ältesten Erzählun- 
gen haben aUo dieselbe Wurzel wie die Religion, nämlich 
die Zauberkraft der Dinge. 



Bntarllns Expedition an die Kolyma '). 

Eine Krisia in den Krnahrungsverhälrniiiseu der Völker 
Mordostasiens veranlaßt* das russische Ministerium des Innern, 
eine besondere Expedition an die Kolyma zu senden, und 
zum Leiter derselben wurde auf Anfrage bei der kaiserl. 
russischen Geographischen Gesellschaft und auf deren Emp- 
fehlung S. A. Buturlin ernannt. 

Die Reise fand im Jahre l»üS statt, das sieh durch »eine 
Kälte auszeichnete. Bei Wcrchne-Kolyrask dauer- 
die Fröste bis Kode Juli (neuen Stils), und an der Mün- 
: begannen sie schou wieder vom 10. September an. Aber 
augenscheinlich befinden sich sogar die nördlichen Grenzen 
dieses Landes, die mit der Insel Kolgujew auf demselben 
Parallel Hegau, dennoch in günstigeren Verhältnissen als jene 
Insel; hier wimmelt es in der Tundra wahrend de» Kommers 
von Getier und Vögeln, selbst Ameisen und Grillen kommen 
vor, was auf Kolgujew nicht der Fall ist. Sogar Getreide- 
bau ist hier möglieb. Nicht weit von Werchne-Kolyrusk, fast 
unter dem Polarkreis, baut der Kolonist Surowzow Gerste 
und Koggen, und wenn dies auch im Charakter des Garten- 
baues geschieht, so wird doch eine Krnt« erzielt, und in der 
Regel ist der Ertrag weit mehr aU das Vierfache. Per 
Boden ist längs des ganzen Tales der Kolyma aufgeschwemmt, 
und die klimatischen Verhältnisse werden mit dem Ausroden 
des Waldes immer besser. 

Das Hauptgewerbe der Bewohner bilden aber doch der 
Fischfang und die Jagd auf Pelztiere. Im Jahre l»o:> war 
der Fang sehlecht, angeblich, weil die Mündung des Kolyma 
verschüttet war. Allein Buturlin ist dieser Meinung nicht, 
weil die Kolyma nicht schmäler ist als die Wolga und auch 
•in großes Delta hat. Im Gange der Fische findet aber offen- 
bar manchmal ein Wechsel statt, So gab c* l(K>r> in den 
Niederungen viele, im Mitteltauf des Klasse* wenig Fische, 
während es 1904 umgekehrt war. Iiier spielt vielleicht der 
Begen eine Rolle, der da* Wasser stark hebt, da die Verdun- 
stung nicht groß sein kann und der Boden voll Ki* ist. 

Da es keinen regelmäßigen Handel im Laude gibt und 
es auch an häutigen periodischen Verkehrsverbindungen fehlt, 
so bedeutet sogar ein reicher Fischfang an der einen Stelle 
noch keinen Nutzen für die Bewohner einer anderen ent- 
fernteren Stelle, da jeder nur für sich and seine Familie Vor- 
räte anlegt. Sehr viel Futter fressen die Hunde, die schon 
von NUehne-Kolymsk an die einzigen Mittel der Beförderung 
bilden. Auf Brot kann man nicht rechnen; es ist teuer — 
II Rubel das Pud (lti,3$* kg)l 

Die Einwohner haben auch — wieder der Teuerung 
wegen — nicht genug Fisch fanggeriite. Schlepp- und Stell- 
netze. Hier benutzt man Netze aus Pferdehaaren; sie haben 
8 Saschcu (zu 2,13 m l Länge und 1 Arschin (0,71m) Höhe. 
Im Winter frieren sie leicht an und geben zugrunde, und 
im Herbst kommt es vor, dali das Eis eine ganze Masse von 
Netzen gleich auf einmal mit fortreißt. Sonach ist di« Nach- 
frage nach I'ferdehaaren groß, aber der Vorrat daran klein. 

Ein sonderbarer Widersprach : Fische genug, Vögel genug 
und doch häutig Hungersnot! Das liegt nur daran, daß es 
an Händen mangelt. Die Bevölkerung hat nach den Pocken, 
die hier in den »Oer Jahren hausten, sehr abgenommen, und 
die einzelnen Familie können beim Suchen nach Beut* nicht 
mehrere« auf einmal machen. So ist es z. I). leicht, Ganse 
wahrend ihrer Mauser mit Schleppnetzen zu fangen, jedoch 
muß da schon das ganze Dorf daran teilnehmen, um sie in 
die Kalle zu treiben, sonst brechen sie leicht durch. Die 
Vögel aber mit der Flinte zu schießen, ist unpraktisch, weil 
das schlechteste Fenenrteingewehr SO bis <iö Rubel kostet. 
Das Hungerjahr 19o5 äußerte sich »«gar bei den Tschuk 
die an der Kü«te des Eismeeres wohnen, schwer. Sie 
- sollte, man ineinen — einen wirklichen Ersatz an 
dem Itenntier, aber auch hier gah es Unglück: die Itenntiero 



gingen an einer Hufkrankheit zugrunde. Die Tschuktechen 
klagten auch über die Wölfe, sowie darüber, daß sie zu 
wenig Strychnin hätten. Die alto Methode, diese Räuber zu 
vernichten, die schon Baron Wrangeil beschrieb, nämlich 
mittels Fischbeins, das dick mit Fett bestrichen wird und 
sowohl als Köder wie als Todeswaffe dient, weil es von den 
Wölfen verschlungen wird — diese Metbode haben die 
Tschuklscben vergessen. Ja es gibt auch jetzt kein Fisch- 
bein mehr, nur die reichen Tschnktschcn benutzen es noch, 
indem sie es auf die Kufen ihrer Narten schlagen. 

Der Rückgang der materiellen Verbältnisse zwingt viele 
Tschuktschen , zur seßhaften I<cbensweise tiberzugehen und 
sich mit Fischerei und Robbenfang zu beschäftigen. Übrigens 
sind die Tsohuktscben ein findige«, unternehmendes uud 
energisches Volk; sogar ergraute Männer, die ihr ganzes 
Leben lang nur Renntiere gezüchtet haben, weigern sich 
nicht, sich für jeden Fall mit Netzen zu versehen. 

Die vorherrschende Bevölkerung im Lande sind Jakuten 
und Russen. Die Jakuten haben ihre Wohnsitze von Werchne- 
Kolymsk bis Nischue-Kolymsk und haben am mittleren Lauf 
des Flusses ihren Typus, ihre Gewohnheiten und ihre Sprache 
bewahrt; hier sprechen auch die Rassen Jakutisch. Aber im 
Delta sind die Jakuten russifiziert, können nicht mehr Jaku- 
tisch, haben sich, wie die Jukagiren, mit den Russen ver- 
mischt, reden ein verdorbenes Russisch, indem sie wie die 
Kinder die Buchstaben r und 1 nicht aussprechen, und es ist 
•ehr schwer, sie stu verstehen. Di« Russen sind halb seßhaft. 
Von Weibnachten bis zum Frühjahr wohnen sie in Winter- 
lagern, die übrige Zeit schweifeu sie im Delta umher und 
haben Sommerwohnungen. So gibt es in Sucharno (im Delta 
der Kolyma) 35 Häuser, aber das ganze Jahr hindurch wohnt 
uur eine Familie dort. Im Frühjahr kommeu die Leute 
hierher, um ihre Geschäfte auf dem Meere zu betreiben, im 
Sommer gehen sie wieder fori, und im Herbst machen sie 
sich auf, um mit den Tschuktschen zu handeln; hauptsäch- 
lich kauft man von ihnen Kleider. 

Der Handel im Lande ist Tauschhandel, und obgleich 
der Wert einer Ware nach Rubeln bestimmt wird (der Deut- 
lichkeit halber), so kann mau doch nichts für Geld erhalten. 
Die Hauptwaren sind Ziegeltee und Blättertabak. Bei der 
Einförmigkeit der Nahrung ist der Tee schon kein Luzus 
mehr, sondern ein wirkliches Bedürfnis für den, der weiß, 
was Brot iBt. Leider dehnt die Krone ihre Handelstätigkeit 
nicht auf dieso Hauptgegenstände aus und beschränkt sich 
darauf, die Bevölkerung mit Pulver, Blei und Haaren zu 
versehen, wenn auch alles zum Selbstkostenpreis, mit nur 
geringem Zuschlag zur Deckung der Frachtkosten. Im Jahre 
l»ü5 hatte ein Blatt Rauemtabak (machönka) einen Wert 
von 1 Rubel. 

Drei Kronlager: in Werchne-Kolymsk, in Srcdne-Ko- 
lyinsk und in Nischne-Kolymsk, sind bei den ungehouren 
Entfernungen zwischen diesen Orten nicht genug, und wenn 



') Nach einem Vortrag in der ni-^ia. lnn Ge..j;ri,|,lii-.rlien G,-wll- 
tcl.Afi in .St. IMmburg, 24. Jjdhjit (ß. Kchru .i) 1907. 



man im Winter über Unwegsamkeit nicht klagen kann, so 
bleibt im Sommer als einziger Verkehrsweg der Fluß, und 
stromaufwärts wird man um einer Kleiuigkeit willen nicht 
weit fabreu. Eine weitere Unbequemlichkeit ist folgende: 
Man verkauft in den Niederlagen nur gegen Geld, und dazu 
ist da* Land noch nicht reif. Will man so abgelegenen 
Stämmen, wie es die Völker Xordsibiriens sind, helfen, so 
muß man sich von dem Beispiel des energischen, jetzt ver- 
storbenen Engelhardt leiten lassen: Er errichtete X. B. auf 
Nowaja Semlja für die Samojeden eine Kronniederlage, in 
der Tauschhandel betrieben wurde, und niemand hat davon 
Schaden gehabt. 

Am Schluü seines Berichtes zeigte Buturlin auf einem 
Lichtschirm eine Menge von Bildern. Da gab es Tschuk- 
tschon und Jukagiren, die einander ähnlich sind, ferner 
liusseu, die man nicht sofort von dou einheimischen Völ- 
kern unterscheiden kann. Man konnte mit eigeuen Augen 
sehen, wie die Hunde in die Narte gespannt werden, und 
hören, il»B man mit. ihnen 700 Werst in weniger als drei 
Tagen zurücklegen könne. Man sah ein Henntier mit i ' 



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Dr. J. (iangler: Der Kreuzschnabel als Hausarzt 



198 



Sattel fast auf dem Halte. Unwillkürlich verletzte man »ich 
in das ferne, vergessene Land mit «einen üauschen ohne 
Jtiicbcr wie alte Getreidedarren und obue Ofen, mit einem 
primitiven Herd in der Mitte — ein Komfort, der von Ver- 
bannten entnommen wurde. Man wundert sich über den 
unbegreiflichen Reichtum an FUchrn, obgleich der Flufl an 
«echt bis »leben Stelleu nacheinander von einem Ufer zum 



anderen mit Neuen überspannt ist, weil der Andrang das 
erste Netz fortreißt, das zweite und dritte füllt — und für 
das siebente Netz reichen die Fische auch noch. Man be- 
dauert die Aussätzigen, vor denen sich — so »ondertar es 
auch sein inaij — nicht all«; einheimischen Volker fürchten. 
Man bat Teilnahme für die Frau des Jukagiren: die Arme 
muH öfter ihr Hans auf dein Buckel schleppen. F. 



Der Kreuzschnabel als Hausarzt. 

Ein Beitrag zur Kenntnis des Vogelaberglaubens. 
Von Dr. J. (jengier. 



Vögel mit abenteuerlichen Gestaltet! oder auffallenden 
Lehensgewohnheiten haben von alters her das besondere 
Interesse der Mensehen erregt und ihnen Stoff zu märchen- 
haften Erzählungen, abergläubischen Geschichten und 
allerlei anderem Hokuspokus gegeben. Man denke nur 
an den Storch, den Kuckuck, den Wiedehopf und an 
manche Kulenarten. 

Von frühester Jugend an mit unseren Vögeln und 
ihrem Wesen in Freiheit und Gefangenschaft vertraut, 
habe ich es niemals unterlassen, die mir Ton Vogelstellern, 
Jägern und Vogelliebhabern erzählten, oftmals anver- 
trauten Geschichten über manche Vogolarten zu notieren 
und aufzubewahren ; denn auch das Wissen solcher Dinge 
erschion mir nicht unwichtig neben Systematik und 
Biologie. 

Die aus zwölf altweltlichen Arten und klimatischen 
Unterarten bestehende Gattung Lozia Linn. 1758, zu 
deutsch die Kreuzschnäbel genannt, ist so recht angetan, 
Eindruck auf don einfachen Sinn des Volkes zu machen. 
Die achöue rote Farbe der alten Männchen, der relativ 
große, bald nach rechte, bald nach links gekreuzte 
Schnabel, das papageienartige Gebaren und die auf- 
fallende Tatsache, daß der Vogel, herumzigeunernd durch 
die Lander, sich plötzlich da, wo er Überfluß an Koni- 
ferenBAmen, seiner Hauptnahrung, findet, ansiedelt und, 
gleiobgOltig, ob eisiger Winter oder glühender Sommer 
herrscht, sein Fortpflanzungsgeschflft verrichtet , maßte 
den Menschen unbedingt auf diesen Vogel aufmerksam 
machen. Da nun der Kreuzschnabel sein Hauptquartier 
meist in den großen Waldangen gebirgiger Gegenden 
aufschlägt, so wurde er in erster Linie ein Freund der 
einfachen, oft weit vom Weltverkehr abgeschlossenen 
Gebirgler. Am Thüringer Wald, im Vogtland, im Fichtel- 
gebirge, im bayerischen Hochgebirge und in Tirol ist der 
Vogel fast ein steter Hausgenosse der Dörfler geworden, 
und diese haben mit ihrem znm Aberglauben neigenden 
Sinn ihren rotbefiederten Liebling bald mit Sagen und 
Märchen um woben. Dem Fremden, der aus Neugierde 
fragt, erzählt ein solcher Kreuzscbnabelbesitzer allerdings 
nichts Interessante» von seinen Vögeln: merkt er aber, 
daß der Frager selbst eis) Mann der Zunft ist, so wird 
er bald beredt und weiß oft ganz merkwürdige und kaum 
glaubliche Geschichten von seinen Krunimachnäbeln zu 
berichten. 

Ehe ich die von mir an Ort und Stelle gesammelten 
Kreuzsehnabolgeschichtcn wiedergebe, möchto ich folgende 
drei Zitate anführen. In der Naturgeschichte der deut- 
schen Vögel von Friderich, neu herausgegeben von 
Alexander Bau, steht S. 197: p I)ie Landleute haben den 
wunderlichen Glauben, die Kreuzschnäbel zögen die 
Krankheiten der Menschen an sich; die Vögel, welchen 
der Haken des Oberschnabels recht« hinabhängt, sollen 
die I-eiden des männlichen Geschlechtes und die, welchen 
der Oberecbnabel links hinabkreuzt, die Krankheiten des 
weiblichen Geschlechtes nn sich ziehen. Ja, glaubens- 
starke Leute gehen so weit, das Wasser zu trinkeu, in 



welches der Vogel seine Kxkremente fallet 
liest man in der Naturgeschichte der Vög 
von Naumann, neue Auflage, Bd. Hl, 8. 
die Krankheiten der Menschen, besonders 



i ließ." Ferner 
sl Mitteleuropas 
J27: „Sie sollen 
Flüsse und 



Gliederreißen, an »ich ziehen, die Rechtsscknäbler die der 
männlichen, die Linksschnäbler dagegen die der weib- 
lichen Personen ; es soll das Wasser aus dem Saufgeschirr 
eines solchen Vogels die Gicht vortreiben ; es soll in dem 
Hause, in welchem ein Kreuzschnabel gehalten werde, 
keine Fcucrsbrunat entstehen." Und in der Ornitho- 
logischen Monatsschrift, 1904, S. 486, Anmerkung, steht 
zu lesen: „In manchen Gegenden glaubt man, daß die 
Vögel mit rechts gewendotvm Oberschnabel den »Fluß- 
bei Männern, die mit links gewendetem bei Frauen an 
sich ziehen." 

Nach diesen allgemein gehaltenen Erzählungen will 
ich über die wunderbaren Eigenschaften des Kreuz- 
schuabol» nach meinen eigenen Forschungen beriohten. 

In dem im bayerischen Regierungsbezirk Oberfranken 
gelegenen Fichtelgebirge konnte ich folgendes in Er- 
fahrung bringen. Der Leichnam des Kreuzschnabels ver- 
west niemals, sondern trocknet zur Mumie ein, die die 
Federn behält Das Haus, in dem eine solche Mumie 
aufbewahrt wird, ist sicher vor jeder Sturmes- und Fe 
gefahr. Bei einer Blutung, gleichviel ob am 
oder menschlichen Körper, wirkt der oberhalb der Wunde 
aufgelegte ausgetrocknete Kreuzschnabelkürper sofort 
blutstillend, also Icbonerhaltend. Der lebende, in einem 
Käfig im Hause gehaltene Vogel bewahrt dieses und 
seine Inwohner vor Unglück, schützt die Familie vor 
Krankheiten, und wenn auch eine solche wirklich einmal 
ausbrechen sollte, so macht der Vogel Bie unschädlich, 
indem er sie an sich zieht. Vielfach wird auch, besonders 
den Kindern erzählt, daß der Kreuzschnabel, als Jesus 
Christus am Kreuze hing, herbeigekommen und mit 
seiner ganzen Sippe versucht habe, die Nägel aus den 
Händen und Füßen deB Gekreuzigten zu ziehen. Dabei 
sei sein graues Gefieder von dem heiligen Blute rot und 
sein Schnabel von den kantigen Nägeln gekrümmt worden. f 
Zum Andenken an diese schöne Tat habe Gottvater deu»* 
Vogel und seiner Nachkommenschaft da« rote GefiedeV^ 
und den gekreuzten Schnabel belassen. Auf diesen bei^fcjw 
katholischer wie protestantischer Bevölkeraug gleich ver- 
breiteten Glauben geht die eine Strophe von J. Mosen: 

„Mutbeträufell und ohne Kjmtfu 
Mit dem Schnabel zart nud klein 
Möclit' den Heiland es vom Kreuze, 
Seines Schöpfers Sohn befrein.* 

Während die andere seine wundenheilondo Eigen- 
schaft besingt: 

„Wer sieh im Wald beschädigt, 
Dem sang er zu die Wund", 
Und selbst den Fieberkranken 
Machte sein Lied gesund." 

Im Vogtlande, im sächsischen wie im bayerischen, 
besteht der lilaube, daß ein im Hause gehaltener Kreuz- 



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194 



schnabel das Haus Tor Krankheiten jeder Art, nament- 
lich aber vor fieberhaften, mit Hautröte eirihergebeuden, 
ansteckenden Krankheiten bewahre. Besonder!) wirksam 
in dieser Hinsicht ist ein schön roter, mit einem gelben 
Halsriog versehener Vogel. Da eine solche Färbungs- 
abnormität natürlich höchst selten ist, steht ein so ge- 
zeichneter Kreuzschnabel sehr hoch in Ansehen und 
Preis. Für Gichtkranke ist ein Kreuzschnabel unent- 
behrlich ; er lindert sofort die Schmerzen und heilt die 
Krankheit in kurzer Zeit, wenn der Kranke den Vogel 
ganz allein pflegt und dessen Badewasser trinkt, oder 
wenn der Vogel als Getränk das Mund spül wasser des 
leidenden zu eich nimmt. 

Ähnliches erzahlt R. Berge in „Hie Vögel der Um- 
gegend von Zwickau'', S. 80: „Her Kreuzschnabel wird 
nach dem alten Volksglauben immer noch viel gegen 
"Hauskreuz« und Kinderkrankheiten gehalten, rechts 
geschlagen für Knaben, links geschlagen für Mädchen." 

Zu Wassersuppen in Böhmen wurde mir auf meine 
Frage, wozu mau hier Kreuzschnabel halte, geantwortet: 
„Kein Haus soll ohne den roten Vogel sein, denn er 
beschützt die Bewohner vor Not und Krankheit-, bringt 
aber Jemand eine Krankheit von außen mit, so zieht 
diese der Krivka sofort an sich und macht sie unschädlich.' 4 
Dr. Fritsch bemerkt in seinem Werk „Die Vögel Böhmens*, 
S. 67 in einer Anmerkung beim Fichtenkreuzschnabel: 
„ Abergläubische Leute hängen den Käfig mit diesem 
Vogel oberhalb der Krankenlager, damit er die Krankheit 
an sich zieht" 

Als ich vor Jahren von Jena aus als junger Student 
das schöne Thüringen durchstreifte, fand ich in allen 
Ortschafton auch in den kleinsten Hütten Kreuzschnäbel 
in winzigen Käfigen sowohl in als an den Behausungen 
hängen. In eioera kleinen Dorfe nahe Ilmenau fragte 
ich einen alten Schneider, ob denn die Kreuzschnäbel so 
schön sängen, weil sie von allen Leuten gehalten würden? 
Da meinte der Alt«: »Der Grien itz singt auch schon, 
aber er hat noch ganz andere treffliche Eigenschaften. 
Kr nimmt das Unglück vom Haus, hält Krankheiten, 
besonders die Gicht, fern und heilt böse Wunden sehr 
rasch. Außerdem ist der Vogel den Nagelschmiedcn 
heilig, weil er einst die Stacheln aus der Dornenkrone 
und die Nägel aus den Händen und Füßen des Gottes- 
sohnes hat ziehen wollen." Ich erfuhr dort ferner, daß 
eine große Monge der eingewöhnten Vögel in die Studio 
käme, wo sie besonders gern von den Krankenschwestern 
in den Spitälern gekauft würden. Daß letzteres nicht 
erlogen war, bewies sich mir spüter, da ich in verschie- 
denen Kliniken, die ich besuchte, Kreuzschnäbel als 
Pfleglinge der Krankenschwestern vorfand. Als ich ein- 
mal in Bamberg über dem Butte eines kränklichen 
Knaben einen Kreuzschnabel im Bauer hängen sah, 
fragte ich die Mutter deshalb. „Die Krankenschwester", 
war die Antwort, „hat mir geraten, einen Molchen Vogel 
zu halten." 

Von den Thüringern sagt Alfred Brehm auch in 
seinem Werke „Gefangene Vögel", Bd. I, S. 295: .Man 
glaubt, daß sie Krankheiten der Menschen an sich ziehen, 
und zwar die Männchen solcho der Männer und Knaben, 
die Weibchen solche der Frauen und Mädchen, hält sie 
deshalb in Krankenzimmern, trinkt sogar das Wasser, 
in welchem sie sich gebadet oder welches sie sonst wie 
verunreinigt." 

Wenn ich nicht irre, war es in Paulinzella, wo ich 
einen Aufkäufer fotterfester Kreuzschnäbel sah. Dieser 



( hatte eine große Menge der roten Vögel in seinem Hause 
aufgestapelt, um sie hei gelegener Zeit an städtische 
Händler zu versenden, von denen sie teils an Liebhaber 
teils an glaubensstarke Leute verkauft werdon. Gleiches 
führt auch Kollibar in seinen „Vögeln der Provinz 
Schlesien", S. 271 an: „In der Gegend von Ziegenhals 
wird ein umfangreicher Kreuxschnnbelfang betrieben; 
in der ärmlichen Stube manches Webers kann man in 
aufeinandergestellten Käfigen Hunderte der Vögel er- 
blicken, die auf ihren Vorsand warten." 

Im bayerischen Gebirge wurde der Kreuzschnabel 
früher ebenfalls fast in jedem Hause gehalten, jetzt siebt i 
man ihn viel seltener dort. Im Berchtesgadener Land 
deutet sein Name „Wehdamsvogel" auf den ihm vom 
Volke aufgezwungenen Beruf hin. Auch hier zieht er 
die Krankheiten, besonder« die mit Hautröte oinher- 
gehenden an sich und bringt Glück dem Hause, in dem 
er gehalten wird, sowie dessen Bewohnern. Ja sein Ver- 
halten wird als eine Art (ilücksbaromator angesehen. 
Ist der Vogel still und ruhig, so passiert auch nichts 
Besonderes, hüpft er aber munter umher, singt er frisch 
und lustig sein einfaches Lied, so steht dem Hause eine 
große Freude bevor. 

Im bayerischen Algäu, wo der Kreuzschnabel nur 
wenig gehalten wird, konnte ich nur erfahren, daß er, 
in die Krankenzimmer gebracht, den Leidenden Linderung 
und Genesung verschafft. Andreas Wiedemann sagt 
vom bayerischen Regierungsbezirk Schwaben: , Manche 
Leute halten die Kreuzschnäbel zu dem Zwecke in dem 
Käfige, daß diese Vögel den Rotlauf und andere Krank- 
heiten an sich ziehen sollten." 

Die Tiroler waren und sind teilweise noch leiden- 
schaftliche Kreuzschnabelliebhaber. Schon gleich hinter 
der bayerischen Grenze in Beuttc und Lermoos, um Kuf- < 
stein, besonders aber in und um Innsbruck erblickt man 
überall gek&figte Kreuzschnäbel. Die befragten Leute 
behaupten zwar ullo, die Vögel würden nur des (iesanges 
wegen gehalten, doch ist dies nur «um Teil so, auch 
hier spielt ein Stück Aberglaube mit herein, denn Dalla 
Torre und Anzinger schreiben: „Nicht nur die fast mühe- 
und kostenlose Erhaltung de» "Schnabls*-, sondern auch 
seine Eigenschaft als Hausarzt usw. fallen hier ins 
(iewicht." 

Dies meine Aufzeichnungen über den roten Vogel. 
Die in der Literatur aufgestellten Behauptungen, daß die 
Männeben die Krankheiten der Männer usw. au sich 
zögen . konnte ich merkwürdigerweise niemals von den 
liefragten Leuten zu hören bekommen, obwohl ich mich 
stets eingehend danach erkundigt*. 

Wie nun diese bei den deutschen Gebirglern in Nord 
und Süd so übereinstimmenden Sagen entstanden sind, 
konnte' ich nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls hat 
die rote Farbe des Vogels einen ursächlichen Zusammen- 
hang mit der Meinung, daß er lieberhafte Krankheiten 
un sich ziohe. Das aber konnte ich erfahren, daß die 
Sage sehr alt ist, denn z. B. im bayrischen Gebirge 
existiert« sie schon als uralt« Sage im 17. Jahrhundert, , 
und im Vogtlando war sie im Anfang des 18. Jahrhunderts 
als alte Geschichte überall verbroitot. 

Erklären läßt sich nur die Sage vom nie verwesenden 
Kreuzschnabel. Denn ein reichlich mit Koniferensamen 
ernährter Vogel ist so mit Harz durchtränkt, daß sein 
Leichnam, vor Flei-chfliegen bewahrt, tatsächlich zur 
holzharten Mumie eintrocknet und sich so längere Zeit 
aufbewahren läßt. 



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Kloine Nachrichten. 



195 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck aar Bit Qo«U«Miie>t>« (MUltal. 



— Die geographische Verbreitung des afrikanischen Grau- 
sebakals nimmt Max Hilxheimer (Zoolog, Beobachter, 
47. Jahrg. 1900) zum Anlafl, um eines merkwürdigen Paral- 
lelisiuus zwischen Europa, Asien, Afrika eineraeita und Nord- 
uud Südamerika andererseits zu gedenken. Heide Male findet 
mau von W i 1 d h u n d e n im Norden den Wolf und Heu 
Fuchs. In einem mittleren Gebiete kommt dann in der 
Alten Welt der Schakal, in der Neuen der ihm an Größe 
und Körperform gleichende Präriewolf dazu. Beide teilen 
auf einem ziemlich grollen Areal das Gebiet miteinander, 
aber jedesmal geht die kleinere form weiter nach dem Süden 
wie der Wolf. Im 8iiden int da» Gebiet dann von Wild- 
hunden bewohnt, die in eigentümlicher Weise zwischen Scha- 
kalen und Füchsen stehen. Ks Helle sich dieser Parallelismus 
auch sonst noch «riter im einzelnen verfolgen. 



— Studien über südamerikanische Caniden in dem uatur- 
historischen Museum zu Bern (Mitteil, der Naturforsch. Ge- 
sellscb. in Bern aus 100.V06) geben Th. fUuder Gelegenheit, 
darauf hinzuweisen, daß ein eigentümlicher Parallellsmus 
zwischen der t'anidenf auna des äquatorialen Afri- 
kas und der Südamerikas besteht, ohne daß er damit 
einem direkten verwandtschaftlichen Zusammenhange das 
Wort reden will. Wenn man von den echten Fuchsarten 
»der Alopecinen, welche in Südamerika nicht vertreten sind, 
absieht, so hat man in Afrika einesteils echte Schakale in 
Canis variegatua und inesomelas, andererseits in Canis late- 
ralis einen Caniden, der wie die Cerdocyonarteu den Alope- 
cineu sehr nahe steht , endlich eine groOe, hochbeinige Art, 
den Canis simensls, die wie Canis lateralis mehr Alopecinen- 
cbarakter in ihrem Schädelbau zeigt uud eine Parallelform 
zu Canis jubatus darstellt. 

— Die Eisenbahn Lobito (Benguela) — Katanga. 
Die berühmte erzreiche Landschaft Katanga im Quellgebiet 
des Kongo mit der Außenwelt in Verbindung zu bringen, 
ist der Zweck verschiedener Eisenbahnprojekte. Zunächst 
strebt die Kap— Kairubahu jenem Ziele zu; sie ist nordlich 
des Sambesi bis jenseits des Kafue (Bröken Hill) fertig, und 
eine Zweiglinie soll sich nach Kasanschi und Kambove, den 
künftigen Minenzentren Katangas, wenden. Die Kap— Kairo- 
hahn ist somit diesem Ziele bereits am nächsten gekommen. 
Aber die Entfernung von Katanga bis Kapstadt beträgt 
.1500 km, und deshalb würde «ich der Verkehr mit Katanga 
sehr teuer gestalten. Kürzer wäre die Verbindung über 
Bulawayo und Salisbury nach Deira. aber dieser Hufen liegt 
Westeuropa noch ferner als Kapstadl. Ein zweites Projekt 
rechnet mit dem Kongo uud will die durch Fälle getrennten 
Flußstrecken seines oberen Systems durch Eisenbahnen um- 
gehen. Ks sind hierzu auch schon vor vier Jahren Vor- 
studien ausgeführt worden (durch Jacques), aber man hat 
nichts weiter darüber gehört. Ein neueres drittes Bahn- 
projekt will Katanga durch eine Linie mit dem unteren 
Kougo, z. B. dem Stanley Pool, verbinden, doch scheint es 
noch ganz in der Luft zu schweben und wenig aussichtsreich 
zu sein; denn die Entfernung betragt 1800 bis ÜO00 km. und 
die Terrainschwierigkeiten dürften erheblich »ein. 8<> kommt 
gegenwärtig als emsthaftes Konkurreuzprojakt der Kap — 
Kairobahn gegenüber nur die 1500 m lange Linie Lobito — 
Katanga in Betracht, um so mehr, als an ihr schon seit mehr 
als l 1 /, Jahren gebaut wird. Der Plan wird von dem Eng- 
länder Kobert Williams durchgeführt, der mit anderen Kapi- 
talisten «ine Konzession auf das erzreiche eigentlich» Ka- 
tanga, den südlichen Teil der Landschaft, hat. Renguela hat 
man deshalb nicht als Ausgangspunkt gewählt, weil seine 
Reede schlecht ist. Man ließ vielmehr die Bahn in der Bai 
vou Lobito, etwas nördlich von Bengucla, beginnen, wo sich 
ein besserer und dabei geräumiger Hafen bot- Es herrscht 
dort bereits infolge des Eisenbahnbaues ein sehr reges Leben. 
Das nächste Ziel der Bahn i«t Bihe, das bekannte Handels- 
zentrum des südwestlichen Xi|uatorialafrika, jetzt besonders 
durch seinen Kautschukhandel wichtig. Um Bihe zu er- 
reichen, ist ein Höhenunterschied von 1500m zu überwinden; 
die Bahn steigt hier den Rand des zentralafrikanischen Pia 
teaus hinauf. Hier sind die Schwierigkeiten und deshalb 
die Baukosten am größten. Weiter landeinwärts laufen die 
1200 km bis Kasanschi der Sambesi-Kongowasserscheide ent- 
lang Uber meist wellenförmiges Gelände ohne nennenswerte 
Hindernisse. Gegenwärtig ist das 32 km lange Stück Lobito 
— Katumbela — Benguela fertig, und östlich von Benguela 
wird eifrig Tag und Naehl daran uearheiiet., die ffcilin die 



enge Schlucht von Lengue hinaufzuführen, wozu mehrere 
kühne Brücken nötig sind. In der Nacht arbeitet man bei 
elektrischem Licht — In einer Gegend, wo vor 20 Jahren 
die terra incognita Innerafrikas begann, und die portugiesi- 
sche Macht nur auf dem Papier stand. Kongostaatliches Ge- 
biet berührt diese Bahn bis Kasanschi nicht. 



— Die Bedeutung der Meeresströmungen für die 
Besivdelung Melanesiens schildert O. Thilenius im 
5. Beih. zu d. Jahrb. d. Hamb, wisaensch. Amt-, Jahrg. 23. 
IVO«, wie folgt: Im Osten ist überall eine unmittelbare Ein- 
wirkung der Polynesicr oder Mikronesivr während der ganzen 
Passatzeit zu erwarten, dagegen erscheint ein direkter Ein- 
fluß Melanesiens — mit Ausnahme von Fidschi — auf den 
Osten ausgeschlossen. Gleich einseitig sind die Beziehungen 
zu den Marshallinselu anzunehmen, jedoch mit der Einschrän- 
kung, daß sie auf die Zeit um den Januar fallen. Im Westen 
ist weder melanesischer noch polynesischer Einfluß (Passat) 
auf Nordaustralicn und Ostneuguinea ganz abzuweisen, noch 
umgekehrt ein solcher von Ostneuguinea auf Kordmelanesion 
(Monsun). Welter reichende Verbindungswege führen an 
der Nordküste Neuguineas entlang, wenn sie auch nur dem 
Bitmarckarchipel zugute kommen dürften. Die Passatzeit 
kann hier Boote über Holländisch-Neuguinea hinaus selbst 
nach den Westkarolinen bringen; in der Monsunzeit bestellt 
eine Verbindung in umgekehrter Richtung von den Molukken 
her, jedoch mit der auch für Ostneuguinea geltenden Ein- 
schränkung, daß bemannte Boote schwerlich während der 
schlechten Jahreszeit in nennenswerter Anzahl nach dem 
Osten gelangen; ausgeschlossen erscheinen dagegen Verbin- 
dungen Melanesiens mit Ausnahme vielleicht (!) des Bismarck- 
archipels — von den Zentralkarolinen her, während die Ost- 
karolinen den Marsballinseln annähernd gleichgesetzt werden 
mögen. Andererseits besteht gerade auch für die Zentral- 
karolinen die Möglichkeit einer Verbindung mit Polynesien, 
zumal den Kllice- Inseln. Im QagonsaU zum Osten, wo der 
Passatstrom Polynesier und Mikronesier nach Melanesien 
trieb, benutzten im Westen die besser ausgerüsteten Indo- 
nesier und Asiaten den Monsunstrom, das gleiche Gebiet zu 
erreichen. 



— Otto Zacharias, der unermüdliche Vorkämpfer für 
Planktonkund«, fordert (Arch. f. Hydrobiol-, Bd. II, 1907) die 
Errichtung einer biologischen Ueichsanstalt, (ur 
die er einmalige Ausgaben von, gering gerechnet, 200000 M. 
und einen jährlichen Etat von 300O0 M. herausrcchiiet. Haupt- 
sächlich ist es ihm darum zu tun. bessere Vorbedingungen für die 
Hebung des biologischen Unterrichts an unseren Lehranstalten 
zu schaffen, wie sie bisher weder auf Universitäten, noch 
auf anderen Instituten bestehen. Um nämlich der Jugend 
biologischen Unterricht erteilen zu können , muß man ein 
guter Kenner der heimischen Tier- uud Pflanzenwelt sein- 
Eine fernere Uauptbedinguug ist, daß der Schüler die Diug« 
wirklich in natura sieht, von denen die Rede ist. Das Ziel 
eines vernünftigen biologischen Unterrichts stellt aber eine 
ganz anders geartete Unterweisung iti der Naturkunde vor, 
als sie bisher üblich war. E» kommt vor allem darauf an, 
einen Weg zu finden, wie man dem Schüler eine Reibe lehr- 
reicher Tatsachen aus den Gebieten der Zoologie uud Bo- 
tanik rasch und mit sicherem Erfolge übermitteln kann, daß 
er im späteren Leben daran anzuknüpfen und Nutzen dar- 
aus zu ziehen imstande ist. Eine solche Studiengelegenheit 
kann nur in einer biologischen Sdßwasserstation gegeben 
sein, zu der sich die von Zacharias geleitete schon wegen 
ihrer Kleinheit nicht eignet, dann aber auch, weil sie ganz 
andere Aufgaben zu lösen hat. Mit Recht werden folgende 
Worte zitiert, die nicht oft genug wiederholt werden können: 
.Bahn frei für die Naturwissenschaften, Bahn frei vor allem 
für die Wissenschaft vom Leben.* 

— Wir wollen unsere Leser auf die Beschreibung 
einer Reise von Wien nach Lissabon hinweisen, die 
Christian Adolph v. Anacker 17:io zurücklegte (Archiv 
für Kulturgeschichte. Bd. V. I»ö7). Aus den an sich an 
spruchslosen und nicht zur Veröffentlichung bestimmten Auf- 
zeichnungen des Verfassers fällt mancherlei Licht auf die 
Kulturverhältnisse jener Zeit. 

— Im Archiv für Kulturgeschichte (V. Bd., 1907) ver- 
öffentlicht J oh. Müllerais einen Beitrag zur mittelalterlichen 
Verkehrsgeographie eine Arbeit über die Mauptweiio des 



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im 



Klein« Naohriobten. 



niirnbergischen Handels im Spätmittelalter. Be- 
kanntlich konnte diene frei« Reichsstadt bis zur Entdeckung 
Amerikas und den Seeweges nach Ostindien in kommerzioller 
wie in rein geographischer Beziehung; all Zentrum Europas 
angesehen werden. Die regelmäßige, sternförmige Anordnung 
der drei großen Welthandeisstrußen Hrfi«wel— Wien, Hamburg 
— Wien und Breslau— Genf , die sich in Nürnberg kreuzten, 
erklärt sich ohne weiteres aus der symmetrischen Lage der 
oben genanntem sechs WcltbaudelsplaUe auf der Peripherie 
des Kreis**, der Mitteleuropa nui dem Körper Kuropas her- ( 
ausschneidet. Zwischen diese sechs grollen aufstrahlenden ' 
Handelsstraßen schoben Bich dann noch sechs Nebenstraßen ! 
ein. Kreitich voreinigten »ich von diesen dir Erfurter mit 
der Leipziger Straß« bereits in Koburg , die Aug*burger mit 
der Münehener in Weißenburg a. N , dafür schoben sich alier 
zwei weiter« ein. 80 kommt man dazu, drei bayerische 
Straßen zu unterscheiden, schwäbisch« waren es vier, an den 
mittleren Rhein und nach Hessen führten die große Frank- 
furter Handelsstraße und über Schweinfurt die hessische. Die 
beiden Thüringer teilten sich, wie gesagt, erat in Koburg. 
Die Voglliinder und die Böhmische, auch die Bayreuther 
und Prager Straße genannt, hielten genau die Richtung Kord 
oet und Ost ein. Was die Zahl der Zollstätten anlangt, so 
dürfte wohl die Frankfurter Btraße unter alleu die best- 
zedachteste gewesen sein. Über die Verkehrshohe der «in- 
belnen Straßenzüge eine einigermaßen richtige Vorstellung 
zu gewiunen, ist bei dem Mangel au Nachrichten über die 
Zolleinnahmeit der wichtigeren Zollämter außerordentlich 
schwer. Gegenüber der Verkehrshöhe der großen Kisenbahn- 
linien unserer Zeit verschwinden freilich die ermittelten 
Wagenzntilen , aber man muß auch nicht vergessen, daß die 
Bevölkerungsdichtigkeit seitdem eine weitaus andere geworden 
isu Laufende und reitende Boten, welche die Korrespondenz 
des Nürnberger Rate» mit den vorzüglichsten Nachbarstädten 
und -Staaten besorgten, gab es bereits ziemlich früh; letzter« 
sicher seit dem Jahre 1449. Im 15. Jahrhundert handhabte 
man drei Tarifsaue für die Botenlöhne. Die mindeste Taxe 
zu 1 Schilling und 2 Pfenuige für eine Heile galt für den 
Umkreis von einem Halbmesser von etwa 10 bis 12 Meilen; 
bis zu '!;> und Hl) Meilen wurde für die Meile 1 Schilling und 
.1 bis 4 Pfennige entrichtet; weiter hin stieg der Satz auf 
1 Schilling 5 bis 7 Pfennige. Den Wasserstraßen schenkt« 
man bereits damals große Beachtung, und Main wie Donau, 
die von Nürnberg aus verhältnismäßig rasch zu erreichen 
waren, wurden von der Nürnberger Handelswclt im Spät- 
mittelalter in sehr ausgiebiger Weise benutzt, wenn auch die 
vielen und zum Teil hohen Zölle sich oft als recht lästig 
und den Transport verteuernd erwiesen. 



— Die Forschungen des holländischen Arztes Dubois, die 
in dem Kunde der vielumstrittenen Reste des „Pithec- 
anthropus" bei Trinil auf Java, de* angeblichen Mittel- 
gliedes zwischen Glbbou und Mensch, gipfelten, will Krau 
Selenka, die Gattin und Reisebegleiterin des verstorbenen 
Prof. Selenka, fortsetzen. Die Mittel dazu hat ihr die Ber- 
liner Akademie der Wissenschaften zur Verfügung gestellt. 
Teilnehmer au der Expedition sind der Berliner Zoologe Dr. 
Moszkowski, der Grcifswalder Geologe Dr. Elbert und der 
holländische Ingenieur Oppenoorth. Die pleistozänen vul- 
kanischen Geateinstrümmerlagen des Solobaehea bei Trinil, 
wo Dubois jene interessanten Reste (Schadelstück, Zähne, 
Oberschenkelknochen) fand, solleu sich über ein weites Ge- 
biet hinziehen, und Krau He.lenka hofft, durch umfangreiche 
Ausgrabungen zur Klärung der Streitfrage beitragen zu 
können. 

— Die Alexandersche Expedition durch Afrika, 
über die hier mehrfach berichtet worden ist, hut vor einigen 
Wochen ihren Abschluß gefunden, und ihr Leiter, Leutnant 
Hoyd Alexander, ist im Kebruar aus Ägypten in lioudon 
eingetroffen. Die Führung hatte zunächst dessen Bruder, 
Kapitän Claud Alexander, der »her bereit« im Nm einbor 
1904 in Mairone in Boruu starb; ein zweites Mitglied, Kapi- 
tän Gosling, starb im Juni 190« am Ubangi. Die Reise be- 
gann im Frühjahr 1904 und ging den Niger und Hernie bis 
Ibi hinauf. Von hier wurde der Land marsch nach Bornu 
augetreten. Nach Forschungen auf dem Tsadsee zog die 
Expedition den Scbari hinauf bis zum l'bangi. Weiter ging 
es diesen und den TJclle aufwärts, dann durch das Bahr-cl- 
fihusal uud schließlich den Yei hinunter zum Nil. Die Kr 
gebnifcse sollen besonders in naturwissenschaftlicher Beziehung 
reich aoiu (z. B. Schädel, Knochen und Fell.- des Okapi). Die 

Kuropa gelaugten 



und Kartrn betreffen das Forschungsgebiet zwischen dem Be- 
nue und dein Tsadsee, sowie die Fahrten auf diesem See 
selbst (vgl. Globus. Bd. 88. 8. 148 und Bd. 89, 8. ;«7). Auch 
wurde ein kurzer Brief des Leutnant* Alexsuder über die 
Lebensweise des Okapi bekannt (Globus, Bd. 90, 8. SO). Wei- 
teres wird er nun wohl bald veröffentlichen. 



— Über das Erdbeben von Kingston am 18. Januar 
1907 (vgl. Globus. Bd. »I, 8. 148) hat Prof. P. Carmody, 
der es als Augenzeuge mit erlebte, den .Ti^l«•• «inen Be- 
richt gesandt, dem einige bemerkenswerte Einzelheiten ent- 
nommen seien. Holz und demnächst Zement haben als Bau- 
material dem Stoß am besten widerstanden, Ziegel und Steine 
schlecht. Bei einer Prüfung der Wirkung in den Straßen 
Kingstons ergab sich, daß die Ost- und Westmauarn der Ge- 
bäude gewöhnlich zusammengestürzt waren , während die 
Nord- und Südmauern nur wenig gelitten hatten. Man kann 
daraus schließen, daß die Erdbewegung in ostwestlicher Rich- 
tung verlief. Jene Ost- und Westmauern waren vom übrigen 
Teil der Gebäude abgefallen und gegeneinander gestürzt, so 
daß es in den engeren der vielen uordsüdtich verlaufenden 
Straßen den bedrohten Einwohnern unmöglich gewesen war, 
zu entfliehen. Die Oslwesutraßen der Stadt sind im all- 
gemeinen breiter und wareu deshalb, besonder* abar wegen 
der nord- und südwärts gerichteten Häuserfronten , weniger 
mit Trümmern bedeckt und für die Bewohner weniger ge- 
fährlich. Erwähnenswert« Veränderungen in ihrer Stellung 
weis«» die Denkmäler auf dem Hauptplatz von Kingston 
auf. Die Statue der Königin Viktoria auf der Südseite des 
Platzes ist auf ihrem Sockel ein wenig nach links gedreht, 
eiu« zweite Statue an der Nordseile dementsprechend etwas 
nach recht«. Die im Nordosten stehende Statue de« Paters 
Dupout war vom Sockel herabgeworfen und zertrümmert 
worden, ebenso war ein« Statue auf der Westseite mitten 
durchgebrochen nnd der obere Teil heruntergefallen. Diese 
vier Denkmäler sind etwa je 1Ü0 m voneinander entfernt. 
In Kingston wurde das Erdbeben von den meisten Leuten als 
ein heftiges seitliches Schwingen empfundon, das daun in 
ein starkes Auf- und Abschütteln überging und hierauf auf- 
holte. Das Knirschen der übereinander gleitenden Ziegel 
und Steine war das erst« Anzeichen dafür, daß e* sich niebt 
um eins der gewöhnlichen westindischen Erdbeben handelte. 
Windstoße traten nach Sonnenuntergang ein, und zwischen 
7 uud H Uhr abends wurde ein zveiter Erdstoß verspürt. In 
der Nacht folgten noch sechs odei sieben weiter«, uud die 
Stöße wiederholten sich wahrend des nächsten Tage« und 
der nächsten Nacht, ohne daß jedoch nennenswerter Schaden 
eulmand. 



— Eine Karte von Deutsch-Ostafrika mit Angabe 
der nutzbaren Bodeuschätze, Maßstab 1 : 2 000 00-) , be- 
arbeitet von Max Moisel, ist in 3. Auflage im Verlage von 
Dietrich Reimer (Berlin 1907, Preis « M.) erschienen. In 
ihrer ersten Bearbeitung war die*« Karte dem Jahresbericht 
über die Elitwickelung der SchuUgehlete für 11103 beigegeben. 
Die Orte des Vorkommeus jener nutzbaren Bodenschätze sind 
durch farbige Zeichen kenntlich gemacht, denen dann noch 
der Name de« Minerals beigvschriebwn ist. Wir ersehen dar- 
aus, daß in der Kolonie mancherlei vorkommt, nämlich außer 
dem Eisen noch folgendes: Gold. Bleierze (bei Kondoa-Iraugi), 
Graphit (im äußersten Südosten), Steinkohle (im Kondelaud 
und bei Wiedhafen), Braunkohle (Im Südosten), Erdöl (bei 
Usutnbura), Glimmer (besonders bei Mrogoro, dann im Hin- 
terlande von Kadani, bei Mahenge und am Nordeude des 
Kiwunecj»), Granat eu (bei Mpapua uud am unteren Husum»), 
Achate und Amethyste (südlich vom unteren Mlagaraasi) 
und Kaotiu (südwestlich von Bukoba). Kalkstein ist bei Ma- 
henge und bei Tanga verzeichnet. Außerdem deutet die 
Karte noch heiße Quellen (in der Nähe des unteren Ruflji, 
bei Tanga, am Kiw-u und im Kageraknic), sowie die be- 
kannten Solquellen am unteren Miagarassi an. Die Karte 
ist ein nützliche» Übersichtsblatt, zumal sie auch die Fahr- 
straßen, die Telegraphenlinieu, die Stationen, Post-, Zoll- 
ämter u. dgl. enthält; doch ist ihr kein Text beigegeben, 
und dieser Mangel kann bei einem nicht vorsichtig veran- 
lagten Beschauer falsche Vorstellungen hervorrufen. So 
wimmelt es im Süden des Viktoriasees von den Signaturen 
für Goldvorkomuicn, so daß der Eindruck entsteht, als habe 
man dort eine Art Kalifornien oder Australien vor eich. 
Das ist aber gar nicht dir Kall. Aus diesem («runde kann 
die Karte allein nicht als Grundlage irgend welcher 



II. »Inger, 1 



t.R. - nruok. Frlxdr. VI,-»*« 11 Hohn. Brjnr.^).w».|j. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 



HERAUSGEGEBEN VON H. SIN OER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dk. RICHARD ANDRER 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 13. 



BRAUNSCHWEIG. 



4. April 1907. 



Aus dem Leben der Wapogoro. 

Ein ethnographischer Beitrag. 

Von Dr. med. Hermann Fabry, Assistenzarzt iu der Schutztruppe für PeuUcb-Ostafrika. 



Geographie. Allgemeine». Der eigentliche Stamm- 
sitz der Wapogoro ist das Upogoro- Gebirge im Bezirk 
Mahenge (Deutsch-Ortafrika). Alte Stammesangehörige 
behaupten, ursprünglich habe sich das Land der Wapo- 
goro auf da» l'pogoro- Gebirge Oberhaupt beschrankt. 
Jetzt ist das Gebiet diese* Stammes auagedehnter. Öst- 
lich vom Upogoro-Gebirge verbreiten sich die Wapogoro 
in der Lohombero-Kbene bis 011 don Unterlauf dos Luwegu. 
Luwegu und Ulanga vereinigen »ich bei den Mberera- 
Bergen zum Rufiji. 



Im Vereinigungs- 
gebiet wohnen Wa- 
pogoro, deren An- 
siedelungen nun 
dem Laufe des Rufiji 
folgen bis zu seinem 
Mittellauf, und zwar 
zu beiden Seiten des 
Stromes. Auch nörd- 
lich vom Upogoro- 
Qebirge bewohnen 
Wapogoro nicht nur 
die Auslaufer des 
Gebirges in die 
Ulanga-Ebene, son- 
dern auch einen be- 
nachbarten Teil der 
Ebene selbst noeb. 
Der Kernpunkt ihres 
Gebietes bleibt je- 
doch das Upogoro- 
Gebirge. 

Die Wapogoro 
unterstehen ihren Jumben, teils kleineren, teils größeren. 
Die größeren legou sich unter dem Einfluß der Kultur 
den Namen Sultan zu. Diu beiden größten sind im Ge- 
birge selbst der Sultan Lolero, dicht bei der Station 
Mahenge, und der Sultan Ligauga, etwa zwei Tagereisen 
von der Station entfernt Einen gemeinsamen Stammes- 
sultan gibt es nicht; jeder Sultan oder Jumbe beherrscht 
die Seinigen selbständig. 

Die Wapogoro gehören zu den Bantu-Stammen. Ihre 
Nachbarn sind im Norden dio Wabuuga, im Osten die 
Wagindo, im Süden Wagindo und Wabena, im Westen 
Wabena und Wahehe. 

In ihrem Lande wohnen dio Wapogoro in Dörfern, 
die sieh aus etwa 10 bis 20 Hütten zusammensetzen und 

«lolmi XCI. Sr. 13 




je etwa eine halbe Stunde auscinandcrliegeu. Früher 
bauten sie ihre Hütten mit Vorliebe zwischen den zahl- 
reichen (Marmor-) Felsen des L'pogoro-Gebirges; schmale 
Zugänge zwisohen den Spalten der Felsen, durch dio sich 
mühsam ein Manu durchzwängen konnte und die leicht 
zu verteidigen waren, schützten sie vor deu gefürchteten 
Oberfallen der kriegerischen Wabnnga. Auch heute noch 
sieht man viele Dörfer versteckt und idyllisch zwischen 
bewachsenen Felsen liegen, natürliche Festungen, zu 

denen man den Ein- 
gang suchen muß. 
Doch ist heute, wo 
der deutsche Einfluß 
die kriegerischen 
Unternehmungen 
der Eingeborenen 
vereitelt, der Zweck 
dieser Anlagen ver- 
altet, und vielfach 
bauen die Wapogoro 
nunmehr auf freiem 
Felde. 

Vielleicht ist 
der Anbruch dieser 
dauernden Frie- 
densara nicht ohne 
Einfluß auf die 
Bevölkerungsziffer, 
wenn man bedenkt, 
daß früher wohl 
mancher Mpogoro 
in den Raubzügen 
der Wabnnga sein 
Leben lassen mußte. Ein anderer Würgengel der für ihn 
wehrlosen Naturkinder fiel ebenfalls der vorschreiteuden 
Kultur zum Opfer: die Pockenseuche, die erfolgreich 
durch die* Einrichtung der Schutzpockenimpfungen durob 
das Gouvernement bekämpft wird, so daß man eine Zu- 
nahme der Bevölkerung ohne Trugschluß annehmen kann. 

Leute über 50 Jahr sieht man wohl kaum. Wie bei 
den übrigen Negern unserer Koloniu ist auch der Wa- 
pogoro Leben durchschnittlich von kürzerer Dauer als 
das der Europäer. 

Wohnstätten. Alle Einrichtungen der Wapogoro 
tragen den Stempel des Primitiven, entsprechend ihrem 
geringen Kulturgrade. Abb. 1 zeigt ein typisches Haus. 
Wir sehen dort eine niedrige, rechteckige, fensterlose 

->(» 



GEBIET 
DER WAPOGORO. 



D;e Wohniitm d«r Wipogoio 
liod d-sto» IBM putturt« 
LiQjs omiogtn 



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1SW 



Dr. med. Hermann Fatiry: Au» dem Leben der Wapogoro. 



Hütte mit Grasdacb. Einen guteu Maßstab für die Höhe 
der Behausung geben die vor dem Hanse stehenden 
Kinder ab, deren kleinstes bequem mit der Hund auf dun 
Dach reichen kann. Das dicke Grasdach erfüllt in der 
großen ltegenzeit seinen /weck vollkommen; es lullt 
nicht einen Tropfen Wasser durch, seine Fasern und 
Itündel legen sich infolge der Regengüsse nur noch dichter 
aneinander. Die Seiteuwando des Hauses sind auffälliger- 
Weite nicht mit Lehm gedichtet, dessen sich die Wapo- 
goro nicht bedienen. Sie rammen zur Herstellung eines 
Neubaues in regelmäßigen Abständen armdicke Pfühle in 
die Erde; diese verbinden sie sowohl an der Außen- wie 
an der Innenseite mit dünneren Bambusstöcken, die sie 
mit Hast an den Grundpfählen befestigen. Von oben 
gesehen kommt dadurch der in Abb. 2 angedeutete Quer- 
schnitt der Seitenwand xuitande. In dem freien Zwischen- 
raum zwischen den Grundpfählen werden nun, fest auf- 
einander gehäuft, die Stiele der Negerhirse aufgeschüttet, 
die in ineinander geproßten Lagen eine dichte Suitenwand 
abgeben. Der Fuß- 
boden wird fest- 
gestampft, der Dach- 
stuhl aus Bambus 
wird mit langem, 
trockenem Gras ge- 
deckt, und das an- 
spruchslose Hnns ist 
fertig. 

Auch eine Tür 
ist leicht hergestellt 
Gröbere Bambus- 
stöcke werden neben- 
einander gelegt und 
durch ein Netzwerk 
von zarteren ver- 
bunden. Das Ganze 
siebt aus wie eine 
Mntte, die etwas 
größer als die Tür- 
öffnung ist und von 
innen durch eine 

Federvorrichtung 
aus Holz geschlossen 
wird. Diese Feder- 
vorrichtung ist sehr 
einfach (Abb. 3). Im 
Innern des Hauses 
sind, einen halben Meter von der Wand entfernt, der Tür- 
öffnung gegenüber zwei Pfähle eingerammt, entsprechend 
der Weite der Türöffnung, die Pfähle a und b. Ein dritter 
Balken •/ wird in der Mitte des Abstanden dieser Pfosten 
gegen die Tür geklemmt und durch einen Querbalken r, 
der von oben vor n und h auf <l gelegt und selbst von il 
einerseits, a und l> andererseits in seiner Lage gehalten 
ist, fixiert. Je kräftiger C nach unten gedrückt wird, 
um so energischer wird d in der Pfeilrichtung gegen die 
Tür fixiert, die von außen nunmehr nicht mehr geölinet 
werden kann. Die biegsame Tür wird ordentlich in die 
Türöffnung hineingepreßt. 

In seinem Hause lebt der Mpogoro mit seinen Ziegen 
zusammen, während er für Hühner kleine Stalle baut. 
Auf dum Fußboden unterhält er sein Holzfetier und 
qualmt das Haus voll. Man muß sich wundern, daß der 
beizende Rauch nicht seine Augen rot färbt und nicht 
seinen Kehlkopf kitzelt. Mann und Frau und Kinder 
sitzen mitten im Hauch und atmen, als existiere er nicht 
für sio. 

Der Mpogoro schläft auf dem Fußboden. Erst in 
neuerer Zeit und auch nur dn, wo sich der Verkehr mit 




Abt). 1. YVapogoro-Haus. 



anderen Stämmen geltend macht, taucht die Bettstelle 
bei ihm auf: ein niedrige« Gestell, das mit einem Flecbt- 
werk überzogen ist. Im allgemeinen Jedoch gilt sie auch 
heute noch als Luxusartikel. Als dürftiges Surrogat für 
sie dient dem Mpogoro eine geflochtene Matte, auf die 
er seine müden Glieder abends hinstreckt, oder in die er 
sich vollkommen einwickelt, falls sie etwas breiter aus- 
gefallen ist — Einen Abort gibt es nicht 

Stirbt der Hausbesitzer, so wird seine Hütte ver- 
brannt Sie stellt ja auch keinen großen Wert dar. 
Selbst die nächsten Umwohnenden legen Feuer an ihre 
Hütten und sagen: „Das ist ein böaer Platz hier. 1- Nach 
gemeinsamer Beratung siedeln sie sich an einer entfernte- 
ren Stelle wieder an. Als Grabstätten dienen die Häuser 
nicht. Zwar wurde der alte Lolero in seinem Hause be- 
graben. Doch glaube ich, daß ihn die Wapogoro besonders 
ehren wollten, indem sie eine Sitte von fremden Stämmen 
nachahmten, zu denen sie mit Furcht ninporschauten. 
Das Haus des Häuptlings ist in keiner Weise von dem 

der gewöhnlichen 
Sterblichen unter- 
schieden. Auch gibt 
es keine gemein- 
samen Häuser, die 
Beratungen oder 
auch kulturellen 
Feierlichkeiten die- 
nen. Die Wapogoro 
schwingen sich zu 
durartigun äußeren 
Anzeichen eines 
wohlgeordneten Re- 

giurungssystems 
noch nicht auf. 

Ernährung 
und Genußmittel. 
Wir erwähnten be- 
reits oben, «laß die 
Wapogoro sich ihre 
Nahrung im Hause 
kochen , indem sie 
auf dem Fußboden 
des Zimmers ein 
llolzfeuer unter- 
halten. Trockenes 
Brennmaterial fin- 
den sio genug im 
Freien, ohne duß sie etwa eine besondere Holzart für ihr 
Kochfeuer bevorzugen. 

Die ganze Zubereitung der Nahrung ist Sache der 
Weiber. Die Speisekarte der Wapogoro bietet freilich 
nicht viel Abwechslung. Das Hauptgericht ist Negerhirse, 
die von den Weibern in einem llolzmörser gestampft 
wird. Hie gestampfte Hirse wird dann in einem aus 
dünnen Bambusstreifeu geflochtenen Teller gescbCttelt, 
so daß die Spreu davon fliegt Die ganze Prozedur des 
Stampfens und Schütteins wird noch zweimal wiederholt 
Doch wird der jetzt gewonnene Abfall nicht wuggoworfen, 
sondern als Kindernahrung aufgehoben. Die entschalten 
Körner der Negerhirse kommen eine halbe Stunde ins 
\\ ;ts»er, w erden dann in der <oune Hw.i* .•iii-gi-rr'K'knet 
und nun zu feinem, weißem Mehl gestampft. 

Soweit die Vorbereitungen; die Hausfrau geht jetzt 
au die eigentliche Kocharbeit. Ein woiter, aus Lehm 
gebrannter Kochtopf nimmt das Mehl auf, die Hausfrau 
rührt Wasser zu und kocht es gründlich durch. — Die 
Speise ist fertig. Mit der Hand wird sie auf denselben 
Teller, der zum Schütteln der Hirse diente, ausgeschüttet, 
damit sie sich abkühlt, denn auch der Mpogoro- Vater 



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Dr. med. Hermatiii Fabry: Au» dem Leben der Wapogoro. 



199 




Abb. 2. Querschnitt der Selten- 
wund eines Wapogoro-Hauses. 



will »ich nicht den Mund verbrennen. Sobald der Teig 
sich aber genügend abgekühlt hat — dur Vuler bat sich 
inzwischen schon zurecht gesetzt — langt er mit seiner 
schmutzigen Hand hinein, prellt eine Handvoll nach der 
anderen zu Knndeln und läßt sie hinter seinen Zähnen 
verschwinden. Das laute Schnalzen verkündet, daß es 

ihm woblschroeckt. 
Kein Kniggu gebietet 
hier „Mund zu*. Je 
lauter, Je Iwsscr. Die 
Gattin stellt fürsorg- 
lich Wasser zurecht, 
damit es rutscht, wenn 
der (iatte allzu hastig 
hineinpulvert. Ab und zu langt er denn auch nach dein 
ausgehöhlten Flaschenkürbis und trinkt daraus Wasser. 

Die Negerhirse iat des Mpogoro tagliches Brot. Line 
geringe Abwechselung bringt ihm der Mais, den er ähn- 
lich zubereitet. Die Maiskörner werden durch Stampfen 
entgchalt, in Wasser sechs Tage aufgeweicht und daun 
ebenfalls xu Mehl gestampft. Auch das Maismehl wird 
in Breiform genusseu. 

Mit dieser geringen Speiseabwechselung begnügt sich 
der Mpogoro. Nie hört die Gattin vom Hausherrn: 
„ Schon wieder Hirse, schon wieder Mais." Zufrieden ißt 
der Gutte die vorgesetzten Speisen. Stirbt nun ein Huhn, 
eine Ziege an Krankheit oder Alter, so gibt es noch 
Fleisch als Zukost. Nie aber würde der Mpogoro Hühner 
und Ziegen schlachten, lediglich um Fleisch in die Küche 
zu liefern. Im Walde erlegte Tiere, wilde Schweine, 
Antilopen gelten als Leckerbisseu. doch verschmäht der 
Mpogoro auch nicht Krokodil und Nilpferd, Katzen und 
Ratten. „Die Wapogoro fressen alles", sagen verächtlich 
die Küstennegor und selbst benachbarte Stämme. In 

dieser Redensart drückt sich 
gleichzeitig der Verdacht aus, 
daß es nicht immer sehr 
rühmlich mit den Vorräten 
an Lebensmitteln bei den 
Wapogoro bestellt sei. Und 
in der Tat ist 
Schmalhans 

besonders dicht vor der Saat- 
zeit, wenn alle Feldfrücbte 
uufgegessen sind. Wenn 
dann auch noch die Kar- 
toffeln (Knollen von Convulv. 
batat. , eine Art süße Kar- 
toffel) zu Ends gehen, dann 
werden im Walde Gräser und 
Kräuter als Gemüse gesucht ; 
diese und bohnenartige Früchte, Kürbis und Gurken, die 
in Üppigen Zeiten alle als Zukost gelten, müssen jezt 
dazu herhalten, den hungrigen Magen zu füllen. In dem 
Gefühl, daß er was in den Magen bekommen muß, frißt 
der Mpogoro selbst Lehm oder gibt ihn den schreienden 
Kindern. Für schwangere Frauen gilt Lehm sogar als 
besonders bekömmlich. 

Im Anschluß an die Nahrungsmittel kamen wir zu 
den tienußmitteln. Der Mpogoro schnupft und trinkt. 
Seine TabakspHanzungeu liefern ihm genug Material, das 
er zu Schnupftabak verarbeiten kann, während das 
Tabakrauchen nicht Krauch ist. Hei allen Festlichkeiten 
trinkt der Mpogoro und betrinkt sieh in Tonil«. Diese 
wird hergestellt aus Negerbirse. Itfe reife Hirse wird 
4 bis 5 Tage lang in Wasser unter die schattigen Blätter 
der Banane gestellt, bis sie anfängt zu keimen. Daun 
wird sie zu Mehl gestampft, ohne daß dabei etwa Ab- 
falle entstehen. Das Mehl wird an drei aufeinander 




Abb. 8. TIlrverschluB eine» 
Wapugoro-Rauses. 



• i • ' ' ' i . 

u'/fi 

Abb. 4. ' 



folgenden Tagen aufgekocht. Beim dritten Male wird 
reichlich kochendes Wasser zugesetzt, um die Pombe 
flüssig zu macheu. Nuch genügender Abkühlung ist das 
berauschende Getränk gebrauchsfertig, das dem Mpogoro 
wie vielen anderen Stämmen der Kolonie als 
Nationalgetränk bekannt ist. 

Schmuck. Haartracht, Künstliche Verun- 
staltungen. Viel Wert auf Äußerlichkeiten legen die 
Wapogoro nicht. Haarschmuck, wie getrocknete Früchte, 
Vogelfedern. Kupfermünzen, werden im gewöhnlichen 
Leben nicht getragen. (Die Tracht beim Nationaltanz 
wird später besprochen werden.) Männlein und Weiblein 
rasieren oder vielmehr kratzen mit einem Messer die 
Kopfhaare ab. Der europäische Zuschauer bekommt eine 
Gänsehaut dabei. Bei anderen Stämmen unserer Kolonie 
ist es Brauch, auch Scham- und Achsolhaare, eine will- 
kommene Wohnstätte für Ungeziefer, zu rasieren. Die 
Wapogoro lassen diese wie 
einen kurzen, spärlichen 
Kinnbart wachsen. 

Ganz besonders beschei- 
den sind die Wapogoro in 
der Hautpflege. Sie waschen 
sich nicht. Ihr Korper atmet 

infolgedessen einen widerlichen Geruch von angesammel- 
tem Staub und Schweiß aus. Ab und zu ölen sie 
sich mit Rizinusöl ein, das sie selbst in ihrem Lande 
gewinnen. Auch Zahnpflege gibt es hier nicht im Gegen- 
satz zu den Küstennegern, die man so häufig mit einem 
zerkauten Holzstengol ihre blendend weißen Zähne be- 
arbeiten sieht. 

Vereinzelt« Damen tragen Metallringo aus Messing 
oder Kisen um Hand- und Fußgelenko, doch sind diese 
Ringe Lrzeugnisse anderer Stämme oder der Küste. Be- 
malungen oder Tätowierungen kennen die Wapogoro 
nicht. Ks ist gebräuchlich, auf der Stirn drei parallel 
laufende Reihen von Schnittnarben anzubringen (Abb. 4). 
Sowohl Männer wie Frauen tragen diese Verzierung. 
Man sieht aber ebenso viele Stammesangehörige, die das 
Abzeichen uieht haben, und wenn mau sie fragt warum, 
so antworten sie: „Ich halte es nicht für schön, während 
dieser da es sehr liebt." Kiue besondere Ziernarbe 
tragen die Flefantenjäger, eine lange Schuittnarbe. die 
auf der Streckseite des Vorder- 
armes vom F.llbogengeleuk bis 
zum (irundglied des Daumens 
läuft. Jedesmal, wenn ein Ele- 
fant erlegt ist, wird dies an 
beiden Armen durch einen 
neuen parallelen Schnitt mar- 
kiert, so daß man zählen kann, 
wieviel Elefauten der Jäger 
schon zur Strecke gebracht 
bat. Auf dieses Abzeichen 
sind die Träger sehr stolz. 
Andere Abzeichen an irgend 
einem Körpergliede gibt es 
für die Wapogoro nicht, auch 
fehlt die Beschneidung. 

Kleidung. Über die 
Kleidung der Wapogoro ist 
nicht viel zu sagen. Sie ist uniform bei Mannloin und 
Weibleiu. Uni die Lenden tragen sie eine selbstgeflochtene 
Schnur, in diese eingeklemmt hängt vorn ein Stück 
Tuch, das die Schamteile eben bedeckt. Hinten tragen 
sie nichts. Selbst diese wenig kostbare Kleidung ist 
noch als Fortachritt der Kultur zu betrachten. Früher, 
als es dem Mpogoro nicht so leicht war, Tücher einzu- 
handeln, trug er au Stelle des Lappens vorn einige gruu 

»• 



Axt 



Abb. :>. 
d Bandst 
Wapegoro. 



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2i m 



Dr. med. Hermaun Fabry: Aus dem lieben der Wapogoro. 



belaubte Zweiglein. Wurde das Laub der Zweiglein 
welk, ho wurjuu neu«? im Walde abgeschnitten, etwas zu- 
reebt gebogen und das alte Kostüm mit dem neuen ver- 
tauscht Die Kinder laßt man etwa bis zu vier Jahren 
unbekleidet oder nur mit bloßer Hüftschnur horumlaufen. 

In der Nähe der Station Mnhenge sieht man viele 
Wapogoro mit langen HUfttüchern, in Hemden, Hosen 
u. dgl. Von diesen Leuten muß man jedoch absehen, 
da sie ihre ursprünglichen Sitten durch den Verkehr, den 
die Nahe der Statiou mit sich bringt, allmählich verlieren. 

Waffen. Instrumente. Als Waffen dienen Pfeil 
und Bogen. Letzterer besteht aus einem gebogenen, 
rötlichen Holl, das viel dünner ist als z. K. das Hohen- 
holz der Wangindo. Die Spannschnur des Bogen b wird 
aus Tierfellen hergestellt. Einzelne Wapogoro befestigen 
an jedem Ende eine kleine Metallschlange, die der Schnur 
einen besseren Halt gibt oder auch nur als Schmuck 
dient. Ein so verzierter Bogen kennzeichnet den Eigen- 
tümer als besonders kriegerisch; man sagt von ihm, „er 
lauft nicht wie ein gewöhnlicher Mann herum". 




Abb. <». Strlckfalle der Wapogoro. 



An Pfeilen sind zwei Sorten gebräuchlich. Beide 
bestehen aus einem am hinteren Ende gefiederten Ruhr- 
subaft. Die eine Surf«, die besonders von den Kindern 
zur Vogeljagd gebraucht wird, hat eine vorn zugespitzte 
llolzspitze; an ihr sind keine Eiseuteile. Die andere 
Sorte triigt eine Eiseuspitze. die aber nicht unmittelbar 
am Schaft ansetzt, sondern vermittelst eines HolzstAbchons 
in ihn eingelassen ist. Trifft dieser Pfeil einen Gegner 
oder ein Stück Wild, so bricht er beim Versuch, ihn her- 
auszuziehen , dicht am Schaft ab, Eisenteil und Holz- 
stabchen bleiben stecken. Die eiserne Spitze ist ziemlich 
plump, viel breiter wie die der Wangindo. Ihre Kanten 
sind gerade und laufen in zwei Widerhaken aus. Den 
ganzen Eiseuteil bestreichen die Wapogoro mit Gift. 
Doch vermögen sie dieses nicht selbst herzustellen, sondern 
beziehen es von den intelligenteren Wangindo. Beim 
Schutt wird der Itogen senkrecht gehalten. Auch zahl- 
reiche Schußwaffen, ausschließlich Vorderlader, beiluden 
sioh in Händen der Wapogoro, die sie von Händlern ge- 
kauft haben. 

Noch dürftiger wiu das Kriegshandwerk sind die 
Geräte zur Arbeit. Es kommen da eigentlich nur zwei 



Instrumente in Betracht, die nicht einmal von den Wa- 
pogoro selbst erfunden, sondern von anderen Stammen 
übernommen sind: Eine Art Handsense, genannt Hengo, 
bestehend aus einem kurzen Holzstiel mit einer Sichel 
aus Eisen, zum Abschlagen der Hirse und eine ebenso 
kunstlose, gerade Ast zum Fällen der Bäume (Abb. 5). 
Beide Instrumente sind, wieerwahnt, von anderen Stämmen 
übernommen, doch wissen die Wapogoro sie jetzt selbst 
aus alten Eisenteileu im Feuer zurecht zu schmieden. 

Jagd. Fischfang. Viehzucht. Ackerbau. 
Große Jagdpaasion ist dem Wapogoro nicht eigentümlich. 
Mit Einführung der Schußwaffen treten die Elefanten- 
jiger auf, doch bleiben diese bisher sehr vereinzelt. Im 
allgemeinen betreibt der Mpogoro keine Einzeljagd. Zu 
mehreren ziehen sie aus, um zunächst die Wildspur zu 
suchen. Sind sie gewiß, daß das Wild noch im Gebüsch 
steckt, so spannen sie halbkreisförmig lange Netze. Mit 
Hunden stobern sie dann das Wild auf und treiben es 
gegen die Netze, um es hier mit Pfeilen niederzuschießen 
oder mit Stöcken zu erschlagen. So gelingt es ihnen ab 
und zu, eine Antilope zu fangen oder ein Wild- 
schwein zu erschießen , da eben keine große Jagd- 
passiou besteht Kinder üben sich im Bogenschießen, 
indem sie der Vogeljagd obliegen. Kleineres Getier, 
wie Ratten, Marder u. dgl., fangen die Wapogoro in 
federnden Streitfällen {Abb. 6). Zwei Stäbchen a 
und b werden mit ihrem unteren, zugespitzten Ende 
in die Erde gesteckt; in der Mitte tragen sie eine 
Kerbe zur Aufnahme der Querhölzer c und d, die 
mit Bast befestigt sind. In einiger Entfernung steht 
ein biegsamer Stab g. der durch eine Schnur tu in 
Spannung gehalten wird. Die Spannung wird da- 
durch erzielt, daß ein an tu befestigtes Hölzchen /' 
sich auf der einen Seite an <l anlehnt auf der anderen 
an das Hölzchen r. Letzteres wird durch den Druck, 
den /'auf t infolge der Schnurspannung ausübt, gegen 
a — b gedrückt Es wird also nur durch die Span- 
nung gehalten. Die Schnur m läuft in eine Schlinge 
aus, die zwischen c und <l durchgesteckt und, wie 
die Abbildung zeigt, zwischen « und b aufgestellt 
wird. Kommt nun eine Ratte in die Falle, so drückt 
sie <• herunter. Dadurch wird die Spannung der 
Schnur gulöst. Sie schnellt mit dem Hölzchen / 
empor. Die Schlinge schließt sich um das Tier und 
drückt es gegen c und <l an , da das Tier zu breit 
ist, um zwischen c und d hindurch mit der Schnur 
emporzuschnellen. Infolgedessen kann der Stab gi' 
nicht in seine ursprüngliche Lage gm zurück, da das 
eingeklemmte Tier die Schnur m hindert, so weit nach- 
zugeben, sondern nur etwa bis gu. Es besteht also 
immer noch ein gewisser Zug auch nach Auslösung des 
Mechanismus, der das Tier erdrosselt. Die Falle wird so 
aufgestellt, daß die Pfosteu «i und Ii über einem kleinen 
Hohlgang stehen, der für die Ratte einen bequemen Ein- 
und Ausgang darstellt, ihr aber erschwert, nach links 
oder rechts auszubiegen , sondern sie gerade auf das 
Stückchen Banane zuführt, das als Lockspeise unter die 
Schlinge hingelegt ist. 

Diese passive .lagdart ist überhaupt beliebter, auch 
für größeres Wild. Große Fanggruben für Antiken 
werden gegraben und automatische Steinfallen für Leo- 
parden gestellt. Auch Fische werden in Netzen und 
Reusen gefangen. Im großen und ganzen jedoch tritt 
Jagd und Fischerei sehr in den Hintergrund. 

Mit ähnlicher Indolenz wird Viehzucht betrieben, die 
sich auf wenige Ziegen und Schafe und einige Hühner 
beschränkt. Doch weiß der Mpogoro bereits, daß er für 
eine fette Ziege oder für ein fettes Schaf vom Händlor 
mehr bekommt »I» für ein mageres. Infolgedessen hat 



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;en ai 




in 



Sonderbeilage zu Globus. Band XCI No 13: Artikel Ratimcycr. 



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dem Lötschcntal. 




L. Uiitiineycr: l'bcr Masken und Maskengebräuche usw. 



20) 



er »ick die Technik des Verschneideiis erworben, die er 
mit einem Messer bei Ziege uud Schaf ausführt. Eine 
etwaige Blutung wird durch Naht gestillt. AU Näbsoide 
dient ein dünner Streifen eines Sansevieren-Dlattes. Mit 
einer Nadel uu« einem fluch zugeschnittenen Hohrstreifcn 
legen nie einige Nähte au, bi.i die Blutung stellt, und 
überluden alles Weitere der gütigen Natur. 

Schon mehr Sorgfalt und Umsicht wenden die Wa- 
pogoro dem Ackerbau zu, da Hie von »einen Erzeugnissen 
ihren Lebensunterhalt frwteu. Itu November, kurz vor 
Eiutritt der Regunzeit, ist Aussaat für Hirse und Heia. J)ie 
Weiber reinigen dieEeldervon Unkraut; dnni> kommt der 
Mann und sat mit iiineu zusammen. Kurze Löcher werden 
mit einem Stock in die Erde gestoßen, die in regelloser An- 
ordnung je zehn Hirsekörner aufnehmen. Etwa» Erde wird 
auf die Körner aufgeschüttet, uud die Aussaat ist fertig. 

Zu gleicher Zeit wird Mais gesät. Dabei wird in der- 
selben Weise verfuhren wie bei der Hirse, nur dal} in ein 
Loch höchstens drei Körner kommen. Sobald das Saatkorn 
der Erde anvertraut ist, kümmert sich der Mpogoro nicht 
mehr um «eine Felder bis zur Ernte. Zahlreiche Vögel aller 
Art stellen sich ein, um als ungebetene l«üste ihren An- 
teil wegzunehmen. Als lebendige Vogelscheuchen müssen 
dünn die Kinder aufs Feld, um durch Geschrei und Lirm 
zu verhindern, dall allzuviel von den Vögeln gefressen wird. 



Ist nun der Mais völlig reif, so wird der Jumbc da- 
von in Kenntnis gesetzt. Dieser besieht zunächst die 
Pflanzungen , und wenn auch nach seinem Urteil die 
Kolben gediehen sind, wird ein großes Feuer angezündet. 
Jeder bringt von seinem Felde einige Kolbon herbei, die 
in dem Feuer geröstet und gemeinsam verzehrt werden. 
Erst nach dieser stillen Feierlichkeit dürfen auch die 
übrigen Maiskolben eingeerntet werden. Die reife 
Hirse wird ohne weitere Zeremonie abgeschlagen und 
eingebracht, um erst an dum Tage, wo sie zu Mehl ver- 
arbeitet werden soll, mit Stöcken gedroschen zu werden. 

Wahrend Mais uud Hirse an eiue bestimmte Saat- 
zeit gebunden sind, baut der Mpngoro das ganze Jahr 
hindurch die oben erwähnten Kartoffeln (Convulv, bntat.J. 
Ein von Gräsern gereinigtes Plätzchen oder heute ein 
regelrecht aufgeschüttetes Beet wird mit Stecklingen be- 
pflanzt , die bereits in zwei bis drei Monaten neue 
Knollen troiben. In der Trockenzeit werden für diese 
Ileete sumpfige Stellen in Tälern oder an Abhängen ge- 
sucht, so daß die süßen Kurtuffelu das ganze Jahr hin- 
durch gedeihen. Sehr gern pflanzt der Mpogoro Höhnen, 
sowohl die Strauchbohue C'ajanu* indicus wie die Kauken- 
bohne Phaseolus lunatus. Auch die Erdnuß Noandzeia 
subterranea wird kultiviert und ähnlich wie die Dohnen 
als Gemüse gekocht. (Schluß folgt.) 



Über Masken und Maskengebräuche im Lötschental (Kanton Wallis). 



Von L. Rütinieyer. 

Mit einer Licbtdruektafel. 



Dn schweizerischen Laudesmuseum in Zürich be- 
iluden sich seit einigen Jahren drei Holzmasken von so 
groteskem uud wildem Aussehen, daß wohl manchem Be- 
schauer, der zufällig auf sie stößt, unwillkürlich der Ge- 
danke aufgestiegen &eiu dürfte, ob wir es hier nicht mit 
Erzeugnissen von Muskeuschnitzem zu tun haben, die 
wilden Naturvölkern angehören, und die sich etwa hier- 
her verirrt hatten. Ich wunderte mich denn auch nicht 
wenig, daß, als mir diese Masken zufällig zu Gesicht 
kamen, mir auf mein Befragen mitgeteilt wurde, siu ent- 
stammten in der Tat unserem Laude, und zwar dem 
Utschental, wo sie tou Herrn D'r. Stehler in Zürich 
gesammelt wurden. Zwei ähnliche Masken, doch vuu 
weit milderem Aussehen, kamen dann in der Folge aU 
tieschenk von Herrn Prof. Hoffiuann, der sie von 
Herrn Dr. Stebler erhalten hatte, auch nach Basel. Die 
letzteren sind im Schweiz. Archiv für Volkskunde 1 ) ab- 
gebildet, eine kurze Notiz über sie -) tiudet »ich aus der 
Feder des Herrn Dr. Stebler ebenda. Die erstgenannten 
Steblerschou Masken aus dum Lötschental finden sich 
ebenfalls photographiert in einem Aufsatz von Herrn 
I'rof. Hof f mann- Krayer in der Zeitschrift „Die 
Schweiz" 1S37 1 ). 

Da mir nun der Gebrauch solcher Masken im Lötschen- 
tale als ein Vorkommnis erschien, das wohl als Zeuge 
weit zurückliegender Kulturzustände, als eine Art ethno- 
graphischer „Species relicta", die in weiterem Zusammen- 
hange zu deuten wäre, aufgefaßt werden muß , be- 
schloß ich, sobald dies möglich sei, mich selbst an Ort 
und Stelle über diese Dinge zu orientieren, zumal aus dor 
Literatur außer der eben erwähnten kurzen Notiz dar- 
über nichts weiter zu ersehen war. Eine baldige Fixie- 
rung dieser jeden falls sehr altertümlichen Masken- 

') Schweiz. Archiv f. Volkskunde, IM I, S. 257. 
*) a- a- O , S. 17s. 

*\ Hof f mann K ravor, liiois« schweizerische Masken 
und Maikenhräucho. Ui« Sehwei*. Jahrg. I, 1897, S. 5«)«. 
«lolm. xcl. N.. u. 



gubräuchc erschien um so notwendiger, als leider mit 
Sicherheit vorauszusehen war, daß dieses vom Strome 
der Touristen abgelegene, von drei Seiten nur über 
GletBcherpässc zugängliche stille Hochalpontal , das in 
Sitten und Geräten der Bewohner auch sonst noch sehr 
viel Originelles zeigt, mit dem drohenden Bau der 
Lötschtalbahn wie leider so manche andere ethnogra- 
phisch originelle Provinzen mit Vermehrung des Ver- 
kehrs nach dieser Richtung hiu rasch verflachen werde. 

Bei einem Besuche im Lötschental im Sommer 1905 
hatte ich nun, obwohl fast die ganze männliche Be- 
wohnerschaft des Tules auf den Alpen sich befand, 
im hintersten Dörfchen des Tales, in Blatten, doch 
das (ilück, J. Tanast, den Sohn des Hauptmasken- 
schnitzers für den oberen Teil des Tales, zu treffen, einen 
jungen Mann, der früher seihst, oft an den Maskentänzen 
teilgenommen hatte und mir über alles, was er hiervon 
wußte, bereitwillig Auskunft gab, an deren Zuverlässig- 
keit zu zweifeln kein Grund vorliegt. Die Aussagen, die 
ich in den anderen Dörfern des Tales, in Wyler und 
Kippel, erhielt stimmten denn auch mit den von Blatten 
erhaltenen in allem Wesentlichen durchaus fiberein. 

Die Maskengebräuche, so weit sie so duckt mündlich 
zu eruieren waren, sind folgende. 

Die Masken werden nur einmal im Jahre angewandt, 
und zwar drei Tage lang zur Kastuachtszcit. Nur junge 
ledige Burschen tragen sie mit den dazu gehörigen Ko- 
stümen , verheiratete Männer nie. Dieses zugehörige 
Kostüm besteht, wenn es vollständig ist, aus zwei schwarzen 
Schaffellen, die je eins hinten und eins vom unige- 
hängt und mit einem Gurt um die Taille zusammen- 
gehalten werden. An letzterem werden 3 bis 4 Kuh- 
glocken (Treicheln) befestigt, die durch ihr Geschell schon 
von weitem das Nahen dor Maskeulänfer anzeigen. Unter 
die»en Schaffellen werden die schlechtesten Kleider, die 
man hat, verkehrt, mit der Innenseite nach außen an- 
gelogen, dazu kommen wollene farbige Handschuhe von 



J7 



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20J 



L Rutimcyer: Über Muken und M a r< k e n p . • l> r i\ 11 o h usw. 



eigentümlich zottiger Anfettigung iiiul ein Stock. Kin 
solches vollständiges Kostüm, dus icli vom Träger des- 
gelben selbst erwerben konnte, befindet sich in der ethno- 
graphischen Sammlung in Huxel, und wenn jemand damit 
bekleidet wird und eine der da/.u gehörigen Masken auf- 
setzt, ho üieht die Sache allerdings höchst wild und pri- 
mitiv aus, so daß man bugreifen kann, wie ein in ethno- 
graphischen Dingen sonst gut erfahrener und weitge- 
reister Herr, dem ich einmal zu raten gab, woher diese 
Objekte wohl stammten, auf Indianer von Oregon oder 
Alaska riet! (Abb. 1). 

Angetan mit den weiter unten zu beschreibenden 
Masken und diesem Kostüm springen nun die Durseben 
boi Tag auf den StraO«n ohne 
besonderen eigentlichen Tanz 
herum; gesprochen wird da- 
bei nicht, sondern nur ge- 
brüllt wie der „Teufel" oder 
ein „Muni" (Stier). Wenn 
diu Mnskeuläufer nahen, so 
hört nmn sie schon von weitein 
am Geschell der Glocken, so- 
wie am Gebrüll, und Kinder 
und Frauen stieben erschreckt 
auseinander und retten »ich 
in die Häuser. Die jungen 
Mädchen werden auch von 
den Burschen , speziell von 
den Liebhabern , bis in die 
Häuser verfolgt und zum 
Spaße geschreckt. Das Ganze 
heißt oder hieß früher 
„Tscheggcte" und stammt 
nach Ansicht der Leute noch 
aus der Heideuzeit. Wie mir 
berichtet wurde , wurde es 
vor mehreren Jahren von der 
Geistlichkeit verboten, bei 
welchem Anlasse eben viele 
Masken , wohl auch die von 
Dr. Stebler, verkauft wur- 
den, seit zwei .lahren sei es 
nun aber wieder gestattet- 

Die Masken scheinen am 
sorgfältigsten in Blatten ge- 
macht zu werden, wo, wie 
erwähnt, ein eigener, jetzt 
etwa ß7 jähriger Masken- 
schnitzer lebt. Andere, roher 
ausgeführte allerdings, wer- 
den von den Hursehen selbst 
gemacht, so oine von mir vom 

Schnitzer derselben, einem Viehknccht, getragene und er- 
worbene (Abb. 4). Sie werden im allgemeinen aus Arven- 
holz geschnitzt, und zwar frei aus der Hand, höchstens 
werden die Konturen der individuell sehr variierenden 
Kratzen vorher in Mächtigen Ilmrissen auf dus Holz gezeich- 
net. Jede Maske hat ihr besonderes Gesicht, bestimmte 
Typen scheinen nicht vorzukommen. In Blatten speziell 
aollen alle mit Ziegenpelz verziert sein, mit welchem Haan-, 
Hart, und Augenbrauen und sonstige Gehänge dargestellt 
werden. Die Masken werden fast immer bemalt, beliebt 
sind Kot. Schwarz und Blau, hier und da wird .-im- heraus- 
hängende Zunge aus rotem Stoff beigefügt, Der Mund wird 
in vielen Fällen mit eingesetzten Kuhzähnen besetzt, oder 
es sind auch Zähne aus dem Holz der Maske selbst aus- 
geschnitzt oder Holszähnc eingesetzt. Ich sah eine ein- 
zige höchst primitive Maske von sehr altertümlichem 
Aussehen, die nicht aus Holz war, sondern aus einem 




Atiti. I. Maskenkostüm aas dem Lötschcnta) 



einfachen Stück Leder bestand, mit Ausschnitten für 
Augen und Mund, bei letzterem waren auch die Zähne aus 
Leder geschnitten. Die Masken sind sämtlich Vorleg- 
masken. Zur Befestigung dienen entweder sackartige 
ZeUg)ap]HMi uus grobem Stoff, die, hinten an der Mu-ke 
befestigt, über den Hinterkopf des Trägers gestülpt werden, 
oder auch nur Binder. 

Erklärung der Abbildungen 2 bis 13. 

Abb. 1. Maske von Mutten aus Arvenholz, rot bemalt. 
Teile der Stirn, Nase und Wangen tleckcnweise uiibemal t 
gelassen. Augcnbratieu schwarz bemalt . ebenso «-in schwarzer 
Streifen am oberen und unteren Katide der sonst roten Ober- 
lippe. Augenöffnungen röhrenförmig etwa I cm hoeb, Zahne 

weifi. aus dem Holte der Maske 
geschnitzt. Statt der Ilaare 
schwur* und weißer Ziegenpclz, 
an dem die Keine noch vorhan- 
den sind, und welcher hinten 
* 48 cm weit über den Hinterkopf 
herabhängt. Unter deinsells-n 
eine Art Sack von grobem Sack- 
tuch, in welchen der Kopf her 
eingesteckt wird. Hohe 4.tcm. 
Breite 30 cm. 

Abb. 3. Maske von Blatten 
aus Arvenholz , Gesicht rot 
bemalt , Wangen und ein Teil 
der Stim gelblich in gelblicher 
Naturfarbe. Kähne aus dem 
Holze der Maske geschnitzt, rot 
und weili, Haare nun schwarzem 
Lammfell. Bart au« weiO und 
schwarzem Ziegenfell. Hinten 
hängt unter dem Lammfell noch 
4f> cm weit ein Stuck Hundefell 
herunter, wie der große Sack 
aus 8ackluch, der wie bei Nr. 2 
über den Kopf des Trägers ge- 
stülpt wird. Höbe HS em (ohne 
Bart), Breite 25 cm. 

Biese zwei Masken wurden 
vor etwa IS Jahren vom Masken- 
»chuilzer von Blatten verfertigt. 

Abb. 4. Maske aus Kippet, 
Arvenbolz, meist rot bemalt, 
Augenhöhlen schwarz umraudet. 
Als Haare und Sack, in den der 
Kopf gestülpt ist, dient ein Kalb- 
fell, welches nur die seitlichen 
Partien umrahmt. Unter der 
Unterlippe einige Büschel Kuh- 
haare als Bart befestigt. In das 
Maul sechs Kuh/ähne eingesetzt. 
Hohe 45 cm, Breite :tOcm. 

Vom Verkäufer, einem Al|e 
knecht, selbst geschnitzt 

Abb. 5. Maske aus Kippel, 
aus einem Stück Leder ge- 
schnitten mit Öffnungen für 
Augen und Muud. Für letzte- 
ren einige Zähne aus dem Leder 
geschnitten. Loten an der Maske «in Streifen Haektuchstoff. 
Wird mit Bändern befestigt. Höhe 40 cm. Breite 35 cm. 

Abb R. Maske aus Wyler. Arvenholz, Wangen und 
Lippen rot und schwarz, Nase schwarz, rot und blau bemalt, 
Augenlider blau umrandet. Zähne aus Holz eingesetzt. In die 
Augenhöhlen zwei Srheibchen Fensterglas eingesetzt. Statt 
der Augenbrauen die Yorderfüßc des weißen, das Gesicht um- 
rahmenden Ziegenfelles. Die Maske wird umgebuuden. Höhe 
2K cm, Breite .HO cm. 

Abb. 7. Maske aus Wyler, Arvenholz, rot, blau und 
schwarz bemalt. Augoulöcher blau und schwarz umrandet. 
Zähne aas Holz, eingesetzt. Statt des .Kopfsnekes* zwei 
seitliche Lappen aus weißem Ziegenfell. Höhe 37 cm. Breite 
27 cm. 

Abb. 8. Maske aus Arvenholz, rotbraun bemalt, Haare 
aus einer K uhscbwanziiuaste, ebenso der Schnurrbart. Zahne 
aus dem Holz der Maske ausgeschnitzt, weiß. I uteri kleiner 
Kopfsack aus braunem Stoff. Hohe 40 cm, Breite 25 cm. 

Abb. v. Maske aus Arvenbolz, rotbraun bemalt, Augen- 
brauen und Umrandung der Augenhöhlen schwarz. Haare 
und Schnurrbart aus Kuhschwanzhaaren, auf den Kopf ein 



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L. Rütimeyer: Über Masken and Maskengebräuche usw. 



203 



Kalbsohr aufge*»Ut (das ander« defekt). Hinten kleiner 
Kopfiack aus einem Stück Fell. Höhe üHotn, Breite 21cm. 

Abb. 10. Maske aua massivem Holz gesehuitzt, schwarz 
bemalt, Wangen rot- Im Maul einige Kuhzähne eingesetzt. 
Als Schnurrbart dienen Kuhhaare, als Kirjnunrt ein Stück 
Kell. Die auf der rechten Schlafe eingeschnittene Jahres- 
zahl 1014 ist offenbar erst neuerdings angebracht worden. 
Hohe 37 cm, Breite 3« cm. 

Abb. II. Maske ans Holz, rot bemalt mit leichter schwar- 
zer Schattierung. Im Maul eingesetzte Kuhzähne. Auf dem 
Kopf ein schwarzes Schaffell (Behaarung meist verschwunden). 
Höhe 35cro. 

Abb. 12. Maske ans Holz, schwarz und rot bemalt, /ahne 
und l'mrandung der Angeulöchcr weiß.. Zähne aus dem 
Holze der Maske tresebniut, wein. Hohe 40 cm. 

Abb. 13. Maske aus Holz, schwarz. An Stelle der Zunge 
ein liappen aus rotem Flanell. Keine Zäune. Auf dem 
Kopfe ein defekt«« schwarzes Schaffell. Höhe 31 cm. 

Xr. 1 bis 10 gehören der ethnographischen Sammlung in 
Kasel an, Nr. II bis 13 dem Ländesmuseum Zürich, dessen 
Direktor, Herrn Dr. Lehmann, für die freundliche Ge- 
stattung der Keprodnktion hier bestens gedankt sei. 

Worin besteht nun die Bedeutung dieser Maskon 
bzw. der Maskentänze? Daß ihnen ein tieferer, wenn 
vielleicht auch von den jetzigen Maakonträgern nicht 
mehr verstandener Sinn innewohnt, ist ja zum voraus 
klar. Uui die Bedeutung dieser Gebrauche, deren Wur- 
zeln ja auf .Jahrtausende zurückgeben könuon — wie die 
jetzige Generation noch instinktiv fahlen mag, wenn sie 
sagt, sie stammen aus der Heidenzeit — , zu erforschen, 
haben wir zwei Wege, erstens die lokale Tradition über 
sie und dann die Untersuchungen paralleler Erschei- 
nungen, sei es im eigenen Lande oder in näherer oder 
weiterer Ferne, 

Wir dürfen uns auch durchaus nicht schouen, unsere 
Blicke sehr weit schweifen zu lassen; ethnographische 
Parallelen finden sich bekanntlich oft in den verschie- 
densten Teilen der Erde, und speziell der Gebrauch von 
Masken nnd die ihnen zogrunde liegenden Anschauungen 
sind so ziemlich global verbreitet. 

Was zunächst das Vorkommou ähnlicher Gebräuche 
im Wallis außerhalb des l.ötschentala betrifft, so darf man 
wohl mit Sicherheit sagen, daß sie sonst nirgendwo mehr 
vorbanden sind. Auch eine Erinnerung an solche scheint 
anderwärts, wie ich mich «, B. im vorigen .lahre in ver- 
schiedenen Dörfern des Einfischtales zu überzeugen Ge- 
legenheit hatte, zur Zeit nicht zu bestehen. 

AI« lokale Tradition des Ursprungs dieser Masken- 
gebräucho wurde mir von meinem Gewährsmann nach- 
träglich, nachdem er sich hierüber noch anderweitig in 
den Dörfern erkundigt hatte, brieflich noch folgendes mit- 
geteilt: In vorgeschichtlicher Zeit hielt sich in den dichten 
Waldungen auf der Südseite des Lötachentals eine Räuber- 
bande auf, welche die „geschulten Diebe" genannt wurde, 
und zwar deshalb, weil dio Mitglieder sich üben mußten, 
mit schwerer Heute an einer Stelle, die heute noch ge- 
zeigt wird, über die Lonza (den wilden Gletscherbach des 
Tales) zu springen. Nur unter Erfüllung dieser Bedin- 
gung wurden sie aufgenommen. Diene Rauber machten 
sich ein Spiel daraus, die Dörfchen der Talbewohuer zu 
überfallen. Sie traten dabei schreckhaft auf ; in garstigen 
Fetzen, in Schaffellen, scheußlichen Masken mit dröhnen- 
den Treichelu (Kuhglocken) und mit schworen Keulen 
bewaffnet, überfielen die Scheusale im Dunkel der Nacht 
dio zitternden Bewohner. Daher stammen die vielen Ge- 
schichten von waghulsigcn Einbrüchen, deren Spuren 
mau noch heute aufweist Aus den ßernerkriegen im 
1 fj. Jahrhundert soll ein von diesen Schelmen au den 
Dorfbewohnern verübter Verrat geschichtlich beglaubigt 
sein. 

Die gleiche Tradition wird auch durch die Aus- 
kunft auf eine diesbezügliche Anfrage an Herrn Kaplan 



Brantschen in Kippel, einen sehr kompetenten Kenner 
der Talschaft, durchaus bestätigt. Derselbe schreibt mir: 
„Man gebrauchte diese Masken einige Jahrhundert«, 
um sich unkenntlich zu machen, wozu man sich noch mit 
Schafpelzen bekleidete. Es bildete sich eine Räuberbande, 
die sich so maskierte und die Nachbarn erschreckte und 
beraubte. Im 17. Jahrhundert haben diese Raubzüge 
aufgehört Man benutzt jetzt die Masken nur noch am 
fetten Donnerstag und Fasching-Montag and -Dienstag, 
um damit die Leute zn erschrecken." 

Eine Beziehung dieser Masken zu Zwergonsageu (im 
Wallis Gottwergini genannt) wurde ausdrücklich negiert, 
auch verlautete nichts von solchen zur Beförderung der 
Fruchtbarkeit der Felder. 

In der Literatur findet sich meines Wissens über 
diese Lotschentaler Maskenbräuche, wie schon erwiihut 
nur jene kurze Notiz von Stebler, sowie eine auf die 
Stehler sehen Masken , die auch abgebildet sind, sich 
beziehende kurze Erwähnung der Eötschentaler Bräuche, 
die als merkwürdig intakte, primitive Fastnachtsbräuche 
von Hof f mann- Krayer erwähnt werden*). 

Diese Maakeul&ufe waren also, wie aus der An- 
gabe von Stebler hervorgeht, vor 30 Jahren noch ge- 
stattet, jetzt nicht mehr (gegenwärtig allerdings wären 
sie laut Angabe meines Gewährsmannes, 1905, etwa seit 
1302 wieder erlaubt, nachdem sie von der Geistlichkeit 
einige Zoit als heidnische Gebräuche verboten gewesen 
waren). Der Tag des Umlaufen» war der Sonntag vor der 
alton Fastnacht. An diesem Tage mußten die Rauchfänge 
gereinigt werden. Die Vermummten nannton sich „liauch- 
tscheggeten", weil sie nach dem Kiuderglauben aus dem 
Rauchfniig kamen und scheckige, schwarze und weiße 
Pelze trugen. Sie waren ein Schreckgespenst , mit dem 
man die Kinder schreckte: „Sei ruhig oder ich rufe den 
Roitscboggotu". 

An diesem Tage wurden um 1 Uhr die Häuser ge- 
schlossen, keine Frauen und Kinder, auch nicht Burschen 
vor dem 20. Jahre durften auf die Straße, sonät wurde 
ihnen ein Aschensack, den die Maskierten am Ende eines 
langen Stockes trugen, um die Köpfe geschlagen. Ks sei, 
so wird weiter geschildert, etwas Grauenerregende!) ge- 
wesen, wenn solche Masken, wie Stiere brüllend, daher 
stürm teu. 

Wie man Hiebt, stimmt die Beschreibung von Stebler, 
die offenbar also den Gebräuchen outspricht, wie sio am 
Ende der 1860er Jahre existierten, im ganzen mit der 
jetzigen, nur fehlt bei letzteren die Erwähnung des 
Aschensackes, von dem mir nichts gemeldet wurde, der 
also obsolet zu sein scheint 

Sehen wir uns um nach parallelen ethnographischen 
Vorkommniesen zunächst in der Schweiz, so sind nebon 
zahlreichen Fastnachtebräuehen mit Herumziehen der 
jungen Burschen mit Schellen, Peitschen usw., worin 
zweifellos eine Fruchtbarkeitssymbolik zu erblicken ist 
(Verscheuchung von DämoncD), Vorkommnisse von gleich 
ursprünglicher Art wie im Lötschotital wohl kaum mehr 
zurzeit lebend vorhanden. Immerhin verdanke ich Herrn 
Prof. Hoffmann-Kray er den Hinweis auf einen bis 
in die siebenziger Jahre des letzten Jahrhunderts er- 
halten gobliebenen Brauch in Wil, Kanton St. (iallen, 
der noch einige, wie wir sehen werden, alt« Züge auf- 
weist. Es ist dies der Mittelpunkt der alten Wilcr Fast- 
nacht, das Auftreten der „Tüfel" % ). Es waren dies junge 
Männer, vielfach den angesehensten Familien angehö- 
rend, angetan mit Holzmasken mit grotesk realistischer 

*) Hoff mann- Kray er, Einige schweizerische Masken 
und Maskenbräuohe. Die Schweiz, .lahrg. 1»»T, 8. .'.04. 

s ) H. Baumberger, St. Galler Laud — St. Galler Volk, 
Umsiedeln l»03, 8. iol<. 

27' : : 

• '■ 

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2U4 



G. S.: Kii> Brief Alexander von Humboldts. 



Schnitzerei, oinur Mütze mit FueuBohreu oder Hörnern 
und bekleidet mit oft kostbaren, kunstvoll bemalten 
Rocken und weißen Hosen. Die Schilderung geht weiter, 
wie folgt: „Wardas „Tüflen u losgegangen, so gnlt Piitzcn- 
recht (die Masken hießen „Putzen"). Wer nicht auswich, 
wurde vou ihnen unter Qaudiutu und Hailob der nächsten 
Menge in den nächsten Brunnen gestellt. Diu Metzger 
aber schlössen ihre Fleischliiden und die Wirte ihre 
Küchen, um die Tüfel nicht als unwillkommene tni.ste, 
deren Putzenrecht sich in dienern Kalle zu einem Beute- 
recht an Wurst und .Schinken erweitert, zu erhalten. 
Sie wurdeu sogar umtlicb zu rechtzeitigem Schluß der 
betreffenden Laden aufgefordert." Auf diese» interessante 
Putzenrecht, ulso ein Recht der Masken auf Raub und 
Plünderung, sei hier ausdrücklich aufmerksam gemacht. 

In diesem Zusammenhange möge auch noch ein in 
derselben Publikation S. 9S erwähnter Brauch erwähnt 
werden, der in ziemlich reiner Weise die Fruchtbarkeits- 
symbolik illustriert ; es ist dies das „Klausen". in Murg 
am Walenac« am Sonntag vor Aschermittwoch. Die 
männliche Schuljugend schellt dort die Itauerngehöfte 
ab, mnuche Dauern verlangten sogar, daß jeder einzelne 
Daum abgeschellt werde, damit das Obst besser gedeihe. 
Die Knaben erhalten dafür reichlich Obst aller Art. Auf 
die zahlreichen weiteren, meist mehr oder weniger ab- 
geblaßten Fastnachtsbräuehe in der Schweiz kann hier 
nicht weiter eingegangen werden. 

Wohl aber sind als Parallele zu unseren I/ötschen- 
taler Iii fluchen heranzuziehen die Perchtentänzo iu Salz- 
burgund Tirol, welche neuerdings durch Frau M.An dree- 
Eysn ") eine vortreffliche zusammenfassende Bcschrei- 
liang erfahren haben ; eine weitere Abhandlung über 
Perohtetilauf uud Tanz findet sich in den Verhandlungen 
der Anthropologen in Salzburg'). 

Die Porchtenuinlaufe, um das hier möglichst kurz 
auf Grund obiger Publikationen zuaatnmeuisuftissen, be- 
stehen aus den „schönen Perchten*. die am Sonntage j 
nach dem Perchtentag (ti. Januar) jetzt noch alle 4 bis 



') M. Andreo ■ Eysn, Die l'erchten im 8alzburgischen. 
Archiv f. Anthropologie, N. F., Bd. III, Heft 2, S. 12". 

r ) K. Adrian, Bal/burger Volksspiele, Aufzüge und 
Tanze. Verhandlungen der Versammlung der deutschen und 
osterreichi»ch<-n Anthropologen in Salzburg 190.'., ti. 48. 



7 Jahre im Pongnu und dem Pinzgau herumziuhou. E« 
sind einige Paare Dauern in alter Nationaltracht, jeder 
I begleitet von seiner „Gsellin", einem in Weibcrkleideru 
steckenden Mann, und auf dem Kopfe die 40 bis fiO Pfund 
schwere, oft doppelt niannsgrolic „Perchtenkappe" tra- 
gend, ein mit rotem Stoff überzogenes Rahmenwerk, au 
dem eine Menge vou Silberschmuck, Uhren, Münzen 
aufgebäugt sind. Ktwas abweichend ist die Tracht der 
schönen Reichten im Pinzgau, wo statt jenes Kopf- 
aufputzes mit seinem oft zusammengeborgten Silberkrnm 
Strohhütchen getragen werden, an denen lange Hahnen- 
federn befestigt sind, und über das Gesicht statt Masken 
lange, breite Seidenbänder herunterhängen. 

Di den Dörfern angekommen, wird ein langsamer 
Tanz aufgeführt. Umgeben sind diese schönen Perchteu 
von verschiedenen Vermummten mit Teufels- und Tier- 
masken und I bis 2 Hanswursten, die mit einem Kuh- 
schwanz uder einer wurstartigen Leinwandhülle den zu- 
sehenden Mädchen und Frauen leichte Schläge versetzen. 

Viel wichtiger sind für unsere Betrachtung aber die 
seit Mitte des letzten Jahrhunderts mit ihren Umzügen 
verbotenen „schiacheD Perchten", von denen sich in- 
dessen noch einzelne Vertreter als Begleiter der Umzüge 
der „ schönen Perchteu* - erhalten haben. 

Der Perchtenlauf dieser „sebiachen Perchten" fand 
nachtsam dritten Donnerstag der Adventszeit statt. Die 
Bande bestand ans 50 bis t!0 Burschen, von denen 12"), 
diu eigentlichen Perchten, in schwarze Schaffelle gehüllt 
waren; auf den Köpfen trugen sie Hauben aus Dachs- 
fellen und vor dem Gesichte holzgeschnitzte Masken mit 
langen Zahnen, Hörnern, auch Masken von Tieren mit 
Schnäbeln nnd beweglichen Unterkiefern. Um den Leih 
hatteu sie lederne Gürtel und kleinere und größere 
Schellen. 

Dabei wurde mit Peitschen geknallt und mit Kuh- 
hörnern geblason. So zog die Schar unter Höllenlärm 
nachts durch das Tal, vor gewissen Häusern wurde Halt 
gemacht und herumgesprungeii, wobei die Perchten mit 
Schnaps, Käse und Brot bewirtet wurden. Um Mitter- 
nacht löste sich die Schar, der noch andere Vermummte, 
Burschen in Weiborklcidorn usw., angehörten, anf. 
... (Schluß folgt.) 

') Vgl. Andree. a. a. O., 8. 127. 



Ein Brief Alexander v. Humboldt«. 

Der Wanchauer Professor K, Bobrow, der «ich mit 
groUciu Kifer der Sammlung von Materialien über Alexander 
v. Humboldts Aufenthalt in HuUland hingibt und «inen Teil 
derselben bearbeitet hat, veröffentlicht in den .Nachrichten 
der Warschauer r n iv,-r*ität" (II*..!, Heft ,1 und 4, S. 1 1 bis 
Ii) einen «rief des Gelehrten an IVof. T)r. Fr. I'urrot, der 
de«*eu bekannte«, l£:W in Berlin erschienenes Werk .Keife 
zum ArarM." l«tritTt, und den der Herausgeber von einem 
Knkel des Adressaten. Ingenieur-Kapitän l'arrot, erhalten hat. 
Kr lautet: 

.l'user gemeinschaftlicher Freund, Herr von Kngelbardt, 
wird Ihnen gesagt haben, verehrungswerthester Herr Stnats- 
r»th, mit welcher Sehnsucht ich Ihrer wichtigen Heise 
nach dem Antrat entgegensah , wie seit der Zeit, wo ich 
die Freude Ihre* rutgangs in I'aris gerne««, ich allen Ihren 
Arlsjiten und Unternehmungen mit dem t;r\ias1eii und herz- 
lichsten Interesse folgte. l>ie*e Zeilen haben leinen anderen 
Zweck, ata Ihnen meinen I)auk auszudrücken für den tie- 
nuss, welchen mir das Durchlesen der liereits gedruckten 
Bogen Ihrer Heise gewahrt hat. Ich war hj indiseret ge- 
wesen , die Besteigung des (ii|ifel* selbst unserem edlen Mon- 
archen in Abendstunden, in Potsdam, vorzulesen und all« 
Hörenden haben den Mllih, die Uutschlossenheit und die rein 
wisseiischaftlie.hu Thntigkeil bewundert, mit der Sie dieses 
wichtige Unternehmen au«geführt. Sie wis»«n vielleicht selbst 
nicht, da» ich, als ein (äeschenk der Kaiserin, einig« «iebirgs- 
arten und Pflanzen von dein heiligen (iipfe! besitze. Sie 




I wurden mir in Fischbach, bei dem letzten schlesischen Aufent- 
halte Kr. Majestät gegeben und ich hat» sie, zu Ihrem An- 
denke», mein vleljahriger und verehrter Freund, in der Kön. 
Mineralien-Sammlung niedergelegt. Der Druck Ihre« treff- 
lichen Werkes ist, wie ich von I'rof. Ilofniauii höre, der Voll- 
endung nahe: ein lästiger Anfall von kaltem Fieber hat mich 
gehindert, Ihnen früher diese Zeilen zu schreiben; jot/t aber 
edc ich. Ihnen einen Brut unseres berühmte« Astronomen 
mitzntheilnn, der Sie auf eine Uectification einiger Zahlen im 
Nivellement aufmerksam inachen soll. Würden Sie dadurch 
zu einer kleinen Beilage bewogen, so wage ich die freund- 
schaftliche Bitte nn Sie, mein verehrter Freund, iu dieser 
Beilage sieh noch et wa« umständlicher über den Vorzug Ihrer 
neuen Arbeit von der frühereu (sogar zweifachen) auszu- 
drücken. Ich glaub'-. Sie sind es sich »elbst und der Wissen- 
schaft schuldig, da dieser (legenstand seit 20 Jahren so lob 
hart das Publicum beschäftigt hat- Die Mittel, diu Sie 1S11 
und 1*10 mit so rühmlicher Anstrengung angewandt, sind 
sich fa»t gleich , und wenn Sie selbst sagen 8. 34t« des M»c. 
und S. Xi der gedruckten Heise, dass die neue Messung 
kein geringeres Vertrauen verdient «1» die von 1811, 
so foli;t daraus nicht eigentlich, daß man der neuen allein 
folgen soll. Ks ist etwas «ehr edles mit l'reimüthigkeit uud 
strenger Unparteilichkeit ein l'rtheil über seine eigene mit 
so vieler Mühseligkeit erkaufte Arbeit zu fällen, aber ein so 
wichtige* Resultat, um bei andeivn die Überzeugung zu er- 
regen, die Sie jetzt selbst haben, verdient etwas mehr Ent- 
wickelung (Vergleich mit dem früher von Ihnen, Hofinann 
und Helmerscn boMbachtetcn), al« Sie in Ihrer jetzigen Schrift 



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Ferdinand Gcssert: Wasserwirtschaftliches im Ambolande usw. 



2(ir. 



dem Gegenstände geschenkt. Wollten Sie nicht in einem Zu 
mir« die HoffnUDg aussprechen, ein wohl verglichen** Baro- 
meter in Astrakhan atis/.uslelle ti, du dreijährige Beobachtungen 
dort nn honiouymeu Stunrieu iu Mittelxahlm so entscheidend 
«•in würden' Ich sende Ihnen die Abschrift der »ehr wenig 
interessanten Beobachtungen , die ich mit Gustav Rose und 
Ehrenberg vom »teil bis 27. Oct. anstellte. Sie sehen aus 
dem heUs, welche» ich treu abschreibe, wi« erschrocken 
ich selbst war, als ich vr>n Sarepta nach dem Uou kam und 
«o wenig Unterschied fand? loh »hob die Schuld naturlich 
auf meteorolog. Veränderungen und Mangel gleichzeitiger 
Beobachtungen. Vergleiche mit dem viel zu fernen rasa» 
gaben auch das t'aspische Meer nicht niedriger, als den 
Ocean, aber wie fürchterlich schwankt« das bar. in jener 
Jahreszeit! Ich erwähnte dieser Zweifel nicht in meinen 
Fragmens aaiatlqae», weil ich durch vereinzelte und darum 
unsichere Beobachtungen nicht den Glauben an ein Resultat 
schwächen wollte, das Sie und Herr von Engelhardt mit »o 
vieler Anstrengung erlangt hatten. Die Beob. in Orenhurg 
und Gtirieff schienen mir seitdem den niedrigen Spiegel de« 
Caspischen Heeres zu bestätigen und wie Hr. Knke, hin ich 
»«•Hut nicht ohne Zweifel über alle Stations Nivellements, 
wo mit der Zahl der Stationen die constanten Fehler sich 
häufen. 




Sic verzeihen gewiss einem alten Freunde die Freiheit 
dieser Aeusserungen : auch das geometr. Nivellement der 
Lagen zwischen Don und Wolga litsst mir Zweifel, da e* 
zwischen Katschalinsk und Zarytzin 31 Fuss weniger giebt, 
als Ihro Barometer Messung < [i51 — 130 F. S. 30» des Mscs. 



■ 

oder S. 1» der gedruckten Reise), ein Unterschied von fast 
'.•>• Darf ich Sie bitten unserem theuereu leidenden Freunde 
Hrn. von Engelhardt meine besten Grüsse zu bestellen, auch 
Hrn. Hoftuanti, wenn er (wie ich hoffe) in Dorpat ist' Km- 
pfangen Hie den wiederholten Ausdruck meiner hohen Ach- 
tung und freundschaftlichster Anhänglichkeit: 

Berlin, den 28. Mai 18.14. AI. Humboldt." 

(Beischrift.) .Ich trage Ihrem Buchhändler auf, das 
Werk nicht eher auszugeben, als wie Sie (mein Yerebrteater) 
ihm geschrieben habeu es zu thun mit oder ohne die kleine 
Beilage der Erörterung. Dass Sie von der Beilage A. B. 0. 
freien Gebrauch izt oder künftig machen können, versteht 
«ich von seihst. Meine innigste Verehrung au Hr. Bitter r. 
Btruve. Sind noch keiue Langenresultate von Hr. Fedorow 
tiber Karnaul gekommen?* 

(Am Bande von S. 4 do» Manuskripts.) .Wie schade, 
dass bei so vielen Materialien, die Sie und II. Fedorow ge- 
wiss besitzen, Sie Ihre Keise nicht mit einer detaillirtaren 
Karte ausgestattet haben. F.ine zweite Ausgabe wird dazu 
Gelegenheit geben. Auf der itzigen kleinen Karte sind ver- 
gessen die Namen Halauss, Kiikusseu (Jockolt) und selbst 
Kimm, was |raan] zum Verständnis* von p. 1« — ü3 bedürfte." 

(Am Rande von 8. .1.) , Warum glauben Sie. daas ans 
den durch ein ganzes Jahr fortgesetzten Bar Beob. von Hof- 
mann in Orenburg sich über die Höhe von Orenhurg Uber 
dem Schwarzen Meer nichts sagen lasse, p. 31 der gedr. 
Reise.* 

Der Herausgeber bemerkt, das Parrot dem Wunsche 
Alexander v. Humboldts entsprechend auf S. 101 bis 198 
unter Anführung »eines Schreibens die genauere Erklärung 
gegeben habe. Er gibt auch biographische Nachrichten über 
die in dem Briefe genannten Personen. Der Astronom ist 
Encke. Ii. S. 



Wasserwirtschaftliches im Ambolande und im deutschen Teile 

der Kalahari. 



Professor S. Pagsarge hatte die Güte, in Bd. 90, 
Nr. 19 dos Globus auf meinen Aufsatz in Kr. !i desselben 
Bandes einzugehen. So sehr ich ihm für seine Aus- 
führungen danken muH, so mögen mir doch einige wirt- 
schaftliche Bemerkungen dazu gestattet sein. 

Passarge nimmt die jährliche Wasserführung de» 
Kunoue zu 4000 Mill. cbm an. Ich berechne'), fußend 
auf übereinstimmenden Angaben von Schill«. Hart- 
mann und Laubschat , die Wassermenge auf rund daB 
Vierfache. Passarge nimmt für die von Hartmann be- 
richtete Flutbreite von 2 bis 3 km eine Durchschnitts- 
tiefe von 3m an. Hartmann sagt aber-) wörtlich: .In 
dar Zeit seines höchsten Wasserstande* (Marz) erreicht 
er eine Breit« von 2 bis 3 km mit einer Tiefe von 20 
bis 30 tu." Die Stelle mag oberhalb des Punktes sein, 
den Paasarge im Auge hat. Das äudert aber nichts au 
der Wasserführung. Nach meiner Berechnung ist die 
durchschnittliche sekundliche WassermeDge des Kuneue 
600 cbm. Für einen Gohirgsiluß, der iu gewissen Teilen 
(Cacondn) einu jährliche Itegenhöhe von 1500 bis 
1700 mm auf wenige Monate verteilt erhalt, scheint da» 
keineswegs hoch gegriffen. F.s ist das nur das Zehnfache 
der geringsten Wasserführung, die Schinz mit 50, ebenso 
Hartmann und I-aubschat mit tiO cbm angibt. Der Kunene 
ist noch sehr wenig bekannt. Aber nach dem Verhältnis 
der durchschnittlichen zur minimalen Wasserführung des 
Oranienstromcs muß ich meine Berechnung für sehr vor- 
sichtig halten; denn dieses Verhältnis ist nicht 1:10, 
sondern mindestens 1 : 100 ■"'). Angenommen aber, Passarges 

') Die mutmaLSlicheu klimatischen Folgen einer Kiiuene- 
Ableitniig. Zeitschrift für K <l.>uii»l|x.litik. Jahn.'. VI. 
*) Tropcnprtanzcr, März ISM»U. 

') Kvhhock gibt in der Zeitschrift für Kolonialpolitik die 
Diirchschnutswnxserfiihruiig desOranicn auf l'.'Ocbm an. und 
zwischen -J« und «OflOehm schwankend. Di« Minimulznhl ist 
virl zu hoch. Ich suli im l>kt..l>vr Itior, itu FluC ein Rinnsal. 



unwahrscheinliche Schätzung sei die richtige, so laßt sich 
mit dieser Wasseruiouge bei eiu Fuß ßerieselungshöbe 
die Halft« des Kulturlandes Ägyptens bewässern, und 
das genügt bei dortiger Bepen hohe. .Schaffen wir aus 
dem Ambolande ein Gebiet mit dem halben Handels- 
umsatz Ägyptens, so können wir zufrieden sein. Und 
daß die Hauptstapelartikel des NilUls, Baumwolle und 
Zuckerrohr, vorzüglich im Ambolande gedeihen, steht 
ganz außer Frage. Das Amboland wird ja einst auch 
ohne Kuneneubleituiig große Ernten reifen, aber das 
Kunenowasser wird die Krnten sichern und enorm steigern. 
Passargu zitiert, eine Stelle von Hartmann ; „In der Regun- 
zeit, in den wenigen Monaten von Dezember bis April, 
ist das Reisen int Ambolande so gut wie ausgeschlossen. 
Dann ist das ganze Land überschwemmt." Das ist also 
genau wie im alten Ägyptenlande. Seltsam berührt 
Passarges Schlußfolgerung, daß eine Regelung der vor- 
handenen WasBerraassen , die eine Drainiening im Auge 
habe, nicht aber eine Vergrößerung des WasserüberHtuses 
stattfinden müsse. Kin Überfluß liegt nur temporär vor, 
denn Schinz berichtet, daß den Ovambo häufig die ersten 
Saaten verdorreD, wenn nicht rechtzeitig ergiebige Regen 
fallen. Bezweckt etwa die Regelung des Nils Draiuierung 
Ägyptens? Haben nicht vielmehr die Pharaonen die end- 
losen Dämme der enormen Bassins gebaut, um die Fluten 
länger zurückzuhalten .'' Wollte der Khodive mit dem 
Bau der Barrage am Kopfende des Nildeltas die Wasser- 
menge des Nils verringern ? Bezweckten nicht vielmehr 
auch die Kngländer, denen Pasearge doch unmöglich 

über das ich hätte springen können, und das mir nur bis 
zum Knöchel reichte. In anderen Jahren hört im l'nterlauf 
dieser Flulä zeitweise ganz mit dem oberirdischen I<auf auf. 
Die MaximaUtchätzung stützt sich anscheinend auf «in« ähn- 
liche im .tifticiril Handbook of the Cape', und ich mochte 
sie nach von mir beobachteten Flutmarken für Z' 
halten- 



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206 Ferdinand Gcssert: Wasserwirtschaftliches im Atnbolande usw. 



huanzwirtschaftliche Größe absprechen wird, mit den 
großartigen Talsperren bei Assiut und Assuan möglichste 
Steigerung der verfügbaren WaBsermenge? 

Was will Passarge mit dem Satz nagen: „ Anscheinend 
sind die Täler (der Oinurauibal iu ein Sandplatcau ein- 
geschnitten, da» als Rerieselungsgebiet ganz wegfällt"'/ 
Weshalb sollte es wegfallen? Nach übereinstimmender 
Schilderung sind die sich häufig verzweigenden Otui- 
ratnba nur kaum merklich in das Gelände eingeschnitten, 
so daß eine Stauung de» Wassers auf da« umliegende 
Überschwemmungsgebiet nicht die geringste Schwierig- 
keit macht. Oder fallt es weg, weil es eich um Sand 
bandelt'/ Ks ist ja nicht unfruchtbarer märkischer Sund, 
er ist nicht von übermäßigem Hegen seiner Nährsalzc 
beraubt, es ist vielmehr überaus fruchtbarer Kalabari- 
sand, der hundertfach Frucht trägt. Kr ist auch nicht 
entfernt zu vergleichen mit den» toten Sande der Libyschen 
Wüste, der dem Nilschlatuin unterlagert. Zudem liegt 
dicht unter ihm eine dicke dunkle bumose Schicht. Ferner 
führen unsere afrikauisohen Stcppenllüsse solch enorme 
Schlammengen, daß der Hoden überaus schnell an Güte 
gewinnt. Hier auf Sandverhaar hatte ich im einst zur 
Deackerung bestimmten Dutninbeckcii bereits nach der 
zweiten Füllung eine fußdicke .Schlickschicht bester 
Eigenschaften, fruchtbar und mürbe zugleich. 

Wir besitzen im Atnbolande ein zweites Ägypten, 
wenn wir es durch den Kunene zu befruchten wissen. 
Bei wirtschaftlich technischen Streitfragen ist Abraten 
stets weniger verantwortlich als Zuraten, weil Zuraten 
leicht weitere Konsequenzen und Anfragen und Vorwürfe 
bei auch unverschuldeten Mißerfolgen veranlaßt Mit 
dem Urteil von Sachverständigen ist die Entwickelang 
des Schutzgebietes schon mehrfach gehemmt worden. 
Da sagten die Autoritäten, ohne Untertunnelung des 
Dünengürtels sei eine Durchquerung der Namib von 
Lüdoritzbucht aus unmöglich. Der Babubau unterblieb 
denn auch, bis die bittere Notwendigkeit zur Kriegszeit 
den Bau erzwang, uud die vermeintlich unüberwindlichen 
Schwierigkeiten verflogen wie Flugsaud! 

Wie wurde ich gewarnt, Staudämme aus Sand zu 
bauen; die würden kein Wasser halten. Trotzdem baute 
ich Dämme aus Sand auf Sandverhaar, Veldschoenhorn 
und Panfontein, und der Steppensand ist so undurch- 
lässig, daß der Sickerverlust gegenüber der Verdunstung 
auf der Wasserfläche gar nicht iu Betracht kommt 

Die Geologen behaupteten, am Baywege sei außer 
den bestehenden Wasserstellen kein Wusser zu linden. 
Da kam Landrat v. Uslar — die Wünschelrute wollen wir 
als unerquickliche Beigabe beiseite lassen — und an 
vielen Stellen wurde Wusser gefunden. Kr ist eben ein 
Praktiker. 

Wollen wir kein Vertrauen haben zum Lande, «agon 
wir uns immer vor: „Es geht ja doch nicht", wollen wir 
keinen Vorsuch wagen, nicht das Kisiko laufen, durch 
mißglückte Versuche Erfahrungen zu sammeln, dann 
wird es uns gehen wie dou Kindern Israel, die zur Strafe 
für ihr Zweifeln noch 40 Jahre in der Wüst« umher- 
irren mußten und nur von fern das Land sehen durften, 
darin Milch und Honig fließt; mit dem Unterschied, daß 
es in unserer eigenen Macht steht, die Wüst« in ein 
Gelobtes Land zu verwandeln. 

Nun komme ich zu der Schulfrago, ob die Kunene- 
ableitung eine Regenvermehrung der umliegenden Land- 
schulen zur Folge haben wird. Ich habe stet« gebeten, 
diese Frage nicht als wirtschaftliche Begründung') des 
Ableitungsprojektes anzusehen — die Kosten würden 

') Viter Rentabilität und Bnnk..<t.n ••iiier KuitehHaMritunp. 
<1M.ii.. Itd 85. Xi. -zt und t:. 



mehr als gedeckt durch die Gewinnung ausgedehnten 
erstklassigen Bewässerungslandes — als vielmehr als 
einen physikalischen Vorsuch großen Maßstabes. Passarg» 
hält eine Bagenzunnhme von 30 bis 40 mm im Kaokofeld 
uud Auibolande für möglich. Das würde ja mehr als 
genügen, die Frage im Prinzip bejaheod zu beantworten. 
Dann ist für andere Fälle, wo weit größere Wassermasgen 
verfügbar sind, der Erfolg verbürgt, z. 11. für die Ab- 
lenkung des Sambesi durch den Selinda-Tauche südlich 
zum Ngauii-See hin. Die gewonnenen Verdunslungs- 
gebiete in den Bewasscrungszentren der südafrikanischen 
Ströme werden sich mit der Zeit gegenseitig durch Regen- 
zunahmo verstärken. Passarge meint, es sei undenkbar, 
daß alles abgeleitet« Kunouuwasser verdunstet Das 
Etosabecken ist durchaus abflußlos. Zuuächst wird sich 
gewiß das den Kanülen nahe gelegene Erdreich voll 
Wasser saugen , und auch entfernter liegender Boden 
wird, der Dauipfzuuahrue der Luft entsprechend, hygro- 
skopisch seinen Feuchtigkeitsgehalt steigern. Aber auf 
mohrere Jahre berechnet sind das so minimale Verluste, 
daß sie der Verdunstung gegenüber vernachlässigt werden 
können. 

Vielmehr ist im Jahr nicht nur eine eiumalige Ver- 
dunstung des zugeleiteten Wassers, sondern eine mehr- 
malige, vielmalige zu erwarten und entsprechender 
Niederschlag. Dann siud auch die HO bis 40 mm mit 
einer Unbekannten zu multiplizieren. Passarge ist ja 
Anhänger der Supanschen Lehre von der Herkunft dos 
Regens, er muß mit Brückner zugeben, daß besonders 
bei Zenitalge wittern die kondensierte Feuchtigkeit vor- 
nehmlich vom Kontinent selbst stammt. Als ich in Berlin 
zu Passarges Füßen saß und seinem Vortrag lauschte, 
hörte ich ja aus seinem eigenen Munde, daß er die für 
südafrikanische Verhältnisse ungewöhnlich hohe Regen- 
menge von Cacouda erkläre aus dem Feuchtigkeitsgehalt 
des oberen Kuneuetales uud der östlich angrenzenden 
Landschaften. Passarge bestreitet ja nicht die Ausführ- 
barkeit der Verwandlung der F.tosapfanne in einen See. 
Wenn das erreicht ist, weshalb sollten dann die ihm 
benachbarten Gebirgsstöcke des Etjo und der Walerberg 
nicht auch abnorm hohen Niederschlag aufweisen'/ 

Nun sagt Passarge, die Kuneneableituug sei Zukunfts- 
musik. Allerdings, und heim jetzigen Vorbot dos Be- 
tretens des Ambulandea mehr als je; doch die allmähliche 
Pazifikation des Südens gibt einen Hoffnungsschimmer. 
Zukunftsmusik gewiß. Aber wenn man nicht an einer 
Stange, von zwei Männern getragen, die süße Traube in 
die Heimat bringt, dann hält man dort das Schutzgebiet 
für eine hoffnungslose Saudöde, und zn einer Entwiekelung 
des I^tndes in preußischem Geschwindschritt sind wir 
ausgeraubten Farmer ohne Unterstützung außerstande. 

Was nun die Grundwasserverhältnisse anlangt, so 
beschränken sich Passarges Ermittelungen uud pessimi- 
stische Ansichten nur auf englisches Gebiet der KalaharL 
Er empfiehlt dagegen selbst Bohrungen bei GohabiR. Was 
aber Passarge über den Wassermangel am Ngami-Sce 
anführt, ist keineswegs überzeugend. Wenn bei 500 
Bohrungen in einer Tiefe bis zu 20 in kein Wasser ge- 
funden wurde, so ist damit nicht bewiesen, daß es auch 
in größerer Tiefe nicht anzutreffen sei. Ich verweise 
auf Passargos Aufsatz über afrikanische Inselbergland- 
sebaften in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift, 
wo er von Kordofan, allerdings bei durchaus anderem Ge- 
stein als in der Tctting-Bucht, von Hunderten von Brunnen 
von über 90 m Tiefe berichtet In diesen Breiten gebt 
nun einmal die Verwitterung sehr tief und entsprechend 
Bncb das Niedersinken des Wassers, voransgesetzt , daß 
nicht andere Einflüsse eine Verkittung, eine undurch- 
lässige Schicht veranlassen. Es ist zu unwahrscheinlich, 



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207 



daß, während hier boi Inachah bei kauin 80 mm lloguti- 
fa.ll reiche Grundwassermeugen Torkotnmeu , dort bei 
600 uiiu kein Wasser zu linden bcL Pasgarge meint, 
daß, wenn eine mehrere Meter dicke Sandschicht im 
Laufe von sechs Monaten mit 500 mm Wasser begossen 
werde , es vuraUndlich sei , daß der Sand sich nur an- 
feuchte. Die Feuchtigkeit wird nach den kapillarisch 
aktivsten Partien hingezogen, und das ist nach Passargeft 
Darstellung dor Untergrund, mindestens in den Mulden 
der Salzmergel, und nach den Mulden zu Hießt auch 
obertliVchlich das Wasser, donn die Kalahari ist ja keine 
ideale Ebene. 

Nun sprichtPassarge von steil aufgerichteten Schichten, 
die er allüberall angetroffen habe in dem durchforschten 
Gebiet. In irgend einer Tiefe müssen notgedrungen 
diene Schichten ihren Neigungswinkel verringern und 
umbiegen, Bei Hönningen nach Wasser dürfte es zum 
Teil darauf ankommen, diese Tiefen festzustellen. In 
letzter Zeit hubo ich zu viel von Brunnen, dio in der 
Kalahari neu erschlossen sind, gehört und gelesen, als 
daß ich nicht glauben mußte, daß Pasaarge unter dem 
Zwange der Tatsachen in Zukunft günstiger Ton der 
Kalahari denken wird. 

Dio Kalahari, als weites Hinterland unserer Hafen 
Swakopmund und Lüderitzhucbt , ist als vorzügliches 
Weideland von zu eminent hoher Bedeutung, als daß 
wir uns übertrieben pessimistischen Anschauungen hin- 
geben dürften. Passarge gibt meines Wissens nicht an, 
nach welchen Mineralien die Expedition vornehmlich ge- 
sucht hat, aber Wasser scheint es in den meisten Fällen 
nicht gewesen zu sein. Das Etosalieoken hat höchst- 
wahrscheinlich horizontale Schichten, was mau schon aus 
dem Aufbau der südlich gelegenen Tafelberge, wie des 
Otnatako, schließen möchte, und der Umstand, daß man 
rings um die Salzpfanne herum Süßwasser ergraben kauu, 
bietet die Wahrscheinlichkeit, daß man sehr starkes 
artesisches Wasser erbohren könnte. Trifft das zu, so 
würde es eine sehr wertvolle Unterstützung der perio- 
dischen Kunenefluteu sein. Denn ist auch der Kunene 
ein perennierender Fluß, so reicht sein Niederwasser 
doch nur zur Berieselung von 1 500 <|km. Wie man 



aber auch im Namalande, wenn nur ein einziges Gewitter 
den Damm gefüllt hat, ununterbrochen ankern kann, zu- 
nächst iu den flachen Teilen des ISeckens die Winter- 
frucht sät, dann in dun tieferen Teilen die Sommerf nicht, 
so wird sich auch im Anibolande ein kontinuierlicher 
Betrieb ermöglichen lassen. 

Politisch interessiert die Kalahari zunächst ja nur 
innerhalb unserer Grenzen, aber die wirtschaftlichen 
Intorcssen der Deutschen sind schon jetzt sehr umfangreich 
im britischen Südafrika. Ks ist das gegebene wirtschaft- 
liche Expansionsgebiet, wenn es uns im Schutzgebiet zu 
eng wird, und es war es während der Aufstandszeit 
schon jetzt, da die wirtschaftliche Betätigung hier be- 
hindert war. Es siud teilweise deutsche Firmen, dio zur 
Erleichterung der Transporte letztbin in der Kalahari 
neue Brunnen erschlossen. Sollte aber auch Pasgarge 
mit seiner ungünstigen Ansicht über die Grundwasser- 
verhaltnisse in beschränkten Gebieten recht behalten, 
so gibt es immer uoch Wege, auch diese Landschaften 
der Viehhaltung zu erschließen. Schon die alten Börner 
betonierten die Abhänge in ihren afrikanischen Provinzen, 
damit das Wassur in große Zisternen ablaufe. Ein weit 
billigeres Mittel bietet sich bei Tonpfannen durch Aus- 
heben tiefer Löcher mit der Ochsenschaufel. Es ist 
ganz ausgeschlossen , daß ein so vorzügliches Weideland 
wie die Kalahari, dessen VegeUtionsreicbtum Passarge 
immer wieder hervorhobt, dauernd eine menschenleere 
Wüstenei bleibt. 

Die Ehe der Kolonial - Deutschen übertrifft die der 
Kolonial- Briten an Kinderzahl, dem Bur ist der Deutsche 
an Bildung weit überlegen. So kann es nicht ausbleiben, 
daß der Deutsche das eigentlich treibende Element im 
Wirtschaftsleben Südafrikas wird. 

Es ist aber Zeit, daß die wissenschaftlich oder tech- 
nisch ausgebildeten Autoritäten endlich von ihrer krank- 
haften Schwarzseherei , die uns schon so viel geschadet 
hat, absehen, und bei unvermeidlichen Meliorationen von 
der Frage: „Ist es möglich?" schnell zu der Frage über- 
gehen: ,Wie ist es am besten und preiswertesten aus- 
führbar?" 

Inachab, 22. Jan. 1907. Ferdinand Gossert. 



Bflcherschau. 



Dr. Max Georg Schmidt, Geschichte des Welthandels. 

1*0 Seiten. (Aus Natur und Goisteswelt, Bd. 118.) Leipzig, 

B. O. Teuboer, ivoe. 1,25 M. 
Auf (irund guter Kinzelunterauchungen hat der Verfasser 
in diesem Uändctirn einen recht lesbaren , interessant und 
anregend gefällten, zugleich »her aueti das erläuternde Zahlen- 
material nicht entbehrenden Abriß über die Geschichte des 
Welthandel* geliefert, über den Wechsel iu den Richtungen 
der großen Handel»» ege, dessen Motive, den EiiifluD von 
Produktion auf Nachfrage und umgekehrt, uud über die 
politischen Folgen jenes Wechsels. Allerdings sind auch 
manche Unsbeubellen, Flüchtigkeiten und Widersprüche mit 
in den Kauf zu nehmen, die hei sorgfaltigerer Durcharbeitung 
leicht auszumerzen gewesen wären. Einzelne* in den Be- 
hauptungen wird bestritton werden können. Nicht erst 
„neuerdings* ist f nämlich durch Peters) Ophir im Masehona- 
land gesucht worden, sondern schon von alten i>ortugiesi»chen 
Schriftstellern und später von vielen anderen (8. 9). Der 
Hätz (8. 3ß), dall arabischer Harulelseiiillull .in das obere 
Jangtsetal* nach China vorgedrungen *ei. stimmt duch schwer- 
lich in dieser Fassung. Nach S. 122 sollen Saharabahncn 
im Hau begriffen sein; davon ist nichts bekannt. Mehrfach 
warnt der Verfasser mit Itecht vor ütiertriebenen Auffassungen 
vom Wert der llandelshewegung im Altertum und im Mittel- 
alter (z. 1'. bezüglich der Phönizier nach Winckler und 
v. Mimlau); »Hein seine Darstellung ist selbst nicht frei von 
solchen hergebrachten Übertreibungen und Uliemchwenglich- 
keiten: 8. i: In Tvrus und Sidon kreuzten sich die „Schütze 
de« Abend- und Morgenlande«"; t*. ö»; „tTuernwiilichkeit' des 



Warenumsatzes in Lissabon zur Zeit der portugiesischen 
Kolonialhlüte. Auch bezüglich Venedigs ist manches mit Vor- 
sicht zu genießen. 

M. Alemann, Am Rio Negro. Kin Zukunftsgebiet germa- 
nischer Niederlassung. Drei Reisen nach dem argentini- 
schen Rio Negro-Terrilorium. Ein Führer für Ansiedler, 
Unternehmer und Kapitalisten. XVI und 158 Seiten. Mit 
90 Abbildungen, 2 Karten und 1 Plan. Berlin. Dietrich 
Reimer, 1907. 3 M. 
Wie im Titel bemerkt , soll das Buch , dessen Verfasser 
ein seit vielen Jahren in Buenos Aires ansässiger Deutscher 
ist. ein Führer für Ansiedler, l'nteruehmer und Kapitalisten 
sein. Ks gehört zu den in neuerer Zeit sich mehrenden Ver- 
öffentlichungen, die deutsches Kapital für Argentinien inter- 
essieren und für eine deutsche Auswanderung besonders nach 
den südlichen Teilen der Republik Stimmung machon sollen. 
Hier handelt es sich speziell um das Tal de» Rio Negro, das 
als fruchtbarster Teil von Patagonien bezeichnet wird und 
die besten Vorbedingungen für den den deutschon Bauern 
vertrauten Kleinbetrieb bieten soll. Das Oobiet ist beute 
auch nicht mehr weit abgelegen von der Außenwelt, sondern 
durch Eisenbahnen erwjhlossen. Allerdings stimmen dio 8. :t9 
berichteten .starken Verheerungen* durch Heuschrecken in 
Villa Roca am oberen Rio Negro etwas bedenklich. Der 
Verfasser tritt für eine OroBkolonUation durch Deutsche ein. 
für deren Organisation kapitalkräftig.' Kolouisatii.n«gcsell- 
schafteu gebildet werden niiilStcn. Di« Reisen das Verfasser» 
im Rio Negro Uebiet fallen in üie Jahre 0**7 und ISO« und 



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20* 



Bücheracbau 



»inJ in dem Buche in leichtem Plauderton beschrieben. Unter 
den Abbildungen Huden sich viele, dir die Charakteristik des 
Landes sehr gut dem Leser vermitteln und mich geographisch 
von Wert sind. Ebenso ist die Kalte der Flußgebiete des 
Rio Colorado und Rio Negro iu I : ioCOOnv» von Interesse. 
Da» andere Blatt ist eine Verkehrskarte. 

Prof. A. La HlrkniunD, Geographisch-statistischer 
Uni versa I-Taschen ■ Atta«. H4 Kurten und Tu f du mit 
«4 Seiten Text. Wien, 0. Freytag i Berndt, o. J. 3,80 M. 
Die Karten, bei denen auf einheitliche oder bequem ver- 
gleichbare Maßstäbe lledacbt genommen ist, genügeu für die 
aua einem pTascbcnallas* mögliche Orientierung, auch über 
Eisenbahnen und Dampferverbindungen. ]>ie Tafeln geben 
in deutlicher und praktischer graphischer Darstellung schnellen 
Aufschluß über eine Menge von statistischen Einzelheiten (wo- 
l*si allerdings die Angaben über die Jahre fehlen, auf die 
sie »ich tieziehen) und veranschaulichen außerdem Flaggen, 
Landesfarben, Kokarden, Wappen, Münzen u. a. Der Text 
bietet außer rein geographischem Material Mitteilungen über 
die Menschenrassen (freilich nach dein alten Blumcubach- 
schen System mit einer 6. Unterabteilung „Volker nicht 
genau bestimmbarer Kaue'), Religionen und Sprachen, schließ- 
lich statistische Tabellen mit Angabe u über das Staatsober- 
haupt, Flächenraum, Einwohnerzahl, Dichte der Bevölkerung, 
größere Städte. Münzen, Maße. Gewichte und wichtigste 
Buden- und Industrieprodukte. 

Die Helsen des Venezianers Marco l'olo im 1.1. Jahr- 
hundert. Bearbeitet und herausgegelien von Dr. Hau» 
Lemke. 043 Seiten. Mit einem Bildnis Marco Polos. 
(Bibliothek wertvoller Memoiren, herausgegeben vou Dr. 
Krust Schultz«, Band I I Hamburg, Outeuherg-Verlag, 
it»07. a M. 

Diese Memoiren Sammlung, die mit der vorliegenden Be- 
arbeitung de* Reisebericht* Marco Polos eingeleitet wird, 
wendet sich weniger an Kachkreise, als au die Allgemeinheit, 
und diesem Zweck entsprechen sowohl die Grundsätze bei 
der Auswahl (,os soll nichts ... Aufnahme linden, was nicht 
allgemein menschlich interessant int*), wie die Form der 
Bearbeitung. Die wissenschaftlich hervorragendste Ausgabe 
Marco l'olos dürfte die «uglische de» Oberst Vule sein, die 
in :t., von Cordier ergänzter Auflage 1'Jüu erschien. Eine 
deutsche von Bürek und Neuraann liegt aus dem Jahre 1645 
vor, aber sie ist naturgemäß im Kommentar veraltet nnd 
dürfte wohl nur noch auf deu großen Bibliotheken niifzu 
treiben sein. Jene sowohl wie diese kommt für den deutschen 
Leser, den, der „lesen* und nicht studieren will, kaum in 
Betracht, und dasselbe gilt von den französischen und eng- 
lischen Ausgaben. Ganz anders verhält es »ich mit der vor- 
liegenden Ausgabe, die die Biircksche Übertragung des 
italienischen Texte« des Rnmusin, des ausführlichsten, der 
besteht, wiedergibt, doch auch noch Einzelheiten aus anderen 
Texten bringt. Der Bearbeiter hat dazu einen Lebensabriß 
Marco l'olos und eine Übersicht über die politischen Ver- 
hältnisse Asien» zur Zeit der Reise vorausgeschickt. Ferner 
hat er in Fußnoten Erläuterungen dunkler Stellen gegeben 
nnd kurz die bestehenden Streitfragen geBtreift. Unsere 
Kenntnis Innernsiens uud China* ist ja heute viel umfassen 
der als zur Zeit, da Bürck und Neumarin Mnrco Polo» Reise- 
bericht kommentierten, selbst als die Ausgal« Pauthiers 1 
oder die erste Auflage Yule« er^ hieu (1*75); wir haben heute 
viel verläßlichere Mittel, den Reineweg des Venezianer» 
festzulegen und die von ihm erwähnten ilrtliehkeiten zu 
identifizieren. Diese« Rüsizrug hat der liearbeiter sich ge- 
schickt zunutze gemacht, abgesehen von eiuigeu minder- 
wertigeren neueren Heiseberichten, auf die nicht hatte zu- 
rückgegriffen werden brauchen. 

Das M i 1 1 e I ni e u r uud seine Küstenstädte, .Madeira 
und Kanarische Inseln. (Meyer» Keisebücher.) :t. Aufl. 
XII und 276 Seiten. Mit 2.-1 Karten, 47 Plänen und 
1 Flsggontafcl. Leipzig, Bibliographisches Institut, 1M7. 
0,50 M. 

Dr. TU. ö»ell Fels, ltiviera. Südfrank reich, Korsika, 
Algerien und Tunis- < Meyers Reisehüchor.) 7. Aufl. 
XII u. 4'Ju Seiten. Mit '.Iii Karten, 31 Plänen U. 1 tirund- 
riß. l»eipzip. Bibliographisches Institut, U>07. 7.S0 M. 
Die hier in neuen Auflagen erschienenen Mererschen 
Reiseführer behandeln verwandle und teilweise ineinander 
übergreifende Rei.segebiete, die jetzt auch viel von Deutschen 
aufgesucht werden, nachdem v-.n verschiedenen Seiten dazu 
bequeme und zum Teil verhältnismäßig billige Verkehr» 
gelegenheiten geschalTeu sind (durch die großen Dampfer 
gesellachafteu und Vereinigungen für Touristenfahrtenl- Der 



Hand mit dem Titel „Da* Miltelmeer" hat gegen die 2. Auf- 
lage ein« große Zahl wichtiger Erweiterungen erfahren, 
ti. a. durch ausführlichere Abschnitte über Madeira und die 
anscheinend schnell in Aufnahme kommenden Kauarisrhen 
Inseln, ferner durch solche über Tri|>olis und Oran. Dem- 
entsprechend ist auch der Bertaud au Karten durch nicht 
wenige nützliche und schöne Blätter vermehrt worden. Eine 
Ergänzung dieses Randes besonders nach Norden und nach 
I Buden bildet gewissermaßen der andere Band. Der Schwer- 
punkt liegt allerdings in der Behandlung der ltiviera. indessen 
haben auch Algerien und Tunis (mit Karthago) eine aus- 
reichende Darstellung erfahren. Wer es noch uicbl wüßte, 
ersieht e» hieraus, daß mau jetzt ohne sonderliche Umstände 
einen Blick in die algerische Sahara und ihre Oasen tun, 
u. a. die t>a«en Lagbouat und Blskrn kennen lernen kann- 
An historischen, geographischen, archäologischen Hinweisen 
fehlt es nirgends, und auch hier ist der Kartenappera: 
sehr zweckentsprechend und vollständig. Erwünscht wäre 
aber vielleicht gewesen, daß der eine der Bände auch Sardinien 
behandelt hatte; wer bei einer Mittelmeerreise auch dorthin 
will, muß sich noch einen besonderen Band kaufen 

Karl Baedeker, The Dominion of Cauada. With New- 
fnundland and an F.xcursiou to Alaska. Uaudbook for Tra- 
vellers. 3. Aufl. LXIV und IM S. Mit 13 Karten und 
12 Plänen. Leipzig. Karl Baedeker, 1907. rt M. 
Die zweite Auflage dieses Handbuches, als dessen Ver- 
fasser J. F. Muirhead bezeichnet wird, erschien im Jahre U'CKX 
Die neue Aufings: «teilt sich als vielfach umgearbeitet und 
ergänzt dar, n. n. auch mit Bezug auf das Karteniimterial, 
für das der Herausgeber sich der MiLarbeiterschaft Edouard 
Devilles. des Survcyor General des Dominion, und James 
White«, Geographen im Department <>f the Interior, erfreute. 
Eine landeskundliche Übersicht, ergänzt von White, rühr! 
von dem verstorbenen Daw-son her. Natürlich umfaßt die 
Darstellung nicht das ganze große Kanada, dessen nördliche 
Teile ja noch erst ein Feld für deu Forscher uud Jäger sind, 
sondern die Striche, die durch Bahnen erschlossen sind und 
wo der Tourist bereits auf mehr oder weniger Komfort 
rechnen kann, d. h. im allgemeinen den von M«r zu Meer 
reichenden Streifen südlich vom jä. Breiteugrad. Indessen 
ist auch schon dem interessanten Yukon- uud Alaskagebiet 
Rechnung getragen, da» an eigenartigen und großartigen 
landschaftlichen Schönheiten reich ist. Selbst über den jüntjst 
erst erstiegenen Mouut McKinley finden sich einige Angaben. 
Die Karten uud Pläne zeichnen «ich durch Schärfe und ge 
uügendes Detail aus. 

A. Werner, The Natjvo« of British Central Africa- 
Mil -HL' Illustrationen. London, A. t'otistable, 19o6. rt s. 
Mit diesem Werke wird eine Reihe von Monographien 
erftflne", w elche die Eingeborenen im britischen Kolonialreiche 
behandeln sollen. Nicht ohne ein Gefühl von Trauer bemerkt 
der Herausgeber in der Vorrede, daß man in dieser Richtung 
in England zurückgeblieben sei, daß das Völkerkunde Museum 
in Berlin zehums) »o viel Gegenstände besitze als das britische 
Museum und daß später die Engländer nach Berlin würden 
gi-hen müssen, um dort die nötigen Studien über die Russen 
ihrer eigenen Kolonien zu ujRchen, wonu die Kultur jene 
schon Kauz verändert habe. Dale-r diese. Reihe anregender 
Schriften. „Britisch Zentralafrika" umfaßt die Landschaften 
um den Njassasce, die uns zuerst durch Livingstone näher 
gerückt wurden, bewohnt von Baumstämmen sehr ver- 
schiedener Art, die sich immer mehr mischen, aber meist 
durch Defonnierungen — die Lippenpflöcke (I'elele), Zahn- 
feilungen usw. — auffallen, uud bei denen der Spiritismus 
in einer Weise ausgebildet ist, daß unsere Vertreter dieser 
, Wissenschaft 1 ' dort iu die Schule gehen kännten. Was nach 
den Miiteilungen de« Missionars Macdonald, der drei Jahre 
dort lebte, berichtet wird, ist recht erbaulich. Die loten 
erscheinen in sichtbarer liestalt und waudcln umher, uud in 
gewissen Wäldern kann man sie Gespräche führen hören. 
Von Belang sind die Berichte über die religiösen An 
schauungeu, wobei wir z. B. erfahren, daß zwischen Moral 
und Seuchen ein Zusammenhang besteht. Wo die Sitten rein 
sind, genesen alle von den Blattern Ergriffenen, wahren«! in 
sündigen Dörfern alle erliegen. Die Schöpfungsgeschichte 
wird ausführlich erzählt, im Anschlüsse an vermeintliche 
Fußspuren in den Kapiriuitiva Hergen , die von den ersten 
dort entstandenen Menschen herrühren. Für alle» und jede« 
gibt es Sohutzmedizinoii, und die Neger, die mit einer Krokodil- 
medizin versehen sind, baden ruhig in dem Shireflusse , der 
reich an diesen Sauriern ist. Eine andere Medizin macht 
den Schützen unfehlbar, und ein mit Namen bezeichneter 
Engländer benutzte sie auch im guten tilauben auf der Jagd. 
Kannibalismus, einst weiter verbreitet, ist noch in Spuren 



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Kleine Nachrichten. 



vorhanden. Für die Anfänge de» Eigenturas an Grund und 
Boden Ut es von Belang, zu erfahren, daß der Neger einfach 
in das unkultivierte Land geht, dort ein Stock zum Garten- 
bau sich wählt, durch ausgesteckte Grasbüschel bezeichnet 
und nun für immer in dessen ungestörtein Besitze bleibt 
(8. 179). Die Jagd unterliegt noch keinen Schongesetzen der 
Briten, und zeitweilig war starke Verminderung des Wild- 
standes bemerkbar, der aber dann wieder zunahm. Hehr 
sinnreich sind die verschiedenen genau lieschriebeueu Arten 



von Fallen. Die Weberai und das Spinnen ist ausschließ- 
lich Sache der Männer, nicht , wie sonst gewöhnlich der 
Kall, der Frauen. Sehr reich ist der Abschnitt über 
Folklore, viele Rätsel werden mitgeteilt, worunter ein sol- 
che« über das Ei nicht fehlt: .Außen weiß wie Milch, drinnen 
eine kristallklare Quelle und ein goldener Apfel." Märchen 
werden viele mitgeteilt, doch sind hier arabische Einflüsse 
und Anklänge an 1001 Nacht bemerkbar, sogar schon euro- 
päische. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit (tueUseangsb* gestattet. 



— Die dekorative Kunst Kretas im Bronzezeit- 
alter ist der Titel einer Arlieit, die Edith H. IIa 11 . be- 
kannt als Teilnehmerin an den amerikanischen Grabungen 
auf der Insel ((iournia usw.), in den , Transart (dos of the 
Department of Archaeolojry* des „Free Museum of Science 
and Art" der Universität von Pennsylvanien (Bd. II, Teil 1, 
ismn) veröffentlicht hat. Das Bronzezeitalter Kretas ent- 
spricht der minoischen Epoche, der Zeit vom 3. bis I. Jahr- 
tausend v. Chr. Sie ist von englischen Forschern eingeteilt 
worden in eine fruhminolsche, eine mittvltninoische und eine 
s|mtmlnoische Periode, deren jede in drei Unterperioden zer- 
fällt. Die Verfasserin legt ihren Ausführungen die Funde 
von bemalten Gefäßen zugrunde und cbtirakterisiert die Ent- 
wtckelung der dekorativen Kunst wahrend jenes 2000 Jahre 
umfassenden Zeitraumes wie folgt: Zu Beginn desselben wurde 
der künstlerische Sinn des Bewohners von Kreta durch die 
einfachsten linearen Ornamente, besonders durch das Zickzack- 
miister, zufriedengestellt. Der Gebrauch des Pinsels beein- 
flußte die Umbildung dieses geradlinigen in ein krummliniges 
Ornament , und es folgen viele Versuche darin in der früh- 
minoischen Periode III. Darunter bennde.n sich viele Motive, 
die wie wirkliche Gegenstände aussehen und den primitiven Sinn 
für nachahmende Kunst verraten. Gelegentlich auftretende 
konventionelle naturalistische Zeichnungen setzen sich mit stei- 
gendem Bealumus durch die mittelminoische Periode II fort, 
typischer aber ist dort das nicht nachahmende Ornament, das 
eine große Mannigfaltigkeit sowohl einfacher Motive wie kom- 
plizierter Zeichnungen mit Berücksichtigung von Gleichgewicht, 
Rhythmus und Harmonie einschließt. Einige dieser nicht nach- 
ahmenden Zeichnungen erreichen einen hohen Grad künst- 
lerischer Vollendung, andere sind roh und phantastisch. Das 
Vorwiegen dieser Klasse von Zeichnungen lauft der Verwendung 
der Mehrfarbentechnik parallel. In der niitteliniuoiscben Pe- 
riode III überwiegen rein naturalistische Zeichnungen die 
nicht nachahmenden, und ihre Einführung ist teilweise ägyp- 
tischem Einfluß zuzuschreiben; indessen sind kretische Zeich- 
ner, geübt durch lange Erfahrung in der Anwendung von 
Linie und Farbe, imstande, sich sowohl naturalistischere als 
auch mehr dekorative Wirkungen zu wahren, als ägyptische 
Künstler. Dieser Wechsel zu einem naturalistischen Stil tritt 
auf Töpfereiwarcu zutage, die aus technischen Gründen als 
direkt von Erzeugnissen der mittelminoischen Perioden I und II 

nicht nachahmenden Muster aus vorangehenden Perioden noch 
häutig, so daß vor der Einführung des naturalistischen Stils 
kein plötzlicher Bruch mit jenem anzunehmen ist. In der 
folgenden spätminoischen Periode I herrscht der nämliche 
naturalistische Stil vor, und verschiedene neue Wega zur 
Kombination naturalistischer Motive werden gefunden. Auch 
ist eine groß« Menge nicht nachahmender, aus den früheren 
und mittleren Perioden hergeuotntueuer Motive in Gebrauch. 
In der Zeit der großeu Paläste in Knossos und Phaisto* er- 
setzen konventionelle und konventionalisierende Blumen teil- 
weise di« naturalistischen Motive. Ks macht sich der Bvginn 
einer Tendenz, die Flachen in kleine Felder zu teilen, bemerk- 
bar. In der spatminoischen Periode III (.niykenische* Zeit) 
werden Zrichnungi'U weder der Natur angepaßt noch erfunden, 
sondern verdorbene Formen naturalistischer Motive verständnis- 
los nachgeahmt. Des Künstlers Hauptzweck ist es, die Felder 
oder Zonen, in die er seine Flächen einteilt, mit Ornamenten 
zu bepacken, ein System, das nicht nur den Mangel künst- 
lerischer Originalität verrat, sondern auch das Nahen eines 
rein geometrischen Stils ankündigt. 



— Eine allgemeine Übersicht über das Klima von 
Halle a. 8., vom Saal- und Mausfelder Seekreis gibt 
Alb. Koch (Inaug.-Diss. von Halle 1907). Das Gebiet ge- 
bort in thermischer Hinsicht der Übergangene /wischen 
dem Seeklima der Westküsten Europas und dem Festland- 
Osteuropas an. Hie ideale Tewperaturverteilung wird 



durch mancherlei Einflüsse abgeändert, namentlich durch die 
Höhenlage. Dabei zeigt sieh im Winter ein Gefälle der Tem- 
peratur von West nach Ost. Im Jahresmittel liegt unsere 
Gegend zwischen den Isothermen von 8 bis v* zum größeren, 
zwischen denen von 7 bis 8* zum kleineren Teile. Der Juli 
hat höchste Temperatur, der Januar die niedrigste; der 
August ist warmer als der Juni; der rascheste Anstieg er- 
folgt vom März zum April. Die mittlere Jahresscbwankuug 
beträgt ziemlich genau 19'. Kine Temperatur von 0' oder 
weniger herrscht an 37, von 5* und mehr an 227 Tagen, von 
10* und mehr au 166, von IS" und mehr an 100 Tageu; die 
Zeit der vollen Vegetation beträgt für Halle fast 24 Wochen. 
Die größten Tagesschwankungen pflegen im Mai aufzutreten, 
den kleinsten Betrag bemerken wir im Dezember. Als Frost- 
tage ergeben sich für Halle 84 im Durchschnitt, als Eislage 
25, als Sommertage 33, während vergleichsweise für Erfurt 
ermittelt wurden 113 Frost-, 8» Eis- und 86 KoinmerUge. Die 
größteu und kleinsten Werte der drei Arten von Tagen waren 
für Halle: Froettege 117 in 1881, 43 in 1888; Eistage 43 in 
1895, 0 in 1898; SO in 1889, 19 in 1891. 

— Die Kegenverhältnisse Ungarns schildert 
K. Hegyfoky (Földrajzi Köelem., 34. Kot., 1906), dem ein 
Zeitraum von 54 Jahren durch Aufzeichnungen zur Verfügung 
steht Das Jahr 1896 war mit 012 mm das regenreichste, 
1803 das trockenste mit 462 mm. Auf Grund der Zusammen- 
stellungen maß Verfasser feststellen, daß die Niederschlags- 
menge im Abnehmen begriffen ist. Seit 1883 weist die Linie 
kaum merkliche Abweichungen vom Mittelwerte auf; weder 
große Dürre noch starker Regenreichtum waren so andauernd 
wie in den sechziger Jahren. Wenn man die Graphikons der 
Brücknerachen Daten prüft, ergibt sich, daß es in Mittel- 
europa in den Jahren 1781 bis 1810 feucht, von 1810 bis 
1835 trocken, von 1836 bis 1865 ein wenig feucht, von 185« 
bis 1865 trocken, von 1866 bis 1885 feocht war. Während 
der nördliche Teil Europas diese Schwankungen kaum ver- 
spürte, paßt sich Ungarn an diese Verbältnisse an, und be- 
sonders seit jener Zeit, wo die Daten bestimmter werden, 
ist dies« Ähnlichkeit auffallend. 



— Kine erneute hydrographische Untersuchung 
des Kamolondo-Lualaha hat, wie wir dem Brüsseler 
.Mouv. geogr." vom 1". Februar entnehmen, der in kongo- 
staatlichen Diensten siehende dänische Marinelcutnaut Mau- 
ritzen im vorigen Jahr ausgeführt. Ks handelt sich um 
das etwa 650 km lange Stromstück des Kamolondo oder Lua- 
laba und de« mit ihm vereinigten Luapula oberhalb der 
Sehnellen d*r .Porto d'Knfer* (5* 20' südl. Br.) bis zu den 
Fällen von Kalengue oder Konde (9° 10' südl. Br.), das für 
die Erschließung Katengas von Bedeutung ist. Es hatte dort 
bereits Leutnant Ivettes 1903 ähnliche Untersuchungen vor- 
genommen und erklärt, einiget» Schwierigkeiten würde die 
Schiffahrt bei Hochwasser nur dort begegnen, wo der Kamo- 
londo den Kissalesee verläßt. Zu dem gleichen Ergebnis ist 
Mauritzen gekommen. Auf der 400 km langen Strecke von 
Porte d'Enfer bis zum Austritt aus dem Kissale hat der 
Strom eine mittlere Breite von 600 m , gleichmäßige Tiefe 
und regelmäßigen Lauf; die Ufer sind gut ausgeprägt, so 
daß die schiffbare Rinne leicht einzuhalten ist. Einen an- 
deren Charakter zeigt der Kamolondo auf der 250 km langen 
Strecke vom Kissale aufwärts bis zu den Koudefiillen: er 
windet sich dort durch eine breite und niedrige Ebene, wo 
die jährlichen Schwellzeiteu gewaltige Überschwemmungen 
verursachen. Ks gibt dort ferner ein» Reihe von Seen — 
Upcuibn, Kabele, Kalme, Kaihaiba — mit unbestimmten 
Ufern und mit dem Wasserstand des Flusses wechselnder 
Ausdehnung, die diesen zur Linken oder zur Rechten be- 
gleiten und mit ihm in Verbindung stehen. Daher wird der 
Fluß auf dieser Strecke einiger Arbeiten bedürfen. Im Kis- 
Papyrus und andere Was 



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2lt> Kleine Nu 



Passage, man müßt« nie Inseitigen und ibr Nachwach»oii 
verh Indern. Di« Verhältnisse im Kissalo gleichen denen im 
Weißen Nil oberhalb der Bobatmündung, und der Kissale 
spielt dieselbe Holle wie dort der See No an der Mündung 
de« Fahr-el-Ghasal. Es wäre also hier die gleiche Arbeit zu 
verrichten, wie nie die Engländer zur Beseitigung der Pflan- 
zenbarren des Hedd im oberen Nil getan haben: dann wäre 
der Kissalo für die Schiffahrt <>(lon. Die Fälle der Porte 
d'Eufer luxen sich durch eine Eilenbahn überwinden, die 
auch schon seit längerer Zeit geplant wird, von der man 
aber schon wieder lange nichts gehört hat Andererseits ist 
das Projekt, die Renguelakiistc mit Kutanga durch eine 
Bahn zu verbinden, in der Ausfuhrung begriffen "(vgl. Ulobus, 
Bd. 91. 8. 195). Aber auch trotz dieser «ahn würde der Ka- 
molondo dem örtlichen Verkehr zugute kommen. 



— In Sumua ist man schon so weit vorgeschritten, daß 
dort eine deutsche Druckerei und Iluchhandliing. die von 
E. Luehke, besteht, in deren Verlag jetzt eine von dem dor- 
tigen Oberrichter Dr. Schultz verfaßte, auf genauester 
Sachkenntnis beruhende Sammlung .Sprichwörtliche Ku- 
densarten der Samoaner* erschienen i.it. ein Werk, das 
274 Seiten umfaßt und dem Verfasser, der die Landessprache 
völlig beherrscht, alle Ehre macht. Das geistige Leben de» 
Volkes i*t, im Gegensatz zu der zurückgebliebenen Industrie, 
rege entwickelt; die Rhetorik steht sehr hoch uud ist sogar 
zum Berufo erhoben; die Redner gebrauchen feststehende, 
knappe. Ausdrücke, die aus der Mythologie, der Geschichte 
oder den Vorgängen des taglichen Lebens entnommen sind. 
Solche Sprecher gibt es in jedem Dorfe, und ihr Amt, bei 
öffentlichen Gelegenheilen Keilen 711 halten , ist erblich. 
Interessant ist , daß je nach dem sozialen Unterschiede zwei 
Klassen von sprichwörtlichen Redensarten bestehen, jene, die 
Gemeingut de* ganzen Volke« sind, und die Muagagana, die 
Schöpfungen und das Alleingut der höheren sozialen Schichten. 
Das meiste der mitgeteilten Sprichwörter hat der Verfasser 
selbst au» dem Munde des Volke» gesammelt; e* i«t viel Witz 
und Verstaud darin, uud die von Dr. Schultz den eiuzeluen 
Redensarten beigegebenen Erläuterungen enthalten auch 
ethnographisch Wertvolles. Eingeteilt sind die Sprichwörter 
in solche, die sich auf die Fischerei, die Jagd, Nahruug, das 
Handwerk, Spiele und Tänze der Samoaner beziehen. 



— Die Veröffentlichung der Beobachtungen über Erd- 
beben in Österreich ist von der Erdbebenkoinmiwlon der 
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften au die Zentral- 
anstult für Meteorologie und Geodynamik in Wien über- 
gegangen, die Nr. 1 als .Allgemeiner Bericht und 
Chronik der im Jahre 1904 in Österreich beobachte- 
ten Erdbeben k in gleichem Format und Einteilung und 
unter demselben Titel wiu die früheren einschlägigen Ver- 
öffentlichungen der Akademie jüngst hat erscheinen lassen. 
Das lieft zerfällt in drei Teile, einen allgemeinen Bericht, 
der Neuerungen in der Organisation dos Beobachtungsdienstes 
bespricht, den Haupttei), der die Riiizelbescbreihungeii der 
Erdbeben, nach Kronläudern geordnet und von den Landes- 
referentou erstattet, enthält, und drittens eino kurze Jahres- 
übersieht von Dr. V. 4'onrnd mit drei tabellarischen Über- 
sichten der Anzahl der Bebentage, der Anzahl der Beben 
und der Eintrittszeit der Beben nach Mouaten uud Kron- 
landern. Der Übersieht entnehmen wir, daß im Jahre 1»04 
nu 150 Tagen Erdbeben in Österreich beobachtet wurden 
und die Zahl der einzelnen Heben 204 betrug. Sie sind auf 
die ein/.elneu Kronlltnder »ehr ungleich verteilt; so zählte 
man iu Kraiu 4T, iu Dalmatieu '.'8, in Steiermark 15, in 
Oberosterreich. Mähren, Schienen usw. keinen eiuzigeu Tag 
mit Erdbeben. Gr. 

— Der Nephrit des Hodensees. Es ist eine erfreu- 
liche Tatsache, daß neben deu Archäologen auch die Geo- 
logen beginnen, «ich mehr und mehr mit unserer Prähistorie 
zu befassen, um ibr maßgebende* l'rteil in die Wagsclmle 
zu werfen. Wir brauchen da nur au die Arbeiten von 
Oeecke, Hlankenhorn, Wieger« in neuester Zeit zu erinnern, 
denen «ich jetzt Prof. Kalkow.ky mit einer Arbeit .Der 
Nephrit des Bodensees* (Sondeiabdrui-k au» den Ab 
hnudlungen der „Isis", Dresden luoii) anschließt, die aller- 
dings vorwiegend mineralogisch ist, aber auch für den l^a- 
hi«toriker viel Wissenswerte« enthalt. Zu der llcrkiinftsfrage, 
Ae-fix neuerdings im Sinue der Verneinung des orientalischen 
Crsprung« gelöst erscheint, nimmt Kalknwsky keine Stellung; 
«her «"iist lernen wir durch «eine Untersuchung von tr>d 
llndenseeriephriten sehr viel. Zum ersten Male zeigt er nu» 
die Mnssenbaftigkeit der Nephritbeile usw. im Hodensee nach 
möglichst sorgfältigen Zahlungen uud Schätzungen. Bisher 
sind ■:<"•<» Stück im Gewicht« von «oö kg aufgefunden worden. 



uhrichtcti. 



Das ist aber nur ein kleiner Bruchteil der von den dortigen 
Pfahlltauei-n benutzten Nephrite. Nach olterflächlicher Schät- 
zung haben diese nicht weniger ab 3o0ö<> Beile und Beilchen 
im Gewichte von «Ooo kg benutzt. Der hohen Zahl fugt 
aber Kalkowsky hinzu: Das Eigengewicht des Nephrits ist 
ungefähr gleich 'S . das ergibt J cbm Nephrit, und das ist 
wenig. Dem Rauminhalte nach ist daher die Menge des am 
Bndensee verarbeiteten Nephrit« nur gering. Durch das Stu- 
dium der Sammlungen uud durch Nachfragen konnte Kal- 
kowsky feststellen, daß die Pfahlbauten des Sees einen gleich- 
mäßigen Reichtum an Nephrit besitzen, auch wnreu alle Ab- 
arten gleichmäßig verbreitet. Geröllfonn, aus der die Beile 
hervorgegangen, war am BodenBee nicht festzustellen, da- 
gegen zeigt der Neuenburgor See echte Gerolle. Bezüglich 
der Bearbeitung des überaus harten Nephrits weist Kul- 
kowsky nach, daß diese meist durch Sägen erfolgte, nicht 
durch Schleifen und Schlagen, wenn auch einzeln das Schlei- 
fen nachträglich stattfand. Wesentlich für die Beurteilung 
ist auch, daß die Nephrite des Kndensees zum Teil verschieden 
Bind von denen der Schweizer Seon. Schwierig ist die Son- 
derling der Aluirten. und hier gibt der Verfasser dem nor- 
malen Auge des Beobachters bei den Ordnungsversuchen den 
Vorzug. Er unterscheidet schließlich gemeine Gesteins-Ne- 
phrite, homogene schiofrige Nephrite und wellige Nephrite, 
die dann mineralogisch naher gekennzeichnet werden. 



— Seit im verflossenen Jahre Mrs. Jayne ihr umfang- 
reiches Werk .Slring Figur«, a Study of ( ats Cra.lle in 
many Lands' veröffentlichte, konnte man glauben, daß die 
Forschung über das weitverbreitete Fadenspiel nun- 
mehr abgeschlossen *ci. Dem ist aber nicht so, denn über 
seine Verbreitung uud Spielart in Afrika erhalten wir jetzt 
drei sehr eingehende neue Berichte im Journal of the An- 
thropological Institute, XXXVI. Aus Südafrika weist es 
Haddou nach, Parkinson Itehaudelt es hei den Jorul« uud 
« unnington in Zentralafrika. Wechseln auch die Benen- 
nungen, treten hier und da zu den reich vorhandenen noch 
einige neue Formen und Methoden auf, so bleibt »ich da« 
Spiel doch im ganzen sehr gleich. Die drei Arbeiten er- 
gänzen das Werk der Mrs. Jayne und zeigen aufs neue, daß 
wir es hier mit einem Weltspiele zu tun haben. 

— Woher die blonden Judeu stammen, darüber ist 
schon recht viel geschrieben worden. Jetzt hat Dr. M. Fish- 
berg in New York, der sich eingehend mit der Anthropo- 
lögie der Juden befaßt, diese Frage wieder aufgegriffen und 
zu beantworten versucht (Zeitschr. f. Demographie u. Sta- 
tistik der Juden, 190", Heft 1 und i). Die einen nahmen 
schon früher an, daß eine Mischung mit nordetiropäischen 
Rassen die Ursache sei, während andere darauf hinwiesen, 
daß schon die Bibel hellfarbige Juden bezeugt, auch die 
blonden Ainnriter durch Vermischung mit den Hebräern auf 
deu Ursprung der Blondheit Anspruch hätteu. Die Unter- 
suchungen von Fisbberg zeigen nun, daß der sog. arische 
oder teutonisch« Typus (hoher Wuchs, Blondheit, Langköpflg- 
kelt) hei den zahlreichen von ihm untersuchten Juden fehlt, 
dagegen slawische Beimischung vorhanden sei , auf die er 
die Blonden zurückführt. Fishberg geht rein anthropologisch 
vor; auf geschichtliche Beweise, welche die Mischung fest- 
stellen, lltßt er sieb nicht ein, wiewohl die Ehegesetze von 
beiden Seiten, Christen und Juden, dem entgegenstanden, 
uud Misehuugeu im größeren Maßstäbe (?.. B. mit den (.'ha- 
zaren) nur da vorkamen, wo die Religion eine gleiche war. 
Nicht beachtet ist femer, daß die typische Erscheiuung, ab- 
gesehen von der Farbe der Haare und Augen, bei beiden, 
den Blonden und Brünetten, keinerlei Unterschiede zeigt. 
Die Blonden rinden sich unlor den Juden aller I4inder; rich- 
tig ist, wie Fishberg nachweist, daß ihre Zahl unter den 
nördlichen Juden (i'2 Proz. in deu baltischen Provinzen) 
stark zunimmt gegenüber den südlichen (Nordafrika und 
Italien etwa 5 Pro*.). 

— Über die französische Ii r ad messu 11 g in Ecuador 
wurde zuletzt auf S. t"t> des HB. Globusbandes berichtet. Die 
Notiz bezog sich auf den Fortgang der Arbeiten im Jahre 
1H0J, und es wurde darin bemerkt, daß diese auch noch die 
Jahre 19u5 uud l»o« in Anspruch nehmen würden. Im vo- 
rigen Jahre ist denn auch die Messung, die 1900 hegonneu 
wurde, in der Tat zu Ende geführt worden, doch werden 
die Rechnungen noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. 
Das Jahr l''o5 brachte den Tod eine« der Mitglieder der 
Mission: der Kapitän Mussenet starb im November iu (Tu- 
enen. Im selben Jahre gingen die Kapitäne Peyronuel und 
Lallemaud nach Nordperu und legten die Positionen der 
letzten TriRugulnii.uosiKÜonen und der Konlrollbasis fest. 
Im November H«>;- begann Kommandant de Foulougue mit 



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Kleine Nachricht.;«. 



211 



Kapitän Durand die Schlußarbeiten bei Piura, und im Februar 
lOOri waren die Triangulations- Wiukelmessiingeu und die llasis- 
mossung 4 km südlich von Husum beendet. Diese Basisniessung 
geschah zunäobst dreimal nach dem Jsderin neben System 
der Doppeldräht«, worauf noch eine vierte — und zur Hiilfte 
der Basis eine fünfte — Messung mit «itimctalliscben Stäben 
erfüllte.. Nivellements vom Wettende bei La Hu»« nach der 
Station bei Arenai und von da der Eisenbahn nach Payta 
eutlang verbanden sodann diu Basis mit dem Flutmcsser um 
dortigen Hafen und weiter mit dem Observatorium. Kchlieo- 
lieb bestimmten Foulongue uu J Kapitäu Noirel die Differenz 
der Länge «wischen Cueuen und l'a.vta. dio somit auch mit 
■Irr Langt- von Quito verbunden war. I)ie»e Arbeil Ijegeg- 
net* großen Schwierigkeiten infolge den mangelhaften Zu- 
stande« der Telegrapbeniinien in Peru und Ecuador, dir für 
«ine Düng« von etwa »<>0 km benutzt werden mußten. Gleich- 
zeitig war das astronomische Azimut der letzten Seite der 
Triangulation — vom l'ayta •Observatorium nach Oerro de 
t'hacun — bestimmt worden. Di Ecuador läuft die Dreiecks- 
kette über dm interandine Tal, wahrend die Stationen auf 
den beiden parallelen Gebirgsketten liegen, lui peruanischen 
Gebiet war es nötig, die Kette nach Westen umzubiegen, um 
mit immer kleiner werdenden Dreiecken an der Basis an- 
zukommen. Von Erco los Poxos aber wäre es leicht, die 
holten peruanischen Gipfel »ehr schnell anzuschießen und 
den Metouiigibogen die Kordilleren entlang geradenwegs durch 
Peru fortzuführen. 

Die Kosten für die Ausführung dieses groSen wissenschaft- 
lichen Werkes hatte die französische Regierung übernommen, 
die jedoch, als es nicht so schnell beendet werdeu konnte, 
als gehofft war, mit dem Gelde knaaserte. Nur das Ein- 
treten dos Prinzen Roland Bonapart« mit einer Summe von 
looooo Fr. sicherte die programmäßige' Durchführung de» 



— Wissenschaftliche Arbeiten der Phillips-Aka- 
demie in Andover. Die Zahl der Veröffentlichungen auf 
archäologischem und ethnographischem Gebiote, die von An- 
stallen in den Vereinigten Staaten ausgehen, denen reiche 
Mittel zur Verfügung stehen, ist immer noch im Wachsen 
begriffen. Zu Andover im Staate Massachussets besteht eine 
Phillips - Akademie, die ein schönes Gobaud«, Hörsäle und 
ein reiches amerikanisch -archäologisches Museum besitzt. 
K. S. Peabody ist für dieses auf seine Kosten erbaujf Institut 
ein überaus gütiger Macen, so dali er Expeditionen ausrüstet 
und die Kosten fiir Anschaffungen trägt. Di« Liste der Sanim- 



eigt schoii jetzt :.«uol> Summern. Reit 11104 gibt die 
Akademie Bulletins heraus, die über den Fortgang der Ar- 
beiten berichten: dio an Steingerütcn sehr roher Form reiche 
Jakobs -Hohle in Missouri wurde erforscht, die steinernen, 
keineswegs aufgeklärten Anhängsel und Schmuckstücke, die 
man als Gorgets bezeichnet, werden einer langen Unter- 
suchung unterzogen und der Bericht über eine Expedition 
von Warren Moorehead in Neu- Mexiko und Arizona mit- 
geteilt, der reiche Ausbeute für das Museum lieferte. Bis 
jetzt sind drei solcher Bulletins mit vielen sc.houeu Abbil- 
dungen und zu sehr billigein Treis« erschienen 



— Die Japaner auf Sachalin- Nach russischen Nach- 
richten entwickeln die Japaner auf dem Teile der Insel 
Sachalin, dor ihnen durch don Frieden von Portsmouth zu- 
gefallen ist, eine ungewöhnliche Tätigkeit. Üb. r IS (Mio ja 
panische Kolonisten haben sich schon in diesem Teile der 
Insel angesiedelt- Eine Kisenbahu verbindet Korsakowsk (an 
der Aniwa-Bai) mit dem nördlicher gelegenen Wladimirowsk, 
auch siml die Vorarbeiten zum Bau . iuer zweiten Bahnlinie 
von Wladimirowsk nach der Küste zu schon beendet. In 
Korsakowsk erscheint eine japanische Zeitung .Karasto Simpo', 
auch sind dort seit der Besitzergreifung durch die Japaner 
mehr als »00 neue Ilauser erbaut worden. Die Fischerei ist 
Privatunternehmern übergeben und liefert schon jetzt be- 
deutende Erträge. 



— II. Volk veröffentlicht in don Mitteil. d. naturh. Mu- 
seums in Hamburg, 2ä. Jahrg , 1900, ü. Beiheft, Studien über 
die Einwirkung der Trockeuperiod« im Sommer 1!>04 
auf die biologischen Verhältnisse der Elbe l*i Ham- 
burg. Er zeigt. dnU das Tier- und Pflnnzenlcbeii weder ober- 
n<ich unterhalb der Städte Hamburg und Altona irgend 
welche erkennbare Schädigung erlitten hatte. Selbst wäh- 
rend der größten Wasserarm!» ist der Snuerstoffgehalt des 
Elbwassers ein so hoher gehlieben, daß eine Schädigung der 
Fische durch Sauerstoffmangel unbedingt ausgeschlossen war. 
Jed-iifiills Imt die Tn>eken|>en.Mte des il.H'hwmincrs iimt, die 



eine Wasserarmut der Eilst zur Folge hatte, wie sie seit 
vielen Jahrzehnten nicht beobachtet war, den Beweis ge- 
liefert, datt der Strom die ihm durch die Sielwässer bei 
Hamburg zugeführteti fäuluisfähigen Stoff.; auch unter den 
denktnr ungünstigsten Verhältnissen ohne Schädigung »einer 
tierischen Bewohner aufzunehmen imstande ist; die Selbst - 
reinigiingsvorgänge im Strombett« sind so bedeutend, daO von 
einer die Fischerei schädigenden organischen Verschmutzung 
der l'nterelbe nicht die Rede sein kann, trotedem das Wasser 
im Flusse bereit* stark verschmutzt in der alten 
eintrifft. 



— Otto Dörscheid beschäftigt sich in der .Meteorolog. 
Zeitschr.*, K'öT, Heft I, mit der mittleren Dauer des 
Frostes auf der Krdo, wobei er seine Untersuchungen 
auf die zusammenfassenden k Ii matologi scheu Publikationen 
meist offiziellen t'harakters stützte. Freilich lassen dabei das 
nordliche Asien und Amerika don Forscher ziemlich im 
Stich, aber auch von Frankreich liegen befremdenderweise 
keinerlei brauchbare Temperatuimittel vor. .1* längere He- 
obachtungsreihen vorliegen, je richtiger werden sich natür- 
lich die Ergebnisse gestalten und vergleichen lassen. Btörend 
tritt freilich dabei immer wieder der Faktor auf, daO wir 
selbst in Deutschland noch keine Einheitlichkeit in der Er- 
mittelung der Tagosniittel der Temperatur aufzuweisen haben. 
Zunächst beschäftigte sich Dorscheid mit der Änderung der 
Frostdauer mit der Hohe im Gebirge, wobei uaineutJU-h säch- 
sische Verhältnisse zugrunde gelegt wurden. Die Tabellen 
lehren, daß die Frosulauer mit der Höh« zunimmt, doch in 
verschiedenen Hohenstufen mit recht verschiedener Geschwin- 
digkeit. Am Fülle des Gebirges ist die Zunahme eine ganz 
beträchtliche, sie wird aber von Stufe zu Stufe stets geringer. 
Im einzelnen konnte festgestellt werden, dali im Erzgebirge 
die Zunahme der Frostdauer anfangs mit der Höhe sich ver- 
größert, um dann von etwa fiouni Höbe ab regelmäßig ab- 
zunehmen. In den Sudeten ist die Zunahme bis zu dieser 
Höhe unregelmäßig; bei weiterem Ansteigen nimmt der Wert 
ab, um in 1 UH> m Höhe wieder zuzunehmen. Das Erzgebirge 
läßt dieselbe Erscheinung erkennen, auch der Röhmerwald 
und das böhmisch -österreichische Gebirge verhielten sich 
analog. Man kann allgemein sageu, daß im Gebirge die 
Frostdauer mit der Beellöhe zunimmt, daß jedoch diese Zu- 
nahme kein« vollständig gleichmäßige ist. Im allgemeinen 
ist die Zuuahme auf der Nordseite der Gebirge stets größer 
als auf der Südseite I>och läßt im Erzgebirge, in den Su- 
deten und im Riesengebirge sich die Wahrnehmung machen, 
daß die Bildseite trotz ihrer Südexposition in den Tiefen eine 
längere Frostdauer besitzt als die Nordseite, was sich wohl 
durch die Berkcngo*tall von Böhmen erklärt. Sicher steigt 
ferner der Frost im Herbst viel rascher von der Höhe herab, 
als er im Frühjahr wieder emporweichu 8o braucht er in 
Sachsen beispielsweise, um von l!>üö m auf 100 in herab- 
zusteigen, S4 Tage, dagegen benötigt er zum Hinaufsteigen 
volle Tl Tage. Die Zeit, welche die Sonnenstrahlen brauchen, 
um im Frühjahre die Schneedecke zu schmelzen und den 
Boden aufzutauen, entspricht der Verzögerung des Eintrittes 
der frostfreien Zeit im Vergleich zum Eintritt der Frost- 
periode. Die mittlere Veränderlichkeit des Froste« nimmt im 
gemäßigten Europa und Asien von Westen nach Osten ah. 
Verfasser verheißt weitere Mitteilungen. 

— Der Abgang der neuen belgischen Südpolar- 
expodition erscheint gesichert, da sich in Belgien ein reges 
Interesse für sie kundgibt und auch die belgische Regierung 
es an ihrer materiellen Hilfe nicht fehlen lassen dürfte. Ihr 
Leiter i«t Henryk Arctowski, der als Geologe, Meteorologe 
und Ozeanograph an der ersten belgischen .Südpohxrexpeditiou 
teilgenommen hat und seitdem eifrig für dio Fortführung der 
Südpolarforscliung eingetreten ist, auch als einziger dem 
Polarforscherkongreß in llrüsssel im September v. J. mit «inem 
gut ausgearbeiteten Programm dafür hat aufwarten können. 
Arctowski nimmt die Idee Weyprecht», die vor einem Viertel- 
jahrhundert für da« Nordpolargebiet in die Tat umgesetzt 
worden ist, für die Antarktis wieder auf, ihm schwebt die 
Errichtung internationaler Zirkumpolarstatioiien vor. Er will 
indessen erst die Vorbedingungen dafür durch eine geo- 
graphische Erforschung der Umrisse der Antarktis geschaffen 

] wissen, und diesem Zwecke soll mit die geplant« belgisch« 
Vorexpedition dienen. Ihr Forschungsfeld werden die söd- 
polaren Küsten und auch ihr Inneres westwärts von der 
amerikanischen Antarktis bis zum King Edward VII. -Land 
sein, das die englische Südpolarexpedition östlich vom Victoria- 
lande entdeckt hat. In dieser (tagend ist die erste belgische 
Südpolarexpedition etwa bis 1öS'' w. L. vorgedrungen, wobei 
sie Anzeichen naher Kiislen gefunden hat. Kirn; Edward VII. 



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2I1> 



Kloiue Nachrichten. 



Land liegt unter 150° w. L. über da« Gebiet, das dazwischen 
»ich au«d«hut, weiß man wenige ^e' nicht». Auch in da* 
Inner« da« vermuteten Kontinent« »oll mit Hilfe von Schlitten- 
automobilen, für deren Verwendbarkeit und Nützlichkeit 
Arctowski von jeher eingetreten ist, vorgedrungen werden. 
Ferner liegt die Erforschung der Roßscheu Eubarriere im 
Plan, von der Arctowski annimmt, lie sei die Stirn einer 
Gletscberfläche, die einen vom King Edward Vll.-Ijandc im 
Osten und vom Victorialande im Westen begrenzten großeu 
Meerbusen überzieht. Die Kosten der Expedition, die mit 
mindestem einer Überwinterung reehnet, sind auf 8(10 000 Kr. 
veranschlagt. Ob «ie in diesem Jahre (Oktober) tiereit« auf- 
brechen kann, ist allerdings noch nicht sicher und wohl auch 
nicht wahrscheinlich. — Übrigens bat Charcot für die ge- 
plante französische Sndpolarexpeditioti die Mittel offenbar 



(.'hebude Island, entstanden. 



wurde am 31. Dezember, 



— Kapitän O. E. Smiths Bericht über die deutsch 
englische Grenzexpedition (1904 05) von Karungu 
(sOdlieh der Ugowe-Bai) am Ostufer des Victoria Njansa bis 
zum Nordabhang des Kilimnndjaro (4;tßkm) wird im 
Marzheft de« „Geogr. Journal' von 1907 (S. 249 bis Ii«») 
unter Beifügung einer kleinen Übersichtskarte ausführlich 
mitgeteilt. Deutscherseits war Hauptmann Kehlnbach an den 
Vermessungsarbeiten beteiligt. Die Gegenden vom See bis 
zum Ostnfrikauischen Urnben längs der deutsch- cuglischen 
Grenze hatte blüher uoeb keine F.xpedition berührt. Der 
einzige Europäer, der diese Landschaften freilich mehr durch- 
irrt, als durchforscht hat, war Oskar Neumann (1H93..94), 
der von Kguruian (nordl. des Natronsees im Ostafrikanischen 
Orabeu) in nahezu direkt westlicher Richtung die Landschaft 
Sascbi am Victoria Njansa erreichte. Bein Marsch verlief 
demnach südlich der deutsch - englischen Grenze. Aus dem 
Bericht des Kapitäns Smith ergaben sich einige geographische 
Neuigkeiten. In einer Kutfernung von etwa 80 km vom 
Victoria Njansa (1133 m ü. d. M.) erhebt sich ein 18 HB m 
hoher, bewaldeter Gebirgszug , Isuria", vermutlich der höhere 
Teil des HLi^'ellnnde« „Kossowa* (1500 m) der früheren Forscher, 
an dessen Ostseite der Engare Dabasb oder Mnra-FluD (45 tn 
brait uud «in tief) vorbei nach Südwesten zum See sich 
wendet. In den anderen Tälern des Gebirgslandes trifft man 
selten auf Wasser. Die Wasserscheide bildet der Berg Nda- 
segera (M530 m), etwa 180 km vom See und 30 km vom Graben 
entfernt. Das Hochplateau in seiner Umgebung, vortreffliches 
Weideland und ziemlich wasserreich, ist trotzdem völlig un- 
bewohnt. Auf ihm entspringt der Ewaso (Guaso) Nyiro, 
der in den Katronsee Hießt; östlich von Meinem Oberlauf 
liegt der 226 qkm große, Sodas«« „Magadi*. 



— Herzog Philipp von Orleans, der im Sommer 1!>05 
durch seine Fahrt mit der .Belgica* zur Erweiterung unserer 
Kenntnis der grönlandischen Ostküste in dankenswerter Welse 
hat beitragen können, plant für dieses Jahr eiue Fahrt in 
die sibirischen Gewässer. Er will im Mai, wieder mit 
der „Belgica*, aufbrechen und zunächst ins Karische Meer 
gehe», von da, soweit es dio KisverhilHnisse zulassen werden, 
weiter ostwärts der sibirischen Küste entlang Tiefenmessungen, 
magnetische und meteorologische Beobachtungen sind des 
Herzogs Hauptzweck auf dieser neueu Fahrt. Da* Schiff 
führt wiederum de Gerlache, der Leiter der belgischen Süd- 
polarexpedition von 1S»7'99. Außerdem werden ein dänischer 
Marineoffizier, LeUtuaut C. Rachlew, ein Arzt und ein 7x>ologe 
teilnehmen. 



— Baurat Gugenhan in Stuttgart hat nunmehr gewisser- 
käen als Ergänzung zu seinem schon neulich in dieser Zeit- 
schrift angezeigten umfangreicheren Werk über die Eisreit 
eine Broschüre unter dem Titel erscheinen lausen: Der Stutt- 
garter Talkessel von alpinem Eise ausgehöhlt. Das 
Resultat, zu dem er kommt, ist in den zwei Sätzen enthalten, 
daß der Stuttgarter Talkessel als Folge des Kinhruche* de« 
Aare-Rheineises iu die heutige oberrheinische Tiefebene aus- 
gehöhlt worden »ei, und daß er ein .Schlagloch* sei, das da- 
durch entstanden wäre, daß da* im Kerschtal aufwärts nach 
Westen geschobene Eis über den nördlichen Talhang uach 
dem vom Filseis bei « annstedt geschaffenen Duichbrucli ab- 
gefallen Or. 



— Eine neue vulkanische Insel war im Dezember v.J. 
au der Küste von Arakan, etwa 15 km nordwestlich von 



etwa 14 Tage nach ihrer Entstehung auf Veranlassung der 
indischen Marine Survey untersucht, und das Ergebnis teilt 
A.Mottyn Field vom Hydrographie De|>arteiuent der Londoner 
Admiralität in der „Natore* (28. Februar 1907) mit. Die 
größte Längenau«dehnung der Insel beträft gegen 300 m, die 
grüßte Breite etwa 200 m, die höchste Spitze liegt 6 m über 
dem Meere. . Abgesehen von der nächsten Nahe des Ufers 
wurden durch die Lotungen keine Veränderungen des Meeres- 
bodens den Angaben der Seekart« gegenüber festgestellt. Am 
Nordrande sind die Kräfte, die die Insel gehoben haben, noch 
tatig, es Hießen dort einige heiße Schlammquellen über. Auf 
der Westseite ist sie steiler geworden. Die Temperatur- 
messungen ergaben folgendes: Die Intel zeigte an der Ober- 
fläche die Temperatur der Atmosphäre, nämlich 27' C, 0,6 m 
tiefer 35,6* C. 0,9 m tief 40' 0. Auf dem Gipfel dagegen, 
offenbar dein Hauptämter, wurden 0,3 m unter der Obernien« 
40* C, 0,6 in 4'J.a* C, 0,9 m 59° (' und 1,05 m 64,4° (' gemessen. 
Die Inael erstarrt sichtlich, alter die Tätigkeit der Wellen und 
der Einfluß vi>n F.bbe und Flut greifen sie schon jetzt be- 
trächtlich an und lassen ihre Spuren in dem iu der Farbe 
veränderten Wasser zurück. Die Seekarten zeigen in der 
Nachbarschaft mehrere Schlammvulkane. Es wurden Treib- 
holz, Rand und 8teine gefunden uud 14 Arten Pllanzensamen 
gesammelt. Es scheint, daß die Insel ganz aus graubraunem 
Schlamm von überall gleicher Art besteht. Dazwischen 
gemischt sind einige kantige Gesteinsstück« verschiedener 
Art. Sie müssen mit dem Schlamm emporgeworfen sein und 
umfassen: Teile von blättrigem Sandstein, ein festes graues 
Gestein von kalksteinartigem Aussehen, das aber nur teilweise 
iu scharfen Säuren lösbar ist, Klumpen vou kristallinischem 
Kalkspat und einen weichen grünen Stein, wahrscheinüch 
basischer plutonischer Axt. An jenem Sl. Dezember war die 
Oberfläche von der Sonne getrocknet uud gehärtet, so daß 
sie leicht das Gewicht eines Menschen ertragen konnte. Sie 
ist überall sehr uneben, hat ein knotiges und blasiges Aus- 
feilen und ist infolge des Einschrumpfens beim Trocknen von 
tiefen Spalten aufgerissen- Auf der Nordseite der Insel finden 
sich einige kleine Löcher. Drei von ihnen öffnen sich in 
runde Becken flüssigen Schlammes, zn dessen Oberfläche große 
Oasblasen beatändig aufsteigen. Dieses Gas riecht nach 
Schwefe], ist nicht entzündbar uud nicht verbrennhar. Ein 
langes Dasein dürfte der Insel in anbetracht das sie bildenden 
Materials nicht beschieden sein ; wahrscheinlich werden die 
heftigen Regen de* Südwestmunsuns und die WellenUtigkeit 
rie schneit zerstören, falls nicht neue 
werden. 



- Als dickbändiges Werk von 1012 I 
hat das United Stete« Weather Bureau in Washington eine 
von Henry verfaßte K 1 i matologi« der Vereinigten 
Staaten vou Nordamerika erscheinen lassen, die alles in 
der Periode 1*70 bis 1903 dort gesammelte klimatologische 
Material iu bequemer und übersichtlicher Weis« zugänglich 
macht. Die Einleitung bringt kurze Bemerkungen über die 
Entwickelung des meteorologischen Dienstes in den Ver- 
einigten Staaten von 1#30 an; der erste Uauptteil i»t eine 
zusammenfassend« Klimatologie der Vereinigten Staaten, 
durch textliche Behandlung der klimatischen Hauptfaktoren, 
die durch eiuen klimaudogischeu Atlas von iu den Text 
zerstreuten 32 SnnderLafelu. sowie ein« An zahl Diagramme 
von Barographen- und Thermographenkurven usw. er- 
läutert wird. Auf den Tafeln findet die Verteilung 
der mittleren Temperatur im Jahre, Januar und 
Juli, der mittleren und absoluten Temperaturextreme, der 
Schwankungen der Temperatur, das Fortschreitens baro- 
metrischer Maximn und Minima und ihrer Begleiterschei- 
nungen, einer Anzahl von Kältewellen und ihres Fortschreitens 
nach Südeu, der mittleren Verteilung des Niederschlages usw. 
ihre Darstellung. Der zweite Teil euthält die tabellarische 
Zusammenstellung der Werte für eine Anzahl klimatologischer 
Elemente, besonders Temperatur, Niederschlag und Wind für 
eine Auswahl von Stationen, und eine kartographische und 
tabellarische Übersicht der klimatologischen Stationen. Der 
dritte, umfangreichste Teil (beinahe »00 Seiten), behandelt 
die Klimatologie der einzelnen Staaten je durch eine kurze 
textlich« Übersicht, eine Aufzählung der Stationcu, eine 
kurze tabellarische Übersicht der hauptsächlichsten klimati- 
schen Elemente und ausführlichere textliche und tabellari- 
sch« Mitteilung dor Daten von den Einzelstetionen. Ks ist 
nur bei dem sonst so vorzüglichen Werke zu bedauern, daß 
alle Werte in englischem Maße gegel>en werden mußten. 

Gr. 



fesUkU-ur. II sittiar, SH^stn-rK-HerH», Hw«Mnt« r*. Prm«: K rie.tr. View*«: <> Sohl. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE. 



I: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEIL BN". 

HERAUSGEGEBEN VOX H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 14. 



BRAUNSCHWEIG. 



11. April 1907. 



Über Masken und Maskengebräuche im Lötschental (Kanton Wallis). 



Von L. Rütimeyer. Hasel. 



(Schluß.) 



Audru« führt unch Umzüge verwandter Masken an 
aus anderen Gegenden der mitteleuropäischen Alpeu- 
läuder und deren weiterer Umgebung*), wobei darauf 
hingewiesen wird, daß sie in eioen größeren Kreis von 
germanischen Maskenumzugen hiuvingohoreu , die, aus 
heidnischer Zeit stammend, schon durch Predigten 
christlicher Geistlicher auä dem 6. und 7. Jahrhundert 
verboten wurden. Es wird eine solche Predigt zitiert, 
in der es heißt, daß die Heiden an den drei Kaienden 
des Januars monströse Gesichter vornehmen, den llirsoh 
spielen, in Tierfelle sich klvideu und Tierhäuptor sich 
aufsetzen. 

In den Alpenländern speziell werden als Verwandte 
der Perchtenlaufe aufgeführt die maskierU-u Umzüge 
der Glöckler in Oberösterreich, Tirol, Salzburg, Steier- 
mark, Kärnten, auch Faschingsgebrauche in den bayeri- 
schen Alpen, wo vermummte Burschen kupferne Schellen 
an Kiemen tragen. Für alles Nähere muß hier auf die 
interessante mehrfach erwähnte Arbeit uud deren Tafeln 
hingewiesen werden. Ea sei nur noch zum Schluß eine 
von Andrian zitierte Darstellung in der Salzburgcr 
Zeitung von 1H61 hier augeführt, die ebenfalls viel Ähn- 
liches mit unseren Lötachentaler Gebrauchen teigt und 
dabei den Namen , Schemenlaufen'' hat. Diese Zeitungs- 
notiz, sagt 10 ) : 

„Am unsinnigen Donnerstag (d. i. der Donnerstag vor 
dem Faschingsgonntag) ist es au manchen Orten Salz- 
burgs Sitte, in Fastnacht Schemen zu laufen. Burschen 
ziehen sich über dunkle Beinkleider Hemden an, schwarzen 
sich das Gesicht mit Ruß und vermummen es mit einem 
schwarzen Tuch oder durch Larven. Von einem Riemen, 
den sie um die Mitte des Leibes tragen, hängt ein Zaun- 
geläute oder eine Kuhschelle hinab, die bei jeder Bewe- 
gung anschlägt und Lärm macht. In einer Hand führen 
die Schemen einen Uesen, mit der anderen tragen sie 
Säcke, mit Kohlenstaub gefüllt. Diese schlagen sie den 
Begegnenden ins Gesicht, damit sie schwarz werden." 

Also ganz nhulich wie früher im Lötschuntal, wobei 
an die früher üblichen ABchensäcke erinnert sei. Auch sei 
hier der Ledermaske (Abb. 5) gedacht, die der Gesiehte- 
vermummung mit oiuum schwarzen Tuch entsprechen 
würde. 

Auch Mauuhardt ") erwähnt aus der Gegend von 



*) a. a. <>., f). IS3. 
10 ) Adrian, a. a. ü., S. 62. 
") Mannharill, Der Baumkultu« der 
ihrer Naehliarrtümme 187.1, S. r,4l u . M i. 



und 



Ks ist wohl üherilüssijf, auf die groß« Üboreinstim- 



XCI. Kr. II 



Hall, Innsbruck usw. das sog. Hutlerlaufen mit Uesen uud 
Peitschen versehener Jungen, die das Fastnachtsrößlein, 
ein künstliches Roß, und seinen Reiter begleiten und die 
Zuschauer mit ihren Besen abkehren. Der Umlauf gilt 
als unerläßlich, damit Flach» und Mais gedeihen, je mehr 
Hutler geben, desto besser die Ernte. Kr führt weite]* 
ans, wie durch ganz Deutachland und Skandinavien der 
Umlauf Vermummter zu Weihuacht und Neujahr oder 
zur Fastnacht gebräuchlich war und überall wesentlich 
denselben Charakter trug, 

isig, aul 

mung trotz einzelner Abweichungen in der 
Erscheinung dieser Maskengebräuche in Salzburg und 
Tirol mit denen des Lötschoutales hinzuweisen. Es sind 
diese alle, um ein geologisches Bild zu gebrauchen, im 
mitteleuropäischen Alpenlande stehen gebliebene isolierte 
Fetzen einer früher weithin verbreiteten Kulturschicht, 
die nun infolge der erodierenden Wirkung neuer, nivel- 
lierender Anschauungen, Sitten und Gebräuche großen- 
teils verschwunden i»t, einer Kulturschicht, deren ethno- 
graphische LeitfoMsilien eben die Masken sind. 

Gehen wir zur Bedeut ung dieser Perehtenumläiife über, 
so scheint diese nach den Ausführungen von M. Andrea 
allerdings klarer zu liegen als bei unseren Lötschtaler 
Maakon. über diu Bedeutung des Wortes Pereht, ob es 
von Perchta, der auch als Frau Holle fortlebenden Freya. 
der Guttin Wodans, stammt, oder, wie M. Andree an- 
nimmt, überhaupt nur ein albisches Wesen bezeichnet, 
herrschen Divergenzen, auf die hier nicht näher ein- 
gegangen werden kanu. Für die Perchta in Salzburg 
und Tirol ist nach der genannten, in dieser Materie sehr 
erfahrenen Verfasserin aus gemeinsamen Zügen nach- 
weisbar ".), daß die Umzüge im Sinne der Dämonen- 
Vertreibung abgehalten werden; es sind Abwehrmittel 
gegen schlimme Mächte, und es besteht der Volksglaube, 
daß, je mehr Perchten laufen, um so besser das Jahr 
mit seiner Ernte werde. 

Wie Richard Andree' 1 ), sich hierin wieder auf 
Bastian stützend, treffend sagt, laßt sich deutlich nach- 
weisen, wie bei verschiedenen Völkern die Masken im 
Zusammenhange mit der Daniouenwelt stehen, indem sie 
einerseits den Menschen gegen die Dämonen schützen, 
welche durch die vor das Gesicht gelegte Maske ge- 
täuscht werden; andererseits wird aber auch mit der 

") a a. O., 8. 137. 

") K. Andree, Kthnogriiuhi». ue l'arsllel*-. uml Ver- 
gleiche. Neue Ful w e, IsSO, 8 H>!>. 

2ri 



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214 



L. ftütimever: Über Masken und Maskengebräuobe usw. 



Ma^ke angriffswei»e gegen den bösen Geist Torgegangen, 
indem man «ich selbst ein schreckliches Fratzenaugestcht 
yorlegt und damit den Diiinon verscheucht. 

Hierzu sollen auch die Lärminstrumente helfen, Peit- 
schen, Glocken und Schellen. 

Ein Rehr gut«» Beispiel für letzteres wird angegeben 
in dein Scbwazer Grasausläuten '*) im Unterinntal, wo 
die jungen Burschen mit Glocken und Schellen, die sie in 
den Händen schwingen, nach den entfernten Bauernhöfen 
ziehen, wobei die Bauern sagen: Wohin die Grasausläuter 
kommen, wächst dus Gras gut, und das Getreide bringt 
reiche Frucht. Diese Grasausläuter trugen übrigens 
früher Masken, aiu geboren also jedenfalls in das Kapitel 
der Perchtenlftufe, von denen auch, wie erwähnt, die 
Tiroler Bauern glauben, daß, je mehr Perchten laufen, 
desto bosser das Jahr wird. 

M. Andree fahrt anch weiter aus, wie mehrere an- 
dere beim Perehtenlauf vorkommende Gebrauche, das 
Schlagen der Frauen mit einem Kuhschwanz''), das Zu- 
werfen eines Wickelkindel an einer Schnur zu dieser 
Fruchtbarkeitssymbolik gehören. 

Wie verhält es sich nun mit der Bedeutung unserer 
Lötschtaler MaskeDläufeV Ich selbst konnte bei münd- 
licher und brieflicher Aufrage nichts iu dieses Kapitel 
der Vertreibung von die Fruchtbarkeit schädigenden Dä- 
monen Gehörende* herausfinden; ob eine solche Be- 
ziehung früher im Bewußtsein des Volkes gewesen und 
vergessen wurde , ob sie beute noch bei weiterer Be- 
fragung in diesem oder jenem [.Atschtaler Dörfchen nach- 
weisbar wäre, bleibe vorläufig dahingestellt. 

Eine nicht unwesentliche Abweichung von den ge- 
schilderten Pcrcbtvnlaufun scheint allerdings auch darin 
zu liegen, daß nichts davon gesagt wird, daß einzelne 
Burschen sich bei den Lötachtaler Brauchen in Weiber 
verkleiden, ein Zug, der für die Tiroler Fruchtbarkeits- 
symbolik typisch zu sein scheint 

Wir können uns also bei unseren Masken immerhin 
noch nach weiteren Parallelen Umsehen, um eine Er- 
klärung des den Gebräuchen zugrunde liegenden tieferen 
Sinnes zu finden. 

Bei solchen Parallelen dürfen wir, wie schon an- 
gedeutet, ungescheut unsere Blicke weit schweifen lassen; 
bei Maskentänzen und -Gebräuchen, die so ungeheuer 
weit verbreitet sind über die Krde hin, können und 
müssen wir uns umsehen nach ähnlichen Gebräuchen, 
wo die ihnen zugrunde liegenden Anschauungen noch 
mehr oder weniger bewußt in der Volksseele leben, nach 
Gebrauchen, wie sie uns die ethnographische Erforschung 
noch lebender Naturvölker lehrt. Der verdiente Ethno- 
graph Mein "') hat gewiß durchaus recht, wenn er von 
den besprochenen Salzburger Maken sagt: „Diu große 
Ähnlichkeit dieser Masken in Form und Auffassung mit 
den Tanz-, Beschwörung»- und Teufelslarven verschiede- 
ner Völker verleiht ihnen nicht bloß eiue österreichische 
oder mitteleuropäische volkskundliche Bedeutung, sondern 
stellt sie in eine Linie mit jenen Erzeugnissen, in Welche 
sich allerorts der Menschengeist in gleicher Weise offen- 
bart; sie bilden daher ein unentbehrliche« Glied in der 
Gesamtheit der Gesichtsvennummiingen, wie sie bei allen 
Völkern des Erdballs geübt werden." 

Wenn die mir von verschiedener Seito übereinstimmend 
gegebene Erklärung der Mnskenläufe im Lötscbental wirk- 
lieb die alte Tradition vorstellt, was durchaus plausibel 

"l M A nd ree. a. a. (>., S 11* 

"t Vergleiche hier die «ehr lehrreichen Amfuhniiigeu von 
Maonbardc über den Schlag mit der I.ehensrute. Mann 
hardt. a. a. 0, B 251 bis 303. 

") Lein, l>«s Hutlerlaufou. Zoitschrift <!e« Verein« für 
Volkskunde xu Borlin, Mi»». S lot«. 



ist, so drängt sich, wie mir scheinen will, unwillkürlich 
der Gedanke auf, ob wir hier nicht Reste einer uralten 
sozialen Einrichtung vor uns haben, deren Entwicklung 
uud einzelne Etappen, bei Naturvölkern noch vielfach 
klar nachweisbar, hier in eine Mischung verschmolzen 
sind, deren einzelne Bestandteile nicht mehr scharf ge- 
trennt werden können, aber doch ihren Ursprung noch 
einigermaßen erkennen lassen. 

Ich denke hier an die über einen großen Teil der 
Erde verbreitete Institution der Knabenweihon, der 
Altersklassen, Mannerhäuser und der Geheim- 
bünde, Einrichtungen, die, wie Schürt z iu seinem 
wichtigen Werl« über diesen Gegenstand klar nachweist, 
ungezwungen ineinander übergehen. 

Bei Natur- und Kulturvölkern gleichen sich diese 
Gesellschaften in überraschender Weise; nur steht bei 
den Naturvölkern das Verhältnis zu den Geistern der 
Ahnen in erster Linie, bei den geheimen Gesellschaften 
der Kulturvölker beruht da» Ansehen der Mitglieder im 
Besitz besonderer Fähigkeiten und tieferer Erkenntnis 
der Wahrheit "). 

Bei seinen Ausführungen betont Scburtz immer 
wieder, wie in der Völkerkunde die Erscheinungen etwas 
Verschwommenes, Fließendes haben, wie sie, da ein Volk 
etwaB Lebeudes, immer sich weiter Entwickelndes ist, in- 
einander übergehen und in ihrem Zusammenhang, nicht 
in starren Einzelformen, zu begreifen sind. 

So weist er auch nach an bestimmten Beispielen, wo 
die Motive der Komponenten der Gebräuche noch klarer 
erkennbar sind, wie aus den Knabenweihen ungezwungen 
der Geister- und Maskenspuk herauswächst. 

Sehen wir uns nun die Lötschtaler Maskcnbrüuche, 
die noch jetzt bestehen, oder die vor kurzer Zeit be- 
standen haben, in Verbindung mit der jetzt noch leben- 
den Tradition ihres Ursprunges an der Hand von ethno- 
graphischen Parallelen, besonders bei Naturvölkern, auf 
die wesentlichsten Züge an, so geht aus ihnen hervor, 
daß wir es zu tun haben mit Altersklassen; es sind 
bei diesen Maskenlaufen, analog denen in Salzburg und 
Tirol, nur Jünglinge und ledige juuge Männer, die sich 
daran beteiligen dürfen. 

Diese Altersklasse vermummt sich im Frühjahr um 
die Fastenzeit und bat heuto noch offenbar das Recht 
zu manchem kleinen Unfug, und, wie aus den Überliefe- 
rungen hervorzugehen scheint, früher die Gewohnheit 
(ob nuch ein gewisses Recht?), mancherlei Gewalttaten 
wie llaub und Diebstahl, zu verüben. Dabei tragen die 
Teilnehmer Masken und Lärminstrumente, wie Kuh- 
schellen, brüllen auch selbst „wie der Teufel" oder „wie 
Stiere*. Der Ort, woher die Masken zu diesen Über- 
fällen kamen, wird von der Tradition in den Wnld ver- 
legt, wo sie als Räuberbanden gehaust halten sollen. Es 
handelt »ich also hier offenbar um eine geschlossene Ge- 
sellschaft, die zusammen wohnte, wobei wir vielleicht an 
die Institution des MännerhauBes denken dürfen. Zur 
Aufnahme in diese Gesellschaft, die bezeichnenderweise 
„geschulte Diebe" genannt wurde, war eine Probe des 
Mutes und der Kraft erforderlich, indem die Adepten, 
mit einem Beutestück beladen, über den wilden Gletscber- 
bach der Lonzu springen mußten. 

Die Aufnahmeformalität setzt wieder, wie der gemein- 
same Wohnort außerhalb der Dörfer, das Hausen im 
Wald», einen Bund voraus, der, in Verbindung mit den 
Überfällen der Häuser durch Maskierte, offenbar mehr 
oder weniger ungestraft (sonst wären diese angeblichen 
Räuberbanden zweifellos durch die tapferen Gebirgs- 



'-"> II. Schul tz, Altersklassen und Mänuerbünde. 1»02. 



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L. Rutimeyer: llber Maakeu und Maskcngebra uche usw. 



215 



bewohncr länget verscheucht worden) mit Stehlen und 
Plündern ihr Weiten treiben durfte; »ie machten sich, 
wie mein Gewährsmann «igt, „ein Spiel« aus diesen 
Überfällen. 

Dies alles läßt wieder «ehr wohl den Gedanken auf- 
kommen, daJJ es sich ursprünglich um die Institution 
eines Geheimbundes handelte. Hierfür spricht auch 
der jetzt noch lebende Gebrauch, daß beim Herannaben 
der Maskierten, das sich durch Gebrüll und das Tönen 
der Schellen schon Ton weitem kündet, gerade wie heute 
noch in Westafrika und Melanesien, beim Tönen des 
Sohwirrholzes die Weiber and die Kinder sich entsetzt in 
die Häuser flachten. In den genannten ethnographischen 
Provinzen riskieren sie, auf der Straße von den Mas- 
kierten betroffen, mißhandelt oder gar getötet zu werden. 

Dies sind die springenden Punkte dieser Gebräuche, 
für deren einzelne Komponenten wir in der Völkerkunde 
bei Naturvölkern und, was uns besonders interessiert, in 
kleineren Kesten angedeutet auch hei europäischen Kul- 
turvölkern, so auch in der Schweiz, eine Menge von Par- 
allelen haben. 

Gehen wir einige der wichtigsten derselben in Kürze 
durch, so finden wir etwa folgendes, wenn wir, wie oben 
schon angedeutet, von der Basis ausgehen, daß wir in 
den heutigen Gebrauchen nnd der Überlieferung ihrer 
Entstehung die Reste der eben gonannten nralten Ein- 
richtungen der Knabenweihe und Altersklassen, des 
Männerhauses und der Geheimbande erblicken dürfen. 

Was zunächst den Aufenthalt im Walde anlangt, der 
von jenen „Räuberbanden' 1 froherer Jahrhunderte ge- 
meldet wird, so sehen wir, daß ein vorher temporärer 
Waldaufenthalt bei all den genannten Institutionen viel- 
fach eine große Rolle spielt 

Statt der Männerhäuser, in denen die Knaben und 
jungen Leute zusammen hausen, wird als ihr Aufent- 
haltsort vielfach der Wald genannt, so in Neuguinea und 
Westafrika, sowie in Liberia, wo nach Büttikofer '*) die 
jungen Knaben und Mädchen ein bis mehrere Jahre in 
den Zauberwald Gree-gree Bush gebracht werden und 
dort ihre Erziehung erhalten. Beim Geheimbunde der 
Simo l9 ) am Rio Xunez müssen «ich die Knaben and 
jungen Leute, die dort beschnitten werden, sieben Jahre 
im Walde aufhalten, wobei die Familien für ihre Er- 
nährung zu sorgen haben. 

Der Zustand des Männerhauses kann auch existieren, 
ohne daß eigentliche Mäunerhäuser gebaut werden, in Fora 
von Beratungsplätzen und flüchtig erbauten Hütten, und ea 
könnton also solche temporäre Schutzbutten im Walde im 
Lötschental sehr wohl der Ausgangspunkt jener maskier- 
ten Streifzuge gewesen sein. Übrigens weist Schurtz' 0 ) 
die überaus interessant« Tatsache nach, daß sich gegen- 
wärtig noch Reste des MännerhauseB in Tirol finden, wo 
sich nach uraltem Gebrauche jede Gemeinde ihr Tanzhaus 
baute, das zugleich als Diugstätto diente. Hier wurden, 
so im Dorfe Enneberg, öffentliches Gericht und die öffent- 
lichen Tänze abgehalten. Ein solches, heute noch be- 
stehendes Tanzhaus in Enneberg wird beschrieben als 
mächtiger Stadel von Holz, rechts und links mit weit 
offenen Eingängen versehen, in der Mitte reicht eine 
Säule vom Boden bis zum Dache. Jetzt dienen die 
Räume dazu, allerlei Vorrate aufzunehmen. Schurtz 
führt hier weiter aus, daß das Haus, das einon Platz- 
meister als Vertreter der jungen Leute hatte, offenbar 
das Haus der Junggesellen war, und. wie auch ander- 
wärts oft die Männerhäuser sich zu Keisspeichern und 

") J. Blittikofer, Keiaebilder aus Liberia, Bd. II, 
8. SO-tff. 

") Schurtz, a. a. O., 8. 415. 

") a. a. O., s. ata. I 



Schatzkammern umwandelten, hier zum Vorratshause der 
Gemeinde wurde. 

Das Ganze ist also ein neues, bedeutsames Beispiel 
für die eben auch wieder durch die Lötachtaler Masken- 
gebräuche bewiesene Tatsache, daß im Hochgebirge 
Schollen und Fetzen uralter, wohl bis zur Prähistorie 
zurückgebender sozialer Einrichtungen da und dort sich 
erhalten haben. 

Ein zweites Charakteristikum, das ungestrafte Stehlen 
uud Plündern durch Mitglieder von Kuabenweiben, Alters- 
klassen oder Geheinibünden, findet ebenfalle eine Menge 
von Parallelen. 

Die neubeschnittenen Knaben in Futa Djallon dürfen 
einen Monat lang stehlen und essen, was ihnen gefällt; 
ebenso schweifen sie in Darfur in den nahen Dörfern 
herum und stehlen Geflügel"). Auch für die Zöglinge 
des Zauberwaldes in Liberia wird nach Bütlikofer 2! ) 
Diebstahl nicht als Vergehen betrachtet; denn unter Lei- 
tung ihrer Lehrer, der maskierten So-bahs, überfallen sie 
naohts die benachbarten Dörfer, wo sie alles Brauchbare, 
besonders Lebensmittel stehlen und nach ihren Wohu- 
stAtten im Walde schleppen. Ahnlich in Yoruba beim 
Oro-Geheimbund"), wo nacht» der Waldgeist Oro, be- 
gleitet von zahlreichen maskierten Bundesmitgliedern, 
durch die Ortschaften zieht, wobei Hühner und Hunde 
als Beute mitgenommen werden. Auch hier wieder der 
bezeichnende Zug, daß beim Herannahen der Bande, die 
durch die dumpfen Töne des Schwirrholzoe angekündigt 
wird, die Frauen sich verstecken müssen, da sie sonst 
Tötung riskieren. 

Die Mitglieder des Panga-Geheimbundes in Kamerun 
stahlen nacht« Ziegen, Ochsen, Hühner, mordeten selbst 
Mouscheu, indem sie nachher sagten, der Geist (Isango) 
hätte es getan *♦>. 

Sehr genaue, auf Selbstbeobachtung beruhende Nach- 
richten über ähnliche Gebräuche verdanken wir All- 
ridge 1 "'), der uns erzählt, wie bei der Aufnahme in den 
Poro-Bund in Sherbro die Adepten mehrere Monate im 
Walde zubringen müssen und dann bei der Rückkehr in 
die Dörfer einen Tag lang ungestraft stehlen und plün- 
dern dürfen, so viel sie wollen. Dasselbe berichtet der 
Missionar Wurm**) vom Isango N'djo in Kamerun, 
dessen Mitglieder nachts raubend durch die Dörfer 
zogen, wobei ungestraft Schafe, Ziegen usw. gestohlen 
wurden. Er fügt bei, daß auf diese Weise ganze Räuber- 
banden auf die Angst und den Aberglauben des Volkes 
spekulierten, eine Schilderung, die wohl, wenn man für 
Kamerun Lötschen sogt, Wort für Wort auf die alten 
„Räuberbanden" dieses Tale« paßt. Diese Parallelen, donen 
noch eine ganze Menge ähnlicher beigefügt worden 
könnte, die immer wieder die nämlichen Haupt zöge der 
Bilder wiederholen, dürften wohl genügen. 

Ein weiterer typischer Zug unserer Lötschtalor Ge- 
bräuche ist die Maskierung. Auch hier bieten sich uns 
wieder reichliche Parallelen. Wir wollen hier nicht auf 
die Disku*sion eingehen, ob, wie das vor allen R. An- 
drea") betont hat, der Gebrauch vou Masken ein sog. 
Völkergedanke sei, d. h., wie dies Karutz»*) für diesen 



") Schurtz, a. a. ü.. 8. 107. 
**) Blittikofer, a. a. O., S 30. r ». 
•*) Schurtz, h. a. O., 8. 41i>. 
") Schurtz, a. a. O.. 8 425. 

") Allridge, Tbe Sherbro and iU Hinterland. London 
1901. 

"*) Wurm, Die Religion der Kiistvnstxmiite in Kamerun, 
8. 11. Basel im. 

**) B. Androe, Ethnographische Parallelen und Ver- 
gleiche. Neue Folge, Itjßfl. S. 10T. 

") Karutz, Zur westafrikanischen Maskenkutido. Globus, 
Bd. 79, S. 3«1. 

28" 



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[.. Rütimeyer: f her Ma»keu und Maakengebräuche usw. 



210 



Fall naher ausführt, ob die Vorstellungen, aus denen 
diese, Mauken herausgewachsen sind, in allen Varietäten 
de« Menschengeschlechts aufkeimten und in verschiede- 
nen geographischen Bezirken unabhängig voneinander 
auftraten, oder ol> sie von einem Entstehungshurdu aus 
ihre Wanderung fast ül>er die ganze Krde mnchten; eines 
ist gewiß bei der ursprünglichen Bedeutung der oft so 
schwer zu erklärenden komplizierten Maskenbräuche 
vielfach und in erster Linie zu bedenken, nämlich v«t 
S c h u r t z * 3 ) mit dun Worten ausgtisprocheu hat : l)as 
charakteristische Merkmal des Totenkults geheimer Ge- 
sellschaften sind die Maskcu. Diese lassen immer ur- 
sprünglich das Dasein von lieheiiubünden vermuten. Der 
ursprünglich kultische, vielfach vergebene Inhalt der 
MLibkeiibräuchc bestand, worauf Frobenius l0 ) nament- 
lich immer wieder hinweist, in mancherlei Anschauungen, 
die in Beziehung zum Seelenkult stehen. Nach diesem 
Autor sind in Westafrika und Ozeanien die WälderHieiater- 
wälder), die Wohnung der Seelen der Abgeschiedenen, 
auch die Wohnstatten der Maskierten. Diese, die vor 
allem bei Totenfesten erscheinen, oft in der Meinung, 
selbst revenants zu sein, sind gewissermaßen als Ahncn- 
geister geistergleich, verfügen über Geistergewalt und 
dürfen als Mitglieder von Geheinibünden ungestraft plün- 
dern und rauben. Wenn sie nachtlich durch die Dörfer 
ziehen, flüchten alle Bewohner, vor allem Weiber und 
Kinder, wenn sie nicht mißhandelt oder gar getötet wer- 
den wollen. Die hierauf bezüglichen Ausführungen von 
Frobonius beruhen nun allerdings, worauf vor allem 
Karutz*') hinweist, mehrfach auf unbewiesenen Hypo- 
thesen; letzterer hat für eine bestimmte Gruppe der west- 
afrikanischen llörnermasken es in hohem Grade wahr- 
scheinlich gemacht, daß hier auch andere Motive, wie 
diu Nachahmung von JagdtrophSen , mitwirken können. 
Immerbin sind auch dann manche manistische Beziehun- 
gen in hohem Grade denkbar. 

Der Nachweis solcher Beziehungen und der primitiven 
Bedeutung der Maske ist also jeweileti da, wo wir den- 
xolben bei noch unbeeinflußten Naturvölkern klar fahren 
können aus den naiven Angaben der Beteiligten selbst, 
bei denen die Bedeutung der Zeremonie noch nicht ver- 
gessen ist oder in abgeblaßtem Zerrbilde erscheint, von 
großer, auch allgemeiner ethnographischer Wiohtigkeit. 
Ich möchte zwei solcher Beispiele hier anführen. Yoyce'») 
berichtet uns von einer von Dr. Schindler am oberen 
Sambesi aufgefundenen Zerenionialmaske mit betreffen- 
dem Kostüm, wo nach genauer Information bei den Ein- 
geborenen der Masken träger den reinknrnierten Geist eines 
Verstorbenen bedeutet, dor die Knaben des Stammes zu 
ihren Weihen und zur Beschneidung vorzubereiten hat. 
Die Maske stellt ein menschliches Gesicht dar und ist 
au^ l'lechtwerk gemacht, auf das eine schwarze Gummi- 
niassc aufgetragen ist. Aus Südamerika berichtet uns 
ferner Dr. Koch w ) von den noch unberührten Indianern 
vom oberen Rio Negro und Yapuni, unter denen er lange 
lebte, deren Sprache er sprach, und von denen er ganz 
als einer der ihrigen angesehen wurde, also auch In- 
formationen erhielt, die dein Durchreisenden unzugäng- 
lich sind, von den interessanten, dort Üblichen Maskcn- 

") Scliurlz, a. a O., 8. S5«. 

■■*) Krobenins, Di« Masken un.l «iehoimbüudc Afrikas. 
Nova acta Ii*?**, 8. 216. 

*') Karat», Zur wextafrikanitcheu Maskcnkundc. Globus, 
Bd. 7V, S. ."«I. Derselbe, Die afrikanischen H<">rnerma,«kcn. 
Mitteilungen der ßeographischsu (iesell.HCUaft am I.ülwck 1114)1. 

*') Yovce, On a Oremnnial Ma?k and Dress from the 
Upper Zainbeni. Man l»uS, So. :i>*. 

") K och-ti i'tiube r g , THe Maskentänze der Indianer de» 
oberen Hin Negro und Yapunt. Archiv für Anthropologie 
Neue Kjdge, Hd. IV, l«.i05, c5- "J^4. 



tiinzen. Dieselben werden aus Anlaß von Totenfeiern 
aufgeführt, und es stellen auch dort die Masken Dfi- 
roonen dar; der Dämon steckt in der Maske und ist in 
ihr verkörpert und gebt auch auf den jeweiligen Tänzer, 
der die Maske trägt, über. Solche ganz klare Nachweise 
der Maskenbedeutung hei Völkern, hei denen dieselbe 
noch lebendig ist, sind natürlich wichtig znr Erklärung 
von solchen, wo für die Beteiligten der ursprüngliche 
4Sinn seit langer Zeit verloren gegangen ist. 

Dieser ursprünglich religiöse Inhalt dieser Gebräuche 
kann auch schon bei gewissen Naturvölkern verloren ge- 
gangen sein, wo die Maskenbräuche im übrigen noch 
blühen. So sagt Wurm von den Losangobünden Ka- 
meruns ausdrücklich, daß sie zu Räuberbanden oder 
Maskeraden gewurden sind. 

Dieses nur einiges über Maskengebräuche in West- 
afrika, denen schließlich noch ein Beispiel aus Melanesien 
beigefügt werden möge. 

Ich entnehme es dem Werke von Schurtz: Urge- 
schichte der Kultur, wo er folgende Mitteilung von Co- 
drington, den Männergeheimbund Tamate auf den 
Banksinsclu betreffend, zitiert st ): „Von Zeit zu Zeit ent- 
falten die Mitglieder eine lebhaftere Tätigkeit in der Ab- 
sicht, neue Mitglieder anzulocken. Sie beginnen dann, 
neue Masken anzufertigen, und der feierliche Klang eines 
Lärminstruments verkündet den Ungeweihten, daß die 
Mysterien begonnen haben. Das Land ist dann ge- 
schlossen, und niemand darf es wagen, auszugeben, 
er nicht Gerahr laufen will, vou den „Tamate" geschlagen 
zu werden. Diese letzteren nun schleppen alles weg, 
was sie brauchen, plündern die Gärten und berauben die 
Obstbäume. Die Geister in ihrer Verkleidung stürmen 
in die Dörfer, verjagen die entsetzten Weiber und Kinder 
und prügeln jeden durch, den sie fassen können. Die 
ungünstige Lage desaon, der sich vom Bunde fernhält, 
tritt hier deutlich hervor. Die kleineren Gesellschaften 
treten mit weniger Anmaßung auf." 

So viel über Maskengebräuche jetziger Naturvölker, 
die wir, wie mir scheinen will, sehr wohl zur Erklärung 
derjenigen im I^ötschentale heranziehen können. Sie 
können uns den Untergrund zeigen, auf dem die Legende 
der Entstehung der heutigen Maskeuläufe und diese 
selbst emporgewachsen sind; das klare Bewußtsein dieser 
Verhältnisse ist natürlich der Gegenwart völlig ent- 
schwunden. 

Wie dies Schurtz 3 ') mehrfach ausführt, bilden die 
ineinander verfließenden Motive der Knaben weihe, des 
Toten- und Geistorkultes mit den aus ihnen hervorgehen- 
den Tänzen und Maskengebräucben, wie „Flüssigkeiten, 
die sich mischen", eine neue Einheit. Ober die ursprüng- 
liche Tendenz solcher hypothetischer Geheimbünde im 
Lötschentale läßt sich natürlich heute nichts Bestimmtes 
mehr sagen; höchstens scheint noch die vielfach bei diesen 
Institutionen bei Naturvölkern zutage tretende Tendenz 
angedeutet, durch die Geheimbündo über die Weiber des 
Stammes eine mystische und schreckhafte Macht auszu- 
üben, eine Tendenz, die beute noch daran erkennbar zu 
sein scheint, daß Krauen und Kinder beim Herannahen 
der Masken die Straße zu räumen und sioh in die Häuser 
zu verbergen haben. 

Es leben übrigens ReBto solcher (ieheimbünde und 
Klubs wie in einem großen Teile von Europa, so auch 
heute noch wohl kenntlich auf unserem Boden in der 
Schweiz. Es braucht nur auf die heutigen Überreste 
der Knabenschaften hingewiesen zu werden, von denen 
manche noch rechtsschützende Tendenzen erkennen lassen. 

*') Schürt*, Urgeschichte der Kultur, 8. 110. Leipzig 

19.10. 

1! > Alter.kla.oen, S. .164. 



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I- Kütimcyer: Über Maske.n und Maskeuge brauche usw. 217 



Kine sehr eingehende -Schilderung dieser schweizerischen 
Knabenscbaften verdanken wir K. Hof fmann-K rayer 
auf die hiermit hingewiesen sei. Ks möge nur angedeutet 
werden, wie in diesen Knaben Schäften die Momente der 
Altersklassen (nur Ledige), der Aufnahmebedingungen, 
ja teilweise auch der Masken, so in Klingnau 37 ), noch 
kenntlich sind, alles freilich in mehr oder weniger ver- 
waschener Form. Nach obigem Autor haben sie heute 
wesentlich noch kriegerischen, juetizialen und sakralen 
Charakter. Auch an das Institut der Nachtbuben sei 
erinnert, die vielfach noch — ich denke an den Kanton 
Bern — Reste einer Altersklassen-Organisation mit aus- 
gesprochen justizialea Tendenzen erkennen lassen. I>ie 
▼on uns supponierte alte „Lötscbtaler Knabenscbaft" 
läßt freilich eine viel ältere Schicht dieser sozialen Glie- 
derung erkennen. 

Die Zeit endlich, wahrend der diese LöUcbtalcr Ge- 
bräuche stattfinden, die Fasten, ist ebenfalls wohl nicht 
ohne innere Bedeutung. Die christliche Fastenzeit ist, 
worauf z. B. Höfer '"') mit überzeugenden GrQndcu hin- 
weist, eine Zeit des Totenkults; und so gut wir aus dem 
Gebundensein des Gebrauches gewisser Gebildbrote au 
bestimmte Zeiten, die mit dem Kultus der abgeschiedenen 
Seelen zu tun haben, auf uralte Zusammenhange schließen 
dürfen, so gut können wir wohl das um diese Zeit der 
Fasten übliche Maskenlaufen mit uralten manisÜBchen. 
jetzt langst vergessenen Beziehungen erklären. 

Daß im Lötschcntal dio Idee dor Vertreibung der 
Dämonen, die die Felder schädigen, bei den Masken- 
tanzen nicht mitgewirkt haben sollte, möchte iob durch- 
aus nicht behaupten, es können ja ganz wohl ursprüng- 
lich beide Motive mitgewirkt haben. Nur scheint die 
mir gegebenu Tradition eben iui Sinne des oben skiz- 
zierten oder doch eines ähnlichen Zusammenhanges zu 
sprechen. Sobald uns eine eindeutige und authentische 
Tradition aus dem I<ötschental bekannt gegeben wird, 
die auf Beförderung der Fruchtbarkeit hinweist, ist eine 
solcho Tuilerklärung ebensowohl wie für die Perchten- 
läufe sofort z.u aeeeptieren. Wir sehen überhaupt bei 
Naturvölkern — und ein solches waren die Bewohner 
des Lö tscheu tu] e«, als diese Moskenbräucbe in grauer 
Vorzeit oufkanien, ja zweifellos — , daß ganz wohl die 
Fruchtbarkeitsmotive und die Idee der Geheiuibünde, die 
ursprünglich mit Aniinismus zusammenhängen, mehr uder 
weniger konkurrieren können. Ausdrücklich weist auch 
Schürt«") auf dio Verwickelungen hin, die daraus ent- 
stehen, daß Kultusgebräuche, die sich auf den Frühling, 
auf das Gedeihen der Saaten und des Viehes beziehen, 
engo mit den Sitten verknüpft werden, die aus dun 
Pubertätsweihen und Altersklassen erwachsen. Ks fan- 
den eben hier immer Neubildungen von Vorstellungen 
statt, und es sind hier wohl zwei Schichten von Gebräuchen 
auseinander zu halten, von denen diejenige der Knaben- 
weiheu usw. die ältere, diejenige, der Frucbtborkeitsideen 
die jüngere wäre. Die erstere vor allem wäre repräsen- 
tiert durch die Lötscbtaler Masken, die letztere durch 
dio Perchtentänze und verwandto Gebräuche. 

Nach den obigen Ausführungen scheint uns also die 
Hypothese nicht allzu gewagt, daß wir in jener legenda- 
rischen „Räuberbande", die in den Wäldern der Süd- 
abhftnge des Lötschentales hauste, und von der naoh der 
heutigen Tradition die noch bostohenden Maskengobräucho 

•*) Hof fmann • Krayer, Knabonschnflen und Volks- 
justiz in der Schweiz. Arehlv für schweizerische Volkskunde, 
Bd. 8, 8. 81. 

") a. a. O., S. 8«, 

**) Höfer, Bro<z«ljrebäck. Archiv für Aur.hroi«i)ogi«. 
Neue Folge, Bd. III, ISO.'), S. Brt. 
"») a. a. O., 8. 11.'., 119. 

Glokm, XCI. Nr. 1 1. 



direkt abgeleitet werden, Reste von Geheimbilndcn und 
Altersklassen zu erblicken haben, deren Mitglieder viel- 
leicht im gewöhnlichen Leben unter ihren Angehörigen 
in deu Dörfern wohnten, aber in den Wäldern ihre „My- 
sterien" und Versammlungsplätze hatten und von hier 
au* unter dem Schutze verhüllender Masken, vielleicht 
ursprünglich auch in Verbindung mit [nazistischen Vor- 
stellungen, zu gewissen Kultzeiten „mit Geistergewalt 
versehen", ihre Plüuderuogszüge in die Dörfer machten. 
Ks braucht kaum mehr nochmals besonders darauf hin- 
gewiesen zu werden, wie die einzelnen Komponenten 
dieses Bildes, die Masken, der Lärm, der Schrecken der 
Frauen und Kinder, das Plündern usw., Zug für Zug ge- 
wissen westafrikaniseben und melanesischen Parallelen 
entsprechen, so daß wir nur statt Yoruba, Kamerun, Banks- 
inseln Mtscbental zu setzen brauchen, um die entsprechen- 
den Verhältnisse zu erkennen. 

Daß es sich, um nuchmals auf diesen Punkt zurück- 
zukommen, bei den dunkeln Krinnerungen an jene Rauber- 
banden nicht um gewöhnliche Räuber handelte, die hier 
jahrhundertelang in größerem Stile ihr Wesen trieben, 
gebt auch daraus hervor, daß dos kriegerische Volk der 
Walliser solche Zustände unter keinen Umständen so 
lange Zeit hätte andauern lassen; auch würde uns die 
Geschieht« des Lundes hierüber Auskunft geben. Ich 
habe aber in zwei Geschichtswerken über das Wallis"»), 
in denen die kleinsten Vorkommnisse wie sogar die be- 
unruhigende Anwesenheit von Zigeunern im Lande usw. 
erwähnt werden, nirgends eine Andeutung über jene an- 
geblichen Räuberbauden im Lötschental finden können. 
Die Hache wird eben immer mit einem gewissen Mantel 
des Geheimnisses bedeckt gewesen sein. 

Daß übrigens gerade in einem Walliser Hochtale solche 
aus uralter Vorzeit stammende Gebräuche sich noch er- 
halten haben, die. wie dies Schurtz vom Haberfeldtreiben 
in Bayern sagt, „wie ein seltsamer Felsblock" — für 
unseren Fall wäre eher einzufügen, wie ein altersgrauer 
Findling — in die Kultur der Gegenwart hereinragen, 
scheint auch gar nicht besondere verwunderlich, wenn 
wir bedenken, wie gerade im Wallis vor anderen Ge- 
birgskantoneu der Schweiz sich in Bauart der Häuser 
und Stadel, in Geräten ubw. sich so manches erhalten 
hat, dessen Wiege vielleicht im Schoß« der Prfthistorie 
liegt. 

Es ist hier nicht der Ort, hierauf näher einzugehen; 
ich möchte aber nur in der Bauart der Häuser an zwei 
Vorkommnisse erinnern, die solch alten Stempel au sich 
trugen, und die ich vorigen Sommer im Val d'Anniviers 
selbst zu beobachten Gelegenheit hatte. Einmal meine 
ich jene mit Kerben versehenen, roh zubehauenen Balken, 
dio statt der Leitern oder Treppen in die ersten Stock- 
werke der Speichor hinaufführen, wie dies zum Teil in 
Ayer und Grimentz noch mehrfach zu sehen ist , eine 
Einrichtung, wie sie genau so vorkommt bei deu Natur- 
völkern von Indonesien und wie sie wohl gewiß auch 
bestand bei den schweizerischen Pfahlbauten des Neo- 
lithikums. 

Dann möchte ich eriuuern au jenu uoch bestehenden 
PfabliiHUScr, wie ich sie auf den Alpen toii Sorebois und 
Barneusa sah, wo einzelne der an der Peripherie der auf 
den Alpen von Anaiviers so typischen Viehpfcrcho stehen- 
den Gebäude hinten auf einer Steinmauer, vorn aber, 
und zwar auf durchaus ebenem Boden, auf dicken, 1 ','« 
Mannshöhe hohen, rohen Baumstämmen stehen. Meist 
sind dies allerdings nur Ställe oder Speieher, auf Bar- 
neusa sah ich aber ein solches Halbpfahlhous, das ein 

") 8. Furrer. Geschichte He« Wallis. Sitten 1850. - 
II. Gay, Ifistoire du ValUis. Genf und Pari. l««8. 

29 



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Dr. med. Herniaun Fabrv: Au» dem Leben der Wapogoro. 



WohnhauB war, und zwar trogen diese großen Pfähle 
nicht wie die meinten Speicher (sie fehlen übrigen» bei 
recht manchen) die steinernen Deckplatten, die zum 
Schutz gegen Mäuse dienen sollen; diese Pfähle schei- 
nen mir übrigens Schutzvorrichtungen von sekundärer 
Hedeutung zu sein, nicht das leitende Baumotir, weshalb 
überhaupt die Speicher auf wenn auch meist nur kurise 
Pfihlo gestellt werden. Die eigentlichen Motive liegen 
hier wohl tiefer, uud ich mochte die Vermutung aus- 
sprechen, daß wir im Walliser Speicher nnd vor allem 
in jenen genannten, vorn auf bis 2 l t m hohen Balken* 
pfählen stehenden Holzgebäuden den jetzt noch lebend 
bestehenden Rest des sonst verschwundenen neolithischen 
Pfahthausos des festen Landos zu erblicken haben, dessen 
Pendant an und in den Oewässcrn wir längst kennen. 
Denn daß die Leute der Stein- und Bronzezeit nicht nur 
im Wasser, sondern auch auf dem Lande in Pfahlhäusern 
lebten, ist nach allen möglichen Analogien heutiger Natur- 
völker wohl zweifellos anzunehmen. Die Heute dieser 
wenig vergänglichen Bauten sind nur naturgemäß auf 
dem festen Lande nicht mehr erhalten. 

Der einzige Befund, der, meines Wissens wenigstens, 



in der Schweiz solche prähistorischen Pfahlbäu&er des 
festen lindes noch nachweisen dürfte, ist, wie ich einer 
mündlichen Mitteilung des Herrn Direktor J. Wiedmer 
in Bern entnehme, derjenige von angekohlten Pfählen, 
die er in dem von ihm ausgegrabenen Hallstattgräberfelde 
von Subigen fand und als Hauspfähle deutet. 

Sei dem nun wio ihm wolle, ich möchte annehmen, 
daß also die neolithischen Pfahlhäuser heut« noch im 
Walliser Speicher, teilweise sogar noch im Walliser Wohn- 
haus lebou. 

So sehen wir also aus unseren Maskengebräuchen 
wie auch aus solchen Baustilen, daß, so klein und welt- 
abgeschieden auch ein solches Hochalpental wie das 
Lötschental sein mag, seine Bewohner in Sitten und 
Gebräuchen Wurzeln erkennen lassen , die , in tiefe 
Tiefen hinabreichend, verbunden sind mit verwandten 
Wurzelgeflechten hier im Schöße der gemeinsamen 
Mutter Erde, die ihren Kindern der verschiedensten 
Zonen und den Vertretern der verschiedensten , durch 
viele Jahrtausende getrennten Kulturschichten so manche 
physisch wie psychisch ähnliche Züge als Angebinde in« 
Leben mitgab. 



Aus dem Leben der Wapogoro. 

Ein ethnographischer Beitrag. 

Von Dr. med. Hermann Fabry, Assistenzarzt in der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. 

(Schluß.) 



Nationaltanz. Die Wapogoro haben nur einen ein- 
zigen Nationaltanz (Kipogoror Msambo, Kisuaheli Ngonia), 
der aber an flieh charakteristisch ist. Zunächst das Kostüm. 

Die Männer tragen auf dem Kopfe einen Kranz von 
Huhnerfedern. Hin Fiederblatt der wilden Dattel wird 
ringförmig gelingen und aneinander gebunden. Iu diesen 
Ring werden die Hühnerfedern nebeneinander eingesetzt. 
Um das Fußgelenk herum werden einige Reihen von ge- 
trockneten Früchten gebunden, die ebenso befestigt sind 
wie jene Hühnerfedern. Sie dienen als Lärmiustruraente, 
da sie in ihrem Innern Holzstflcke enthalten, die bei 
jeder Fußbewegung rasseln und klappern. Auf Abb. 7 
sind Kopfschmuck und Fußschollen sehr gut zu sehen, 
leider haben die Personen Waffen in der Hand, die nicht 
zur Ngoma- Tracht gehören. In neuerer Zeit sieht man 
vielfach Fußschellen aus Eisen (Abb. 8), die die Wapo- 
goro von anderen Stämmen übernommen haben und jetzt 
zum Teil auch wohl selbst herstellen. 

Die Weiber trageu als Ngoma-Tracht über dem Hinter- 
teil ein Büschel von langen, trockenen Blatte treifen, zu 
denen die Raphia- Palme das Material horgibt. Vom 
tragen sie ihren gewöhnlichen Lappen, sonst sind sie 
nackt (Abb. 8: die Perlen»chnüre um Hals und Brust 
gehören nicht zum Nationalkost Oni und sind im Dorfe 
Miibenge vom Händler gekauft). 

Die Ngoma besteht aus zwei Teilen, einer Art Polo- 
näse uud einem Kontertanz. Mit der Polonäse beginnt 
die Ngoma. Wie eine Schlange windet sich eine lange 
Reihe Tanzlustiger, Männlein und Weiblein, durchein- 
ander, zu zweien, zu dreien oder mehr unter einem Vor- 
tänzer an der Spitze, in langsamem Laufschritt durch 
da« umstehende Publikum. Alles schreit: Äh, Ah. ähä, 
und die Musikkapelle macht einen Mordsspektakel. All- 
mählich löst sich die Polonäse auf, und Männer und 
Frauen treten sich in zwei langen Reiben gegenüber, hier 
Männer, dort Weiber. Ks beginnt unter demselben 
onen Geheul und Lärmen der Kapelle der Konter- 
Auf der Stolle heben Tänzer und Tiinzeriimen 



ruckweise die Fersen ODd senken sie; gleichzeitig 
stärken sie diese Bewegung mit dem Hinterteil, wobei 
die Zierbüschel der Damen hin und her fliegen. 

Nach einiger Zeit rücken l>eide Reihen allmählich 
näher aneinander, immer näher, immer näher, bis beido 
Reihen sieb Baach an Bauch berühren. Die Bewegungen 
werden immer toller, immer leidenschaftlicher. Der 
Mann legt die Hände auf die Schultern des gegenüber- 
stehenden Weibes, dieses umschlingt seine Hüften, wäh- 
rend der Tanz weiter geht. Nach einiger Zeit rücken 
beide Reiben auseinander, nm wieder von neuem aufein- 
ander loszurücken usf. Das ganze macht einen stark 
sinnlichen Eindruck. Allmählich perlt der Schweiß die 
Stirn herunter, Staub wirbelt auf, aber immer lärmender, 
immer aufgeregter wird der Tanz. Einen ruhigen Augen- 
blick benutzt eine alte Mutter aus dem Publikum, um 
hinter ihrem Sohne niederzuknien. Der Sohn in der 
Reihe der Tänzer beugt sich zu ihr, und sie küßt und 
saugt ihm den Schweiß von der Stirne und wischt dann 
mit ihrer staubigen Hand über dio noch staubigere Stirn. 
Stolz dreht sich der Sohn wieder herum. Die Mutter 
strahlt, bekommt sie doch für diesen Liebesdienst am 
Abend ein Huhn. 

Abb. 9 stellt den Kontertanz der Wapogoro — Ngoma 
vor. Doch ist sie insofern charakteristisch, als die Männer 
meistens mit langen Hüfttüchern bokleidet sind. Es ist 
eben eine Mpogoro- Ngoma in der Nähe der Station. 
Andererseits fehlt der Kopfputz. Die Leute waren nach 
dem Aufstande 1905 Oti sehr verarmt und wagten keine 
Hübner zu schlachten, lediglich um Kopfschmuck für die 
Ngonia zu haben. Das Bild ist kurz nach dem Auf- 
stande angefertigt. Auf der linken Seite stehen drei 
Weiber in der Männerreihe infolge des Wunsches des 
Photographien, der eine Ansieht von dem Schmuck der 
Weiber haben wollte. 

Wenden wir uns nun zur Musikkapelle, die in Abb. 10 
dargestellt ist, so sehen wir zunächst zwei kesselpauken- 
artige Instrumente (Kisuaheli: Ngoma), wie sie auch 



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Pr. med. Hermann Fabrv: An« dem Leben der Wapogoro. 



219 



bei den übrigen Stämmen der Kolonie üblich sind: ein in 
Form eines Kessels oder einer Röhre ausgehöhlter Teil 
eines Baumstammes, der mit Fell überspannt ist und 
mit den Fingern geschlagen wird. Stundenlang, uner- 
müdlich bearbeitet der Musikant mit seinen Fingern das 
Instrument. Im Hintergründe der Ansicht ragt eine 
ßambusstange hervor, die leider durch eine Tänzerin ver- 
deckt ist. Wir haben hier ein weiteres Musikinstrument 
vor uns. Km langer llambusstab wird mehrfach gespalten, 
oben und unten 
wieder zusammen- 
gebunden und in 
«einer ganzen 
Länge mit Ein- 
kerbungen ver- 
sehen. Über letz- 
tere streicht der 
■Spielmann mit 
einem stumpfen 
Metallstück, sodaü 
der ganze Stab 
klappert und rag- 
Belt. Auch der 
vierte Musikaut ist 
leider etwas ver- 
deckt. Kr schwingt 
stoßweise in jeder 
Hand einen früher 
mit Holz-, jetzt mit 

Motallitilckcht'ti 
gefüllten Flaschen- 
kürbis und beteiligt 
sich nach Möglich- 
keit an dem Höllen- 
lärm. — Alles 
schwitzt. 

Kine große 
Ngoma beginnt um 
8 Uhr morgens und 
dauert bis zum 
Sonnenuntergang. 
Iiis 3 Uhr mittags 
wird ununterbro- 
chen getanzt. Von 
da ab wird der 
Tanz häutiger 
durch einen Stär- 
kungstrunk unter- 
brochen. Männer 
und Weiber erlaben 
sich an Pombu. Die 
alten Herren aber 
■itzen zusammen 
und sprechen dem 
Pombetopfe anhal- 
tenderund häutiger 
zu, so daß abends die meisten einen heftigen Rausch haben. 

Gelegenheiten zur Ngoma bieten sich vielfach. So 
wird die erst« Periode eines Mädchens gefeiert, der F.iu- 
zug der Frau beim Manne nach Einbringung des Heirats- 
gutes. Eine Kriegsngoina gibt es nicht. 

Das Geschrei und Geheul bei der Ngoma bringt wenig 
musikalisches Gefühl zum Ausdruck. Viel harmonischer 
und auch für den Europäer wohlklingend sind die oft 
zweistimmigen Gesänge, mit denen sich die Leute bei 
der Arbeit anfeuern und ermuntern. Sie klingen wie 
ein Choral von zahllosen Strophen. Obwohl ein und die- 
selbe Satzverbindung immer und immer wieder repetiert 
wird, kann man lange mit Genuß zuhören. 




Abb. 7. Zwei Wapogoro, zum Ngomntaaz geschmückt. 



Kin Spiel oder Sport wird von erwachsenen Minnern 
nicht getrieben. Für Frauen, die gern ein Kind haben 
möchten oder eins durch Tod verloren haben, gibt es 
eine Puppe. Ein trockener Flaschenkürbis (Abb. 11) 
trägt an seinem oberen Ende ein Bündel kurzer Schnüre, 
an denen die getrockneten Kerne der wilden' Banane] be- 
festigt sind. Dieses Spielzeug ist eine schlechte Imitation 
von der Puppe der Wangindo, die auch einen Flaschen- 
kürbis nehmen, ihn aber reichlich mit Perlen verzieren 

und statt dar Ba- 
nanenkerne Perlen- 
schnüre ansetzen. 
Die Puppe wird 
zärtlich gewiegt 
and geherzt. Geht 
man mit ihr be- 
sonders mütterlich 
um, so bekommt 
man bald ein Kind. 

Halbwüchsige 
Kinder schlagen 
den Kreisel oder 
schleudern und fan- 
gen mit einer an 
zwei Stöcken be- 
festigten Schnur 
ein in der Mitte 
eingekerbtes, läng- 
lich-rundes Holz- 
klötzchen. Beide 
Spiele sind auch 
bei der Jugend in 
Europa bekannt, 
letzteres Bogar an- 
scheinend ,mo- 
dern"; es ist über 
nicht aus Europa 
importiert, son- 
dern, wie mir die 
Wapogoro ver- 
sicherten , ihre 
eigene Erfindung. 

Haustechnik. 
Handel. Ge- 
werbe. Entspro- 
chend den geringen 
Anforderungen, die 
die Wapogoro an 
das Leben stellen, 
ist ihre industrielle 
Technik noch sehr 
in deu Kinder- 
schuhen. Zunächst 
die Bedürfnisse der 
Hausindustrie. Die 
ganze Küchenein- 
richiung besteht aus einein oder mehreren aus Lehm 
gebrannten Kochtöpfen. Hölzerne Löffel zum Umrühren 
der Speisen gibt es nicht. Die Hausfrau begnügt sich 
mit einem mehr oder weniger sauberen Stück Holz. Die 
zubereiteten Speiden kommen auf einen geflochtenen 
Teller. Das Flechtwerk besteht aus dünnen, zugeschnit- 
tenen Rohrstreifen. (Mit demselben Material arbeiten 
die Wapogoro auch ihre Schlafmatten.) Der Mörser, in 
dem Hirse und Mais mit einem dicken Stock gestampft 
werden , ist aus einem ausgehöhlten Baumstamm an- 
gefertigt. Die Wangindo verzieren ihn reichlich mit 
Schnitzwerk. Für die Wapogoro ist das Fehlen jeg- 
licher Schnitzarbeit charakteristisch. 

29* 



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Dr. med. Herniion Fabry: Au» dem Leben der Wapogoro. 



Zur Bestellung der Felder brauchen die Wapogoro 
Holzspaten. Heute sieht man auch vielfach Eisenspaten, 
die sie einhandeln, du ihnen der Huden keiu Eisen liefert. 
Hoch sind die Leute bereits w weit gediehen, dal] aie au» 
zwei Spaten im Feuer einen neuen schmieden und die 
Abfälle zu Kugeln hämmern. Auf Eben jeglicher Form 
sind die Leute sehr begierig, da aie ea zur Herstellung 
ihrer Waffen notwendig brauchen, neuerdings Fußschellen 
zur Ngoma darauR hämmern. Hein durchs Land ziehen- 
den Händler bringen sie als Tauschware Gummi an, mit 
dessen Gewinnung sie in neuerer Zeit vertraut gemacht 
sind. Auch Kupfermünzen kennen und nehmen sie, du 
aie wissen, dull man beim Händler dafür Lebensmittel, 
Kleidungsstücke usw. kaufen kann. 



Plunderzuge in das Gebiet ihrer Kachbarn zu machen. 
Um sich vor ihnen zu schützen, legten die Wapogoro 
ihre Dörfer versteckt inmitten von Felspartien an. 
Trotv.dctu wurde mancher Mpogoro von den Horden der 
Wabunga auf dem Felde überrascht und getötet, manches 
Weib mußte in die Kriegsgefangenschaft folgen. Die 
Wapogoro selbst versichern, diu Raubzüge der Wabunga 
hätten meistens damit geendigt, daß die Wapogoro mit 
Ziegen und Hühnern tu die Ebene herabgestiegen seien 
und um Frieden gebettelt hätten. Noch jetzt flößt der 
Mbunga dem Mpogoro einen gewaltigen Respekt ein. Zu 
aktiven kriegerischen L'nternehmungen gegen ihre Nach- 
barn ließen sich die Wapogoro nicht hinreißen. Doch 
kam es vor, daß zwischen den Stern tnesangehörigen selbst 




Abb. 8. Wapogoro-Weiber, zum Ngoraatanz geschmückt. 



Eine Mußeinteilung kennt der Mpogoro nicht. Wozu 
sollte er sie auch benutzen? Seine Nahrungsmittel ver- 
teilt er sehr einfach, indem er mit aneinandergelegten 
Hohlhunden mißt: „Zweihaudvoll". Allenfalls gebräuch- 
lich ist das Längenmaß: -Line Armlänge". 

Ausgebaute Straßen macht der Mpogoro nur auf 
Druck der Regierung. Für sich begnügt er sich mit 
einem eingetretenen Pfud. Führt dieser Uber einen Bach, 
dient ein quer über den Flußlauf geworfener liaum als 
Brücke. 

Politische Verhältnisse. Soziales. Früher, wo 
die deutsche Regierung noch nicht mit ihrem Eintiuß für 
Frieden und Ordnung unter den einzelnen Stammen 
sorgte, hatten die Wapogoro als der schwächere Volks - 
stamm manche Unbill von den beutelustigen Nachbarn 
zu ertragen. Besonders die kriegerischen Wabunga im 
Norden der Wapogoro ließen ea sich einfallen, Raub- und 



Zank und Streit entstand. Aus dem einen Dorfe stahl 
ein Manu eines anderen Dorfes ein Weib. Dann rüstete 
sich der Betrogene zum Rachezuge. Mit zwei oder drei 
Freunden lauerte er nachte seinem Feinde auf und er- 
schoß ihn aus dem Hinterhalte mit einem Pfeil. Die 
Freunde des Gefallenen unternahmen nun ihrerseits einen 
gleich feigen und heimlichen Sühnezug, womit der Streit 
sein Ende erreichte. Niemals aber traten die Wapogoro 
Dorf gegen Dorf in geschlossener Macht auf, etwa unter 
Führung ihrer Juiubeu. Die Tätigkeit des Juinben ist 
eine friedliche. Hat irgend einer seiner Untergebenen 
einen Diebstahl begangen, so eilt der Betrogene zum 
Jumben und klagt. Ist der Diebstahl erwiesen, so be- 
fiehlt der Juni he die Rückgabe des Eigentumes; kann der 
Kläger keine Beweise anführen und der Dieb leugnet die 
Tat, so bedient man sich eines Gottesurteiles. Ein 
Zauberer bringt einen Zauberzweig und legt ihn vor den 



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Dr. med. Hermann Knbry: / 

Dieb hin. Vermag ihn dieser auf »eine Schulter zu heben, 
so ist er schuldlos, vermag er es nicht, so hat er gefehlt 
Die Wapogoro glauben steif und fett, daß ein schuldiger 
Dieb den Zweig nicht aufzuheben vermöge. Infolge 
dieser Auffassung kommt es vielleicht dazu, daß der 
Delinquent, in der Autosuggestion befangen, er könne 
den Zweig nicht aufheben, ihn liegen läßt und seine 
Schuld gesteht. 

Hat irgendwo ein Mann einen Mord begangen, ein 
schwangeres Weib oder die Krau eines anderen gebraucht, 
so bringt man ihn zum Juniben. Der Juinbe kann das 
Todesurteil aussprechen oder für sittliche Vergehen uuf 
Herausgabe von Ziegen, Hühnern und sonstigen Wert- 
gegenstfinden erkennen. Mit dem Urteil des Jumben 



us dem Leben der Wapogoro. 221 



Eheliche Verhältnisse. Das Wort „Ehen werden 
im Himmel geschlossen" stimmt auch bei den Wapogoro 
nicht. Schon in früher Jugend werden die unmündigen 
Kinder verlobt. Zwei befreundet« Familienvater kommen 
überein, daQ das kleine Sohnlein des einen das Töchter- 
chen des anderen heiraten solle. Ist der Junge so weit, 
daß er Arbeit leisten kann, etwa im 7. Lebensjahre, so 
dient er ein Jahr dem Schwiegervater. Zwischendurch 
oder am Schlüsse dieser Zeit baut er ein Haus für sich 
und seine Zukünftige. Mit 7 bis 8 Jahren — man sollte 
es kaum glauben werden die Kinder zusammengebracht. 
Sie schlafen zusammen in dem neuen Hanse und ver- 
kehren auch schon geschlechtlich bis zum Eintritt der 
ersten Periode. Wenn man erstaunt fragt: Aber das 




Abb. ». Ngomatnnx der Wapogoro. 



geben sich die Stamtncsauguhörigeu zufrieden, da sie ihn 
achten und lieben. 

Diese Liebe drückt sich auch darin aus, daß sie ihm 
Bescheid sagon, wenn die Pombe bereitet ist. in bis 
20 Mann holen den Jumben ab. An der Spitze des (»e- 
folge» erscheint der Häuptling wohlwollend zum Gelage. 

Dagegen ist es nicht Brauch, daß der Jumbe dus 
Land verlaßt und auf Reisen geht. Will er mit riaMO 
Nachbarstamme verhandeln, so schickt er einen der 
Seinigen als Sendboten. 

Heim Tode des Sultans folgt der Älteste Sohn der 
Großfrau auf den Thron. Hat sie keine männlichen 
Nachkommen, so wird ein Sohn der zweiten oder dritten 
Frau gewählt. Ist überhaupt kein Sohn da, so regiert 
die Großfrau selbst. Nach ihrem Tode wird dann ein 
neuer Juinbe aiu den angesehenen Männern des Dorfes 
ausgesucht. 



sind ja noch beides Kinder, erhalt man die lakonische 
Antwort: „Aber dafür auch Wapogoro." 

Hat das Mädchen die erste Periode bekommen, etwa 
im 10. Lebensjahre, so werden die beiden Hoiratskaudi- 
daten auseinandergebracht. Heide schlafen nunmehr 
wieder getrennt-, denn nun muß der Hatte sich seine Gattin 
erst erkaufen. Er sucht das Heiratsgut zusammen. 
10 Ziegen, 2 Gewehre, 10 Spaten sind so der Nornialsatz, 
die der Jüngling mit Hilfe seines Vaters schneller oder 
langsamer zusammensucht. Während dieser Zeit ist ihm 
ein weiterer geschlechtlicher Verkehr mit seiner Braut 
verboten. Kanu er sich in dieser Beziehung nicht be- 
zähmen, so macht er sich strafbar. Der Schwiegervater 
liefert beleidigt das bereits ausgehändigte Heiratsgut 
zurück und vereitelt die Ehe. Ist aber alles Heiratsgut 
besorgt, so ist der Brautstand vorbei und die Ehe für 
dauernd geschlossen. 



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221 



Bei der Ehe wird Blutsverwandtschaft vermieden. 
Hin durch obigen Itttiia erworbene Frau wird später die 
Großfrau; denn im Laufe der .fahre kann os der Mpogoro 
bis auf zehn Frauen und darüber bringen. Jede einzelne 
Frau wohnte früher in einem eigenen Hau*«. Jetzt, wo 
die Hüttensteuer vom Gouvernement eingeführt ist, kunn 
der Mpogoro sich da» nicht mehr leisten. Alle Weiber 
wohnen in einem Haute, nur hat eine jede für sich ein 
Abteil im Hause. Die Großfrau hat gewisse Hechte; in 
Abwesenheit des Mannes vertritt sie ihn Händlern und 
durchziehenden Soldaten gegenüber. Ihr müssen die 
anderen Frauen gehorchen. Auch beim geschlechtlichen 
Verkehr fällt ihr der Hauptanteil zu. Der Mann schlaft 
bei ihr etwa vier bis fünf Nächte hintereinander. Hann 
zwei bis drei Nächte bei der zweiten Frau, je zwei 
Nachte bei den übrigen in regelrechtem Turnus. Da, 




Abb. 10. Musikkapelle der Wapogoro. 



wo der Manu schläft, nimmt er auch seine Mahlzeit 
zu sich. 

Morgens, wenn die Sonne aufgeht, erheben sich Mann 
und Frau. Ohne Morgeugebet, ohne Morgentoilette oder 
gar Frühstück geht der Mann, gefolgt von den Weibern, 
aufs Feld und bestellt seine Pflanzungen. Sind große 
Bäume zu fällen, Aste abzuschlagen, so besorgt dies der 
Mann. Doch alle übrige Arbeit., Gräser ausziehen, 
graben usw., überläßt er den Weibern. Um 11 Uhr muß 
die Frau nach Hause, um das Mittagessen für die Kinder 
zu bereiten. Die gekochten Abfälle der gestampften Hirse, 
wo es angeht, eine süße Kartoffel, bilden die Speisen der 
Kleinen. Nach dem Essen der Kinder wird die unter- 
brochene Arbeit wieder aufgenommen. Man muß sich 
aber nicht vorstellen, daß der Mpogoro täglich zur Ar- 
beit geht. Ist die Zeit der Saat und der Ernte vorbei, 
so verträumt er seine Tage in süßem Nichtstun und 
laßt sich vor seinem Hause von der Sonne bescheineu. 
Letzteres weiß er weit mehr zu würdigen als Arbeit, 



die er nur, soweit es sein Lebensunterhalt erfordert, ver- 
richtet. 

Der erwachsene Mpogoro ißt nur einmal am Tage, 
abends eine Stunde nach Sonnenuntergang. Der Hausherr 
ißt zuerst und allein. Die Frau, die er mit »einem nicht- 
lichen Besuch bedenkt, bat bereits den Hirse- oder Mais- 
brei fertig gekocht und setzt ihm die Speise vor. Der 
Mann haut jetzt kolossal ein. bis sein Hunger völlig ge- 
stillt ist Dabei ist es ihm gleichgültig, ob für seine (iattin 
viel oder wenig übrig bleibt. Hat er abgespeist *o macht 
sich die Frau über den Best. Treibt der Mann die Rück- 
sichtslosigkeit so weit, daß er alles aufißt lind für seine 
Frau überhaupt nichts übrig läßt, so geht diese klagend 
zu ihrem Vater: „Ich sterbe vor Hunger; mein Mann 
ißt alles allein*. Der Vater besorgt ihr zunächst einen 
größeren Kochtopf und sagt ihr: „Hier ist ein größeres 

Gefäß, koche mehr, damit für 
dich noch was übrig bleibt." 
Langt aber diu größere Por- 
tion auch noch nicht, so klagt 
die Tochter abermals dem 
Vater: „Mein Munu ist ein 
böser Kerl, er läßt für mich 
kein Essen übrig. Ich will 
von ihm geschieden sein." 
Der Vater nimmt Rücksprache 
mit dem Schwiegersohn, und 
die Ehescheidung wird aus- 
gesprochen. Die geschiedene 
Frau gebt alsbald in den Be- 
sitz eines anderen über. 

Andererseits kann auch 
die Frau für den Mann ein 
Anlaß zur Kluge werden. Beim 
Mpogoro geht die Liebe durch 
den Magen. Kann uun eine 
Frau schlecht kochen , so ist 
die Liebo bald vorflogen, und 
es genügt diese Ungeschick- 
lichkeit als triftiger tirund 
zur Ehescheidung. Einer ge- 
schiedenen Frau bleibt kein 
Eigentum-, im Gegenteil, ihr 
Vater ist gezwungen, das Hei- 
ratsgut wieder herauszugeben. 
Etwaige Kinder bleiben beim 
Mantii-. 

Die Kinder in der Familie 
leben in der Furcht des Herrn. 
Sind sie ungehorsam, so letzt 
es gleich Prügel. Unterwiesen in irgend einer Brancho 
werden sie nicht. Die Eltern nehmen die fünfjährigen 
mit aufs Feld, und hier sehen die Kinder von selbst, wie 
sie zu pflanzen haben. Wenn sie nicht aufpassen , setzt 
es abermals Prügel, denn die Eltern sind darauf bedacht, 
ihnen die lästige Feldarbeit bald zu überlassen. 

Einer Mpogoro -Familie ist ein reicher Kindersegen 
beschieden zur Freude der Eltern. Die Söhne sind ja 
erwünscht« Arbeitskräfte; die Töchter bringen Heirutsgut 
ein. Jedoch sterben viele Kinder an Krankheiten. 

Wegen der Vielweiberei ist Prostitution ausgeschlossen 
und kommt wohl tatsächlich nicht vor. Jedes Weib hat 
seinen (iatten und ist damit zufrieden. Die Wapogoro 
haben die Auffassung, daß es mit einer alleinstehenden 
Jungfrau schlecht bestellt sei. 

Geburt. Tod. Fühlt eine Frau sich schwanger, so 
teilt sie es einer älteren , erfahrenen Frau mit : „Meine 
Periode ist ausgeblieben." Diese rät ihr: „Warte noch 
einen bis zwei Monat«, vielleicht tritt diu Periode wieder 



r. .4 



r 



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Dr. med. Hermann Fahrjr: Aus dem Loben der \V;.pogoro. 



ein." Die Frau hegibt »ich zu ihrem Manne zurück uud 
verkehrt mit ihm geschlechtlich weiter. Ist jedoch nach 
zwei Mouaten Wartezeit die Periode ooob nioht ein- 
getreten, ao begibt nie sich abermals zu ihrer Ratgeberin: 
„Was »oll ich machen, ich bekomme kein monatliches 
Klüt mehr?" — „Geh zu deinem Manne", antwortet ihr 
diese, r und sage ihm, ich bekomme ein Kind." Für den 
Mann ist diese Botschaft der Refehl, die Frau von nun 
ab geschlechtlich nicht mehr zu berühren. Tut er es 
doch, so begeht er nach Auffassung der Wapogoro ein 
großes Unrecht Bis zur Geburt hat die Schwangere allein 
xu schlafen. 

Da» Mpogoro-Weib gebiert im Sitzen. Kine filtere 
Frau unterstützt die Kreißende im Rücken, eine zweite 
kauert vor ihr, um das Kind in Empfang zu nehmen. 
Tritt eine Geburteverzögerung ein , so reiben die beiden 
Frauen 4Jie Gebarende mit schleimigen Krautern an den 
Hutten ein. Kine andere Kunsthilfe bei der Geburt ict 
unbekanut Die Nabelschnur wird nach Ausstoßung de« 
Kindes zwischen den Fingern zerrieben. Die Nachgeburt 
wird ohne Knnsthilfe spontan entleert uud im Hause 
vergraben. Ist der ganze Geburtsakt vorbei, so wird der 
Mann benachrichtigt, der sich aus dem Hause entfernt 
hat und nun als erfreuter Familienvater zur Besichtigung 
seines neuen Sprößling kommt. Er bestimmt den Namen, 
wobei gern der Name des Großvaters gewählt wird. 

Nach der Geburt werden Mutter und Kiud gewaschen. 
Die Mutter verhält sich nach der Geburt einen Ta>f im 
Hause. Dann ist für sie das Wochenbett erledigt. Sie 
arbeitet wie zuvor. Doch enthält sie sich auch jetzt noch 
drei Monate des Geschlechtsverkehrs. 

Interessant ist es, daß die Wapogoro der Ansicht leben, 
männliche Kinder blieben länger im Mutterleib als weib- 
liche. Es entspricht dies der ganzen Wertschätzung des 
Mannes , hinter den die Fruu ab Dienerin zurücktritt. 
Diese Auffassung kommt auch beim Tode der Gatten zur 
Geltung. Stirbt der Mann, so trauert die Witwe ein Jahr. 
Um den Hals bindet sie sich als äußeres Abzeichen der 
Trauer drei oder vier Windungen eine« Strickes. Erst 
nach Ablaut dieser Zeit darf sie wieder heiraten. Ge- 
wöhnlich nimmt ein Freund des Verstorbenen von ihr 
Besitz. In diesem Falle braucht der Betreffende kein 
Heiratsgut herauszurücken. Bestehen jedoch keine Be- 
ziehungen zwischen dem verstorbenen und dem neuen 
(tatten, so muß die Witwe abermals mit Heiratsgut er- 
kauft werden. Beim Tode der Frau hingegen trauert der 
Mann nicht einen Tag. Ebenso trauert die Mutter beim 
Tode des Sohnes zwei Monate , beim Tode der Tochter 
wieder nicht. Das weibliche Familienmitglied ist dem 
männlichen eben nicht ebenbürtig. 

Religiöse Begriffe. Die Wapogoro sind in bezug 
auf Religion auffallend indoleut. Sie geben sich an- 
scheinend nicht die geringste Mühe, ihro unklaren Be- 
griffe über religiöse Angelegenheiten zu klären. Sie sagen: 
„Es gibt oinen Gott aber welcher Art er ist, wie er aus- 
sieht, wissen wir nicht; er ist gut, denn er läßt unsere 
Früchte gedeihen, doch ist er mehr böse, da er uns ab 
und zu mit Hungersnot straft." Weun es donuort, sagen 
sie: n ,Mahog»' freut sich, daß wir gesäet hal>en." Daß 
die Leute ihrem Gott mehr schlechte als gute Kigen- 
schatten boilegen, zeigt sich auch daran, daß sie gewisse 
Sümpfe, wo Leute ertrunken sind, als Stellen bezeichnen, 
dio Gott Mahoga gehören. An diesen Orten spielte sich 
früher bei Ermordungen ein Gottesurteil ab. Von sechs 
bis sieben Leuten wurde der Mörder zum Sumpf gebracht. 
Der Kläger murmelte zum Wasser gewendet : „Dieser hat 
meinen Freund getötet; er leugnet aber die Tat; laß ihn 
sterbeu, wenn er die Tat begangen hat; laß ihn gesund ; 
bleiben, wenn er unschuldig ist." Dann mußte der Mördur I 



von dem Wasser des Sumpfes trinken. Erbrach er das 
Wasser, so war er von Schuld and Sühne freigesprochen, 
erfolgte kein Krhrechen , so mußte er unfehlbar an dem 
eingenommenen Wasser sterben, erzählen die Wapogoro. 

Mahoga ist etwas Furchtbares. Sieht ein Mpogoro 
eine Riesenschlange, so schreit er entsetzt »Mahoga" und 
läuft davon. An die Stelle, wo dio Riesenschlange lag, 
wird ein Buhn oder Ziege als Opfer hingebracht, damit 
Mahoga besänftigt werde. Eine steil ansteigende Berg- 
partie im Südosten des Bezirks Mahenge mit unzugäng- 
lichen l'lateaus und schroffen Abfällen trägt den Namen 
des Gottes Mahoga. 

An Geister glauben die Wapogoro nicht Auch Dankes- 
opfer an Feldfrüchten od. dg), bringt der reine Mpogoro 
seinem Gotte nicht Er kümmert sich, wie gesagt, um 
ihn recht wenig. 

Wenn jemand stirbt, verfault er im Erdboden, und 
mit ihm verfault seine Seele. Wenn man fragt: „Kommt 
die Seele nicht zu Gott?" erhält man die Antwort: „Die 
Seele fault im Erdboden, auf welchem Wege soll sie denn 
zu Gott kommen V" Das umstehende Publikum bekräftigt 
diesen Glaubenssatz, verwundert über die seltsame Frage, 
durch ein herzliche« Lachen. Mit demselben Lachen ver- 



sieh. 



als gute 



Anklang an 




Abb. 11. 
Puppe fllr 
Wapogroro- 



td sie, Gott habe mehr b< 
man könne ihm nicht so recht trauen. 

Die Wapogoro beten auch nicht. Kinei 
Gebet für don europäischen Geschmack 
ist ihr (ieschrei beim Begräbnis: „Mein 
Bruder ist gestorben, warum er gestorben 
ist, weiß ich nicht, ob er schlechte Taten 
verrichtet hat weiß ich nicht" Doch ' 
sichern die Wapogoro selbst, das sei 
Gebet, sondern lediglich Brauch bei dem 
Tode eines Angehörigen. 

Medizin. Verschiedene Erkrankun- 
gen sind den Wapogoro bekannt, beson- 
ders solche, die klinisch mit manifesten 
Zeichen auftreten. So tropische Frambösie 
und Lepra. Ihre Diagnose stellt selbst der 
gewöhnliche Mpogoro sehr gut. Doch da- 
mit begnügt er sich , die Therapie wird vernachlässigt. 

Andere Stämme vertreiben die Leprakranken aus den 
Dörfern und isolieren sie im Walde, da sie die Ansteckung 
fürchten. Der Mpogoro läßt die Leprösen unbeachtet in 
den Häusern liegen. 

Sehr verbreitet in der Kolonie ist die Behandlung der 
tropischen Frambösie nach Ausbruch der sekundären 
Papeln mit einem Breianstrich von gestampftem und mit 
Wasser vermengtem Kupfersulfat, der die Papeln zum 
Eintrocknen und Abfallen bringt. Die Wapogoro natür- 
lich haben keine Kenntnis dieser Behandlung. 

Es gibt wobl eiuzelDe Arzte, dooh beschränkt sich 
ihre Wissenschaft auf Herstollen von Pflanzenmitteln, die 
innerlich und äußerlich Verwendung finden. So wird bei 
Kreuzscbmerzen und Brustschmerzen Bitterklee getrock- 
net, zu Pulver verrieben und nach Art des Üaunscheidtis- 
mus in Inzisionswunden eingerieben. Bei Kopfschmerzen 
wird ein Strick fest um den Kopf gezogeu als über- 
tnubungsmittel. Bei akuten Hläschenausschlägen der Haut, 
Ekzemen, Windpocken wird der ganze Körper mit trocke- 
nem Lehm eingerieben und dadurch allerdings eine gründ- 
liche Austrocknung der Bläschen erzielt 

Zeitrechnung. Die Tageseinteilung berechnen die 
Wapogoro nach dem Stande der Sonnp. Kine Kinteilnng 
nach Stundeu ist ihnen unbekannt. Mit ausgestrecktem 
Ann zeigen sie den Stand der Sonne, wenn sie eine be- 
stimmte Tageszeit verabreden; der senkrecht in die Höhe 
gehaltene Arm bedeutet zwölf Uhr mittags: die übrigen 
Tageszeiten wissen Hie mit sicherem tiefühl durch 



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\.: l>or Her i) stein in China. 



größeren oder kleineren Winkel de» Arme» zum Körper, 
der dem Stande der Sonne entspricht, anzugeben. 

Ktwas schwieriger ist der Kegrifl .lahr. Nur ältere, 
intelligentere Leute machen »ich diesen klar, indem sie 
an der Saat- und Regenzeit einen Anhaltspunkt haben. 
Aber auch diese können nur wenige Jabre zurückzahlen, 
und für die breite Masse existiert der TiegrifT Jahr über- 
haupt nicht, so daß niemand anzugeben weiß, wie alt er 
ist. Jede Zählung, »ei sie noch so klein, bedeutet für den 
Mpogoro einen erheblichen Aufwand an Scharfsinn. Noch 
heute gibt es viele Leute, die mit großer Mühe bis zehn 
zahieu. labt man ihnen zehn Ounimiballe und fordert 
sie auf, sie zu zahlen, ho legen sie zunächst zwei bei- 
seite, sehen sie mehrmals eindringlich an, vergleichen 
sie mit zwei Fingern der linken Hand und schieben auch 
diese zur Seite. Dann folgen zwei andere GummibäJle 
mit zwei neuen Fingern der linken Hand. Hin Finger 
und ein (iurnmibull bleibt übrig. Dicsor Ouinmiball wird 
für sich allein gelegt und die Zahl 5 ist erreicht, Dann 
folgt die andere Hand, und onehdem sich der Mann einige 
Male verzählt und nachgezählt bat , ist die Zahl 10 
fixiert. 

Weun sich heute bei intelligenteren Wapogoro ein 
Dezimalsystem mit hohen Zahlen ausgebildet bat, 50 ist 
das ein bedeutender Fortsehritt der Kultur und des ge- 
steigerten Verkehrs. Die meisten erreichen diese geistige 
Bildung nicht und begnügen sich damit, bis fünf oder 
zehn zahlen zu können. 



Schlußwort. Obige Aufzeichnungen aus dem Leben 
der Wnpogoro machte ich während meines Aufenthaltes 
im Lande der Wapogoro im Jahre 1906. Wenn ich sie 
hier windergebe, mache ich dabei absolut nicht den An- 
spruch auf Vollständigkeit. Ich zweifle sogar nicht, daß 
das eine oder andere noch nachgetragen werden kann. 
Aber auch bei don Wapogoro verlieren »ich mit dem 
Fortschritt des deutschen Kinflusse» die ursprünglichen 
Stammeseigehtümlicbkciton immer mehr. Die intimeren 
Beziehungen, die sich mit dem gesteigerten Verkehr 
zwischen den einzelnen Stämmen ausbilden, dulden keine 
schroffen Gegensätze in den Sitten und Oebrauchen und 
wirken ausgleichend zwischen den ehemals streng ge- 
trennten und einander verachtenden Stammen. Infolge- 
dessen wird os in Zukunft immer schwerer werden, das 
dem Stamme Eigentümliche und Ursprüngliche heraus- 
zuschälen und festzulegen. Vielleicht hat von diesem 
Gesichtspunkte aus unsere Abhandlung einigen Wert '). 

') I»ie Photosrrsphie, die Abb. 7 zugrunde liegt, wurde 
mir von Herrn Feldwebel Miinzuer zur Verfügung Restellt, 
«Iii- l'hi>l.>i:rn|ih!en, nach denen Abb. I, 8, 9 und 10 nmrefvrlijrl 
sind, wurden v.m Herrn Ciiterznhliiirisler Voigt für midi 
eigens angefertigt. Hei Abfassung dieser Arbeit erhielt ich 
manchen Wink und IUt von Herrn Oberloutnaut Freiherr 
><m Nordeck zur Kaheunu, der »I« älterer Afrikaner mir 
bei Sichtuni? de« Materials durch Vergleich mit den liehriluehen 
anderer Stämme »u« der Kolunie behilflich war. Allen drei 
Herren möchte i. li mi dieser Slello meinen verbindlichsten 
Dank aussprechen. 



Der Bernstein in China. 



Wahrend wir in Europa über Vorkommen, Alter und 
Verbreitung des Bernsteins gut , man kann sagen al>- 
schließend, unterrichtet sind, fehlte c« an einer Arbeit, 
die seine Verbreitung über Asien, wo er doch auch, zu- 
mal in China, beliebt ist, nähore Auskunft gibt. Wenig 
verlautete in der Literatur darüber, und erst durch eine 
Arbeit, dio der Geologe Fritz Noctling im Globus 
(Band 79, S. 21 7 ff.; veröffentlichte, ist man auf die 
richtige Spur gekommen. Sie führt den Titel „Das Vor- 
kommen von Hirinit (indischer Bernstein) und dessen 
Verbreitung". Hier wurde gezeigt, wo die Hauptquelle 
des in China so verbreiteten Bornsteins zu suchen ist, 
nämlich in Birma. Jetzt bat Dr. Berthold Lau Ter in 
einer eingehenden Abhandlung (Memoirs of the American 
Anthropological Association, Bd. I. 1907, S. 21.'») diu 
Frage wieder aufgenommen und dnreb die Benutzung 
der alten chinesischen Literatur zur völligen Kläruug 
gebracht. Seine Mitteilungen sind belangreicher Natur, 
so daß wir sie gern im kurzen Auszuge hier wieder- 
gehen. 

Schon im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung 
hatte ein Chinese, Tao Hung-ching. sehr vernünftige An- 
sichten über das Wesen des Bernsteins. Er berichtet, 
daß das Harz von Nadelhölzern in die Krde hinke und 
sich dort nach 1OO0 Jahren in Bernstein umwandele. 
Brunnt niuu diesen, so entsteht uiti Geruch wie von 
Fichtenbaumen. Kr kommt auch, so sagt er ferner, Bern- j 
stein vor, in dem eine Biene, gleich den lebenden, einge- 
schlossen ist. Sie ist von dem Harze umhüllt worden und 
so mit in die Knie gelangt usw. Ahnliche Ansichten, 
mitunter auch fabelhafter Art. äußern dann spater« chine- 
sische Schriftsteller, die verschiedene Bernsteinsorten 
unterscheiden. Sie wissen auch, daß sowohl in Indien 
als in Tibet der Bernstein schon in den ersten Jahrhun- 
derten unserer Zeitrechnung benutzt war, ja .seihst seine 
Verwendung bui den Hörnern war ihnen bekannt, worauf 



schon Hirth (China and the Itonian Orient, S. 41) hin- 
gewiesen hat. 

Für China blieb die Hauptbezugsquelle des Bernsteins 
Birma, von wo aus er sehr früh eingeführt wurde. In 
den Annalen der späteren Handynastie wird erwähnt, 
daß iiusAi lao (Birma) Bernstein zusammen mit Kupfer, 
Gold, Silber, Perlon usw. über Yünnan nach China ge- 
langte, noch Laufer schon im ersten Jahrhundert, als die 
Chinesen mit Yünnan näher in Berührung kamen. Der 
früheste Beriebt über den birmanischen Bernstein stammt 
von dem portugiesischen Jesuiten Alvarez Semedo, der 
1643 zu Koni ein Buch über China veröffentlichte, in 
dem er erzahlt, daß der Bernstein in Birma aus der Erde 
gegraben werde; er sei röter als dor uusrige und werde 
gegen Katarrhe benutzt. Aber die nähere Kttnd« ver- 
danken wir erst jener Abhandlung von Noetliug im 
Globus. Kr wies den Ort Moingkhwan im Shanlaudc 
als I rsprungsquelle nach, wo der Bernstein gewonnen 
und im rohen Zustande über Mogung von Chinesen nach 
Yünnan gebracht wird. Diu geschah nach chinesischen 
Quellen schon im ersten Jahrhundert. 

Im Mittelalter wurde dunu für China eiue neue Bern- 
stcimiuolle durch die türkischen Stämme in Zentralusien 
eröffnet. Dafür liegen Beweise aus dem zehnten Jahr- 
hundert vor. Da aber Turkostau selbst keinen Bernstein 
besitzt, so mußt« er dorthin (Samarkand, Kotan usw.) 
aus dem Westen gelangt «ein. Dafür spricht ein per- 
sisches Werk des Edditi Mohamed Uli ans dem 13, Jahr- 
hundert, in dem er von dem Handel der Chinesen nach 
Chorassan berichtet, und da ist auch die Rede von gelbem 
Bernstein, der aus dem Lande der Slawen stamme und 
dort vom Meere ausgeworfen werde. 

Heute ist dor Bedarr Chinas an Bernstein sehr groß. 
Zunächst brachten ihn die Portugiesen dorthin, jetzt 
kommt er unmittelbar aus Deutschland, wie die chine- 
sischen Zollisten beweisen. Selbst in Birma überwiegt 



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Gr.: Zur N'ephritfruge. - Kucucrecb.au. 



der deutsche Dernatein den einheimischen. Die Chinesen 
vorstehen e» jutzt Auch, ihn nus Glas, Kopal und anderen 
Harzen jtu fälschen. A. 

Zar Nephritfrage. 

Kino »ehr wichtig« Arbeit zur Nephritfriige hat Prof. 
Kalkowsky in Dresden unter dem Titel . Ökologie <le* Ne- 
phriU im südlichen Ligurien' in der Zeitschrift der deut- 
schen Geologischen Gesellschaft, Jahrg. 1906. lieft :l, ver- 
öffentlicht '). Vor »Hein wichtig ist daraus dir Nachricht, dnß 
es ihm in der weiteren Umgehung von Sestrt Levante ge- 
tane, SI1 nicht weniger als elf verschiedenen Lagerstätten 
Nephrit anstehend in einer größeren Zahl von Abarten und 
unter außerordentlich klaren LagerungsverhUltnissen aufxu- 
Hnden. Durch das dort gewonnene Material und von vielen 
Seiten zur Verfügung gestelltes Vergleichsmaterial hat er 370 
•igen« und i'öo fremde Nephritdünnsibliffc zusammengebracht 
und studieren können. Von den dabei erlangten geologischen 
und petrogrsphischen Resultaten , wegen deren im einzelnen 
auf da« Original verwiesen «ein möge, »oll hier mitgeteilt 
werden, daO der ligurische Nephrit nach Kalkowsky* Ansicht 
ein durch Dislokationsmetamorphisiuus aus Serpentin in der 
Zeit der Bildung de* Apenninengebirgc«. entstandenes Gestein 
ist. AU Gestein aber ist der Nephrit unter allen Umständen 
anzusehen, nicht als Mineral, und daher rühren auch die 
verschiedenen Abarten, wie sie bei jedem anderen Gestein 
ebenfalls vorkommen. Bei dem Studium der Präparat«, die 
Arzruni untersucht hatte, wobei auch zum Teil die Stücke 
vorlagen, au« denen sie hergestellt wurden, ist Kalkowsky 

') Vgl. hierzu die Soll« S.210 über desselben Verfassen et»« 
gleichzeitig ereohienfii- Arbeit über die NYphritfun.le im Hndeniee. 



zur Überzeugung gekommen, da 15 bei der „Nepbritfrage" 
Millbrauch getrieben wurde mit der Gefälligkeit der Mine- 
ralogen und Geologen. An schlechten, schmutzigen, dicken 
Dünuschlifl'en von 2 qmm <■) Großo sollte Arzruni heraus 
bekniuruon, woher die Nephrite stammten. Dabei seien die 
Stelleu des Materials, von denen die Dünnschliffe angefertigt 
wurden, von Leuten ohne jede geologische Kenntnis aus- 
gewählt worden; nus Gefälligkeit machte ein Chemiker eine 
Analyse des mikroskopisch untersuchten Stückes von einem 
ganz anderen Eude, das mineralogisch gar nicht mit der 
petrograpbissh untersuchten Probe übereinstimmte. Kal- 
knwsky meint de*halb, wenn Arzruni, vielleicht nur aus Ge- 
fälligkeit nachgehend, es unternommen habe, nach der Struk- 
tur in winzigen Dünnschliffen ein Urteil über die Verwandt- 
schaft oder die möglich« Herkunft des Nephrits auszusprechen, 
so inlisse gegen ein solches Verfahren für die Zukunft auf 
das entschiedenste Einspruch erhoben werden. Sehr oft findet 
man nämlich bei der Untersuchung großer, guter Dünn- 
schliffe, daß die Struktur schon innerhalb des gleichen Prä- 
parate* variiert ; auch variiert die Struktur oft je nach der 
Orientierung den Präparates zu dem ganzen Stücke, wenn sie 
auch überall die typische Aktinolithnadelvernlzung aufweist. 
Nur dadurch, daß der untersuchende Geologe selbst in pein- 
lichster Weise die zu untersuchenden Stellen der Stücke 
auswählt und die Bearbeitung und Herrichtung zur Unter- 
suchung auf da« genaua*t« überwacht, wird es möglich wer- 
den, in der von Kalkowsky angebahnten Weise zu gesicher- 
ten, der Kritik standhaltenden Resultaten zu gelangen. Er- 
wähnt sei noch, d»C die von Kalkowsky gefundenen Nephrite 
meist größere oder kleinere Knollen, Blöcke und Knauern 
in anderem Gesteine bildeten und eine größere Anzahl schon 
von anderwärt* liekannter Nepbritvarietiiten von typischer 
chemischer Zusammensetzung, spezifischem Gewicht und son- 
stigen Eigenschaften, wie Zähigkeit usw., daneben aber auch 
nooh einige neue Abarten lieferten. Gr. 



Prof. Ilr. Dagobert Schnell feld. Die Halbinsel Sinai 
iu ihrer Bedeutung nach Krdkuude und Geschichte, auf 
Grund eigener Forschungen an Ort und Stelle dargestellt. 
VIII und 196 S. Mit 1 Karte, 3 Textabb. und 20 Abb. 
in Lichtdruck. Berlin, Dietrich Reimer, l«07. 8 M. 
Von Ende Oktober bis Ende November l'.'oa durchzog 
der Verfasser die Halbinsel Sinai zu dem Zwecke, die Wauder 
route des Volkes Israel festzustellen und zu untersuchen, ob 
die Zweifel, daß die Halbinsel den Angilben de* Pentateueh 
entsprechend 40 Jahre lang ein so kopfstarkes Volk habe er- 
nähren können , zutrafen oder uicht. Er wandte sich von 
Suez iu der Nähe der Meeresküste nach Süden und dann 
durch das Wadi Kirau zum Katharinenkloster am Sinai. 
Hierauf zog er nach Norden und Nordnsten über Nekle 
(Sacbcl), Am el-Gado» (dem .Kades- Barnen der Bibel) uud 
llir es-Seba nach Jerusalem. Über seine Beobaehtungen Ütier 
Land und Volk berichtete der Verfasser seinerzeit im .Globus* 
(Bd. HS, Nr. in) in einom zusammenfassenden Aufsatze, der 
mit einigen Ergänzungen in dem vorliegenden Buche das 
19. Kapitel bildet. Die voraufgehenden schildern die Keise, 
doch sind auch sie reich an geographi«chen, ethnographischen 
und historischen Notizen. Krwiilmt «ei, daß der Verfasser 
beim Wadi el- Beheb« (Rehoboih), balbweg« zwischen Ain 
el-Gado* und Bir es-Scba, die Nähe des etwa «ö km entfernten 
Mittelinoeres verspürt«: „Di« Luft füllt sieh mit Satzteilen, 
und der Meeressand, vom Winde herüheiget ragen, legt sich 
um den Kuß der Straucher und Stauden, welche, von ihm 
gedrückt, nach Osten hin sich überneigen " Den Wanderweg 
Israel* glaubt der Verfasser bis Ain r|-Gade* im allgemeinen 
verfolgt zu haben, d. h. bis zu der Stätte, wo der politische 
und religiös« Mittelpunkt des Volkes während seiner 38' 
jährigen Nornndenzeil auf der Halbinsel gelegen haben soll. 
Hiermit und mit den übrigeu historischen Kragen, die ihn 
zu seiner Heise veranlagen , beschäftigt sich der Verfasser 
im Zusammenhange im '10. Kupitel- Er ist — wohl mit 
Recht — überzeugt, daß jener Teil der Sinaihalhinsel dem 
Volke ausreichende Lebensbedingungen — Bedingungen für 
Viehzucht und mäßigen Ackerbau — gelten habe. Auch 
heute noch seien jene Gebiete keineswegs \<>n der Natnr ganz 
vernachlässigt, und im Alteilum seien sie jedenfalls wald- 
nnd regenreicher gewesen, Den Berg der „Gesetzgebung*, 
vor dem das Volk Israel ein Jahr gelagert haben soll, sieht 
der Verfasser im Horeb, der Hibel entsprechend, nicht, wie 
manche Korseber, im Serbai. El-Augah. nördlich von Am 
«1 Gades, ist nach des Verfassers Ansicht das biblische llorma, 
wo die Israeliten di« schwere Niederlage gegeu die Atnalekiter 



und Kananniter erlitten; denn die dortige Ebene sei „wie 
geschaffen für ein Sehlachtfeld". Weiter nordlich, bei El- 
Chalasab, tiuden sich zahlreiche Ruinen und Anlagen, die auf 
alten Weinbau hindeuten. Von hier — so meint der Ver- 
fasser — hatten die Kundschafter die schwere Weintraube 
geholt, nicht aus der Gegeud von Hebrou. Diese und manche 
andeve Bemerkungen sind nicht ohne Interesse, wenn auch 
nicht immer überzeugend. Allein die Darstellung leidet unter 
einem unwissenschaftlichen Standpunkt de» Verfassers, der 
alles für bare Münze nimmt, was im I'entateuch steht, dessen 
wesentliche Bestandteile Moses selbst (in Kades-Barnea) ge- 
schrieben habe, der *.>g»r von dem persönlichen Eingreifen 
Jahwes überzeugt ist, von dessen direktem Verkehr mit 
Moses und mit den ersten Menschen im .Paradiese*. Mit Be- 
fremden liest man des Verfn**er* Ausführungen besonder* im 
!!!. Kapitel „Moses und der I'entateuch". Man hätte der- 
gleichen Ideen und „Beweisführungen* heute nicht mehr 
für möglich halten sollen. Die Abbildungen zeigen manche 
interessante (Irtlkhkeit , die Karte aber ist sehr dürftig, uud 
iu der Eiuzeicbnung des Reiseweges bei Ain el-üades weicht 
sie in auffälliger Weise von den "Angaben des Textes ab 

II. S. 

v. Hrhvrelger-Lcrchenfeld, Kulturgeschichte. Werden 
und Vergehen im Völkerloben. 2 Hände. Wien, A. Hart- 

leben, l'J07. 2o M. 
Der moderne Horizont bat sich gegeu frühere Zeitalter 
unendlich erweitert, so daß das alte Weltbild schlechter- 
dings nicht mehr in unsere Anschauungen hineinpaßt. Und 
mit dieeer Ausdehnung über den ganzen Erdball hin, so daß 
Ulis die bisherige „Weif geschiente gleichsam wie eine »tili 
umfriedete Idylle anmutet, i*t eine entsprechende Vertiefung, 
eine Sättigung mit ganz neuem Gehalt Hand iu Hand ge- 
gangen. Eine echte Kulturwissenschaft, die es nicht mehr 
mit einer bloßen chronologischen Aneinanderreihung eines 
recht beschränkten Tatsachenmaterials bewenden läßt, sondern 
iu weitesteu Umrissen dem fortlaufenden Zusammenhang -icr 
Dinge auf den Grund zu kommen «ucht, kann, wie Kriedr. 
B«t/ul nachdrücklich erklärt hat, nicht mehr der Naturvölker 
entbehren , jener Vorläufer höherer Gesittungsstufen , die 
höchst instruktiv die Kntwickelung unseres eigenen geistigen 
Lebens veranschaulichen. Dazu kommen noch die Anthro- 
pologie, die Rassenlehre (bislang so geringschätzig behandelt), 
dann die Archäologie, die Wissenschaft des Spateus, die den 
verschlossenen Mund der Erde öffnet und zum Heden bringt, 
die Demographie. Nationalökonomie, Soziologie 11.*. Gerado 



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22G 



Biichorscbau. 



die zulelzt genannte Disziplin versucht neuerdings in der 
entwickelungsgeschichtlichen Betrachtung immer feileren 
FaS zu fassen, obschon nach unseiom Dafürhält''« ihre sog. 
Gesetze bisweilen «Ii« wünschenswert« Verläßlichkeit noch 
allzusehr entbehren lassen. So hat «ich mit dem anwachsen- 
den Material auch eine Fülle von Gesichtspunkten eingestellt, 
so daß damit selbstverständlich «ine klnre. planmäßige und 
einheitliche Verarbeitung und Darstellung nicht wenig er- 
schwert ist. Schon um deswillen war der bekannte Verfasser 
des vorliegenden Werkes genötigt, sich in der Kinleituug mit 
den verschiedenen Vertretern abweichender Standpunkte aus- 
einanderzusetzen. Da Lame in erster Linie der Darwinismus 
in Betracht., der öfter zwangsweise in die kulturgeschichtliche 
Darstellung eingeführt ist. Der Verfa*»er weist mit vollem 
Recht auf die hervorragende Bedeutung hin, die der Über- 
lieferung (einerlei zunäch*t, welcher) im geschichtlichen 
Leben der Menschheit zukommt: Die Tradition ist die mäch 
tigsle Stütze der Kultur; denn sie allein ist es, die entwlcke- 
luugsgeschichtlicb in Betracht kommt ; da ist abermals der 
Bruch, den die naturwissenschaftliche Anschauung nicht zu 
verkitten vermag. Kür die Menschheit tritt als oberstes Ge- 
setz ein, daJl ihr Los nicht vom blinden Walten irgend eines 
Naturgesetr.es, auch nicht von einer Vorherbestimmung, son- 
dern von der Betätigung ihrer Kraft, ihrer Anlagen, ihrer 
spontanou Willensäußerung abhäuglg Ist. Was bleibt da noch 
vom Darwinismus übrig Überall kommt er mit kultur- 
geschichtlichen Gesichtspunkten in Konflikt. Die Aaslese im 
kulturgeschichtlichen Rinne vernichtet das im Kampfe ums 
Dasein ungeeignete Individuum, eine Brutalitat, die einem 
Kulturfaktör ersten Hanges, der Humanität, diametral gegen- 
übersteht, überhaupt, wie «ollen die Sittengesetze selektio- 
nistisch erklärt werden? Die Natur vernichtet den Schwachen, 
das Sittengesetz schützt ihn. Die Natur rindet im Kampfe 
der Organismen untereinander das Mittel, die kräftigsten Art- 
genosson zu züchten und damit bestimmend auf die Fort- 
entwickelung einzuwirken; die Kriege der menschlichen Ge- 
sellschaft erzielen den entgegengesetzten Effekt, indem jenen 
die kräftigsten Artgenossen /.um Opfer fallen (S. 2). Auch 
manch* soziologische I<ehren haben sich nachträglich im 
Lichte schärferer Kritik als recht fragwürdige Hypothesen 
erwiesen, so die Ansicht von llobbes vom ursprünglichen 
Kriege aller gegen alle, oder der Renthamschc (Militarismus, 
der in der hekannten Formel zusammengefaßt wird: Das 
möglichst große Gluck für eine möglichst große Zahl. Da- 
gegen wird mit vollem Recht die für die gesamte Entwickelung 
der Menschheit maßgebende sozialethische Bedeutung der Ar- 
beit und der damit wenigstens mittelbar zusammenhangenden 
Erziehung betont: Darin liegt das ganze Geheimnis der Kul- 
tur. Die Erziehung ist teils eine religiös-sittliche, teils eine 
intellektuelle, die Arbeit nutzt die natürlichen Reichtümer 
aus, die einem organisierten Volk« zufallen (nichts ist so be- 
zeichnend für die Naturvölker, wie wir hinzufügen möchten, 
wie die ausgeprägte Scheu vor regelmäßige!- Beschäftigung), 
oder sie entwickelt den Kunsttrieb, schafft durch Erfindungen 
ueuv Hilfsmittel , Gewerbe und Handel blühen neben Kunst 
und Geisteswissenschaften auf. In der materiellen Arbeit 
liegt der Keim der Selbsterziehung. Aber ohne geistige An- 
regung würde sich alles Tun über den unbewußten Antrieb 
nicht erhoben haben; hierzu bedurft« es des Eingriffes der 
Erziehung. Die ersten Lehrmeister sind Priester, das erste 
geistige Gut die Vorstellung von einer außerirdischen, die 
Monschenscbicksale, Werden und Vergehen bestimmenden 
Macht. In der Religion ruht durch lange Zeitläufte das 
geistige Lebeu eines Volkes als etwas Einheitliches und 
Ganzes. Erst später trennen sich die Begriffe Glauben and 
Wissen. Andererseits entwickelt sich aus dem naiveu Natur 
empfinden die Kunst, doch steht auch diese vorzugsweise im 
Dienste der Religion. Den heiligen llyinnun und dem primi- 
tiven Volksgesang» folgen die kraftvollen Noten der Kpopüen, 
die das in der Erinnerung der meisten Völker nachlebende 
Heroenzeitalter verherrlichen. 

Der Verfasser beginnt seine Darstellung mit dem hatuiUv 
semitischen Kulturkreis, dem Vorläufer der indogermanischen, 
arischen Gesittung, die sich jetzt zu einem unwiderstehlichen 
Eroberungszug über den Kniball anschickt. Der zweite Band 
umschließt die Weltgeschichte im gewöhnlichen Rahmen, und 
hier set2t auch das genauere chronologische System der 
Orientierung nach Altertum, Mittelalter und Neuzeit ein. 
Aber mit dem Ausgang des Mittelalters und dem Zeitalter 
d«r Entdeckungen schließt die eigentliche geschichtlich« Unter- 
suchung, die nunmehr ihre Rolle an eine mehr völkerpsycho- 
l.->giseh-ethnologische Betrachtung abgibt; den Beschluß macht 
ein« Behandlung des «o ungemein interessanten potynesischeii 



Kulturkreises. Schweiger- Lercbenfeld erklärt: Die großen 
Neugestaltungen, welche in den nächstfolgenden Jahrhunder- 
ten die europäisch« Menschheit auf der Bahn des Fortschrittes 
weiter geführt haben, sind keine Phasen im evolutionistischen 
Sinne, sondern Etappen der Anpassungs-Auslese (11, S. 011). 
Da« scheint uns erstlich kein rechter Gegensatz zu sein und 
sodann überhaupt anfechtbar; denn wenn die moderne 
Zeit nicht eine von den heftigsten Gegensätzen beherrscht« 
Entwickclangslinie darstellt, mit leuchtenden Höhepunkten 
und andererseits ebenso starken Rückfällen , so gibt es fiber- 
all im geschichtlichen Leben keinen solchen Werdegang. 
Man denke nur an die Reformation, Renaissance, die fran- 
zösische Revolution und z. R. an die Romantik! Diese Be- 
wegungen gehören unfraglich in ihrem ganzen Bestand zum 
Wesen der modernen Kultur, zu der man übrigens auch noch 
die Entwickelung der sozialen Probleme und Ideen zählen 
könnt«. Ich weiß nicht, ob für eine weitere Auflage hier 
nicht eine, sei es auch noch so knappe, Ergänzung erforder- 
lich ist. Mit vollem Recht weist der Verfasser die letzt« 
Entscheidung über die Frage nach dem Wert der Technik 
ab, indem er umgekehrt daraaf aufmerksam macht, 
daß etwas Höheres dahinter liegen müsse, zu dem sie bloß 
den Zugang schaffe. 

Das Werk , das mit einer Fülle schöner Illustrationen 
und einem guten Druck ausgestattet ist, wird vielleicht in 
weiten Kreisen Eingang finden, zumal da das Interesse an 
Kulturproblemen unstreitig im sleteu Wachstum begriffen ist. 

Th. Achelis. 

Dr. Job. Felix, Dia Lei tfossilien aas dem Pflanzen- 
und Tierreich in systematischer Anordnung. 
Mit «20 Abbildungen im Text. Leipzig, Veit u. Co., 
190B. fi M. 

Wie die Vorrede sagt, hat es der Verfasser auf Anregung 
der Verlagsbuchhandlung unternommen, einen kurzen, in ge- 
drängter Vorm gehaltenen Leitfaden für das Studium der 
I<citfossitien herauszugeben, der hauptsächlich für Studierende, 
dann aber auch für Lehrer der Naturwissenschaften , Geo- 
graphen und Reisende bestimmt sein soll. Er stellt sich in- 
folgedessen von vornherein auf einen anderen Standpunkt 
als die seither erschienenen größereu Werke über dieselbe 
Disziplin , indem er aus den systematisch vollständig gleich- 
wertigen Gruppen die für den Geologen wichtigen in erster 
Linie behandelt, ohne Rücksicht darauf, ob durch diese un- 
gleiche Berücksichtigung einige aus sonstigen Gründen inter- 
essant« Gruppen in den Hintergrund gedrängt werden. Dieser 
rein praktische Standpunkt, die Handlichkeit des Buches, 
die Kürze der Beschreibungen und die sehr reichlichen, gut 



hihi 



und zur Chrakterisierung gut geeigneten Ab- 



gewiß 



Or. 



Dr. Hugo G rot he. Zur Landeskunde von Rumänien. 
Kulturgeschichtliches und Wirtschaftliches. XV u. 127 8. 
Mit 1'A Abb. u. 4 Karten. Halle, Gebauer - Schwetschke, 
1»07. 4 M. 

Eine systematische Landeskunde Rumäniens hat der Ver- 
fasser nicht schreiben wollen; sein Buch beschränkt sich auf 
einige landeskundliche Kapitel, für die ihm die vorhanden« 
Literatur und auch eigene Anschauung zur Verfügung stan- 
den. Einem kurzen Abriß über die physikalischen Verhält- 
nisse dos Donaustaate* folgt ein ausführlicherer über dessen 
Bewohner und die Geschichte, Wobei auch die Urgeschichte 
besprocheu und dem Bauernstande eine genauere Darstellung 
zuteil wird. Wenn man bedenkt, daß die Itatirrnemanzipation 
in Rumänien etwa gleichzeitig mit der in Rußland erfolgt 
ist, und mit Rücksicht hierauf die kulturelle Entwickelung 
betrachtet, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß nicht Ruß- 
land es ist, das eiue gesunde innen- Politik seitdem getrieben 
hat. Allerdings wird vom Verfasser betont, daß auch heut« 
noch viel zu viel Land in Rumauieu in den Händen des 
Großgrundbesitzes, und der Bauer mehr als wünschenswert 
von diesem abhängig ist. Zu tun bleibt also noch mancherlei. 
Eiu umfangreichen Schlußkapitel bespricht die wirtschaft- 
lichen Verhältnisse llumUniens, die als im ganzen erfreulich 
erscheinen, und an deneu Deutschland nicht wenig inter- 
essiert ist, weil viel deutsches Kapital in Rumänien angelegt 
ist. Deutscher Einfluß gewinnt dort, wie der Verfasser sagt, 
im geistigen und wirtschaftlichen Leben immer mehr Ein- 
fluß. Die Ausführungen sind durch eiu Uli »cht liehe* Zahlen- 
material ausgestattet, und die Abbildungen und Kartenskizzen 



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Kleine Nachrichten. 



227 



Kleine Nachrichten. 

Alxlnwk aar Bit QMHaMngmb« zmtatttl. 



— Am 2«. Oktober 11»0fl ist Seflor Licenciado Dun 
Alfredo Ohavero in der Hauptstadt Mexiko gestorben. 
Der Dahingeschiedene (geboren am 1. Februar 1H41J gehört zu 
den bekanntesten neueren mexikanischen Archäologen. Trutz 
»einer ausgedehnten Tätigkeit als .Turi*t und l'oliliker fand er 
die Zeit, «ich mit seinen Studien der Geschichte und KuUnr 
des alten Mexiko zu widmen. Obgleich er in «einen selbständigen 
Forschungen nur wenig Neue« gebracht hat und nicht selten 
recht unklaren Voritelluugen huldigte, sn gebührt ihm doch 
das grofie Verdienst, daa Interesse für die Vorgeschichte seines 
Vaterlandes in Mexiko neu belebt und populär gemacht zu 
haben. Von bleibendem Wert sind allerdings nur die Ver- 
öffentlichungen von Originalhandscbrifteii alter Autoren, die 
Chavero sorgfaltig herausgab. So die „Obras historicas* des 
Don Fernando de Alva Ixtlilxochill, 2 bände, Mexiko 1892, 
sowie die überaus wichtige „Historia de Tlaxcala' des Muiioz 
Camargo, Mexiko 1892. Wichtige Nachrichten enthalten auch 
seine bibliographischen Abhandlungen, wie die ,Apunt«s vi«- 
jo» de bibliografia mexioana*. Mexiko lyou, und seine biblio- 
graphischen Essays über Mord, Vega, Tovar, Siguenza y 
Göngora, Veytia, Iloturini u. a., die sich in don .Anales del 
Museo Nacionat de Mexico* in verschiedenen Jahrgängen ver- 
streut finden. Seine zahlreichen anderen Werke uud Abhand- 
lungen, insbesondere sein „Calendario Azteca" und seine 
.Piedra del Sol" sind lediglich voluminöse Kompilationen, 
deuon es ebeuso «ehr an Übersichtlichkeit wie an Kritik ge- 
bricht. Durchaus populär gehalten ist seine Darstellung der 
alten Geschichte Mexikos in dem Werke .Mexico u traves de 
los sig)os\ Ulm. I, Barcelou» 1HS4. Heine „Antigiledade* 
Mexicanes* erläutern die vou der Junta Cotumbina (Mexiko 
1892) herausgegebenen Bilderschriften. Besonders darin her- 
vorgehoben zu worden verdient der Kommentar zu dem 
leider uur in Kopie erhalteneu „Lienzo de Tlaxcala", das in 



gletschers der gegebene Weg. F'ür diese beiden Züge nimmt 
Shueklcto» sibirische Ponys mit, denen er vor den Hunden 
den Vorzug gibt, ferner wird er für den grollen Zug südwärts 
einen Motorschlitten konstruieren. Dieser soll, soweit er vor- 
hält, die Ausrüstung und die Vorräte der Ostküste des Vietoria- 
lande» entlang nach Südm führen, Und nachher sollen die 
Pferde in Aktion treten. Der Leiter der „Discovery" -Ex- 
pedition, Scott, gelangte uuf diesem Wege bis 81'' 18 s. Br. 
Shackletou rechnet, dort, w<> sein Vorgänger umkehren 
mußte, mit uugeschwaebter Kraft erst einsetzen zu können. 
Die Entfernung von Scotts fernstem Punkt bis zum Südpol 
hetrftitt noch 740 km. Alle 150, vielleicht alle 25o km will 
Shackletou eiue Schlittenlast als Depot für den Rückzug zu- 
rücklassen. Eb kommt darauf an, wie weit der Roßgletscber 
nach Süden reicht und wie dort, wo er aufhört, das Gelände 
aussieht. Wird es schwierig, gebirgig z- B-, so müßten 
schließlich auch die Menschen Hand anlegen uud die Schlitten 
ziehen. Theoretisch erscheint jedenfalls die Erreichung des 
Küd|K>la weit leichler als die des Nordpol«. Auf der Heim- 
kehr nach Neuseeland mit dem Schiff will Sbnckleton ver- 
suchen, die antarktischen Küsten westlich von Kap Adare, 
also das Wilkesland , zu rekognoszieren. — Es ist erfreulich, 
daß die Südpolarforschung wieder in Gang kommt. Gleich' 
i zeitig mit der englischen Expedition wird die neue belgisch« 
unter Arctowski operieren. 



großen, szenenreichen Bildern die Geschichte der Eroberung 
Mexikos durch Corte« behandelt Die von ihm (Mexiko IflOO 
bis 1901) veröffentlichten „Pinturas jerogllflcae* eulhalten eine 
Reihe plum|ier Fälschungen, wie auch in den oben erwähn- 
ten „Antigüedadea Mexicanas* angebliche Reliefplatten aus 
Chianas Aufnahme gefunden haben, die zweifellose Fäl- 
schungen sind und deren augebliche Originalvorbilder bisher 
noch immer — mit Recht — daa Lieht des Tages gescheut 
haben. Von diesen, seinerseits übrigens durchaus unbeabsich- 
tigten Irrtümern abgesehen ist die mexikanische Forschuug 
dem verblicheuen Gelehrten zu Dank verpflichtet und wird 
das Andenken an seine Verdienste nicht vergessen. Hoffent- 
lich werden die kosttiaren Schätze seiner Bibliothek, die zum 
großen Teil noch auf den Nachlaß des berühmten und gelehrten 
Don Jose Fernando Ramirex (1804 bis 1871) zurückgehen, jetzt 
nicht in all« Winde verstreut, sondern von der mexikani- 
schen Regierung als Ganzes dem Lande erhalten' 

Berlin. Dr. W. Lehmann. 

— Die noue englische Südpolarexpedition unter 
E. H. Bhackleton (vgl. die Notiz Globus, Bd. »1, S. 147) 
scheint nach den Mitteilungen ihres Leiters im Märzheft des 
„Geogr. Journ." für den Beginn de* nächsten Jahres gesiahort 
zu sein, denn das Geld dazu soll im großen uud ganzen be- 
reits vorhanden sein. Sbackleton plant die Fortführung der 
Forschungen der Discovery- Expedition, deren Teilnehmer er 
gewesen ist, doch mit bescheideneren Mitteln als jenes große 
Unternehmen. Er will eineu gewöhnlichen Dampfer oder 
einen Walftschfänger mieten oder kaufen und Ende Januar 
oder Anfang Februar IS»08 von Neuseeland nach dem Victoria- 
lande gehen. Die Zahl der Teilnehmer, ohne die Schiffs- 
besatzung, soll 9 bis 12 betragen. Einige von ihnen soll das 
Schilf am Mount Melbourne absetzen, die übrige» an der 
Erebusiusel, wo die „Discovery* überwintert hatte; dann soll 
es nach Neuseeland zurückgehen uud Anfang 1909 die Ex- 
pedition abholen. Diese wird biologische, meteorologische, 
geologische und tnaguetische Forschungen ausführen, aber 
Shackletou hat auch große Eutdeckerpläne, will er doch ver- 
suchen, den geographischen und den magnetischen Südpol zu 
erreichen und den Verlauf der Westküste des von der „Dis- 
covery* entdeckten Klug Edward- Landes festzustellen. Zu 
diesem Zwecke sollen drei Frühjahrsschlittenreisen unter- 
nommen werden. Die eine, die die Aufgabe der am Mount 
Melbourne überwinternden Abteilung sein wird, soll ins 
Innare des Victorialandes nach dem in einem Abstände von 
etwa 500 km von der üstküste von Victorialand vermuteten 
magnetischen Südpol gehen. Kür die beiden anderen ist die 
Krebusinsnl der Ausgangspunkt »»'I Oberfläche de« Boß 



— Major Powell-Cotton ist jüngst von einer zwei- 
jährigen Reise durch den Osteu des Kongostaates zu- 
rückgekehrt. Sein Hauptzweck waren zoologische und ethno- 
graphische Forschungen in den dortigen Urwäldern. Vom 
oberen Nil südwärts gehend, hielt Powell-Cotton mit seiner 
Frau sich längere Zeit unter den Zwergstämuien der Ituri- 
gegend auf, die eingehend studiert und Photographien wurden ; 
auch phonograpbischv Aufnahmen hat der Reisende mit- 
gebracht. Seine Krau eignete sich etwa« die Sprache dieser 
Pygmäen an. Powell - t ottoii hat ein schönes Exemplar des 
seltenen weißen Rhinozeros bei Lado geschossen und zahl-» 
reiche andere Tiere gesammelt, die von Lydekker zum Teil als 
neu bezeichnet worden sind. Hierzu gehören: ein schwarzer 
Honigdachs, lokale Arten oder Varietäten der afrikanischen 
Tigerkatze, ein Wassermoschustier, Stuhlmanns Elefanten- 
spitzmaus, eine mit Stoßzähnen bewaffnete Taucherautilop«, 
ein schwarzweifter Stummelaffe und — vom bereits offenen 
Lande am Seiuliki — ein großer gelbbrauner Büffel. Auch 
Powell -Uotton wur es nicht vergönnt, ein lebendes Okapi zu 
Gesicht zu bekommen, obwohl er einem solchen im Schilf- 
dickicht bis auf 20 m nahe gekommen sein will. Dagegeu 
erhielt er Skelett und Fell eines erwachsenen Männchens und 
das Rutnpftell eines Kalbes, auch erfuhr er von den Pygmäen 
viel über die Lebensweise des Tieres. Die Rückkehr aus den 
Urwäldern erfolgte über den Albert Edwards««, wo Powell- 
CoUon eine kleine Gemeinde von Seewnhiierr, sah, die ihre 
Häuser auf treibenden Plattformen errichtet hatten. 

— Von derKarte von Deutsch-Ostafrik» in 1 :»0ouo0, 
begonnen von R. Kiepert, fortgesetzt von P. Sprigade und 
M. M ni sei, sind Anfang März d. J. drei weitere Blätter, den 
äußersten Südwesten des Schutzgebietes umfassend, erschienen: 
Bismarck bürg, Knlnmbo-Mündung und Neu-Langen- 
burg (Zeichner Schroeder und Nobiling). Auf verhältnis- 
mäßig wenig Uouten beruht das Blatt Bisumrekburg, von dem 
überdies nahezu die Hf.lfte auf den Tanganlka.**' und sein 
koiigostanllie.hes Ufer entfallt. Die Führung des Telegraphen 
ostlich vom Tanganika scheint leider gar keine Aufnahmen 
mit sich gebracht zu haben. Dichter wird da« Houtennety., 
wenigstens auf deutscher Seite, auf dem im Süden anstoßen- 
den kleinen Blatt Kalambo Mündung , und sehr dicht auf 
dessen östlicher Fortsetzung Neu-Liingenhurg. Dieses Blatt 
zoigt sehr viel Einzelheiten und ist eins der vollständigsten 
des ganzen Karlenwerkes. Das Begleitwort dazu weist nicht 
weniger als 7u Routen nach ohne das gleichfalls benutzte 
bereits veröffentlichte MaU-ralt. Groß ist ferner für diese 
Blätter die Zahl der verfügbaren astronomischen Positionen 
gewesen, die vornehmlich" auf die Kohlschntterschr Peudel- 
Expedition zurückgehen. 

Von dem Kartenwerke stehen nun noch aus die Blätter 
Udjidji uud Rutschugi im Westen und die drei Grvnzblälter 
Ungroimc , Kilimandjaro und Tanga im Nordosten- Ferner 
wird rine baldige Neubearbeitung der längst veralteten nord- 
westliehen Blätter Kiwusee, Karagwe, Urundi und Usige uu 
ahweisl«r sein. Wir lesen hierüber in der neuen Denkschrift 



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228 



Kleine Naohriobten. 



über die Verwendung des Afrikafonds (IW.V1W): „Nachdem die 
deutsche Kommission zur Bestimmung der deutsch-englischen 
Grenze unter Hauptmann Sohlt ihnch am Ende des Berichts- 
jahre* nach Deutschland mit einem reichen kartographischen 
Material zurückgekehrt war, konnte dio llearbeitung d«r noch 
ausstehenden nördlichen Greuzblätter der Karte in 1 :3lhj00O 
in Angriff genommen »erden. Die tibrigeu uoeh ausstehenden 
Blatter sind im Stich so weit fortgeschritten, daß ihr Erscheinen 
demnächst erfolgen kann. Gleichzeitig wurde ... eine Neu- 
bearbeitung der «bitter AI, A 2, B 1 , B 2 (d. h. jener nord- 
westlichen vier Sektionen) iu Angriff 



— Die geographische Gesellschaft in Greifswald 
am 7. März d. .1. auf ein 25jahriges Bestehen 

zurückblicken. Aus diesem Anlaß hat sie ihrem kürzlich er- 
schienenen 10. Jahresbericht die Form und den Umfang einer 
Festschrift gegeben, s» daß diesmal ein stattlicher Band 
vun 50O Helten, mit einer größeren Anzahl von Karten, Tafeln 
und Abbildungen versehen , versandt worden ist. Er enthalt 
folgende Arbeiten, auf die. tum Teil hier noch zurückgekommen 
werden soll: Ulbert, Die Land Verluste an den Küsten Rügens 
und Hiddeusees, ihre Ursachen und ihre Verhinderung; 
Elbert, Über die Standfestigkeit de» Leuchtturms auf 
Hiddensen; Dreeke, Vineta: Elbert, Die Entwickelung des 
Bodenreliefs von Vorpommern und Uiigen, sowie den angren- 
zenden Gebieten der Uckermark und Mecklenburgs wahrend 
der letzten diluvialen Vereisung; Fraude, Grund- und Plank 
toualgen der Ostsee; Lehmann, Wanderungen und Studien 
in Deutachlands größtem biuuenliindi*chen Düuengebiet ; 
Thienemann, Pliinaria alplna auf Rügen und die Eiszeit; 
Bollmer, Untersuchungen au Seen und Köllen Neuvorpom- 
merns. — Wie diese Arbeiten Beiträge zur Landeskunde 
Powinerus und der Nachhargehlete darstellen , so hat schon 
immer die Greifswalder Gesellschaft eine überaus verdienst- 
liche Tätigkeit für dio landeskundliche Erforschung ihres 
Bereichs entfaltet , dank dein lutcress* ihrer Mitglieder und 
der verständnlsvolleu Leitung ihres Begründers und seitherigen 
Vorsitzenden Professor l'redner, der den Greifswalder Lehr- 
stuhl für Geographie innehat. Und nicht auT die übliche 
Veranstaltung von Vortrügen und auf die Veröffentlichung 
von wissenschaftlichen Arbeiten hat sich die Gesellschaft be- 
- schrankt ; sie verstand es, in einem für oine Frovinzialgesell- 
»ohaft ungewöhnlich hohen Matte das Interesse weiter Kreise 
für die Erdkunde zu erwecken und wach zu halten und ihr 
damit zu dienen. Sie zählt besondere. Sektionen in doo ein- 
zelnen Teilen Pommerns, sie hat seit vielen Jahren regelmäßig 
Exkursiouen für ihre Mitglieder, besonders für die Greifswalder 
Studenten, in die Ostseelander veranstaltet. Der letzt» Jahres- 
bericht gibt für diese im ganzen 2800 Teilnehmer, darunter 
1400 Studenten, an. Ein wie beneidenswert frisches Loben 
pulsiert also hier in „Gryps"? Die Mitgti'-dcrzahl von 8*6 
(daruuter 137 Damen) wird unseres Wissens, von der Berliner 
Gesellschaft naturgemäß abgesehen, von keiner anderen deut- 
schen geographischen Gesellschaft erreicht. 

— Wie immer zeigt der Bericht („Verslug") des nieder- 
ländischen ethnographischen Reichsmuseuuis zu Leiden für 
das Jahr 1 905 bis 1 »u»j, daß der Direktor J. D. E. Schmeltz 
eine ungewöhnliche Tatkraft für di>- ihm unterstellte Anstalt 
entwickelt hat. Die vielseitigen Beziehungt-n des großen 
Museums, d«s leider immer noch kein würdige» Heim tiesitit, 
werden klargelegt und die zahlreichen Neuerwerbungen, vor- 
zugsweise aus dem malaiischen Archipel, aufgeführt. Außer- 
dem bietet aber der Bericht eine wertvolle, mit 14 Tafeln in 
RunUlruck verselien«Ori<;iiiiilubhnndlung. AUA. van Geuuep, 
der Pariser Ethnograph , im vertlcnsonen Jahre das Museum 
besuchte , fielen ihm in der australischen Abteilung die aus 
Opossum fei len zusammengenähten Decken auf, au 
deren Inneiirund er zahlreiche eingekratzte Eigen 
tumsmarken entdeckte. Da van Genius), diesen Zeichen 
schon früher seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet 
halte, so widmete er den australischen einen besonderen im 
Verslag abgedruckten Artikel. Über die I.Utereu wissen wir 
bisher wenig. Am auffälligsten sind jene, die an den Nestern 
I Heuten) der wilden Bienen angebracht werden, eingeschnitten 
iu den Baumstamm mit Sloiumesscrn , Marken auf Waffen ; 
auch bezeichnet man schon Schößlinge fruchttragender Pflanzen 
damit, um sich später den Samen (st. B. von Entada scaudenM 
zu sichern. Aber im allgemeinen sind solche Marken nicht 
häutig. Auf Opossurnfelleti hat *te bisher Howitt beim Stamm» 
der Komas beobachtet, wo sie waribruk heißen, .Jedermann 
hat sein« Marke*, <agt er, was indessen van Liennep bezweifelt. 
Di« Leideier Stücke sUmincu vom Kichmoudflusis« im Nord 



Osten von Neusüdwales; alle sind mit eingeritzten Marken 
verseheu, deren Sinn aber keineswegs klar zu deuten ist. Sie 
■teilen stets in Parallellinien Kreuze, Mäander, gewollte Bänder, 
Tiergestallen (Opossum v) und Figuren dur, die »ich mit den 
Wurfei*en der Inuerafrikauer vergleichen lassen. Dabei sind 
Farben, Bot und Blau, verwendet, aber niemals Weiß und Gelb, 
die sonst von den Australiern bevorzugt werden. Wh« ist die 
soziale Bedeutung dieser Zeichen, fragt der Verfasser am 
Schlüsse, dienten sie als Stammesmarken , als Wappen oder 
Marken des Gesamteigentums ? Die bisherigen Erkundigungen 
(von Frau Parker und Mathews) gelsen keine genügende Aus- 
kunft. Abgesehen davon, daß sie Eigentumszeichen sein können, 
besitzen sie auch Wert als Anfänge einer Verzierungskunst 
von ganz eigentümlicher Stilart. A. 

— über den Kultus der Menhirs bei den Kelten 
handelt D'Arbois de Joubainville in den Comptes rvndus 
de l'Academie des InBcriptions l(K>«, S, 146 ff. Er sucht zu- 
nächst die Simulncra zu deuten, die Julius Casar (Gallischer 
Krieg VI) dem Merkur zuschreibt und die schon früher Salomon 
Beinach als Menhirs ansah. Der Ausdruck Simulacrum findet 
sich dann s|>äter im Üben des heiligen Samson angewendet, 
der im «. Jahrhundert Abt von Dol war. Auf einer Reise 
in die Bretagne fand er ein Simulacrum abomiuale, das die 
Heiden in bacchantischer Weise verehrten; er meißelte mit 
einem Eisen ein Kreuz hinein, das später sein Hagiograph 
sah und berührte, iu lapide stante fügt er hinzu, so daß wir 
hier also aicher einen von den heidnischen Kelten verehrten 
Menhir annehmen können. Auch in Irland hatten die Kellen 
solche heilige Steine, unter denen zwei mit (iold und Silber 
überzogene erwähnt werden. Eiuer gelangte in die Kirche 
von Clogher, allerdings nachdem man ihm den Mctallscbtnuck 
»bgenomuicu hatte. Nach D'Arbois d« Joubainville stammen 
die Menhirs uud andere megalithische Denkmäler von einer 
primitiven Bevölkerung her, die noch vor den ludo-Europäcrn 
unseren Erdteil bewohnte. 



— „Die Bozener Markte bis zum Dreißigjährigen 
Kriege* ist der Titel einer Heft 124 von Schmollers und 
Serings „Staats- und soziiilwissenschaftlichon Forschungen" 
füllenden Abliuudlung Gerhard Bücklings (Leipzig, 
Duucker u. Uumblot, 1!»07, 3 M.). Gestützt auf umfassende 
Archiv- und Literaturstudien entwirft der Verfasser ein iuter 
essante» Bild von der handelspolitischen Entwickelung der 
allen, »o herrlich gelegenen Stadt am F.isack, von ihrer Be- 
deutung als Marktstadt und für den Transithandel Europas. 
Dio geographischen Gesichtspunkte sind, wie es sich gehört, 
nicht vertiacblfcddgt. Die Bedingungen für die Entstehung 
von Märkten besprechend , hebt der Verfasser hervor, daß 
für Bozen vor allem das Moment periodischer Warcnstapeluug 
an großen Kreuzpunkten des Welthandels, in Zwischenräumen, 
wo die Straßen großeu Lasten zuganglich waren, iu Betracht 
gekommen ist. In den Tiroler Alpen geht das Streichen der 
Schichten nud Ketten in die östliche Richtung ober, sie bedingen 
die Richtungen der Haudelswege. Auf die Strecke Mailand- 
Venedig mündeu drei Straßen aus, von denen die östlichste, 
die Salzburg — Villachcr, hier ausscheidet. Diese Mündungs- 
straßeu der östlichen Alpen bedeuten nun nicht die Vereini- 
gung anderer radial auf ein Zentrum zustrebender Züge, sie 
sind vielmehr gerade umgekehrt gewissermaßen Ausstrahlungen 
von einem Zentrum, da* im Ostalpengebicl selbst liegt, und 
dessen Ausdehnung nach allen vier Himmelsrichtungen etwa 
die Namen Nassereith, Brenner, Bozen und Heschenscheideek 
kennzeichnen. Die Verbindungslinien dieser vier Punkte 
stehen danu wieder auf allen Seiteu mit einem mannigfach 
verzweigten Straßvosystem in Beziehuug, für dessen Aus- 
gangspunkte, was den uordsüdliehen Verkehr gegen die Strecke 
Venedig — Mailand hin angeht, im Norden etwa Lindau, Ulm, 
Augsburg, München uud Kosenheim zu gelten haben. Die 
zwei Treffpunkte der Mailand-Venediger Btrnüe werden durch 
Verona und Padua bezeichnet. Schon au» diesem äußerlichen 
Verhältnis von den fünf nordlichen zu deu drei südlichen 
Endpunkteu der Straßenzüge erhellt, daß die größere. Zen- 
tralisation des gauzeu Syst eins im Süden de« Au«*trahluugs- 
zentrums lug, ein Moment, das noch an Bedeutung gewinnt, 
wenn man bedenkt, daß die beiden in Veroua und Padua 
münden den Handelsware sieh aus einem einzigen ursprüng- 
lichen gespalten hatten. Die beiden Endpunkte dieser 
Straße sind Bozen und Trient. So gilt für den ganzen 
deutsch - italienischen Handel im Ostatpongcbiet , daß Bozen 
nur von einer Hauptstraße nicht berührt wurde, der Strafte, 
die, über Toblaeh und Pieve di Cadore gehend, in 
Venedig endigte uud den Namen „Untere Straße" trug. 



V.T.utt»orllicW K-sl.klii.r II KinRer, Sch.Mirt.f r>[ .Berlin. lLiuplitraßr r.s. Ilrue» l'rnJr. Vif »t( u. Sohn. Hr»un..e»i«f Ig. 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 

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Bd. XCL Nr. 15. BRAUNSCHWEIG. 18. April 1907. 

Nachdruck nur nach Cb.rvinkae.fi Ulli Jor VoUgduuiiilun« (••UHM. 



Ophir und die Simbabyekultur. 



El MnsBudia Bericht Ober das Reich Monoinotapii 
brachte zum ersten Male Kunde Ober alte Ruinen im 
heutigen Rhoden», und diese Angaben wurden Ton portu- 
giesischen Berichterstattern bestätigt (De Harro» u. a.). 
Kntdeckt wurden sie 1 *70 von Manch, aber erst seit der 
Besitzergreifung des Landes durch die Charternd Co. 
wissenschaftlich erforscht, so vor allem zuerst durch Beut. 

Bereits die Araber waren der Ansicht, daß Ophir in 
dem goldreichen Lande Monomotnpa gelegen habe, und 
brachten den Namen des Flusses Sabi mit Saba in Zu- 
sammenhang. 

Mnuch hat sofort denselben Gedanken gehabt, und 
Bent erklärte mit aller Bestimmtheit die Ruine von Sim- 
babye für einen himyaritiscben Tempel, der im wesent- 
lichen mit den alten Tempeln Südarabiens, besonders dun 
von Maraiaba in Mahn» übereinstimme. Keane suchte 
dann den Nachweis zu führen, daß die Himyariter lange 
Zeit auf Madagaskar gesossun bitten und dort sogar 
spezilisch jüdische Einflüsse aus Salomos Zeit erkennbar 
waren. Die Ergebnisse jahrelanger Ausgrabungen, die 
Hall und Neul geleitet haben, schienen solche Auffassungen 
bis zur Gewißheit zu bestätigen. Zahlreiche Ruinenstädte, 
die durch ein Nets von Vcrbindungsstraßen untereinander 
und dorn Hafen Sofala verbunden waren, wurden auf- 
gefunden und mehrere Kulturperioden aufgedeckt. 

Da kam, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die 
Nachricht, daß auf der Versammlung der British Asso- 
ciation in ßulawayo der englische Archäologe Randall- 
Maciver, der einige Monate vorausgeschickt war, um 
alle Vorbereitungen für den Empfang der Gast« zu treffen 
nnd die OphirstAdte zu demonstrieren, in ciuem glänzen- 
den Vortrag den Nachweis geführt habe, daß die Ruinen 
aus dem Mittelalter stammten und keinesfalls alter als 
das 14. Jahrhundert seien. Sein Werk ist inzwischen 
erschienen '). 

Kürzlich hat dann auch v. Luscban, der Macivers 
Vortrag gebort und das Musoum von Bulawayo und ciuigo 
Ruinen besucht hat, gegen die rhodesische Ophirhypothese 
sich ausgesprochen. 

Unter solchen Umständen ist es von Interesse, die 
verschiedenen Ansichten naher zu betrachten, gegenein- 
ander abzuwägen und einen Schluß zu ziehen. Drei 
Fragen sollen nacheinander behandelt werden: 1, Wie 
war die alte Kultur der Sabäer beschaffen V 2. Was 
spricht für, 3. Was spricht gegen die Ausbreitung jener 
Kultur in Südafrika V 

') D. K»iid»ll - Macher, Mf-diaeval KlimU-ua. 
4*. XV und 100 S. Mit Abb. Ixmdon. Macmillan u. Co., 
1906. 21 Sh. 

Otoli« XCt. Nr, 1'. 



I. In Südarabicu bestand in neolithischon Zeiten ein 
alteB Reich der Minäer, vielleicht das älteste Reich Vorder- 
asiens. Auf dieses folgte etwa 3000 Jahre v. Chr. das 
der Sabäer. Zahlreiche Ruinonstädte, die Halevy, Well- 
stedt, Glaser, Bent u. a. erforscht haben, liegen in der 
tandschaft Mahra au der südarabisehen Küste nördlich 
von Sokotra. Folgendes ist für ihreKulturcharakteristisch. 

Die Sabäer verehrten die Steine, eine in der Steinzeit 
leicht verständliche Kultusform. Aus Steinen, die nicht 
mit Eisen oder Mörtel verbunden und ohne Meißel be- 
hauen waren, bauten sie ihre Tempel. Diese bestanden 
au» einer Ringmauer, auf der heilige Monolithe standen. 
Oben waren sie offen. In einem Tempel der Astarte in 
Hierapolis (Syrien), der dem gleichen Kult wie die sabäi- 
scheu Tempel diente, standen auf den Mauern auch Geier, 
die auf Säulen saßen und der Astarte beilig waren. Fer- 
ner befanden sich im Innern der Rundtempel aus Steinen 
errichtete, solide Türme. Eiu solcher Turm ist auf einer 
griechischen Münze des Tempels von Byblos abgebildet. 
Auch die alten Araber hatten solche heiligen Türm«, El 
Akara, die Symbole des I'hullus waren. Der Bhalluskult 
spielte überhaupt eine bedeutende Rolle, sowie das An- 
zünden heiliger Feuer auf Bergen. 

Die Sabäer waren sternkundig wie die ßabylonier, 
und auf sie — oder dieBabylonier — sind der Kalender, wie 
wir ihn noch heutzutage haben , die Namen der Stern- 
bilder und des Tierkreises zurückzuführen. Zur Beob- 
achtung der Sterne und zur Feststellung des Kalenders 
und der Feste dienten die genannten Rundtempel. Sie 
waren gewissermaßen astronomische Instrumente. Au 
bestimmten Tagen, z. B. der Tag- und Nachtgleiche, sowie 
der Sommer- und Wintersonnenwende, fiel nämlich der 
Schatten eines bestimmten Monolithen oder das Licht 
durch eine Spalte beim Sonnenaufgang auf den Altar. 

Die Sabäer hatten eine eigene Schrift, die auf den 
südarabischen Bauten gefunden und entziffert worden ist. 

Aus diesen Inschriften und sonstigen Nachrichten 
hat sich feststellen lassen, daß das erst« Reich — das 
der Minäer — von den Sabäern erobert wurde, selbst 
aber im 2. Jahrhundert n. Chr. den Hitnyaritern erlag. 
Von anderen werden Sabäer und Himyariter identifiziert. 
Dag Himyariterreich wurde dann durch die islamitischen 
Araber zerstört. 

II. Wir kämen nun zu der zweiten Frage: Was 
spricht dafür, da Ii Ophir in Ilhodesia zu suchen ist? 

Daß die Himyariter oder Snbler in den ersten Jahr- 
hunderten n. Chr. die Sansibarküste — Asatiia — be- 
herrscht haben, ist positiv überliefert worden. In Mada- 
gaskar habon sie aber mich Keane auch lange Zeit 

30 



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2») 



S. Passarge: Ophir und die Simbabyekujtur. 



geherrscht. Keane schreibt stet» Hituyariter, meint aber 
wob) die Sabaer. Die Howasprache igt mit dem Malai- 
ischen und den polynesischen Sprachen verwandt. Da 
ibr nun alle Sanskritworte fehlen, müssen die Howa vor 
der Einwanderung der Hindumissionar« nach Madagaskar 
gekommen sein. Nun besitzen die Howa die Namen des 
sobäo-hahvlonischen Tierkreises und die Kalenderein- 
toilung. Die Namon der Wochentage stimmen mit deu 
alten Himyariternamen überein, und zwar haben sie die 
alten langen, nicht die kurzen neuarabischen Formen. 
/.. Ii. Donnerstag — Alakamisu (Howa und Himyariter), 
neu arabisch dagegen El Kauiis. Dazu kommen an den 
sabäischen und jüdischen Kult erinnernde religiöse Ge- 
brauche, wie der Süudenbock, das Passahfest, das An- 
zünden von Feuern auf den Bergen. 

Wenn nun die Sabaer lange Zeit Madagaskar be- 
herrscht haben, so wäre es nicht auffaltend, wenn sie 
auch den Goldreichtum Rhodesias aasgebeutet hatten. 

Für ihre Anwesenheit aollen sprechen: 

Der Betrieb des Bergbaues und die Goldgewinnung, 
die ganz so wie im alten Ägypten beschaffen sind, und 
vor allem die Form der Goldbarren , die die Form der 
phönizischen Zinnbarren haben, nämlich ein schräges 
Kreuz darstellen. Die gleiche Form haben übrigens die 
heutigen Kupferbarren in Katanga. 

Die Terrassenlagen von Inyanga, die große Flächen- 
räume bedecken, sollten den enormen Terrussenaulagon 
Südarabiens entsprechen. 

Die Bauwerke sollteu subftisch sein. Einmal sei die 
Bauart sabäisch, da sie aus behanenen Steinen ohne 
Mörtel aufgebaut sind. Der Rundbau von Simbabye sollte 
ein Tempel sein, der dem aus der alten Sabäerbauptstadt 
Maraiaba gleiche. Wie dieser, sollte auch der Sinibabye- 
tempel als „Gnomon" dazu gedient haben, den Kalender 
festzulegen durch Beobachtung von Sternen, und zwar von 
Nordsternen. Dr. Schlichter hat sogar Vermessungen 
vorgenommen und glaubt festgestellt zu haben, daß der 
Stand der Sonne zur Frühlings -Tag- und Nachtgleiche 
beim Aufgang zur Zeit der Erbauung des Tempels und 
der heutzutage so stark voneinander abweichen, daß man 
eine Neigung der Ekliptik von 23° 52' für die damalige 
Zeit annehmen müsse. Das spräche für eine Erbauung 
im Jahr 1100 v. Chr. 

Der große und kleine, völlig solide Turm wurde identi- 
fiziert mit den Türmen der Araber El Akara, dem 
Turm zu Pnuel und dorn im Byblosteiupel. Auf diese 
Türme stiegen die Priester an gewissen Festtagen mit 
Hilfe eines Strickes hinauf, wie die Neger auf dio Palnieu 
klettern. Auch die Monolithen auf den Tempelmauern 
finden sich bei den Sabfiertempeln. 

Von den in dem Tempel und in anderen Ruinen ge- 
fundenen Gegenständen weisen mehrere auf sabäo-phö- 
nizische Herkuuft hin. 

Geier auf Säulen aus Speckstein, durchbohrte mühlen- 
»teiuähnlicbe Steinzyliuder mit Buckeln gleichen ganz 
auffallend einem Molchen in einem Tempel auf L'yperu 
gefundenen Stein. Den gleichen Stein beschreibt llerodot 
aus einem Tempel in Fruesa. 

Sehr groß ist die Zahl der steinernen „Phalli" , die 
gefunden worden sind und auf einen intensiven Phallus- 
kult hinweisen. Auch die genannten Türme werden ja 
für Symbole des Phallus gehalten. 

Besonders beweiskräftig erschien ein Holztellur mit 
dem Tierkreis. Die Sonne steht neben einein Stier. Von 
den anderen Zeichen sind nur einige menschenähnliche 
erkennbar, die für die Zwillinge und den Schützen ge- 
halten werden. 

Am Sambesi wurde eine Statuette von Thutmeg III. 
gefunden, die C. Peters mitgebracht hat. Peters sucht 



in ihr einen Beweis dafür, daß die Pnnt-Expedition dieses 
Königs nach dem Sambesi gegangen , Punt also in Süd- 
afrika zd suchen sei. 

Ein Punkt von großer Wichtigkeit ist der, daß, falls 
die Phönizier und Juden das Gold aus Rhodesia geholt 
haben, wo sie es nicht zu kaufen brauchten, sondern 
durch erzwungene Sklavenarbeit gewinnen konnten, 
das eine ungelöste Rätsel, wie C. Ritter es nennt, gelöst 
wäre, nämlich das Rätsel: Womit haben die Juden die 
gewaltigen Gold mengen bezahlt? 

Nationalökonomisch wie bergmännisch war alles klar 
und verständlich, sobald das ophirische Gold aus dem 
unkultivierten Rhodesia geholt worden ist In den Em- 
porien Südsrabiens konnte man dann leicht die anderen 
erwähnten, zum Teil indischen Produkte, wie Pfauen. 
AfTen u. a., einkaufen. 

So schienen denn viele Funde mit aller Entschieden- 
heit dafür zu sprechen, daß die Sabaer einst ein Kolonial- 
reich in Rhodesia besessen haben. Nur eins fehlt noch, 
um endgültig den Beweis zu liefern: Inschriften. 

III. Sehen wir nun zu , was die Gegner einwenden. 
Professor v. Euscban hat sich jüngst (Bericht über eine 
Reise nach Südafrika, Zeitschrift für Ethnologie 1H06) 
gegen ein hohes Alter der Ruinen und ihrer Kultur auf 
das entschiedenste ausgesprochen, und zwar aus folgenden 
Gründen: Die keramischen und eisernen, sowie die Gold- 
arbeiten sind nicht orientalisch, sondern Kafferoarbeit. 
Inschriften sind bisher nicht gefunden worden. Was 
Ophtr-Euthusiasten dafür gehalten haben, sind teils Brett- 
spiele, teils undefinierbare Zeichen. Die Geier ans Speck- 
stein sind roh geschnitzte Figuren und Kafferoarbeit. 
Der Holzteller mit dem Tierkreit ist nur wenige Gene- 
rationen alt, und die Abbildungen stellen gar nicht den 
Tierkreis vor, wenn auch ein Stier, Bogenschütze und 
Zwillinge erkannt werden könnten. In der Mitte des 
Randes befinden sich aber die bekannten Zauberhölzer 
— Dolas. Die Peterssche Statuette aber, sowio andere 
angeblich in Rhodesia gefundene ägyptische Statuetten 
sind Fälschungen. 

v. LuHcban stützt sich außerdem wesentlich auf die 
Ergebnisse der Studien Randall -Macivers. Dieser Ge- 
lehrt« hat im Inyangn • Distrikt, also in den höchsten 
Teilen des Matabele- Hochlandes, einen einfachen Typus 
von Berg fest un gen, die aus einer elliptischen Mauer be- 
stehen, gefunden. Diese Rundbauten verwandeln sich 
nun in komplizierte Gebilde dadurch, daß ringförmige, 
gekrümmte und gerade, z. T. von einem Zentrum aus- 
strahlende Mauern gezogen worden sind. So hat Maciver 
einen allmählichen Ubergang von den einfachsten Ring- 
mauern zu dem komplizierten „elliptischen Tempel" mit 
seinen engen Gängen, Kammern und runden Plattformen 
gefunden. 

Diese Plattformen, die sich in allen größeren Ruinen 
finden, leitet Macivor von den „slave pits" ab; diese 
runden, in die Erde eingesenkten, durch einen unter- 
irdischen Gang mit der Außen weit verbundenen .Brunnen " 
sind unterirdische Wohnräume, die von oberirdischen 
Rundhütten, deren Plattform man noch deutlich erkennen 
kann, umgeben waren. In Kriegszeiten haben sich wohl 
die Bewohner unter die Erde geflüchtet. Es zeigt sich 
nun, daß die Höhlen Wohnungen an die Oberfläche ver- 
legt werden und schließlich sich ganz und gar in ober- 
irdische Wohnräume auf Plattformen umwandeln. 

In derselben Gegend wie die Höhlenwohnungen — 
nämlich Niekerk-Ruinen in Inyanga — finden sich auch 
die Terrassenbauten, die mit anderen Ruinen zusammen 
cineu Raum von 50 engl. Quadratmeilen bedecken. Eine 
ganz enorme Arbeit ist hier geleistet worden. Ganze 
Berge sind mit den 1 bis 2 Fuß hohen Terrassen bedeckt. 



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S. Passarge: Ophir uud die Simbabyekultur. 



231 



Sie gruppieren sich in mehrere Zentren, die von ßerg- 
fdstuugen gebildet werden. Im Gegensatz zu der bia- 
herigen Auffassung, daß es sich um Anlagen für Feld- 
bau — mit oder ohne künstliche Bewässerung — handolt, 
meint Maciver, 68 seien Befestigungsanlagen. 

Die beiden Türme in dem elliptischen Tempel Sim- 
babyea halt er für Abzeichen der Häuptlingawürde, nicht 
aber für Symbole des Phalluskultus. Da sich chinesische« 
Porzellan und arabisches Glas in den untersten Kultur- 
schichten dea Tempels finden, kann der Bau höchstens 
ans dem 14. bia lö. Jahrhundert n. Chr. stammen. 

IV. Nun kamen wir zu dem letzten and schwierigsten 
Punkt, nämlich der Abwägung der beiderseitigen Gründe. 

Daß der größte Teil der gefundenen Gegenständ e 
relativ jung ist, haben auch die Anhänger der „Ophir" - 
Hypothese längst gewußt. Sie unterscheiden einmal oino 
alte Goldperiode und dann eine jüngere , den Bantu zu* 
kommende Eisenperiode neben der Goldgewinnung. Glas 
und Nankingporzellan fand auch Hall in Simbabye, an 
einer Stelle sogar eine ganze arabische Handelsfaktorei. 
Allein er gibt im Text und in einer Profilzeichnung auf 
das bestimmteste an, daß sie sich nioht in den alten 
unteren Schichten finden. Maciver dagegen will beides 
auch ganz zu unterst gefunden haben. Hier steht also 
Behauptung gegen Behauptung. Der Außenstehende ist 
außerstande, zu entscheiden, wer recht hat. Nichts be- 
rechtigt jedenfalls vorläufig dazu, Hall und Neal ohne 
weiteres für flüchtige und schlechte Beobachter zu halten. 
Von der Beantwortung dieser Frage hängt aber die Ent- 
scheidung ab. Denn hat Maciver recht, so muß der 
elliptische Tempel mittelalterlich sein. 

Ebensowenig läßt sich zurzeit die wichtige Frage 
entscheiden, ob das Gebäude ein Tempel ä la Haraiaba 
in Mahra gewesen sein kann oder nicht. Tatsache ist, 
daß von allen bisherigen Besuchern Bent allein sowohl 
Simbabye als auch die südarabischen Ruinentempel, die 
zur Beobachtung der Gestirne und Bestimmung des Ka- 
lenders gedieht haben sollen, persönlich kannte. Wenn 
nun dieser (vor einigen Jahren verstorbene) Gelehrte 
beide für prinzipiell identisch erklärt, so ist es doch 
wirklich nicht ganz gerechtfertigt, seine Ansichten ein- 
fach für Unsinn zu halten. Widerlegt ist auch bishur 
noch nicht die Angabe, daß der bekannte Fries gerade 
auf der von der Sonne am Tage der Äquinoktien be- 
schienenen Mauer sich befände. Und was soll man 
ferner von den astronomischen Aufnahmen und Berech- 
nungen Dr. Schlichters denken? Sind sie wirklich bloß 
Phantasie und eitel Täuschung? Auch hier steht der 
unbefangene Kritiker vor einer nicht zu entscheidenden 

Frage. 

Wie steht es nun mit der von Maciver festgestellten 
Entwickeiungsreihe der Gebäude von der ringförmigen 
Bergfeste zum elliptischen Tempel in Simbabye, der 
demnach auch nur eine Festung, und zwar die des Ober- 
bäuptlingB von Manomotapa wäre? Nehmen wir an, die 
Beobachtungen über den allmählichen Ubergang zwischen 
den beiden Endstadien wären richtig, so ist damit noch 
nicht ausgemacht, daß auch die Deutung richtig ist. Es 
kann sich um eine Entwickelung nach vorwärts, wie 
nach rückwärts handeln. Der komplizierte Bau, wie er 
in Simbabye vorliegt und vielleicht ursprünglich be- 
stimmten kulturellen Zwecken gedient hat, kann sich 
durch Verkümmern in eine einfache Ringmauer um- 
wandeln unter Veränderung des ursprünglichen Zweckes, 
d. b. er wird eine Festung. 

Wenn wir uns fragen, welche Erklärung für Afrika 
die wahrscheinlichere ist, so ist es sicherlich die letztere. 
Ist es nicht der wesentlichst« Charakterzug dur afri- 
kanischen Kulturgeschichte, daß fremde Kulturen in 



diesen Kontinent einwandern uud dort unter Ver- 
kümmerung zugrunde gehen und sieb auflösen? Und 
nun gar die Höhlen Wohnungen! Sehen wir nicht heutzu- 
tage in Ostafrika, wie der Mensch, der Not geborcheud, 
seine Wohnung unter die Erde verlegt? Ist es nicht viel 
wahrscheinlicher, daß die so eigenartige Kultur, die uns 
in Khodesia entgegentritt, von einem starken Volk ins 
Land gebracht worden ist, und daß später diese Kultur 
verfiel und schließlich ihre Träger gezwungen wurden, in 
unterirdischen Wohnungen Zuflucht zu suchen? 

Nach allem, was wir von afrikanischer Kulturgeschichte 
wissen, ist es ganz unwahrscheinlich, daß die „Simbabye- 
Kultur" in Afrika entstanden ist. Iterartige Steinhaufen 
sind dort ganz unerhört, wenigstens die besten unter ihnen. 
Ich möchte glauben, daß jene Kultur, wie so viele andere, 
von auswärts importiert worden ist. Vergleichen wir 
nun die verschiedenen Ansichten bezüglich der gefundenen 
Gegenstände. 

Als erledigt können wohl sicher gelten die altitgyp- 
tischon Statuetten und der Holzteller mit dem angeb- 
lichen Tierkreis. An die vermeintlichen Inschriften haben 
aber wohl bishor höchstens Ophirenthusiasten geglaubt. 
I>agegen spricht stark gegen jene Hypothese das Urteil 
eines so gewiegten Kenners wie v. Luschan über die in 
den Ruinen gesammelten Gegenstände. Daß das meiste 
KafTernarbeit sei, wußte man schon; alles aber, das 
überrascht. Immerbin, selbst wenn man die Geier niobt 
für sabäisch hält, so bleibt doch noch manches übrig, 
was die rhodesische Ophirbypotbese , wenn aueb nicht 
stützt, so doch ihr Entstehen erklärt. 

1. Die Ansicht über die lange Anwesenheit der Sabäer 
in Madagaskar ist — meines Wissens — noch nicht 
widerlegt worden. 

2. Die große Übereinstimmung des Bergbaues mit dem 
altägyptiscben ist wohl nicht von der Hand zu weisen, 
dio Ähnlichkeit der Goldbarren mit den phönizischen 
Zinnbarren aber überraschend. Wenn auch die Kupfer- 
harren Katangas dieselbe Form zeigen, so weisen beide 
doch entschieden auf asiatische Einflüsse hin. 

3. Die Türme in Simbabye sind völlig unerklärt. Der 
Vergleich mit den heiligen Türmen Vorderasiens ist immer 
noch die beste Erklärung, denn die Behauptung Macivers, 
es seien Embleme des Häuptlings und seiner Frau (!), 
entbehrt jeglicher Begründung. Auch hier haben wir 
einen entschiedenen Hinweis auf Vorderasien und seine 
alt« Religion. Genau dasselbe ist der Fall: 

4. beiden zahllosen Phalli, die anf einen ausgedehnten 
Phalluskult hinweisen. Wenn Phalli such sonst in Afrika 
nicht fehlen , z. B. in Westafrika , so spielen sie doch 
nirgends eine solche Rolle wio in Vorderasien; 

5. bei den Monolithen auf den Mauern und Plattformen : 

6. bei dem durchbohrteuStoinzylinder müden Buckelu, 
der dem heiligen Stein von Paphos so auffallend gleicht 
v. Luschan und Maciver erwähnen ihn nicht. 

Was nun die Terrassenbauten betrifft, so be- 
sitzen sie — ruiu äußerlich — eine große Ähnlichkeit 
mit den gleichen Anlagen in Südarabien. Die Ansicht 
Macivers, daß es sich um Bofestigungswerke handelt, 
halte ich für gänzlich verfehlt. Wie viele Menschen 
wären nutwendig, solche Werke, die über eine Fläche 
von 50 englischen Quadratmeilen verteilt sind, zu vertei- 
digen? Wo hätten sie die Familien gelassen, wo das Vieh, 
und vor allem, wovon hätten so zahlreiche Menschen bei 
einer Belagerung leben können? Ich meine, daß o.i sieb 
kaum um etwas anderes als um Bauten für Agrikultur- 
zwecke — wenn auch ohne künstliche Bewässerung ge- 
handelt hat. Als Hefe&tigungswerkci wären die 1 bis 
2 Fuß hohen Terrassen so uugeeignet als möglich. Denn 
sie schützen nicht gegen Geschosse, hindern dagegen 

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Carl 8ap|>cr: Grenada. 



den Rückzug yor einem überlegenen Feind, der minde- 
sten» ebenso schnell kämpfend und schießend Tordringt, 
wie der flüchtende Verteidiger, den Kücken dein Feinde 
zugewendet. Hiebt. 

Ziehen wir das Fazit, ho darf man, wie ich glauben 
möchte, sagen, daß die Simbabyekultur in Südafrikn als 
ein Fremdling dasteht und von auswärts eingewandert 
ist, und zwar weist eine gante Anzahl von Beobachtungen 
auf Vorderasien hin, von wo ja tatsächlich die stärksten 
Einflüsse auT Afrika ausgeübt worden sind. Man denke 
nur an die islamitische Kultur. 

Nun haben die südarabischen Kulturvölker lange 
Zeit hindurch an der ontafrikanischeu Küste gesessen. | 
Ist es da nicht mehr als wahrscheinlich, daß ihre Kultur 
bis zu einem gewissen Grade von den Negern angenommen 
wordon ist, vielleicht unter Bildung von Misch Völkern"; 
Die südarabische Kultur könnte allmählich verarmt und 
zum Teil — namentlich kulturolle Einrichtungen wie 
Tempel u. a. — mißverstanden sein. So ließe es sich 
verstehen, daß Itent den Rundbau Sinibabyes im Prinzip 
für gleich gehalten hat mit dem Rundtempel Maraiabaa. wie 
ja auch das Mauerwerk den südarabischen Bauten gleichen 1 
soll. Allein die Neger haben den ursprünglichen Kultus- j 
apparat verändert, die Tempel mit Türmen, Monolithen u. a. 
wurden ohne inneres Verständnis nachgeahmt und daher 
bald Karikaturen. Trotz alledem stand diese fremde 
aul afrikanischen Boden verpflanzte Kultur viel, viel 
höher als die ursprüngliche Negerkultur. Nach solcher 
Auffassung wäre also die Simbahyekultur der letzte Rest 
der alten südarabischen Kultur, aber vernegert und ver- 
armt, genau so wie die islamitische Kultur Vorderasiens 
im Sudan reduziert ist. Angenommen, diese islamitische 
Kultur ginge in der Heimat — in Vorderasien — zu- 
grunde, so würde nach einigen Jahrhunderten von ihr 
im Sudan auch nicht mehr viel übrig sein, aus den 
Moscheen wären wohl Wohnhäuser oder Festungen ge- 
worden und dioso so verändert, duß man nur noch 



schwer ihre ursprüngliche Beschaffenheit erkennen 
könnte. 

In Ostafrika babun wir ein anderes Beispiel. Die 
Terobe hält Baumann für eine umgewandelte, jetzt noch 
in Umwandlung begriffene Kegelhütte, der Kenner Vorder- 
asiens, v. Luschan, dagegen erkennt in der ostafrika- 
nischen Tembe mit Bestimmtheit das asiatische Haus 
wieder, das als Vorbild gedient habe. Sollte es mit dem 
Simbabye- Rundbau und dein Maraiabatempel nicht ähnlich 
stehen? Das Fehlen von Inschriften, die von Hall und 
Neal bohauptoto Verschlechterung und Verkümmerung 
— Verkaffening! — der ältesten Simbabyekultur, alles 
würde seine Erklärung finden. 

Eine solche Auffassung steht der „Opbirfrage" ganz 
neutrul und unabhängig gegenüber. Sie behält auch 
dann ihre Berechtigung, wenn es mit Sicherheit nach- 
gewiesen wird, daß Simbabye erst im Mittelalter gebaut 
wurde. Wie bereits erwähnt, hängt die Beantwortung 
der Altersrrage davon ab, ob Hall und Nual oder Maciver 
mit ihren Beobachtungen über die I-age des Nanking- 
porzellans und des arabischen Glases recht haben. 

Was die Ophirbypothese so sympathisch macht, ist die 
Tatsache, daß sie das von C. Ritter formulierte Problem 
löst und die Ophirreisen hefriedigend erklärt. Ich meine, 
das Tällt doch auch etwas bis Gewicht und erklärt, warum 
die Hypothese sich bei so vielen so schnell Anerkennung 
vorschulft hat v. Luschan urteilt doch wohl nicht ganz 
richtig, wenn er den lebhaften Widerstand, den Maciver 
fand, vornehmlich Spekulanten mit rhodeeischen Gold- 
sbares und unwissenden oder romantischen Phantasten 
zuschreibt. 

Wie dem auch sei , wenn auch vielleicht das sagen- 
hafte Ophir von neuem im Nebel entschwindet, es bleibt 
ein neues Problem besteben, das der Simbabyekultur, 
und vielleicht kann dieses, wenn man in dem oben an- 
gegebenen Sinne forscht, seine Lösung finden. 

S. Passarge. 



Grenada. 



Von Carl 

Die Bewohner der größeren Inseln unter den „Kleinen 
Antillen" pflegen je für ihr Eiland die liezeichnung „Perle" 
oder „Juwel der Antillen" in Anspruch zu nehmen. Nicht 
selten hört man sogar darüber streiten, welcher Insel der 
Preis der Schönheit zukomme, und je nach der Auffassung 
des Schönheitsideals wird bald dieser, bald jener der 
Preis zuerkannt So viel ist sicher, daß sie alle hohe 
Gunst der Nnturscbönhcit auszeichnet und daß daher 
dein, der sie alle kennt, und der die Eigenart jeder 
einzelnen zu würdigen versteht, die Wahl schwer wird. 
Wenn man mich fragen wollte, so würde ich freilich 
nicht zaudern, der südlichsten der kleinen Antillen, 
Grenada, den Preis zuzuerkennen, denn nirgends auf 
dun Kleinen Antillen erlangt die Pflanzenwelt eine solche 
Üppigkeit und Schönheit als hier, und dieser grüne 
Schmuck verschönert so sehr jedes einzelne Landschafts- 
hild der Insel, daß das Auge eigentlich auf jedem Fleck- 
chen mit Freude und Bewunderung ruht und darum die 
größere Wucht der Linienführung, wie sie St Vincent 
und Dominien, zum Teil auch Sa. Lucia aufweist, oder die 
größere Formen- und Farbonmannigfaltigkeit von Mar- 
tinique oder Guadeloupe gar nicht vormißt Es ist kein 
Zweifel, die Natur ist größer, gewaltiger auf den nörd- 
lichen Scbwesterinseln, aber ihre Schönheit hat dort viel- 
fach etwas Herbes, Unausgeglichenes, ja, wie auf St. 
Vincent, Martinique oder Dominica, stellenweise selbst 



S a p p e r. 

Dämonisches und Schroffes. Auf Grenada fehlt der große 
ernste Zug in der Landschaft; sie ist ruhiger, bescheidener, 
aber auch harmonischer, freundlicher, und wer ihren 
Zauber einmal gefühlt, der wird ihn nimmer vergessen, 
und warm wird sein Herz immer wieder schlagen, wenn 
er nach Jahren von neuem Grenadas gedenkt, der Insel, 
wo nicht nur die Natur so schön ist, sondern auch die 
Mouscben im allgemeinen so zufrieden und glücklich 
leben ! 

Wie aber kommt es nur, daß Grenada vor ihren 
Schwestern begünstigt erscheint? Sind sie denn nicht 
alle gleich von der Natur bedacht? 

(iewiß, wenn man den geologischen Aufbau der 
Insel mit dem der nördlichen Nachbarn vergleicht, so 
laßt sich ein prinzipieller Unterschied nicht feststellen: 
dieselben vulkanischen Gebilde, Lavabänke und Tuffe, 
in stetem Wechsel und noch unaufgeklärtem inneren 
Zusammenhang 1 ), da und dort auch organogone Kalke in 
ziemlicher Höhe über dem Meere (30 bis 50 m), die 
darau erinnern, daß vor nicht zu langer Zeit Grenada 
tiefer im Meere gestanden hatte und daher weite Teile 
ihrer gugenw&rtigen Fläch« von Wasser bedeckt j 



') Vgl. J. 11. Harri»"!! . The Kocks and Solls of Grenada 
und Carriacnu, I*>iidon und K. 8ap|ier, Hin U<«uch der 

Imel Grenada 'Ze.ntr.ilhl. f. Mineralogie, Geologie u. Paläoutu- 

Hie Hi":;. S. IM- 1-6). 



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Carl Sapper: Grenada. 



233 



waren. DaO auf Grenada ungemein basische Basalte 
vorkommen (weshalb diese Insel nach Lacroix 3 ) nicht mehr 
zur petrographiiichen Provinz der Antillen gerechnet 
werden kann), ist für die Bodenhildung und Ausgestaltung 
der Oberfläche durchaus nebensächlich, so daß wir hier 
auf diesen Unterschied nicht einzugehen brauchen. Sehr 
viel wichtiger ist, daß die vulkanische Kraft auf der 
Insel seit Menschengedenken keinerlei Äußerungen mehr 
von sich gegeben hat, wenn man von einigen Schwefel- 
und Schlammquellen (so denen von Hampsack) absieht. 
Aus diesem Grunde sind der Insel die schweren Heim- 
suchungen erspart geblieben, die einigen ihrer Nachbar- 
inseln so hart mitgespielt haben. Wohl sind zwei jugend- 
liche Stratovulkane vorhanden (Punch Bowl und Lake 



sind doch die Terrainformen wesentlich milder, und ge- 
mildert ist auch der klimatische Einfluß, den sie 
ausüben. Überall im Gebiete der Kleinen Antillen, 
wenigsten« der größeren von ihnen, herrscht ja der 
Passatwind den größten Teil des Jahres Uber, und bei der 
uieridionalen llaupterstruckung dieser Inseln und der 
rückgratähnlichen Anordnung ihrer Haupterhebungen 
versteht os sich, daß die östliche Abdachung regenreicher 
ist als die westliche, wahrend allerdings der Hauptreguu- 
fall dun mittleren Gebirgsregionen zukommt. Je höher 
und schroffer aber die Gehirgsraauer durch die Insel hin- 
durchzieht, desto größer werden auch die Unterschiede 
im Regenfalle der gegenseitigen KOsien; daher ist z. B. 
auf St» Vincent die Leewardseite schon relativ trocken, 




Abb. 1. Grand Etanfr. 530 ro. 

Aufnahme von C. K. Norton. 



Antoine), aber sie schlummern tief und sind auch topo- 
graphisch nur unbedeutende Gebilde, die nirgends be- 
herrschend in die Landschaft und in die Wirtschaft ihrer 
Bewohner eingreifen. 

Die Borge sind auf Grenada nicht so hoch wie auf 
den nördlicheren Gliedern der Antillenkette, und darum 
sind auch die Böschungen des Geländes im allgemeinen 
etwas sanfter und der menschlichen Kultur günstiger 
als anderwärts im Gebiet der Kleinen Antillen. Man 
glaube aber darum nicht, daß Grenada ein schwächliches 
Relief zeige; auch hier ragen die Berge bis über 800 ro 
Höhe über das Meeresniveau empor, und ziemlich steil 
fallen sie im Westen, der Leuwardseite der Insel, gegen 
daB Meer zu ab, während im Osten, der Windwardsoito, 
das Gelände sich saufter zu dem Meere hin abdacht. 
Aber gegenüber der nördlichen Nachbarin, St. Vincent, 



') La Montagne I'elee, Paris 1004, 8. «07. 
Olotmi XCI. Nr. Ii, 



was sich in der geringeren Lebensfreude der Vegetation 
sehr deutlich und nicht gerade angenehm fürs Auge 
ausprägt, während auf Grenada auch auf der Leeseite 
noch hinreichende Regenmengen fallen , um ein recht 
fröhliches Wachstum das ganze Jahr über zu ermöglichen. 
So fielen z.B. im Jahre 1809 zu Dunfermline auf derOst- 
seite der Insel 2011 mm Regen, zu Grand Kl äug i S.'iO m) 
im Zentrum (Abb. 1) 3858 mm, zu Richmond Hill (St. 
Goorge'a) auf der Westseite aber immerhin noch 1 Mi I nun *), 
und in anderen Jahren pflegt sich der Regeufall in ähn- 
licher Höhe zu halten. Wir dürfen also die Benetzung 
der ganzen Insel als gut erklären, und wenn auch die 
Südspitze der Insel in bezug auf den Niederschlag etwas 
minder vorteilhaft gestellt ist, so muß man doch ganz 
im allgemuinen die Regelmäßigkeit und Menge des Regens 
als günstig anerkennen. Da außerdem die Wärme- 



') Tho Grenada Handbuok lSol/os, London I»ot, 8. 14«. 

31 



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234 Carl Sappe 

Verhältnisse die Zersetzung des Rodens ebenso wie Ann 
Wachstum der Pflanzen begünstigen, ho darf uns die 
Üppigkeit der Vegetation nicht überraschen. Aber auf 
den nördlichen hoben Nachbarinseln fallen auch, zwar 
nicht »Heut halben, aber doch streckenweise, gleich große 
Mengen Rogen, und die Wärmeverhältnisse sind durchaus 
gleichartig. Wie kommt es denn, daß dem Reisenden 
die Pflanzendecke Grenadas so viel schöner erscheint als 
die der nördlichen Schwesterinselu? Per Grund ist darin 
zu suchen, daß Grenada seit Menschengedenken von den 
schweren Orknnen verschont geblieben ist, die auf den 
übrigeu Antillen schon so sehr viel l'nheil angerichtet 
haben; darum sind auf Grenada so herrliche Wälder mit 
prachtvoll entwickelten gesunden Räumen vorhanden. 



: Grenada. 

Freilich ist Grenada nicht immer vor ihren Schwestern 
bevorzugt gewesen, denn die l ngunsJ der historischen 
Ereignisse hat lange Zeit schwer auf ihr gelastet. Bie 
Insel war schon 1I9H von Kolumbus entdeckt worden; 
aber da ihre Bewohner, die kriegerischen Kamillen, 
den Spaniern feindselig gegenüber traten und kein Gold 
deren Mut reizte, so wurde die Insel bald vernachlässigt 
nnd vergessen. Im Jahre 1638 dachten dann die Fran- 
zosen an eine Besiedeln ng derselben, aber erst im Jahre 
1GM ging Da Parquet, der damalige Gouverneur von 
Martinique, an die Ausführung des Planes, indem er um 
einige Messer, (teile, zahlreiche Glasperlen und zwei 
Flaschen Rrunutwein das Land von den Karaiben kaufte. 
Er baute ein Fort und kehrte nach Martinique zurück, 




Abb. -J. St. George'» von der Carenage ans. 

t'.-pyriijht bj Ttvlrrwooil unit Ttttlcrwood, London an-J New York. 



wahrend nur den Nachbariuselu nur selten ein älterer 
Raum mit tadelloser Krone angetroffen wird, da fast alle 
alteren Gewächse durch die Orkane mehr oder minder 
schwer gelitten haben M und häutig statt einer vollen 
Krone nur kriippelbafton Kopfausschlag zeigen. I>us 
Fehlen von Orkanen begünstigt aber natürlich in gleicher 
Weise auch die menschlichen Kulturen, und — da die 
Kleinen Antillen Tast keinerlei mineralische Reichtümer 
bergen und keine irgend nennenswerte Industrie vorhanden 
ist — auch die gesamte w irt sehn ft liebe Roge der Insel. 
Räber ist auch die Bevölkern ug derselben glücklicher, 
zufriedener als auf den übrigen Kilanden des Antillen- 
meeres, wo mißliche ökonomische Verhältnisse seit Jahr- 
zehnten auf ilie Einwohner drücken. 

*) Man vergleiche mit den VcgCtfttiOBtbhVIeni timmd«« 
da* Mild v .n Kiiigntiiwu auf St. Vincent (Globus, H<l. »4, 
B. 2»8). 



nachdem er das Kommando I.el ompte übertragon hatte. 
Rald entbrannte ein Krieg mit den Eingeborenen, und als 
Ru I'arquet Hilfe sandte, wurden die Kuraiben über- 
wältigt und ihr letzter Rest von einem Felsen im Norden 
der Insol Morue des Sautcurs — ■ ins Meer getrieben 
Aber die Sieger waren auch unter sich nneins, so daß 
der Friede auf der Insel nicht recht einkehren wollte. 
Ru Parqnet, der die Kosten der Verwaltung nicht, auf- 
bringen konnte, verkaufte die Insel Hi5b" für HO 001 1 Kronen 
an den Grafen von Cerillae, Rieser schickte einen tyran- 
nischen Gouverneur nach Grenada, worauf viele Pflanzer 
nach Martinique zurückkehrten und der Ackerbau immer 
mehr verfiel. Schließlich wurde er vor ein auüerordent- 

') Diese Uerichte lassen erkennen, daß die karaibiiche 
Bevölkerung der Insel nicht zahlreich gewesen sein kann. 
I ber KeNzeicliniingen der Knr»it>en auf Grenada «. Globus, 

Bd. 84, B. :i8i. 



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Carl Sapper: Grenada. 



235 



Hohes Gericht .«.••-«teilt und erschossen; die Richter ent- 
flohen aus Furcht vor Straf«, und um 1700 gab ex nur 
noch 251 Weiße. 53 freie Neger und Mulatten und 525 
schwarze Skluven auf der Insel. Ks wurden nur noch 
3 Zuckerphtntagen und 52 Indigoptlanzungen betrieben, 
der Viehstand beschränkte sich auf 569 Stuck Hornvieh 
und 64 Pferde. 

Erst als (iraf Ton ("orillac die Insel 1714 an die 
französische westindische Kompanie verkauft hatte, 
blühten Handel und Landwirtschaft auf Grenada auf. 
Und als nach Auflösung der genannten Kompanie die 
französische Krone den Besitz übernommen hatte, erfolgte 
ein weiterer Aufschwung, so daß 1753 bereit» 1263 Weiße, 
175 freie Karbige und ll!t!tl Sklaven gezählt wurden; 
dazu 2298 Pferde und Maultiere, 2456 Stack Vieb, 



die Insel vorübergehend wieder in französischem De- 
litz'), und 17H3 übernahm Kngland sie endgültig. Nun 
trat wieder Kuhe ein, und auf» neue blühte die Land- 
wirtschaft auf. Im Jahre 1787 waren 1000 Weiße, 
1115 freie Farbige und 23!)26 Sklaven vorhanden; es 
liefen in diesem Jahre 188 Schiffe mit 25 764 t («ehalt die 
Insel an; die Ausfuhr wertete 614908 Pfd. Sterl.; die 
Hauptausfuhrartikel waren: /ucker 175648 englische 
Zentner (Cwt.), Rum 67039U Gallonen, Raumwolle 
3062 «127 Pfd., Kaffee 8R13 Cwt., Kakao 2717 Cwt. und 
Indigo 2810 Prd. 

1791 brachen das Gelbe Fieber und ein Bürgerkrieg 
im Lande aus, so daß auf« neue die wirtschaftliche Ijige 
bedrängt wurde, und erst nach Erlöschen der Seuche 
(1798) und Wiederherstellung der Ordnung begann die 




Abb. 3. St. George'« und Carenage von SUdcn. 

Aufnahm«' von ('. K. Norton. 



3278 Schafe, 902 Ziegen und 321 Schweine; es waren 
83 Zuckerrohrpflanzungen im Betriebe und 2 7251100 
Kaffeebäume, 150300 Kakaobäume, 800 Bnuiuwollbäume, 
933 569 liananenstauden usw. gepflanzt 

Im Jahre 1762 kam die Insel ohne Widerstand in 
englische Hände ,: ) und wurde 1763 nebst den Grenadinen 
formell an England abgetreten. Religiöse Zwistigkeitcn, 
sowie Händel zwischen den französischen Pflanzern und 
den neuen Siedlern drückten auf die wirtschaftliche Lage 
der Insel. Immerhin wertete die Ausfuhr im Jahre 1776 
noch gegen 600000 Pfd. Sterl.: es waren ausgeführt 
worden 11012157 Pfd. Rohzucker, 9273607 Pfd. ge- 
reinigter Zucker (clayed stigar), 8IH700 Gallonen Rum (er- 
zeugt auf 1U6 Zuckerrohrpflanzungen mit 18293 Negern), 
1827 166 Pfd. Kaffee, 457719 Pfd. Kakao, 91943 Pfd. 
Baumwolle und 27 638 Pfd. Indigo. 1779 bis 1783 war 

') Drylin Kdwurib«, lli»t«>ry uf the British Westinilies. 
5. Aull. Umdnu l-u >, It.l 1. 



heimgesuchte Bevi>]kerung wieder aufzuatmen, die Land- 
wirtschaft wieder aufzublühen. Die Aufhebung der Skla- 
verei ( 1833) hat freilich die landwirtschaftliche Produktion 
aufs neue herabgedrückt, und die immer wachsende Kon- 
kurrenz des Rübenzuckers hat schließlich den Robrzucker- 
bau zu einem Zweige der Landwirtschaft gemacht, 
dessen Prudukte nur bei Lvkalkousum noch eine Ren- 
tabilität des Unternehmens sichern, während die für 
Export bestimmten Produkte auf dem Weltmärkte nur 
selten hinreichend gute Preise erlangen, um den Detrieb 
noch lohnend zu gestalten. Auch die Aufhebung der 
Zuckerprämien der Rübenzuckorländer hat an diesen 
Verhältnissen nicht sehr viel zu ändern vermocht, da 
die maschinellen Einrichtungen der Zuckerpluntugeu 

r ) AU Nachwirkung >ler französischen HesiUergrtMfung 
wird noch jetzt vielfach ein ver«l«>rl>«'tn-« Kran/ösiseh , die 
langue t'reole, von der Negerbevölkerung gesprochen, wenn- 
gli-ich nicht an allgemein wie etwa auf 8a. Lucia ixler auf 
Dominica. 

81» 



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2.% 



Carl Sapper: Grenada. 



\V Ostindiens großenteils veraltet und deshalb konkurrenz- 
unfähig sind. Aus diesen Gründen suchte man seit lange 
an die Stelle des Zucker» andere besser rentierende 
Produkte zu stellen, und mau ist gegenwärtig eifrig an 
der Arbeit, im ganzen Gebiete der Kleinen Antillen Baum- 
wolle zu bauon, was — namentlich auf den regenärmeren 
Inseln — im steigenden Maße geschieht und wohl viel- 
fach den Zuckerrohrbau verdrängen wird. Die Mehr- 
sahl der Kleineu Antillen ist nämlich wegen der Orkan- 
gefahr in einer schwierigen Lage, wenn es gilt, neue 
Kulturen einzuführen, da im Falle einer Verwüstung 
durch ein solches Naturereiguis nur wenige Anpflan- 
zungen, wie Zuckerrohr, Daumwolle, Pfeilwurz, Indigo ') 



angelegt worden; man hat namentlich Kakao- und Mub- 
katnußbäume gepflanzt, während der Kaffee stark ver- 
nachlässigt wird. Diese Bevorzugung der beiden ge- 
nannten liaumkulturen, sowie der Umstand, daß dieselben 
auch vielfach in kleinem .Malistahe von den Negern be- 
trieben werden, haben Grenada eine recht zufrieden- 
stellende ökonomische Lage gesichert , die gegenüber 
derjenigen der nördlichen Nachbarinseln glänzend genannt 
worden mulS, aber freilich je nach den Weltmarktpreisen 
und dem Ernteausfall auch gelegentliche Verdunkelungen 
zu erfahren pflogt. Eine solche, hoffentlich nur vorüber- 
gebende Verdunkelung ist im Jahre 1905 ") eingetreten, 
indem die Kakaoernte für das am MO. September 1905 




Abb. 4. Charloltetown von Süden. 

Aut'ci.ihror von C. F. Surton. 



usw., schon innerhalb kurzer Zeit — 1 bis l 1 „Jahren — 
wieder eine Ernte liefern , während Baumpflan/.ungen 
einer längeren Reihe von Jahren bedürfen, bis sie wieder 
Ernten geben. Daher fehlen auf den meisten Kleinen 
Antillen Haumpflanzungen ganz; nur Dominica und Mont- 
serrat : '), sowie Guadeloupe 10 ) haben den Versuch mit 
größeren Haumpflanzungen gewagt und auch nach Orkanen 
wieder aufgenommen. Sonst aber hat mau sich auf die 
oben erwähnten Pflanzungsgewächse beschränkt. Grenada 
aber wird ja von Orkanen nicht heimgesucht, und darum 
sind hier auch Baumpflanzungen mit großem Erfolg 

") Indigolwu ist freilich infolge der Fortschritte der 
chemischen Industrie unrentabel geworden und daher Nil 
lang« ganz aus der Reihe der Kulturen auf den Antillen 
ausgeschieden. 

') Kakao- und Zitronenbäume. 

'*) KafTeeptianzungen. 



endende Betriebsjahr nur 04 319 Sack (von durchschnitt- 
lich etwa 180 l'fd.) gegenüber 07 225 Sack des Vor- 
jahres erreichte — vermutlich war die ungleichmäßige 
Verteilung des Hegenfalles daran schuld. Schlimmer 
aber war der gleichzeitige Preissturz des Kakao auf dem 
Markte infolge der Konkurrenz wentafrikanischen Kakaos; 
angesichts dieser Sachlage ist es sehr erfreulich, zu ver- 
nehmen , daß die Pflanzer der Verbesserung der Kultur- 
und Behandlungsmethoden ihre Aufmerksamkeit zuwenden 
und daß neuerdings an Stelle der primitiven Trocken- 
einrichtungen, wie ich sie zum Teil noch 1903 dort 
gesehen hatte, nun mehrfach verbesserte Gordon sehe 
Trocken apparate eingeführt worden. 

Die Gewürzernte (hauptsächlich Muskatnüsse) 



") Kolonialre|iorU Nr. &01. Grenada, Report for 1»05. 

London 1900. 



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Carl Sapper: Grenada. 



237 



war zwar befriedigend in beeng auf ihre Quantität, indem 
8862 Cwt. Gewürze 1905 ausgeführt wurden, gegenüber 
6915 Cwt in 1904; aber der pekuniäre Erfolg entsprach 
auch hier nicht den Hoffnungen der Produzenten infolge 
ungünstiger Preislage. 

Baumwolle, diu fast ausschließlich auf den admini- 
strativ zu Grenada gehörigen kleinen Inselchen im Norden 
der Hauptinsel, den Grenadiuen, angebaut wird, hatte im 
Jahre 1905 infolge ungenügenden Regenfalles vi ) eine 
Mißernte gegeben, so daß 1905 nur 1899 Cwt. Roh- 
baumwolle und 484!) Cwt. ßautnwollsamen ausgeführt 
werden konnten gegenüber 2M07 bzw. 6844 Cwt. im 
Vorjahre. Dementsprechend wertete die Kakaoansfuhr 
im Jahre 1905 nur 243790 Pfd. Sterl. (gegenüber 
272226 Pfd. Sterl. im Vorjahre), die Gewürzausfuhr nur 
27 992 (gegenüber 33 767 Pfd. Sterl. in 1904), die Baum- 
wollausfuhr nur 3365 Pfd. Sterl. (gegenüber 8521 Pfd. 
Sterl. in 1904 n ). Neben diesen Hauptposten spielt nur 
die Ausfuhr lebenden Viehes noch eine größere Rolle: 
1319 Pfd. Sterl. (1904 1356 Pfd. Sterl. 1 «); von sonstigen 
landwirtschaftlichen Ausfuhrartikeln waren noch zu nen- 
nen: Hühner 409 Pfd. Sterl., Früchte 304 Pfd. Sterl., Kola- 
nüsse 329 Pfd. Sterl., Kaffee 3 Pfd. Sterl., Wolle 15 Pfd. 
Sterl.; im übrigen sind die landwirtschaftlichen Produkte der 
Insel lediglich für den Lokalkonsum berechnet, genügen 
aber nicht zur Ernährung der Bevölkerung, weshalb noch 
große Mengen Mehl (1905 31 558 Pfd. Sterl.), Biskuits 
und andere ßrotarten (1905 3937 Pfd. Sterl.), Reis 
(1905 6311 Pfd. Sterl.), raffinierter und Rohzucker 
(3147 bzw. 4768 Pfd. Sterl.), Tabak, Zigarren und 
Zigaretten (1905 2X30 Pfd. Sterl.), Gemüse (1905 1167 
Pfd. Sterl.) und anderes eingeführt werden müssen ,s ). 
Die eingeführten Spirituosen waren 1905 4333 Pfd. Sterl. 
wert (1904 5082); es wird aber auf der Insel selbst Rum 
destilliert, und 1905 wurden 429 13 Gallonen versteuert, 
gegen 53 204 im Juhra 1901; diese Abnahme weist 
jedoch nicht auf Abnahme der Fabrikation und des 
Konsums, sondern auf Zunahme des Schmuggels hin. 

Die auagedehnten Wälder der Insel, die das Innere 
noch fast vollständig beherrschen, habon eigentlich nur 
für den Lokalbedarf an Bau-, Brenn- und Möbelholz 
Bedeutung , denn die Ausfubrstoffe, die sie liefern, sind 
ohne jegliche Bedeutung: 190') Brennholz 221 Pfd. Sterl. 
und Blauholz 45 Pfd. Sterl.; andererseits werden an Bau- 
holz und Schindeln sogar noch sehr bedeutende Mengen 
eingeführt (1905 für 10799 Pfd. Sterl.), ein Zustand, der 
nur durch den völligen Mangel einer Sägemühlenindustrie 
und durch die Ungunst der Verkehreverhältniese, zum 
Teil allerdings auch durch die Beschaffenheit der ein- 
beimisoheu Hölzer, zu erklären ist. 

Höchst unbedeutend ist die Fischerei , denn wenn 
auch für den taglichen Gebrauch Fische und andere Soe- 
tiere gefangen werden , so müssen doch noch jahrlieb 
große Mengen getrockneter, gesalzener oder sonst konser- 
vierter Fische importiert werden (1905 15868 Pfd. Sterl.). 
Dagegen kommen alljährlich kleine Mengen von Scbild- 

") Der Regenfall betrug 190i nur 1046 mm gegenüber 
1*5* mm im Jahre 1899. 

'*) Ein Vergleich mit den Zahlen von 18»r. (138:.«0 
bzw. 2098+ bzw. 4M» Pfd. Steil.) zeigt nber Joch den großen 
Fortschritt, den die Landwirtschaft in diesem kunten Zeit- 
raum gemacht hat. 

") Ks ist aber zu bedenken, daQ dieser Aasfuhr eine 
gruBere Einfuhr von Vieh (1905 2<wi )*fd. Sterl., 1&04 2002 l'fd. 
Sterl.) und von gesalzenem oder konserviertem Kleiseh (!»0.i 
9132 Pfd. 8t*r)., 1904 *S06 l'fd. Sterl.) gegenübersteht, «, dafi 
also die einheimische Viehzucht dem Bedarf nicht genügt. 
Butter wurde I90^ im Werte von 2003 Pfd. Sterl. eingeführt, 
Käse 1114 l'fd. Sterl. 

") Ein gutes Zeichen für den landwirtschaftlichen Betrieb 
ist die starke Einfuhr von T>üng»Uin>n (1905 .(79.! Pfd. Sterl). 



kröten und Schildkrötenschalen zur Ausfuhr (1905 
343 Pfd. Sterl ). 

Die Industrie steckt in den ersten Anfängen, und nur 
die Bereitung von Rohzucker und Rum für Lokalkonaum 
beschäftigt eine größere Zahl von Händen. Sonst wäre 
lediglich Kisfabrikation zu erwähnen , die Bogar eine 
kleine Ausfuhr aufweist (1905 304 Pfd. Sterl.). 

Die ungünstigen Ziffern der Hauptausfuhrartikel 
haben natürlich 1905 auch die Gesamtausfnhr höchst un- 
günstig beeinflußt, so daß dieselbe, 283955 Pfd. Sterl., 
nicht nur unter der des Vorjahres (321 766 Pfd. Sterl.), son- 
dern auch der .Jahre 1902 (310601 Pfd. Sterl.) und 1901 
(303935 Pfd. Sterl.) zurückbleibt, während sie aller- 
dings immerhin noch etwas höher als dio von 1903 steht 
(283 565 Pfd. Sterl.). Der Ausfall in der Ausfuhr hat 
aber alsbald auch die Einfuhr herabgedrückt, ho daß 
auch diese (237 256 Pfd. Sterl.) tiefer steht als der 
Durchschnitt der vier Vorjahre. Dies aber wirkte 
wiederum ungünstig auf die Zolleinnahmen ein, von denen 
man wegen Inkrafttretens eines schärferen neuen Zoll- 
tarifs eine bedeutende Steigerung erwartet hatte, und 
die nun im Finanzjahr 1905 06 mit 35756 Pfd. Sterl. 
nur ein Mehr von 827 Pfd. Sterl. gegenüber dem Vor- 
jahr ergaben; da im übrigen wenig Veränderungen in 
den Einnahmen eintraten, auch die Ausgabe neuer Post- 
markeu nur oin Mehr von 515 Pfd. Sterl. ergab (rostein- 
nahmen 1905 06 1912 Prd. Sterl., 1904 05 1397 Pfd. Sterl.), 
so betrugen die Gesamteinkünfte der Kolonie 1905/06 mit 
69 954 Pfd. Sterl. nur 961 Pfd. Sterl. mehr als im Vor- 
jahre, so daß bei einer Ausgabe von 71968 Pfd. Sterl. 
ein Defizit von 2159 l'fd. Sterl. entstand, das zu mancher- 
lei Einschränkungen, insbesondere auf dem Gebiete der 
öffentlichen Arbeiten, zwang. Zu der Steigerung der 
Ausgaben hatte manches Unvorhergesehene, so der höhere 
Krankenstand in den Krankenhäusern und die Maß- 
nahmen zur Unterdrückung der in jenem Jahr auf- 
getretenen Pocken '*), beigetragen. Die Schuld der Kolonie 
mit 123 670 Pfd. Sterl. blieb jedoch unverändert. 

Wenn noch diesen Angaben die ökonomische Lage 
Grenadas momentan nicht ganz zufriedenstellend er- 
scheint, bo steht doch zu hoffen, daß ein günstiges 
Krntejahr alsbald das Gleichgewicht wiederherstelle, und 
die Tatsache, daß sich (irenada in neuester Zeit auf dem 
kanadischen Markte einzubürgern beginnt, ist als eine 
günstige Vorbedeutung auzusehen. Der weitaus größte 
Handelsverkehr spielt sich mit dem Mutterlande ab. 
Hin großer Teil der Einfuhr (etwa 1 ,) kommt auch aus 
englischen Kolonien, an »weiter Stellestehen Frankreich und 
französische Kolonien. Das übrige Ausland (in erster Linie 
die Vereinigten Staaten ") trägt zu der Einfuhr fast '/» bei, 
während es von der Ausfuhr ebenfalls ungefähr '/'s auf- 
nimmt. 

Der relativ lebhafte Handel der Kolonie hat auch 
naturgemäß einen recht lebhaften Schiffsverkehr 
hervorgerufen. Der Tonnengehalt der 1905 eingelaufenen 
Dampfschiffe betrug 308577, der der Segelschiffe 979»i, 
also zusammen 31*373 ~ eine enorme Steigerung gegen- 
über dem Schiffsverkehr von 1787; wenn mau aber 
bedenkt, daß in genanntem Jahr der Wert der Ausfuhr- 
produkte mehr als das Doppelte von dem der gegen- 
wärtigen Ausfuhr betrug, so ist das ein deutliches Zeichen 
für die gewaltige Verbilligung der Tropen prod uk te , die 
inzwischen eiugetreteu ist. Wenn man andererseits aber 
bedenkt, daß damals die bedeutenden Werte vorzugsweise 

") Ks wurden 81 Fälle behandelt. 

"l Deutschland war nn der Einfuhr nach Grenada 190!> 
nur mit :ttf" Pfd. Sterl., an der Ausfuhr von dort gar nur 
mit 4 Pfd. Sterl. beteiligt, wie denn überhaupt Deutschland 
im Handel der Kleinen Antillen absolut keine Holle spielt. 



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Carl Sapper: (irMmU. 



don 1000 Weißen und zum kleinen Teil den IIIS freien 
Farbigen zukamen, während die Sklaven, fast 24OO0 an 
der Zahl, Dur indirekt einen Nutzen von diesen großen 
Gewinnen haben konnten, to erkennt mau vollends den 
gänzlichen Wechsel der Verhältnisse. Wohl herrscht auch 
jetzt noch Plantagenlietriob und Großgrundbesitz vor, aber 
danoucu äind doch auch zahlreiche Kleinbetriel>e im freien 
Besitz der Schwarzen vorhanden, und gerade dieser Um- 
stand trügt viel zn den befriedigenden sozialen 
Zuständen Grenadas boi und likiSt die Gegensätze 
zwischen Weißen und Schwarzen nicht ho scharf werden, 
wie sonst vielfach auf den Kleinen Antillen. Gewiß gebt 
auch jetzt noch der Itauptumsatz durch die Hände der 
Weißen, deren Zahl leider durch die letzte Volkszählung 
nicht festgestellt worden ist, die aber jedenfalls weit 
unter der Zahl von 17^7 zu suchen ist "); aber ein nicht 
unbeträchtlicher Teil kommt auch der Mischlingsklasae 
und dun Schwarzen zu, und es besteht sogar die Gefahr, 
daß auch hier wie anderwärts »uf deü Antillen das weiße 
Element in den Iiiutergrund gedrängt werde von einem 
übermächtigen Negertum. So hoch aber auch die Zahl 
der Neger ist, so reichen sie doch nicht aus, um die 
Plantagenarbeit zu besorgen, weil ibcu mit der Aufhebung 
des Zwanges zur Arbeit (durch die Abschaffung der 
Sklaverei 1S33) nicht zugleich auch die Lust zur Arbeit 
eingekehrt ist und der Schwarze in hohem Maße bedürfnis- 
los ist; er fühlt seinen Ehrgeiz befriedigt, wann ur Sonn- 
tags mit einem sauberen weißen Anzug, die Krau außer- 
dem mit bunten Tüchern geschmückt, zur Kirche ziehen 
kann; in be/.ug auf Wohnung und Werktagskleidung 
iBt er höchst anspruchslos, und bei der Nahrung ist ihm 
die Quantität wichtiger als die Qualität I>er Erwerbs- 
trieb wird bei ihm zumeist nur rege, weuu Geld ohne 
größere Anstrengung zn verdienen ist, und ich selbst habe 
z.U. für manche höchst einfache Mahlzeit, die mir Neger- 
frauen bereiteten, hohe Großstadtpreise bezahlen müssen : 
aber sobald eiu Verdienst nur mit schwerer Arbeit zu 
erlangen ist, so überläßt der Neger ihn neidlos einem 
anderen, sofern ihn nicht die Not drängt. So kommt es, daß 
trotz der dichten Negerbevölkerung noch ostindische Kulis 
zur Plantagenarbeit eingeführt worden sind, weshalb im 
Zensus von 1*91 1017 Ostindier aufgeführt sind. 

Grenada und die zu der Kolonie gehörigen (irenudinen 
sind sehr dicht bevölkert : 1H91 wurden auf (irenada 
selbst 1217s Einwohner gezahlt., was bei einem Flächen- 
inhalt von 311 <ikm 152 Seelen auf den Quadratkilometer 
ergibt, auf den (irenadinen (3l<ikml (»031 Einwohner 
(177 pro <jkin); für das Jahr 19<Jl aber wird die Be- 
völkerung der Gesamtkolonie auf (»3138 Seelen an- 
gegeben (IH4 pro <|km '•'). Man könnte angesichts dioser 
hohen Volksdichte und der bedeutenden Einfuhr von 
Lebensmitteln vermeinen, daß Grenada übervölkert wäre, 
und doch ist dies meines Krach teils nicht der Kall, denn 
die Produktion der Kolonie, insbesondere der Hauptiuael, 
könnte noch wesentlich gesteigert werden , da große 
Flächen im Inneren noch unangetasteter jungfraulicbur 
Boden sind, von dichtem, schwer durchdringlichem Urwald 

") Leider ist bei der Volkszählung die Kam-ti- 

Zugehörigkeit nicht berücksichtigt worden; man kann nber 
wohl annehmen, «laB die Gestimtzahl der Weiden Soo nicht 
wesentlich Überschreiten dürfte. 

") Die erste genaue Volkszählung von (treundu (ein- 
schließlich der zugehörigen Grenadiuen) erfolgte am 3. Juui 1H44 
und ergab 29650 Seelen; am S.Oktober 1*51 waren es 30671. 
am » April IM1 aber nur noch 31 «wo (dir Abnahme geschah 
hauptsächlich durch eine Cnoleniepideiiii« 1H;,4, dor 377« l'er- 
soueii zum Opfer fielen). Am 1. Mai 1871 war die Bevölke- 
rungsziffer auf 37 »184, am 4. April 1 68 1 auf 4'.'4U3 anirewitrhseii. 
Die GeburKziffer betrug 1 »•->» 41,51 pro Mille, die Sterblich- 
kritaxiffor ls.ül pro Mille. (Grenada M»udb-»ok lw.|/uS, 
K. 35.) 



bestanden, während Siedolungen und Pflanzungen sich 
fast ausschließlich an den Hindern der Insel zusammen- 
drängen. Entsprechend dor größeren Steilheit der West- 
abdachuug ist daselbst dieser besiedelte und bebaute 
Saum schmäler als im Osten; obor auf beiden Seiten kann 
und wird der Mensch nach dem Innern allmählich vor- 
dringen und das juugrräuliche Land seinen Zweckeu 
nutzbar machen, obgleich die Transportverhältnisse Bich 
dadurch für ihn etwas ungünstiger gestalten werden. Daß 
die Binnengebicte bisher so wenig ausgenutzt sind, liegt 
größtenteils daran, daß die Pflanzer die Kukao- undMuskat- 
nußkultur bevorzugen und diese vermöge der Wärme- 
ansprüche der Pflanzen auf die tiefereu Kegionen, besonders 
die Höhenlagen zwischeu löO und 350m tn ) beschränkt blei- 
ben, während bei Bevorzugung des Kuffooa sicherlich auch 
die dafür günstigeren bedeutenderen Höben in den Bereich 
der Pflanzungen gezogen worden wären. Aber wuuu 
auch bei der jetzigen Luge des Kaffeemarktes nicht zu 
erwarten ist, daß dieser Zweig tropischer Agrikultur 
sich auf Grenada in größerem Maßstäbe eiubürgere, so 
ist doch zu erwarten, daß allmählich die hochgelegenen 
Landereien für Mais-, Vams-, Bataten- und andere 
auf Lokalkonsum berechnete Kulturen ausgenutzt werden, 
um die Einfuhr von Brotstoffen hcrabzudrücken, die un- 
günstig auf die allgemeine Handelsbilanz und Wirtscbufta- 
lage der Kolonie drückt. 

Freilich noch wichtiger wäre für dieselbe eine Verbilli- 
gtiug des allzu kostspieligen Verwaltungsapparates: 
Grenada ist ja eine britische Kronkolonie und hat dem- 
gemäß den gesamten Be»mtenap]iarat einer solchen nebst 
einer exekutiven und einer legislativun Versammlung 
(Councils, erstere bestehend aus den vier höchsten Beamten 
und zurzeit zwei vom König ernannten uuoffiziellen 
Mitgliedern, letztere aus den vier höchsten Beamten und 
zurzeit zehn anderen vom König ernannten Mitgliedern, 
teils offiziellen, teils (inoffiziellen). Nun wird allerdings 
der Verwaltungsapparat dadurch etwas verbilligt, daß 
der Gouverneur von Grenod» zugleich auch Gouverneur 
der beiden anderen „Windward Islands", St. Vincent und 
Sa. Lucia, ist; aber immerhin ist er viel zu kostspielig 
für die kleine Kolonie, weBholb auch ueuerdiugs (\'J. Sep- 
tember 190. r ») der Wunsch der englischen Begierung, 
(irenuda und St. Vincent in eine Kolonie zu verschmelzen, 
offiziell bekannt gemacht wurde. I >ie öffentliche Meinung 
in Grenada erkennt zwar diu Vorzüge, ja die Notwendig- 
keit einer Vereinigung mit einer Nachbnrkolotiie an, 
neigt über stark zu einer Fusion mit der Kolonie von 
Trinidad und Tobago hin, mit der ihre wirtschaftlichen 
Verhältnisse viel mehr übereinstimmen als mit St. Vincent. 
Mag nun die Entscheidung fallen wie sie will, jedenfalls 
würde durch eine Fusion eine beträchtliche Ersparnis in 
den Ausgalien für Beamtengehälter erzielt, und es würden 
dadurch uinuhafte Summeu für öffentliche Arbeiten und 
sonstige gemeinnützige Zwecke frei, die das Wohlergehen 
und den allgemeinen Kulturzustand des Lftndchens 
zu heben geeignet wären. Nun muß man freilich zu- 
gestehen, daß im allgemeinen schon jetzt die Verhältnisse 
recht zufriedenstellend sind: für Volkserziehung ist hin- 
reichend gesorgt , ebenso für Krankenpflege und öffent- 
lichen (icsiindlieitsilienst ; daß das Hecht sorgfältig 
und unparteiisch gepflegt wird, daß alleuthalben Bube 
und Ordnung herrschen, ist Itei einer englischen Kolonie 
selbstverständlich, und die Kriminalität ist nicht hoch, 
wenngleich neuerdings eine Steigerung, namentlich in 
Erntediebstahl, stattgefunden hat. Das V erkehr» - 
wesen kann Iiis zufriedenstellend unerkannt werden, 



") Oberhalb dieser Höhe ist die Krnte unsicher. 
wei«e gebt m:«n freilich bis 520 m hinauf. 



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Missionar tiutmaun: Die Fabe 



namentlich der Post- und Telepboudienst auf Grenada; 
auch die Landwege, vielfach Fahrstraßen, sind auf der 
Hauptinsel in gutem Stande und sind nur im Innern noch 
ungenügend entwickelt. Hin großer Teil des Verkehrs 
wird von kleinen Postdatnpfern besorgt, welche die 
wichtigeren Kostenplätze der Hauptinsel, sowie Carriacou 
auf den Grenadinen regelmäßig anlaufen. Dio besten 
Häfen sind diejenigen von St. George'» (Abb. 2 u. 3), 
der Hauptstadt der Insel f 1 S ! » 1 4919 Einwohner), nn 
der Westküste und von Grenville (1891 lti71l) an der 
Ostküste — letzterer durch ein großes Korallenriff gegen 
den hohen Seegang des Atlantischen Ozeans geschützt; 
Charlottetown oder Goyave ( 1 M91 2 > Einwohner. Abb. 4) 
und Victoria oder Grand Pauvre (1891 1.W4 An- 
wohner) im Westen, Sauteurs (1H!H 1052 Einwohner) 
im Norden haben [jandungsstege, während Hillsborough, 
die Hauptstadt von Carriacou (löül 344 Einwohner), 



iu den Märchen der Wadschagga. 239 



noch keine künstlichen Landungserleicbterungen besitzt. 
Kür den Fremden ist gut gesorgt, indem in St. George 1 « 
und am Grand Ktang im Innern f f>50 tu über d. Meer) 
gute Hotels vorhanden sind , während sonst bei weißen 
Pflanzern gastfreundliche Aufnahme, in den „ Resträumen " 
der Polizeistationen der größeren Ortschaften oder — bei 
Empfehlung — in den gastlichen Räumen eines Klubs 
(z. II. Grenville) «ine gute Unterkunft gefunden wird. 

Da zudem die gesundheitlichen Verhältnisse auf der 
Insel im allgemeinen günstig Bind , so sind die meisten 
Reisenden, die Grenado bauchen, in der besten Gemüts- 
verfassung, um die großen landschaftlichen Schönheiten 
eliensosehr, wie die befriedigenden wirtschaftlichen und 
sozialen Verhältnisse gerecht zu würdigen, und fast alle 
denken daher mit Liebe und Freude zurück an die schöne 
Insel, die zurzeit allein unter allen Kleinen Antillen wirk- 
lich ein glückliches Land genannt werden kann. 



Die Fabelwesen in den Märchen der Wadschagga. 

Von Missionar Gutmann. Masama ( Deutsch-Ostafrika), 



Die Wadschagga haben keine größere zusammen- 
hängende Erzählung, die ül>er den Rahmen eines deutschen 
Marchens hinausginge; sie besitzen auch keinen besonderen 
Stand, der die vorhandenen Lieder, Sprüche und Fabeln 
sammelte, weiter verbreitete und weiter entwickelte. In 
vielen Abweichungen werden daher die alten und neuen 
Schöpfungen der dichtenden Volksseele von den Alten nn 
die Kinder überliefert Oft sind ob nur Bruchstücke, 
die eines Anfunges und eines Schlusses deutlich er- 
mangeln. Das rieht den Neger alter wie die Orientalen 
gar nicht an. Ihm genügt die Beschäftigung seiner 
Phantasie für eine Zeitlang, nach der Pointe fragt er 
nicht. Darum kann eich auch für den fremden Beob- 
achter das phantastische Gewirr dieser oft unverständ- 
lichen Märchen und Erzählungen nur nach jahrelangem 
Forschen lösen, wenn die gefundenen Bruchstücke sich 
zu einem deutlich erkennbaren Gesamtbilde vereinigen 
lassen. Außer bestimmten Kriegs- und Liebesliedern, 
die besondere Ereignisse verherrlichen, legen sie ihren 
kurzen Melodien sehr gern die sehr zahlreichen und den 
meisten geläufigen Sprichwörter zugrunde. Sie sind 
ein kostbarer Schatz reicher Lebenserfahrung und be- 
kunden zugleich in ihrer knappen Gloichnisform eine 
treffende Naturbeobachtung. Jene Fähigkeit, die be- 
sondere Eigentümlichkeit von Tieren und Pflanzen scharf 
zu erfassen und in humorvoller Weise in den Mittelpunkt 
einer kleineu Fabel zu stellen, ist die eigentliche Gabe 
des Mdschagga. Trotzdem fehlt auch nicht das Ho- 
dürfnis, Ungeheuerliches darzustellen, das alle natürlichen 
Maße übersteigt. Die Kenntnis dieser Fabelwesen im 
Dschagifamärchen erscheint mir wichtig für die rechte 
Würdigung der Dschaggasoele und ihre alte Geschichte, 
sonderlich für ihre Beziehungen zu dem großen Ganzen 
dor Menschheit. 

Der größte Sagenkreis spinnt sich um ein Ungeheuer, 
das sie Irimu nennen, Riinu in dun östlichen Dialekten. 
Dieser Name hat gleichen Stamm mit der Bezeichnung 
für dio Geister der Abgeschiedenen: Varimu, und deutet 
schon damit auf etwas Ungeheuerliches, von niensch- 
lichum Sinn nicht völlig zu Krfusseudoi hin. Von seiner 
Größe kann man sich mittelbar einen Begriff bilden, 
wenn von ihm erzählt wird, daß er dio Menschen samt 
ihren Häusern auf einmal verschlingt.. In einer Er- 
zählung erscheint er als ein riesenhafter Leopard mit 
nenn Schwänzen, der ein Mädchen errettet, wofür sie 
seine Frau werden muß. Er führt sie immer höhur hin- 



auf in die Berge, und immer wieder fragt er hie, ob sio 
das väterliche Haus noch sehen könne. Endlich ent- 
schwindet auch der höchste Baum am heimischen Gehöft« 
ihrem Blick, uud nun kommen sie an einen Felsen, der 
sich auf ein Wort des Irimu von selber öffnet. Ikirt 
haust das Untier und verzehrt die Menschen, die es auf 
seinen Streifzögeu erbeutet«; seiner Frau aber gibt er 
die gemästeten Schafe und Ziegen, damit sie recht fett 
werde. Als sie ihm gemästet genug erscheint, geht er 
aus, seine Freunde und Nachbarn zum leckeren Mahle 
einzuladen. Unterdessen kommen die Brüder des Mäd- 
chens zufällig an den Felsen, finden ihre Schwester und 
bereden sie zur Flucht. Sie bestreicht alle Stellen des 
Felsenhauaes, Schwelle, Decke und Boden und alle Geräte 
mit einem Zauber, der ihnen Stimme gibt, daß sie, wenn 
des Mädchens Name gerufen wird, antworten: hier bin 
ich. Sie selber beschmiert sich mit Asche und Unrat 
und entflieht so dein Hause. Unterwegs begegnet sie 
den Geladenen, die jeder ein Scheit Holz tragen, um das 
Fleisch zu kochen. Sie kommt aber unerkannt nach 
Hause. Solcher Entführung*- und Verführungsgesohichten 
gibt es viele, nnd sie enden meist ebenso glücklich. Dioses 
Ungeheuer besitzt nämlich die Fähigkeit, sich in einen 
Menschen zu verwandeln. So zeigt es sich als Weib 
z. B. einem jungen Häuptlingssohne, der auf seine sohöne 
Gestalt unmäßig eitel ist uud sich darum trotz alles 
Suchens nioht zur Heirat entschließen kann, weil keine 
der Landesscbönen seiner Schönheit würdig erschoint. 
Aber die Schönheit des fremden Weibes betört ihn völlig, 
und er bringt sin auf den Hof des Vaters bis zur baldigen 
Hochzeit. Hier wird aber ihr eigentlicher UiarAkter 
noch rechtzeitig erkannt, als sie nachts im Hause heim- 
lich Mäuse fängt und lebendig verschlingt. Unter der 
Vorspiegelung, Feinde kommen, und es geschehe zu ihrer 
Sicherheit, wird ringsum das Haus verrammelt und an- 
gezündet. I'as Gegenstück hierzu ist das betrogene 
junge Mädohen. Es trifft mit dem Irimu an der (Quelle 
zusammen, wohin es Wasser schöpfen geht, und verliebt 
sich leidenschaftlich in ihn. Ihre Eltern erfahren von 
den Zusammenkünften, fordern sie auf, den Liebhaber 
ins Haus zu bringen, und kochen das zur Verlobung 
uötige Bier. Das Mädchen singt ihm sohon von weitem 
die Einladung zu. 

Er aber singt ihr entgegen : „Wenn ich komme, so 
fresse ich dich und deine Eltern und das ganze Volk 
samt ihren Häusern." Das Mädchen nimmt es für Scher/. 



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iMO Missionar Uutmann: Die Fabelwesen in den Mur«.h. n der Wadschagga. 



und wiederholt ihre Aufforderung. Nun stürzt der lrimu 
in seiner wahren Gestalt hervor und kommt zugleich 
mit dem fliehenden Mädchen auf dem Hofe doR Vaters 
an, wo dio Verwandten gerade mit dem Schlachten des 
Festtieres beschäftigt sind. Der lrimu frißt Meuschau 
und Tier mit eiuom Malo auf und vermehrt da» ganze 
Land. Nur einer einzigen Krau gelingt es, sich mit 
ihrem Siiugliug iu eine Kriegshtihle zu flüchten, wo sie 
sich verborgen hält. Sie erzieht den heranwachsenden 
Knaben nur in dem einen Gedanken, das vernichtete 
Geschlecht an dem lrimu zu rächen. Dessen ganze Seele 
ist von dem Vorlangen nach Rache erfüllt. Als er mit 
seinem Bogen das erste Tier erlegt, einen kleinen Sonnen- 
vogel, spricht er: „Ich habe den lrimu getötet!" und 
legt seine Deute stolz vor den Kingang der Höhle. So 
erlegt er mit wachsenden Kräften die verschiedensten 
Tiere von immer größeren Dimensionen bin zum Hefanten, 
aber itumor wieder belehrt ihn die Mutter, daß das der 
lrimu noch nicht ist. Kr fertigt sich eine Unmenge 
Pfeile mit eisernen Spitzon, und als er endlich mit dem 
lrimu zusammentrifft, verschießt er Bio alle auf ihn. Das 
Ungetüm nennt seine Pfeile, die ihm den Leib spickeu, 
verächtlich Stechfliegen, »her als er fast alle seine Pfeile 
schon verschossen hat und der lrimu ganz nahe ist, ge- 
lingt ihm der tödliche Schuß in den Kopf. Sterbend 
bittet ihu der lrimu, er solle doch kein Haar aus seinem 
Kopfe ziehen. Da» tut aber der Held selbstverständlich, 
und mit jedem Haare kommt ein Mensch oder ein Tier 
zum Vorschein, das vom lrimu verschlungen worden war, 
und der Jüngling wird Häuptling des wunderbar wieder- 
bevölkerten Landes. 

Uber diesen Kampf mit dem Ungeheuer gibt es vielu 
Varianten, aber schließlich Biegt immer menschliche List 
und Gowandtheit über den Kraftkoloß. 

Außer einigen Andeutungen finden sich keine eigent- 
lichen Beschreibungen seiuos Aussehens. In einem Kalle 
wird recht anschaulich geschildert, wie sich einige Kinder 
beim Suchen nach verlorenen Ziegen verirrt haben und 
nun ratlos am Wegrande stehen. Ks ist schon dunkel. 
Plötzlich steht ein ungeheuer großer Mann vor ihnen, 
kohlschwarz mit blendend weißen Zähnen, mit Speer und 
Schild und einem langen Kriegerzopfe. Der rodet freund- 
lich zu den Kinderu herunter und will sie in sein Haus 
bringen. Damit leitet sich wieder eine dieser Menschen- 
fressergescb ich teu ein. 

Ganz ungezeichnet läuft zwar der lrimu auch in 
Menschengestalt nicht umher. Wer nur recht zusehen 
will, besonders wenn er sich bückt, wird sehen, daß er 
im Nacken einen zweiten Mund hat. 

Die ursprüngliche Meinung ist wohl, daß ein Menschen- 
kind durch Zaubergewalt in ein solches Ungeheuer ver- 
wandelt wurde, etwa, weil es rituelle Vorschriften nicht 
beachtete. Dafür zeugt folgende Geschichte, aus der 
zugleich hervorgeht, daß uiue Zorückverwandluug des 
Verzauberten möglich ist. „ Männer veranstalteten ein 
Schlachtfest und führten ciueu Stier mit sich, um ihn 
in der Steppe zu schlachten. Zuvor aber gingen sie 
zum Wahrsager, damit er ihnen jedes Stück sago, dessen 
Genuß ihueo etwa schädlich wäre. Der Wahrsager 
sprach: .Wenn ihr das Fett des Tieres kocht, so hebt 
nichts auf von allem, was aus dem Kochtopfe auf die 
Krdo fallt. Wor etwas davon aufhebt, wird in ein wildes 
Tier verwandelt werden. - Sie schlachteten nun den Stier 
und richteten das Fleisch her. Kiner der Männer kochte 
das Kett, und als ein Stück Fleisch aus dem Topfe zur 
Krde fiel, hob er e« auf uud uß es. Kr hatte einen 
Bruder, der auch mit in der Schlachthütte war. Den bat 
er: „Geh und bringe mir Gras zum Nachtlager." Der 
brachte ihm die weichsten Gräser und Zweige. Aber 



das gefiel jenem nicht, sondern er ging nun selber mit 
seinem Bruder ins Gebüsch und sprach zu ihm: «Geh 
und schneide mir Aste und Zweige der Schirmakazie " 
(die über uud über mit fingerlangen starken Dornen be- 
setzt sind). Der Bruder gehorchte und brachte ihm die 
doruenbeseUten Äste der Schirmakazie. Auf diese Dornen 
legte er sich schlafen. Sie stachen ihn allenthalben, und 
aus jeder Wunde wuchsen Dornen aus seinem Fleiacho 
heraus. So bedeckt« sieb sein ganzer Leib mit Dornen 
und Zweigen in Menge. Und er sprach zu seinem Brnder: 
„Fliehe, ich habe mich in einen Kirau verwandelt, gehe 
nach Hause, uud wenn Feinde ius Land kommen, so 
sage es mir, ich will sie vertreiben." Und der Bruder 
erhob sich und ging nach Hause. Der andere aber blieb 
im Busche und lebte von Vögeln, Menschenfleisch und 
allen Tieren dor Steppe; das war seine Nahrung. Feinde 
kamen und schleppten alles Vieh des Mannes fort, dessen 
Druder ein Kitnu geworden war. Kr ging und rief seinen 
Bruder zu Hilfe. Der sprach: »Wohin soll ich dich ton? 
Gehst du vor mir, so werde ich dich fressen, gehst du 
hinter meinem Rücken, so werde ich dich auch fressen. 
Deshalb bitte ich dich, gehe schnell recht weit voraus 
und bleibe ja nicht in der Nähe!" Sein Brnder gehorchte 
und lief weit voraus. Der andere folgte ihm und suchte 
die Keinde auf. Und wie er ging, wandelte ein hoher 
dichter Busch dahin, denn aus seinem ganzen Leibe war 
ein dickes Dornengestrüpp hervorgesproßt. Er fraß alle 
jene Leute auf, samt all ihrem Vieh. Als er damit bis 
aufs letzte fertig war, kehrte er nach Hause zurück. 
Sein Bruder aber befragte den Wahrsager, und dort 
wurde ihm gesagt: „Gehe hinter deinem Bruder her und 
zünde den Dornenbusch mit Keuer an." Kr gehorchte 
und zündete seinen Brnder an. Hell flammte es auf, und 
als die Dornon niedergebrannt waren, verwandelte sich 
jener Riniu wieder in einen Menschen, wie er zuvor war." 

Aber auch diese Schreckgestalt hat der Volkshumor 
doch nicht ganz ohne freundlichen Zug gelassen. Wenn 
ein Kind geboren ist, sagt man den kleineren Geschwistern : 
„Der lrimu hat es aus dem Urwalde ins Haus gebracht. 
Jetzt ist er noch im Hause, geht ja nicht hinein.'* Erst 
am vierten Tage wird nämlich das Neugeborene seinen 
Geschwistern gezeigt, weil der lrimu nun dos Haus ver- 
lassen habe. 

In einer einzigen Krzählung finde ich oin anderes 
Fabelwesen dargestellt, das an das Einhorn der Alten 
erinnert. Ks ist ein großor Hirsch, dessen einziges Horn 
einen köstlichen süßen Saft enthält. Sie nennen es 
Songoina. Ich will hier einfach dio Krzählung wieder- 
geben. Kiu heimatloser Waiseuknabe wurde von einem 
Gerber namens Lyamasara aufgenommen und mußte dio 
Kiudor warten. Dieser Lyamasara grub eine Kallgrube 
in Reiner Hütte und deckte ein Kuhfell darüber. Danach 
ging er in den Garten und ließ den Knaben im Hause 
zurück mit dorn Auftrage, ihn sofort zu rufen, wenn oin 
Fang geglückt sei. So kommt zuerst ein Hundsaffe and 
bittet um Kouer von der Keuerstdle. „Geh und nimm 
dir!" „Tue zuerst das Fell weg, damit ich nicht darauf 
trete!" „Tut nichts, tritt nur zu, mein Freund!" Dor 
Huudsaffe tritt darauf — rii, rutscht er in die Tiefe. 
Der Knabe ruft: „LyamaBara, Lyamasara!" Lyamasara 
fragt zurück: „Was hat sich gefangen?" „Kin Hunds- 
affe." „Iß ihu selber, das ist eine Laus für das Kind!" 
(Die Miidchen besonders verzehren mit Vorliebe das Un- 
geziefer aus ihren Gewändern.) Auf diese Weise werden 
noch der Klefant und verschiedene andere Tiere ge- 
fangen. Schließlich kommt auch das Songoina und fällt 
iu die Grube. Der Knabe ruft: „Lyamasara, Lyamasara!" 
Songoina ruft: „Sei still, sei still." „Lyamasara, Lya- 
masara." „Sei still, sei still!" Und Songoina spricht 



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Missif.uar (iutmann: Die Fabelwesen in den Märchen der Wadsohagga. 241 



xu dem Knaben: „Offne mein Horn und trinke das Fett 
darin!" Der Knabe öffnet das Horn, wie man ein Gefäß 
abdeckt, und trinkt das süße Fett, dann gab er dem 
Tiere die Freiheit. Hin weniges aber von dem Fett war 
auf die Erde getropft. Als nun Lyainasara herbeikam, 
spraoh der Knabe: „0, es ist nichts, nur das Kind hat 
geschrien." Der Mann bemerkte jedoch das Fett auf 
dem Hoden und fragt: „Was bedeutet aber das Fett hier 
unten?" «Das ist Mark aus einem Schweineknochen." 
Der Mann holt einen Scbweineknochen und «erschlägt 
ihn, aber das Mark darin glich nicht dem Fette am 
Boden. So sucht sich der Knabe durch die Nennung der 
verschiedensten Tiere zu retten, aber die Probe fallt 
immer zu seinen Ungunsten ans. Kndlich überführt er 
ihn mit einem Songoinaknochen. Am anderen Morgen 
befiehlt er ihm, Seil und Honigbutte zu nehmen, und 
geht mit ihm in die Steppe, um die Butte dort aufzu- 
hängen. Lyamasara warf das Seil auf einen hohen Baum 
und befahl dem Knaben, daran emporzuklimmen. Als 
er aber oben war, zog er das Seil schnell herunter und 
schnitt ihm so den Rückweg ab. Mit den Worten: „Das 
ist für das Songoina" überließ er ihn seinem Schicksale. 
An jener Stelle aber war eine Wasserlache, und die Tiere 
der Steppe kamen dahin, sich zu baden. Eiu Elefant 
kam und sprach: „Dies ist mein Schatten im Wasser, 
aber dieser Spieß und dieser Schild, wem gehören die?" 
I)er Knabe sprach: „Sie sind mein, Herr. Weil ich das 
Songoina befreite, bin ich hier ausgesetzt" Der Elefant 
schlug an den Baum und sprach: „Hast du Songoina 
gerettet, so hast du es nicht mir getan", und ging seiner 
Wege. Wie der Elefant sprachen auch die anderen Tiere. 
Zuletzt kommt auoh Songoina nnd spricht: „Dieser 
Schatten im Wasser rührt von mir her, aher wem gehört 
dieser Schild nnd dieser Speer?" Der Knabe ruft: „Mir 
gehört er, und weil ich das Songoina rettete, sitze ich 
hier." Zweimal singt er so. Da erkennt ihn das Son- 
goina und singt: „Horn des Herrn, empor, empor, bis 
zur Sonne, empor, empor, big zum Himmel." Bei diesen 
Worten wächst das Horn in die Höhe, bis es so hoch ist 
wie der Baum, auf dem der Knabe saß. Den forderte 
es nun von neuem auf xu öffnen und zu trinken. Der 
Knabe trank und erbrach darauf die vor Hunger ver- 
zehrten Blatter und Zweige. Dann trank er wieder und 
sattigte »ich. Hierauf klammerte er sich an das Horn 
an, und das Tier sang wieder: „Horn des Herrn, nach 
unten, nach unten, erreiche den Boden, Horn des Herrn, 
nach unten, nach unteu, erreiche die Erde." So brachte 
es ihn glücklich auf die Erde herunter und errettete ihn 
von dem sicheren Tode. Der Knabe aber betrog das 
Tier und sprach: „Geleite mich doch bis nach Hause!" 
Songoina ging mit ihm, und er üborlicferte es dem Lya- 
luasara. 

Zahlreich sind wieder die Märchen von einer un- 
geheuer großen Schlange, Mnlyimo genannt. Nach einer 
Erzählung schlingt sie sich rings um den Horizont (nach 
dem (Hauben der Leute die Weltgrenze) und ragt mit 
ihrem Kopfe in den Himmel auf. 

Nach anderen hat sie ihre Wohnung in einer tiefen 
Höhl«, die durch den Brand eines alten Affenbrotbaumes 
entstanden ist. Vier Jahre dauerte es, ehe dessen Wurzeln 
ausbrannten, und das dadurch entstandene Loch ist so 
tief, daß drei Monate vergeben, ehe ein fallender Körper 
auf dem Grunde der Höhle anlangt. In der heißen Zeit 
verläßt sie ihre Steppenwohnung und siedelt in den Berg- 
wald des Kilimandscharo hinauf, aber in solcher Höbe 
zieht sie vorüber, daß man sie nicht wahrnehmen kann. 
Der Häuptling von Madschauie sandte einst seine Krieger 
aus, um Bich nach diesem Wundertiere zu erkundigen. 
Sie fanden die Schlange auch und gingen tagelang an 



ihr fort, bis zuletzt ihr Speisevorrat auszugehen drohte 
nnd sie umkehren mußten. Aber ein Ende des Tieres 
war noch nicht abzusehen. 

Von den zahlreichen Erzählungen sei eine recht an- 
schauliche wiedergegeben. „Saßen einmal zwei Männer 
in der Steppe und aßen Honig. Einer von ihnen ersah 
sich einen Platz mit üppigem Grase und setzte sich da- 
hin. Kaum saß er, so fiel er in die Tiefe, drei Monate 
brachte er so im Fallen zu. Als er nach unten kam, 
sperrte die Molyimo ihren Rachen auf, um ihn zu ver- 
schlingen, denn sie glaubte, es sei Fleisch, das ihr der 
Eheberr zuwerfe. Aber der Mann fing an zu bitten und 
sprach: „Laß mich los, ich will eure Kinder warten." 
Da» gefiel ihr, und sie legt« ihn vor den Kleinen nieder. 
Unterdessen brachte der Kheherr Fleisch und warf es ihr 
hinunter. Als er aber selber nachgestfegen war, war 
ihm nicht so viol aufbehalten worden als sonst. Er fragte 
sein Weib: „Warum bast du mir nicht so viel aufgehoben 
als früher?" Sie sprach: „Wir müssen jetzt mit dem 
Kinderwilrter teilen." „Zeige ihn mir!" Er betrachtete 
den Menschen, und sie redeten miteinander und sagton: 
„In drei Jahren wollen wir ihn fressen." Jene Molyiroo- 
Kinder aber sagten es ihm wieder und sprachen: „So 
und so haben wir gehört, aber suche dir nun eine starke 
Rippe und mache sie spitz. Wenn er nun wieder empor- 
steigt, so klammere dich an seinen Leib. Hörst du aber, 
daß er umkehren will, dann stich ihn mit der Rippe, 
damit er weiter steigt." Und er tat so, wie es ihm die 
Kinder wiesen. Nucb zwei Jahren merkten die Kinder, 
daß er wieder Speise zu suchen gehen wolle. Der älteste 
bat ihn: „I.aß mich mit dir gehen." Aber der Vater 
sprach: „Nein, wenn du jetzt schon nach oben kommst, 
kannst du nicht weiter wachsen." Die Kinder aber 
sprachen zu dem Menschen: „Nun komm, wir wollen dich 
hoch heben, daß du dich an seinem Rücken festhalten 
kannst." So taten sie auch, als der Molyimo in die Höhe 
stieg, und der Meusch klammerte sich an seinem Leibe 
fest. Als er es wahrnahm, gedachte er umzukehren, aber 
der Mensch stach ihn mit jonor Rippe, daß er weiter 
steigen mußte und ihn schließlich oben auf die Erde 
warf. Der Mensch entfloh, so schnoll er konnte, und weil 
der Molyimo mit seinem Haupte über die Wolken ragte, 
konnte er ihn nicht sebeu und wieder fassen. So kam 
er zu den Seinen zurück. Die aber flohen bei seinem 
Anblick und dachten, es wäre sein Geist. Und seit jener 
Zeit sah er so hell ous wie Kupfer, weil er so lange in 
der Molyimohöble gewesen war." 

Von diesem Fabeltiere ist streng die am Kilima- 
ndscharo zahlreich hausende Pythonschlange (saro ge- 
nannt) zu scheiden, die eine Länge bis zu 9 m erreicht 
und vou der die Wadschagga auch viele Geschichten 
erzählen, in denen das Tier aber durchaus korrekt be- 
schrieben wird. In einem Märchen wird von einer Schlange 
erzählt, die drei Köpfe gehabt habe, einen aus Eisen, 
einen aus Messing und einen aus Kupfer. Sie entvölkerte 
ein ganzes Land, bis ein dahin verschlagener Held namens 
Parasahani sie mit 4000 Schwertern und seinen 200 
Hunden erlegte. (Diese Geschichte ist aber wahrschein- 
lich suaheli- arabischen Ursprunges.) 

Auch von einer ungeheuren Wasserschlange erzählen 
sie, die sieb in ihren Teichen verborgen halte und so 
lang sei, daß sie immer noch nicht völlig dem Wasser 
entstiegen ist, wenn sie schon alle Bäume des ganzen 
Landes mehrfach umschlungen hat. 

Ein Ungeheuer anderer Art ist dos Riesenrind Räli. 
Oben am schneebedeckten Kibo soll sich eine gewaltige 
Höhle befinden, in der eine Kuh von ungeheuren Di- 
mensionen mit dem Kopfe gegen das Innere der Höhle 
steht. In deu Zotteln ihres Schwanzes l>etindet sich ein 



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•J42 Missionar Gulrnanu: Die Fabelwesen iu den Märchen der Wadachagga. 



süßes, wie Honig schmückendes Fott. Aber wer es zu 
gewinnen sucht, wagt sein Leben. Zwar dauert es eine 
ganze Weile, ehe das gewaltig« Tier sich völlig herum- 
gedreht hat, aber dann stößt es ein Hrummen aus, dessen 
Hauch wie ein Orkan zur Steppe hinuntertobt und die 
Frevler durch die Luft dahinscbleudert. Am Leben dieser 
Kuh hangt die Wohlfahrt der Welt; denn würde sie ge- 
tötet, so konnte die Sonne nicht mehr durch die Wolken 
dringen, und in immerwährendem Hegen müßte die Welt 
untergehen. IHe Meinung ist, daß die Sonne (oder Gott) 
Ton ihrer Milch ihre Kraft erhalte. 

Wie sich für den Kundigen in den Torstehenden Ab- 
führungen Anklänge genug an die alten Sagen ver- 
schiedenster Kulturvölker finden, so sei auch noch eine 
Erzählung wiedergegeben, die an den homunculus erinnert. 
Kin Mann hatte keinen Sohn. Deshalb ging er zum 
Wahrsager uud holte sich Rat. Der sagte ihm: »Schlachte 
eine scheckige Ziege, lege ihre Gebeine in den Bananen- 
hain hinaus und sende ein noch unverlobtos Madeheu 
hin, daß es alle Tage nachschaue, ob sich die Gebeine 
zu einem Mentchenkinde verwandelt haben. " Da* tat 
er alles, und täglich ging das Mädchen hin und sab nach, 
Eines Tages sab es, daß ein Fuß gewachsen war, am 
nächsten Tage fand es auch den anderen Fuß vor, und 
so wuchsen und wurden alle Glieder. Zuletzt kam es 
und sagte den Kitern: .Heute müssen wir ihn holen, 
denn es ist ein Mensch geworden." Der Vuter nahm ein 
Kubfell und eine Ziege mit, die er zuerst an jener Stelle 
opferte. Dann legte er das Knablein auf das Kuhfell, 
trug es nach Hause und nannte es Mnaro, d. h. „der 
geschont wird". F.r ließ Muoro die Kinder hüten uud 
sprach zu ihm: »Von der Kuh, die Milch gibt, trinke du 
nur, mein Sobu." Darauf ging der Vater auf die Heise, 
und Mnaro hütete die Rinder und trank ihre Milch auf 
der Weide. Wollte dann abends die Mutter melken, so 
war es immer vergeblich. Sin band das Kalb im Hause 
an, damit es nicht auf der Weide saugen könne. Das 
half ihr alter auch nicht*. Nun wußte sie, dtiß Mnaro 
ihr die Milch wegtrinke, und sie sprach: »Die Ziegen- 
gebeine trinken meine Milch." Das Kalb hörte diese 
Worte, machte sich los, lief zu Mnaro auf die Weide und 
sprach zu ihm: „Erzähle mir von der Weide, und ich 
will dir sagen, was daheim geschieht" Mnaro sprach: 
„Gut, trinke orst von dieser Kuh." Das Kalb sättigte 
sich und sprach darauf zu ihm: „Jenes Weib daheim hat 
dich boschimpft. Es sagt: Jene Ziegen gelwine trinken 
meine Milch." Mnaro trieb die Rinder heimwärts und 
sprach zu der Frau: „Sage ,los!' zu mir, dann zerteile 
ich mich!" Die Frau sagte wirklich: „Los'" Sofort 
sprang ur auf dun obersten Türpfosten und liel ausein- 
ander. Die Frau erschrak und bat ihn, sich wieder iu 
einen Menschen zu verwandeln. Das tat er, kehrte zu- 
rück und hütete Heine Kinder. Als die Frau am nächsten 
Tage wieder keine Milch bekam, sprach sie wiederum: 
„Jene Ziegengelieine trinken meine Milch auf." Das 
Kalb im Hause machte sich los und erzählte das dem 
Mnaro, der es dafür saugen ließ. Danach trieb er heim 
uud sprach zu der Mutter: .»Sage Jos!' zu luir. dann zer- 
teile ich mich!" Sie sagte: „Los!" und er zerfiel aufs 
ueue in lauter einzelne Kuochen. Die Frau bat ihn, sich 
wieder zu verwandeln, aber er weigerte Rieh. Sein Kopf 
fiel zu Boden und rollte zur Türe hinaus und immer 
schneller auf dem Wege fort. Die Frau lief hinterher, 
konnte ihn aber nicht fassen, und wie sehr sie auch bat, 
er möchte doch wieder heimkehren, er lehnte es ab uud 
sagte: „Ich will meinem Vater eiitgegengeheri. u So rollte 
der Schädel immer weiter und be^e^nete vielen Leuten, 
die verwundert fragten: „Wessen Schädel i*t denn das?" 
Aber der Schadet sprach „Ich bin kein (Toten-) Schädel, 



sondern ich war ein Mensch, und nun gebe ich meinem 
Vater entgegen, der von L'gonu kommt" Zuletzt be- 
i gegnete er seinem Vater selber. Der fragte auch : „Wessen 
Schädel ist denn das?" Und der Schädel sprach: „Ich 
bin kein Schädel, sondern war ein Mensch, aber meine 
Mutter hat mich beschimpft und Ziegengebeine genaunt." 
Als der Vater dies hört«, hob er ihn auf, trag ihn nach 
Hause und fragte die Frau: „Wo ist Mnaro?" Sie sprach: 
.Seit vorgestern habe ich ihn nicht gesehen." Er ging 
zu seiner anderen Frau, nnd anch sie sagte: „Seit langem 
habe ich ihn nicht gesehen." Darauf ging er zur ersten 
Frau zurück und tötete sie samt ihrem Vieh, tötete dann 
auch die andere Frau uud sein ganzes Geschlecht, und 
zuletzt erstach er sich selbst. Dieses Märchen findet 
sich wieder als Einleitung zu größeren Irimusagen, 
während sein Hauptmotiv, nämlich die Kntstehung eines 
Kindes aus Ziegengebeinen, noch sonst verschiedentlich 
variiert wird. 

Ganz merkwürdig aber ist jenes Fabelwesen, das die 
Wadscbagga Nridnsi oder Muridosi nennen: „Baum der 
Unterwelt". Es ist ein graues Rauchgebilde, da» wie ein 
Baum aus einem Teiche in die Höhe wächst und bald 
den ganzen Himmel überzieht, daß die Sonne nicht mehr 
sichtbar ist nnd der helle Mittag sich in Nacht ver- 
wandelt. „Wenn der Nridosi am Himmel steht, gibt es 
weder einen Morgen noch einen Abend." 

Jeder Gegenstand, den man angreift verwundet nnd 
verschlingt: die Türpfosten, die Früchte der Bananen- 
staude, kurz, die harmlosesten Gegenstände werden ge- 
fährlich wie reißende Tiere. Nridosi ist es, der ihnen 
diese Kraft verleiht Dio Rettung liegt in einem mutigen 
Herzen und einem scharfen Schwert. Wenn es gelingt, 
deu Nridosi dort, wo er aus dem Teiche aufwächst, zu 
durchhauen, vergeht er schnell, und normale Zustände 
kehren zurück. Doch sei es nun lange her, als er das 
letzte Mal sichtbar war. Ms ist kaum von der Hand zu 
weisen, daß dieser Fabel oine wirklich beobachtete Natur- 
erscheinung zugrunde liegt, ein kosmischer Nebel etwa. 
Z. B. halten sie auch den Rcgeubogeu für ein lebendiges 
Wesen, das ans einem Teiche an den Himmel emporsteigt. 

Auch sonst mag sich die Entstehung mancher Fabel- 
wesen auf beobachtete Vorgänge zurückführen, die man 
sich nicht zu deuten wußte. Es wird viel zu wenig be- 
achtet , wie unbedingt der Naturmensch im Hanne der 
Wahrnehm ungstaUacheu steht, obwohl doch auch der 
Kulturmensch sie nur durch die exaktesten Unter- 
suchungen, sonderlich auch seiner eigenen physiologischen 
Dispositionen, zu korrigieren imstande war. So führen 
sich auch viele fubelhafte Züge an ihnen sonst ganz be- 
kannten Tieren auf falsche Schlüsse aus einer Beob- 
achtung oderuuf ungenügend beobachtete Vorg&ngezurück. 
Z. B. behaupten sie vom Hundspavian, daß er das Herz 
der Menschen uud Tiere aus dem Leihe reiße und ver- 
zehre. Sogar Europäer fand ich, die dieser Behauptung 
nicht alle Glaubward igkeit absprachen, weil sie nämlich 
auch l>eobachteten, daß alle vom Hundsaffen gerissenen 
Wuudeu auf der linken Brustsuit« in der Nähe des Herzens 
saßen. Das erklärt sich aber völlig aus der rammelnden 
Angriffsweise des Affen, d. h. er umfaßt die Brust seines 
(iegners und wirft ihn mit seinem Kopfe, mit dem er 
gegen die Brust stößt, nieder. Wenn er nun beißt, kann 
er das nirgend» anders, als an der genannten Stelle. 

Vt.n der Riesenschlange erzählen die Wadschagga, 
daß sie die gelben, etwa pllauinengroßen Frücht« eines 
Nachtschattengewächse* sammle und sich schützend dar- 
über lege, denn das wären ihre Rinder, und wem es ge- 
lingt, eine dieser Früchte zu rauben, der komme zu großem 
Reicht um. Ks ist aber ein lebensgefährliches Unternehmen 
uud bedarf vorher besonderer Schutzimißregeln. Die 



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Wirtschaftliche Verhältnisse im östlichen französischen Ozeanien. 



243 



einfache, ungenügend beobachtete Tutsache aber ist, daß 
die Riesenschlange ihre Eier «elber ausbrütet und selbst- 
verständlich vor jeder Annäherung des Menschen tapfer 
behütet. 

Kine harmlose Blindschleiche, schwarz, von ausgebildet 
walzenförmiger Gestalt, so daß Kopf und Schwanz durch 
keine Verdickung und Zuspitzung des Körpers kenntlich 
sind (wenigstens für die flüchtige Beobachtung), uennen 
sie: Llaaa-kuvi, d. h. die an zwei .Stellen beißende; denn 
sie glauben, das Tier habe zwei Mauler, und darum 
fürchten Bie es sehr. Dieser (Haube ist übrigens an- 
scheinend in ganz Oatafrika verbreitet. 

Kine andere Kategorie von Fabeln kann mau kurzweg 
als Suaheli- und Araberlügen bezeichnen. Bis ihnen die 
Deutschen das Handwerk legten, hatten die Suaheli- 
handler und Araber an der Küste lebhafte Beziehungen 
su den Dschaggafürsten, bei denen sio weißes und 
schwarzes Elfenbein gegen Gewehr und Pulver oder Zeug 
und Perlen einhandelten. Um sich nun ein Ansehen zu 
geben, und vielleicht auch durch die Dumnigläubigkeit 
der Leute verführt, haben sie ihnen manches Märchen 
aufgebunden. Z. B. die Elefautenzahne müßten sie an 
das Ende der Welt schaffen, um den Himmel zu stützen, 
daß er nicht auf die Erde falle. Arabisches Feuerwerk 
brannten sie vor den erstaunten Leuten los und sagten 



dann, wenn sie nur wollten, könnten sie mit einem ein- 
zigen Funken das ganze Land in die Luft sprengen. 
Noch heute erzählt man sieh von einem eigentümlichen 
Beförderungsmittel der Suaheli. Drunten im Weltmeere 
lebe ein ungeheuer großer Taschenkrebs. Auf den Kuf 
der Suabelihorron komme er gehorsam aus der Tiefe 
empor, lasse sie auf seinem breiten Rücken Platz nehmen 
und trage sie dann über das Wasser, wohin sie nur 
wollten. Auf diese Weise waren sie auch an das Gebirge 
heran bis au den Dschipesee gekommen. Als dann in- 
folge der politischen Umwftlzuugen jene Häudtur aus- 
blieben, sagten die Leute, jener Krebs sei unmutig ge- 
worden und habe seine Passagiere alle ins Meer versenkt. 
Das sei geuug von diesen Kiullüssen. 

Andere Krzählungen sind sicher das gemeinsame Be- 
sitztum einer größeren Völkergruppe, wie sich z. B. die 
Krzäblungpn von der Schlange Molyimo ebenso auch bei 
den Masai finden. 

Ks sind schließlich nur Einzelheiten und nebensäch- 
lichere Erzählungen, die sich „erklären" lassen, die 
Hauptgestalten ihrer Fabelwelt werden sich doch als 
Geschöpfe einer fröhlich schaffenden kindlichen Volks- 
phantasie bewahren, die über den wunderlichen Er- 
scheinungen des Lebens ihr wunderlicheres souveränes 
Heich baut. 



WfrtMhafUlch« Verhalts!»»* Im östliche« fratuBäliwlien 
Ozeanien. 

Die französi sehen Besitzungen im östlichen Teile des 
Großen Ozeans umfassen die Gesellsehaftsinseln, die Tuamotu, 
die Marke»« und Gambierinsein , im ganzen etwa hundert 
Kilaml« v<>n verschiedener Ausdehnung und verschiedenem 
Werte. Über sie hielt zu Beginn dieses Jahres in der Pariser 
geographischen Gesellschaft der Kolonialbeamte Henri Cor 
einen Vortrag, dem wir nach einem Berichte darüber in „La 
Geographie' (Februar 1907) einiges entnehmen. Die diirt be- 
rührten Verhältnisse erinnern in mehrfacher Beziehung an 
die I.Age auf den deutseben kleineren 8ndseeinseln. 

Der Boden der Inseln ist überall äußerst fruchtbar und 
kann alle tropischen Produkte hervorbringen. Trotzdem 
erstreckt sich der Export au vegetabilischen Stoffen nur auf 
Knpra und Vanille. Die Kokospalme, die die Kopra liefert, 
gedeiht am besten auf dem Bandkranz der Atolle der Tuamotu, 
wo sie von katholischen Missionaren eingeführt worden ist. 
I>och verdirbt die Hälfte der Nüsse aus Mangel an Arbeitern. 
Allein die Insel Anaa erzeugte vor dem verheerenden Zyklon 
vom Februar 1906 jährlich 20O t Kopra. Sehr ansehnlich 
sind auch die Kokoskulturen auf Tahiti, Moorea, den Inseln 
nnter dem Winde und den Markesas. Dagegen sagt das zu 
kühle Klima der Gambierinsein uud Rapas der Palme nicht 
zu. Der Gesamtexport an Kopra von allen Inseln belauft 
sich auf MOOt jahrlich. Vom siebenten Jahn' nb verzinst 
sich das Kapital, das in Kokosplantageu angelegt wird, mit 
12 bis 15 Pro»., doch mufi man, um aus einer solchen Pflanzung 
wirklichen Nutzen zu ziehen, über 50(>üO Fr. verfügen. 
Leider hat auf den Tuamotuinseln die Kokospalme eine 
Krankheit befallen, die sich in besorgniserregender Weise ober 
alle übrigen Teile der Kolonie verbreitet; daher macht Cor 
auf das Bedenkliche aufmerksam, da« in dein Umstände liegt, 
daB Kolonisten wie Eingeborene sich fast ausschließlich auf 
die Kopraproduktion verlegt haben. 

Die Vanillekultur ist auf das eigentliche Tahiti beschränkt. 
Die Ausfuhr erreichte in den letzten Jahren die nicht un- 
beträchtliche Höbe von 150t, über das Produkt ist von sehr 
untergeordneter Qualität, und so ist infolge des starken Preis- 
rückganges die Kultur jetzt fast ganz aufgegelien. Die ge- 
ringe Qualität ist auf das Pflücken vor der Reife , eine ver- 
kehrt« Zubereitung, auf das übermal] der Produktion uud 
einen Heliotropgvruch zurückzuführen. Zur Besserung der 
Dinge schlägt Cor strenge Verwallungsmaßnahinen vor. 

Neben diese u beiden Produkten für den Export — meint 
Cor — könnte die Kolonie aber auch noch andere hervor- 
bringen. Dazu rechnet er die Baumwolle. Zur Zeit des 
amerikanischen Sezessionskrieges bestand bereit* auf Tahiti 
und den Markesas eine vielversprechende Baumwollkultur, 
aber die Pflanzer waren so unvorsichtig, durch Einführung 



anderer Arten die Qualität im Interesse der Quantität zu 
verschlechtern, und so verschwand sie wieder. 1904 wurde 
■«sonders auf den Inseln unter dem Winde mit neuen Anbau 
versuchen begonnen, die sehr gute Besnltate ergeben haben. 

Der Kaffee wächst auf Tahiti, auf Moorea und besonders 
auf den Tubuai- und den Gambierinseln wild. Aber er lohnt 
nicht die Ausfuhr, da die Produktion zu teuer ist. Das Zucker- 
rohr kommt in Französisch-Ozeanien gut fort , und weun es 
I mehr Arbeiter gäbe, so könnten auf Tahiti, den Inseln unter 
dem Winde und den Marko«*» ebenso große Zuckerfabriken 
sich bilden, wie sie die Amerikaner auf Hawaii ins Leben 
gerufen halten. Käpok ist weit verbreitet. Für wahrschein- 
lich hält es Cor, daß der Kautschuk gedeihen würde; man 
könnte vielleicht den Guttaperchabaum einführen, der bisher 
nur auf den Bundsinseln fortzukommen scheint. 

Dies sind Oewacbsc der Tropen; in den höheren Lagen 
wurden aber auch alle Kulturen der gemäßigten Zone ge- 
deihen. Cor nennt Zwiebeln, Pfirsiche und Erbsen, die im 
Küstengebiete von Tahiti gewonnen werten. Auf den Tabuai 
hat ein Europäer Weinreben gezogen und Wein hergestellt. 
Auf Rapa kommen alle Gemüse- und Fruchtbaumarten Frank- 
reichs vor. 

In den Lagunen der Tuamotu • und Gambierinsein gibt 
es Mengen von Perlmutter- und Perlschnecken. Infolge eines 
Modewechsels aber sanken die Preis« für Perlmutter stark. 
Die Muschel wird jetzt dort nur durch Taucher gewonnen, 
doch haben die Zyklone von 190.1 und 1906 die Bewohner 
jener Inselgruppen und damit die Zahl derer, die jenem harten 
Gewerbe nachgingen, stark gemindert. Die Arbeiter werden 
darum knapp. Indessen sind die dortigen Perlen von schöuem 
Wasser uud sehr begehrt. 

Die Arbeiterfrage ist auch in jener Kolonie brennend, 
auf 4153 qkin wohnen 30 000 Eingeborene , die als indolent 
oder faul gelten. Aber sie sind auch intelligent und für eine 
kluge und ihre Eigenheiten respektierende Politik erziehbar. 
Doch ist die Bevölkerung eben nur schwach, und so wird 
man daran denken müssen, Einwanderer ins Land zu ziehen. 
Cor rät zur Zulassung malaii»ch«r, besonders japanischer Ein- 
wanderer, nicht zum Import von Chinesen. 

Die schwache Einwohnerzahl und der Maogel an Hilfs- 
quellen stellen die Zukunft der Kolonie in Frage. Di« Ein- 
wanderung von Arbeitern und eine bessere Verwaltung wären 
die Heilmittel. Leider sei nicht nur alles unter Kultur 
stehende, sondern auch fast alles unbebaute Land im Besitz 
der Eingeborenen, die sich nicht bereit linden ließen, es zu 
verkaufen. Es hängt das mit dem Ahneukultus zusammen: 
Die Familien bograben ihre Toten auf ihrem eigenen Boden. 

Für deu französischen Einfluß im Pazifik ist nach Cor 
das Gedeihen der dortigen Kolonie wünschenswert. An ihrem 
Handel ist Frankreich mit nur S4 Proz. beteiligt: seine Kon- 
kurrenten sind die Australier und Nordamerikatier. 



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244 



Kleine Nachrichten. 



Kleine Nachrichteo. 



Abdruck nur mit Qa*tl« 



•b« gtstattot. 



— In »einen Beiträgen zur Siedelungskunde des 
nördlichen subherzyuischen Hügellandes (Dissertat. 
von Halle, 1907) hebt Joh. WüHchVe hervor, dafl da» Ge- 
biet ein? natürliche Übergangsstufe vhu dem Harzmassiv zu 
dem norddeutschen Flachland« daratellt. Vier Zonen lausen 
»ich unterscheiden: Kine in etwa 1 km Eutfernung vom Harz- 
rand aich hinziehende Schichtenzone, die den Harz im Norden 
all schmaler Sauni umzieht; der Verfasser nennt sie Auf- 
richtungszone de* Harzvorlaudes. Dann die etwa 12 bis 15 km 
breite Kraideuiulde »wischen dem Harz und den der Trias 
»ugehörigen Höhenzügen des großen Falliteines and des Huy. 
Die dritte, breite und größte Zone schließt sich nördlich an 
diese Kreidemutde an und enthalt die ganze Ruine der 
Schichten von der Trias Ins zum Tertiär. In der vierten 
finden wir die archäischen und paläozoischen Gesteine im 
Nordosten de« Gebietes. Die Besudelung ging im wesent- 
lichen von germanischen Stammen aus; an fremden Volks- 
elementen kommen nur die Slawen in Betracht, Kelten haben 
nordlich vom Harz wahrscheinlich niemals gesessen. Die 
Slawen treten nur im Osten auf. Bei der Besiedelung kom- 
men drei Hauptperioden in Betracht. Die Siedelungsperiode 
der alteingesessenen Bewohner bezeichnet Wiitschke als 
Urzeit-, die zweite umfaßt die Sledelungcn der da» Gebiet 
überflutenden Volksstäuime. Dieser gemischten Siedelunga- 
periode folgt als dritte die der Kolonisten und wird durch 
das zielbewußte, auf kulturelle Nutzbarmachung des Landes 
gerichtete Streben eines Volke» gekennzeichnet. Eventuell 
kann man noch eine vierte neuzeitliche Siedeluugsperiodu 
ansetzen. Im speziellen kann man die erste Periode der I'r- 
zeit um 200 nach Christi Geburt verlegen. Die Zeit der 
Völkerbewegungen zerfällt in zwei sich unterscheidende Teile, 
etwa 200 bis bM und 531 bis ungefähr »00. Die Zeit der 
Kolonisation darf man von frühestens ;oo bis 1140 rechnen; 
dann setzt die Neuzeit ein, die verhältnismäßig arm an Neu- 
gründungen ist. Was die gegenwärtige Bevölkerung in ihrer 
Beziehung zur Bodenfläche anlangt, so trifft im allgemeinen 
für das Gebiet der Satz zu, daß den niedrigsten Dichtestufcu 
(0 bis 50) die niedrigsten Ertrag»!« lassen, den mittlereu (.'<0 
bis 160) die mittleren und den höchsten (über IM») die letzten 
Ertragsklassen entsprechen. Ackerwirtschaft und Zucker- 
rübenbau stehen in höchster Blüte, Viehzucht wird vor allem 
in den Niederungen des Nordens getrieben, bei Hraun»chwe|g 
und Quedlinburg erhebt sich der Gemüseliau weit utier den 
Durchschnitt; wo intensivere Ackerwirtschaft »ich durch den 
leicht wasserdurchlässigen Muschelkalk und den BunUand- 
steiu verbietet, setzt geregelte Forstwirtschaft «in; der Wald 
umfaßt 13,9 Proz. der ganzen Fläohe. I" titer den Bodeu- 
schätzen stechen Salz und Braunkohle hervor; Steinbrüche 
liefern Material zu Bausteinen und Mttschelkalkbrcnnereicn. 
Die Industrie ist dank der Kohle und dem Salz hoch ent- 
wickelt. Zahlreiche Hüttenwerke wie iu Thalc, llscnburg, 
Uarzburg, Oker sind weltbekaunt. Zuletzt verdienen die 
zahlreichen Ziegeleien noch eine Erwähnung. 



— F. K. Bloll glaubt, daß das Flughörnchen binnen 
kurzem aus den Waldungen der russischen Ostseepro- 
vinzen verschwinden wird (Korresp.-Bl. d. naturf. Ver. 
zu Riga, Bd. 4», 11*06); er stellt deshalb in dankenswerter Weine 
alle Nachrichten zusammen, die er über das Tier aufzufinden 
verinoehte. Kurland hat nur noch in seiner Ostecke Kltig- 
hörnchen aufzuweisen, in Livland liegt sein Verbreitungs- 
gebiet Vorwiegend südlich der Riga- -Pleskauer Eisenbahn, 
laso wurden bei Dorpat die letzten Vertreter dieser Art ge- 
schossen. Recht häutig, natürlich nur relativ, tritt es noch 
im Nordwesten auf. Estland beherbergt diese Art nur noch 
in den Gebieten Jerwen und Wierland. Über das Freilebei) 
des Fliighornchens läßt sich nur wenig ermitteln, da es nur 
ausnahmsweise glückt, bei der Seltenheit des Tieres und 
»oiner ausgesprochen nächtlichen Ijel-ensweise es in seinem 
Tun und Treiben zu beobachten. Doch steht es an Ge- 
schicklichkeit und Gewandtheit dem gemeinen Eichhörnchen 
in nichts nach, ja übertrifft es wohl in der Geschwindigkeit 
der rY'rtbeweguug um ein bedeutendes. Mit Hilfe seiner 
Flughäute vermag es Etitfrrnuugeu bis zu 'Mm zu über- 



polarexpedition aufbrechen kann, ist noch nichts Bestimmtes 
zu hören. Doch sei erwähnt, daß nach eiuer Mitteilung in 
.l.a Geographie" die wissenschaftlichen Kreise Frankreichs 
sich für die neue Fahrt sehr lebhaft interessieren. Ein 
l'atronat über sie hat die Aeademie des Sciences übernom»Hen, 
die Instruktionen ausarbeiten läßt. Dasselbe hat auch die 
Pariser Societe de Geographie getan, die ebenfalls ein For- 
schungsprogramm aufstellen läßt- 

— Eine wissenschaftliche Expedition nach dem 
Nordwesten Deutsch-Ostafrikas tritt im Mai d. J. der 
Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg an, der 
schon einige Jagdexkursionen dorthin unternommen hatte. 
Sein Ziel sind das Kiwuseegebiet, Ruanda und die Vulkane, 
die geologisch untersucht werden sollen. Weiterhin wird die 
Reise zum Albert Edward-See, zum Albertsee und nach dem 
Ui'llegebiet gehen. Die Reise wird mindestens ein Jahr be- 
anspruchen; beurlaubt ist der Herzog auf zwei Jahre. Er 
will sich von einem Botaniker, einein Zoologeu, einem Topo- 
graphen , einem Geologen und einem Arzt begleiten lassen- 
Besonderes Interesse erweckt, daß die endliche fachmännische 
Untersuchungen der Kiwuvulkane im Plane liegt; Geologe 
der Expedition ist E. F. Kirchslein vom Berliner Geologisch- 
paläontologisehen Institut. 

— Kap. Mangins Zug nach Borku. Alle», was wir 
bisher über die weiten Gebiete nordöstlich vom Tsadsee bis 
zum Bureland von Tibesti wußten . verdankten wir Barth 
und namentlich Naehtigal , der 1871 eine Reise bis in die 
Landschaft Borku hinein unternommen hatte. Nunmehr 
endlich beginnen sich auch die Franzosen in jenen Teilen 
der Sahara umzusehen: wie wir einer vor lau Ilgen Mitteilung 
im Februarlieft von .La Geographie" entnehmen, hat dort 
Kapitän Mangin von 1904 bis 1V0Ö mehrere interessante Züge 
ausgeführt, auf deren einem er bis zur OaseWun, südöstlich 
von der von Naehtigal erreichten Oase Jin (Ain Galakka) 
gelangt ist. Er hat auch den Hahr el-Ghaxal aufgenommen 
und ist über dessen Natur zu demselben Ergebnis gekommen 
wie Naehtigal: er sei ein ehemaliger Ausläufer des Tsadsres; 
er habe die Wasser jenes Seebeckens in ein zweites, viel aus- 
gedehnteres geführt , das das ganze Bodele , die bedeutendste 
Einsenkung der Gegend, bedeckt habe. Im einzelnen ist über 



Mangins Züge folgendes zu erwähnen: Anfang 1904 lagerten 
die Uled SUman de» Schelk Ahmed ben Abdul Diellil , die 



— t'harcots neue Süd polare xpedition. Darüber, ob 
und wann Dr. J. «barcot mit seiner geplanten neuen Süd 



Tibbu von Schittnti, die von Tibesti und Uorku etwa 80 km 
von dem französischen Posten Bir-Alali entfernt. Mangin 
unternahm gegen sie Züge, um cie für Räubereien in Kanem 
zu bestrafen, wobei er das Gebiet zwischen Kauern und dem 
Bahr el-Gbasal rekognoszieren konnte, nämlich Munga (Manga) 
im Norden von Kauern und Scbittali zwischen Kanem und 
der Route Ngigmi— Bilma. Unterworfen wurden die Tibbu 
von Schittati (200O Zelte, je 400O Kamele and Kinder), die 
Tibbu Kreide (6000 Zelte, 10 000 Kinder) und die erwähnten 
Uled Sliman mit den Miaissa. Dia übrigen Tibbu, die bis 
dahin von den Uled Sliman abhängig und Besitzer der 
Weiden von Eguei und Rodele, sowie der Datteloasen Borkus 
waren, verstärkten darauf IV05 ihre Einfälle, und Mangin 
unternahm deshalb Gegenzüge. Sie führten (im April und 
Mai) zu einer Rekognoszierung von Egu<-i und (Juni) eines 
Teiles von Bodele und Djurab. In den ersten Monaten des 
Jahres iwu« herrschte in Kanem Ruhe. Als dann im Mai 
eine Tibbuabteilung einen Raubzug gegen die Kreide ver- 
suchte, trieb sie Mangin bis nach Borku, bis zu der er- 
wähnten Oase Wun zunick. Die seßhafte Bevölkerung Borkus 
ist »ehr interessant, loooo bis riooo an der Zahl, be- 
schäftigt sie »ich einzig mit Dattel-, Korn- und Gerstekultur 
in deu Oasen , wo es an zahlreichen Stellen fließendes und 
unterirdische!* Wasser gibt. Sie bewirtschaften diese ganze 
verhältnismäßig fruchtbare Gegend, die eiuzige, die auf 
tjou km in der Kunde solche Hilfsquellen aufweist. Im ganzen 
zahlt Borku wenigstens :>0O0ö Seelen. E* gibt dort Kinder 
und Schafe in ziemlich bedeutender Zahl, die zum größeren 
Teil aus Wadai stammen, wo dio seßhafte Bevölkerung ihre 
Dalteln und ihr Salz verkauft. Man findet hier uamlich, 
ebenso wie weiter wollich in Hilm», salzige Teiche, die aus- 
gebeutet werden. In Ennedi kommt außerdem rot« 
vor. das ebenso rein ist. wie das von Taodeni. Mit 
Salz wird Wadai und ».'gar Marfor versehen. 



Vrnuitwonbrbi-r 



tt. Siiiior, : 



Ii, IUuputr.Cn r.a. Dmck F r i ril r. V i o » * j n. So h n . I 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- und VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H, SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Du. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 



Bd. XCI. Nr. 16. 



BRAUNSCHWEIG. 



25. April 1907. 



Die Ruwenzori-Femer 1 ). 



Der Herzog dar Abruzzen hat durch «ine groß- 
artige Kxpedition nach dem Innern von Aquatorial- 
afrika im Sommer 1906 endlich vollständige Klarheit über 
den Aufbau und die Gliederung der Ruwenzori-Glotseher 
geschaffen, wie aus der seinem Reisebericht beiliegenden 
Karte in erwünscht und genügend großem Mallstabe 
deutlich zu erkennen ist. Die Ruwenzori-Femer sind 
die höchsten Erhebungen im südlichen Toi) eines 100 km 
langeD Gebirgsstoekes. Vergleicht mau sie, um aioh eine 
richtige Vorstellung von ihrer Größe zu machen, etwa 
mit einem bekannten GletBchergebiet in den Tiroler 
Alpen , so entspricht ihre Liingsausdehnung von N nach 
S von 12 km ungefähr den Krimmler Tauern von der 
Dreiherrnspitze bis jenseits des Venediger; in ihrer größten 
Breite jedoch von 8 kui (vom MouutGessi bis zum Mount 
Stanley) stehen sie hinter den Krimmler Tauern (18 km 
in der Breite vom Sulzbach - Kees bis zur Bretterspitze) 
weit zurück; sie bilden keine zusammenhängende, groß- 
artige Firnflache wie jene. In einer früheren Erdperiode 
reichten wohl, wie von Geologen nachgewiesen wurde, 
die Gletscher des Ruwenzori vom oberen Bujuku- und 
MobukuUl (durchschnittlich 10000 Fuß = 30f>0 m ü. d. M.) 
hinab bi« nach Bihunga (6320 Fuß =• 1925 m); auch 
der Einschnitt zwischen dem Haker und dem Stanley 
war sicher einst total vergletschert „Gegenwärtig aber", 
sagt der Herzog, „gibt es in den Haupttälern keine 
Gletscher erster Ordnung, sondern uur solche zweiter 
Ordnung, und zwar nur in den höchsten Lagen oder in 
breiteren Schluchten. Sie erinnerten mich an den skandi- 
navischen Typus." 

Die Ferner, durch tiefe Taler voneinander getrennt 
oder durch schmale Höhenrücken miteinander verbanden, 
gruppieren sich in sieben Massive; auf jedem Massiv 
erhebt sich eine größere oder geringere Anzahl von 
Spitzen. Der Herzog nahm sich das Recht, da er als 
erster die Gletscherregion im vollen Umfange erforscht 
und fast sämtliche Spitzen erstiegen hat, Massive, Gipfel 
und Pässe nach hervorragenden Afrikaroisenden und 
den früheren Besteigern nach eigener Wahl neu zu be- 
nennen; den Talern und Flüssen beließ or die von den 
Eingeborenen gegebenen Namen. Die von seinen Vor- 
gängern (mit Ausnahme eines einzigen) beliebte ein- 
heimische Benennung einzelner Berge erwies sich als 
verwirrend, weil fast jeder dieser Forscher einen anderen 



') Nach einem Vortrag« >le« Her/Mg» der Abruzzen in 
der Kgl. Geitgriipliiitcheri <n-»>ll»ilmfl in London am 12. Jim. 
1907 ; publiziert unter Beigabe fünf prachtvoller Abbildungen 
der wichtigsten Berggiuppcn und einer Kurte (1 : 5O0Ö0) im 
Januarheft d-s „Geiigrnphical Journal* von 1907. 
XI I Nr. Iii. 



Namen für dieselbe Gruppe oder für verschiedene Gipfel 
zu hören bekam. Nur „Kiyanja" als Gesumtname für 
das Massiv Baker behielt er bei, ab eine von allen Ein- 
geborenen gebrauchte Bezeichnung. Auf der folgenden 
Obersicht der Bergnamen füge ich noch Stuhlmanns 
„Kanjangungwe" und „Ngemwimbi" und Johnstons 
„Duwoiii**, doch mit einem V, bei. da sehr große Meinungs- 
verschiedenheiten in diesem Punkte bestehen. Der Herzog 
ging bei den Ueuennungen sehr umsichtig zu Werke; 
er besprach sich zuvor mit H. Johnstun und Stuhlmann. 
Letzterem») räumte er „mit Vergnügen" ein, daß die 
von ihm gesehenen Spitzen auch auf seiner Karte die 
Namen Kraepelin, Möbius, Semper und Weismann be- 
halten sollten. 

Zur bequemeren Übersicht und zum leichteren Auf- 
suchen auf der Karte schalte ich hier die neuen (bzw. 
alten) Namen der Massive und Gipfel nebst ihrer Höhe 
nach den Messungen des Horzogs und seiner Begleiter 
in der Reihenfolge von Nord nach Süd ein: 
Massiv Spitzen 
Yolanda 



Speke 

I DuuoiiiO 
Stanley 

( Kanjangungwe '*> 



Baker 

(Kiyi.ii.ia) 
(Ngemvvimbir) 

Lnlgl ) dl Snvola 



Engl. Fuü 


Meter 


15*47 


4768 


15483 


471« 


15 607 


4816 


15 762 


48ÜO 


16 OHO 


4901 


IS «06 


4*»H 


1681« 


5125 


M7SO 


5105 


16 214 


4941 


10 388 


4995 


16340 


4980 


IS 9*8 


4H73 


15343 


4676 


15 289 


4654 


1 5 2i»U 


4659 


15286 


4659 


15273 


4654 


1 5 »HO 


45 »U 



Umberto 
Kraepelin 
Vitt. Kmunuele 
Johnston 

Marglierita 
Alexandra 
Mobiu* 
Elena 
Savuia 
King Edward 
Semper 
Moore 
Woltaston 

Sella 
Weismann 
Stair* 

Das GleUchergebiet des Ruwenzori bildet an seiner 
westlichen und südlichen Begrenzung die Wasserscheide 
zwischen dem Ruisamba-Nee, Nordostzipfel des Albert 
Edward-Seen, im Osten und dem Sumliki-Tal im Westen; 
die noch Osten fließenden Gewässer vereinigen sich im 
Mobuku , diu gegen Westen sich richtenden im Butagu. 

*) Stuhlmann hatte ebenfalls sehr große Itcdenken in 
bezug auf einheimische Jteiiennuii£eti , er wählte daher die 
Namen von ihm hoehgtwhüirler deuUeher I ielehrten. Siehe 
Stnhlmaiin, .Mit Kmin 1'ascha", S. 294. 

') Her Herzu« hatte hierfür den Namen „Thomson* 1 ge- 
wählt ; die (ieojrr. Gepellschaft in l/oiel"n benimmt'.' jedoch, 
daß »ein Name dieser llerggruppe verliehen und «.mit »ein 
Ruhm auf der Karle de.« Ruwenzori verewigt «erde. 



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246 Brix Förster: 'Die 



Den Hauptgebirgsstock bilden die mit einem kurzen 
Borgrücken verbundenen Massive Baker und Stanley; 
eine tiefe Schlucht im Süden scheidet sie vom Luigi und 
ein weites Tal votn Speke im Norden ; dieser ist durch 
einen hoben Kamm mit dem Em in verbunden; Gessi 
»loht nahezu itoliert. 

Wenn auch das orographiscbe System der Ruwenzori- 
Ferner nicht so einfach ist wie etwa das der Kri minier 
Tauren, so ist es doch nicht so verworren, daß dessen 
Aufklärung unbedingt 16 Jahre Forscherarheit (seit der 
Entdeckung) bedurft hätte. Allein man bedenke die 
Schwierigkeiten des Unternehmens; sie sind ganz nutter- 
ordentlich. Die weite Entfernung von der ostafrika- 
niscben Küste, der außergewöhnliche und absolut not- 
wendige Bedarf an Zeit und noch mehr an Geld, die 
Uuwirtlicbkeit in weiter Umgebung, die nur mit der Axt 
passierbaren, aus sumpfigem Moosboden aufragenden tage- 
langen Urwälder von Erica, Podocarpus usw., die Unmög- 
lichkeit, kundige und in Gletscherwanderungen geübte 
Führer zu bekommen ; alles dieses und noch mobr mag 
wohl viele Unternehmungslustige zurückgesch reckt haben. 
Kur wenige Kühuo versuchten daa Wegstück; die Mehr- 
zahl machte während einer größeren Afrikarciae nur ge- 
legentlich einen Abstecher in das (iebirge; sie vermochten 
daher, noch dazu bei mangelhafter alpiner Ausrüstung, 
nicht viel mehr als Pionierarbeit zu leisten. Bei dem 
Herzog war das ein ganz anderes Ding. Er verfugte 
über reichliche Mittel, er war ein welterfahrener Heisen- 
der , ein Bergsteiger ersten Banges, wie er schon im 
Himalaja uud in Alaska bewiesen, eiseufost von Gesund- 
beit und abgehärtet gegen alle Arten von Strapazen. Er 
fußte schon in Europa den Entschluß, den Ruwenzori 
und dessen höchste (iipfel zu ersteigen und direkt darauf 
loszumarschieren, unbekümmert um dag, was etwa Inter- 
essantes und Anziehendes rechts und links von seinem 
Wege lag: er konzentrierte seine volle Tatkraft auf das 
eine Ziel. 

Die Vorbereitungen zu seiner Reise traf er mit der 
größten Umsicht Er wählte sich einen Stab von fünf 
wissenschaftlich gebildeten Europäern und ftbortrug ihnen 
die botanischen, zoologischen, geologischen, kartographi- 
schen und photographischen Arbeiten. Von Studien und 
Nehenrückaichten befreit, konnte er seine ganze Auf- 
merksamkeit der Führung dor Expedition und der Be- 
steigung der (fletscher widmen. Zu letzterem Zwecke 
nahm er die berühmten Bergführer Giuseppe Petigax 
und l'eeare Ollier (aus Courmajeure) mit. Seine Aus- 
rüstung mit Zelten, Instrumenten, Proviant usw. bestand 
aus 194 Kisten von 50 Pfund englisch, für deren Trans- 
port von Uganda am 131 Träger nötig waren. Von 
Entebbe bis Fort Portal schwoll die Karawane auf 400 
Personen an. 

Am 16. April 1906 verließ er Neapel, am 4. Mai 
fuhr er auf der Uganda-Bahn nach dem Victoriii Njansa, 
und am 29. Mai traf er in Fort Portal ein. Das (ilück 
begünstigte ihn; denn unmittelbar vorher sah er diu 
Ferner iu voller Klarheit, und einige Tage später bei 
dem Marsch zum Mobuku-Tal konnte er deutlich sein 
Ziel, die höchsten Spitzen, erkennen, über deren Position 
und Gestalt ihn Wollaston l>ereits in Fort Portal genügend 
genau informiert hatte. Er wählte, wie die meisten 
seiner Vorgänger, daa Mobuku-Tal zum Eingang in diu 
Fernerregion; erst später überzeugte er sich, daß das 
Bujuku-Tal vorteilhafter gewesen wäre. In Nukitawo 
und Kichuchn ließ er den Troß seines Gefolges zurück 
und errichtete in llujougolo (12481 Fuß = 3Mn0m) 
sein Standquartier unter einem überhängenden Felsen 
und auf einer feuchten uud schmalen Stelle. Es blieb 
keine Wahl. Am nächsten T;ige stieg er zum höchsten 



Ruwenüfiri-Ferner. 



Grat, zum „Grauer Rock" hinan. Hier bot sich ihm der 
wolkenfreie Anblick des Speke und des Stanley dar, und 
auf letzterem unterschied er deutlich die höchsten (iipfel 
der Ruwenzori-Ferner. Von diesen treunto ihn das tiefe 
Bujukn-Tal, und vom Bujuku-Tal selbst schloß ihn eine 
senkrechte Felswand zu seinen Füßen ab; längs des 
Grates nach Westen zu klettern, fand er ebenso unmög- 
lich. Bei längerem Herumwandern auf dem Grat machte 
er aber die wichtige Entdeckung, daß von dem Scott 
Elliot-Pnß, den er ziemlich dicht unter sich sah, ein Tal- 
einschnitt zwischen dem Baker und Stanley südlich in die 
Tiefe führt; einmal auf dem Paß, dünkte es ihm leicht, die 
höchsten Spitzen zu erreichen. Um in den Taleinschnitt 
zu kommen, mußte er zuerst nach Bujongolo zurück und 
dann versuchen , von hier aus in westlicher Richtung 
dahin zu gelangen. Nachdem er drei Tage in strömen- 
dem Kegen iu Bujongolo auageharrt, wandte er sich am 
15. Juui nach Westen, überstieg einen sehr steilen süd- 
lichen Ausläufer des Baker, kam zu zwei kleinen Seen 
(wohl unzweifelhaft Stuhlmanns „Kigessi-Kissougo") uud 
gelangte von hier aus nördlich zu dem ersehnten Paß 
(etwa 14100 Fuß = 4297 m). über den Elena- und 
Stanley-Gletscher ging es leicht bergan; doch zur Er- 
klimmung der Alexandra- und Margherita-Spitze bedurfte 
es einiger alpinistischer Gewandtheit höheren Grades und 
der Unterstützung durch die savoischen Bergführer. Am 
18- .luni pflanzte er auf dem Gipfel der Margherita die 
italienische Trikolore auf. Seinen höchsten Wunsch sah 
er erfüllt; aber das war ihm nicht genug; er wollte Herr 
werden von allen Spitzen. Kr bestieg am 20. Juni noch- 
mals die Alexandra-Spitze, dann Elena und Savota und 
vom 22. Juni bis 10. Juli das Massiv des Speke und 
Emin, die King Edward-, Moore- und Wollaston-Spitze 
uud zuletzt den Stairs-Gipfel. Ja, als er auf dem Rück- 
marsch durch das Bujuku-Tal wanderte uud plötzlich zu 
seiner Linken der Gessi in voller Größe vor ihm auf- 
tauchte, stattete er auch diesem noch einen Besuch ab. 
Am 21. Juli war er zurück in Fort Portal, am 14. August 
am Victoria Njansa, uud einen Monat später landete er 
iu Marseille. 

Die Bereicherung der physikalischen, geologischen, 
botauischen und zoologischen Wissenschaft durch des 
Herzogs Expedition kann nur nach fachmännisch ein- 
gehendem Studium der mitgebrachten Sammlungen uud 
Beobachtungen richtig geschätzt und beurteilt werden. 
Zur Zeit dürften einige seiner HöhenmeBsungen von all- 
gemeinem Interesse sein, weil sie auf das sorgfältigste 
uud jedenfalls wiederholt ausgeführt und kontrolliert wor- 
den sind, und weil aus dem Vergleich mit den Messungen 
der Vorgänger zu ersehen ist, wie wenig oder wie viel sie 
von den Endresultaten abweichen. (S.Tabelle am Schluß.) 

Nachdem ich den Vortrag des Herzogs für mich 
durchgearbeitet und in die vielen Details der schönen 
Karte mich förmlich eingelebt hatte, reizte mich eine ge- 
wisse Neugier (oder, wenn man will, Wißbegierde), zu 
erfahren, bis zu welchem Punkte die Vorgänger ge- 
kommen, was sie sehen konnten, warum sie halb unver- 
richteter Dinge wieder umgekehrt und warum die meisten 
ihrer Berichte kein deutliches, ja manchmal ein ganz 
unrichtiges Bild von der Buwenzori-Kette entwerfen. Ich 
las daher nochmals mit aller Aufmerksamkeit ihre Be- 
richte durch. Was ich zur Antwort auf die gestellten 
Fragen mit mehr oder weniger Sicherheit fand, will ich 
jetzt mitteilen. 

Der erste Europäer, der die Ferner in beinahe voll- 
kommenem Umfange sah und den beiden Hauptgruppen 
in nächster Nähe gegenüberstand, war Stuhlmann 
(1S!<2). Er hatte auf dem Marsche mit Emin Pascha 



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Brix Förster: Die Kuwenzori-Feruer. 



durch das Seniliki-Tal (im Westen des Ruwenzori) «inen 
Ausflug in der Dauer einer Woche durch das Butagu-Tal 
nach den Schneegipfeln untcrnoiniucn und erreichte als 
höchsten Paukt den Gipfel des Ulimbi (18880 FuÜ 
= 4063 in). Dieser Punkt durfte auf seiner Karte 



da er die tiefe Einsattlung zwischen dem nördlichen 
„Kanjangungwe" (dem Massiv Stanley) und dem südlichen 
„Ngeinwünbi" (dem Massiv linker) ausführlich und richtig 
beschreibt und da er überdies von keinem anderen 
Standpunkte aus auf seiner Seite den Spoke oder Emin 




Die Rawenxorl-Forner nach den Forschengen des Herzogs der Abnuzen. 

(Nach der K»rt* im ,<icogr. Jouro.* vom Ktkruir 1907, mit einigen Erginiuugen.) 



(1 : 300000; Mitteilungen der (ieogr. Gesellachaft in I 
Hamburg, 17. 11,1, 1901) etwas oacb Süden gerackt | 
werden, so dal! er mit dem Berggipfol zusammenfallt, I 
der uach des Herzog» Kart« nahe und westlich der zwei 
Seen liegt. Da Stuhlmann diese kleinen Seen, dio er 
ans leicht möglichen (iründen für einen einzigen hielt 
(den „Kigessi-Kissougo"), rechter Hund von sich sah, 



hätte erblicken können, so wird wohl kein weiteres 
Bedenken über die Position seines höchsten Punktes 
möglich sein. Daß er durch die Lücko der beiden Haupt- 
gruppen einen hohen (üpfel gesehen, bemerkt er aus- 
drücklich; er nannte ihn „Kraepolin". Ob über dieser 
Kraepelin zum Emin gehört, wie des Herzogs Karte rer- 
zeichnet, möchte ich bezweifulu. Denn von Stuhlmauna 

32« 



24« »rix Förster. Die Buwenzori-Ferner. 



Standpunkt aus mußt« die höhere Spitze, ja da« ganze 
Massiv des Speke den Kmin total verdecken. Sollt* da 
nicht eine Verwechslung vorliegen, entweder mit dem 
Gipfel Vitt. Emanuele oder gar mit dem Geasi? Stubl- 
■nann blieb bis zur Ankunft des Herzogs der einzige, 
der beim hellsten Wetter den grollten Teil der Ruwen- 
zori- Ferner geschaut Eine Ausbeutung und Vollendung 
seines Erfolges verbot ihm die Pflicht, die ihn in das 
Lager von Kmin Pascha zurückrief. 

Scot t Klliot unterbrach 189-1 ebenfalls eine größere 
Reise, um einen Einblick in das Ruwenzori-Gebirge zu 
bekommen. Zuerst ging er von Werten den Bntagu-Bach 
aufwärts bis zu 12637 Faß = 3852 tu ; ohne Ergebnis 
mußte er, von der Bergkrankheit erfaßt, umkehren. Dann 
versuchto er von Südosten aus, durch das dem Mobuku- 
Tal nahezu parallel laufende und südlich von diesem etwa 
16 km entfernte Njamwamba-Tal möglichst weit aufwärts 
zu kommen, erreichte aber nur eine Hohe von 1 1 110 Fuß 
= 3395 m, wahrscheinlich südlich vom Baker und ziem- 
lich weit davon entfernt. Er kam zu der Ansicht, daß 
die Schneeberge aus einer weitausgedohnten Hochebene 
emporragen. Mangel an passender Ausrüstung und an 
einer genügenden Anzahl von Trägern und eine aber- 
malige Erkrankung zwangen ihn zur Umkehr. 

Moore wühlte 1899 zu einem gelegentlichen Ab- 
stecher in den Huwenzori den Weg durch das Mobnku- 
Tal und kam über NakitAwa nach Bujongolo; er stieg 
rechts vom Moore-(iletscher bis an den Fuß des Moore- 
berges, 14 900 Fuß = 4541 m. Er sah drei große Berg- 
grappen, wahrscheinlich den südlichen Teil des Baker, 
den Stanley und Speke. Von einer ebenen Hochfläche, 
wie Scott Klliot, gewahrte er nichts. Welcher von den 
vielen Gipfeln der höchste und wie hoch die einzelnen 
Spitzen seien, versuchte er nicht zu bestimmen, wahr- 
scheinlich, weil er mit exakten Instrumenten nicht ge- 
nügend versehen war und ihm die Zeit fehlte. Unge- 
fähre Schätzungen hiult er für wertlos. 

H. .lohnston schlug 1900 ebenfalls den Weg durch 
das Mobuku-Tal ein. Von Bujongolo aus versuchte er 
dreimal, sowohl auf dem Moore-Gletscher selbst als links 
davon, den Grat zu erklimmen, doch es gelang ihm nicht 
vollständig; sein höchster Punkt war 14 828 Fuß =^ 4520 in, 
also dicht unter dem Kamm ; eine 50 Fuß hohu Eiswand 
versperrte ihm beim dritten Versuch jedes weitere Vor- 
dringen. Er hatte sehr schlechtes Wetter, und seine 
Begleiter litten unter wiederholten Erkrankungen. Unter 
dieson Verhältnissen ist es begreiflich , daß seine Beob- 
achtungen und Schätzungen sehr ungenau ausfielen ; es 
scheint , daß er die King Edward-Spitze für die höchste 
in der Fernerkette hielt, der er die übertriebene Höhe 
von 20O0O Fuß — 609C m zumaß; außerdem gibt er an, 
daß die gesamt« Gletschnrtnnsse ununterbrochen auf 
32 km eich ausdehne, und daß die Entfernung des 
nördlichsten Gipfels bis zum südlichsten 48 km be- 
trage, wag alles als ein großer Irrtum sich jetzt heraus- 
gestellt bat. 

Der Schweizer I)r. David, ein Geologe, unternahm 
1904 vom Semliki-Tal aus, nördlich des Butagu-BacheB, 
wahrscheinlich durch das Russintbi-Tal (vgl. Stuhlmanns 
Karte) verschiedene Hochtouren. Soviel mir bekannt, 
existieren leider keiue kartographischen Aufzeichnungen 
davon ; aus den schriftlichen Angaben kann man den 
ungefähren Schluß ziehen , daß er in ein bis jetzt ganz 
unbekanntes Gebiet im Nordwesten der Ferner einge- 
drungen, sehr bedeutende Höhen erstiegen, sogar bis 
lt!733 Fuß — 5100 m (was jedoch stark bezweifelt wird), 
und daß er bei seinen weiten Wanderungen zu vier 
Moränenseen gekommen ist, darunter auch zu Stuhl- 
manns Kigessi-Kissongo. 



Douglas F r e s h f i e 1 d erreichte Ende 1 905 von 
Bujongolo aus den mehrmals erwähnten Grat des Baker 
ohne besondere Anstrengung; die Eiswand H. Johnstons 
hielt ihn nicht auf. Doch Schneesturm und Nebel ver- 
binderten jede weitere Unternehmung. 

Grauer, ein Österreicher, gelangte im Januar 1906 
ebenfalls auf den Grat und benannte einen dort steil auf- 
ragenden FeUeukegel „Kitig Edward Rock" (14956 Fuß 
— 4560 m). Der Herzog taufte ihn später in „Grauer 
Rock" um, wahrscheinlich weil er es für angemessener 
hielt, die höchste Spitze des Baker mit dem Namen des 
Königs von Kngland zu schmücken, und offenbar weil 
er künftigen möglichen Verwechslungen vorbeugen 
wollte. 

Einen Monat spater kam Wollaston mit Woosman 
und Dent an den Fuß des Grauer Rock. Trotz der 
wallenden Nebel erhielt er einen Einblick in das Bujuku- 
Tal und sah als erster, wenn ihm nicht schon David 
zuvorgekommen sein sollte, den Bujuku-Sec. An einom 
der nächsten Tage machte er sich auf nach Nordwesten 
zum höchsten Gipfel des Baker. Zwischen dem Baker- 
und King Kdward - Gletscher klomm er über Felsen- 
geröll hinauf zum Grat und links davon auf die nächst 
gelegene Spitze, deren Höbe er auf 16 125 Fuß 4913 m 
berechnete. Als sich der plötzlich eingetretene Nebel 
wieder verzog, entdeckte er einen noch etwas höheren 
Gipfel unmittelbar links davon. Wenu ibm auch bei 
dem drohenden nebeligen Wetter die Besteigung des 
King Edward versagt blieb, so gebührt ihm doch der 
Ruhm, als erster die Semper -Spitze erstiegen zu haben. 
Er gibt an , das Gipfelpaar Mnrgherita und Alexandra 
gesehen und als die höchsten Gipfel der Fernerkette er- 
kannt zu haben. Er wird sich nicht getäuscht haben; 
denn von der Semper-Spitze aus müssen sie direkt ge- 
sehen worden. Wenn er aber auf dem Gipfelpaar keinen 
Schnee, sondern nur Felswände bemerkt haben will, so 
laßt sich dos nur dadurch erklären , daß während seiner 
Beobachtung die hin und her wogenden Wolkenmassen 
dunkle Schatten auf die Schneeflächon geworfen haben, 
wodurch bei einer Entfernung von 3000 in sehr leicht 
eine grobe Täuschung entstehen konnte. 

Aus dem bisher Mitgeteilten geht hervor, daß die 
meisten Vorgänger des Herzogs in dem Wall des Baker- 
Massivs stecken geblieben sind und nur bruchstückweise 
einiges zur Kenntnis des Aufbaus der Kernerregion bei- 
getragen haben. Nur Stuhlmann als der erste und 
Wollaston als der letzte gewannen eine größere Umschau; 
von David könnte man glauben , wenn wir Genaueres 
von seiner Expedition wüßten, daß er sogar in die Details 
der orographischen Bildungen Einsicht bekam. 

Dem Herzog kamen nicht nur die immerhin sehr 
wertvollen Erfahrungen sämtlicher Hochtouristen zugute, 
sondern auch diu Beobachtungen und Messungen aus 
wetterer Kerne von zwei für diesen Zweck ausgezeichneten 
Männern: von Douglas Kreahfiold und Lt. Buhrens. 
Beide hatten monatelang, freilich nur an wenigen wolken- 
fruiun Tagen, die Lage und Reihenfolge und die Höhen 
der Ruwenzori-Kerner genau festzukeilen unternommen. 
Freshliold von Butiti (östlich von Fort Portal) aus, in 
einer Entfernung von 64 kin , konnte die (iletscherkette 
vom Luigi und Baker bis zum Nordende des Stanley 
verfolgen und bezeichnete wohl als erster das (tipfelpuar 
Margheritn und Alexandra als die höchsten Spitzen. 
Lt- Behrens, von der deutsch-englischen t irenzkommission, 
bestimmte von seiuein Standorte im Südosten aus nahezu 
vollkommen richtig die Lage von sämtlichen Massiven 
auf der Karte du* Hcrzut,-«; auch seine Höheumossungen 
kommen den Messungen des Herzogs erstaunlich nahe. 

Au* der Du i stoll u ug der Leistungen der Vorgänger 



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Prof. Dr. L. Karl Hoier: Bin Autflug nach der Sandinael SanBego. 



219 



wird man erkennen, daQ dem Herzog nicht nur ein gute« Erkonntnis und Voraussiobt die richtigen Wege zu finden, 
Stack Arbeit übrig geblieben war, sondern daß ihm auch die auf sämtliche Höhen und in alle Täler der Ruwen- 
noch die Hauptaufgabe zufiel, aus aelbatändig gewonnener zori-Ferner führten. 





Höchster 
FuO 


Gipfel 

Mol er 

"' 1 


Tie! 
ületsch 

FuB 


erende 
Meter 


Bogii 
de« ewigen 

FuO 


in 

Selm««« 
Meter 


Nach Melsungen bzw. Schätzungen de« Herzog» . . . 
w „ a „ ßtuhlmanns . . . 

Bcott Klliot* . . . 
, . , H. .Johnaton» • • • 

D » v >d* 

. . , „ Moores 

, . , » Douglas FreshfieMs 
, Lt. Hehren*' . . . 


16810 

|67:m— 17389 
1H50U 

ioooo 

16000— 1«700 
1««25 


5125 

5100—5300 
502» 
6090 

5059—5090 
5069 


13682 

13189 
13124 
13419 

- 


4170 

4020 
4O00 
4090 

- 


14430 

i:>780— 14430 

12 796 
144.10 

= 


4400 

4200—4400 

3945 
4400 



Brix Förster. 



Ein Ausflug nach der Sandinsel Sansego. 

Von Prof. Dr. L. Karl Moser. Trieat. 



Es war eine frische Bora , als wir Mitte April v. J. 
in Trieat vom Molo S. Carlo mit dein Lloyddampfer 
„Leda" ausliefen, und der Auf enthalt auf Deck fast 
unangenehm , trotz des hellsten Sonnenglanzes. Die 
Hoffnung auf eine Milderung der Bora schwand, nach- 
dem wir die Punta yon Salvore paseierten ; im Gegenteil, 
der Wind steigerte sich immer mehr. Infolge lange an- 
haltender Dürre war das Festland von Iatrien in einen 
Dunst gehüllt, gewaltige Kolonnen Ton wirbelnden Staub- 
maüRun zeigten die Richtung der staubigen Landstraßen 
an. Daa stolze Hu je, die Spia d' Istria der Venezianer, 
war kaum sichtbar, und nur wenige Segelbarken be- 
lebten das Meer. Nach einem unfreiwilligen Aufent- 
halte in Roviguo und einem noch längeren im Kriegs- 
hafun von Pola setzten wir die Fahrt gegen 6 Uhr abends 
fort. Mittlerweile verllauto der stürmische Roreas, so 
daß die Überfahrt über den gefürchteten Quarnero in 
der ruhigsten Weise vonstatten ging und wir 11 Uhr 
nachts den Molo des Kicheren Hafens yon Lussin piecolo 
erreichten. Am nächstem Morgen wanderten wir nuch 
Cigale, wo wir durch den Lotsen eine Barke für San- 
sego mieteten. Der Hafenpilot erzahlte uns, daß man 
dort bei der Anlage des neuen Badehauses die Knochen- 
reste nnd Zähne einer Rhinozerosart gefunden habe, und 
zwar in einer Knochenbreccie, an denen Istrien so reich 
ist. Die früher steinigen Lehnen ziert jetzt ein Fichten- 
hain, aus dem einige reizende Landhäuser hervorlugen. 
Mit Proviant und würzigem schwanen Istriancr ver- 
sehen, bestiegen wir die Barke. Da sich der Nordost- 
wind verflante, wurden die Segel nicht aufgezogen, und 
die ruhige Oberfläche des Meeres wurde nur durch die kräf- 
tigen RuderBchläge des sonuogebräunten Barkenführers 
merklich bewegt. So hatten wir denn Zeit, während 
der mehr als zweistündigen Überfahrt die Oberfläche des 
manchmal gekräuselten Meeres, seine Veränderlichkeit 
in der Farbe und an der Oberfläche, wie das muntore 
Spiel kleiner, in Zügen schwärmender Fische zu be- 
wundern. Auageworfene Brotstücke lockten die neu- 
gierig ans umkreisenden Möwen an; dooh kamen sie, 
Gefahr witternd, nicht nahe heran. Die zahlreichen uns 
umgebenden Inseln und Inselchen, weißen Kalkklippen 
vergleichbar, hier allgemein Scoglien genannt, weisen 
von weitem gesehen eine große Einförmigkeit auf. wäh- 
rend aie in der Nähe betrachtet mannigfaltige Farben- 
kontraite gegen das blauende Meer hervorbringen. Ein 
tiefschwärzlich grünes Hand, die Rrandungszone , in 
braune und grauliche I'arbentöne übergehend, umgibt 

Olnbl« XCI. Nr. 1... 



sie an der Husis, wo aie aus den tiefblauen Fluten hervor- 
ragen, während ihre zerrissene und durchfurchte grauweiße 
Oberfläche oft nur von wenigen grünen Vegetations- 
flecken oder vom Rot der Terra rossa gezeichnet er- 
scheint. In weit schönerem Bilde erscheinen die Scog- 
lien, wenn wild aufschäumende Brandung ihre Klippen 
mit weißem Gischt umgibt IMeses in diesen oft stürmi- 
schen Gewässern sich darbietende Schauspiel läßt sich 
aber nur aus der Ferne beobachten. 

Die Inselwelt verlassend, rücken wir unserem Ziele 
entgegen. Die langgestreckte Insel Sansego erscheint 
jetzt vor unseren Augen als eine gegliedert«, in Terrassen 
aufgebaute, gelbe Sandmasse, die, von tiefen Furchen und 
R unsen durchsetzt, Formen zeigt, die an förmliche 
Borgen, Wälle oder Hefestigungsanlagen erinnern (Abb. 
1 und 2). Diese große gelb- bis bräunlicbgrau gefärbte 
Snndmasse ruht auf einer bald mehr, bald weniger sich 
erhebenden weißen Kalkbasis, die aus Kreidekalk be- 
steht (Abb. 3). 

Wir erblicken bald deutlich an der Küste die blinken- 
den Häuserreihen des langgedehnten Ortes von Sansego 
(Sausigus im Dekanatbuche), Suiak bei den Kroaten. 
Oer eigentliche Ort liegt zur Linken auf der höchsten 
Terrasse und durch die Kirche besonders markiert. Bei 
der Einfahrt in den neu angelegten Hafen überschauen 
wir zugleich den alten großen , aber ganz versandeten 
Hafen , dessen Grund nur bei sehr starker Flut über- 
schwemmt wird, und dessen sandiger Boden von zahl- 
losen haar>>tern förmigen Höhlungen mit zentralem Loche 
bedeckt ist, welche die hier massenhaft lebenden Sand- 
pierer (Arenicola piscatorum L.) bei Nacht hervorbringen, 
indem sie dann ihre Nahrung suchen. Ein ganz eigen- 
tümliches Rild bietet uns bier die Arbeit der zahllosen 
bei Nacht arbeitenden Würmer! Da diesem Hafen wäh- 
rend der Sommermonate schädliche Miasmen entströmen, 
so denkt man diese grüße Fläche in Kulturland umzu- 
wandeln, wodurch die Gesnudheitsverhältnisse gebessert 
werden dürften. 

Mit einer Empfehlung an den Pfarrer von Su»ak 
ausgestattet, wurden wir jeder weiteren Sorge enthoben, 
da das uns empfohlene Gasthaus aufgelassen wurde. Der 
untere Ort ist von dem oberen durch einen tiefen Graben 
getrennt, und es führt eine Brücke und in den Sand ge- 
legt« liolzstufon zu letzterem hinauf. Beide bilden eine 
Gemeinde von 1660 Seelen. Im ganzen und großen 
macht der Ort den Eindruck der Reinlichkeit und einer 
gewissen Wohlhabenheit. Die Kirche weist an Sehona- 

33 



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250 



Prof. Dr. U Karl Mnitr: Bin Ausflug uaeh der Sundiusel Sannogo. 



Würdigkeiten zwei Hollkreuze auf, von donou das große 
nach einem Sturme schwimmend auf dem Meere auf- 
gesucht wurde, das kleine hingegen Künstlerhand verrät. 

Die Bewohner von Sansego, ein blonder bis rot- 
hlondor Menschenschlag, bedienen sich einer besonderen 
Fußbekleidung, grober Wollstrümpfe, die durch Schnüre 




Abb. t. Hafen von Sansego, unterer Ort. Im Hintergrunde die Snadterrnssen 

nm Fuße befestigt sind. Die dürf- 
tigen Hegen und der weiche Sand- 
boden machen diese Bekleidung 
erklärlich; pur die Männer, die 
auf die See h : 'ausgeben, bedienen 
»ich kurzer Stiefel oder Schuhe aus 
Leder. Die Tracht der Weiber 
(Abb. 4) ist geschmackvoll. Das 
anliegende Wollhemd und die tief 
über die Hüft« gebundenen Röcke 
gestatten eine freio Bewegung und 
eine vorteilhafte Entwickelung der 
Brust. Der Nationalität nach sind 
die Bewohner Kroaten. Sie nennen 
die Insel und den Ort Susak, was 
so viel wie einen trocken gelegten 
Boden bedeuten würde; sie seibat 
nennen sich SiiM-ani, d. i. die im 
Trocknen sitzen (ieblicbenen. Die 
italienische Bezeichnung Sansego 
dürfte, wie Lorenz erwähnt, aus 
einer Verunstaltung von seeco 
(sego) — trocken entstanden sein, 
während die Vorsilbe Sun auf einen 
Heiligen zu deuten scheint. Am 
Friedhofe sahen wir schwarz ge- 
kleidete verschleierte Frauen , die, 
mit Kerzen in den Händen um 

die Gräber gehend, Gebete murmelten. Die drei- 
zinkigen schmalen Grabkreuze sind sehr einfach , das 
ält«ate trug die Jahreszahl 181h. Die Gemeinde soll 
erst etwas über 200 Jahre alt sein. Vom Friedhof führt 
der schmale Weg zwischen Weingarten hindureb. I>er 
kurzgehaltene Weinstock wird in Gräben gepllan/.t und 
ist durch aufgeworfene kleine Sandhügel geschützt. Sonst 
trifft man noch kleinere Kulturen mit Kartoffeln, Sau- 



artigen Doline fanden wir Fruchtbiiuroe, wie Pflaumen 
und Kirschen, letztere aneb hier und da an den gegen 
das Meer gelegenen Abhängen. Bäume gibt es über- 
haupt wenige. Das Waten im Sande und in den schmalen 
zum Meere führenden Hohlwegen war oft wegen der 
Steilheit unangenehm, doch nirgends gefahrvoll. Große 
Wasserrisse bezeugen die stete 
Veränderung, der die Uber- 
fläche fortwährend ausgesetzt 
ist, doch zeigen die senk- 
rechten Abstürze im Sande 
(Abb. 5) keine wie immer ge- 
artete Schichtung, höchstens 
bräunliche oder rötliche Flecke 
auf gelblichem Grunde. Der 
gelbliche Sand , vorwaltend 
kieselig, ist sehr fein, in der 
Sonne flimmern die darin vor- 
kommenden Glimmerschüpp- 
eben. Lorenz will auch Kalk- 
schüppchen darin entdeckt 
haben. Neben den abgestorbe- 
ne!) Lntidschnecken , die nur 
nahe der Oberfläche vorkom- 
men, fanden wir auch Nester 
von Meereskonchylien , wie 
Cerithium, Patella, Trochus 
und Schalen von Cardiuiu in 
größerer Tiefe im Sande. Von 
Flußschnecken und Fluß- 
muscbcln fand ich nicht die 




Abb. 2. Blick auf die Sandterrassen ans dem neuen Hafen toii San»ego. 



bnhueu. Erbseu und Kohl, In der einzigen schlucht- 



geringste Spur, die »ich doch vorfinden müßten, wenn der 
Sand fluviatilen Ursprungs wäre. Dagegen fiel mir auf, 
daß der Sand an der OWHache überall eine weißliche 
Snl/ausblühung zeigte, ein Phänomen, das bisher von 
keinem der Besucher der Insel erwähnt wurde. Ich halte 
(liest' Salzuusblühttug nicht für einen Niederschlag aus 
dem die Insel umgebenden und verdunstenden Meer- 
wasser, sondern als eine wirkliche Ausblühung des salz- 
haltigen Sandbodens. 



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Prof. [)r. L. Kurl Moser: K.ii» Ausflug nach der Sntidimel Sansego. 



251 



Nach Passierung der Hohlwege gelangten wir in die 
stille ruhige Bucht . l'orto genannt , und somit an die 
Basis der Insel, die aus zerklüftetem Kreidokalk besteht, 
deinen Klüfte sich kreuzen. Hier und da findet man in 
ihm die Abdrücke einer l&nglichen Auster, deren Schale 
groli gewellt ist. An den von der Brandung eingeschnit- 
tenen Stellen fanden wir ein aus höchstens erbsengroßen 
Kalksteincheu bestehendes und durch rote Krde ver- 
kittetes Konglomerat, das wahrscheinlich einer frühen 
Quellbildung angehört. Die Brandung hat an der Kalk- 
baais ihre Wirkung im großartigen Maßstäbe ausgeübt, 
Rinnen, Scharten, zahllose Locher ausgewaschen (Abb. 6), 
die zu überschreiten oft eiu Ding der Unmöglichkeit 
wird. Zwischen dem Kalkgrus fand ich nächst dem 
Strande auch einen be- 
arbeiteten Feuerstein 
von der Form einer 
Pfeilspitze ohne Wider- 
haken. 

Eine zweite Exkur- 
sion wurde in der Rich- 
tung gegen die Bucht 
von l'orad unternom- 
men, wohiu wir in ähn- 
lichen Hohlwegen zwi- 
schen den zum Teil be- 
bauten, ungleich hoben 
Sandterrassen gelang- 
ten. Auch hier fanden 
wir den Sand an der 
Oberfläche durch eine 
weiße Salzausblühung 
gefärbt. Hier und da 
fanden sich Stücke 
eines blitulichgrauen, 
äußerst feinkörnigen 
harten Sandsteines, in 
dem zahlreiche kleine 

Glimmerflittereben, 
aber erst bei stärkerer 
Vergrößerung, wahr- 
nehmbar werdeu. Die- 
sen Sandstein fand ich 
hier nicht anstehend, 
wohl aber am südöst- 
lichen Teile der Insel, 
wo er als ein dünnes 
Bund (Schicht) auf 
dem Kreidekalk auf- 
liegt und die Basis 
für die Sandmassen 
der Insel im allgemeinen zu bilden scheint. 

Sehr auffallend sind die hier im Sande steckenden 
Konkretionen, von derselben Färbung wie der Sand, von 
verschiedener Form, manchmal tropfsteinartig, oft spindel- 
förmig an beiden Enden gleichmäßig zugespitzt, mit rauher, 
grubiger Oberfläche, die hier und da in kleinen Gruppen 
stehende Poren aufweist. DieSandkörnchen sind in diesen 
Konkretionen durch kohlensauren Kalk gebunden und sehr 
reich an gläuzeuden II itterchen, die ich nicht alle für 
Glimmer-, sondern einige auch für Gipsblättchen nach 
Art des Marienglases halten möchte. Mauche von diesen 
Konkretionen, die Ähnlichkeit mit den Lößkindln zeigen, 
sind vou zahlreichen Porenkanälcben durchsetzt, als 
wären sie von irgend einer Art Röhrenwürmer bewohnt 
gewesen. Eine sorgfältige petrograpbisebe und chemische 
Untersuchung müßte uns über die Entstehung dieser 
merkwürdigen Gebilde vollständig aufklären, natürlich 
müßte auch eine ähnliche Untersuchung der Sande und 




Abb. 5. Abstürze im Sande von Sangego. 



des Sandsteins der Insel in dieser Richtung gleichen 
Schritt halten. 

Reim Überschreiten des höchsten Punktes der Insel 
fand ich beim Rückwege ein zweites Stück bearbeiteten 
Flint, vierkantig und keilförmig zugespitzt, an den 
Kanten ausgesplittert und stark abgenutzt, so daß man 
auch dieses Stück als Werkzeug des ersten Bewohners 
von Sansego ansehen könnte. Dieser Feuerstein zeigt 
an einer unbearbeiteten Stelle die charakteristische weiße 
Kruste wie der Feuerstein der Kreide und dürfte von 
Menschen hierher gebracht worden sein. Dieses Artefakt 
lag unter einer mit (»ras und spärlichem Pflanzen wuchs 
bedeckten wnllartigen Anlage, die ich im Halbbogen auf 
der obersten Sandterrasse deutlich verfolgen konnte. 

Die im Sande massen- 
haft vorkommenden 
Schneckengehäuse von 
Landschnecken kom- 
men, da sie sich auch 
auf anderen benach- 
barten Inseln und in 
Istrien nahe der Ober- 
fläche oder in geringer 
Tiefe vorfinden, hier 
gar nicht in Betracht. 

Aber auffallend ist 
das Auftreten kleiner, 
stark erodierter Kalk- 
stückchen von weißer 
Farl>e, manchmal die 
Form von (ieröllen 
zeigend. Die Stücke, 
die ich fand, sind 
durchweg kleiner tdas 
größte Stück, das ich 
aufsammelte , hat die 
(rröße eines Fünf- 
kronen-Stückes), ent- 
weder einzeln oder in 
kleineu Gruppen vor- 
kommend. Diese Beob- 
achtung, die bisher 
von keinem Forscher 
bemerkt wurde, dürfte 
die Annahme einer 
marinen Entstehung 
derSaude unterstützen. 
Ein ähnlicher Sand, wie 
er die Insel Sansego 
aufbaut, findet sich auf 
den weiter östlich ge- 
legenen Canidole genannten Inseln , von dunklerer Fär- 
bung und kompakter Beschaffenheit, nur ist hier seine 
Oberfläche von kleineren oder größeren Kalktrüuimcrn 
wie übersäet, als wenn sie jemand ausgestreut hätte. 
Derselbe Sand findet sich auf der noch nördlicher ge- 
legenen Insel Unio in einem breiten Streifen vor, sowie 
auf Puma Merlera in Istrien, wo er das Valle Buzerolla 
erfüllt und in mannigfaltigen Übergängen in den beim 
Volke Rogo genannten Sand mit roter Knie und in den 
Saldamo, rein kieseligen Sand, übergebt, welch letzterer 
das Material für die Olasbereitung seit alters her liefert. 

l.'ber den l'rsprung und die Herkunft dieses Sandes 
existiert eine ganze Literatur. Insbesondere war es 
G. I^eonardelli 1 ), der sich die Mühe gab, alle seit 100 
Jahren bestehenden Ansichten kritisch zu beleuchten und 



') Ii. Iieonardolli: Le isole Apsirtidi. Rom 188S. Eine 
dem Andenken der allen Istrer gewidmet** Hltidie. 

33* 



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Prof. I)r. L. Karl Moser: Kin Ausflug nscb d< r Saudintel Sansego. 



mit einer eigenen Theorie hervorzutreten, die er bereit- 
em Jahr vorher über latriens Sande veröffentlicht hatte 3 ). 

Die Alten verstanden im eigentlichen Sinne unter 
den Absyrtiden-Inseln jene des Quarnero. Der Ursprung 





Abb. 4. Franen nnd wassertragende Mädchen von »ansego 



ihrer Benennung reicht auf diu 
heroische Zeitalter de« Griecheu- 
volkes, und zwar auf die Argo- 
nautensage zurück, in der der 
Name Absyrtus , Bruder der 
Medea, vorkommt, diu ihn, als 
sie mit Jaaon auf der Flucht 
begriffen, angeblich auf einer 
der Abayrtiden-lnseln als Opfer 
den Göttern schlachtete. Abt 
Fortis (1771) benutzte die 
Wanderungen der Argonauten 
und knüpft« in seiner Ansicht 
über die Sande von Saueego 
und der benachbarten Inseln 
mit Zugrundelegung der Argo- 
uautensage au einen großen 
Fluß an, der in der Nähe des 
heutigen Krainer Schneeberges 
entsprang, Iatrien übersetzend 
das heutige Arsu-Bett durchtloü. 
sich weit ins Meer hinaus er- 
goß und sein« Alluviouen in 
Iatrien und auf den benach- 
barten Inseln, so auch auf San- 
sego, absetzte (Ister, Panubiua). 

Lange nuch Fortis bat 
J. R. I.orenz in seinen Skizzen 
aus derBodulei und den benach- 
barten Küsten (Peterm. Mitteil. 1859, Heft III) die Ansicht 
ausgesprochen , daß der Saud der Insel von Sansego ein 
Absatz von eigentümlichem Detritus sei, der von mächtigen 



marinen Quellen gebildet wurde, mit der Begründung, 
dal) noch beute solche mächtige submarine Quellen an 
den Küsten Ittriens und Dalmatiens und seibat bei San- 
sego hervorsprudeln und Sand aufwirbeln und absatzen, 
der ganz die Beschaffenheit des Sandes 
von Sansego hat. „Auf dem aus Hippu- 
ritenkalk — Fazies Austembank — 
bestehenden Meeresgrunde drangen 
zur Tertilrze.it, jedenfalls noch vor 
den letzten bedeutenderen Hebungen, 
gewaltige Quellen hervor, welche nach 
und iiBch den großen Sandhaufen 
emporwirbelten. Später wurde der 
(■rund an jener Stelle rasch senkrecht 
emporgehoben, und so tauchte der 
Sand samt seiner Felscnunterlage, 
welche jetzt rings um die Insel überall 
in gleicher Höhe und ohne Unter- 
brechung den schönen weißen Saum 
bildet, mit unveränderter Lage aus 
dem Horizont aus dem Meere." AU 
Stütze für seine Theorie dünkt ihm 
die enge Begrenzung des Sandes von 
Sansego und des Sandes am Meeres- 
grunde, der in einer Entfernung von 
einigen hundert Faden durch eine ganz 
verschiedene Form von Meeresgrund 
— groben vielfarbigen Kalkgrus — 
abgegrenzt wird und den Meeresboden 
weit und breit bedockt (siehe die 
Generalkarte: Lotungen auf der Karte 
in der Umgehung von Sansego). Er 
beruft sich weiter auf den gilnzlichen 







~~~~~ 


•■ 1 



') G. Leonurdelli: II saldame, il rego e la terra di punta 
Merler» in Isirin cmic fin-mn/vn«- t-iriiica. Horn 1-H4. 



Abb. «. XordwestkUste von Sansego. fcinlkbasls nnd Sandterrassen. 



Mangel an Petrefakteu und die Gleichheit des Sandes, 
der, da weit und breit kein Ursprungsgestein vor- 
handen ist, nur von unten heraufgebracht worden 
sein kann. Die vielen Untiefen und Bänke, die in 
der Gegend des Quarnero vorkommen, deuten auf hier 
stattgefutidene Hebungen hin. Weiter unten will ich 



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l'rof. Dr. L Karl Moser: Ein Ausflug nach der Saiuditisul Sansego, 253 



noch auf diese Theorie zurückkommen. G. Stäche, der 
dieselben Sande auf l'unta Merlera, um Porto Kuje in 
Istrien, beobachtete, wie sie auf Sansego vorkommen, 
fand auch bier die Sande auf einer llasis von Kreidekalk 
liegen und diesolbou Konkretionen wie auf .Saucego, uud 
aus dem Umstände, daß dieser Sand auf den Inaein Unie 
und Canidole vorkommt, erklärt er deu Zuisaminenhang 
dieser Inselgehiete mit dem Festlande und den Bestand 
eines in schon anthropozoischer Zeit weit gegen Süden 
ausgedehnten Festlandgebietes von Kreidekalken und 
bringt die Verbreitung dieser Sande auf ihnen mit der 
Richtung der Spalte des Arsatales und Kanäle« in Ver- 
bindung, wobei er hinzufügt, daß wir in den Sauden 
Sedimente und Reste von Deltabildungen einen großen 
träge Hießenden uud zu Überschwemmungen geneigten 
Flußes vor uns haben (Stäche: Geolog. Reisenotizen aus 
Iatrien. Verh. d. k. k. geolog. Reichsanstalt, Jahrg. 1872, 
Nr. 10, S. 221). Hauer glaubt die Sandablagerungen 
als Fingsand, der vom Meere ans Ufer geworfen und 
dann von den Winden weiter ins Innere geführt wurde, an- 
sehen zu aollen (Hauer: Geolog. Übersichtskarte d. österr. 
Mon., Jahrb. d. k. k. geolog. Reicbsanstalt, Bd. XVIII, 
1868, S. 953). Tarainelli faßt die Sandablageruugcn 
als Geiserbildungen auf, bringt sie mit der Bildung der 
Terra rossa in Verbindung und meint, daß siu Trüber 
abgesetzt wurden als diese, gibt aber zu, daß er die 
Gegenden nicht gesehen habe. Die Ansicht von Tara- 
melli ist somit, wie Leonardelli richtig bemerkt, auf einer 
Hypothese der Einbildung und Phantasie gegründet, der 
die Frage nach der Entstehung der Terra rossa zu- 
grunde liegt, nicht aber nach der Entstehung dur 
Sandablagerungen von Sansego, die er nicht gesehen 
hatte. 

Die Nonnen und Kriterien, mit denen Marchesetti 
seine Hypothese entwickelt, erheben sich nur auf den- 
selben Grundlagen der Idee von Fortis, von denen sie 
nur in einem leichten Unterschiede auseinandergehen, 
und lassen sich darauf zurückführen, ob jenes Wasser, 
das den Sand auf Sansego und Umgebung absetzte, die 
Donau oder ein anderer Fluß sein könnte. 

Leonardelli hält die Sandablagerungen in Istrien 
und auf den benachbarten Inseln, die er als Saldame, 
Itego, Sand von Punta Merlera und die Sande der Iusel 
Sansego unterscheidet und gut charakterisiert, als ther- 
malen Ursprungs. Thermalquellen setzten bei ihrem Her- 
vorbrechen aus dem Krdinuern verschiedenes Material 
ab; indem sie nun Becken bildeten, verbauden sie sich 
durch Rinnen und erzeugten eine starke Strömung, die 
eich auf dem jetzt versunkenen Festlande fortsetzte. 
Diese Strömung, sagt er, zeigt sich nooh jetzt am Grunde 
des Meeres in Form eines eigentümlichen Streifens, der 
von zwei verschiedenen Ablagerungen umsäumt ist, näm- 
lich der schlammigen gegen den Quarnero liegenden und 
der aus Koucbiferensaud und Korallen bestehenden gegen 
das Adriatische Meer. Die Strömung bog bei Punta 
Merlera snuft gegen dio Punta di Promontore (Südspitze 
Istriens) und setzte an Unie und Canidole vorbei ihren 
Lauf über Sansego fort, wo die Sandmassen abgesetzt 
wurden. 

In einem Feuilleton der Grazer Tagespost vom 1 2. Sep- 
tember 1906 kommt Prof. Dr. F. Xa<> bei der Ruiid&icht 
vom 234 m hohen Monte S. Giovanni auf nachstehende 
Betrachtung: .In drei Stufen sinkt der i«trische Küsten- 
karst gegen das Meer ab. Der Monte Maggiore be- 
zeichnet die oberste Kante der höchsten Stufe. Im 
Monte Ossero gipfelt die zweite Stufe, der das südliche 
Cherso, Lüssin, Pago und einige andere Inseln angehören. 
Die dritte, niedrigste Stufe ist fast ganz in die Adria 
versenkt. Das einsame Sansego und ein paar ganz kleine 



Eilande weiter südlich gehören ihr an. Jede dieser 
Stufen entspricht einer weiten, gegen Südost streichen- 
den Falte des Kreidekalkes, deren Rücken gegen Süd- 
west meerwarts steil abbricht. In den vom eocanan 
Sandstein und Mergel erfüllten Mulden flutet größten- 
teils das Meer. DieseB Versinken des Gebirges gehört 
der jüngsten geologischen Vergangenheit an, denn auf 
dem eingesunkenen Felsgerüst* von Sansego liegen große 
Massen von fluviatilem Sand und Konglomeraten, wie 
sie ganz ähnlich jenseits der Adria in den Mündungs- 
gebieten einiger venezianischer Flüsse gefunden werden. 
Klußablagerungen hier auf eiuer winzigen Insel mitten 
im Meer. Fürwahr, die Natur gibt uns oft recht selt- 
same Rätsel auf." Jawohl, Ratsei, die nur durch eine 
sorgfältige petrographische und chemische Untersuchung, 
sowie durch zahlreiche eingehende Beobachtungen an 
Ort und Stullo gelöst werden können. 

Die samtlichen bisher angeführten Ansichten über- 
blickend, aeeeptiere ich von der Ansicht von Lorenz die 
Bildung der Sande durch machtige submarine Quellen 
und die gleichzeitige Hebung des Meeresbodens und ver- 
knüpfe sie mit der ueueston Ansicht Noö» von der Fal- 
tung de» Kreidekalkes, auf dem sich nicht fluviatile, 
sondern marine Saude, durch mächtige .Süßwasserquellen 
oui porgetrieben, ablagerten. Langsame, aber fortdauernde 




Abb. 3. Profil von Sansego von Ost nach West. 

a Kreidekalk mit Oitrea. k Kilkgrua mit Konglomerat, c Sand- 
steinlagen. il S*nd mit KoiikretioDtQ. e Typinchtr Ssuil mit Meer- 
koochylicn. 

Hebungon dieses Meeresbodens haben die Sandahlage- 
rungen von Sansego gehoben, wobei zeitweilige Meeres- 
strömungen den Sand in das südliche Iatrien und an den 
Strand der benachbarten Inseln angeschwemmt haben. 
Die Anschwemmungen von Canidole, Unie und Porto 
Kuje sprechen sehr dafür. Die vorhin erwähnten und von 
mir zuerst beobachteten weißen Ausbl Übungen im Sande 
von Sansego und auf Canidole, das Vorkommen der von mir 
beobachteten korrodierten Kalkgerölle , das wenn auch 
sporadische Vorkommen mariner Konchylion im Sande, 
sowie das Vorkommen einer zum Teil marinen Flora 3 ) 
auf eben diesen Sanden sprechen dafür, daß sämtliche 
erwähnten Saudablageruiigen , einem zerstörten kiesel- 
und glimmerreichen Gebirge angehörend, durch mäch- 
tige submarine Süßwaaserquellen emporgewirbelt und 
bei gleichzeitiger Hebung des Meeresbodens jenen Zu- 
stand geschaffen haben, wie er heute ist. Der benach- 
barte Kalk und sein Verwitterungsprodukt, sowie die 
Einwirkung örtlicher und klimatischer Verhältnisse haben 

*) Meiu Hei*eg>'f;ihrte, Herr Dr. Job. Purlnni , <leiu ich 
aueh ilio lihotogruphiscben Aufnahmen zu diesem Aufsatz« 
verdanke, sammelte einige hnlophilc Pflanzen, wie Euphorbia 
Paralias L. , «.'akilc maritima 8c4i|i. und Medicago lateralis 
tibd , die auch im Iuuern der Insel vorkommen; am Strande 
vorkommend, aber nicht halophiJ; Schoeuui nigricans Ii., 
Draba »raecox Wir., Lotus cytisoide« L. und rare* g'.auc» 
Roop. 



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254 



Dentschl.inds wirtschaftliche Stellung in Südchinu. 



dann eine Verschiedenheit in den Sauden hervorgebracht, 
auf die Leonardelli hingewiesen hat 

Diese rätselhafte Saudfrage ist dadurch hei weitem 



noch nicht gelöst, immerhin aber glaube ich ihrer Lösung 
durch die angeführten Beobachtungen näher gekommen 
zu sein. Milchte ich mich darin nicht getauscht haben ! 



Deutschlands wirtschaftliche Stellung in Südchina. 



Die „Österreichische Monatsschrift für den Orient" 
bringt in ihrem Märzheft einen Bericht des Österreich- 
ungarischen Konsulats in Hongkong über Deutschlands 
wirtschaftliche Betätigung speziell in Hongkong und Süd- 
china, und auch ganz Ostasien im allgemeinen. Dieser 
Bericht bietet ein ebenso erfreuliches wiu interessantes 
Bild von dem Stande unseres Handels und unserer Schiff- 
fahrt mit dem fernen Osten; es seien deshalb einige Mit- 
teilungen daraus liier wiedergegeben. 

Der Anteil l)eutschlauds um Gesamtbandcl Chinas 
beträgt 4 bis 5 Proz., wovon ein Dicht unbedeutender 
Teil über Hongkong geht, der aber aus der Statistik der 
chinesischen Seezollverwaltung nicht ersichtlich ist. In» 
Jahre 1905 belief sich laut jener Statistik der Wert des 
chinesischen Imports aus Deutschland auf 14 846 075 
Haikwan Taels (zu etwa 2,92 M.), der des chinesischen 
Esports nach Deutschland auf 5377 469 H. T. Wenn man 
jedoch den Umstand berücksichtigt, daß die Hinfuhr über 
Hongkong nach China 148071 198 II. T. und die Ausfuhr 
Chinas Aber Hongkong 81 452643 H.T. betrug, so erkennt 
man, daß jene Statistik für die Beteiligung des Auslandes 
am chinesischen Handelsverkehr kcino zuvorlässige Be- 
urteilung gestattet Mit den erwähnten 4 bis 5 Proz., auf 
die der Bericht den deutschen Anteil schätzt, kommt 
Deutschland im Handel Chinas hiuter Großbritannien mit 
seinen Kolonien (30 Proz.), Frankreich und Kolonien 
(20 Proz.), Japan (15 Proz.) und den Vereinigten Staaten 
(8 bis 10 Proz.) an fünfter Stelle. Dieselbe Stelle dürfte 
Deutschland im Handel Hongkongs einnehmen. 

In der Schiffahrt kommt die deutsche Flagge in Hong- 
kong gleich nach der britischen, in den chinesischen Ver- 
tragshäfen hinter der britischen, chinesischen und japani- 
schen Flagge. Die Stellung, die die Deutseben in den 
bedeutendsten finanziellen und industriellen Unterneh- 
mungen Ostasiens einnehmen, trägt gleichfalls nicht wonig 
zur Erstarkung ihrer dortigen wirtschaftlichen Interessen 
bei. Diese Stellung verdanken die Deutschen ihrem Fleiße 
und ihrer Ausdauer; sie haben im Osten viel härter und 
intensiver gearbeitet als bisher die Engländer, die sich 
dort an ein viel zu leichtes und bequemes Leben gewöhnt 
hatten. Als ein weiterer Vorzug des deutschen Kauf- 
manns wird es bezeichnet, daß seine Firmen in nähere 
und unmittelbarer« Berührung mit der chinesischen Kauf- 
mannschaft treten als die Engländer uud gewöhnlich 
längere und leichtere Kredite gewähren. Die deutscheu 
Fabrikanten lassen sehr oft und regelmäßig die ostasiati- 
schen Hafeuplütze durch tüchtige uud ortskundige Reisende 
besuchen, die stets die neuesten Moster mit sich führen 
und stets bereit sind, diese nach dem Wunsche der chine- 
sischen Kundschaft zu ändern. Deshalb sind die deut- 
schen Exporteure jederzeit über den Geschmack der 
chinesischen Kunden und die dortigen Absatzverhältnisse 
vollkommen unterrichtet. Außerdem zeigen die deutschen 
Häuser in Hongkong Zusammenhalten und die Bereit- 
willigkeit, sich gegenseitig zu unterstützen. 

Die deutsche Kolonie in Hongkong ist die nume- 
risch stärkste uuter den dortigen fremden Kolonien. Von 
der 4500 Seelen zählenden weißen Zivilbevölkerung Hong- 
kongs sind 3000 Engländer, 450 Deutsche, 90 Franzosen 
und 25 Österreicher. Die deutschen Firmen Hongkongs 
verteilen sich wie folgt: 7 vertreten 10 deutsch)' Seliiff- 



fahrtsgesellschaften und haben gleichzeitig die Agenturen 
für 9 nichtdeutsche Reedereien; 15 deutsche Firmen ver- 
treten 48 deutsche und 42 fremde Versicherungsgesell- 
schaften ; 20 große deutsche Firmen betreiben das Export-, 
Import- und Kommissionsgeschäft; 6 deutsche Firmen 
sind im Detailgeschäft tütig. Da bei dieser Einteilung 
einige Firmen doppelt gezählt sind, andererseits noch 
einige Maklerfirmen hinzukommen, so beläuft sich die Ge- 
samtzahl der deutschen Firmen Hongkongs auf 36, die 
außer ihren eigenen Geschäften 70 fremde vertreten. Die 
Zahl ihrer deutschen Augestellten beträgt etwa 1 20. Ferner 
sind zahlreiche Deutsche in englischen Instituten Hong- 
kongs in leitender oder hervorragender Stellung tätig. 
Eine tatkräftige Stütze erhalten Torner die deutschen 
Handelsinteressen in China durch die in einer großen 
Zahl von Orten durch Filialen vertretene Deutsch-asiati- 
sche Bank. 

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß ungeachtet 
aller Statistik, die den deutseben Auteil am Gesamthandels- 
verkehr Hongkongs als nur verhältnismäßig gering an- 
gibt, in Wirklichkeit der deutsche Handel in dieser Kolonie 
unbestritten den zweiten Hang nach dem Englands ein- 
nimmt, ja, daß dor Wert des jährlich von den dortigen 
deutschen Firmen erzielten Ctnsatzes nicht viel hinter 
dem der englischen Häuser zurückbleibt. Eine einzige 
deutsche Firma in Hongkong soll iin Jahre 1905 einen 
Umsatz von über 26 Millionen raex. Doli, erzielt haben. 
England behauptet, zwar noch den Markt in Baumwoll- 
garnen, in Stahl, Suhlwaren u. dgl., dagegen ist die deutsche 
Konkurrenz siegreich geblieben in Kurzwaren, Seifen und 
verschiedenen Textilwaren; ebenso wird sie immer fühl- 
barer in Waffen, Kupfer, Papier, Lampen, Wäsche usw. 

Die Entwickeluug der deutsohen Schiffahrt in den ost- 
asiatischen Gewäfjsern igt aus den beiden folgenden Tabellen 
ersichtlich, in denen die chinesischen Dschunken nicht mit 
eingerechnet sind. 

Hongkong. 

Tunnengehalt in Tausenden der ein- und ausgelaufenen Schiffe. 



flagge 


ItWS 


I90Ü 


191)3 


1905 


Knglamt .... 


*72fi 


9160 


1 1 2*0 


IS »5 2 


Jlmiucliland • • • 


IT»* 


1018 


2*9« 


2792 


Frankreich . . . 


342 


4«0 


H4* 


1189 


Norwegen .... 
Amerika .... 


HS 2 


'.'4* 


642 


TB* 


IAH 


252 


424 


«44 




44* 


254 


50» 


504 




1006 


1284 


2«34 


TO 



Chinesische Vo r tr a gsh ft f e n. 

T<»rmeik£ehaU in Tausenden der ein- und ausgelaufenen Schiffe. 



r'lngge l*W 1900 IVOS 1905 

Knglaiid .... 212U« 23052 2» 1211 3509« 

China 793fi 7544 9511 11350 

Deutschland . . . l«f»5 4032 7310 8188 

.lapau 15*9 3*72 79415 *239 

Norwegen • • • • **> •»-" 11:18 
Frankreich . . . 420 «*5 117* 1«99 
Amerika .... 239 474 5*0 1293 

Demnach nahm die deutsche Flagge 1905 in Hongkong 
den zweiten und in den chinesischen Häfen den dritten 
Platz eiu. Als Normaljahr muß indessen das Jahr 1903 
angenommen werden, da während dos russisch-japanischen 
Krieges die Handelsschiffe Rußlands und Japans ai 

'l Wirkunir de« ru»>i<.t-h-.iu|>a»iiirhen Krimp*. 



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Dr. ]•'. uud Dr. P. Sarasin: Die Steinxeit der Weddas. 



Gewässern verschwunden waren. Im Jahre 1906 wird die 
I Tiegen Verteilung wahrscheinlich dieselbe nein wie 1903. 
In Hoügkoug wird die deutsche Flagge wohl die zweite 
Stelle behalten, aber von der japanischen Konkurrenz 
immer mehr verdrängt werden. Der Wettkampf 
zwischen Deutschland und Japan hat in den ost- 
aaiatischeu Gewässern bereite vor mehreren Jahren be- 
gonnen und int nach dem Kriege von Japan mit ernenten 
Kräften wieder aufgenommen worden. Obgleich der 
Tonnengehalt der deutschen Schilfe in den ostasiatischen 
Gewässern in den letzten zehn Jahren sich vervierfacht 
hat und obgleich die Interessen der deutseben Scbiffabrts- 
geaeUschaften durch vortreffliche Agenten in Jedem be- 
deutenden Hafen Ostasiens wahrgenommen werden, so kann 
auf den endgültigen Ausgang dieses Wertkampfes der 
Umstand nicht ohne entscheidende Wirkung bleiben, daß 
Deutschland dort, trotz Tsingtau, sehr weit von seiner 
Operationsbasis entfernt ist, während Japan schon infolge 
seiner geographischen I.age die Vorherrschaft in den 
chinesischen Gewässern mit aller Aussiebt auf Erfolg be- 
anspruchen darf. 

Wae das Verhältnis zu Knglaud angeht, so muß man, 
um zu einer richtigen Auffassung zu gelangen, in Betracht 
ziehen, daß die Deutschen in Hongkong nur Hochsee- 
schiff« verkehren lassen, während zwei Drittel der im 
Hongkonger Hafen ein- und ausgelaufenen britischen 
Schiffe Flußduntpfor sind, diu den Verkehr nach Macao, 
Kanton und den Häfen des Westflnsses vermitteln. Des 
Vergleichs wegen müssen also diese Flußdampfor aus- 
geschaltet werden. Zieht man aber nur die Hochseeschiffe 
in Rechnung, so betrug der Anteil Deutschlands an der 
Schiffahrt des Hongkonger HafeDS im Jahre 1905 20 Pro«, 
gegen 50 Proz. des englischen Anteils. Abgesehen von 
der japanischen Schiffahrt hat unter allen Nationen Deutsch- 
land die bedeutendsten Fortschritte in den ostasiatischen 
Gewässern gehabt 

Die deutschen Schiffahrtgesellschaften haben ihre be- 
deutende Stellung in Ostasien dank ihrer ausdauernden 



und zielbewußten Arbeit und ihrem praktischen Sinn er- 
reicht. Auch sind ihre auf den großen Linien verkehren- 
den Dampfer durchweg neue, mit dem größten modernen 
Komfort eingerichtete Schiffe. Die peinliche Reinlichkeit, 
die gute Bedienung und die Zuvorkommenheit der Schiffs- 
Offiziere und sämtlicher Angestellten erhöhen die Annehm- 
lichkeit der Reise mit diesen Schiffen. Künftig aber werden 
die deutschen Schiffsgegellschaften nicht nur mit dem 
Wettbewerb der englischen und französischen Gesell- 
schaften , sondern auch dem der Japaner zu kämpfen 
haben, da die Nippon Yushen Kaisha im Jahre 1906 ihre 
regelmäßigen Fahrten nach Kuropa wieder aufgenommen 
hat. Auch die Engländer scheinen den Ernst der Lage 
erfaßt zu haben. So hat die Peninsular and Oriental 
Company auf der Linie Bombay— Colombo— Hongkong 
—Schanghai größere und schnellere Dampfer eingestellt, 
übrigens wird in Siugapore die englische Schiffahrt 
durch die deutsche von Jahr zu Jahr immer mehr ver- 
drängt, und aus den Häfen Siams ist die britische Flagge 
infolge des Ankaufs der Scotch Oriental Line durch den 
Norddeutschen Lloyd beinahe ganz verschwunden. Die 
Linie Hongkong — Swatau — Bangkok wurde in den letzten 
fünf Jahren ausschließlich durch deutsche Schiffe bedient, 
1906 errichtete die erwähnte japanische Gesellschaft eine 
Konkurronzverbindung. Auch im Verkehr zwischen llong- 
kongund Französiioh-Indochina kommt die deutsche Flagge 
nach der französischen an die erste Stelle. Für die ge- 
samten Häfen Französisch-Indochinas fallen 38 Pros, des 
Tonnengehalts auf deutsche Schiffe, für die Linie Hong- 
kong — Haiphong 40 Proz. Auf der Linie Japan— Hong- 
kong— Manila— Australien konkurrieren die Deutschen 
mit zwei britischen und einer japanischen Gesellschaft. 

Die Hongkong berührenden deutschen Schiffahrtslinien 
sind sämtlich maritime Linien. Flußdampfer besitzt 
Deutschland nur auf dem Jangtsekiang. Erst im Laufe des 
Sommers 1906 ist die deutsche Flagge zum erstenmal auf 
einem bis hör unter englischer Flagge fuhrundeu Dampfer 
I am Westfluß erschienen. 



Die Steinzeit der Weddas. 

Uriefliobo Milteilling von Dr. F. und Dr. P. Sarasiu au Dr. L. Rütiineyer in Basel. 



Nilgala, 7. Marz 1907 ')• 
Der von uns seinerzeit geführte historische Nach wein 
der Antochthonie der Weddns auf Ceylon war nicht 
zwingend genug gewesen, um alle Zweifel über die an- 
thropologische Schätzung dieser Menschenvarietät zu 
bannen. Da es bis jetzt nicht gelungen war, in den 
Höhlen dus Weddagobiutos, ja auf ganz Ceylon über- 
haupt, Geräte aus Stein zu finden, welche die Steiiiiudustric 
der Urweddus darstellou konnten, so tauchte immer wieder 
die Vermutung auf, die Weddas seien nichts anderes als 
„verwilderte" oder .verkommene 1 * Singhaleson, und da 
nach Abschluß unserer Weddaforschungen sich niemand 
um das Nachgraben in coylonosischen Hohlen ernstlich 
bemüht zu haben scheint, so beschlossen wir, die Sache 
selbst in die Hand zu nehmen, und begaben uns vou 
neuem mit Kulis, Ochsenwagen und Reisezelt in das 
eigentliche Hurz des Wcddagebiotcs. 

Nachdem wir den Boden von vier Höhlen schon sorg- 
fältig durchforscht hatten, waren wir zunächst doch erst 
so weit, Spuren prähistorischer Geräte entdeckt zu haben, 
ohne noch wagen zu dürfen, vou einer Entdeckung der 
Steinzeit der Weddas zu sprechen. Hier aber in Nilgala, 



') Di« Herren 8»rit.sin Italien 
feylon im Januar lt>07 angetreten. 



ihre 



Inn- Ii 



dem Zentrum des Wuddalandes, führte uns ein glück- 
licher Zufall in eine einsam im wilden Elefantenpark 
unter hohen Bäumen sich öffnende Höhle, in deren Boden 
nesterartige Spuren bewiesen, daß sie gegenwärtig den 
Bären zur Wohnung diente, und hier förderte die vor- 
genommene Ausgrabung schon in der geringen Tiefe von 
40 bis 80 cm eine solche Fülle von Sichtgeräten zutage, 
daß wir die Entdeckung der Steinzeit der Weddas hier- 
mit der wissenschaftlichen Welt anmelden können. Die 
Form der Späne, Messer, Spitzen, Schaber und Knochen- 
ahlenfraginonte lassen diese Steiniudustrio als dem Mag- 
dalenien angehörig erkennen, doch ist sie als eigene 
Facies weddalica zu bezeichuen, insofern als der weiße 
Quarz großenteils von der glasartig durchsichtigen Varietät 
die größte Menge des Materials abgegeben hat; aber 
daneben haben wir hier Artefakte aus rotem, gelbem 
und schwarzem jaspisurtigem Quarzit in Fülle gefunden, 
vollkommene Fremdlinge innerhalb der von einom mäch- 
tigen Gneisblock gebildeten Halbhohle. Im ganzen handelt 
es sich um kleine Steinwerkzeuge für offenbar kleine 
Hände; auch die drei zierlichen Klopfhämmerchen, welche 
wir gefunden haben, zum Abschlagen der Steinspäne 
von den Kornstoinen, sind klein; unsere Funde hier 
auch nur im allgemeinen zu beschreiben, würde viel 
zu weit führen, wir wurden sie für ein Suppk-meutheft 



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*J5C. 



Büchersohau. 



unseres Ceylonwerkea ausarbeiten. Diu Autocbthonie j mit einemmal den Schritt aus der jüngsten Periode de« 

der Weddas auf Ceylon ist erwiesen. Die Singbalcseu j PalSolithicuma in die Eisenzeit, welche ihnen von den 

kamen verbältnismällig spat uud brachten sogleich das Singhaleaen entgegengebracht wurde. 

Eiset) mit. Wir vorlegen jetat unser Quartier nach dem von 

Wir glanben schon sagen zu dürfen, daß die neo- WeddaK bewohnten Danigalagebirge, um auch auf die 

lithische Steinieit auf Ceylon fehlt. Die Woldas Uten I dortigon Höhlen unsere Nachforschungen auszudehnen. 



Bücherschau. 



C. G. Schillings, Der Zauher des Eleleseho. 4(58 S. 
Hit 318 Abbildungen, meist photographischen Original- 
Tag- und Nachtaufnahmen des Verfassers, urkundtreu in 
Autotypie wiedergegeben. Leipzig, U. Voigtländers Ver 
lag, »*»o«. 12 M. 
[Hu Verfassers erste» Werk .Mit Blitzlicht und Büchse* 
ist mit ungemeinem Enthusiasmus nicht nur bei uns zu Land« 
begrüßt worden, sondern dank der veranstaltete» englischen 
Ausgabe auch bei Unseren Nachbarn jenseits den Kanals und 
selbst des große» Wassers, in Nordamerika. In dem vor- 
liegenden Buche bringt der Verfasser, wie er sagt, einen 
weiteren Teil seines Bilderschatzes aus dem 11er- und auch 
dem Menschenleben der ostafrikauischen Steppe, dem Gebiete 
des domigen Elcleschoslruuchcs, vor das i'ublikum. Es ist 
eine bekannt« Sache, daß ein /weites Buch des«olben Autors 
über dasselbe Thema niemals die Frische und I.«bhaftigkait 
des ersten erreicht und erreichen kann. Zuerst schupfte der 
Verfasser damals sozusagen aus dorn vollen Schatze seiner 
Beobachtung, er konnte alles ihm besonders interessant , be- 
sonder* eindrücklich Scheinende zusammenstellen , wahrend 
er alles andere einfach beiseite und unbeachtet liett. Bei 
einer weitereu Bearbeitung wußte er aber notgedrungen ge- 
rade darauf zurückgreifen. Kr wird ferner vielfach genötigt 
sein , sich in Bemiuiszeuze» zu ergehen , die er zusammen- 
stellt, und er fallt somit auch wohl öfters, als «■ für das 
Buch wünschenswert ist, in den Ton kühl reflektierender 
Betrachtung. 

Auch Schillings ist diesen Klippen nicht ganz entgangen, 
was sowohl bei deu Bildern als auch im Text hervortritt- 
Ersture enthalten neben vielem fkbitaen und Originellen, 
dessen dauernden Wert wir durchaus anerkennen , auch eine 
Beihe von Ansichten ausgestopfter Tiere, die mau in einem 
Werke, das eine .urkundtreue Wiedergabo" auf seine Fahne 
schreibt, gern vermint hätte. 

Hier bestellt indessen wenigstens ein innerlicher Zu- 
sammenhang; was soll man aber sagen, wenn im Texte 
Gegenstände besprochen werden , die mit dem Thema des 
Buches doch nur in ganz loser Verbindung stehen. Dazu 
zahlt B. das Kapitel „Dio deutsche Jagd uud der Schutz 
der Naturdenkmäler", uud ein Teil des dritten , das sieh be- 
titelt .Von der Mammutzeichuung des Diluvialmensche» bis 
zum Tele- und Blitzlicht*. Trotzdem mochten wir aber das 
Buch allen Naturfreunden, Jägern usw. bestens empfehlen, 
enthalt es doch vielerlei luteressautc« uud wirkt ei insbeson- 
dere durch Vorführung der zahlreichen, in der freien Natur 
aufgenommenen Bilder sehr instruktiv. Heute ist die Tier- 
welt der ostnfrikauiseheu Steppe leider bereits zum gToßeu 
Teil ausgerottet, der Zauber des Elelesclio i»t «"mit erheblich 
vermindert uud abgeschwächt. Nur mit den Augen Schillings, 
und der Hilfe «einer damals so sorglich geschaffenen Auf- 
nahmen ist es uns und deu Generationen nach uns möglich, 
einen Eindruck der Herrlichkeiten zu bekommen und in uns 
aufzunehmen , die jener Glückliche selbst noch gesehen hat. 

Dr. med. Schnee. 

Hauptmann a.D. L. von Brandis, Deutsche Jagd am 
Viktoria Nyanzst. 2518. Mit 2« Abb. u. 1 übe ich ts- 
karte. Berlin, Dietrich Beimer, 1907. k M. 
Der Verfasser, der sich al» Nichijägor bezeichnet, bat 
10D4 eine etwa halbjährige Jagdrei«« nach Deutsch-OsUfrika 
unternommen, und, was er auf ihr erlebt und beobachtet, in 
dem vorliegenden zweckentsprechend ausgestattete]) Buche 
anschaulich und fesselnd geschildert. Nachdem der Verfasser 
die Gelegenheit benutzt hatte, sich einer Strufexpedition in 
deu Bezirk Mohorn ttnzutchlieSuu ■ fuhr er auf der 1'gauda- 
Imhn zum Viktoriasee uud mit dem Dampfer nach der dein 
sehen Station Schirati am Ostufer des See*. Von hier unter- 
nahm er einen größereu Streifzug in die MassaiMeppe , die 
teilweise noch von Wild aller Art wimmelt, bi« zu deu Mili- 
tarposten Ikoma uud Olgos. Hier u»i er mancherlei ge- 
schossen <>dor gefangen. Geographisch« oder «Omographische 
Notizen linden sich naturgemäß kaum in dem Buche, doch 
ist es an TierWWljl utigeu nicht arm, von der Miu-ke bis 



zum Elefanten • - buchstäblich genommen- Die besondor* vom 
NjaBsa bekannten gewaltigen , dicken Mückeuschwarma hat 
der Verfasser auch an oder über dem Viktoriasee gesehen; 
or twrichU-t, datt die Eingeborenen die Tierchen in großen 
Massen in Kftrben fangen, sie trocknen und daraus .Brot* 
backet) (S. 4t)). AU das dem Menschen heut« gefahrlichste 
Tier Ostafrikas wird da» Krokodil bezeichnet; ihm fielen 
mehr Neger zum Opfer als allem übrigen Raubzeug zu- 
sammen (S. rtj). Eine merkwürdige Beobachtung, mit der 
der Verfasser, wie er selbst sagt, wenig Glauben gefunden 
hat, berichtet er S. 127 und 1.10. Es handelt sich um einen 
.aufgebäumten" Löwen — einen Löwen, den «r von deu Ästen 
eines Baumes herunterspringen sah. Die Eingeborenen be- 
haupten , der L'iwe benutze häufiger erhöhte Baumaste zum 
Ruhen. Auf hohen Baumen bringt dann der Leopard seine 
Beute ius Versteck (S. 142); es würden dort oft solche Depots 
gefunden. Viel ^ wird über die Schufiwirkung bei Elefanten 

Interesse. Zu den vielen Unbcgrelflichkeite.n unserer Kolonial- 
hureaukrntic gehört , daß die Zollbeamten iu der deutschen 
Hauptstadt Dar-es-salam zwar englisches üold , nicht aber 
deutsches Papiergeld annehmen dürfen. Von der Umwälzung 
der ganzen Verkehrsverhältnisse durch die Ugnndabnhu zeugt 
der Umstand, daß sogar die Transporte nach den Tangauika- 
»tationen nur mit ihrer Hilfe bewirkt werden. Am Schlatt 
wendet der Verfasser sich gegen die Vorherrschaft der indi- 
schen Händler, die das Geld aus der Kolonie herausziehen 
und jede Konkurrenz durch ]>eulsche ersticken; es scheint, 
die Vorwaltung begünstige diese Inder mehr, alt nötig ist. 

S. 

Dr. Emst Schnitze, Die Eroberung von Mexiko. Drei 
eigenhändige Derichte von Kerdinaud C'ortez an Kaiser 
Karl V. «43 S. Mit Abb u. Karten. (Bibliothek wart- 
voller Memoiren, herausgegeben von Dr. Ernst Svhultze, 
Bd. 4.) Hamburg, Gutenberg- Verlag, 190". 8 M. 
Eine kurze < harakteristik dieser Memoiren - Bibliothek 
und des Zweckes, deu ihr Herausgeber verfolgt, ist bereits 
bei der Besprechung des ersten. Maro« Polo gewidmeten 
Bandes gegelwu worden (Globus. Bd. 81, B. ÜOÄ). Es erklärt 
sich daraus, daß der Bearbeiter hier Dicht sämtliche fünf Be- 
richte Oortez' wiedergegeben hat , sondern nur den zweiten, 
dritten und vierten Bericht; der erste Bericht sei nicht inter- 
essant genug, und der fünfte, der über den Zug nach Hon- 
duras handelt , stöbe mit deu übrigen nicht in direkter Be- 
ziehung. Eine Neuubersetzuug jener drei Berichte wird nicht 
gegeben, was man aber doch wohl hätte erwarten und wün- 
schen müssen. Der Bearbeiter hat sich vielmehr die Sache 
dadurch leicht gemacht, daß er die Koppesche Übertragung 
von 1814 „zugrunde gelegt', d.h. ihr flüssigeres Deutsch und 
eine übersichtliche Kapiteleinteilung gegeben hat. Er hat 
dann ferner die Berichte mit einer großen Zahl erläuternder 
uud kritischer Anmerkungen versehen und dabei auf kultur- 
geschichtliche K'immentieruug Wert gelegt. Ob diese letztere 
freilich durchweg korrekt ist und dem heutigen Stande des 
alloiexikanischen Zweigos der Amerikanistik überall ent- 
spricht, sei dahingestellt. 

E. Daenell, Geschichte der Vereinigten Staaten von 
Amerika. (Aus Natur und Geisteswelt, 147. Bd.) Leip- 
zig, B. O. Teuhuer, 1H07. 
Die schwierige Aufgabe, die ganz» Geschichte der Ver- 
einigten Staaten auf 170 kleinen Seiten in übersichtlicher 
und datei eingehender, alle wichtigen geschichtlichen Mo- 
mente IxTÜhreuder Darstellung vor uns aufzurollen, ist durah 
dieses kleine Buch in glücklicher Weise gelost. Unter be- 
soiiderer Berücksichtigung der durch die geographischen Ver- 
hältnisse und die Anwesenheit einer kräftigen Urbevölkerung 
geschaffenen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen 
wird von den Tagen der Normannen und des älteren Cahot 
an bis in das 2". Jahrhundert hineiu die Geschichte jener 
gewaltigen und glücklichen l.änderinassen beschrieben, die 
heute .U» Sternenbanner umfallt. 



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Kleine Nachrichten. 



257 



Bei der Schilderung der Nnrmannenfahrten sind dem 
Verfasser Joseph Fischer« Werk und die kleineren Arbeiten 
entgangen, die diesem unmittelbar gefolgt »Ind. .Markland* 
iit Neu - Kundland and .Winland" Neu -Schottland, nicht 
Massachusetts und Khode Inland. Über die ethniiche Zu- 
gehörigkeit der Eingeborenen, ob Eskimo oder Indianer, bat 
nach dreijährigem Streit wohl Thalbitzer da« letzte Wort 
gesprochen. Er hat auf Grund sprachlicher Untersuchung 
der vier allein überlieferten Wörter die Skralittge.r Marklands 
als Eskimos identifiziert. Waren aber die Bewohner von 
NeuFuudland Eskimos, so werden auch die Skrälinger von 
Nou-Schottland als solche anzusprechen sein. 

Bas Buch Professor Baenells kann nur einem jeden 
anempfohlen werden, der in kurzer Zeit eine gute Übersicht 
über die Geschichte der Vereinigten Staaten gewinnen will. 

(j ber das Außere mögen noch ein paar Worte am Platze 
•ein. Schreibweisen wie San Franzisko, San Jazinto. Konnek- 
tikut, Kolorado, General Kliuton , Potomak , Neuplyraonth, 
Unterluisiana , Harvardcollege und viele andere mehr von 
dieser Art finden sich weder auf unseren guten Atlanten wie 
Stieler und Sydow • Wagner . noch in unseren besseren geo- 
graphischen und geschichtlichen Lehrbüchern und müssen, 
meine ich, jedem Amerikanisten wenig angenehm in die 
Augen fallen. Hierfür ist aber vielleicht weniger der Ver- 
fasser als die Hetzer verantwortlich zu machen , die nicht 
selten eino unbczwinglicbe Neigung haben, Fremdwörter 
jeder Art rücksichtslos ihrem deutschen Rechtschreibesystem 
zu unterwerfen. Friederici. 

Honcare Dnnlel Cohwht, My Pilgrimage to the Wise 
Men of tho East. IX u. 416 8. Mit 21 Abb. London, 
Archibald Constable. 1906. 12 s. .id. 
DerVerfaaser ist ein hervorragender Vertreter des Ratio- 
nalismus, der 1863 zu einer Vnrtragsreise nach Australien 
eingeladen wurde. Den Rückweg schlug er über Ceylon und 
Indien ein, und hier fand er die , weisen Männer des Ostens*, 
die Vertreter der Religion Ruddhas und Znroasters. Seine 
Beobachtungen und Gedanken hierüber, wie über die sonstigen 
Religionen bilden den Hauptinhalt und den Schwerpunkt 
seiner Darstellung. Es ist vom Standpunkte des Verfasser» 
aus erklärlich, daß er ein Bewunderer dea Buddhismus ist, 
wahrend ihm das Christentum in seiner jetzigen Form nicht 
zusagen will. .Während das Christentum" — so lesen wir 
8. 193 — .den Anspruch erhebt, mit der frohen Botschaft 
von großer Freude für die ganze Menschheit in die Welt ge- 
kommen zu sein, aber mehr Blut vergossen und mehr Elend 
verursacht hat als alle übrigen Religionen zusammen , hat 
der Buddhismus die glücklichsten Gläubigen auf Erdeu her- 
vorgebracht." Christen sind dem Verfasser andererseits auch 
die Moslems; denn sie seien die einzigen im Osten, die buch- 
stäblich alle die Christus zugeschriebenen und in der Bibel 
über seine Geburt erzählten Wuuder glaubten (8. 1««). Über 
diese Dinge mit dem Verfasser zu rechten , hat natürlich 
keinen Zweck; wie man sich aber auch stellen mag, man 
wird seinen Ausführungen mit Interesse folgen. Auch bat 
der Verfasser seine Aufmerksamkeit vielen anderen Hingen 
zugewandt, von den Vögeln und Pflanzen Australiens bis zu 
den — Kruppschen Werken in Essen, die er auf der Heim- 
reise besucht hat. Er meint, daß für das Aussterben der 
Tasmanier nicht britische Gewalttätigkeiten verantwortlich 
seien (»), sondern „unwissende uud puritanische" Missionare, 
die sie mit Kleidern beglückt hätten. Auf Ceylon besuchte 
der Verfasser den verbannten Arahi Pascha, von dem er eiu 
sympathisches Bild entwirft. Jener Ägypter tat u. ». den 
Ausspruch : Mohammed ist gestorben. Christus und Elias nicht. 
Den berüchtigten Wagen von Dscbaegenautb, unter dem die 
Gläubigen sieh in Scharen zermalmen ließen, versucht der 
Verfasser zu rehabilitieren. Er meint, es handele sich nur 
um Unglücksfälle, vielleicht auch gelegentliche Selbstmorde 
vom religiösen Wahnsinn Befallener, wie es solche ja überall 
gebe; unwissende Beobachter hätten diese trautigen Vorfälle 
als Bestandteile der Zeremonie aufgefaßt, was natürlich falsch 
sei , da Vischnu doch Herr des Lebens sei , der jede Zerstö- 
rung desselben verabscheue. In den Mitteilungen über den 
Aufenthalt in Kalkutta beschreibt der Verfasser indische und 



Parsenspieic. Die modernen Parsen sind übrigen« seiner Mei- 
nung nach kaum noch Zoroastraner. r. 

Alfredo de Carralho, Estudos Pemambncanoa. 311 8. 
Reeife 1B07. 

Der Inhalt diese» hübschen Buches von Dr. de Carvalho 
iBt in der Hauptsache historisch, aber auch über Geographie 
und Völkerkunde finden sich hier und da einige Bemerkungen. 
Sehr interessant ist der Aufsatz ,A Paizagem Pernambucana", 
der schon früher mit Abbildungen in der August-Nummer 
llMJri der .Renascenca* veröffentlicht worden war und den 
Versuch macht, das LandBchaftsbild der Gegenden um Per- 
nambueo wiederherzustellen, wie es sich zur Zell der Ent- 
deckung den Blicken der Europäer darbot. Friederici. 

W. Crooke, Natives of Northern India. XIV u. 270 8. 
Mit 32 Abb. u. 1 Karte. (The Natives of the British 
Empire.) London, Archibald Coustabte, 190". Bs. 
Es ist dieses ein mehr populäres, aber zur Einführung in 
die Ethnographie des nördlichen Vorderindiens wohl geeignetes 
Buch. Und die zusammenfassende Arbeit des Verfassers, 
eines ehemaligen bengalischen Beamten , war keine kleine, 
wenn man das Chaos der Rassen, Kasten und Sprachen des 
Landes bedenkt. Aber der Leitfaden ist gut , eine reiche 
Literatur wurde benutzt und die Darstellung ist flüssig. Die 
prähistorische Zeit Indiens wird kurz abgetan; die llauptfunde 
der pnläolithischen wie neolithischeii Zeit, die der europäischen 
gleichen, werdeu aufgeführt; auch über die eigentümlichen 
Felszelchnungen in den Vindhyanbergen, wo Ochsen- uud 
Hinichjagden in roter Farbe gemalt sind, erfahren wir eini- 
ges. Die Verehrung, mit denen die alten, längst außer Ge- 
brauch gekommenen Steinwerkzouge der Vorfahren betrachtet 
werden, offenbart sich noch darin , daß man sie als Opfer- 
galten den Ortsgöttern darbringt. Um Klarheit in das in- 
dische MenschengewiiT zu bringen, klassifiziert der Verfasser 
sehr einfach. Er sieht ob von anthropologischen Typen, so- 
weit sie aus Schädelmessungen usw. sich ergeben, zumal au» 
dem Grunde, weil hier noch nicht genügender Stoff vorliegt, 
und bevorzugt eine Dreiteilung, die mit sprachlichen uud 
geschichtlichen Tataachen sieh deckt und der gegenwartigen, 
durch und durch gemischten Bevölkerung gerecht wird. 
Solche Mischungen werden schon in vorgeschichtlicher Zeit 
angenommen, und selbst die Kasten, die ja teilweise auf 
Rasscnuuterschieden beruhen, Rind verhältnismäßig eine junge 
Schöpfung aus spätbuddhistischer Zeit. 

Crooke kommt auf eine einfache Dreiteilung. Er charak 
terisiert zunächst den Indo-Arior, der am höchsten steht, 
und hier verweist er, mit Recht, auf das. was Max Müller 
so oft über den mißbrauchten Namen der Arier sagt. 
Weder Knochen noch Fleisch, weder Haar noch Schädel ist 
darunter zu verstehen, sondern nur Menschen, die eine ari- 
sche Sprache reden: Hindus, Griechen, liömor, Deutsche, 
Kelten und Slawen. Arische Rassen, arisches Blut gibt es 
so wenig wie ein dolichokephales Wörterbuch oder eine 
hrachykephale Grammatik. Daß darum die«« Sprachen bei 
den höher stehenden, helleren Hindus herrschen, ist bekannt, 
und ebenso die drawidischon Sprachen bei den dunkleren 
Umngeboreoen , welche die zweite Klass« ausmachen, wäh- 
rend als dritter großer Zweig der Bevölkerung die Mougo- 
loiden im Norden, in Tibet und dem Himalaja aufgestellt 
werden. Überall aber haben diese drei sich stark vermischt, 
und die Hauptmasse der indischen Bevölkerung besteht nun 
aus Mischlingen verschiedenen Grades, die überall sich ein- 
ander im Typus nähern oder voneinander entfernen, zwischen 
denen aber eine endlose Reihe von Übergängen besteht. Und 
so sind auch Bastardsprachen vorhanden. So setzt sich, in 
groben Zügen, das indische Völkergewirr zusammen, das auf 
jeden Besucher der Halbinsel seinen Eindruck nicht verfehlt. 
Nacheinander wird dann die ganze Bevölkerung nach ihren 
Stämmen, Kasten, ihren Gewerben, ihrem Ackerbau und 
ihrem Leben von der Geburt bis zum Tode, nach ihren He 
ligionen und dem damit zusammenhangenden Aberglauben 
geschildert, so daß wir ein kurzes, aber recht anschauliches 
Bild der Bewohner Nordindien» erhalten. 



Kleine Nachrichten. 

Abdnwk nnr mit O. u otl.o»i>t»t>» «stUtttt. 



— Überblick über die schweizerische Volkskunde. 
Ho reich, man kann sagen überreich, die schweizerische Volks- 
kunde auch an Einzelschritten ist, so gibt es doch kein zu- 
sammenfassendes Werk über sie. Schwierigkeiten verursacht 



dabei wohl auch die sprachliche Dreiteilung des Landes, in- 
dessen hat jetzt der verdiente und gelehrte Herausgeber des 
Schweizerische» Archivs für Volkskunde Prof. Dr. E. ll.'ff- 
mann-Krayer in Hasel wenigstens einen vorläufigen zu 



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Kleine Nachriehteu. 



sammenfasseuden Ersatz geschaffen durch einen mit reichen 
Literaluraugaben veneheuen Artikel im „Geographischen 
]>xikon der Schweix', Bd. V. 8. 33 bin 4B, 1907, der kurz, 
»ber für dna allgemein« Bedürfnis genügend, uns einen vor- 
trefflichen Überblick der schweizerischen Volkskunde bietet, 
worauf wir die Forscher auf diesem Gebiete hinweisen wollen. 

A. 



— Der Reichtum Nordafrikas bin in den Sudan hinein an 
prähistorischen Denkmäler« und Artefakten i«t bekannt, tritt 
aber immer mehr zutage, sobald kritisch blickende Reilende 
auf diese Ding« achten, was bei älteren Reisenden nur leiten 
der Fall war. Dal) Bohlfs einmal in Kufra eine iteinerne 
Lanzenspitze und Lenz in der weltlichen Sahara einige Stein- 
hämmer fand , erregte seinerzeit Aufseheu. Jetzt bat der 
französische Reisende Dr. Decome wiederum nordöstlich 
vom Senegal (Gegend von Koniakary und Nioro) wie am 
mittleren Niger (südwestlich von Timbuktu) zahlreiche prä- 
historische Artefakte nachgewiesen , und er nimmt an, dal) 
der ganze weite Raum /.wischen Seuegal und Niger damit 
erfüllt ist und somit ehemals stärker als heute bevölkert ge- 
wesen sein mUxs« (T/Anthropologie 1900, p. 669 ff.). Auch fn 
jenen Gegenden , wie fast überall , herrscht bei den Eingebo- 
renen der Glaube, daß die Steinbeile unter Donner und Blitz 
auf die Erde herabfielen; nur bei den Tuareg herrscht diese 
Ansicht nicht. Dr. Decorse weist auch darauf hin , dal! er 
bedeutende Schlaokenhalden in der Form von Tumuli fand, 
die Zeugnis von ehemaliger Eisengewinnung ablegen , ebenso 
entdeckte er viele ninde und rechteckige Steinsetzungeti, die 
aber, mit ihrer Öffnung g*gen Osten, wahrscheinlich von 
Mohammedanern herrühren und primitive Moscheen darstellen 
sollen. Am eigentümlichsten sind aber die monolithischen 
Denkmäler, die er boi Tondidaro, südlich von Tim- 
buktu auffand und abbildet. Auf sie uatt<a schon Desplagnes 
hingewiesen (vgl. »La Geogr.*, Februar 19u6; „Globus", 
Bd. «9, 8. 240), allein die Abbildungen von Decorse sind viel 
genauer als die seines Vorgängers. Es handelt sich um eine 
Gruppe von meist runden stehenden Steinen, von denen einige 
eingehauene Verzierungen (Zickzac.kmuster, Bänder usw.) 
tragen ; au manchen erkennt man deutlich starke Auswüchse, 
etwa wie große Warzen, andere haben eine Einschnürung unter 
der Spitze, so daß das Ganxe einem riesigen Phallus gleicht, 
ähnlich den Bteinphallen, w ie wir sie aus Hawaii und Mittel- 
amerika kennen. Die meisten sind aber glatt. Malle gibt 
Decorse leider nicht an. Eiue flüchtige Ausgrabung ergab 
Topfscherheu. Jedenfalls bedürfen wir näherer Untersuchun- 
gen über diese Monumente, von denen Decorse vermutet, daß 
sie vielleicht eine hier begrabene Familie personifizieren ».dien, 
die größereu Mann und Weib, die kleineren Kinder; aber er 
deutet auch, mit Rücksicht auf die l'haltusform , punischen 
Einfluß an, begibt sich jedoch eines endgültigen Urteils. 

— Cators Mitteilungen über das Gebiet südwest- 
lich vom N iger- Ren ue- Zusa m men f 1 u U. Zum Teil noch 
recht wenig bekannt sind die Gegenden zu beiden Seiten der 
Unterläufe vom Niger und Uenüe, doch beginnt sich hierüber 
jetzt etwas Licht zu verbreiten , nachdem die englische Ver- 
waltung immer weiter um »ich greift. Im Märzbeft des 
Londoner „Guogr. •lourn.' wird eine Karte in 1 : r>00O0o über 
die Provinzen Kabba und Bassa in Nordnigeria veröffentlicht, 
für die ein Berniter der Kolonie, D. Cator, seine Knuten zu 
beiden Seiten des Niger unterhalb Loknja und eine Anzahl 
Hreitcu goliefort hat. Dazu werden als Text einige Mit- 
teilungen über die Distrikte Eghira und Kurukuru der Pro- 
vinz Kabba im Westen des Niger gegeben. Die Bewohner 
von Egbira , die in früherer Zeit sehr durch die Sklaven 
jagden litten, Italien viele ihrer Dörfer in den unzugänglichsten 
Teilen der Berge angelegt, oft sehr weit von ihren Feldern 
entfernt, aber doch stets so, daß sie diese im Auge behalten 
können. Das Land ist zum Teil dicht bevölkert , und der 
Ort Okeli alloiu zählt S<>00<> über ein weites Areal zerstreute 
Einwohner. Die F.gbira durchstechen den Mädchen die Ober- 
lippe und stecken ein kleines Stück Blei hinein (das Metall 
wird nicht an Ort und Stelle gefunden), was die Geburt be- 
günstigen «oll. Eine andere Sitte ist, daß der Bräutigam der 
Familie der Braut, vom Kaufgelde abgesehen , 210 Kaum 
bezahlen muß, damit die Heirat wirklich perfekt ist. Im 
Falle der Scheidung oder der WiederverheiraUiiig der Witwe 
entstehen aus der Weigerung, diese winzige Summe zuriiek- 
zugel>en, endlose Rechtsstreitigkeite». Da* Kurukuruland bietet 
mit seinen waldbedecktcn Mügeln ein ^anz anderes Aussehen 
wie Egbira. In den Dörfern wird viel Eisen geschmolzen. 

— In eiuciu lesenswerten Aufsatz über die Verteilung 
der Bevölkerung der Provinz Com» (Kiv. dangt. Dal., 
XIV, 2) macht Franc» Bianchi auf den Umstand auf 



merksam, daß die WesUcite der drei großen oberitalienischen 
Seen durchweg stärker bevölkert ist als die Ostseite. Am 
Lago Maggiore wohnen nämlich innerhalb einer Entfernung 
von 2 km vom Seeufer auf 1 ukni auf der Westseile 3»8, auf 
der Ostseite nur 296 Einwohner; für den Comersee sind die 
Zahlen 498 nnd -236, für den Gardasee 230 und 146. Für 
den letztgenannten See tritt also der Gegensatz beider Ufer 
am schärfsten zutage. Halbfaß. 

— In der Zeitschrift „Die Erbebenwarte' (1905, o«, V. Jahr- 
gang, Nr. 9 bis 12) Andet sich eine mit Grundrissen und Ab- 
bildungen versebene Beschreibung der neu errichteten, von 
Dr. B. Schutt nach don neuesten Erfahrungen auf seine 
Kosten erbauten und dann dem Hamburgischen Staat ge- 
schenkten Hauptstation für Erdbebenforschung am 
physikalischen Staatslaboratorium zu Hamburg, 
auf die Interessenten durch diese Notiz hingewiesen seien. 

Gr. 

- Pelliots Mission nach Ostturkeatan. An der 
Erforschung der Altertümer Ostturk es tans arbeiten seit kurzem 
auch französische Gelehrte mit. Unter der Leitung Pelliots, 
Professors des Chinesischen ander Mole fran<;«ise d' Extreme 
Orient, ging im Juni v. J. eine vom franzosischen Uuter- 
richtsmiuister, der Acadeinie des Inscriptions uud dem Görnitz 
de l'Asie fr:itn;aLse ausgerüstete Expedition dorthin. Eude 
August war sie in Kaschgar. in dessen Umgebung zunächst 
einige Exkursionen unternommen wurden. In den Ruinen 
von Tsgurman fand man eine Tafel mit indischen Schrift- 
zeicheu, die erste in der Kaschgaroase. Dann wurden die 
in der Nähe des Dorfes Khan-ui liegenden umfangreichen 
Ruinen besucht, die nach Stein aus buddhistischer Zeit 
stammen sollen. Pelliot erklärt indessen, daß er dort keiue 
Spur von Buddhismus gefunden habe, und daß alle von ihm 
gesammelten Gegenstände auf die mohammedanische Zeit 
hinwiesen. Die einheimische Tradition schreibt dem Satok 
Boghra Khan die Zerstörung von Khan-ui im 10. Jahrhundert 
zu Unrecht zu; denn dort in Mas** aufgelesen« chinesisch« 
Münzen rühren vom Ende de» 11. Jahrhunderts her. Wahr- 
scheinlich, meint Pelliot, habe die zunehmende Dürre die 
Bewohner veranlaßt, Khan-ui zu verbissen. In der Südost- 
ecke der Ebene von Khan-ui faud Pelliot eine Tokkanz 
Hodschrah (.die neun Zellen*) genannte Ruinengruppe , die 
vermutlich in die ersten Jahrhunderte deB Islams von Kaschgar 
zurückreicht. Von dort machte Pelliot einen Abstecher gegen 
Süden zur Oase Khan asyk, um die Abdal kenneu zu lernen, 
die bisher erst au« den Erkundigungen Grenards in Keria 
uud Tscherlschen bekannt waren. Sie bewohnen in jener 
Oase in einer Stärke von 400 Familien das Dorf Fainap, 
unterscheiden sich äußerlich wenig von den türkischen 
Nachbarstämmen und gebrauchen noch eine große Zahl von 
Wörtern und eiulge Wendungen ihres ursprünglichen , im 
Grunde persischen uud nicht türkischen Dialektes. Am 
17. Oktober verließ Pelliot Kaschgar, um sich nach Aksu und 
Kutscha zu begeben. Unterwegs traf er 20 km nördlich von 
Ordeklik auf Ruinen, deren dreitägige Untersuchung ergab, 
daß sie unter denselboti Umständen und zur selben Zeit wie 
die von Khan-ui verlassen worden waren. Feiner grub 
Pelliot in sechswöchiger Arbeit die Ruinen von Tokkus Serai 
aus. darunter die eines ohne Zweifel vor zehn Jahrhunderten 
zur Zeit der mohammedanischen Invasion verbrannten bud- 
dhistischen Tempels mit reicher Ornamentik, mit Säuleu, die 
mit Blumenmustern verziert waren, und mit von Fresko- 
malereien bedeckten Mauern. Die Kuiuen von Tokkus Serai 
gestatten die Krkcnntuis von den verschiedenen künstlerischen 
Kiutlüsseu. die in dieser Gegend sich geäußert haben. So 
wird in erster Linie die sog. gräco- buddhistische Kunst, die 
Spuren der hellenischen Überlieferung bewahrt, durch die 
zahlreichen Terrakotten repräsentiert, die bei den Altären im 
ersten Tempelhof gefunden wurden. Die Kunst Zentral- 
indien» gibt sich in einer hervorragenden Galerie von Bas- 
reliefs zu erkennen. Endlich ähnelt eine Stupa (Turm), die 
den erwähnten Hof von einem kleineren trennt, denen der 
chinesischen Kunst. I'elliot hat auch eine große Zahl aller 
chinesischer Münzen, die bis in« H. Jahrhundert n. Chr. hin- 
aufreichen, g. sammelt und viele Terrakotten, so in Tokkus 
Serai 125 Stück, die menschliche Kopfe darstellen. 

— Wie die prähistorischen Volker zum Salz- 
nenuß standen, darüber können wir nur Mutmaßungen 
haben, Da wir noch heut.' Völker kennen, die diese* nötigen 
Gewürze* ontbuhren, z, 11. malaiische Stamme, andere aber 
es leicht durch Abdampfen von Salzwasser erlangen oder als 
natürliche Bodenausschwitzung gewinnen, so darf man wohl 
auch schnellen, daß k>ei den prähistorischen Völkern Salz- 
genuU wenigstens teilweise bekannt war. Prähistorische Ein- 



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Kleine Nachrichten. 



2-S 



richtungen zum Ralzsieden hat man z. B. in dein sogenannten 
Driquetage bei Vic in Deutsch - Lothringen in ausgedehntem 
Maße nachgewiesen ( übereinandergeschichtete Tonzylinder, 
die ein Gradierwerk darstellen (Korrespondenzblatt der deut- 
schen Authropn). Oes., 1901, 8. 119 ff.); sie gehören der Hall- 
stattzeit an. Nach 0. Schräder, dem sprachliche Gesichts 
punkte maßgebend sind (Reallexikon der indogermanischen 
Altertumskunde, S. 70".') , lernten die Indogeruianen das Balz 
erst am Schwarzen Meere kennen. In seiner prächtigen 
kleinen Schrift .Dm Salz* (Berlin 1*73) hat V. Hehn den 
Versuch gemacht, nachzuweisen, daß die Itidogeruianrn vor 
ihrer Trennung nur Viehzucht trieben und kein Salz kannten. 
Benfe}' (Anthr»pol. Ges. in Göttingen. 19. Juni 1875) trat 
mit Erfolg beiden entgegen. Die Benutzung des Salzes fallt, 
wie da« Aufkommen de» Ackerbaues, vor alle geschichtliche 
Kunde, wie Herroan Hirt (Die Indogermanen. 1B05, K. 2«») 
mit Hecht sagt. Ober die Methoden al>er, welche in den Vor- 
zeiten zur Gewinnung angewendet wurde, erfahren wir bei 
diesen Autoren, abgesehen davon, wo noch sprachliche oder 
schriftliche Quellen benutzt werden, wenig oder nur Ober 
flächliches. Da müssen wir schon auf die Naturvölker zu- 
rückgreifen und von ihnen lernen ; doch zusammenhangend 
ist darüber, scheint mir, noch nicht viel gesagt. Manches 
hat l'cachel (Völkerkunde, erste Auflage, 8. 175) zusammen- 
getragen. In dieser Richtung wäre daher ausführlicher 
weiter zu forschen. Jetzt erhalten wir (Man, Februar 1907) 
einen recht belangreichen Bericht von Bushnell über die 
primitive Kalzbereitung bei den Indianern des Mis- 
sissippitales aus der Zeit vor der Entdeckung. Am Ein- 
flüsse de« Missouri in jenen Strom, wo 8*l*|uellcn zutage 
treten, bat er Auagrabungen vorgenommen, die ihn, etwa 
80 cm unter der Oberfläche, auf dem Urboden eine weite 
Fläche entblößen ließen mit zahlreichen alten Feuerlöchern 
und den gut erhaltenen tönernen Salzpfannen. Indessen die 
Abdampfung erfolgte keineswegs über freiein Fouer, sondern 
in den Feuerlöchern wurdeu erst Steine erhitzt uud diese 
dann in die mit dem Salzwasser au« den Quellen gefüllten 
Gefäße geworfen, das so zum Kochen und Verdampfen ge- 
bracht wurde, bis das Salz zuriickblieb. Diese Indianer 
waren also sog. Steinkocher, die es ja heut« in Nordwest- 
amerika noch gibt, wo sie selbst in dicht gellochteneu Körben 
auf diese Art noch kochen; eine Methode, die einst weit ver- 
breitet war und von der wir selbst bei den Basken noch 
Spuren finden. Daß es sich um solche Art der Salzgewinnung 
hier handelte, ergibt ein Bericht von Du Pratz (History of 
Louisiana, 1763, I, p. 28,1), da zu seiner Zeit die Indianer in 
jener Gegend noch so das Salz kochten und es mit sich nach 
Hanse fährten. Erst als sie von den Franzosen Metallkessel 
kennen lernten, hörte dieses auf. K. A. 



— Auf die pflanzengeographische Bedeutung Ost- 
asions weist K.K. Kupffer (Korresp.-Bl. d. naturf. Ver. zu 
Riga, Bd. 49, 1906) hin. Sehr merkwürdig ist, daß dort, z. B. 
in Sachalin , Japan u*w., bisher keinerlei Anzeichen dafür 
gefunden sind, daß auch dort nach dein Tertiär eine Tempe- 
raturerniedrigung stattgefunden hat. Diese glücklichen Län- 
der scheinen von einer solchen vielmehr ganz verschont ge- 
blieben zu sein. Dio Folge davon ist, daß sich dort die alt- 
tertiäre Wnldflor» zum größten Teile hi» heute erhalten hat. 
Diese zeigt sieh in der großen Zahl der dort vorkommenden 
PHanzenarten, die für die Waldungen des Tertiars charakte- 
ristisch waren, aber anderenoru zumeist ausgestorben sind. 
So z. B. Gingko triloba, Arten von Bainbusa, Juglans, ( in 
namorauin, Liriodendron, Ailanthus, Vlti» usw. Dasselbe läßt 
sich aus dem Bestände der ostasiatischen Urwähler direkt 
erwarten; was dem Reisenden dort besonders auffällt, der 
große Artenreichtum, das Auftreten tropischer I'flnnzenfamilicn, 
die zahlreichen Lianen, alles das sind typische t'hnrakterzüge 
derjenigen Urwälder, welche in der Torliärperiode noch den 
größten Teil Kuropas bedeckt haben mögen. 

— Th. Arldt urteilt in betreff der Größe der alten 
Kontinente (Neues Jahrb. f. Miner., 100. Jahrg., 1Uo7), daß 
da« Verhältnis zwischen den Nord- und Süderdteilen nicht 
stets «o war, wie es uns heute erscheint* Gegenwärtig sind 
die enteren etwas größer, ein Blick auf die paläogeographi- 
schen Karten lehrt aber, daß in den ältesten Formationen 
besonders die Südkontiuento viel massiger entwickelt waren. 
Die SudkontinenLe erreichten ihr relatives Maximum Im oberen 
Silur und sind seitdem fast ununterbrochen an Ausdehnung 
zurückgegangen: nur im oberen Devon, im Malm, im Senon 
und in der Jetztzeit trat eine kurze Umkehrunj: in dieser 
Beziehung ein. Dugvgen gewannen »ie vor dem oberen Silur 
dauernd an relativer Ausdehnung. Ks wäre nicht ausge- 
schlossen, daß wir es mit einer Art periodischer Schwankun- 
gen zu tun hätten. Für die Nord kontinente bekommen wir 



im Tertiär im Norden zusammenhängende Lundmassen bis 
zu 9» Millionen Quadratkilometer, d. h. die größten Konti- 
nentalbildungon, die uns iu dieser Zone der Erde Uberhaupt 
bekannt sind. Viermal, im unteren Trias, im Liaa, Dogger 
und Senon, dürften alle Kontinente miteinander in Verbin- 
dung gestanden haben; im Pliozän uud Diluvium war ver- 
mutlich nur Australien völlig isoliert; ebenso Im Devon der 
Angarakontinent. Im allgemeinen sind die südlichen Konti- 
nent« großer als die nordlichen. Aus allem geht hervor, daß 
die jetzige Verteilung vou Land und Wasser nicht die Kegel 
ist, sondern vielmehr eilten Ausnahmezustand darstellt. 

— E. M. Wedderburn, der längere Zeit hindurch an 
der schottischen Lake Survey teilnahm, veröffentlicht in den 
Transnctions of tbe Royal Society of Edinburgh , Vol. 45, 
Part III (No. 16) die mehrere Jahre hindurch fortgesetzten 
Temperaturuntersuchungen im Loch Ness, die die 
ausführlichsten und vollkommensten darstellen, die je an 
einem Binnensee der Erde ausgeführt wurden. Ihre Haupt- 
bedeutung liegt in dem (Jmstande, daß zahlreiche Messungen 
an verschiedenen Punkten des Sees gleichzeitig erfolgten und 
so den Einfluß de* Winde« auf die Durchwärmung des Hees 
noch viel klarer darlegten, als es einst John Murray mit 

I unzureichenden Mitteln erstrebt baue , und daß eine lango 
| /<it hindurch, namentlich im Frühjahr 1904, die Messungen 
auf elektrostatischem Wege Tag und Nacht alle zwei Stunden 
aufgezeichnet wurden. Ein sehr wichtigen Resultat dieser 
mit seltener Ausdauer durchgeführten Untersuchungen ist die 
Tatsache, daß die Temperatur derselben Tiefen gewissen 
Schwankungen unterliegt, die in ihrer Kegelmäßigkeit lebhaft 
an die Seiches-Scbwatikuogen erinnert. Der zum Stab der 
Lake Burvey gehörende K. K. Watsou hatte bereits im Geogr. 
Journal 1904, Oktoberheft, eine Formel für diese Schwan- 
kungen aufgestellt , die durch die späteren Beobachtungen 
vollauf bestätigt wurde. Halbfaß. 

— Auf das Erdbeben von Kemacha in Kaukasieu 
am 13. Februar 1902 geht P. Krcmafik im Programm des 
Ober Oymnas. in Uitmerilz, 19H6, ein. Man hat es dort mit 
einem ziemlich regelmäßigen Bebenstrich zu tun; vou I«n7 
bis 1«87 sind 253 Erdbeben dort verzeichnet. Bereit« 1828, 
1*59 und 1872 waren sie verhängnisvoll, doch übertraf die 
Katastrophe von 1902 alles früher Dagewesene. Damals lag 
Semncha augenscheinlich im Epizentrum des Bebens; die Er- 
schütterungen dnuerteu drei Tage hindurch. Der Boden dort 
besteht aus Tertiärbildnnge'n, die aber nicht ungestört lagern, 
sondern gewölbeartige Aufbiegungen bilden; diese werden 
wieder von Antiklinal- und Querbrüchen durchsetzt, die 
durch Erosion in breite Schluchten verwandelt worden sind. 
Alle dort vorgekommenen Beben stehen im innigsten Zu- 
sammenhang mit der Entstehung und Tektonik der kaukasi- 
schen Faltungszone. Am weitesten ist die Senkung am Büd- 
abhange des östlichen Kaukasus fortgeschritten, wo alle 
älteren Gesteine zur Tiefe gegangen sind und der wasser- 
scheidende Hauptkamm des Gebirges von mesozoischen 
Schichten gebildet wird. Hier liegt auch die aktivst« 
seismische Region, die beweist, daß der Senkungsprozeß 
auch jetzt noch nicht beendet ist. Das Schnttergebiet von 
Semacha fallt in jeno große seismische Region, die J. Milue 
aJ« das Alpen — Balkan — Kaukasus — Himalaja-Gebiet bezeich- 
net hat. Die Einbrüche, welche die Becken des Mittelländi- 
schen und Schwarzen wie K aspischen Meeres geschnSen 
haben, dauern noch uneutwegt fort; durch diese von Westen 
nach Osleu fortschreitenden Einbrüche kaun vielleicht der- 
maleinst das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean in Ver- 
bindung treten. 

— Beitrag« zur Kllmalologie von Meißen von 
Joh. Poeschel (Jahreeber. d. Schule St. Afra zu Meißen, 
1906) lassen erkennen, daß dort bereits seit 1854 mit einigen 
Instrumenten, seit Beginn 1*55 mit Thermometer, Maximum- 
wie MimuiumthormotueUir, Regenmesser, Barometer, dann 
mit eineui Saussureschen Hygrometer und Augustsehen Psy- 
chrometer von K. G. Gebauer Beobachtungen angestellt 
sind, der sie bis fast zu seinem Hinscheiden 1903 fortsetzte. 
Was den Luftdruck anlangt, so bewegen sich die jemals be- 
obachteten Barometerstände der einzelnen Monate innerhalb 
einer vou Januar bis November gleichmäßig vertaufenden 
Reihe. Die Kurven für die prozentualen Anteile aller Winde 
während des ganzen Jahres zeigen für Meißen wie für Dres- 
den bei ziemlich gleichmäßiger geographischer Lage nahezu 
gleichen Gang; Südost- wie Westwinde zeigen einen zu hohen 
Betrag, die Südwinde einen zu niedrigen. Für die Luft- 
temperatur scheinen die absoluten Schwankungen der einzel- 
neu Jahre gegen früher eine Kleinigkeit abgenommen zu 
bähen; seit 1*8« ist der Nullpunkt im Mai niemals mehr er- 



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Kleine Naobriohtcn. 



reicht worden, während er von IK55 bin 18S1 27mal über- 
schritten int. Da* Vorkommen einer Temperatur von :t5° im 
Juni ii«t gerade »° vereinzelt, wie da« Erreichen von So und 
mehr Grad im November und da* Fehlen einer Temperatur 
von {- 20* im Mai. Die mittlere Zahl der Wintertage tank 
von 27 auf 25.S, der Frosttage von "7 auf »4,:i, der Sommer- 
tag« vou 44 auf 42,2 Beim Niederschlag ergab «ich in allen 
Monaten eine IntensitäUateigerung bis auf dun Stillstand im 
April und einen kleinen Rückgang im Juni. Aber soust 
haben die liegenmengen in außerordentlicher Weine in den 
einzelnen Jahreszeiten geschwankt. Di« Regenwnhrxchelu- 
lichkeit erreicht für den Juli und Dezember deu grollten, für 
den September bei weitem deu kleinsten Wert. Eine eigen- 
tümliche Reih« bilden die Zahlen, «eiche die geringste An' 
lahl der trüben Tage angeben; hier unterbricht der Oktober 
den regelmäßigen Gang von verhältnismäßig trüben Tagen 
im Winter; der Juui zeigt oftmals keinen einzigen trülieu 
Tag. 

— Georg Breu hat in zwei Monographien, die in den 
Berichten de« Naturwissenschaftlichen Vereins zu Regensburg, 
Heft X , bzw. den Mitteilungen der Geogr. Gesellschaft zu 
München, Bd. II. 1, lieft, 190t*. erschienen sind, den Kochel- 
see und den Tegernsee behandelt. Die Tiefenlotungen 
ergaben in beiden Se«n, namentlich im Tegernsee, gegenüber 
den altereu weniger zahlreichen Peilungen von Geistbeck 
nicht unwesentliche Abweichungen im Uodenrelief und stellten 
fest, daO dieses reicher gegliedert ist, als man früher an' 
nahm. So beAnden »ich z. K. im Südteile de» Tegernsees, wie 
im Westende des Kochelsees isolierte Mulden tieferen Wassers, 
die vom Hauptbecken durch unterseeische Erhobungen ge- 
trennt sind. Den Kochelsee erklärt Breu als einen rein tek- 
tonischen, der durch Einbrüche uuläfllicb der großen Alpen- 
faltung znm Schluß der Miocänzeit entstanden ist, den 
Tegernsee als einen (ilazialsee der Würmeiszeit. Die ver- 
schiedenen Abteilungen seenkundlicher Forschungen werden 
vom Verfasser bei beiden Seeu berücksichtigt, doch nehmen 
einen großen Teil seiuer Ausführungen nicht immer kritisch 
beurteilte Auslassungen anderer Seenforscher und Geographen 
ein. Der Tegernsee zeichuet sich, ähnlich wie der Walchen- 
see , durch eine niedrige Oberrläcbentemperatur aus , der 
Kochelsee umgekehrt durch eiue relativ hohe, namentlich 
im Winter, die bewirkt, daß er nur etwa all« zehn Jahre 
durchschnittlich eine zusammenhängende Eisdecke liekommt. 
Die Durchsichtigkeit beider Seen ist nicht so groß , als die 
bedeutende Sichttiefe der Liburnauscbon Scheiben (15 bzw. 
»m in maaimo) glauben laßt; denu Breu hat leider viel 
größere, Im im Durchmesser haltende Scheiben angewandt, 
als das sonst üblich ist, und dadurch natürlich auch eine 
größere Durchsichtigkeit konstatieren können. Das Wesen 
der Seiche» hat der Verfasser unzweifelhaft nicht erkannt, 
sonst hätte er sie einerseits nicht mit dem .Rinnen* gleich- 
gestellt und andererseits nicht die Behauptung aufstellen 
können, daß Ebert im Starnbergersee nur Seiches der halben 
Wellenlänge (?) gefunden bat, und daß sie infolgedessen im 
Kocholse« nur '/s» einer Welkralatigo (?) besitzen könnten. 
Dem Petrolcumvorkomtinn am Tegernsee, das volkswirtschaft- 
lich jedenfalls noch von steigender Bedeutuug «ein dürfte, 
ist gebührende Beachtung geschenkt worden, anch in anthro- 
pogeographischur Beziehung finden sich in dieser Abhandlung 
interessante Beobachtungen, u. a. die, daß man in der Tegern- 
swer Gegend hinge nach einem Hause suchen durf, das nicht 
im Laufe der letzten Jahrzehnte eine mehr oder weniger 
eingreifende Änderung erfahren hätte. Halbfaß. 

— In einer geomorphologischeu Skizze (Jahrusbcr. des 
1. dtsch. Staatsgymit. in Brünn 1906) beschäftigt sich Emst 
Fasolt mit Wasserfällen und Stromschneileu. Der 
Verfasser unterscheidet zunächst primäre und sekundäre. 
Krstcre sind solche, die in den Flüssen noch vorhanden sind, 
ilie seit ihrer Existenz in dem Bestrehen, ein Noruialgefällc 
herzustellen, nicht gestört wurden, trotzdem aber ein solches 
noch nicht zu erlangen vermochten, also noch den Charakter 
jugendlichen Alters au sieh tragen. Sekundär sind die, welche 
in den Flüssen zu linden sind, die ihr Gefalle bereits aus- 
geglichen hatten, bereit« gefeilte. Flüsse geworden waren, je- 
doch nachträglich in ihrer Entwicklung gestört wurden, so 
daß in einen gereiften Flußlauf Stücke mit jugendlicher 
Entwickelung eingeschaltet erscheinen. AI» typisches Uei- 
spiel für den ersten Fall stellt Faeult die Niagarafälle hin; 
der Kluß hat erst seit Eude der Eiszelt sein jetziges Strom- 
bett inue. Fließt ein Fluß über ein aus leicht zerstörbarem 
Gestein bestehendes Tafellaud und bildet an einer Böschung 
desselben einen Wasserfall, so wird dieser nur verhältnismäßig 

Wrantwortllehrr UciLaktc-ur lt. Stauer, Sebfau-lurK-TtwrU«. Hs 



kurze Zeit liestehen, der Neigungswinkel wird Bich rasch ab- 
uoseben, aus dem Falle entsteht eine langgestreckte Strom- 
schnelle, die stetig weiter stromaufwärts wandelt, immer 
tiefer in das Tafellaud einschneidet, bis dieses eudlich gänz- 
lich zerschnitten ist. Bei einein harten Gestein hat das Nagen 
an der Sturzkante ein Auskolken am Fuße des Wasserfalle« 
zur Folge, ein ftiiekschreiten oder Abboscben findet nicht statt. 
Die großartigen Fälle und Schnellen am Kongo gehören hier- 
her. Diese wandern, entgegen dem Niagaratypus, nicht Strom - 
aufwärt«, sondern die Fälle gehen allmählich in Schnellen 
über, und diese verschwinden endlich ganz, sobald es dem 
erodierenden Strome gelungen ist, sein Bett entsprechend zu 
vertiefen. Durchquert ein Fluß Schichten von verschieden 
widerstandsfähigen Gestoinon, so wird er sein Bett natur- 
gemäß rascher in den leichter zerstortiaren, langsamer in den 
widerstandsfähigeren Schichten vertiefen können. In Kalk- 
gebirgen gelangt das Hegenwansvr vielfach nicht an der Ober' 
fläche zum Abfluß, es dringt in Foren und Spalten ein. sam- 
melt sich unterirdisch und stürzt nach Durchbrechung seiner 
Uinwandung als Fall hinab. Eine Mittelstellung zwischen 
primären und sekundären nehmen die Stromfälle und Strom- 
schnellen in ehemals vergletscherten Gebieten ein. Die se 
kundären teilt Verfasser ein in solche, die ihre Entstehung 
der Tätigkeit des Eises wahrend der eiszeitlichen Vergletsche- 
rung verdanken; dies« war eine doppelte, eine erodierende 
und akkumulierende, l'nter die durch Gletschererosion ver- 
ursachten Wasserfälle und Stromschnellen gehören jene, die 
an Ksrwanncu oder Zirken geknüpft sind, durch das Aus- 
schweifen von Waunen und Stufen im Talboden erzeugt und 
durch stärkere Vertiefung des Haupttales gegenüber seinen 
Nehentäleru verursacht wurden. Der Akkumulation durch 
Gletscher sind zwei Möglichkeiten zuzuschreiben: eine Tal- 
stufe wird erzeugt durch einen Moränenwall, oln Fluß wird 
durch Moränenschutt zugeschüttet und nach Rückgang des 
Eises veranlaßt, ein neues Bett aufzusuchen, wobei es zur 
Bildung von Fällen und Schnellen kommen kann. Störungen 
des Normalgefälles werden häufig durch Krustenbewogungen 
herbeigeführt, mögen diese in d«r Hebung oder Senkung 
einer Scholl« bestehen. Eine Gefallslufe kaun auch dadurch 
erzeugt werden, daß ein Fluß seine Uferwande unterwäscht. 
Ein anderes Mal muß ein Fluß über Schuttmassen hinweg- 
setzen, die Nebenflüsse in ihn hineinwälzen; so gibt es hier 
noch verschiedene Möglichkeiten. 

— Die Untersuchungen von Karl Gädcke (l'rogr. d. 
Gymn. zu Salzwedel, 1906) über die ältesten geschicht- 
lich nachweisbaren Einwohner der Altmark gipfeln 

■darin, daß die Angeln wahrend der Zeit von der Geburt 
Christi bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts ununter- 
brochen in dieser Gegend gesessen haben: sie sind als die 
ältesten Bewohner anzusprechen. Hier haben eich um sie 
alle die Bevölkerungsteile östlich und westlich der Elbe ge- 
sammelt, die wie sie selbst nach der Zerstörung des Thü- 
ringerreiches nicht fremder nerren Knechte werden wollten; 
von hier sind sie dann elbabwarte gesegelt, um im fernen 
Britenlande sich eine neue freie Heimat zu gründen. 

— In »eiuom Beitrag zur Klimatologie der Kana- 
rischen Inseln (Meteorol. Zeitschr., 24. Bd., 1807) teilt 
Oskar Burchard in bezug auf den jahreszeitlichen 
Verlauf der Bewölkung mit, daß ein Maximum hellen 
Himmels im Kernpunkt des Winters (Dezember bis Februar) 
und eiu Maximum der Bewölkung bei zunehmender Erwär- 
mung im Frühjahr gegen den Mai hin stattfindet. Bei den 
Windverhältnissen kommt der Nordostpassat in Betracht und 
als örtliches Moment der sich innerhalb 24 Stunden abspie- 
lende Wechsel vou Land- und Seewind. Für den täglichen 
Wind Wechsel ist charakteristisch, daß gegen Mittag fast 
immer ein geringes oder stärkeres Anwachsen der Windstärke 
zu Orotava sich bemerkbar macht. Luftfeuchtigkeit und Luft- 
wärme zeigen ein Maximum im August, ein Minimum im 
Februar; die Sommermonate, von Mitte Mai hl« Mitte Ok- 
tober, besitzen «in konstaut trockenes Wetter. Charakte- 
ristisch für die Kauaren sind sprunghafte Änderungen der 
relativeu Feuchtigkeit, namentlich in den Wintermonaten. 
Die Regenmengen sind so geringfügig, daß wenigstens iu 
der für tropischen Frtlchtbau in Betracht koinmeudeu Küsten- 
zone eine Kultur ohne künstliche Bewässerung ausgeschlossen 
ist. Entgegen der allgemein verbreiteten Annahme besitzen 
die Kanaren Winterniederschläge, welche in den drei ver- 
flossenen Jähren eine deutliche Trennung in Herbst- und 
Frühliugsregen erkennen ließen. Als Ergänzung des im all- 
gemeinen matigelmleu Rekens ergibt »ich eine Reichhaltig- 
keit des nächtlichen Taues. 



|it»trs[k - Drock V r i «a t. V" le « t ji u Holm, Breantcti» elg. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UNI) VÖLKERKUNDE 

VEREINIGT UT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SIN OER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Pkof. Dr. RICHARD ANDREE 

VERLAG von FRIEDR- VIEWEG & SOHN. 

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Bd. XCI. Nr. 17. BRAUNSCHWEIG. 2. Mai 1907. 



Dfe politische und wirtschaftliche Lage auf den Neuen Hebriden. 

Von H. Seidel Berlin. 



IMe Neuen Hebriden, eine beim großen Publikum 
wenig bekannte Inselgruppe im Nordosten Neu- Kaie- 
doniena, gehören seit geraumer Zeit zu den Schmerzens- 
kindern der französischen Kolonialpolitik. Mehrmals 
ist es ihrethalben zu Vertragen und Abschlüssen mit 
England gekommen, zuletzt im vergangenen Jahre; allein 
eine nach allen Seiten befriedigende I^ösnng der Frage 
ist bisher noch nicht erzielt worden. In Paris wünscht 
man die Inseln ganz zu besitzen, da man sie als Annex 
von Neu- Kaiedon ien ansieht, mit dem sie wirtschaftlieh 
in engster Beziehung stehen. Nach ihrem Besitz trachten 
aber auch die Australier ; sie steifen sich darauf, daß die 
Inseln geographisch zu ihrem Kontinent zahlen und des- 
wugen politisch nicht in fremde Hände fallen dürfen. 
Das Londoner Kabinett weiß sehr wohl, daß die austra- 
lischen Ansprüche zurzeit unerfüllbar sind ; man laßt 
sich's daher genügen , die alte Ordnung zu wahren , wo- 
nach die Inseln als , neutrales Gebiet* gelten, das unter 
dem gemeinsamen .Schutze England* und Frankreichs 
steht Beide haben ihren Staatsangehörigen dieselben 
Hechte und Freiheiten gewährleistet, ihnen den erforder- 
liehen Schutz zugesagt und sich verpflichtet, von jeder 
Annexion abzusehen, ja nicht einmal militärische Maß- 
nahmen selbständig ins Werk zu setzen. 

Somit wäre also Briten wie Franzosen volle Inter- 
essengleichheit gesichert. Trotzdem zeigt man sich in 
Frankreich mißvergnügt; das Kondominium bleibt ein 
Stachel, der bestandig an eine verpaßt« Gelegenheit er- 
innert, wodurch man sich den Alleinbesitz sohnöde ver- 
schonst hat. Man geht dabei bis auf die Okkupation 
Neu-Kaledoniens zurück, das seit dem 24. September 
1853 unter der Trikolore steht. Bald darauf erstreckt« 
sich der französische Einfluß auch zu den Neuen Hebriden 
hinüber, die nur 400 km von der großen Straf insel ent- 
fernt liegen. Man gewöhnte sich selbst in England 
daran, sie stillschweigend zur französischen Machtsphäre 
zu rechnen, obsebon man es geflissentlich vermied, diese 
Tatsache in Wort und in Schrift wirklich anzuerkennen. 
Ob man, wie behauptet wird, eine derartige Vorsicht 
stets beobachtet hat, mnß dahingestellt bleiben; aber 
so viel steht fest, daß Frankreich bei einer schnellen Be- 
setzung kaum auf Schwierigkeiten gestoßen wäre, und 
zwar um so weniger, Je früher es die Flaggenhissung 
vollzogen hätte. 

Allein dieser Akt unterblieb. Er unterblieb »ogar 
im Jahre 1875, als neun englische Ansiedler aus Tanna, 

Ol«».« XCI. Nr. 17. 



im Süden des Archipels, beim Gouverneur von Neu- 
Kaledonien das Gesuch um Erklärung des französischen 
Protektorat« einreichten. Dasselbe verlangten 1676 di« 
englischen und sonstigen fremden Ansiedler auf Vate. 
Diese Vorgänge, denen man in Paris kaum Beachtung 
schenkt« t riefen dagegen in Australien eine bedeutende 
Erregung wach. Die australische Presse, voran der 
„Argus" von Melbourne, erscholl von Klagen über di« 
Franzosen, deren Verhalten die sofortige Annexion der 
Neuen Hebridon zur Pflicht der englischen Regierung 
mache. Namentlich taten sich einige Missionare als 
Führer dieser Bewegung hervor. 

Statt nun durch rasches Zugreifen jeder Weiterung 
zuvorzukommen, richtet« man von Paris die Anfrage nach 
London , welche Absichten man dort betreffs der Inseln 
hege. „Rien ne pouvait vtre plus fücheux qu'uno sem- 
blable demande qui etait un aveu de notre doute sur 
la dependence evidente, et acquise de fait, des Nouvelles- 
Hebrides, vis- a- vis de la Nouvelle-Caledonie." Dieser 
Satz, geschrieben im Jahre 1905, spiegelt bosser als 
lange Erörterungen die Stimmung der Franzosen über 
jenen Schachzug wider, durch den sich Frankreich die 
Hände band, um sie dem Gegner auch zu binden. Schon 
im Februar 1878 kam es zu einer Einigung, wonach 
beide Staaten die Neuen Hebriden einschließlich der 
Torres- und Banksgruppe als unabhängig anerkannten 
und auf jeden Erwerb innerhalb der neutralen Grenzen 
verzichteten. 

Die australischen Heißsporne setzten gleichwohl ihre 
Agitation fort. Diese nahm zeitweilig solchen Umfang 
an, daß Frankreich im Jahre 1883 eine feierliche Be- 
stätigung der Ubereinkunft von 1878 beim Londoner 
Kabinett verlangte. „La reponse fut affirmative et 
categorique." Allein schon zwei Jahre darauf wurden 
neue Erörterungeil beliebt, da England das Ansinnen 
laut werden ließ, Frankreich möge in Zukunft davon 
absehen, Neu-Kaledonien als Strafinsel zu benutzen. Di« 
Regierung in Paris war geneigt, ihre Zustimmung zu 
geben, vorausgesetzt, daß England von dem Uebriden- 
Vertrago zurücktrete und Frankreich auf dun Inseln 
völlig freie Hand lasse. 

Inzwischen hatten sich dort die Dinge nicht gerado 
zum besten geändert. Die Zahl der Ansiedler war durch 
Zuzug aus aller Welt merklich gestiegen und damit auch 
das Bedürfnis naoh Landbesitz und Arbeitskräften. Da 
Militär- und Polizeiaufsicht fehlte, so kam es zu häufi- 

34 



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IL Seidel: Dio politische und wirtschaftliche Lage auf den Neuen Hebriden. 



geren Zusammenstößen mit den Eingeborenen , die ver- 
schiedene , besonders mißliebige Kolonisten ausraubten, 
verwundeten oder erschlugen. Die Beschwerden mehrten 
sich derart, dal) der Gouverneur von Keu-Kalodouien 
sich bewogen fühlte, eine Truppensendung nach den 
Neuen Hebriden zu beordern. Anfang Juni 1886 lan- 
deten die Transportdampfer „Dives" und „M agell an" 
200 Mann Marineinfanterie und 30 Artilleristen, die zur 
Hilft« in Port Havanna!» auf Vate und zur Hälfte in 
Port Sandwich auf Mollikolo ausgeschifft wurden. In 
Paris nahm man von diesem Vorgeben anscheinend ohne 
ein Wort des Tadels Kenntnis; man gab die Nachrieht 
sogar auf amtlichem Wege nach London weiter, allerdings 
mit der Versicherung, daß es sich keineswegs um eiue 
Annesion, sondern nur um eine Bestrafung gewisser auf- 
rührerischer Stämme handule. Die Franzosen gesteheu 
zum Teil selber zu, »laß dieser Schritt, der vor 1878 
ganz sachgemäß erschienen wäre, im Jahro 1986 einen 
schweren Fehler bedeutete, zumal er vorgenommen wurde, 
ehe von London eine endgültige Antwort auf die Be- 
sprechungen von 1885 ergangen war. 

Immerhin kam der unliebsame Vorfall nach zu gutem 
Ende. Beide Mächte einigten sich zu einer neuen Kon* I 
vention, die am 24. Oktober 1887 unterzeichnet wurde 
und in ihren fünf Artikeln die Grundlinien für die zu- 
künftige Behandlung des Archipels enthielt. Danach 
sollte eine gemischte Kommission aus Seeoffizieren der 
englischen wie der französischen Stationsschiffe gebildet 
werden, die für Aufrechterhaltung der Ordnung zu 
sorgen und Person und Eigentum der Ansiedler zu 
schützen hätte. Ihre Dienstvorschriften würde die Kom- 
mission — vom Tage der Ratifizierung gerechnet — 
spätestens binnen vier Monaten erhalten. Sobald jene 
an Ort und Stolle wärou, müßte die Zurückziehung der 
französischen Truppen auf M&llikolo und Vate erfolgen, 
worauf — als Gegenleistung — das Londoner Kabinett 
die Aufbebung der lfeklaration von 1817, betreffend die 
Unantastbarkeit der Baiatea-tiruppe, östlich Tahitis, ge- 
nehmigen wolle. Im übrigen hätte es bei den Ab- 
machungou zu verbleiben, wie sie im Oktober 1885 zwi- 
schen Herrn de Freycinet und Lord Lyons gepflogen seien. 

Da der Baiatea - Artikel im Vorjahre auch in der 
deutschen Presse erwähnt wurde, jedoch ohne Kommentar, 
ho ist es vielleicht angebracht, hier mit einigen Worten 
darauf zurückzukommen. Die Besetzung Tahitis durch 
die Franzosen geschah bereits 1842, endgültig seit 18-13. 
Infolge englischer Einsprüche gelang es ihnen aber nicht, 
sämtliche Glieder der Gesellschafts-Inseln in ihren Besitz 
zu bringen; vielmehr wurde die westliche Abteilung oder 
die „Inseln unter dem Winde" mit Baiatea als Zentrale 
„für alle Zeiten" von jeglicher Annexion ausgeschlossen 
und neutralisiert. Das ist die „Deklaration von 1847", 
die Frankreich bis 1880 beobachtet hat. Dan« zog es 
auch die Baiatea -ti nippe ein, deren rechtlicher Besitz 
ihm von England erst 1887 durch eine geschiekto Vcr- 
quickuug dieser l'rugo mit dum Handel um die Neuen 
Hebriden zugestanden wurde. 

Am 26. Januar 1888 erhielton die in Aussicht gu- 
steilten Dienstvorschriften für die gemischte Kommission 
die Genehmigung der beiderseitigen Regierungen. Es 
sind sechs kurze Paragraphen, die den Wirkungskreis 
der Kommission recht ong begrenzen. Danach ist diese 
nur bei Buhestörungen oder bei Gefährdung vou Leben 
und Eigentum der Ansiedler zu sofortigem Zusammen- 
tritt verpflichtet, um die erforderlichen Schutzmaßregeln 
zu veranlassen. Doch darf kein Scbiffskapitän , weder 
Engländer noch Franzose, unabhängig vom andern 
irgendwie selbständig einschreiten, außer in dringendsten 
Fällen, wenn ein Zusammentritt der Kommission nicht 



abgewartet werden kann. Aber selbst dann sollen Eng- 
länder und Franzosen , sofern es sich irgend tun läßt, 
gemeinsam vorgehen; zugleich haben sie an ihro Statioits- 
kommandanten Ober die ergriffenen Maßnahmen zu be- 
richten, worauf weitere Befehle von der Kommission ab- 
zuwarten sind. Militärische Hilfe darf nur herangezogen 
werden, wenn es der Kommission unumgänglich erscheint. 
Werden Truppen ausgeschifft, so bleiben sie nicht länger 
am Lande, als es die Kommission für nötig erachtet. Die 
Kommission bat überhaupt, außer in den genannten 
Fällen, keinerlei Vollmachten. Sie wird sich daher nie 
in Streitigkeiten um Besitztitel oder Ähnliches mischen, 
gleichviel ob es sieb um Eingeborene oder Weiße handelt. 

Man kann sich leicht vorstellen , daß die Ansiedler 
mit dieser Gestaltung der Dinge nicht befriedigt waren, 
namentlich , weil sich die Kommission in allen Fragen 
der Zivilverwaltung und des Privatrechts als unzuständig 
erwies. Man hatte keinen Richter, kein Grundbuch, 
keinen Standesbeamten, um Eheschließungen, Geburten 
oder Todesfälle zu beurkunden, keine Möglichkeit, rechts- 
kräftig zu testieren, zu kaufen oder zu verkaufen. 
Dr. Daville führt in seinem Buche „La eoloniaation 
franv«ise aux Nouvelles-Hebrides" mehrere Beispiele an, 
die zur Genüge beweisen, welche Unzuträglichkeiten aus 
solchen Zustftndeu entspringen mußten. Auf der Insel 
Vate bildete sich schließlich eine Art „öffentlichen Komi- 
tees", das bei Familienakten die Beurkundung vollzog. 
Ein katholischen Brautpaar, beide französischer Nationa- 
lität, mußte sich von einem englisch - protestantischen 
Missionar trauen lassen, um wenigstens auf diese Weise 
eine kirchliche Einsegnung zu erlangen. Denn es man- 
gelte damals noch an einer katholischen Mission, die erst 
später in Port Vila ihre Tätigkeit eröffnete. Dieser 
Hafen (Abb. 1), einer der schönsten im ganzen Archipel, 
liegt in der fünf Seemeilen breiten South -West- oder 
Pango-Bucht und iHt vollständig gegen Wind und Wetter 
geschützt, indem er nach der See hin durch zwei dicht 
bevölkerte Eilande gedeckt wird. Die „Compagnie des 
Nouvelles-Hcbrides" hat in Port Vila bedeutende An- 
lagen geschaffen , auch verschiedene Pflanzungen sind 
entstanden, und der euglische wie der französische Dampfer 
legen hier an, so daß der Platz unstreitig eine Zukunft 
besitzt Desto härter wurde daher die anhaltende Wirrnis 
verspürt. 

L'ui ihr zu begegnen, ergriffen die Kolonisten auf 
Vate im Sommer 1889 ein allerdings gewagtes Mittel. 
Am 9. August erklärten sie unter Führung eines älteren 
und allgemein geachteten Ansiedlers namens Chevillard 
ihre Niederlassung in Port Vila als selbständige Kom- 
mune, wählten Chevillard zum Bürgermeister und nahmen 
ihre eigene Flagge an. Die Behörden in Neu-Kaledonien, 
Fidschi und Australien wurden von dorn Akte ordnungs- 
mäßig in Kenntuis gesetzt Aus Noumea erschienen 
bald darauf zwei begeisterte Freunde, Mitglieder des 
dortigen Gemeinderates, um Chevillard feierlich in sein 
Amt einzuführen und ihm außer dem Bildnis des fran- 
zösischen Präsidenten auch das Siegel von France- 
ville, wie man die neue Gründung benannt hatte, zu 
überreiohen. 

Die Regierungskreise in Paris und London waren ob 
dieses Tbeatercoups höchlichst überrascht Der Fall bot 
nicht bloß vom diplomatischen , sondern auch vom juri- 
dischen Standpunkte aus ernste Bedenken, deren Lösung 
auf den ersten Blick sehr verwickelt erschien. England 
beantwortete die Unabhäugigkeitserklärung zunächst da- 
mit , daß es für Port Vila einen Konsul ernannte, wozu 
es aber nach der Akte von 1887 nicht befugt war, da 
es auf den Neuen Hebriden de facto keine Regierung 
gab und die Kommune in Franceville zu Unrecht be- 



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H. Seidel: Die politische und wirtschaftliche Lage auf den Neuen HebrideD. 



268 



stund. Nacb mancherlei Hin und Her rief England im 
Februar 1890 Beinen Konsul ah, nachdem die Gemeinde 
FrancoTille aus der Heimat den deutlichen Wink erhalten 
hatte, sich in aller Stille aufzulösen. Damit kehrte mau 
zu der Ordnung von 1887 zurück, dio fortan maßgebend 
blieb. 

Um indes den Kolonisten ein Rechtsdasein zu ver- 
leihen, ordnete zuerst England — durch Pacific Order in 
Council Tom 15. März 1893 — die nötige Wahrnehmung 
der zivil- und «traf rechtlichen Angelegenheiten seiner 
Staatsangehörigen auf den Neuen Hebriden an. Hereits 
zwölf Jahre vorher hatte es dem Gouvorneur von Fidschi 
die höchste Gerichtsbarkeit über alle britiachen Staats- 
angehörigen in derSüdseo übertragen. Für die Franzosen 
übt dieses Amt seit dem 31. .luli 1900 der Gouverneur 
von Neu-Kaledonien aus ; er ist Generalbevollmächtigter 
der Republik im Stillen Ozean. Am 28. Februar 1901 
erliell Frankreich des weiteren ein Dekret, das die Rechts- 
pflege für die französischen Kolonisten nach denselben 
Grundsätzen regelt wie die englische Ordonnanz von 1893. 

Die Zu- 
stände in dem 
Archipel blie- 
ben gleich- 
wohl unge- 
mein verwor- 
ren. Nach 
Politis, „La 
condition in- 
ternationale 
desNouvelles- 

Hebrides*, 
müssen sie 
etwa denen 
auf Samoa vor 
der schließ- 
liehen Auf- 
teilung ge- 
glichen ha- 
ben. Die Be- 
lege dieses 
Schriftstellers 
sind jeden- 
falls recht 
beweiskräftig 
und lassen 

den Wunsch nach Hooudigung der Mißwirtschaft durch- 
aus glaubhaft erscheinen. Politis schlägt deshalb vor, 
eine Teilung des Inselreiches vorzunehmen und dieToiTos- 
und Banksgruppe an Großbritannien abzutreten and für 
Frankreich nur die Neuen Hebriden im engeren Sinne zu 
reservieren. Ktwa denselben Gedanken verfolgt der Eng- 
länder J. J. Rendle, seinerzeit Vertreter von Francuvillo, 
allerdings in der Abschwächung, daß er das Kondominium 
bestehen lassen will ; nur diu Tätigkeit der Kommission soll 
in einen englischen und in einen französischen Wirkungs- 
kreis geschieden werden. Die Trennung hätte sich nach 
dem Verhältnis von Grundbesitz, F.inHuß und Personen- 
zabl der beiden Nationalitäten zu richten. Ltißt mau 
diesen Vorschlag gelten, dann würde die englische Hälfte 
der Kommission auf deu Torres- und Münk* -Inseln und 
den nördlichen Gliedern der Neuen Hebriden, etwa bis 
Mallikolo, das Regiment führen. Von Mallikolo bis zum 
Siden, soweit diu Franzosen das UbsjdrgaWMhl habet., 
würde die französische Kommisaionshitlfto ihres Amtes 
walten müssen. 

Nach einem Artikel in „La Depücho Colonialo" vom 
9. Dezember vorigen Jahres zu schließen, scheint man in 
PariB dem Plane Rendlea nicht ablehnend gegenüberzu- 




Abb. I. Port Vila aaf der Insel Vate. 



stehen. Man will eben eine Sphäre für sich haben, wo 
man im eigenen Hause wirtschaftet und nicht bei jedem 
Schritte auf Fremde Rücksicht zu nehmen braucht. Leider 
kommen Projekt und Wünsche zu spät. Denn die Regie- 
rungen in Paris und London haben nach längeren Be- 
ratungen, die soit 1904 eingeleitet waren, wieder ein Ab- 
kommen getroffen, das am 27. Februar bzw. 20. Oktober 
190ü die erforderliche Sanktion empfangen hat. 

Der Text ist in einem englischen Blaubuche vom 
7. November veröffentlicht worden, ein Verfahren, das 
durch den Umfang des in 60 Artikel gegliederten, zum 
Teil sehr speziell gehaltenen Schriftstückes bedingt wird. 
Gleich zu Anfang vernehmen wir, daß das Kondominium 
Kuglands und Frankreichs anf den Neuen Hebriden, ein- 
schließlich der Torres- und Banks -Gruppe, fortdauern 
soll. Diese Inseln werden, wie bisher, ein „Gebiet ge- 
meinsamen Einflusses" der Signatarmächt« bilden, worin 
britische und französische Untertanen gleiche Recht« ge- 
nießen. Die Untertanen anderer Staaten haben sich 
binnen sechs Monaten zu entscheiden, ob sie sich dem 

für englische 
Staatsange- 
hörige gel- 
tenden eng- 
lischenRechte 
oder dem für 

Franzosen 
gültigen Code 
civil unter- 
werfen wol- 
len. Danach 
werden sie 
dann der 
einen oder 
der anderen 
Kategorie zu- 
geschrieben. 
Weil nun das 
französische 
Recht allen 
Nichtbriten 
jedenfalls nä- 
her liegt als 
das englische, 
so ist zu er- 
warten , daß 

sich die Fremden fast ohne Ausnahme den Franzoson zu- 
rechnen lassen werden, die schon immer der Zahl nach 
am stärksten auf dem Archipel vertreten gewesen sind. 

Eine weitere Beschränkung der englischen Influenz 
kann dio jetzt vorgesehene Bildung besonderer Gemein- 
den oder Gemeindebezirke nach sich ziehen. Eine Ge- 
meinde darf jedesmal gegründet werden, wenn 30 Euro- 
päer es beantragen. Die neue Gründung erhält einen 
(iemeinderat, in den Männer und Frauen ohne Rück- 
sicht auf ihre Nationalität gewählt werden können. Wie 
das Beispiel von Franceville gelehrt hat, werden die Ge- 
meinden wobl sämtlich französischen Charakter annehmen, 
weil die Franzosen , wie die Angehörigen sonstiger Kon- 
tinentalnationen , dicht beieinander zu wohnen pflegen, 
wohingegen die Briten aus gewissen Gründen ihre räum- 
lich verstreuten Einzeluiedorlassungen vorziehen. Man 
befürchtet deshalb in Australien nicht mit Unrecht, daß 
an den wichtigsten Jnselhafen lediglich französische Ort- 
schaften entstehen , französisches Kapital und franzö- 
sische Geschäfte den Warenumsatz beherrschen und die 
Besitztitel vorwiegend in französischen Händen bleiben 
werden. 

Dio Aufrecbterhaltung von Ruhe und Ordnung soll 

U* 



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264 



eine Ton beiden Mächten gebildete Polizeitrupp« be- 
sorgen, die zur Hälfte dem englischen, zur Hilft« dem 
französischen Unterkommissar beigegeben wird. Sita 
dieser Horren, wie Oberhaupt der ganzen Verwaltung, ist 
Port Vila auf Vate oder Efat. Dort residieren auch die 
Oberkommissaro, deren einer ein Franzose, der andere 
ein Engländer sein muß. Während sonach die Verwal- 
tung vollkommen gleiches Kondominium der Signatar- 
Staaten ist, tritt in der Rechtspflege ein neutrales 
Element hinzu. Von den drei Richtern wird der eine 
Ton Frankreich, der andere von England nominiert; den 
dritten hingegen, der zugleich den Vorsitz im Kollegium 
führt, ernennt der König Ton Spanien. Dieser Souverän 
ernennt ferner den Staatsanwalt , der wie der Gerichts- 
präsident weder englischer noch französischer Staats- 
angehöriger sein darf. 

Als Gerichtssprache ist Englisch und Französisch 
gleichberechtigt zugelassen, weshalb auch die Akten in 
beiden Sprachen anzulegen sind. Ebenso gelten die 
Münzsorten Englands und Frankreichs als gleichberech- 
tigtes Zahlungsmittel ; doch werden die Inseln zur Freude 
der Philatelisten besondere Briefmarken erhalten. 

Fast ganz ins wirtschaftliche Gebiet greifen die 
Artikel hinüber, die den Schiffsverkehr, die Arbeiter- 
anwerbung und die Behandlung der Eingeborenen zum 
Gegenstände haben. Da deutsche Interessen nach Ver- 
kauf der Grundstücke, die teils an neukaledoniscbe, teils 
an englische Firmen übergingen, auf den Neuen Uebriden 
kaum noch vorhanden ') sind, so kommen fast ausschließ- 
lich englische und französische Schiffo in Betracht. Ihnen 
allein wird darum das Recht der Arbeiteranwerbung zu- 
gestanden, das aber nur durch eine Vollmacht zu er- 
langen ist, die von einem der beiden Oberkommissare 
ausgestellt sein muß. Solche Vollmacht gilt lediglich 
anf ein Jahr. Betreffs der Eingeborenen wird noch be- 
stimmt, daß sie in keinem Falle britische oder franzö- 
sische Untertanenc|ualität erwerben können. Sie bleiben 
„ selbständig" und erhalten Befehle lediglich von den 
Kommissaren bzw. ihren Stellvertretern, welche die Häupt- 
linge der einzelnen Stämme mit den nötigen Weisungen 
zu versehen haben. Den Kommissaren ist aufgegeben, die 
Sitten und Gebräuche der Eingeborenen tunlichst zu 
schonen, sofern diese nicht der Ordnung und der Mensch- 
lichkeit zuwiderlaufen. Das geschieht leider sehr oft ; 
denn die biederen Schwarzen frönen noch immer der 
Anthropophagie und genießen deswegen kein besonderes 
Vertrauen bei den Weißen. 

Vorbehaltlich einzelner Ausnahmen ist es streng unter- 
sagt, den Eingeborenen, sei es in welcher Form es wolle, 
Waffen uud Munition zu liefern. Ebensowenig dürfen 
ihnen alkoholische Getränke verkauft werden. Man 
hofft, auf diese Weise den ewigen Kriegen und den 

') Die Alartnnachrioht der »Times", die davon fabelte, 
daß deutsche Häuser 1005 versacht hätten, im Archipel 
festen FuO zu fassen , um dem Reiche vor Abschluß der 
letzen Übereinkunft die Möglichkeit der .Intervention* zu 
verschaffen, ist also völlig aus der Luft gegriffen. Es gibt 
zurzeit auf den Inseln wohl nicht mehr als drei Deutsehe; 
der eine ist Kopramacher, lebt sonach in untergeordneter 
Stellung, während die beiden anderen, die Herren Zeitler 
und Hagen, ihr Hauptgeschäft in Noumua haben und die 
Inseln nur ihrer drei oder vier Grundstücke und des Handels 
wegen besuchen. Ihr Schoner fahrt übrigen« unter franzö- 
sischer Flagge und bat einen Engländer zum Kapitän! 



Folgen der Trunksucht wirksam zu begegnen. Denn 
beide, genährt durob ausgebreiteten Schmuggel, tragen 
zurVerminderung derVoIkszahl erschreckend bei. Kommen 
irgendwo Ausschreitungen vor, so tritt Artikel 2 der 
Konvention von 1887 in Kraft, d. h. es vollzieht sich 
jenes ichwerfällige. schleppend« Verfahren, das schon so 
oft als lästig und hemmend geschildert wurde, das aber 
mit Rücksicht auf das „Kondominium" nicht umgangen 
werden darf. 

Das ist in den Hauptzügen die politische Lage, wie 
sie sich seit 1876 auf den Neuen Hebriden entwickelt hat. 
Erfreulich kann man sie beim besten Willen nicht nennen; 
das wird in Frankreich und in Australien gleich stark 
empfunden, minder in England, wo man sich im Gefühl 
der Sättigung um diese bescheidenen I-andbrocken kaum 
beunruhigt. Die Australier ärgern sioh namentlich 
darüber, daß ihre besonderen Wünsche und Absichten 
bei der letzten Konvention gar nicht oder nur höchst 
mangelhaft in Rechnung gezogen seien. Sie gaben ihrem 
Mißvergnügen dar ob sehr deutlichen Ausdruck und 
ließen es den Londoner Kolonialmininter fühlen, daß es 
ihnen durchaus nicht gleichgültig sei, in welcher Weise 
die britischen Staatsmänner über pazifische Inseln ver- 
füge n. In Queensland und Neu- Südwales habe man 
daran ein weit größeres Interesse als im fernen England ; 
es sei daher geboten, daß das Londoner Kabinett seine 
Abmachungen mit Frankreich zuvor der australischen 
Bundesregierung zur Bestätigung unterbreite, und zwar 
besonders deshalb, weil die Kolonien in der Leitung 
der auswärtigen Keichspoliük bisher noch gar keine 
Stimme hätten. Dieser Grund wurde selbst von der 
Londoner Presse wiederholt, so daß die Regierung sich 
bewogen sah, an anderer Stelle gegen diese Angriffe auf- 
zutreten und die Australier daran zu erinnern, daß Frank- 
reich und die europäischen Großmächte den englischen 
Küsten großenteils weit näher liegen als die Neuen 
Hebriden dem australischen Festlande. 

Das Vorgehen der Australier wurde zudem in Frank- 
reich übel vermerkt; man mußte also in London, der 
„Entente cordiale" zuliebe, gewisse Rücksichten üben. 
Auf eine Anfrage im Unterhause erklärte aber SirEdward 
Grey, daß die Konvention vom 20. Oktober 1906 wohl 
nicht als letzte and definitive Lösung der Hebridenfrage 
anzusehen sei. Jedenfalls werde man, sowie das Thema 
von neuem zur Beratung stände, auch die Australier 
hören. Bei der „Adreßdebatte" im letzten Februar sagte 
derselbe Staatsmann seinen Kritikern ganz unumwunden, 
England habe unter den obwaltenden Umständen mit 
dem Abkommen sogar ein gutes Geschäft gemacht. Im 
Hinblick darauf sei man auch mit der Ratifizierung so 
schnell zur Hand gewesen; denn durch langes Zwischen- 
reden wären lediglich Komplikationen entstanden, die 
man bestimmt zu vermeiden wünschte. Das hätten auch 
die Kolonien erkannt, und sie seien darin mit ihm einig, 
die „Beratung weiterer Verbesserungen zu ver- 
schieben". Mit diesem wiederholten Hinweis auf die 
Zukunft sind natürlich die australischen Gelüste von 
frischem angefacht worden, während die Franzosen sich 
höchst befremdet darüber äußern, daß sie trotz der 
mancherlei Verziobte immer noch kein Ende des Streites 
abzusehen vermögen. 

Das ist die Folge einer verpaßten Gelegen- 
heit! 



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Dr. F. Tetzner: Die Slowenen. 



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Die Slowenen. 

Von Dr. F. Tetzner. Leipzig. 



1. Volksgescbichtlichea. Das heutige Sprach- 
gebiet der Slowenen befindet sich in (>sterreich südlich 
der Drau und unteren Mur bis an die Reichsgrenze und 
reicht an beiden Flüssen noch ein Stück nach Kroatien 
und bei Udine ins Gebiet des Königreich« Italien herein. 
Es kommt bei Aquileia, Triest und Pola mit dem 
italienischen, im Karstgebiet mit dem kroatischen, an der 
Mar mit dem madjarischen, im Norden mit dem deutschen 
ine Gemenge und ist im Innern von kleinen oder größeren 
deutschen Sprachinseln durchsetzt, deren größte die 
Hoimat des Auerspergschen Geschlechts, die GottBcbee, 
ist; der Südostteil Istriens ist kroatisch. Das slowenische 
Sprachgebiet hat nie einen Einheitsstaat gebildet; seine 
Grenzen lagen ehemals erheblich weiter nach Norden und 
Osten. Hingegon hat sich die Sprache selbst immer in 
ziemlichem Ansehen behauptet und ist nie zur Bedeutungs- 
losigkeit der kleineren slawischen Sprachstämme in 
Deutschland herabgesunken, etwa wie das Slowinzische, 
das sonst so viele Ähnlichkeiten mit dem Slowenischen 
aufweist; ist ja sogar die deutsche Bezeichnung „Wen- 
disch" beiden Sprachon eigen, und das Slowenische wird 
noch heute häufig als windisebe Sprache namhaft gemacht. 
Wenn aber bei älteren Schriftstellern behauptet wird, 
das Wendische oder Windische habe man in halb Europa 
und auch in Sibirien und China vorstanden, so ist bei 
aller Verwandtschaft der slawischen Sprachen doch nur 
oberflächlich Slawisch geraeint gewesen, und nicht das 
ganze Spracbgebäude, sondern nur eine Reihe Worte der 
Verständigung und der Umgangssprache. Für die Starke 
des Windiscben im Mittelalter sind die besten Zeugen in 
der mittelhochdeutschen Literatur 2u finden. Die „werdiu 
windisch diet" (Parzival 406, 17) stellt ihren Mann bei 
der Tjoste, Werner der Gärtner spricht im Meier Helm- 
brecht den Winden gleichfalls ritterliches Gebaren nicht 
ab, und Ullrich von Liechtenstein wird auf seiner Venus- 
fahrt sogar mit slowenischem Gruß vom Oforherrn der 
Slawen empfangen. Am wertvollsten aber ist das 
Zeugnis des Reimchronisten Ottokar, der uns Äußerst 
lebhaft in seinem weitschweifigen Werke schildert : 
„wie ein Herzog zu Kärnten Lehen empfangt". Diese 
Huldigung ist ein so volkstümlicher Brauch, daß er um 
•o mehr hervorgehoben zu werden verdient, weil er das 
ganze 13. und 14. Jahrhundert im Schwange war und 
erst im 15. allmählich abkam. Sein Verschwinden schildert 
der slowenische Chronist Megiser so lebendig, daß wir 
ein aktenmäßig belegtes Urbild eines verschwindenden 
Gebrauches vor uns sehen. (VgL Ottokar 19975 bis 20132.) 

Zuerst der Brauch. Kärnten war Ottokar, dem 
späteren Gegner Kaiser Rudolfs, zugefallen. Nach seiner 
Niederlage auf dem Marchfelde war Graf Meinhardt II. 
von Tirol der von Rudolf erkorene Herr der Slowenen. 
Meinhardt tat nun nach Kärnten kund, daß er nach 
Pfingsten 1287 kommen, sein Reichslehen in Besitz und 
sein Recht nehmen wollte, wie es aus alter Gewohnheit 
seine Herkunft hatte. Nordöstlich von Klagenfurt bei 
Karnburg im Zollfeld, dort, wo noch heute römische Alter- 
tumer des alten Virunum aufgefunden werden, unweit 
der Wallfahrtskirche Maria-Saal, fand die Huldigung der 
Slowenen am Steinstuhl statt Auf diesen altehr würdigen 
eingemeißelten Sitz setzte sich der Landesälteste der 
Freibauern, uro ihn herum das freie Volk. Sie erwarten 
den nouon Fürsten, dem das (iefolge des Landadels 
voraufgeht. Der Fürst legt Banerntracht an, graue Tuch- 
l, grauen Mantel ohne Flentachier (Fransen), einen 

X«. Nr. 17. 



Hut, „guphoht (spitz) in graber gestalt", mit vier an- 
gemalten Scheiben, Bundschuhe mit Beinriemen, einen 
grauen Tuchrock, der vorn und hinten offen ist, vier 
Gehren zahlt und bis auf die Knie reicht, aber kein Kollier 
hat. Der Fürst hält in der einen Hand einen scheckigen 
Stier, in der anderen ein weiß und schwarzes Feldpferd. An 
jeder Seite hat er zwei Edelinge, „au sinn und witzen 
wol bewart", die ihn zu dem Bauen) auf den Stein führen. 
Der schlägt wie weiland Walther von der Vogelwaide ein 
Bein übers andere und soll nun „windiseber rede pflegen". 
Er fragt: „Wer ist der, den ihr mit euch herführt?" Sie 
sagen: „Ihn hat hierher gesandt, der des Reiches Vogt 
ist, du sollst ihm ohne Unterlaß und Säumnis diesen 
Stuhl räumen und ihn da sitzen lassen." Der Winde: 
„Ich kann's nicht tun, bevor ich berichtet bin, daß er «ein 
wert sei." Die Kdelinge: „Wir heißen dir's." Der Winde: 
„Nun sagt mir, ist er ein rechter Christ ohne Irrglauben." 
Die Edelinge: „Er ist's." Der Winde: „Ist er ein guter 
gerechter Richter?« Die Kdelinge: „Er ist's." Der 
Winde: „Vermag er das Land vor jeglicher Gefahr zu 
beschirmen, daß Witwen, Waisen, Geistliche und Pfaffen 
guten Frieden haben?" Bejahen das die Edelinge auch, 
so muß joder dem windiscben ßauernältesten einen Eid 
schwören, daß dies wahr sei. Dann räumt der Bauer 
den Sitz und unterwindet sich des Feldpferdes und des 
Stieres. Der Herzog setat sich auf den Stuhl und schwört 
sofort, daß or Frieden schaffe, recht richte, beim rechten 
Glauben bleiben wolle. Jetzt kommen die Herren mit 
Musik zurück, empfangen ihr Lehen und schwören den 
I-ehenneid. — So diese älteste, vielbenutzte Quölle. Andere 
Schriftsteller ergänzen, der Herzog bezahle mit den oben 
erwähnten Kleidern, schlechten Tieron (das Rindvieh der 
Slowenen ist noch jetzt klein und ungepflegt) und noch 
60 Pfennigen die Oberhoheit. Der Brauch deute an, daß er 
sich nicht weigern oder scheuen wolle, um der Gerechtig- 
keit willen so arm zu werden, daß er sich mit solchem Vieb, 
als dies Rind und Pferd sei, nähren müsse (Valvasor VII, 
4. Kap.). Valvasor illustriert den ganzen Vorgang, indem 
er von Ottokar etwas abweicht, mit zwei Bildern. Er 
ergänzt ferner, der Herzog bestätige damit die Abgaben- 
freiheit Der Bauer gebe dem Herzog, der einen Stab 
halte, noch einen leichten Backeostreich, der Herzog 
trinke aus dem Bauernhut nach dem Schwur noch einon 
Trunk Wasser und gehe in die oben erwähnte Kirche 
mit allen zum Gottesdienste. Es folge dann ein Muhl 
mit dem Adel und den Richtern und dann das Recbt- 
sprechen auf der Wiese vor der Kirche. 

Die lebendige Schilderung Ottokars hat viel Ähnlich- 
keit mit den Hochzeitsbeschreibungen der Brautheim- 
führung bei Slowinzen und Slowenen, wie sie sich bis vor 
kurzem erhalten haben, und ist jedenfalls ein sehr oltes 
und wertvolles Weistum. Aber im folgenden Jahrhundert 
wollte Friedrich III., weil er Kaiser war, diesen Brauch 
als nicht seiner angemessen nicht mitmachen. Einige 
Erzherzöge versprachen , auch ohne diese Förmlichkeit 
gerechte Herren sein zu wollen. Kaiser Max, ein Freund 
der Slowenen , wurde ebenfalls verhindert ; aber Megiser 
schreibt noch 1610, die löbliche Landschaft habe sich 
des uralten Herkommens nie gänzlich begeben, darauf 
nur gegen Schadloshaltung im einzelnen Falle verzichtet, 
doch sei es nötig, den Hauernstuhl zu erneuern, sonst 
käme die Sache ganz ab und eine Freiheit wie eine löb- 
licher Brauch schwinde nach dem anderen. 

Das literoriachu Lobon der Slowenen erblühte uber 



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Dr. F. Totincr: Die Sloweuen. 



erst mit der Reformation und der Tätigkeit Trubars 



(| 1841), Miklosichs, Beines Volksge 



Lehrer. 



(f 1586), der die kleinen Freisinger Sprachdenkmäler Reife Fruchte zeitigte in der Literatur dann die Tätig- 



und späteres Ähnliche nicht kannte und »einem Volke die 
ersten Druckwerke schenkt« : den Katechismus, die Fibel, 
diu* Evangelium Matthäi. Kr war eine wildbewegte Zeit, 
die dor Protestant Trubar in seiner Heimat und in der 
Fremde erlebte, die Reformation und Gegenreformation 
mit allen Anhängseln der aufgeregten Volksseele. Fast 
möchte man es als ein günstiges Geschick ansehen, daß 
der Vielverfolgt« mit so manchem Glaubonsgenossen nicht 
in der Heimat, sondern in Schwaben sein Lehen ver- 
bringen dürft« , in jenem gastlichen Exil , das den 
Slowenen nicht nur Heim nnd Brot , sondern auch einen 
geistigen Mittelpunkt und eine Druckerei bot. Auch 
nachdem langst dio geistige Bedeutung Trubars anerkannt 
war, wahrte die Feindschaft der katholischen Gegner 

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Abb. 1. Slowenisches Gehllft bei IUnn. 

A Ilnusrlur, B Kiirhc, C Wnhnhao*, l> ungeübte vermielrtn Stube, K nnijrliatitcr 
Futterraum, F anpr-liauler Kulutnlt, IJ Objitfrirtchcn mit Qufr»lan^en7au», H Schrri'ine- 
«Ull, I H<iU»)>t'iclier, K Dünger, I. Mnittelii, M StrnOe, X Bruunen mit Sciii>|>(eiiuer 
nn filier Welle, a Bett, b Lade, c Ti«th mit Bank und Stiililen, d Kommode, e Schränk, 
f Ofen mit Bank und Koc/hiDasrhinf , £ Wanduhr, I« Tnuijciikähg mit einer Taube, 

i Leiter, k »tank, l Ofenherd mit Ke«el, m höbe Wandbretter mit Topfen, Tellern u««r., 

ii FuUerlade. h.er A MaUbcle«, der übrige Boden unter StroWhinJehbih birgt 
Fa*»er, alte Geräte usw. Die SiuWnwünJe sind weiü gcium-bt und mit Heiligenbildern, 

od Phot»j;i'a|>h>eu verliert. An den Balken der Haustür 
im Flur Semen nnd Kfchen. 



seiner Heimat fort. Kine kühne Heimreise hatte beinahe 
mit seiner Gefangenschaft geendet-, er entkam zum Glück 
in die neue schwäbische Heimat und wirkte als evan- 
gelischer Geistlicher hier noch lange. Die Gegenrefor- 
mation hemmte vorläufig dio Kntwickelung der Volks- 
sprache und des Volkstums, aber Truhars Tätigkeit war 
von so großem Gewicht gewesen, dal) man auch bei den 
Slowenen, wie l>ei allen Slawen uud Halten in Deutsch- 
land die Iteformation als die Schöpferin der volkssprach- 
lichcn Literatur ansehen muß. Die Slowenen erhielten 
durch sie auch noch die Bibel durch Juri Dalmatin 
(t 158!)). Heute sind die Slowenen bis auf einen Bruch- 
teil ungarisch-kroatischer Grenzler katholisch. F.rst der 
Augustiner Pohlin (f 11*01) uud seine Mitarbeiter, sowio 
der Kreis des Majorntsberrn Sigmund von Zois (f 1*19) 
ließen, abgesehen vom Mathematiker Veg» (17"i4 bis 
1*02) die slowenische Literatur und Forschung neu 
erblühen. Zu des Freiherrn Kreis gehörten unter auderem 
der Dichter Vodnik ff |sl!i), der Sprachforscher Kopitar 



keit des „ Vaters der Slowenen": Dr. Januz Bleiweis 
(eigentlich Piawez), der mit der ersten bedeutenden Zeit- 
schrift Novice 1843 den Mittelpunkt für alle gebildeten 
Slowenen sebnf. Als der größte Dichter gilt neben 
Kosecki dor Lehrer dea Anastasius Grün im Slowenischen: 
Dr. Franz Preieren (1800 bis 1849). 

Die Zahl der Slowenen wird auf IV, Million geschätzt, 
viele eiud zweisprachig, doch hat das Deutsche langst 
nicht mehr die Selbständigkeit wie ehemals. Ja fast 
scheint es, als ob der alte Valvasor heute erst recht, an- 
gesichts der kampffrohen Stimmung der Slowenen, die 
Worte sagen konnte, die er von den Gottscheern gebraucht: 
„Sie geben keine gute Soldaten, weil sie etwas furchtsam 
und mehr fromme Schafe ala reißende Tiere uuter ihnen 
sind. Hingegen werden die, welche stu- 
dieren, verständig und gar gelehrt — ob 
sie gleich kein so gutes Herz su den Waffen 
wio zu deu Bliebern haben." 

F.igentümlich ist es, daß die Deutschen 
unter den Slowenen in den Gottschoeru 
durchaus nicht ihre Vertreter sehen wollen, 
ja daß die Gottscheer selbst ihro klerikale 
offiziöse Vertretung nicht billigen. Die 
Zeitung der Gottschecr, ein halbmonatlich 
erscheinende« Blatt in klerikalem (reist, 
bat wenig Verbreitung und verrat nur sehr 
schwach, daß es eine deutsche Warte mit 
hohem Ziel sein soll. Es befindet sich 
dabei natürlich im Gegensatz zu dam lite- 
rarisch hochstehenden Kalender der Deut- 
schen in Krain und im Küstenland. Wie 
ganz anders steht da die deutsche Presse 
in Laibach, Triest, Pola da! Immerhin ist 
es zu begrüßen, daß deu Krainer Deut- 
schen ein Roichsratsmandat, eben Gott- 
schee, bewilligt worden ist In partei- 
politischer Hinsicht sind die Slowenen 
übrigens ebenso zerrissen wie die Deut- 
schen. Die sich wahrscheinlich zu einem 
Obergymnasium erweiternde Mittelschule 
in Gottschee wird einst wohl der Mittel- 
punkt des Deutschen sein, wie es jetzt 
die slowenischen höheren Lehranstalten für 
ihr Gebiet lind. Bescheiden in der Ecke 
steht in Laibach das Denkmal des Grafen 
Auersperg, Anastasius Grüns, des slowe- 
niseberseits Angefochtenen. Wohl mußte 
sein Herz deutsch schlagen. Daß er aber 
kein Herz für seine slawischen Mitbürger gehabt hätte, 
wird am besten durch seine slowenischen Studien, seine 
Freundschaft mit Presereu, seine „Volkslieder aus Krain 1 " 
widerlegt. Kr sagt am Schlüsse seines Vorwortes: „Noch 
hat das Germanentum seines scheinbaren Übergewichtes 
ungeachtet einen vollständigen, dauernden Sieg nicht 
errungen, noch bat sich das Slawentum nicht als besiegt 
bekannt, ja neuerdings (184!') führte es nach langer 
Kampfscbeuo jugendlichere und kräftigere Truppen ins 
Treffen. Auf welche Seite die Wünsche eines deutschen 
Dichters sich neigen, darüber knuu wohl koin Zweifel 
walten; doch ist er zugleich nicht engherzig genug, das 
Maß der Berechtigung, die Macht der Begeisterung und 
heroischen Tatkraft auch in dem anderen Lager zu ver- 
kennen uud über dem einseitig starren Festhalten des 
nationalen Parteipostens die höheren weltheherrschenden 
I<osungsrufe dur Menschheit zu überhören, vor denen das 
Feldgeschrei der Nationalitäten verstummen muß, wie 
das Wort des Individuums vor der Stimme der Nation." 



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Dr. F. Tetzner: Die Slowenen. 



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2. Sitten nnd Gebräuche. Die Sitten und Ge- 
bräuche der Slowenen sind altertümlich, ober nicht 
besonders von deneu der gleichen sozialen Schichten ganz 
Mitteleuropas verschieden. Die umliegenden Stamme 
reden natürlich immer wegwerfend voneinander, und so 
kann es nicht wundernehmen , daß die Slowenen von 
Deutschen wie Kroaten gleichmäßig geringschätzig an- 
gesehen werden und dasselbe Verhalten ihren Nachbarn 
gegenüber an den Tag legen. Besonders der slawische 
Nachbar hat nur bedauerndes Mitleid für den slawischen 
Krainer. Daß aber das geistige und politische lieben in 
Laibach dem Agramer nachstünde, kann nicht behauptet 
werden. Die Lebensäußurungen der Südslawen, die 
Kraus» in dankenswerter Weise zuin Mittelpunkt wissen- 
schaftlicher Forschung gemacht hat und deren Unter- 
suchungen Licht über manche .Sitten, Gebräuche, Worte 
und Sprichwörter verbreiten, sind in vielen Punkten die 
aller Südslawen. Sie treten aber vielleicht nicht mit 
derselben unverhüllten Kraft auf. Wenn man aber der 
Anschauung sein sollte, daß dieser Mangel an Prüderie 
nicht auob bei den gleichen sozialen Schiebten etwa der 
Slowinzen, Kascbuben, Litauer zu finden sei, so braucht 
man noch gar nicht Augen- und Uhrenzeuge gewesen zu 
sein, sondern nur die alten Berichterstatter zu lesen, um 
eines bessern belehrt zu werden. 

Der erste, der ausführlich auf volkskuudlicbe Stoffe 
bei Betrachtung der Slowenen eingebt, ist Valvasor in 
seinem großen Werk „Ehre des Herzogtums Krain" (Lai- 
bach 1689). Im 23. Kapitel des sechsten Buches handelt 
er von Sprache, Tracht, Sitten und Gebräuchen der Slo- 
wenen und bietet auch Abbildungen. Hier sei einiges 
Eigentümliche daraus hervorgehoben. Diu Oberkrainer 
Sloweninnen trugen auf dem Haupt weiße Petschen, „ist 
ein leinen Schleyer von weitläufig gowirktem Faden und 
dünnem Leinwand gemacht; durch diese Leinwand werden 
mit der Nadel an teils Orten Zwirnfädun gezogen, damit 
sie ganz gefaltet bleibe und hat eine solche Leinwand 
ungefähr anderthalb Ellen in der Länge. Diese Leinwand 
wird auf dem Kopf so arlich zusammengeworfen, daß 
es über der Mitte nicht anders sieht, als ob es oben eine 
ganz andere Leinwand wäre. Hernach legen sie Mieder 
an und zusammengenähte Röcklein, Schößlein nennt man 
es in Franken, alsdann einen blaueu und vier Finger 
breiten Gürtel darüber. Diese Gürtel werden besondres 
Fleißes gewirkt, sind gar dick und hart. Darauf tun 
sie wiederum einen anderen, nämlich eisernen Gürtel 
(Sklepanez) oder auch wohl einen von Messing darüber, 
"SO daß der Rock gar hoch über den Magen geht, 
woselbst alsdann das Mieder daran genäht". Einiger 
Orten gehen sie in weichen Stiefeln. Die Unterkraine- 
rinnen haben dieselbe Kleidung, aber keine Vortücher, 
und schwärzt], hier und da zusammengefaltete Stiefel. 

Zu der Hochzeit laden zunächst Hochzeiter und Braut- 
führer, mancherorts außerdem Braut und Kranzjungfer 
ein. Der Hochzeitszug geht mehr zu Roß und Wagen 
als zu Fuß. »Der Bräutigam führt hinter sich seine 
Braut, der staraschina (Speistunoiater) auf dem Pferde 
hinter sich die Teta (das ist ein Weib als eine Mutter). 
Der Brautführer aber hinter sich die Kräuzeljuugfrau 
(Brautjungfer oder Tischjungfer, wie inan's in Deutsch- 
land nennet), die übrigen reiten. Die Mttuner haben alte 
Säbel au der Seite, als ob sie »nicht zur Hochzeit, sondern 
zu Feld ziehen und eine Partei Türken tranchieren 
wollten». Aber die seidenen Hutbänder, die wie der 
große Busch aus Seite, Rauschgold, Federn, Buxbauui 
mit Buchweizenkorn in der Luft (lattern, bezeugen, daß 
es diese Ritter lustig meinen uud nicht blutig." Die 
Reiterei kommt nachmittag angezogen, das Frühmahl ist 
bei der Braut, das Nachtmahl beim Bräutigam, jedenfalls 



muß dieser, wenn er nicht Spötterei leiden will, am Hoch- 
zeitstage im eigenen Hause übernachten. Wenn die Braut 
ins Haus des Bräutigams geführt wird, jagt ein Teil der 
Hochzeitsgesellschaft, so schnell es geht, ins Bräutigams- 
haus, um dort zuerst die „Pogatschen oder Stautgen", 
den Hochzoitskuchen, zu holen. Dieser Hochzeitskuchen, 
der in der Neuzeit durch tortenähnliche Gebäcke ver- 
treten wird und mit allerhand Zierateu versehen ist, 
bald als Kleingebäck, bald als Schnitt eines großen Brotes 
überreicht wird, spielt bei der Hochzeit eine große Rolle, 
und der Bäcker oder die Bäckerin kann hier alle erworbene 
Kunst zeigen ; Valvasor verwendet eine ganze Spalte darauf, 
sie zu schildern, und das Laibacher Museum bietet eine 
Anzahl solcher wertvollen Stücke in Natur. Die bei der 
Hochzeit nun folgende Abholung der Braut durch den 
Bräutigam geht mit ganz ähnlichem Scherz wie bei den 
Slowinzen vor sich. Man will die Braut dem Bräutigam vor- 
enthalten, ihm eine Alte oder Unsaubere geben und treibt 
Jux und Scherz, bis er die rechte hat. Nach der Mahl- 




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Abb. 2. 

Slowenische Gehoftanlnt?© au der kroatischen Grenze. 

A Wobnbau», B Stallungen , *' Scheune mit \Virt*i:luni.rauii>, 
1> Si.liweiiie»l:ill mit Alurl, K Msiss|i«irhcr, K k'r.Uru lSieneiihau*, 
(J Brunnen, H Obstgarten, I r'cld, K Str«lip (ticlercclrgm). Schruni' 
und Speicher mit £iegvldiicU, <U» ültrige mit StroiuHjhiiulel. 

zeit tanzt man, am dritten Tage erst führen die Braut- 
führer die Tuta und Kranzjungfer heim. Die Tauzlust 
des Volkes zeigt sich in den Bauernstuben, auf den Tennen 
und bei der Hochzeit mit allem JuImiI und Lärm. Die 
l'uterkrainer Bräute gehen mit einem Drusch oder 
Hochzeitladar einladen, ebenso der Hochzeiter mit dem 
Brautführer oder Tovarsch. Die Wörtelung bei Abholung 
der Braut durch den Bräutigam ist dieselbe, die Wert- 
schätzung der Pogatschen beim Ilochzeitsmahl ebenso, 
letztere werden aber nicht nur ausgeteilt, sondern auch 
als Geschenk mitgebracht. Als Unterhaltungsscherz galt 
es, daß sich ein Geiger wiu ein Lump anzog und einen 
Ochsen feilbot, er bekam aber nur Püffe uud hatte derbe 
Späße auszustehen uud mußte sich Spitzbube nennen 
lassen. Er kommt über 20 mal, und zum Schluß wird er 
hinausgeworfen. — Am Schluß des Mahle» kommt die 
Köchiu mit einem Löffel, der mit Stroh verbunden ist: er 
sei krank, man solle ihm Zehrung geben. Diese Art 
des Trinkgeld fordet us ist weit verbreitet, wie auch jener 
Unterhaltungsscherz. Nach der Kiudtaufe wird bei einem 
Kiudesmahl die Mutter von den Gevattern wieder mit 
Pogatschen beschenkt 

Die Totenklagen, das Bringen von Tiauurspeuden für 

35* 



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Dr. F. Totzner: 'Die Slowenen. 



den Sarg und aufs Grab, wie dies alles bei Valyaaor 
erwähnt wird, ist zwar im Entschwinden, wird abor doch 
vereinzelt noch geübt, namentlich legt man gern auf 
Kindergräber an die Kreuze kleine Bildchen. Die Grub- 
kreuzo, hölzerne, steinerne oder von Metall, geradlinig 
oder mit geschwungenen Formen, mit und ohne I hieb, 
weichen nicht von deueu ganz Mitteleuropas ab. 

Wie bei den Litauern die Talkos und Rockeustuben 
eine große Rolle spielten, so waren und sind sie teilweise 
noch bei den Slowenen die besten Gelegenheiten der 
jungen Geschlechter, nach der Arbeit Spiel und Lust zu 
suchen. Und wie die alten Berichterstatter in Deutsch- 
land auf dio sittlichen Gefahren hinweisen, die diese 
Rockenstuben, das HirseauBtreten usw. im Gefolge haben, 
so sagt auch Valvasor: „Wann nun der Hirs ausgetreten 
und diese Arbeit verrichtet ist, tun sie (nach dem Walchern) 
mit den Menschern einen Tanz, woraus aber oft ein anderer 
Tanz entsteht, dadurch Zucht und Ehre vertanzt werden, 
denn da werden alsdann manche Kopfstücker gemUnzt, 
welche mit ihren Köpfen eine verstohlene Näscherei gern 
anzeigen, und auf was für einer Münzstätte sie geprägt 
worden, zu merken geben." Auch die Kunkelträger, die 
ihrer Geliebten aus der Spinnstube um Mitternacht den 
Rocken nach Hause tragen, schilt der Schriftsteller. Er 

ich für den Dienst hin- 



so erkenntlich, daß sie wiederum einen Kunkel 



zwar nicht bloß den Slowenen, sondern allen Südslawen 
und den Italienern eigen. Aber in so frischer farbiger 
Schönheit trifft man die Türen des Stockes doch nirgend 
an. Nicht bloß Heilige, sondern auch gewöhnliche Hauern, 
aber auch kleine Geschichten, wie Hochzeitsmusik, Männer- 
mühlen, Zungenschleifer, Bärenkämpfe, Liebespaare, 
Hauernfeste oder auch Blumenstöcke, Radbrunnen und 
Häuser buntfarbig ausgemalt. Das Laibacher Museum, 
das, wie auch das Wiener und Budapeater, eine Menge 
typischen Kulturbesitzes der Slowenen aufbewahrt, hat 
auch eine ganze Reihe solcher gemalten Bienenstock- 
türchen, nicht zu gedenken der zahlreichen hochzeitlichen 
und gewöhnlichen Honiggebäcke. Hacquet rühmt sodann 
den Fleiß der Slowenen beim Ackerbau und gedenkt dabei 
der Trockengerüst« oder Harpfen = Harfen (Abb. 3 u. 4), 
slow. Kozolz, woraus manche Deutschen wiederum Goasel 
gebildet haben = Geisel (was ja zu Unrecht neuhoch- 
deutsch mit ß geschrieben wird, so daß das slowenische 
Wort lautlich dem oberdeutschen fast gleich ist). Diese 
Harfe ist nach Betinden ein 4 bis 6 m hohes und gewöhn- 
lich noch breiteres einfaches Gerüst von Querstangen, 
die durch einige in der Erde befestigte dicke Balken 
festgehalten werden, der First ist ein schmales Dach. 
In dies dort überall und allenthalben sichtbare Gerüst 
steckt man die Garben, daß sie die Sonne trockne. Es 
kommt auch vor, daß zwei solche Harfen parallel 







~- ... . 






















































Abb. 3. Harfen oder 



Abb. 4. Harfe mit 



zu tragen auf sich 
zugleich gesponnen". 

Die Verfertigung eigener Stöcke, spaßhafter Musik- 
instrumente zu den Dorffesten, die Drciköuigsumzüge 
und dgl. haben die Slowenen mit allen Slawen gemein, 
ebenso die Anwenduug von Zauberkräutern, Zauberstuinen, 
Hausmitteln vind Pröpelformeln gegen Krankheiten. In 
welch ausgiebiger und schändlicher Weise man ehemuls 
dem Hexenglauben und der Hexenverbrennung huldigte, 
dafür gibt Valvasor Beispiele in Menge. 

Nach Valvasor hat besonders Hacquet (Beschreibung 
der Illyrer, Wenden und Slawen, Leipzig 1801) 1775 dio 
Gebräuche der Slowenen gut beobachtet, so daß auch 
Dobrowsky in seinen Werken „Slaviii" und „Slovunka" dio 
gebildete Welt darauf aufmerksam machte und Auszüge 
veröffentlichte. Kr hebt besonders hervor: Die Spinn- 
stuben, die gebackenen Weihnachtskronen, das Osterbrot 
aus Honig und Nüssen, die mit Valvasor» Angaben nicht 
völlig übereinstimmenden llochzeitsgebräucbe, wobei des 
Kopfputzus der Braut, des grotesken Lärmes bei Witwe»- 
heiraten, der Spaßmacher bei jeder Festlichkeit besonders 
Erwähnung getan wird. Über die Bienenzucht heißt es 
(Slovanka, S, 92), sie sei bei den Krainern im besten 
Flor, i ^'bricht es den Bienen in einer Gegend an 
Nahrung, so übertragen und führen sie die Stöcke weiter, 
wozu sie eigene Wagen mit Hängestockon haben. Sie 
bemalen ihre Stöcke, die aus sechs Brettchen zusammen- 
gesetzt sind, auf der schmalen Vorderseite mit Figuren 
eines Heiligen. Diese bemalten Bienenstöcke sind uun 



in Entfernung einiger Meter, und durch ein Dach 
bunden sind. Oft schließt sich auch au dio Harfe nur 
auf einer Seite ein überdachter Raum an. Der MaLs- 
speicher ist (wie der bunte fränkische Regenschirm) ganz 
der der Kroaten. Das Gehört hat die slawisch häufige 
Anlage, daß das Wohuhaus nach der Straße, ihm zur 
Seite und gegenüber je ein Gebäude, Stall oder Scheune 
stehen, die vierte Seite aber meist frei ist. Die Hand- 
werker haben vor ihren Häusern die bekannten Symbole 
angebracht, die Gasthäuser Trauben und Büschel aus 
gedrehten Hobelspänen. Die Gänge ums Haus sind über- 
dacht, gegen Regen und Wetter. Auch der nicht be- 
sonders charakteristischen Trachten gedenkt Hacquet, 
wobei dor Umstand Erwähnung verdiont, daß das lange 
Zierhemd srajza wie heute auch noch bei den Rumänen 
(streiza) heißt. Jetzt ist ja die schon an und für sieb ein- 
fache, streifige Tracht überhaupt in die entferntesten 
Täler zurückgedrängt worden. Ich habe in Laibacb, ab- 
gesehen vom Museum mit seinen allerdings höchst wert- 
vollen, mit Hochstickereien uud Durchbrüchen versehenen, 
in mühsamer Handarbeit gestickten Frauenkleidern, über- 
haupt keine alte Tracht mehr gesehen; dafür treten die 
Sokolleuto in ihrer Uniform um so anspruchsvoller bei 
Leichenbegängnissen und Umzügen auf. Doch soll bei 
goldeneu Hochzeiten noch hüulig die alte Volkstracht 
hervorgesucht werden. Selbst Postkarten mit Volks- 
trachten waren nur schwer und in sehr geringer Anzahl 
zu haben, gegenüber der Fülle, die die Kroaten zu bieten 



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Dr. 1\ Tetzner: 



Da« slowenische Haue ist dreiteilig, neben der Haus- 
flur befinden «ich rechts und links Wohnstuben; Flur und 
Stoben sind oft der Breite nach geteilt. Obergänge oder 
Haustauben mit Äußeren Treppen finden sich häufig. Die 
Dauart ist vielfältig, vorn Gersaß- und Füllholzständer- 
stil bis zuui Fachwerk- und Steinbau (Abb. 1 u. 2). 

Ans der Zeit, da Napoleon Laibach zur Hauptstadt 
Ulyrieus gemacht hatte, stammen die Berichte des 
wackeren Saume, des Weltwandersmanus, der über so 
riele slawische und baltische Stamme treffende Urteile 
aligab. Die Ungastlichkeit eines einzelnen, das Gehaben 
eines „hübschen Stückchens Erbsünde", die eigentümliche 
Beurteilung dos Fremden will wobl Saume selbst nicht 
für etwas ausgesprochen Slowenisches ansehen, dagegen 
meint auch er, die Slawen täten alle, all« wäre Slowenisch 
so ziemlich dasselbo wie jede slawische, wie eine gemein- 
slawische Sprache. Ober das Innere der Häuser sagt er: 
„Es war mir Hob, eine gewöhnliche kraiuische Wirtschaft 
su sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlech- 
teste war, und die doch nicht viel besser schien, als man 
sie bei den Letten und Esten im Kurland und Liefland 
findet. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen." 

Wie unsere Soldaten im Kriege den Kugelsegen und 
viele ßauernburschen den Himmelsbrief auf der Brust 
tragen, so nimmt man dort ein rotes oder schwarzes 
Amulett um den Hals, das an ein paar Bändern auf 
Leinwanddrucken Heiligenköpfe und den gekreuzigten 
Jesus oder die Madonna zeigt. Diese Sachen sind überall 
käuflich. Ich erwarb ein rotes und ein schwarzes für 
zusammen 10 Kr. auf dem Zirknitzer Jahrmarkt und 
ward belehrt, daß das schwarze mit dem Kopf des heiligen 
Athanasius alle meine Sünden straffrei mache bis auf 
einen Tag Fegefeuer. Das rote aber, das Christi Blut 
andeuten solle, erlasse auch noch den. Es ist diese 
Art der Amulettverwendung entschieden einfacher als 
die oben erwähnte deutsche, wo jeder erat den langen 
Brief abschreiben muß. Bei der Erwnhuung ton Zirknitz 
will ich nicht unterlassen, auf die trotz aller bestätigender 
Lesebuchschildorungen doch erwahuenswerte Tatsache 
hinzuweisen, daß ich 20 Jahre vorher über Gegenden mit 
dem Kahn gefahren bin, die jetzt vollständig trocken und 
angebaut waren. Damals fiel mir auf der Insel Otok 
die überschäumende Lust der juugen Leute au Brannt- 
wein und Tanz auf, ich sah jetzt in Zirknitz dasselbe 
lustige Lebe», erfüllt von Freude au Sang und Wein, 
das sich bis lange nach Mitternacht ausdehnte, leider 
fand ich auch bei den Slowenen wie Gottschecrn noch 
dieselbe Wanderlust nach Amerika, dieselben Triebe, 
dann wieder nach der Heimat uud womöglich nochmals 
nach Amerika zurückzukehren. Daß dabei die alten 
Gebräuche allmählich verschwinden, ist klar. Nur noch 
in abgelegenen Dörfern kennt man das „Frische Grüne 
Peitschen", Krippenbauen, Anbrennen geweihter Ruten 
am Palmsonntag, Eierbemalen am Gründonnerstag, 
Kriuterbrotbacken zu Ostern, Stefans Sulzweihe, Johannes- 
segen mit Weinspende, Neujahrs- und Faschingsumzüge, 
die Umzüge des grünen Georg. 

3. Volks poesie. Aus Schafariks Geschichte der 
südslawischen Literatur und Suman» Werk „Die Slo- 
wenen" erfahren wir deutlich, was für herrliche Kräfte 
in jenem Volke schlummerten und welche zur Entfaltung 
kamen. An dieser Stelle sei nur der Volksliteratur, und 
zwar zunächst des edelsten TeileB der Volkslyrik ge- 
dacht Sie ist umfassend auch dem deutschen Volk über- 
mittelt worden. Hiazyntb v. Schulheim, Wilhelm Urbas 
und besonders Anastasius Grün haben uns eine Reihe 
von Verdeutschungen geschenkt. Die slowenische Volks- 
lyrik, soweit sie in diosen Liedern an die Öffentlichkeit 
getreten ist, hat eine große Verwandtschaft mit der 



deutschen, slawischen und baltischen, ich möchte sagen, 
sie steht im Ausdruck mitten inue zwischen deutscher 
und litauischer. Ich war erstaunt, als ich Anastasius 
Grüns „Volkslieder aus Krain" das erstemal las und 
darin nicht bloß in Stoff und Ausdruck, sondern auch in 
der ganzen Anordnung so manches Lied fand, das mit 
einem oder dem anderen in meinen Dainos, den ver- 
deutschten litauischen Volksliedern, übereinstimmt«. Die 
epischen wiederum neigen nach Form und Inhalt nach 
den kroatischen und serbischen Guslarenliodero hinüber. 
Die von Scbulheim mitgeteilten in beiden Sprachen ge- 
reimten Lieder, z.B. der Abschied, Romanze, die Geliebte, 
haben ihre Entsprechung auch bei uns, die Braut 
Anjtschka, die drei Töchter bei den Litauern. Die ans 
dem Tierleben stammenden von der Vogelhoohzeit , dem 
Tiorkampf, Eulentanz, den ankündenden Vögel u usw. fin- 
den wir gleicherweise bei Sorben und anderen Slawen. Die 
Vergleiche aus dem Prlanzenleben, das Hereinziehen der 
Blumen und Kräuter, der Farben und Düfte des Klein- 
gartens, die Vorliebe für die Drei- und Neunzabl, die 
Anwendung der Verkleinerungssilben , das Spranghafte 
und Abgerissene in der Behandlung der Episoden eignen 
dem slowenischen Volkslied, wie dem benachbarten. Sogar 
die Vogtländischen Rundas kann man fast wörtlich in 
den windischen wiederfinden. Die nur in schwachem 
Abglanz im Volke lebende Welt alter Dämonen, der 
Rojnioe (Parzen), Wilen (Feen), Schrettel, Waldgeister, 
Wassermänner hat uns zum Teil auch Rudolf Baum bach in 
seinem Zlatorog (— Goldbock) nahegebracht. Aber schon 
Anastasius Grün schreibt: „Die Erinnerungen an den 
ursprünglichen Kultus der Slowenen sind selbst gänzlich 
verschwunden; die auf uns gekommenen Überreste be- 
zeugen, daß sie einen höchsten guten Gott (Bog, Belibog, 
Gott des Lichtes Svantevid), dem ein urböser gegenüber- 
steht (Cart, Cernibog, Gott der Finsternisse und des Un- 
heils), ferner eine große Zahl von t'ntergöttern verehrt 
haben. Die Mora (Alb, Drude) erdrosselt die Bösen im 
Schlafe. Kurent (der slawische Priap) war Beschützer des 
Gastmahls und der Schwelgerei, Radegast Gott der Freude 
und des Wohllebens, Ziva die liebliche Göttin des Lebens 
und der Ehe, die Von us der Wenden (der Planet Venus 
trägt ihren Namen), endlich Triglav (Dreihaupt), welcher 
mit einem Haupte die Erde, mit dem anderen die Luft 
und mit dem dritten das Wasser beherrschte. Mau 
glaubte, daß die Götter in Wäldern, Bäumen, Flüssen uud 
Seen wohnten, weihte ihnen Haine und opferte ihnen in 
Hram (Opferplatz) Tiere und Früchte." 

Ich will aus der Lyrik nicht solche Liedchen wieder- 
geben, wie sie beim Flursegen, Neujahrsgang, beim 
Koledasingen , am Eracheinungsfest u. dgl. gesungen 
werden, sie sind in ganz Mitteleuropa ähnlich. Folgende 
allgemeinere Liedchen aber werden am besten dartun, 
welche Verwandtschaft und welcher Unterschied beispiels- 
weise zwischen den slowenischen und litauischen Liedern 
besteht (Vgl. Grün 5, 27, 28, 31, 32, 40 mit Dainos 1, 
57, 9 und 13, 5, 2.) 

1. Weltjammer. (Grün, 8. 3«. Vgl. Dainos 45f.) 

0 »Cheine, Bonne scheine — 
Du gelbe Bonns du: 
.Ich kann dir nimmer scheinen 
Vor großer Traurigkeit. 

Wenn morgens ich erntehe, 
Da« Weibervolk schon greint. 
Wenn abends fort ich gehe, 
Das Hirtenvolk noch weiut. 

Wenn ich zu Berge scheine, 
Nur arme Teufel gibt's I 
Wenn ich zu Tale scheine. 
Nur Beltelweiber gibt'».* 



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270 



Dr. F. Tetzner: Die Slowenen. 



1. Wohin damitY (Grün, 8. 41. Dalnos 20.) 
Kommt zu Roß geritten. 
Au» dem Schloß mein Liebster, 
Auf dem Pferde trügt er 
Einen weißen Falken. — 

Auf dem llute trügt er 
Kosroariu» ein Sträußlein, 
Und di«* IWn wiehert, 

.Heine ȟfle Liebste, 
Sprich, wohin das Rößleiu ?* 
.O mein süßer Liebster, 
Nach dem weißen Stallt!" 

.Meine »litte Liebste, 
Sprich wohin den Falken*" 
,U mein «üßer Liebster, 
In mein lichtes Zimmer !* 

.Meine süße Liebste, 
Sprich wohin das Sträußlein?' 
,0 mein süßer Liebster, 
An mein blankes Mieder'* 

3. Hochzeit der Vögel. (Grün, 8. 23. Dainos ösf.) 
Vögel Hochzeit feiern, Auf dem Feld im Freien. 
Fink ist der Neuvermählte, Finkin ist die Erwählte. 
Festnieister ist der Geier, Nickt bei der Tafel statt zweier. 
Brautmutter ist die Eule, Kürzt sich am Tisch die Weile. 
Wolf ist beute Metzger, Drüben das Mosser wetzt er. 
Hase ist beut Kellner, Bringt den Wein und die Teller, 
llausuingd ist die Katze, Fegt den Tisch mit der Tatze. 
Spielleute sind die Hunde, Mit dem breiten Munde. 
Fliege tanzt mit der Mücke, Geht die Welt fast in Stöcke. 
Fliege aber beim Holpern, Bricht sich ein Bein im Stolpern. 
Schickt um den Bader in Eile, Daß er den Beinbruch heile! 
Ehe der Bader sich sputet, Langst die Fliege verblutet. 

Anastasius Grün bat bei »einer Übersetzung sowohl 
die reimlosen als die unvollkommen gereimten \ erse nach- 
geahmt und das Versmaß beibehalten. Dies ist bei den 
epischen Gedichten meist trochaisch und vierbebig, z. Ii. 
in den berühmten Gedichten von der ungetreuen Gräfin, 
der Königstochter, ?om Ableben des Königs Matjoach, 
vom Herrn lUuber. In vierffißigen gereimten Jainbon 
ist das bekannteste von Lambug und Pegam, in fünf- 
füßigen reimlosen Trochäen die Geschichte Ton des 
Woiwodeu Jauko Hochzeit im Munde der Guslaren zuerst 
erklungen. Drei- oder zweihebig sind die Rundas, z. B.: 

Stand unter der Liude, Hu liebliche Maid, 

Nahm Abschied von ihr. Sprich, wie dies gedeiht ? 

Da kam ihr das Weinen, Was fragst du um mich, 

Das Lachen kam mir. Nicht frag ich um dich. 

Hütt ich gar nichts auders 
Als den schönen Mann 
Stets suß ich beim Tische 
l'nd »ab mir ihn an- 

Eiuo Reihe Grabsprüche aus dem slowenischen Sprach- 
gebiet möge mit den Anschauungen bekannt machen, die 
man über die Toten zum Ausdruck bringt: 

1. Nach oben Ist der Blick zu lenken 
Zu jenen lichten Bterneuhohn, 

Dort werd ich liebend eucu(!| gedenken, 
Dort werden wir unB wiedersehn. 

2. Getreu erfüllte er hienieden 

Als Gatte und «1« Vater seine Pflicht. 
Drum schied er hin voll Trost und Frieden. 
Er lebt bei Gott und starb un» nicht. 

Wolln wir unsrer Eltern warteu. 
Allzufrüh sind wir geschieden, 
Weint nicht, weil ihr seid hienieden. 

4. Hier in diesem Blumengarten 
Will ich meiner Eltern warten. 
Kaum hab ich die Welt erblickt, 
Mull ich schon ins Grab zurück. 

.V I'nheilUir war die Wunde, 

Die dein früher Tod uns schlug. 
Unvergeßlich i»t die Stunde, 
Wo mau dich zu Grabe trug 



6. Dankbar hegen wir euer Bild. 
Bis zur Auferstehungafeier 
Huht in stillem Frieden mild. 
Beste Eltern, stets uns teuer. 

Uottscheer Inschriften : 

Kein müdes altersgraues Haupt. 

Ein JüngliDg ruht im engen Schreine, 

Vom Tod den Eltern weggeraubt 

In seinem schönsten Blütenleben. 

Kann's einen groß'ren Schmerz wohl geben » 

Wie wenn der Sturm in seinem Wüten 
Des Landinanns goldne Saat verheert. 
Vom Baume streift des Lenzes Blüten, 
Di« Hoffnungen in Leid verkehrt. 
So brachen nn de* Jünglings Leiche 
Zwei Herzen hin mit einem Streiche. 

Doch wm der Welten Herr beschlossen, 

Ist uns zum Heil, ist wohlgetau, 

Ob auch schon viele Tränen llossen 

Und fließen werden noch fortan, 

Es gUnzt «in Stern in lichten Höhn, 

Und dieser Stern heißt Wiedersehn. 

Ihr Lieben, Denker, sorgend unserem Sein, 

Hier ruht ihr »orglos, stille und allein, 

Es grüßt euch, dankt euch, tränend Blicke» uach. 

Im Geist doch, Liebe, seid stets ihr für uns wach. 

(Ruhestatte der Familie Hofholzer: Militäroberiuteu- 

daut, »l> Jahre alt, Zeichenlehrer J., 88 J., Frau A., 

84 .1. alt.) 

3. Der im Gedilchtuis ourer Liebe lebt, ist ja nicht tot. 
Er ist nur fern. Tot nur ist, der vergessen wird. 

4. Ruhe denu sanft, geliebter Vater, geachtet als Bürger, 
Bis zur Verklärung dich ruft Gottes allmächtiges Wort. 

5. Die Stunde schlagt, es ist vollbracht. 
Lebt wohl, ihr Lieben, Gute Nacht. 

6. Behüt dich Gott, es war' zu schön gewesen. 

Der Slowene hat einen retchen .Sprichwörterschatz 
und schöpft daraus tagtäglich in gewöhnlicher Rede. 
Und wenn ihm hier and da nachgesagt wird, er bleibe 
gern langer im Krug bei Trank und Scherz sitzen, nur 
um zu zeigen, daß er Herr seines Hauses sei, nicht seine 
Frau, so verdient auch hervorgehoben zu werden, daß 
eins seiner Lieblingssprichwörter ist: „Die Frau stützt 
drei Ecken des Hauses, der Mann eine." Vielleicht glaubt 
er deshalb, nicht so nötig zu aoin zu Hausu. 

Literatur. 

Baumbach: Zlatorog, Alpensage, 1877. 

Dobrowsky: Slavin, 1813. Slovanka, 1814. 

Fasching: Skizzierte Geschieht« der von Slowenen be- 
wohnten Länder. Bui Suman, Ö. 67 bis 78. 

Grün: Volkslieder an» Kram, 1849. In Anastasius Grüns 
gesammelten Werken, Berlin 1877. Bd. V, 8. I bis 157. 

Uacuuet: Beschreibung der Illyrer, Wenden und Slawen. 
Leipzig Ihoi. 

Hnbad : Sitten und Gebräuche der Slowenen. Siehe Souiin, 
S. 7» bis 105. 

Krauss: Anthvopoph.vtcia, 1904 bis 190«. Leipzig. Sagen 
und Märchen der Büdsluweu, 188«. Sitte und Brauch der 
Südslawen, I88:>. 

Mcgiaur: Chronik des Erzh. Krain. Leij.zig 1.11-2. 

Milkowicz: Der slowenische und der serbokroatische 
Stamm. In Heluiolu. Weltgeschichte V, 8. 2*7 bis 312. Leipzig 
und Wien 1905. 

Oltokar: Österreichische Keimchrouik (v. Ottokar), hag. 
v. Seemiiller IB90,». 

Schafarik: Geschichte der südslawischen Literatur. Hag. 
v. Jireeek 1864. 

Schulbeim: Volkslieder der steiermärkischeu Wenden, 
deutsch bearbeitet von Hfiicyuth v. Schulbeim. Steiermark. 
Zeitschrift (1815 bis 75). 

Sumuu: Die Siemen. -n. Wien und Tesehen. 1881. 

Neume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. 

Simoni.-: Die slowenische Literatur. Sieh« Human, S. 153 
bis 178. 

Urbas: Fmgratnm der Staats Oberrealschule in Triest- 187:1. 
Valvasor: Ehre des Herzogtums Krain. Laibach 1689. 



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Knpitauieutnant Kurt*: Kennzeichen von Niveauänderungen iu den Philippinen. 



271 



Kennzeichen von Niveauänderungen in den Philippinen. 



Hongkong, S. M . 8. Planet, 18. Februar 1907. 

Bei der Fahrt durch die luseln der Philippinen- 
g nippe passierte S. M. S. Planet am 6. Februar die drei 
unter 13° 13' nördl. Br. 121° 50' östl. I.. liegenden Los 
Tres Reyes genannten kleinen Inseln. 

Diene Inseln zeigten Bchon aus größerem Abstand 
Ton Süden her alle drei insofern ein auffallendes Bild, 
ala sie auf einer etwa 80 m hohen, ziemlich steil aus 
dem Meere sich erhebenden Tafel noch eine, die InBel 
Gaspar aber zwei kleinere, etwa 30 Ihb GO m hohe, runde 



rallenkalk war. Doch konnte man von Bord au» mit 
Ferngläsern genau erkeunen, daß das sämtliche Gestein, 
soweit es nicht durch Vegetation verdeckt war, ganz 
gleichartige Beschaffenheit zeigte. (Abb. 4.) 

Das Boot stellte ferner fest, daß die Steilküste von 
einem nur 1 5 bis 30 m breiten , aus lebenden Korallen 
bestehenden Riff begleitet wird, das bis zu .*• m unter 
dem Meeresspiegel liegt, und von dessen Rand aus sich 
der steile Abfall fortsetzt Lotungen wurden nicht vor- 
genommen. 





3. 4. 

Abb. l. Die Issel Baltasar aus Südost. I,S Srom. Ah*un<l. Abb- 2. Nordostecke der Insel Baltasar. Abb. 3. Süd- 
westecke der Insel Baltasar. Abb. 4. Bück von Südost auf den an Abb. 2 sich anschließenden Teil von Baltasar. 



Kuppen trugen. Man erhielt den Kindruck, als oh die 
Abdachung der Tafeln bis zu den aufgesetzten Kuppen 
alte Strandterrassen seien. Beim Näherkommen wurden 
Spuren weiterer alter Strandlinien zwischen dieser 
höchsten und dem jetzigen Meeresspiegel erkannt. 

Dies gab Veranlassung, an die Südküste der zunächst 
gelegenen Insel Baltasar (Abb. 1), deren Höhe zu rund 
130 m ermittelt wurde, nahe heranzugehen und hier die 
mitgeteilten photographischen Aufnahmen zu inachen, 
sowie durch Entsendung eines Bootes die Verhältnisse 
an Land näher zu untersuchen. Die mit dem Boot an 
Land fahrenden Offiziere fanden keine Landungsstulle, 
von der aus ihnen ein Ersteigen des steilen Abhanges 
möglich gewesen wäre. Sie konnten nur etwa 10 m hoch 
steigen und feststellen, daß dus anstehende Gestein Ko- 



Abb. 2 zeigt die NO-Kcke der Insel mit besonders 
stark Ton der Brandung ausgearbeiteter Hohlkehle. Die 
überhängende Spitze liegt 5,5 bis ti m über dem Meeres- 
spiegel. Unmittelbar darüber erkennt man sohr deutlich 
eine ältere Strandlinie, dieselbe, die Abb. 3 an der S\V- 
Lcke zeigt. Die am höchsten gelegene der früheren 
Strandlinien, etwa 80 m über Wasser, schien au der durch 
Abb. 4 gezeigten Stelle der Südküste am deutlichsten 
sichtbar zu sein. Leider war eine unmittelbare Unter- 
suchung dieser Stelle und des die obere Kuppe bildenden 
Gesteins nicht möglich. Diese Strandlinie bildet die 
obero Grenze des vorerwähnten unteren Tafelteiles der 
Insel. Mit dem Fernrohr glaubte ich in dem^dort oben 
in einer horizontalen Linie zutage tretenden Gestein Aus- 
höhlungen , wie eine Brandungsbohlkehle , zu erkennen. 



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272 Dio Heilgötter der Ägypter und Griechen. — Büebertchnu. 



Zwischen den beiden besprochenen alten Strandlinien Anzeichen für Nivaau&nderungen in den Philippinen be- 
finden sich noch weitere Angedeutet, freilich nicht leicht kannt sind. Hier gibt jedenfalls der über das heutige 
in erkennen. Ks ist ja stich klar, daß bei dem steilen Mecresnivoau um mindestens 80 m gehobene Korallen- 
Böschungswinkel alte Terrassen bald nachstürzen müssen, kalk im Verein mit den geschilderten Strandlinien einen 
und daß damit ihre deutlichen Spuren schnell verschwin- unzweifelhaften Beweis für eine negative Strandver- 
den können. Schiebung. Kapitänleutnant Kurt*, 

Ich habe in Manila nicht ermitteln können, ob andere Kommandant 8. M 8. Planet. 



Die llellgotter der Ägypter und Kriechen 

waren der Gegenstand einer Vortragsreihe Dr. R. Ca tonn 
im Institut« of Archaeology der Universität Liverpool. In 
einem Berichte der „Natura" vom 21. Marz d. J. hierüber 
beifit es: Der Vortragende erwähnte zunächst die von Athosis, 
dem Sohne des Menes, und dio von Pharaonen, wie Usaphais 
and Semti, in »ehr früher Z«lt geschriebenen medizinischen 
Werke und schildert« dann kurz den Kultus von Isis, Serapis, 
Thoth und Imhotep und die Tempel, in denen Heilungen 
vorgenommen wurden. Von diesen war der weitaus wichtigste 
der Tempel Imhoteps in Memphis. Alle jene Heilstätten sind 
beut« zerstört bis auf dsn kleinen Imboteptempel auf der 
Insel Pbilae... Weiter wurden die zahlreiohen medizinischen 
Mittel der Ägypter und die Sitte der Inkubation oder des 
Tempelschlafes erwähnt. In den Tempeln nämlich von Isis 
und Serapis und wahrscheinlich auch in den wichtigeren 
Heiligtümern Imhotepa schlief der Kranke iunerhatb der- 
selben oder in deren Nähe, und es wurde dabei angenommen, 
daB der Gott sich ihm zu erkennen geben oder im Traume 
oder in einer Vision zu ihm sprechen und die Art der Be- 
handlung angeben würde. Solche Träume oder Vitionen 
wurden von den Priestern ausgedeutet, und die gewählte Be- 
handlung wurde als in Übereinstimmung mit ihnen voraus- 
gesetzt. Manchmal wurde dem Kranken kein Traum ge- 
währt, oder es konnte aus ihm keine Auslegung für die 
Krankheit hergeleitet werden; in diesem Falle besorgte der 
Priester das Träumen. Die Imboteppriester hatten außerdem 
mit dem Einbalsamieren der Leichen zu tan und erwarben 
zum Teil hieraus beträchtliche anatomische Kenntnisse und 
eigneten sich gewisse Tatsachen über den Blutumlauf an. 
Manche der medizinischen Papyri onthaltcu bemerkenswerte 
Einzelheiten bezüglich der Blutgefässe und der Bewegung des 
Blutes, und wahrscheinlich leiteten die Griechen hieraus all 
ihr Wissen von diesen Dingen her. 

In Griechenland und GroBgriecheuland schrieb man ver- 
schiedenen Göltcru und Halbgöttern medizinische Kraft zu. 
Men Karon in Laodicea war eine Heilgntlbcil , die in Klein- 
asien einen großen Kuf hatte, und eine bedeutende medizi- 
nische Schule war mit seinem Tempel verbunden. Apollo, 
Amynos, Asklepios, flygeia, Amphiaraus, Trophunios, Aphrodite 
und die chthonischen Gottheiten Pluto, Demeter, Persephone 
und andere von geringerer Bedeutung waren in Griechenland 
wegen ihrer heilenden Wirksamkeit bekannt. Der Kult de» 
Asklepios war der bei weitem wichtigste. In zahlreichen 
prächtigen, mit den schönsten griechischen Kunstwerken aus- 
gestatteten Tetnpeln ging die Verehrung des Uottes und die 
Behandlung von Kranken Jahrhunderte hindurch vor sich. 
Die vielleicht wichtigste dieser heiligen Stätten war Epidaurus; 
es war der Mittelpunkt, von dem aus der Kult sich durch 
andere Teile Griechenlands und die Kolonien verbreitete. 
F.rfahretie Priester und ebenso die heiligen Schlangen , die 
für die Inkarnation des Gottes galten, wurden von dort aus- 
gesandt, um das Ueilungswerk in Athen, Korintli , Delphi, 



Pergamon, Knidos, Rhodos, Kos und an vielen anderen solcher 
Stätten auszuüben. 

In allen Fällen war die Inkubation der erste Schritt und 
der Führer für die Behandlung. Wahrscheinlich wird das 
Volk kein Vertrauen zu solchen Methoden gehabt haben, die 
nur auf dem Glauben beruhten, daß der Gott selbst sie an- 
geraten hatte. Die Priester selbst mögen, teilweise Gläubige 
gewewn sein. Viele der Priester waren Ärzte, die im Laufe 
von Zeitaltern viele wertvolle Kenntnisse angehäuft hatten; 
sie besaßen nützliche Methoden in der Behandlung bezüglich 
des Schlafes, der Diät, der Ueilanwendung von Bewegung 
und Bädern und von Arzneien. Das Ritual war schon und 
eindrucksvoll, und die Hilfe scheint in menschenfreundlicher 
Weise gewährt worden zu sein, abgesehen von einem Falle: 
der Gott und seine Priester müssen mit dem Tode und mit der 
Geburt nichts zu tun gehabt haben- War eins von beiden nah«, 
so wurde der unglückliche Patient aus dem heiligen Bereich 
hinausgetriel>eu. Erst zur Zelt der Antonius waren die beson- 
deren .Häuser für Geburt und Tod' vorgesehen, die für diese 
beiden Klassen von Leidenden außerhalb des Tempels lagen. 

In Kos scheint der Einfluß des Dippokrates auf die Aus- 
merzung des Aberglaubens und die Begründung der Medizin 
allein auf Wahrheit und Tatsachen gerichtet gewesen zu sein. 
Auf die Bitte der Inkubation scheint sein Einfluß ohne Wir- 
kuug gewesen zu seiu. denn sie setzte sich durch die heid- 
nische in die christliche Zeit fort- 

Als der Osten christianisiert war, vertchv and zuletzt auch 
der Asklepioskult, aber die Heilungen gingen in derselben 
Weise vor sich, ausgenommen, daß die heiligen Schlangen 
verschwunden zu sein scheinen. Die Panakeia oder eine 
christliche Heilige nahm die Stelle des Asklepios ein, und die 
Inkubation ging unverändert weiter. Deren Anwendung ver- 
breitete sich über großo Teile Kuropas und fand sich z. B. 
in Eugland noch in den dunkeln Zeiten des Mittelalters. Ja, 
sie besteht selbst heute auf vielen Inseln und in manchen 
Küsteugebieten des östlichen Mittelmeeres. 

Eine interessante Eigenart dieser alten Heilstätten waren 
die Einrichtungen für die Unterhaltung Und Belustigung ihrer 
kranken Besucher. Eiu großes offenes Theater stand immer 
zur Verfügung, und hier pflegten die Werke der griechischen 
Dramatiker über manche Stunde der Langeweile und des 
Leidens hinwegzutäuschen. In späterer Zeit war manchmal 
ein „Odcon", eine Musikhalle, vorhanden. Die jungen Bckon- 
vali-«zent«n nahmen am I-eufeu im Stadium und an den 
Gymnasium- und Palästraübungen teil und erfreuten damit 
auch die übrigen, die zusahen. Die Ueiltempel hatten ge- 
wöhnlich eine hohe Lage, wo eine reine Bergluft kräftigend 
wirkt«, und reines, frisches Wasser war in Menge vorhauden. 
Eine schöne landschaftliche Szenerie, Meisterwerke der Archi- 
tektur und anderer Künste zogen die Aufmerksamkeit des 
Besuchers an, erweckten sein Interesse und verhinderten ihn, 
mit «einen Gedanken zu viel bei seinem eigenen Leiden zu 
verweileu. Die Kranken des alten Griechenlands waren dort 
ohne Zweifel gut aufgehoben. 



Bücherschau. 



herausgegeben von Dr. G. Jacob, 
außerordentlichem Professor an der Universität Erlangen. 
VI. Bd.. UOSeiten. Berlin, Mayer u. Müller, 190«. VII. Bd., 
64 Seiten. Ebenda 1607. 
In der Anzeige früherer Bände des von Prof. Jacob 
rüstig fortgeführten verdienstlichen l'nternehmens (der I. Band 
erschien 1904) ist bereits auf den großen Nutzen hingewiesen 
wurden, den wir für die Keuntuis de» türkischen Lebens und 
dos türkischen Volkaeharakters aus den Übersetzungen der 
reizvollen ethnographischen Gemälde schöpfen können, die 
uns Muhammed Tevfik in seinem .Ein Jabr in Kon- 
stantinopel* entrollt. Bereits in den Bändchen II bis IV 
dieser Sammlung hat uns ein tüchtiger Kenner der türkischen 
Spracho und Literatur, Dr. Theodor Menzel, mit drei 
.Monaten" des türkischen Verfassers .bekannt gemacht. Die 



J Vorzüge des Original* und der 

! arbeitung bewähren sich in gleicher Weise in der Skizze 
K jütchsine (Die süßen Wasser von Europa), die uns Menzel als 
VI. Band der Bibliothek darbietet. Schon in den .Ramazan- 
uächten* (Bd. III, 8. .14) konnten wir von den Ausflügen er- 
fahren , welche die Konstantinopeler Gesellschaft auf dem 
Bos|K>rus nach Kj ttchi<ue unternimmt, »wonn der edlo Ramaxau 
in die Tage de» Sommers fallt", denn das tut ja der wandernde 
Mondinonnt nicht immer. Im vorliegenden Bändchen geht 
der Verfasser auf das Thema ,Kjätchuue" in spezieller Weise 
ein. Mit der die Arbeit dieses ausgezeichneten türkischen 
.Modernen* charakterisierenden Kleinmalerei, die, weit ent- 
fernt, den Leser zu ermüden, vielmehr sein Interesse in stetig 
erhöhter Spannung « rhiilt , wird uns zunächst die topogra- 
phische Situation jene« beliebten Vergnügungsortes und der 



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Bücberichau. 



273 



dahin führenden Strecke, sowie das Leben und Treiben da- 
selbst vorgeführt ; dann in einer daran geknüpften Erzählung 
.Binnen drei Tagen verliebt und verheiratet* (8. 36 ff.) ein 
solcher Ausflug als Hintergrund für die leben«getr*ue Schilde- 
rung des besseren türkischen Kleinbürgerlebens, sowie be- 
sonders der Umstände türkischer Eheschließung, ihrer Vor- 
bereitung und ihrer Formalitäten benutzt, wir werden in 
das Interieur einer türkischen Kaufmannsfamilie eingeführt, 
und gegeuüber herrschenden Vorurteilen wohltätig euttäuscht 
durch die Erfahrung des in ihr herrschenden Bildungsbedürf- 
nisses, nicht etwa in modern europäisierendem, sondern in 
traditionell alttürkischem Stil. Für die Kenntnis türkischer 
ErsiebungsverhitUnisse mag besonders auf 8. 43 S. verwiesen 
werdeu ; man wird von der Sorgfalt Überrascht, mit der sich 
der Kaufmann Derwisch Efendl um die wissenschaftliche 
Ausbildung seiner Tochter Hasna bemüht, und einen günstigen 
Einblick in ein auch aus dem türkischen „Harem* nicht 
obligat ausgeschlossenes höhere* Leben gewinnen. — 8ehr 
wertroll ist der diesem Bändchen (8. 105 bis 140) beigegebene 
historische Anhang in sieben Stücken, in welchen aus histo- 
rischen Werken verschiedener Zeitalter Besehreibungen des 
Kjätchane, sowie feierlicher Vorgange an diesem Orte und 
darauf bezügliche Poesien mitgeteilt sind. Dadurch gewinnen 
wir erst den historischen Ooicblspunkt für die auf modern« 
Zelten bezügliche Darstellung Tevflk». 

Ein anderer vorzüglicher Kenner türkischer Philologie 
und Ethnographie, Dr. Friedrich Sohrader, führt dem 
deutschen Publikum im VII. Bande einen neueren Vertreter 
der modernen türkischen Literatur vor: den gegenwärtig im 
Alter von etwa 37 Jahren stehenden Ahmed Uikmet Müf • 
tizädeh, Professor der Literatur am Lyceum von Qalata- 
Berai und zugleich ("hef des KousulaUbureaus im Ministerium 
des Auswärtigen in Konstantinopel. Er versteht es, in seinen 
Erzählungen seine hohe Achtung vor den ererbten türkischen 
Nationaltngenden in Schilderungen zu veranschaulichen, die 
wohl ihre occldentallsohe , vornehmlich französisch« Beein- 
flussung nicht verleugnen können, aber nichtsdestoweniger 
•cht türkisches Gepräge veranschaulichen. Während wir 
durch die Gemälde des M. TevAk in die bunte Welt türkischer 
Lebensgewohnheiten eingeweiht werden, Sitten und Bräuche 
des Alltags bis in dio geringsten Einzelheiten kennen lernen, 
ragt Ahmed Htkmet vorzugsweix« durch sein Erfassen 
innerlicher psychologischer und ethischer Situationen her- 
vor. Dr. Schräder bietet in seinem einleitenden Essay über 
.Ahmed Uikmet und sein Werk' eine lehrreiche anziehende 
Charakteristik diese« Schriftstellers und seiner Novellensamm- 
lung .Dorneugarten und Rosengarten *, au« der er hier 
drei Erzählungen übersetzt , die auch von allgemein belle- 
tristischem Gesichtspunkt Beachtung verdienen. .Ninni (Das 
Wiegenlied)* ist eine ergreifende Tragödie der Mutterliebe 
(S. 10 bis »0); in .Tante Nakijje* (8. 31 bis 49) — Selbst- 
erlcbnts des Verfassers — lernen wir eine Spartanormutter 
kennen, die der in islamischem Sinne als Märtyrertod emp- 
fundene Verlust ihrer im Kriege heldenmütig gefallenen drei 
Kinder eher beseligt als betrübt; in „Salhas Sünde' (S. i>0 
bis A4) vertritt der Verfasser .das Recht der Vernunft und 
der gebieterisch auftretenden Regungen der menschlichen 
Seele gegenüber der individualitätsfeindlichen religiösen und 
sozialen Satzung". Die .Sünde* Ut der Willkommskuß, den 
die liebende Gattin ihrem seit lange abwesenden und endlich 
an einem Ramazantago heimkehrenden Gatten auf die Lippen 
drückt : ein Bruch des Fastengewtzcs nach strenger islamischer 
Auffassung. Der Verfasser hat »einer Schilderung dieses im 
Grunde nicht eben tiefsinnigen Konflikte* durch eine überaus 
anschauliche Beschreibung der Taräwih- Andacht der Ra- 
mazan-Nächte und der lärmenden Bräuche bei Tagesanbruch 
(Beginn de* Fastens) erhöhtes Interesse verliehen. 

Wie in den vorhergehenden Bänden wird auch in den 
vorliegenden beiden Fortsetzungen der Wert und di« Nutz- 
barkeit der iu philologischer Beziehung den strengston Forde- 
rungen genugtuenden Übersetzungen durch eine überaus 
reichliehe Reihe von Anmerkungen gesteigert, in denen eine 
dankenswerte Fülle von philologischer, geschichtlicher, literar- 
historischer und ethnographischer Belehrung dargeboten wird, 
an der außer den beiden Übersetzern auch der Redakteur 
•lueo erhehlichen Anteil hat. Alle ohne solche Wegweisung 
dunkeln Realien des Textes werden in diesen Anmerkungen 
in gründlicher Weise aufgehellt und überall die nötigeu 
Literaturnachweise erstattet. Besonders darf auf die zahl- 
reichen Aufschlüsse über abergläubische Anschauungen und 
Bräuche, sowie über volkstümliche Olaubensvorotellungen iu 
li*i<len neuen Bänden hingewiesen werden. — Es mögen nun 
noch einige Bemerkungen gestattet sein. Bd. VI, 8.50, Anm. I 
wird aus Versehen das Werk des Uftghib Isfahüni an den 
Rand einer Ausgabe der Themars al-nunik vernetzt; der 
typographisch« TutbesUud ist eben der umgekehrte: das 



letztere Werk des Ibn Haddscha füllt die Margines der Aus- 
gabe der Muhädhanit. — In Bd. VII, B. 12, Anm. 2 kanu 
noch auf die Literatur verwiesen werden, die hier im .Globus* 
Bd. LXXX, Nr. 8 über die geöffnete Hand als Amulett gegen 
da» böse Auge zusammengestellt ist. — S. 17, Anm. 3 vgl. 
Goldziher, Muhammed. Studien II, S. 408 ff. — Zu den 
S. 47, Anm. 2 mitgeteilten Formeln zur Bannung böser Ein- 
flüsse einer Trauerkunde sind arabische und jüdische Parallelen 
gegeben in der Revue des Etudes juives, Bd. L (1906), 
S. Ib7.— S.55, Z.9 ist salät-i-vitr nicht als .Frühgebet", 
sondern eher als ein zu dem spätesten Nachtgebet gehöriger 
deter ' 



Es darf schließlich auch bei dieser Gelegenheit wiederholt 
auf den großen Nutzen hingewiesen werden, den diese Tür- 
kische Bibliothek, für deren Herausgabe man dem un- 
ermüdlich tätigen Professor Jacob nur dankbar sein muß, 
für die orientalische Literatur- und Volkskunde bietet Es 
ist erfreulich , daß der Herausgeber einen Stab von fach- 
kundigen Mitarbeitern ständig heranziehen konnte, durch 
deren Beteiligung an der nützlichen Bestrebung des Heraus- 
gebers der Umfang des Unternehmens sich auf noch größere 
Kreise der türkischen Literatur erstrecken kann. Wie die in 
Klammern beigegebenen zahlreichen Zusätze in den Anmer- 
kungen beweisen, unterläßt es Jacob nicht, seino Gelehrsam- 
keit auch den Arbeiten der Mitarbeiter zugute kommen zu 
hissen. Es wäre dringend zu wünschen und bei dem wach- 
senden Interesse an orientalischen Dingen zu erwarten, daß 
das rüstige Fortschreiten der durch den selbstlosen Eifer 
Jacob* innerhalb des kurzen Zeitraumes von drei Jahren auf 
acht Teile gebrachten .Türkischen Bibliothek' durch die 
Teilnahme de» lesenden Publikums immer mehr gefördert 



A. M. Tozzer, A lomparative Study of the Mayas and 
the Lacandones. Mit Abb. Neuyork 15107. 

In den Jahren 1*02 bis 1&05 hat der Verfasser im Auf- 
trage de* Archaeological Institute of America die Mayas und 
die Lacandones besucht und längere Zeit unter ihnen gelebt, 
um ihre Sprache und ethnologischen Eigentümlichkeiten zu 
studieren. Der vorliegende Band enthält den ethnologischen 
Bericht, der vieles Neue von Bedeutung bringt. 

Die Mayas bewohnen in der Zahl von 200000 bis 300000 
die Halbinsel Yucatan und einige angrenzende Gebiete; sie 
sind seit langem zum r.'hrlstentum bekehrt. Die Lacandonen 
wohnen in den unzugänglichsten Urwaldgebieten von Ost- 
Chiapas und Nordguatemala in der Zahl von 200 bis 300 
Beelen und sind bis zum heutigen Tago Heiden geblieben. Sie 
sprechen aber, abgesehen von geringer dialektischer Ver- 
schiedenheit, dieselbe Sprache wie die Mayas und nennen sich 
auch ebenso wie diese: Massewal. Sie sind also offenbar ein 
Zweig desselben Volkes. 

Kurz wird die Geschichte der Mayas erzählt und ihr 
Wohnort geschildert, wobei freilich kleine Verstöße vorkommen : 
Yucatan erreicht nicht bloß Höhen von 200 Fuß, sondern von 
etwa 400 m. Auch ist nicht richtig, daß die Gewässer der 
dortigen Ceuotes (Höhlen) keine Btrömung zeigten, in einzelnen 
Cenote* ist die Strömung sehr ausgesprochen. Im übrigen 
aber ist auch dieser Teil de» Buenos gut und ansprechend. 
Vortrefflich ist die Schilderung der sozialen Verhältnisse der 
Lacandonen. Jede Familie trägt den Namen eines Tieres; die 
Totemidee als solche lebt aber nicht mehr deutlich fort. Der 
Verfasser konnte 18 solcher Tiernamen sammeln; die Maas- 
Gens heißt auch Garcia (dieser spanische Familienname ist, 
wie ich zufällig weiß, deshalb auch LacAndoneuuaroe geworden, 
weil ein Mann dieser Gens sich taufen ließ und einen Garcia 
als Paten hatte). Neben dem Familientiernamen existieren 
noch persönliche Tiernamen. Im Familienregiment zeigen 
sich noch Beste des Matriarchats. Polygamie ist häufig, Poly- 
andrie wird behauptet, ist aber nicht nachgewiesen. Die 
Ueiratszeremonien sind sehr einfach; größere Pubertätszere- 
monien fehlen. Die Fruchtbarkeit ist ziemlich groß. Toten 
werdeu Speisen uud Getränke gewidmet. Jede Ansiedelung 
enthält eine Tempelhütte. Wenn zwei Familien in einem Haus« 
wohnen, so hat jode ihre eigene Feuerstelle an einem Ende 
desselben. Das Familienleben ist herzlich uud streng moralisch. 
Den I«ben*unterhalt schaffen Jagd und Fischfang (ausgeführt 
mit Bogen und Pfeilen), sowie Ackerbau. (Infolge eines Miß- 
verständnisses glaubt der Verfasser, ich hätte diu Lacandonen 
für nomadisch erklärt; tatsächlich sprach ich aber nur — 
Das nördliche Mittelamerika, Braunschweig 1897, 8. 259 — 
von einer geringen Seßhaftigkeit, wie sie durch die bedeuten- 
den Wotinungsverschiebnngen in den letzten Jahrzehnten, wie 
in der Zeit der Conquista nachgewiesen sind.) 

Besonderes Interesse erwecken die Abschnitte über die 
Religion der Idicnndonvn und Maya». Während letztere trotz 
ihre» ( hristeiitums noch zahlreiche, freilich oft stark ver- 



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274 



Kleine N»chrichtuii. 



änderte Anklinge an den alten Ulanben aufweisen, sind bei 
den heidnischen Lacandonen die Zeremonien zum Teil ziem- 
lich rein erhalten geblieben, und auch eine größer« Zahl der 
alten Gotternamen findet »ich noch wenig verändert im (Ge- 
brauch, wenngleich dl« Attribute geändert und. Im ganzen 
konnte Tozzer noch 15 verschiedene Gottheiten bei den Lacan- 
donen nachweisen. Die Zeremonien werden ausführlich be- 
ichrieben und im Anhang auch die dabei gcsprochem-u Gebete 
mitgeteilt, dio freilich an poetischem Gehalt den heiduiacben 
Gebeten der Kekchi- Indianer (Da« nördliche Mittelamerika, 
K. 28« ff.) entschieden nachstehen, aber dem Inhalt wie der 
Form nach deutliche Ähnlichkeit damit zeigen; namentlich 
beobachtet man, zuweilen wenigsten«, oinen gewinnen Parallelis- 
mui der Glieder, wie es in den Kekchigetieten häufig ist. 
29 Tafeln voll hochinteressanter, leider nicht immer scharfer 
Bilder erläutern trefflich die ausgezeichneten Darlegungen des 
Büchel. San per. 

Radolf Henning, Der Helm von Baldenheim und die 
verwandten Helme des frühen Mittelalters. Mit 
16 Tafeln und 3« Abbildungen im Text. Straßburg, Karl 
J. Trübner, 1907. « M. 
Wenn es sioh nur um die Beschreibung eines frühmitlel- 
alterlichen Helme» handelte, so wurde die Anzeige des vor- 
liegenden Werkes im Globus kaum am Platze sein. Aber 
eine kleine Anzahl Helme, darunter der behandelte Balden- 
heimer, deren Verbreitung vom Adrialiscben Meere durch 
Snddeutschland bi» Frankreich sich erstreckt, und die durch 
eigentümliche Form und Verzierung die Aufmerksamkeit in 
der allernenesteu Zeit erweckten, hat Anspruch auf ein 
größeres Interesse, da sie uns auf Beziehungen zum fernen 
Orient, bis Persicn hin, verweisen und die vermuteten röiui- 
schon Einflüsse ausschließen. Das hat in vorzüglicher Weise 
mit dem Aufwände großer Gelehrsamkeit auf verschiedenen I 
Wissensgebieten der Strafiburger Professur Rudolf Henning 
gezeigt. Ks handelt sich um konische Mctallhelmn , etwa 
aus 20 Stücken bestehend, mit einem Stirnreifen, sechs Bügeln 
und Wangenklappen. Sie sind vergoldet und versilbert. Einer 
dieser Helme betindat sich seit langer Zeit in Petersburg, 
einer in Grcnoblc. einer in Stuttgart, einer in Sigmaringen, 
zwei in Berlin, der Baldenheiuier in StraUburg und zwei in 
Wien- Alle wurden in Reihengräbern mit typischen Bei- 
gaben gefunden, so daß ihre Zeit sich als das füufte und 
die folgenden Jahrhunderte etwa feststellen Hißt, als die 
Völkorwanderungszeit. Da ihre Fundstätten wesentlich im 
germanischen Gebiete liegen, ist ihre Benutzung von Ger- 
manen sicher; keineswegs aber sind die Gerinnnen die Er- 
finder dieser Helme gewesen, höchstens Nachahmer. Wenn 
aber die von Gröbbeis vernichte HerUitung der Helme aus 
römisch-gallischer oder ravennatjscher Kunst zurückgewiesen 
wird, woher stammen sie sonst; Und da setzt der schlagend 
durchgeführte Kachweis von Henning ein, daß wir es mit 
orientalischen Gebilden zu tun haben. Dafür spricht nicht 
uur dio Form, sundern es sind vor allem die Dekorationen 
der Stirnbänder, die oft reichen Fjgurenachuiuck tragen, be- 
weiskraftig. Das wird im einzelnen durchgeführt. Die orien- 
talischen Ornamente, die Löwen, geflügelten Genien, ganze 
Gruppen, die nur orientalisch sind, freilich auch byzantini- 
sche Element«, entstunden beim Durehgnnge der Helme 
durch Griechenland und Rom — was alle* schlagend durch 
den Vergleich nachgewiesen wird. Kurz nach der Völker- 
wanderung, zur Zeit, als die llertihrungeu der Germanen mit 
dou östlichen surumtischen und asialischeu Volkern noch 



frisch waren, scheinen die Helme nach Süddeutschland usw. 
gelangt zu sein, und als Vermittler, von denen die Germanen 
sie empfingen, deutet der Verfasser auf die Alanen hin. 



K. F. Kaindl, Geschichte der Deutschen in den Kar- 
pathenländern. Erster Band. Geschichte der Deutschen 
in Gaiizien. Mit einer Karte. Gotha, F. A. Perthea, 1«07. 
8 Mark. 

Vergleicht man den Kultur/.ustand der drei Teile, in die 
das ehemalige Königreich Polen zerfallen ist, so tritt schlagend 
ein auffälliger Unterschied zutage: Rückstandigkeit und zum 
Teil halhasiatisc he Zustände in Österreichisch- und Russisch 
Polen; geistiger und wirtschaftlicher Aufschwung im preußi- 
schen Teile. Darüber, daß hier der deutsche Einfluß der 
treibende Faktor gewesen ist und noch ist, tiesteht kein Zweifel: 
in den ersten beiden Teilen ist er abgestorben und unterdrückt 
worden, im letzteren wirkt er unausgesetzt fort, so daß 
hier ein deutsch - polnisches Mischland entstanden ist. Wie 
nun einst in Gaiizien die Deutschon sich weit verbreiteten und 
zu maßgebendem Kultureinflusse gelangten, dann aber bis auf 
geringe Reste verschwanden, das setzt uns im vorliegenden 
Werke in gelehrter und glänzender Weise der verdiente Histo- 
riker an der Czernowitzer Universität auseinander, ein Mann, 
der nicht uur die einschlägige deutsche, sondern völlig auch 
die polnische Literatur beherrscht. .Durch die Mühewaltung 
und Arbeit der Deutschen begann die Zahl der Dürfer und 
Städte sich zu mehren und die Kultur sich zu heben. Sie 
sind fleißiger und sparsamer als die Polen, und ihre Wohnungen 
sind reinlicher", so schrieb im I«. Jahrhundert der polnische 
Geschichtsschreiber Krouier. Hebuug des Ganzen und Städte- 
gründung waren bei den 1 Putschen, und eine Karte, die dem 
Werke beigegeben ist, zeigt, wie durch ganz Gaiizien, bis an 
den Pruth hin, deutsches Recht und deutsche Ansiedelung bis 
gegen Ende des 18. Jahrhunderts herrschte. Aber die deutsche 
Kolonisation, die Nachschübe aus dem Weiten versiegten; 
Poleu, Ruthenen, Armenier, Juden drangen in die deutschen 
Gemeiuwesun ein und zersetzte« sie. Schon früher hatten die 
Kriege mit dem Deutschen Orden Haß der Polen gegen alles 
Deutsche erzeugt, und der polnische Feudaladel erwies sich 
bei jeder Gelegenheit als Feind des freien deutschen Bürger- 
tums, dessen Untergang in einer für un« schmerzlichen Weise 
au einer Fülle von Einzelbeispielen vorgeführt wird. Was 
al>er die Deutschen alles für das von ihnen kolonisierte Ge- 
biet geleistet, wie sie Vorbilder der Polen waren, wie trotz 
allem noch viel in kultureller Beziehung übrig gebliebon, das 
wird schlagend erläutert, von polnischer Seite aber nicht mehr 
atierkannt. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getau. Wie 
das Einanzgebaren der Städte deutsch geordnet, wie die Deut 
sehen den Handel, das Handwerk und den Bergbau pflegten, 
deutsche Künstler (besonders in Krakau), Buchdrucker, Gelehrte 
vorbildlich für die Poleu wirkten, das alles kann man hier 
finden. Und noch heute klingt in der Sprache nach, in zahl- 
reichen aus dem Deutschen stammenden polnischen technischen 
Ausdrücken, wo die J<ehrmeister zu suchen sind. 

Das Buch i.*t für uus Detitachv von zeitgemäßem Belang; 
es zeigt die Art und Weise des Ringens zwischen zwei Völkern, 
dem eingewanderten, kulturell höher stehenden, aber in der 
Minderzahl befindlichen, und dem ti. fer gearteten, aber weit 
zahlreicheren, das die breite Mass.- des Landes besitzt- Auch 
I-ehren für die Gegenwart lassen »Ich daraus schöpfen, und 
darum sei e» allen empfohlen, die sich für die Nationalitäts- 
kämpfe unserer Zeit interessieren. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur ailt Qu«ll«»ai.giib» gtiMsttrt. 



— Uber die Bildung eines neuen gewaltigen Sees 
bei Mecca in Süd kalifornien berichtet Prof. Dr. H. Erd - 
mann in Petcnnauus Mitteilungen 1907, Heft 2: In vor- 
geschichtlicher Zell erstreckte sich der Golf von Kalifornien 
etwa 'J.Ui km nördlicher als jetzt, bis der damals zeitlich an 
einer schmalen Stelle de* Golfes einmündende wasserreiche 
Rio t'olorad« durch Deltabilduug allmählich den ganzen 
nördlichen Teil des Golfes abschnürte. Der so gebildete sal- 
zige Binnensee trocknete aus Mangel »u Zuflüssen nach uud 
nach vollständig ein uud hinterließ eine Depression, die mau 
zu Ende des I». Jahrhunderts auf t»l tn unter dem Meeres- 
spiegel annehmen darf. Vor dieser Salzsteppe , also südlich 
von ihr, entstanden in dem fruchtbaren alten Schwemtulaiid- 
gebiet des <'"|orado zahlreich« Ortschaften, die durch Eisen- 
bahnen miteinander verbunden wurden, nachdem atnorikani 
sehe Ingenieure unterhalb Vuma, auf mexikanischem Boden, 



einen Kanal gegraben hatten, der die durch den Colorado 
früher selbst geschaffene Wasserscheide durchquerte, zur Be- 
wässerung diese* Gebietes dieuen uud zugleich einen gewissen 
Teil des Flußwassers wieder nach Norden ableiten sollte. 
Der Rio Colnrade bohrte sich alter allmählich immer tiefer 
iu die durchfeuchteten alten Schlammassen des neuen Kanal- 
hettes ein uud verließ sein altes Bett vollständig. Seit dem 
Frühjahr ISOii floß nicht mehr ein Tropfen in den Golf, 
und die uu jener Stelle befindliche Depression, ßaltonsot, 
wuchs mit unheimlicher Schnelligkeit. Im Januar umfaßte 
er etw;. rif.u, im Oktober 19CW dagegen schon 1-J24 ukm, die 
durcbx-htiittliche Tiefe stieg von « auf lD'/.m, das Volumen 
von auf ltföoo Millionen Kubikmeter, der tägliche Zu- 

fluß wird auf 40 bis 41 Millionen Kubikmeter berechnet. 
Der Saltonse« war also im Oktober 19öfl schon mehr als 
doppelt so groß wie der Geufersee, «ein Rauminhalt übertraf 



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Kloine Nachrichten. 



275 



den des VierwaldstätterBees beinahe um das Doppelte. Anfang 
November gelang es den Ingenieuren der sudpaziHscheu 
Eisenbahn, den Kanal zu schiieUen, durch welchen rieh der 
ColoradoSuß in die Depression ergoß, aber •«hon Mitte De- 
zember stieg der Fluß plötzlich and durchbrach den Schutz- 
damin. Die Überschwemmung ist seitdem fortwährend im 
Steigen begriffen, und sehr wahrscheinlich ist es nicht, daß 
e* möglich »ein wird, den FluB in sein früheres Bett zurück- 
zubekommen, vielmehr wird durch leichtsinnig aufgeführtes 
Menschenwerk ein blühendes Kolouisationsgebiet mit zahl- 
reichen Ortschaften, einem Netz von Kanälen, Verkehrs - 
»traßeu und Eisenbahnen vernichtet werden, und der Golf 
von Mexiko wird wieder wie früher aso km weiter nach 
Norden reichen. Es ist dies ohne Frage eine der bedeutend- 
sten und folgenreichsten Änderungen der Erdoberfläche durch 
Menschenhand, die seit Jahrhunderten beobachtet worden ist. 

11. 



— Im Jahre 1903 führten das niederländische Vermessungs- 
fahrzeug „Edi" und der deutsche Kabelleger „ Stephan* Lo- 
tungen im Stillen Ozean zwischen Schanghai— Yap, 
Vap — Quam und Yap — Menado aus, deren Resultate zu- 
erst aus geschäftlichen Gründen geheim gehalten werden 
muQten, alter jetzt in ,Aus dem Archiv der Deutsehen See- 
warte* (XXIX. Jahrg., Nr. 2) von Schott und Perlewitz aus- 
führlich veröffentlicht werden. Im ganzen wurden 075 Lo- 
tungen auf einem r.u bis luO km breiten Streifen zwischen 
den genannten Punkten ausgeführt, von denen 137 zwischon 
3000 und 4000, acht über 4000 Faden Tiefe ergaben; diese 
Lotungen stellen nach der Ansicht der Bearbeiter weitaus 
den wichtigsten Beitrag zur Morphologie des westlichen 
Stillen Ozeans dar, den wir seit Jahren zu verzeichnen haben. 
Der ausführlich«» Mitteilung der Loijnuruale »lud einige 
textliche Bemerkungen vorangestellt, aus denen folgendes 
hervorgehoben sei. Zwischen Menado und Guatn fand sich 
ein außerordentlich wechselvolles Gelände; Gräben, Horste 
und Inseln folgten stetig aufeinander, mit steilen Böschungen 
von den Inseln zu den Talern abfallend. Die Gräben, von 
denen der Talauer, die von Yap, Palau, von Guam und 
der Liu-Kiu-Graben unterschieden werden, haben seitliche 
Böschungen, deren steilster Teil im Mittel einen Winkel von 
9,i° mit der Horizontalen bildet; den größten Wert lieferte 
der Graben von Yap mit einem Abfallswinkel von In,«*. 
Zum Vergleich sei bemerkt, daß die Jungfrau 19" über Grin- 
delwald aufsteigt, aber hier beträgt der Anstieg nur 3,1 km, 
beim Graben von Yap der Oesamtabfall dagegen 7,6 km. 
Die Gräben sind wohl als Grabonversenkungen längs Ver- 
werfungen jugendlichen Alters (vielleicht tertiär*) aufzu- 
fassen und bilden lange, schmale Furchen mit einer Breit» 
von durchschnittlich 10 Seemeilen mit unsymmetrischen) Pro- 
fil. Wichtig ist die Entdeckung des Liu-Kiu-Grabens, da 
dadurch bewiesen wird, daß der Aleuten-Üraben, Japanischer 
Graben usw. bi» Philippinen -Orabeu und Talauer Graben 
alles nur Teile der große«, den nordwestlichen Stillet! Ozean 
begrenzenden Absenkungen oder Staffelbrüche sind. Der 
Yap- und Palaa-Graben sind lokale Versenkungen oder alte 
Kontinentalränder. Auf die kurzen Bemerkungen über die 
Bodenproben- und TomperAturbeobachtungen soll hier nicht 
eingegangen werden. Beigefügt sind eine große Karte mit 
dem auf die Lotungen basierten unterraeerischen Belief in 
den geloteten Streifen und Karten größeren Maßstabes, sowie 
Profile von vier der Gräben. Gr. 



— Der ProfeJtsor der Ethnographie an der Universität 
Lattich, Dr. Joseph Halkin, beginnt mit der Veröffentlichung 
einer Reihe von ethnographischen Einzelschritten, die, mit 
Abbildungen und Karten versehen, die Völker in den öst- 
lichen Teilen des Kongostaates zum Gegenstande haben. Er- 
schienen ist das erste Heft (Quelques peuplades du district 
de l'Uela. Lea Ahabua. Lüttich, t'ormaux, 1907), das sich 
mit den Ababua beschäftigt, Nachbarn der Niain-Niam an 
einem südlichen Nebenflüsse des Uello. Außer der Literatur 
benutzte Prof. Halkin zahlreiche ihm zugegangene hand- 
schriftliche Mitteilungen uud Beantwortungen von Frage- 
bogen, sowie die Schätze der Museen in Tervueren, Berlin, 
Leiden usw. 

— Zu den am wenigsten bekannten Inseln der S(ldnee ge- 
bärt sicher das südlich von der Salomoninsel Bauro (San 
C'ristobal) gelegene Renneil Islaud. Erst jetzt erfahren 
wir (Man, März 1907) einiges darüber durch den britischen 
Kcsidenten auf den Salomonen, C. M. Wu»dford. Sie ist 
45 engl. Meilen lang und über t> engl. Meilen breit, dabei 
Uberall 400 Fuß hoch und besteht ganz aus gehobenem, dicht 
bewaldetem Korallenfels. Während die Nordküste ganz ge- 
rade verläuft, zeigt die Südküste eine Folge von Buchten, 



deren grüßte in der Mitte liegt uud in 15 Faden sandigen 
Ankergrund darbietet. Da die Intel keinerlei Erzeugnisse 
besitzt, wird sie sehr selten besucht, und daher mußte der 
Verkehr mit unberührten Einwohnern den Residenten auch 
reizen. Im Gegensätze zu den melanesischen Salonion iern 
fand er rein» Polyneaier, die wohl von einer fernen Insel 
hierher verschlagen wurden. Nicht, einmal der einheimische 
Name der Insel konnte festgestellt werden. Auf San Cristo- 
bal nannte man sie Totohuke, und auf Sikaiana lautet die 
Bezeichnung Penuanala. Eisen in Gestalt von Haken usw. 
war schon bekannt, doch wurde es noch von den englischen 
Booten gestohlen. Kine Ansiedelung zu erreichen gelang 
Woodford nicht, doch verkehrte er mit den Fischern am 
Strande. Er fand kleine Gärten mit Kokos, Yams, Tarn und 
Arokapalmen, deren Nüsse (ohne Betel) gekaut werden. Ta- 
bak ist noch unbekannt- Die wenigen erlangten Geräte 
wiesen nichts Besonderem auf. Tätowierung fand sich bei 
beiden Geschlechtern. 

— Seligo vervollständigt in den Schriften der Natur- 
forschenden Gesellschaft zu Danzig, 190B seine in den Bei- 
trägen zur Landeskunde Westpreußens, Festschrift zum 
IS, Deutschen Geographentage, Danzig 1905, veröffentlichten 
Untersuchungen über die inorphometrische n Ver- 
hältnisse der westpreußischen Seen. Während diese 
nur 42 Seen umfaßte, darunter allerdings die fünf grüßten, 
den Oeserichsee, Drausensee, Müskendorf ersee , Weitsee und 
Zaruowitzcr See, sind in der oben erwähnten Abhandlung 
etwa 400 Seen aufgeführt, davon etwa drei Viortol auch 
ihrem Volumen nach. Die Provinz Weatpreußen steht in 
dieser Beziehung der Nachbarprovinz Pommern ebenbürtig 
da und übertrifft Ostpreußen erheblich. Leider hat der Ver- 
fasser bei seinen I<otungen hartnäckig die Anwendung einer 
Lotmasebine verschmäht und sich auf Benutzung einer Hanf - 
leine beschränkt, gewiß nicht znm Vorteil der Genauigkeit 
seiner mühsamen und sehr dankenswerten Messungen. Im 
zweiten Teil seiner Abhandlung beschäftigt sich Seligo mit 
den häufigeren Planktonwesen der nordostdoutschen Seen 
uud gibt von den Hauptvertreteru einfach gehaltene, aber 
sehr instruktive Abbildungen. Halbfaß. 

— F. Ramsauer handelt im Progr. d. Gymnas. Burg- 
hausen, 190«, über die antike Vulkankunde. Der Ver- 
fasser beschäftigt sich zunächst mit dem Xtna in der Mytho- 
logie, den antiken Nachrichten über die Gestalt und die 
Ausbruchserscheinungen dieses feuerspeienden Berges und 
registriert dessen Ausbrüche im Altertum. Weiterhin beschäf- 
tigt sich Rnmsauer mit den Ljpariscben Inseln. Eine umfang- 
reiche Darstellung erfordern der Vesuv und die seit vielen 
Jahrhunderten nicht zur Hube gekommenen Landstriebe am 
Nordende des Golfes von Neapel, einschließlich einiger Inseln 
dieses Wasserbeckens. Die sonstigen ehemaligen vulkanischen 
Herde in Italien haben dagegen uicht viel zu bedeuten. 
Die seismischen Theorien der Alten beschränkten sich auf 
zwei Hauptansicbteu; die eine, die dem Anaximenea zuge- 
schrieben wird, ist die EinsUirztheorie. Infolge von Spal- 
tungen der Erdrinde, wie sie der Kinlluß grußer Hitze oder 
auch großer Regeng Iis»» hervorrufe, losten «ich gewaltige 
Erdmassen ab und brächten durch ihren Fall die lokalen 
Erschütterungen zustande. Die zweite Theorie geht auf 
Anaxaguras zurück; er erklärt die Erdstöße durch die Wir- 
kung, die Wasser, Luft und Feuer auf die Erdrinde ausüben, 
weun diese Elemente, in den Hohlräumen der Erde ein- 
geschlossen, daran gehindert seien, sich nach der Oberfläche dea 
Erdkörpers eine Bahn zu brechen. Diese Theorie schied sich 
in mehrere Bichtungen, je nachdem das Waaser, die Luft 
oder da* Feuer als Haupttriebkraft angesehen wurde. So 
leitete Demokrit die Erdbeben von dem Anprnll unterirdi- 
scher Fluten ab, die von den in die Erde eingedrungenen 
Winden in wallende Bewegung gesetzt würden, l'lato er- 
kannte zuerst richtig, dnll man die Fragen nach den Ur- 
sachen der Erdbeben erst dann werde beantworten können, 
wenn mau eine richtige Vorstellung von dem Urzustände, 
sowie der inneren Beschaffenheit der Erde werde erlangt 
haben. Nach ihm ist die Luft dor bewegende Faktor, den 
auch Aristoteles den mächtlgeu Naturvorgängen im Erdinneru 
gegenüber als treibende Kraft annimmt. Allmählich nimmt 
dann der Vulkanismus eine selbständigere Stellung ein; so 
dehnt Posidonius seine Beobachtungen auch auf die Boden- 
beschaffenheit der vulkanischen Gebiete, die Begleiterschei- 
nungen, den Wechsel und die Wirkung der vulkanischen 
Tätigkeit au*. Bei Slrabo tritt uns dann die Vorstellung von 
einem inneren Zusammenhange zwischen Vulkanismus und 
Erdbeben deutlich entgegen. Plinius teilt die Ansicht, daß 
die in den subterranen Höhlungen eingezwängten Wind.- da» 
Zittern der Erde verursachten; nach Seneca kaun nur ge- 



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276 



Kleine Naohrichten. 



spannte Luft ein Eni beben oder eine vulkanische Erscheinung 
veranlassen. Justin l*gründet die Feuerauebrilehe de« Ätna 
mit der Annahme, daß die Meereswogen, wenn sie in der Straße 
von Meaeina heftig aufeinanderprallen, den Wind mit eich 
auf den Boden der See binabxögen; dort entflamme er tiofe 
Schwefel- wie Hanlager. Die gleiche Kruptiunsursache denkt 
sieh der Dichter Lukrex, und derselben Anschauung geben 
auch Ovid, Silius Italien* und Claudian Aasdruck. Wenn 
also auch von den Alten keine befriedigende Erklärung der 
vulkanischen Kraft gegeben ist, so hatten sie immerhiu doch 
recht gute Kenntnisse von den vulkanischen Erscheinungen 
und ihrer Bedeutung für die Gestaltung der Erdoberfl liehe. 

— Die Mik kelsenscbe Polarexpedition bringt den 
Winter 1 »06/07 an Bord der .Duchass <>f Bedford" bei der 
Elaxmaninsel an der Nordküste von Alaska, unter 145" westl. L., 
halbwegs zwischen der Mackenziemüuduug und Point Barrow 
zu; sie hat also im vergangenen Herbst in der Tat nicht 
mehr Bankiland erreichen können. Aus einer in englischen 
Blattern veröffentlichten kurzen Mitu-iluug gehl hervor, daß 
Mikkelsen sowohl aus Strömung»- und Eisbeohachtungen wie 
aus den Aussagen der Eskimo den Schluß zieht, daO westlich 
von Banksland eine unbekannte Landmasse liegt. Erforschen 
will er sie seinem Plane gemäß erst von Banksland aus, an 
dessen Westküste er auf 1908 zu überwintern hofft. Er scheint 
infolge der Verzögerung in der Ausführung seiner Expedition 
zu einer Ergänzung seiner Vorrate im kommenden Sommer 
genötigt zu werden. 

— Neue chinesische Eisenbahnen. Vor einigen 
Wochen ist eine 50 km lange eingleisige Eieenbahu eröffnet 
worden, die den Vertragshafen Swatau mit der benachbarten 
Prafekturstadt Tschauucbou in Kwangtung verbindet Bie 
ist ausschließlich von Chinesen erbaut worden , doch sind 
daran auch Japaner als Techniker und Ingenieure beteiligt 
gewesen. Das Gelände ist eben, und nur wenige Kunstbauten 
waren nötig. Das von der Bahn durchschnittene Land ist 
stark bevölkert und ziemlich reich; die Einnahmen der Bahn 
waren gleich in den ersten Tagen recht ansehnlich. — Auch 
die schon 189H von China der British and Chinese Corporation 
konzessionierte Bahn von Kaulun im englischen Gebiet« von 
Hongkong nach Kanton wird nun endlich gebaut werden, 
nachdem ein Kaiserlich chinesisches Edikt den Bauvertrag 
genehmigt hat. Das Kapital and die Ingenieure sind eng- 
lisch; im chinesischen Gebiete aber will China den Engländern 

BetrieUkontrolle 



— Das älteste Denkmal der rätoromanischen 
Sprache hat Prof. Traube in einer Einsiedler Handschrift 
entdeckt uud darüber der MUncheocr Akademie der Wissen- 
schaften am 3. Marz Mitteilung gemacht. Die sonst bekannten 
Aufzeichnungen dieser Sprache entstammen alle erst dem 
10. Jahrhundert; der neue Fund aber ist iu der Handschrift 
des 12. Jahrhunderts geschrieben. Es ist eine Interlinealversion 
des Anfanges einer Peeudo- Augustinischen Predigt, die im 
8. oder 9. Jahrhundert niedergeschrieben war. Der Dialekt 
ist jener des VorderrheinUls. 



— An der niederländischen Expedition zur Erforschung 
des Innern von Surinam nahm auch der Marineleutnant 
De Goeje teil, der jetzt, als Ergänz ungsheft zu Band 17 des 
Internationalen Archivs für Ethnographie Beiträge zur Kennt- 
nis der Indianer Surinams uud ihrer Sprachen veröffent- 
licht, die, mit 15 vortrefflichen Tafeln versehen, unsere Kennt- 
nisse wesentlich erweitern. Trotzdem ist in ethnographischer 
Beziehung iu Guiaua noch viel zu leisten, da durch die An- 
siedelung der Europäer und die an den Mittelläufen der Flusse 
herrschenden Buschneger das ursprungliche Indianertum all- 
mählich verfälscht wird. Es handelt sich in Surinam um 
zwei Gruppen von Indianern. Im Niederlande »Itzon Karaiben, 
Arrowaken und Warau«, tief im Binnenlande die Rukujanas, 
Trios und einige audere Stämme. Indessen dieses ist nur eine 
geographische Einteilung; sprachlich geschieden zeigt sich, 
daß die Karaiben , ltukujanas und Trios zusammengehören, 
während die Arrowaken und Waraus eine zweite Gruppe 
bilden. Der wertvollste und umfnngreichsUi Teil der Arbeit 
De Goejes ist der sprachliche, in dem der Verfasser ein großes 
Vokabular (holländisch und deutsch) mitteilt. 

— Die Binnenwanderungen im preußischen Staate 
von lüOO bis 1905 geben Max Ilroesike Veranlassung zu 
interessanten Folgerungen (Zeitscbr. d. königl. preuß. Statist. 
Lnudemtuu 1907). In diesent Jahrfünft ist Preußen haupt- 
sachlich durch die starke Zunahme der Keichsauslftuder ein 



Zuwauderungsland geworden, während namentlich bis 188$ 
große Volksmengen in das Ausland gingen. Das östliche Ge- 
biet zeigt ziemlich gleichmäßig überwiegend eine starke und 
teilweise auch mäßige Abwanderung , das mittlere durch- 
schnittlich eine mäßige, mehrfach auch nur eine geringe Ab- 
wanderung, während auf dem westlichen Gebiete dicht neben- 
einander nicht nur alle Grade der Abwanderung, sundern 
auch der Zuwanderung vertreten sind. Die beiden großen 
Zuwanderuugsgebiete Preußens sind die Landeshauptstadt mit 
Umgebung und der industrielle Westen, im besonderen das 
Rheinland und Westfalen. Neuerdings kann man auch das 
ohersoh lesische Industriegebiet hierher rechnen. Neben dem 
Zuge nach den Groß- und Mittelstädten findet andererseits 
ein nicht unbedeutendes Abströmen aus diesen statt, gleich- 
wie die allgemeine Landflucht teilweise durch eine nach- 
haltige Besiedelung des platten Landes, allerdings meist im 
Interesse der Industrie, ein Gegengewicht findet. Bio eigent- 
lichen Abwanderungsherde sind nicht die ländlichen Teile 
Preußens schlechtbin, sondern diejenigen, in denen I^andwin- 
schaft treibende Bevölkerung überwiegt. Die Seßhaftigkeit 
der Bevölkerung hat gegen früher abermals abgenommen. 
Auffallend ist, daß sich die Wanderbewegung innerhalb der 
einzeluen Provinzen mit großer Gleichmäßigkeit vollzogen 
hat. Die Entfernung der zurückgelegten Wanderstreckeu 
betrug bis zu 1075 km, in der Hauptsache jedoch 300 km oder 
weniger. Am höchsten sind die Abwauderungsziffern in den 
polnisch-masurisohen Gegenden. 



— In einer kurzen vulkanologischon Studie aus Is- 
land, Böhmen, Italien (Sitzungsber. d. deutsch, naturw.- 
mediz. Ver. f. Böhmen .I/Otoe", 1906, Nr. 7 bis 8) vertritt 
Karl Schneider (Prag) die Ansicht, daß man bei den von 
ihm geschilderten vulkanischen Gebieten drei verschiedene 
Phasen des Vulkanismus deutlich voneinander scheiden Whdd, 
von denen die erste durch Lavaförderung, die zweite durch 
Tufförderung, die dritte durch reine Gasausscheidung charakte- 
risiert ist. Nur hat sich iu Island dieser Prozeß zweimal ab- 
gespielt, da* erstemal im Tertiär und älteren Pleistocän, das 
zweitemal seitdem bis zur Gegenwart. Die geographische 
Verbreitung der Ausbruchspunkte in den einzelnen aufeinander- 
folgenden Phasen zeigt dabei, daß sie voneinander nicht ab- 
hängig sind, sondern in der Natur des Vulkanismus ihre Ur- 
sache haben mii*s*n. Der einzige tätige Vulkan des europäischen 
Festlandes, der Vesuv, befindet sich nach Schneider in der 
zweiten PhaBe, der reinen Tufförderung. Gr. 

— Als charakteristische Merkmale der mährischen 
Karsttäler hebt R. Tramp ler in seiner Arbeit in deu 
.Mitt. d. k. k. geogr. Ges. in Wien", 50. Bd., 1907, hervor, 
daß sie im Gegensatz zn den südeuropäisebeo Karsttälern 
sehr klein sind. Eigentümlich ist ihnen ferner, daß sich 
dort, wo sie aus der Kulmformation iu das Devongebiet 
übertreten, größere Becken vorfinden, dann der Mangel an 
Quertälern. Die Hochebenen, welche die einzelnen Täler 
trennen, sind sehr reich an Dolinen, die die oberflächlichen, 
trichterförmigen Öffnungen von Schloten darstellen, die im 
ganzen Karstgebiete zu den unterirdischen Waaserläufen hin- 
abführen. Die nicht unbeträchtlichen Niederschläge finden 
daher durch die Dohnen und nicht oberflächlich ihren Ab- 
fluß; eine Erosion, d. h. eine Talbildung, ist infolgedessen 
unmöglich. Alle mährischen Karsttäler sind entweder per- 
manent oder periodisch trockenu Täler. Die meisten halian 
keinen schlachtartigen Charakter, sondern sind sehr breit 
ausgewaschen, alle habeu ein gleichsinniges Gefälle. Dagegen 
sind die sogenannten Sacktäler dem mährischen Karst voll- 
ständig fremd. Wohl treten die unterirdischen Gewässer 
auch hier am Fuße meist steiler Felswände mitten im Karst- 
gebiete ans Tageslicht, aber dies« gehören nicht eluem oberen 
Talschlnsse, sondern entweder der linken oder rechten Bö- 
schung des Tales an. das sich im übrigen an der Stelle, wo 
das unterirdische Gewässer heraustritt, nicht im geringsten 
von dem allgemeinen Charakter des betreffenden Tales unter- 
scheidet; untere Karsttäler gibt es somit im mährischen 
Harste nicht. Nicht weit von der Stelle, wo die unterirdi- 
schen Gewässer wieder das Tageslicht erblicken, endigt der 
Dcvonkalk und das Syenitgebiet beginnt. 

— Über die blaue Grotte auf Caprl hat F. Furch- 
heim (Wien 1907, Selbstverlag) einen mit zwei Abbildungen 
ausgestatteten kleinen Aufsatz erscheinen lassen, der zuerst 
eine kurze Beschreibung der Grotte gibt, dann nach M. Wil- 
helm Meyer die eigentümliche Lichtwirkuug erklärt und mit 
einer Skizze, der (i»*chichu der Grotte vou der Römerzeit an 
bis auf Kopiseh schließt. Gr. 



■ Jfcrdaklour H. siogsr, 



T!»»|.t»lra0(! :,R »ruck- Vri-,1 r. V i » w*u u. Holia , I 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEM ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. D*. RICHARD ANDREE. 

VERLAG vom FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 

~ t_l^-_-. — " - — — ■-— - .-=.-=-• /_ — — _ . — _ j_ . _ — : r^r; — = r^^= — — . . . — — 

Bd. XCI. Nr. 18. BRAUNSCHWEIG. 9- Mai 1907. 

NK-Mraok nur uch CUrainknnft mit *u V«rl»«il>»dluag «tatatt*«. 

Theorien des Vulkanismus. 

Ein Kundblick auf ältere und neuere Lehren. 

Von Walther von Knebel. 



Das Thema „Theorien des Vulkanismus" bietet in 
mehrfacher Weise besondere Anziehungspunkte, r'.in- 
mal berührt es eine der fesselndsten Naturerscheinungen, 
zum aweiten gibt os kaum einen Abschnitt im Gebiete 
der geologischen Wissenschaft, der einerseits mehr die 
Lücken unseres Wissens anzeigt, andererseits klarer auf 
die im Verlaufe der Zukunft zu lösenden Rätsel hin- 
weist. 

Seit dem grauen Altertum sind die Schrecknisse 
vulkanischer Kräfte bekannt. Man kannte gerüchtweise 
die Feuer des Kaukasus ■), man kannte die Feuergarben, 
die seit der Wiegenzeit unserer Geschichte dem Insel- 
vulkan Stromboli, dem Strongyle der Alten, entstiegen. 

Das Jahr 79 nach Christus ist in der Kenntnis vom 
Wirken der Vulkane ein hervorragender Markstein. Die 
furchtbare Katastrophe des Vesuv ist uns in der klassi- 
schen Darlegung des jüngeren I'linius so naturwahr er- 
zählt worden, daß sie Jahrhunderte hindurch Ausgangs- 
punkt der Beschreibungen des Vulkanismus gewesen ist. 

Man hat oft gesagt, daß die Alten schlechte Beob- 
achter gewesen seien. Zum Teil mag die« zutreffen; zum 
anderen Teil liegt es aber auch daran, daß unsere Kenntnis 
von der antiken Wissenschaft nur gering ist im Vergleich 
zu der von den politischen, den kriogh-gc^L-htchtlichen und 
namentlich den poetischen Erzeugnissen der Alten. 

Aber ebenso wie beispielsweise der große Gedanke, 
in westlicher Fahrt, jenseits der Säulen des Herkules, die 
Kütten Indiens zu erreichen, dem klassischen Altertum 
entsprossen ist, so sind auch die Gedanken, die sich die 
Alten von dem Wesen der Feuerberge machten, teilweise 
durchaus nicht so ungeheuerlich. 

Pom poj us Trogus, ein Schriftsteller aus der Zeit des 
Augustus, vermutet, daß unterhalb des ewig rauchenden 
Ätna große Lager von glimmendem Harz und Schwefel 
sich befanden. Die Glut werde dann durch die Wogen 
des Meeres und den von der Gischt in die Tiefe gerissenen 
I.uftmassen angefacht — eine etwas naive Vorstellung, 
die gleichwohl zwei Theorien miteinander verquickt, die 
bis in unser Jahrhundert hinein vertreten wurden: näm- 
lich die, daß unterirdische Brände entzündlicher Gestaius- 
arten stattfänden, und die, wonach der Einfluß des Meeres 
die vulkanischon Paroxysmen hervorbrächte. 

Diese zuletzt erwähnte Lehre bat sogar heute noch 

') Die .Feuer des Kaukasus" sind keine Vulkane, sondern 
brennende Krdöli|»elleu; sie wurden aber von den Alten mit 
den Vulkanen identifiziert. 

Otobu. XCI. Nr. 18. 



viele Anhänger, wenngleich sie auch in ihrer Allgemein- 
heit als falsch gelten muß. 

Die Auffassung des Trogus aber, daß brennende Ge- 
steine unter den Vulkanen lägen, ist noch vor kaum 
einum Jahrhundert vortreten worden. Wenn sie auch 
unrichtig ist, so zeigt sie doch von keiner allzu geringen 
Spck ulationsgabe. 

Auch die Lehre, daß die Vulkane tieferen Herden ent- 
stammen, war im Altertum bereit« ausgesprochen. „Iguis 
in ipso monte non alimentnm habet, sed viam" schreibt 
bereits Seneca Uber die Vulkane an Lucilius. Man kann 
fürwahr klarer kaum den Gedanken aussprechen, daß die 
Vulkankrlfte iu den Tiefen der Erde wurzeln, daß sie 
— mit den Worten Alexander von Humboldts — 
die Reaktionen des glutf lössigen Erdinnern 
gegen die Oberfläche darstellen. 

Wir übergehen 1 ' ' 3 Jahrtausende. Der Geist des Alter- 
tums war unter den Wirren der Politik und dor Religion 
untergegangen. Erst ganz allmählich baute sich eine 
neue Naturwissenschaft auf Grand der Naturstudion auf, 
die namentlich weitgereiste I^ute auf ihren Wanderungen 
angestellt hatten. Die Wissenschaft der Geologie ist in- 
dessen größtenteils auf deutschem Hoden erstanden, nur 
die genauere Kenutnis der vulkanischon Phänomene selbst 
ging, wie leicht zu verstehen, von Italien aus. 

Lazaro Spallanzani (1729 bis 1799), ein bedeuten- 
der Naturforscher, insonderheit Zoologe, hatte Studien 
auf dem Stromboli, jenem seit Menschengedenken tätigen 
Vulkan, gemacht; ebenso hatte er auch don Vesuv be- 
stiegen. Spallauzani nahm als Ursache der Erup- 
tionen das Meer an, das auf Kluften in die Tiefe 
sinke und dann die explosionsartigen Erschei- 
nungen hervorbringe. Die Tatsache, daß die Vulkane 
Wasser aushauchen und daß Salz auf der Oberfläche der 
Lavamassen gelegentlich ausblüht, war Spallauzani sehr 
wohl bekannt und ist von ihm durch eben diese Theorie 
erklärt worden. Spallanzanis Lehre war also keine 
einfache Hypothese, sie war eine durch Beobachtungen 
und Kombinationen wohl gestützte Thoorie. 

In Deutschland war durch Abraham Gottfried 
Werner (1750 bis 1815) die geologische Wissenschaft 
als solche eigentlich erst geschaffen worden. Werner 
kannte jedoch die Vulkane selbst nicht. Er war Berg- 
mann und er hatte wohl oft Gelegenheit gehabt, glimmende 
Kohlenlager zu beobachten. Kein Wunder also, daß er, 
was beiuaho 2000Jahre vor ihm auch Pompejus Trogus 

3C 



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278 



Walthcr von Kuebel: Theorien de» Vulkanismus. 



getan hatte, die vulkanischen Kräfte auf glimmende Ge- 
ateinsmassen zurückführte. Diese Auffassung entsprach 
zudem seiner bibliseb-neptunistischen Vorstellung von der 
Kosmogenie. 

Tn Frankreich sprach sich der bekannte de la Methrie, 
ein nur wenige Jahre älterer Zeitgenosse Werners, in 
gleicher Weise aas. 

Die Wernersche Lehre vom Vulkanismus wurde von 
den anderen Keptunisten, Bergmann und Breislack, 
insofern verändert, als sie brennendes Krdöl für die Ur- 
sache des Vulkanismus hielten, aber die seit undenklichen 
Zeiten brennenden Erdölnuellen von Haku, die heiligen 
Feuer der Parsen — sie könnten durch ihro Vulkanferne 
und die Abwesenheit der durch die Warme etwa erzeugten 
pseudovulkanischen Gebilde wobl am besten beweisen, 
wie wenig solche mit den Vulkanen gemein haben. Man 
kftDn diesen Erklärungsversuch ebenso wie auch jenen 
Werners als endgültig überwunden ansehen. 

Eine gänzlich von diesen verschiedene Erkläruug wurde 
von deiu l>edcutendeu englischen Chemiker Sir Humphrey 
Davy versucht Davy hatte die Alkalien Natrium und 
Kalium cutdeckt und hatte ihre Wirkung auf das Wasser 
beobachtet, das, wie bekannt, unter bedeutender Wfirnie- 
eutwickelung in Hydroxyde und Wasserstoff nach der 
Formel 11,0 4 K = KOH H oder besser, molekular 
ausgedrückt, 211,0 + K, = 2 KOH j- H a /.ersetzt 



Davy glaubte nun, daß sich im Krdinnern große 
unoxydierter Alkalien befänden, die das in die 
Tiefe dringende Wasser — wohl das des Meeres — zer- 
setzen würden. Die so gebildete Wärme schmelze dann 
die Gesteine der festen Erdrinde ein, und diese Massen 
brächen dann als Lava hervor. Fouqne hat die Be- 
rechnung angestellt, daß — vorausgesetzt die Richtigkeit 
dieser Hypothese Davys — zu eiuem Ausbruch des 
Ätna von mittlerer Grölte allein etwa 7 000 000cbm 
Natrium erforderlich seien. Wie gewaltig hätte also die 
ursprüngliche Natriumniusse sein müssen, ehe Berge von 
den Dimensionen eines Ätna, eines Chiniborazo, eines 
Pik von Teneriffa entstanden! 

Davy selbst hat seine Hypothese wieder aufgegeben, 
weil er den von seiuor Theorie vorlangten freiwerdon- 
den Wasserstoff nicht nachweisen konnte. Wenn man 
allerdings jetzt auch weiß, daß eine jede Eruption tat- 
sächlich Wasserstoff zutage fördert, so ist diese Menge 
doch viel su wenig, als daß die Davy sehe Lohre an- 
genommen werden könnte. 

Neben diesen verschiedenen Erklärungsversuchen des 
Vulkanismus hatte sich immer mehr die andere Meinung 
herausgebildet, daß im Innern der Erde entweder eine 
große zentrale Wärmequelle sei oder zum mindesten eine 
Reihe von Feuerherden sich befände, von denen au» der 
Vulkanismus gespeist werde. 

Durch den Bergbau wußte man bereits lauge, dnC die 
Erde nach der Tiefe zu steigende Temperaturen aufweist 
Auf Grund der schon frühzeitig festgestellten geothemi- 
schen Tiefenstufe gelangte man zu der Überzeugung, daß 
der Erdkern aus geschmolzenen bzw. sogar aus gas- 
förmigen, übur die kritische Tewjwratur erhitzten Schmelz- 
massen bestände. 

Die allgemeine Annahme dor bekannten Laplace- 
schen Kosmogenie brachte auch die Erklärung des 
Vorhandenseins eines glutllüssigen Krdinnern. So ge- 
langte man allgemein zu jener Auffassung, die von den 
großen (iclehrten, den größten Naturforschern Deutach- 
lands, nämlich von Alexander von Ilumltoldt und Leopold 
von Buch, vortreten wurde, daß der Vulkanismus 
eine Reaktion des glutflüssigen Krdinnern gegen 
die Oberflache darstelle. 



Mit dieser Erkenntnis war die Grundlage zum 
Verständnis der vulkanischen Kräfte gegeben. Im 
einzelneu aber brachte dann das nähere Studium der 
vulkanischen Gebirge und der vulkanischen Prozesse selbst 
eine Fülle von Rätseln, die zu den verschiedensten Er- 
klärungsversuchen Veranlassung gaben. 

Aus der Art und Weise eines Vulkanausbrucbes wußte 
man zuerst die Entstehung dor Eruptionskegel zu 
deuten: man erkannte, daß diene Kegel durch allmähliche 
Aufschüttung von vulkauischeu Aschen und Lava- 
strömen entstanden sind. 

Die Studien in den vulkanischen Gebieten erstreckten 
siob indessen keineswegs etwa auf die Vulkankegel allein, 
sondern schon frühzeitig auch auf deren Untergrund und 
Umgebung. Man fand, daß die Eruptionskegel der tätigen 
Vulkane gewöhnlich auf einem älteren, an vulkanischer 
Masse sehr viel größeren vulkanischen Sockel aufsitzen, 
ja bei zahlreichen der größeren Vulkane erkannte man 
sogar, daß sie innerhalb eines größeren vulkanischen 
Ringgebirges sich befanden. Nichts wäre also einfacher 
gewesen, als den Schluß zu ziehen, daß die jüngeren 
Vulkankegel sich innerhalb des Kraters eines älteren, un- 
endlich viel größeren Vulkans aufgebaut hätten. Dann 
würden die Ringgebirge nichts anderes als aufgeschüttete 
Vulkankegel, wenngleich mit beträchtlich größerem Krater, 
darstellen. 

Diese Schlußfolgerung ist tatsachlich schon sehr früh 
gezogen worden. Aber jene Kenner vulkanischer Ge- 
biete selbst, sie konnten die Beobachtungen mit dieser 
naheliegenden Erklärung nicht vereinbaren. Sie hatten 
uäinlich in allen jenen Fällen feststellen können, daß die 
Gesteinsbeschaffenheit der Ringgebirge eine wesentlich 
andere war als jene, die man an den Kratern der gegen- 
wärtigen Eruptionskegel feststellen kann. Zum Unter- 
schiede von den echten Kratern wurden die Becken der 
Ringgebirge von Leopold von Buch als Calderen 
(Caldera span. = Kessel) bezeichnet; und die große Caldera 
der Insel Palma, la Caldera de Taburiente, bildete seiner 
Ansiebt nach ein klassisches Beispiel für diese rätsol- 
haften Gebilde. 

Leopold von Buch, zu seiner Zeit wohl der beste 
Kenner vulkanischer Gebilde, hatte namentlich auf die 
große Verschiedenheit zwischen jenen Ringgebirgen und 
den Ausbruchükratern der jüngeren Eruptionskegel hin- 
gewiesen. Während an letzteren vulkanische Schlacken 
und strichfönnig zum Fuße des Berges verlaufende Lava- 
ströme zu beobachten sind, sieht man an ersteren, den 
Culderaringgebirgen, daß sie aus Decken vulkanischen 
Schmelzflusses und — gewöhnlich untergeordnet — solchen 
vulkanischer Aschenlagen bestehen. Fast nie kann man 
wirkliche Lavaströrae nach Art jener in den Eruptions- 
kogeln beobachten, denn die Ringgebirge bestehen aus 
ruhig geflossenen, langsam erstarrten (im Gegensatz zur 
Lava"), ursprünglich wobl sehr dünnflüssigen Maason, die 
sich über weite Flächen deckenförmig ausgebreitet haben. 

Diese Tatsachen bewiesen zur Genüge, daß die 
Calderen nicht Krater nach Art jeuer der Erup- 
tionskegel darstellen. 

I»eopold von Buch hatte aber seine Studien weiter 
aiiagfdehut auf die Lagerung» Verhältnisse der 
Schichten dieser Ringgebirge; er konnte zuerst fest- 
stellen, daß diese am Rande aus nahezu horizontal ge- 
lagerten Massen bestehen, die sich nach innen zu, in- 
sonderheit am Iunen runde der Caldera, achwach aufbäumen. 
Auf Grund dieser Studien gelangte Leopold von Buch zu 
seiuer bekannten Theorie von den Erhebuugskratern 
— einer Theorie, welche die ganze erste Hälfte des vorigen 
Jahrhunderts beherrschte und zu ihren Vertretern auch 
einen anderen der besten Kenner vulkanischer Gebilde 



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279 



zahlte, einen der ersten Gelehrten jener Zeit: Alexander 
tob Humboldt. 

Wir wollen diese Theorie der Erhebungskrater hier 
in kurzen Zügen darlegen; ibr kommt nicht nur eine hohe 
Bedeutung in der Geschichte der Kenntnis vom Vulka- 
nismus zu, sondern sie kann auch heute noch keineswegs 
etwa in ihrer Gesamtheit als überwunden gelten. Wir 
werden diese viel angefeindete Theorie in ihren wesent- 
lichen Punkten hier naturgemäß so darzustellen haben, 
wie sie tob ihren Begründern nnd nicht deren Gegnern 
beschrieben wurde. 

Leopold von Buch und mit ihm Alexander von 
Humboldt nabmeu an, daß die vulkanischen Kräfte 
im allgemeinen damit eingesetzt hatten, daß große Massen 
vulkanischen Materials hervorbrachen und sich in Gestalt 
zahlreicher vulkanischer Decken übereinander auebreiteten. 

Als Zweites traten dann in der Reihenfolge vulkani- 
scher Ereignisse gewaltige Gasmassen aus dem Erd- 
innern hervor, welche die zuerst gebildeten vulkanischen 
Denken erhoben: es entstanden glocken- oder domförniige 
Aulwölbungen, und wenn die Gase sich schließlich einen 
Ausweg verschafften, dann fand eine gewaltige Explosion 
statt, als deren Produkt die Senke dor Caldera angesehen 
wurde. Den Vorgang der Calderabildung selbst hatte so- 
wohl Leopold von Buch wie Alexander von Humboldt 
ziemlich unklar gelassen. Sie mochten Verschiedenerlei 
annehmen, entweder, daß die Caldera nach Entweichen 
der Gase einstürze — also einen Einsturzkrater bilde 
— oder daß dio Caldera durch Ausschleudern dor ge- 
saroten, die ehemals gedachte Gasblase bedeckenden 
Schichten entstehe. Es findet sich gerade un diesen Punkt 
der Lehre viel phantastisches Beiwerk geheftet; dies ist 
auch wohl die Veranlassung gewesen, daß sio von den 
spateren Forschern ho bald verlassen wurde. 

Mit der Calderabildung — nachdem also das Ring- 
gebirge oder, wie Alexander von Humboldt es nannte, 
das vulkanische Gerüst geschaffen war — brach sich 
der Vulkanismus in einer neueren Eruptionsperiode Bahn, 
und es wurde der Eruptiouskegel der tätigen Vulkane 
nicht durch Erhebung — wie das Hinggebirge — , sondern 
durch Aufschüttung gebildet. 

Fälschlicherweise wurde Leopold von Buch in spaterer 
Zeit vielfach der Vorwurf gemacht, daß er alle Vulkau- 
berge aU Krhebungskrater gedeutet hätte , während in 
ihnen doch nur Aufscbüttungskegel vorlägen. Dies ent- 
spricht aber keineswegs den Tatsachen. Leopold von 
Buch hat selbst sehr treffend den Unterschied zwischen 
den vulkanischen Gerüsten und den Eruptionskegeln ge- 
kennzeichnet: „Denkt man sieb (einen Erhebungskrater) 
wieder nach unten zugedrückt, so würde man das Zentrum 
nur an der Aushöhlung erkennen und an den von dieser 
ausgehenden Zerreißungsspalten (die Leopold von Huch 
meist wohl irrigerweise in deu Schluchten der Gerüste 
zu erkennen glaubte). IHe Decke aber wäre wioder in 
ihrer Ganzheit geschlossen. Denkt man sich für den 
Ätna (einen Eruptionskegel) denselben Vorgang, ho 
würde nicht ein überall gleichförmiges Plateau hervor- 
gehen. .., man würde noch immer sofort das obere Ende der 
Ströme erkennen können, und diese Ströme würden deut- 
lich den Ausgangspunkt verraten, walchen sie gehabt 
haben . . . Somit unterscheiden wir zwei Arten von vul- 
kanischen Bergen" — nämlich die Cnlderaberge und die 
Eruption skegel. 

Eine andere Tatsache spricht für die Theorie von den 
Erhebungskratern: Es ist der Umstand, auf den schon 
der geniale Erfinder dieser Lehre, Leopold von Buch, 
hinwies, nämlich, daß an so vielen der vulkanischen Inseln, 
ja wohl sogar an den meisten, Spuren jüngerer Hebungen 
nachzuweisen sind. Auf Gran Canaria,' Neu-Amsterdam, 



auf Java, auf vielen anderen Inseln wurde zum Teil so- 
gar von Gegnern der Buch-Humbo)dtschen Theorie der 
Nachweis von liebungen erbracht. 

Unmittelbar der Beobachtung war diese Theorie 
der Erhebungskrater also angepaßt Humboldt and Buch 
waren geradezu glänzende Beobachter, und sie beide hatten 
in ihrem Leben mehr Vulkane studiert als ihre wissen- 
schaftlichen Gegner zusammengenommen! Dennoch ist 
die Lehre von den ErhebungBkratern späterhin verworfen 
worden. Die Schülor Leopold von Buch« waren es wohl, 
welche die Lehre durch starke Übertreibungen und un- 
genügend klare Beobachtung in Mißkredit brachten, so 
daß das Vorbandensein von Erhebungskratern überhaupt 
geleugnet wurdo. 

l'oulett Scrope ist wohl als derjenige zu bezeichnen, 
der am meisten gegen die Lohre von den Erhebungs- 
kratern zu Felde gezogen ist Der Erhebungskrater, das 
sogenanute vulkanische Gerüst, wurde seitdem als der 
Fuß eines älteren großen Vulkun^ehirges angesehen, dessen 
Gipfelmassen infolge einer großen Explosion weggesprengt 
seien. Nach dieser Auffassung wäre also die Caldera 
nichts anderes als ein Maar, wie sich deren in der Eifel, 
in Italien und in anderen Vulkanländern finden. — Nach 
Bilduug jener Mineulöcher, der Caldereri, entstand durch 
Aufschüttung der Eruptionskogel — genau wie ja auch 
schon Leopold von Buch es gelehrt hatte. 

Der Unterschied zwischen der neuen Lehre und der 
I Leopold von Buchs und Alexander von Humboldts bestand 
erstens in dor verschiedenen Auffassung vom Aufbau 
de» Gerüstes und zweitens in der Negierung einer Er- 
hebung. 

Während man früher die Macht der vulkanischen 
Kräfte so hoch einschätzte, daß man ihnen die Aufwölbung 
selbst so gewaltiger lnselmassive, wie beispielsweise der 
Canarischen Inseln, zutraute, glaubt« man nunmehr durch 
die neuere Auffassung ohne die Annahme einer so wunder- 
baren Machtentfaltung des Vulkanismus auszukommen. 

Viel mag hierzu der Umstand beigetragen haben, daß 
man dio Vulkanstudien fast immer nur au den verhält- 
mäßig kleinen Vulkanen Italiens, besonders am Vesuv 
betrieben hatte, jenen Vulkanen, die durch ihre immer 
wieder sich ereignenden kleinen Ausbrüche das Interesse 
der Geologen auf sich zogen. Diesen kleineren Vulkanen 
glaubte man eben nicht solche Kraftäußerungen zuschreiben 
zu dürfen, wie sie Buchs l^hre von deu Erhebungekratern 
erheischte. Zudem mögen die Ausführungen Leopold von 
Buchs bezüglich dieser kleineren Vulkane vielleicht auch 
wirklich unzutreffend sein. 

Aber wenn man in Betracht zieht, daß auf («ran Canaria 
beispielsweise die einheitliche zutage geförderte vul- 
kanische Masse, soweit sie sich über den Meeresspiegel 
erhebt, ein Gebiet etwa doppelt so groß wie dio Insel 
Rügen darstellt, dabei aber 20OÜ m hoch ist — außerdem 
aber noch bis zu 2500 in unter den Meeresspiegel zu 
verfolgen ist — so daß also die gesamte Masse über 
10000 ebkm faßt, und daß forner diese gesamte Riesen- 
masse auch noch um mehrere hundert Meter gehoben ist, 
dann wird man sich eine Vorstellung von der wirklichen 
Gewalt vulkanischer Kräfte machen können! 

Oder aber, mau denke sich die Vulkanmassen der Insel 
Island: ein Areal von der Größe Süddeutschlands, mehr 
als 100000 qkm groß, aus 4000 ui mächtigen Vulkan- 
decken aufgebaut, deren ungeheures Gewicht doch von 
vulkanischen Kräften im Laufo der Zeit aus der Tiefe 
heraufgehoben ist, wo ferner gleichfalls jüngere Hebungen 
der Gesamtmasse zu verfolgen sind! — Fürwahr, die 
vulkanischen Kräfte sind gewiß groß genug, so daß man 
ihnen all das zutrauen darf, was I^copold von Buch und 
Alexander von Humboldt voraussetzten. 

3»i» 



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H. .Seidel: Die politische und wirtsehnf tliohe Lage auf den Neuen Hebriden. 



Allcia der Glaube an die Möglichkeit derartiger vul- 
kanischer Erhebungen, noch dazu durch vulkanische Gase, 
wie von Buch glaubt«, war gebrochen, und selbst in 
jenen vulkanischeu Ländern, wo eich Erhebungsgerüste 
in ungleich größeren Dimensionen als in Italien fanden, 
so groß, daß man die Calderen nicht mehr durch Explosion 
entstanden denken zu können glaubte, da kehrte man 
nicht zur Buchscben Lehre zurück, sondern versuchte 
eine andere Erklärung der Entstebangsart ausfindig zu 
machen. Man kam zu der ( berzeugung, daß diese Calderen 
überhaupt nicht vulkanischer Entstehung seien — der 
Vulkanismus sei ja dazu zu schwach! — , sondern man 
hielt sie für Gebilde der Erosion, welche die angeblich 
weicheren Kerne gewaltiger Kiesenvulkane herausgeschält 
hatte. 

So lehrte Sir Charles Lyell und mit ihm in den 
sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Karl 
von Fritsch, Georg Härtung und Wilhelm Reiss. 

Seitdem begegnen wir in der Geologie verschiedenen 
Auffassungen, wonach die Calderagebirge teils Explosions- 
gebilde, teils Erosionsformen seien; aber die Auffassung 
Leopold von Buchs und Alexander von Humboldts galt 
für endgültig überwunden. 

Mit der Unterschätxung vulkanischer Kräfte brach 
sich eine andere Lehre immer mehr Bahn — eine Lehre, 
die ebenfalls im wesentlichen von Alexander v. Hum- 
boldt begründet war: die Lehre von den Be- 
ziehungen zwischen Spalten und Vulkanon und 
zwischen diesen und dem Meer. 

Humboldt namentlich wies darauf bin, daß die 
Vulkane Amerikas und Ostasiens stets in der Nachbar- 
schaft der Küstenstriche aufträten, daß das gleiche von 
den Vulkanen Italiens gelte, daß ferner die meisten übrigen 
Vulkane auf Inseln lägen oder, wenn auch tief im Feet- 
lande, in der Nähe von Süßwassermassen. Daraus wurde 
allgemein der Schluß gezogen, daß da, wo Wasser in die 



tieferen Regionen der Erde eindringen könne, nämlich auf 
Spalten, daß da und nur da Vulkane auftreten könnten. 

Was Pompejus Trogus ahnte, was Laxaro Sp&llanzani 
mit Bestimmtheit vermutete, nämlich die Abhängigkeit 
der Vulkane vom Wasser der Erdoberfläche — das wurde 
seit Humboldts Tagen als nahezu feststehende TaUnche 
gelehrt. 

Humboldt selbst war in seinen Schlußfolgerungen niebt 
etwa oberflächlich, nein, er bracht« auch die seiner Auf- 
fassung widersprechenden Gegengründe. So hob er auch 
die oft recht beträchtlichen Entfernungen der Vulkane 
Südamerikas — die namentlich den Beweis dieser Lehre 
bilden sollten — vom Meere hervor. Die fernsten von 
ihnen liegen so weit von der Küste entfernt wie Wien von 
der Adria oder Kopenhagen von Berlin! 

Die Theorie, welche die Vulkane in Beziehung zum 
Meere brachte, steht in gewissem Sinne in Widerspruch 
zur Lehre von den Erhebungskratern. Deun während 
Hie '.b den Vulkanismus scheinbar mit unüberwindlicher 
Kraft ausstattete, ließ die neue Lehre den Vulkanismus 
von der Präexistenz von Spalten abhängig werden, auf 
denen das Wasser zuerst in die Tiefe dringen müsse, um 
dann die zum Hervorbrechen des Vulkanismus erforder- 
lichen Explosionen einzuleiten. Die Spaltenlehre 
wurde namentlich von Eduard Suess vertreten und hat 
bis in die neueste Zeit als unüberwindliches 
Dogma das weitere Eindringen in das Wesen 
des Vulkanismus verhindert 

Während die Lehre von den Erhebungskratern den 
Vulkanismus die Erdkruste bewegen ließ, wird von dieser 
neuen Lehre die Existenz des Vulkanismus gerade 
umgokehrt von den auf andere Ursachen zurück- 
zuführenden K rnstenbewegungen abhängig ge- 
macht Nicht tektonisch bestimmend, nein, nur tekto- 
nisch bestimmt soll sich der Vulkanismus äußern können. 

(BchluB folgt.) 



Die politische und wirtschaftliche Lage auf den Neuen Hebriden. 

Von H. Seidel. Berlin. 
II. (Schluß). 



Nach der im vorigen Artikel versuchten Skizzierung 
der politischen Lage haben wir jetzt die Frage zu er- 
örtern, ob die Neuen Hebriden durch ihre geographischen 
Gegebenheiten, ihre Bewohner, ihr Klima und ihre Pro- 
dukte den hartnäckigen und andauernden Kampf um 
ihren Besitz einigermaßen rechtfertigen. Im allgemeinen 
wird man diese Frage bejahen müssen. Denn die Inseln 



eine Anzahl tiefer und geräumiger Häfen, deren 
Wert sich steigert, sobald man die strategische Situation 
des Archipels gebührend zu würdigen weiß. Zieht man 
nümlich von San Francisco oder Honolulu eine Linie 
nach Sydney und Melbourne, so geht diese mitton durch 
die Nouen Hebriden. Dasselbe Ergebnis tritt ein, wenn 
man die australischen Emporen mit Panama und seinem 
zukünftigen Kanal verbindet Außerdem sind die Inseln 
die natürliche Halbwogsstatiou zwischen Nuu-Holland und 
den britischun Ellice- und Gilbert-Gruppen. Was Wunder 
also, wenn die Australier alle Hebel in Bewegung setzen, 
ein so wichtiges Objekt ganz in ihre Hände zu bringen 
und einen ihrer Pacific Highways vor jeder Gefährdung 
durch eine fremde Macht zu sichern? 

Nach ihrem Platz im Gradnetz zwischen 13° 4' und 
20 ' 16' südlicher Breite gehören die Neuen Hebriden 
nebst den Torres- und Banks -Inseln durchaus in die 
tropische Zone ; doch wird die Hitze durch kräftige Winde 
und die ungeheure Wasserutngubuug bedeutend gemildert, 



namentlich während der Herrschaft des Passats von April 
oder Mai bis Oktober. Hohe Wärmegrade, verbanden 
mit großer I.uftfenohte und drückender Schwüle, sind 
besonders der anderen Jahreshälfte eigen, die mit unserem 
Herbst und Winter zusammenfällt Allein dieser Unter- 
schied wird durch den Witterungsgang nicht selten ver- 
wischt; denn die nach der Regel als naß geltenden 
.Monate Dezember und Januar bleiben zuweilen fast 
regenlos, wohingegen die trockene Periode wohl niemals 
vollständig ohne Niederschläge ist. Die Inseln bilden 
also ein Gebiet mit Regen in allen Monaten ; jene furcht- 
baren Dürren, die Schrecken des australischen Festlandes, 
sind ihnen unbekannt. Die Temperaturmessungen, so- 
weit solche vorliegen, ergeben oin Jahresmittel von rund 
24« V, einen März von 26,6» und einen Juli von 20,6« 
im Mittel. Die Extreme liegen nach oben bei 33 bis 
35" C, nach unten bei 18 bis 15" ('. Die 



sonach den Botrag von 20° erreichen. 

Die Regenmenge scheint nirgend 2000 mm pro Jahr 
zu überschreiten; davon entfallen 1500 bis 1600mm auf 
den Südsommer mit einem Maximum gegen das Ende 
und oinem zweiten — geringeren — um den Anfang. 
Der Rest, etwa 400mm, verteilt .ich auf die heiteren 
Pas8atmonato mit ihrem schonen Wetter und den er- 
frischenden Ostsüdostwinden. Als böse Gäste werden in 
der Regenzeit von jeher Orkane und Fieber gefürchtet 



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H. Seidel: Die politische und wirtachu 



ftlirhe Lage auf den Neuen Hebriden. 



281 



Die Mnlari:i hängt hier, wie überall, mit dem massen- 
haften Auftreten der infizierenden Mücken zusammen. 
Ks ist demnach eine wohlbegründete Praxis, daß man 
dio Wohnstätten fern ron Sumpf und Wasser möglichst 
auf freier Höhe anzulegen pflegt. Macht sich die Krank- 
heit trutzdetn bomerklich, so muß sie mit Chinin und — 
was die Hauptsache ist — mit hygienischen Maßnahmen 
bekämpft werden. Eüi schlimmerer Feind sind jeden- 
falls die fast alljährlich während der feuchten Monate 
einsetzenden Wirbelstürme, unter denen besonders die 
südlichen Inseln so schwer zu leiden haben. Nach einer 
alten Regel sollen die Zyklone nicht vor dem 1. Januar 
und nicht nach dem 1. April zu erwarten sein. Das 
mag im allgemeinen stimmen, obschon man ebensowohl 
vor wie nach jenen Tagen gefährliche Orkane beob- 
achtet hat. Die kritische Zeit wird deshalb bei einigen 
Autoren vom 15. Dezember bis zum 15. April gerechnet. 

Bei dem stark vulkanischen Charakter der Neuen 
Hebriden darf es nicht befremden, daß sie öfter von Erd- 
beben heimgesucht werden. Diese bewirken zuweilen : 



drigere Land trägt ansehnliche Bestände ron Kokos- 
palmen, teils in Plantagenkultur, teils minder gepflegt, 
soweit sie das Eigentum der sorglosen Kanaken sind. 
Dies« halten es nicht einmal der Mühe wert, selber die 
Nüsse zu öffnen und zu entkernen ; sie bringen sie , wie 
sie vom Baum kommen , zum Kopramacher und über- 
lassen diesem die Arbeit des Bleichens und Trocknens, 
zufrieden, wenn sie für ein Dutzend Nüsse mit einer 
Rolle oder einem „Zopf Tabak bezahlt werden. 

Durch Missionare und Kolonisten haben allmählich 
verschiedene wertrolle Gewächse den Weg nach den 
Neuen Hebriden gefunden. Seit geraumer Zeit wird 
Kaffee gebaut, der gute Ernten ron bevorzugter Qualität 
liefert. Das Kilogramm bringt am I'roduktionsorte bis 
zu 1,50 Franca, und das ist eine Preis, mit dem der An- 
siedler wohl zufrieden sein kann. Besonders hohe Er- 
träge gibt der Mais, der rienual im Jahre reift und im 
Doppelzentner mit 20 Francs bezahlt wird. Einen ganz 
hervorragenden Ruf genießen die Bananen -, sie sollen an 
Wohlgeschmack die Queensländer Sorten erheblich hinter 




Abb. I, Eingeborene von Mirena «der Esplrlta Santo. 



Verschiebungen der Strandlinie, die z. B. Anfang 1878 
in Port Resolution auf Tanna solchen l'mfang annahmen, 
daß eine Neurermessung des Hafens und seiner Um- 
gebung notwendig wurde. Das vordem großen Schiffen 
zugängliche Becken ist seit damals nur noch für kleinere 
Segler benutzbar. 

Die beträchtliche Wärme, reiche Wasserzufuhr uud 
ein tiefgründiger, humoser Boden erzeugen auf dem 
Archipel einen IMIanzenwuchs, der an Pracht und Üppig- 
keit seinesgleichen sucht. Allerdings ist die Zahl der 
Arten. nicht so erheblieb, wie es auf den erstou Blick 
wohl den Anschein hat. Der äquatoriale Charakter der 
Flora Torschwindet bereits , und andere Formun troten 
auf, bedingt durch die geographische Lage, welche die 
Inseln botanisch sur Region Neu- Kaledonieu — Fidschi 
rerweist. Auf der Banks -tiruppe wächst schon eine 
Kaurifichto, Dammara macrophvlla, nuf den eigentlichen 
Neuen Hebriden Dammara obtusa. Mannigfaltig und 
häufig sind überall die Farne, desgleichen Kasuarinen 
und Palmen. In den Wäldern fällt namentlich eine riesige 
Banianfeige auf, Ficus prolixa, neben der als wichtiges 
Nutzholz der Roseu • und der Eiscuholzbaum erscheint 
Das ehedem zahlreiche Sandelholz ist dagegen infolge 
der Raubausbeutung nahezu verschwunden. Das uie- 

Olnbui KOL Nr. I-. 



sich lassen und linden deshalb in Neu-Südwalea, Victoria 
und Süd- Australien jederzeit willige Abnehmer. Aus 
diesem Grunde hat schon Dr. Davillc den weiteren An- 
bau der Bananen dringend empfohlen. Als Versuchs- 
kulturen sind ferner Baumwolle, Tabak, Ingwer, Rais, 
Gewürze, Kakao und Vanille in Angriff genommen wor- 
den; doch läßt sich über dio Resultate vorläufig erat 
wenig berichten. Der Tabak acheint keine Krfolge zu 
versprechen; dagegen wurde die Baumwolle — man hat 
Sea Island Cot ton eingeführt — schon vor 20 Jahren 
mehrfach gelobt. An Kopra gphou jährlich 4000 Tonneu 
und darüber aus dem Archipel. 

Für den Tisch des Weißen stehen außer manchen 
einheimischen Früchten und Nährgewächseu , z. B. Taro 
und Yams, noch Urangen, Mangos, Zitronen, Zuckerrohr, 
Ananas, verschiedene Gemüse, Melonen, Süßkartoffeln uew. 
zur Verfügung. Auch Brotfrucht und Sago sind auf 
den meisten Inseln leicht zu haben, und dazu fehlt es 
fast nirgend an gutem, gesundem Waaser. Nur wenige 
Plätze haben Mangel an frischen Nahrungsmitteln. 

Die artenarme Fauna besitzt außer dem Schwein 
kein größeres Land Säugetier. Dio Beutler fehlen gänz- 
lich. Durch den Schiffsverkehr sind Ratten und Katzen 
verbreitet wurden, durch die Kolonisten auch Hunde, 

37 



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2-2 



H. Seidel: Die politische und wirtschaftliche Lage auf den N'euen Hebriden. 



Schafe, Rinder, Pferde und Ziegen, von denen die 
letztgenannten bis jetzt aui betten gedeihen und sich 
fortpflanzen. Natürlich beschränkt (ich der Viehimport 
nur auf die besuchteren Hafenplatze. Die Fleischkost 
deckt man vielfach durch Fische, die in den Küsten- 
ge wässern massenhaft vorkommen, und durch Gefügel, 
z. B. Tauben und Wildenten. Die Reptilien sind, wie 
schon Eckardt bemerkt 1 ), durch „wenige, nicht giftige 
Schlangen, viele Eidechsen, Schildkröten und eine Frosch- 
art vertreten". Neben Käfern und mehreren sehr schönen 
Schmetterlingen machen sich aus der Kleinfaun» die be- 
kannten Plagegeister der Tropen unangenehm bemerkbar, 
nämlich Fliegen, Moskitos, Ameisen, Wespen, Skorpione 
und Tausendfüßler. 

(Iber die Bewohner, deren Zahl heute zwischen 
50O00 und 70000 betragen mag, ist im allgemeinen 



gebiet", das sich von Norden nach Süden zwischen 
Melanesien und Südwest-Polynesien hineindrängt. Eben- 
dorthin gebären die mittleren und südlichen Neuen 
Hebriden von Vate bis Aneityutn , zuzüglich der nach 
Nou-Kaledonien vorgeschobenen I.oyalitÄtsinseln. Reine 
Melanesier finden sieh hauptsächlich auf den beiden 
größten Gliedern , auf Merena oder Espiritu Santo und 
auf Mallikolo, desgleichen auf den ihnen parallelen klei- 
neren Eilanden im Ost«n. 

Es ist weder Aufgabe noch Zweck unserer Artikel, 
oino auch nur annähernd erschöpfende Schilderung dieses 
Menschenschlages zu geben. Wir wollen lediglich an 
der Haud etlicher Bilder über die äußere Erscheinung 
und die Fähigkeiten der Neu -Hebridier einige kurze, 
orientierende Andeutungen machen. Am deutlichsten ist 
' der melanesische Typus auf Merena (Abb. 2) ausgeprägt. 




Abb. 3. Eingeborene von der Insel Mallikolo. 



nichts gerade Gutes zu melden. Sie gelten „für außer- 
ordentlich indolent, sowohl in bezog auf körperliche 
Arbeit als auch auf geistiges Denken und religiöse Vor- 
stellungen". Ihre Pflanzungen und das „ganze Haus- 
wesen lassen sie durch ihre Weiber versorgen", zeigen sich 
aber „merkwürdigerweise geneigt, im Auslande «u dienen, 
so daß gerade von ihren Inseln Arbeiter nach Queens- 
land, Fidschi, Neu - Kaledonien und Samoa entnommen 
wurden". Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß 
auf einem räumlich so weit verstreuten Archipel unter 
den Eingeborenen in somatischer wie intellektueller Hin- 
sicht bedeutende Abweichungen hervortreten. Dia Banks* 
gruppe ?.. B. rechnet schon ganz in das „Übergangs- 

') .Der Archipel der Neu - Hebriden* in den „ Verhand- 
lungen des Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung 
zu Hamburg", Bd. IV, 1879, 8. 1 — 70 mit einem Anhang von 
J. I). K. Schmeltz, „Uber die Tierwelt der Neu Ilebriden", 
daselbst S. 71 — 136, beide Abhandlungen mit guten Literatur 
angaben. 



l>a begegnen dem Fremden die rohen, volltloischigen, 
rußfarbigen Gestalten der „Wilden" in unverfälschter 
Natürlichkeit Von Kleidung ist wenig die Rede; oft 
wird sogar absolute Nnckheit bevorzugt. Die verheirateten 
Frauen legen einen Gras- oder Bliitterschurz an, zuweilen 
einen Mattenstreifen, und erst in der Nachbarschaft der 
Häfen entdeckt man Zeuge und Tücher. Um Hals und 
Lenden werden Muschelschnüre getragen; auch Arm- 
bänder sind sehr verbreitet. Dia Tätowierung fehlt 
häufig; dagegen wird der Körper nicht selten durch stark 
aufgewtilsteto Ziornarben entstullt. Das Membrum virile 
pflegt man schon vom sechsten .fahre an mit einer Hülse 
zu bedecken, die nach oben in ciueu Strick ausgeht den 
man fest um die Hüften schlingt, <»roße Beliebtheit ge- 
nießt das Bemalen mit schwarzer, roter, blauer und ocker- 
gelber Farbe; auf manchen Inseln soll dieser Brauch 
indes nur bei Kriegszügen üblich sein. 

Durchschnittlich kleiner an Wuchs als die Merena- 
I. eilte sind die Bewohner von Mallikolo (Abb. 3). Einige 



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H. Seidel: Die politische und wirtschaftliche Lage auf den Neuen Hebridei). 



283 



Beobachter nennen sie „adeunbnlieh" häßlich, und die 
Abbildungen .scheinen dies Urteil nicht gerade Lügen zu 
strafen. Ick verweise nur auf die vurtreffliehe Gravüre 1 
bei Inihuus, Leu Nouvelles - Hebrides, und die photo- 
graphische Tafel zu Eckardts Abhandlung. Besonders 
abschreckend .sind die Albinos. Nimmt man den Blut- 
durst, die Hinterlist und den scheußlichen Kannibalismus 
hinzu, so versteht man die Mahnung der SegelhaudhUckor, 
die für den Verkehr mit diesen Anthropophagen die 
äußerste Vorsicht empfehlen. Iseider dürfte in vielen 
Füllen nicht bloß die Vorsicht, sondern noch mehr die 
Furcht vor wohlverdienter Hache der Grund sein, wes- 
halb »ich manche WerbeschilTe der Insel fernhalten. Denn 
die „ Labourtrader" haben hier wie überhaupt auf den 
Neuen 1 Inheiden furchtbar au den Eingeborenen 2 ) ge- 
sündigt. Wer Belege wünscht, mag die Selbstbiographie 
de* Missionars John G. I'atou nachlesen, von der 1891 
in Leipzig eine deutsche Bearbeitung erschienen ist. 

Derselbe Paton gewährt uns au verschiedenen Stellen 
seines Buches auch einen Hinblick in das religiöse Leben 
der ' Bewoh- 
ner'). Unbe- 
dingt werden 
auf diesem Ge- 
biete Ton Insel 
zu Insul eben- 
so viele Abwei- 
chungen be- 
stehen wie hin- 
sichtlich der 
Sprachen , die 
eine kaum 
glaubliche Zer- 
splitterung in 

selbständige 
Idiome oder 
deren Mund- 
arten auf- 
weisen. Noch 
zu Aufang der 
sechziger Jahre 
des vorigen Sä- 
knlums konnte 
Paton mit 
Hecht sagen. 

daß die Neuen Hebriden mit Götterbildern, teils aus Holz, 
teils auN Stein, „angefüllt* wären. Die Leute verehrten 
in diesen Idolen die Geister der Vorfahren oder der 
Stammesheroen , die sie unendlich fürchteten , und deren 
Hilfe sie doch gewinnen mußten. Denn bei den Ahnen 
war alle Gewalt über Krieg und Frieden, über gute und 
schlechte Kenten, über Gesundheit und Krankheit, Leben 
und Tod. Auch die großen Naturkräfte: Himmel, Stürme, 
Erdbeben und Vulkane, wurden als göttliche Wesen verehrt. 

Die Mission hat später unter den heiligen Zeichen 
sehr zum Schaden der Ethnographie gewaltig aufgeräumt. 
„Was von Holz war, ward verbrannt; steinerne Bilder 
versenkten wir weit von der Insel ins Meer; Steine ver- 
gruben wir tief in die Erde.* So berichtet Paton über 
diesen Zulotismus. Die jetzt noch vorhandenen Idole 
sind zumeist jene 2 bis 3 m hohen Holzfiguren, öfter 
obszönen Charakters, die als Umgebung der Tabuhäuscr 

*) Über dos Verschwinden der Kanaken vor dem Kin- 
dringen der /.ivilisnlion vgl. den Bericht über I>r. Jolys 
Forschungen. Olobu*, ltd. I. XXXVIII (11*05), K. IM. Der 
australoidr Neu • Hebridier bei 0. Fritsch, Globus, Bd. XCI 
(1 »07), B. 40, ist schon bei Imhaua, Tafel 2, abgebildet. 

') Neuerdings schrieb hierzu A. Dernau, Croyances reli- 
nieusas et inoeurs des indig>nes de l'ile Mato, Nouvelles- 
Hybrides. Missions < 'ntholii|ues XXXIII, 1901. 




Abb. 4. Dorftromnieln von den Neuen Hebriden. 



unter den Schattenbäumen am Ende der Dörfer stehen. 
Hier finden diu geheimen Beratungen der Altesten statt, 
deren Ergebnis je nach Belieben oder Notwendigkeit den 
Einwohnern auf dem freien Dorfplatze bei den Trommel- 
bäumen mitgeteilt wird. Diese bestehen nach A. Baess- 
lers Beschreibung oft „aus 20, bis zu mehreren Meter 
hoben, ausgehöhlten Stimmen, die vorn einen Schlitz 
haben (Abb. 4). Durch Anschlagen mit einem schweren 
hölzernen Knüppel wird ihnen ein Ton entlockt, und da 
sie verschieden abgestimmt sind, so ist es möglich, eine 
einfache Neu -Hebriden -Melodie darauf zu spielen. Die 
Bäume sind fest in die Erde gerammt und häufig kunst- 
voll beschnitzt, wobei das obere Ende dann ein Idol oder 
eine andere Figur darstellt*. 

Was den Hausbau anlangt, so ist vorab zu be- 
merken, daß die Wohnstätten uuf den Inseln mit 
rein melanesischer Bevölkerung durchweg schlechter 
und unansehnlicher sind als in den Teilen des Ar- 
chipels , wo sich polyuesische Blutmischung geltend 
macht. Als Verkehrsmittel zu Wasser dienen roh ge- 
fertigte Kanus 
von verschiede- 
ner Größe und 
Konstruktion 
(Abb. 6). Man 
hat schwere, 

geräumige 
Fahrzeuge mit 

Doppclkiel, 
Ausleger und 
Segel, die z. B. 
auf Mallikolo 
bis zu 20 Mann 
und darüber 
fassen können. 
Duneben gibt 
es kleinere, 
die auffallend 
schmal und 
Hink sind, wie 
die auf den 
Banksinseln, 
in denen die 
Eingeborenen 
an die Schiffe 
heranrudern, um frische Nahrungsmittel anzubieten. 

Es dürfte bekannt sein, daß die Mission, zuerst die 
protestantische, danach die katholische, auf den ineisten 
Gliedern des Neu- Hebriden- Archipels an der Christiani- 
sierung arbeitet. Stellenweise liegen bereit« Erfolge 
vor; allein gerade auf deu umfangreicheren Inseln bleibt 
noch fast alles zu tun. Überdem lauten die Urteile von 
Nichtmissionaren fast ausnahmslos so wenig günstig, 
daß wir kaum Lust verspüren, dies heikle Thema weiter 
auszuspiuuen. Es macht doch einen befremdenden Ein- 
druck, wenn der englische Kommissar und zeitweilige 
Konsul Hugh Hastiuga Romilly an den deutschen 
Weltreisenden K. v. Ilasse-Wartegg schreiben konnte: 
„Die Missionare treiben nebenbei auch Handel und ver- 
stehen es vortrefflich, die Kanaken zu übervorteilen, eine 
kuriose Mischung von schottischen scheinheiligen Pres- 
byterianern und pfiffigen Kolonisten." Außer diesen 
Herren wirken auf den Neuen Hebriden noch die Send- 
linge der Melanesian Mission, deren Geschichte E. S. 
Armstrong, London 1900, in einem umfangreichen 
Buche beschrieben hat. 

An der wirtschaftlichen Erschließung der Neuen 
Hebriden haben ohne Zweifel die Franzosen den Haupt- 
antoil. Damit soll das kulturfördernde Verdienst der 

37* 



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2-4 



englischen Missionen gar nicht verdunkelt werden ; allein 
cd wurde nur zu oft paralysiert durch den verderblichen 
Einfluß der gleichfalls englischen Labourtrader, Sandel- 
holzschläger , Händler und Koprauntcber, die die Ein- 
geborenen mit Branntwein , Feuerwaffen und nutzlosoiu 
Tand überschwemmten, wodurch nie lediglich geschädigt 
wurden. Den ersten Anstoß zu einer gesunderen Ent- 
wicklung gab ein naturalisierter Franzose, der Groß- 
kaufuiann Higginson aus Noumea. Kr war es, der 
schon 1870 die Blicke nach den Neuen Hebriden richtete, 
um sie in eine franzosische Kolonie zu verwandeln. Als 
energischer und vermögender Manu stellte er seinen 
ganzen Kredit und Einfluß in den Dienst dieser Idee, 
suchte den Zuzug französischer Kolonisten zu heben und 
gründete 188-, als sein Drangen auf tatsächliche Okku- 
pation iu Paris unbeachtet blieb, dio anfangs recht kapi- 
talskräftige „Compagnie caledonieune des Nouvelles- 
Hebridea". Dieser gelang es, binnen kurzer Frist den 
größten Teil des Kulturlandes durch .Kauf, wenn dieser 
Ausdruck erlaubt ist. an sich zu bringen, so daß ihr 
nomineller Besitz 
bald auf 7800 ukm 
und darüber an- 
wuchs. Der „Com- 
pagnie" gehörte 
also mehr als die 
Hälfte des gesam- 
ten Areals , und 
dadurch ist ihr und 
ihren Rechtsnach- 
folgern für immer 
die l'räponderauz 
gesichert. Im ein- 
zelnen verteilt sich 
dieser Grund- 
erwerb dergestalt, 
daß auf Merena an 
3500 okm, auf Mal- 
likolo 1900 <)kui, 
anf Vate oder Efat 
900iikm, auf Api 
500 (|km, auf 
Araga 300 4km 
entfallen und so 
fort, bis mit den 
kleineren Parzellen auf den übrigen Inseln die erwähnte 
Schlußzahl herauskommt. Dieser Summe eegenübar ist 
jede Konkurrenz machtlos, auch die englische, die sich 
bei ihren Landkäufen vorwiegend auf die nördlichen 
Neuen Hebriden und die Torres- und Banks-üruppu be- 
schränkt sah. Dort rinden sich deshalb die meisten 
britischen Ansiedler, dort die größte Monge des britischen 
Eigentums und der darauf beruhenden Interessen. Allein 
schon in Mallikolo halten sich diese mit den französischen 
die Wage, um dann anf den Südinseln merklich hinter 
ihnen zurückzutreten. 

Die Compagnie cali-donienne des Nouvelles-Hebrides 
ließ in den vier Haupthäfen, in Port Vila auf Vate, in 
Port Sandwich auf .Mallikolo, am Kanal du Segond, einer 
als Ankerplatz günstigen Enge zwischen der Südostspitze 
von Merena und der kleinen Vorinsel Aore, sowie auf 
Vanna Lava in der Banksgruppe geräumige Magazine, 
Läden und Wohnhäuser erbauen, den Wald nuten und 
mit der Anlage von Kokos-, Kaffee-, Kakao-, Vanille- uud 
Maiskulturen beginnen. Sie etablierte ferner zahlreiche 
Kopramncher, leistete den Ansiedlern schätzenswerte Bei- 
hilfen für die Anfangszeit, begünstigte die Verbreitung 
der katholischen Maristen - Mission uud stellte mehrere 
Schoner in Dienst, die teils die Anwerbung von Arbeitern, 



teils die Zusammenholung der Kopra von den einzelnen 
Stationen zu besorgen hatten. Sogar ein Dampfer wurde 
beschafft, der die Inseln in monatlichen Fahrten mit 
Nouuiea verband. 

Trotzdem machte die Kompagnie schlechte Geschäfte. 
Sie mußte 1894 in Liquidation treten und ging im aclbeu 
.lahre in einer neuen Gründung auf, die sich „Societe 
franvaise des Nouvelles-Hebrides" nannte. Sie hatte sieb 
bis 1898 einer jährlichen Subvention von 3601)00 Francs 
durch die Regierung zu erfreuen und konnte deshalb die 
Arbeiten ihrer Vorgängoriu im vollen l'mfange fortführen. 
Sie ging sogar mit der Ausbeutung der Schwefellager 
auf einigen der inselvulkane vor, sah sich aber dessen- 
ungeachtet schon im Jahre 190O gezwungen, ebenfalls 
zu li4<iidieren. Die Ursachen dieses zwiefachen Miß- 
geschickes sieht Raymond Bell vor allem in Fehlern 
der Verwaltung, die es nicht verstanden habe, nach einer 
den Verhältnissen angemessenen Methode zu wirtschaften. 
Vorläufig arbeitet die Gesellschaft noch weiter; auch eiue 
Bergbaukonzessioii ist verliehen worden. 

Der neukaledo- 
nischen Hebriden- 
kompagnie stellten 
die Australier be- 
reits 1884 eine Ri- 
valin gegenüber, 
die sieh , unter- 
stützt durch das 
Bankhaus Bums 
Philipp and Co. 
in Sydney , sofort 
auf die Monopoli- 
sierung des Han- 
dels und des Ver- 
kehrs warf. Sie 
eröffnete verschie- 
dene Agenturen, 
setzte Kopra- 
macher aus und 
zog durch ihre 
Dampfer fast die 
gesamte Personen- 
und Güterbewe- 
gung an sich , be- 
günstigt durch das 
Fehlen jeder ernstereu französischen Konkurrenz. Die 
Austrulier unterhalten zurzeit eine direkte Dampferlinie 
zwischen Sydney und den Neuen Hebriden, die ihre 
Fahrten sehr regelmäßig erledigt. Außerdem laufen noch 
zwei andere Dampfer, von denen der eine die Verbindung 
zwischen Port Vila und den Fidschi-Iusoln, mit Noumea 
als Mittelstation, bewirkt, während der andere auf dem 
Wege von Sydney nach den Salomonen uud Britisch- 
Neuguinea den Archipel berührt. 

Die Franzosen haben trotz ihres riesigen Landbesitzes, 
der ubor zum allergrößten Teile noch unersehlossen da- 
liegt, bis beute an dieser ihnen so peinlichen Situation 
nichts zu andern vermocht. Sie verfügen jetzt zwar 
Uber einen recht guten Dampfer von 8000 Tonnen, der 
elfmnl im Jahre vor deu Hnuptplützen anlegt; doch wird 
dies nur durch einen reichlichen Staatszuschuß ermög- 
licht. Nach Pariser Mitteilungen sollte im letzten Winter 
eine neup Si liifTiihrtsgeselNchaft gebildet werden, um die 
Hebriden vou den englischen Linien unabhängig zu 
machen. Zugleich wollte man (ield zu gründlichen 
Bodeuuntersuchungen aufbringen, von deren Ausfall man 
eine bessere Bewertung und schnellere ßesiedelung der 
Insulu erhofft. 

S<> spinnt sich der lateMMMkutpf zwischen beiden 




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M. Freiherr v. Leonhardi: ( I ber eiuige reli 



giöse und totemistische Vorstellungen usw. 285 



rivalisierenden Nationen still, aber erbittert fort, und 
wer weiß, ob ob nicht gerade um der Neuen Ilebriden 
willen über kurz oder lang zu einer Auseinandersetzung 
kommt, die sich mit der Entente cordiale von heute schlecht 
vertrageu dürfte. Von anderen Dingen abgesehen, be- 
unruhigen sieh die Franzosen jüngst über das rasche 
Anwachsen des englischen Elementes, das gegen früher 
stark zugenommen hat. Sonst wurde das Verhältnis 
immer so angegeben, daß die liriten um eiu Viertel bis 
ein Drittel hiuter dem Bestände der Franzosen zurück- 
blieben-, jetzt lesen wir, daß den rund 260 Franzosen 
bereit« 220 oder mehr Engländer gegenüberstehen. Aller- 
dings sind diese nicht, wie die Franzosen, vorwiegend 
Grundbesitzer und Pflanzer, sondern — abzüglich der 
Missionare — in der Überzahl Handler und Koprauiacher 
und rekrutieren sich zum großen Teil aus Flüchtlingen, 
sogenannten „Out-laws", die wegen S UO raub, Menschon- 



diebstabl, Gewalttat, Desertion und ähnlicher Verbreeben 
diese entlegenen Inseln aufgesucht haben. Deshalb leben 
sie auch vereinzelt, weit voneinander getrennt, und wer- 
den die Bildung französischer Gemeinden niemals hindern. 
Aber sie sind unbequeme, verwegene Gäste und leicht 
geneigt, ihren Mitmenschen, wenn solche ihren Weg 
kreuzen, Schwierigkeiten zu bereiten. Bisher blieb jeder 
Streit, jede Eifersüchtelei auf die Ansiedler allein be- 
schränkt, da es eine Regierung nicht gab. Jetzt werden 
die Klagefälle notwendig au die Kommission bzw. an das 
Kichterkolleg gelangen , wo sie sofort in zweierlei Be- 
leuchtung erscheinen. Was dem Engländer gut düukt, 
wird der Franzose verdammen, auch in amtlicher 
Funktion, und dann ist's vorbei mit Frieden und 
Eintracht, dann treten hart uud scharf die gegenseiti- 
gen Divergenzen hervor und fordern gebieterisch ihr 
Recht. 



Ober einige religiöse und totemistische Vorstellungen der Aranda 

und Loritja in Zentralaustralien. 

Von M. Freiherr v. Leonhurdi. 



Die beiden großen Werke von Speucer und Gilten I 
„The Native Tribes of Central Australia" (18!>!>) und 
„The Northern Tribe* of Central Australia* (1904) ge- 
hören zweifellos zu den bedeutendsten Publikationen 
ethnographischen Inhalts, die die letzten Jahre gebracht 
haben. Es ist daher leicht begreiflich, daß diese Bücher 
in der wissenschaftlichen Welt allseitige Bewunderung 
hervorgerufen haben; auch bat man sich mit regem 
Eifer an die Deutung der festgestellten Tatsachen und 
deren Einfügung in den Bau der ethnographischen Wissen- 
schaft gemacht Neu und vielfach überraschend sind die 
Tatsachen, daran kann kein Zweifel sein; vor allem sind 
die äußeren Hergänge bei den heiligen Zeremonien, die 
meist vor den Augen der Weißen ängstlich gehütet 
werden, mit einer für australische Stämme noch nicht 
dagewesenen Genauigkeit beschrieben und durch meist 
wohlgelungene Photographien zur Anschauung gebracht 
Nur einem so langjährigen Vertrautsein mit den Ein- 
geborenen, wie es einer der Autoren, Gilten, erlangt hatte, 
ist es zuzuschreiben, daß es möglieh wurde, den ver- 
schiedenen Zeremonien von Anfang bw zu Ende beizu- 
wohnen, so daß man den Eindruck erhält nichts Wesent- 
liches »ei den beiden Forschern verborgen gebliehen. 
Gillen gilt offenbar bei den Eingeborenen um Alice Springs 
als ein völlig „ Eingeweihter", so daß auch die nördlicher 
wohnenden Stämme kein Bedeuten trugen, die geheimsten 
heiligen Handlungen vor ihm und seinem Freunde Spencer 
aufzuführen. Neben den äußeren Vorgängen der Zere- 
monien suchten die beiden Forscher natürlich möglichst 
auch deren inneren Sinn zu erfassen, wie sio auch soust 
bemüht waren, Sagen, religiöse Vorstellungen, An- 
schauungen über Zauberei usw., kurz das ganze Innenleben 
der Schwarzen zu ergründen, und es sind gerade die 
hierbei festgestellten Tatsachen, die in der Wissenschaft 
das größte Interesse hervorriefen. Das Erforschen der 
psychischen Tatbestände gehört bekanntlich zu deu 
schwierigsten Aufgaben der Ethnologie; leicht begreif- 
lich, wenn man bedenkt, daß man sich dabei aller mit- 
gebrachten Begriffe und Vorstellungen entscblagen und 
sich in das Denken und Fühlen der Naturvölker ganz 
hineinzuleben versuchen muß; eine Aufgabe, die nur sehr 
schwer gelingt und bei der immer und immer wieder zu 
befürchten steht, daß Eintragungen eigener Gedanken 
nicht ganz vermieden werden. Wesentlich zur Lösung 



I der Aufgabe trägt natürlich bei, wenn der Forscher die 
Sprache des betreffenden Stammes mit möglichster Voll- 
ständigkeit beherrscht. Das ist nun freilich nicht immer 
erreichbar. Bei der oft gänzlichen Unähnlichkeit be- 
nachbarter australischer Sprachen ist es unmöglich, bei 
Untersuchung mehrerer Stämme, wie dies Spencer und 
Gilten getan haben, alle Dialekte zu beherrschen; immer- 
hin wäre es sehr wünschenswert gewesen, wenn die 
Forscher wenigstens eine der Sprachen wirklich hätten 
sprechen können. Das scheint aber nicht der Fall ge- 
wesen zu sein; sie scheinen vielmehr durchweg sich des 
sog. „Pidgeonenglisch" bedient zuhaben. Es kann kaum 
zweifelhaft sein, daß dieses Verständigungsmittel ein nicht 
gerade sehr vollkommenes Instrument ist, um die schwer- 
verständlichen Ideen dieser Naturmenschen festzustellen. 
Der Verdacht kann einem kommen, ob nicht doch trotz 
aller Vorsicht und Geduld, die aufgewendet worden sind, 
Beobachtungsfehler unterlaufen sein könnten. Es erschien 
mir daher von großem Wert, über die einschlägigen Dinge 
eine Nachprüfung durch einen der Sprache wenigstens 
des Hauptetaromes, der Aranda (oder wie Spencer und 
Gillen schreiben Arunta), Kundigeu anzuregen. Ich 
wendete mich daher vor etwa fünf Jahren an Herrn 
Missionar ('. Strehlow (von der Neuen Dettelsauer 
Mission), der in Hermannshurg am Finke River arbeitet 
Vorher war Herr Strehlow auf der Kopperamana-MissioDs- 
station unter den Dieri tätig. Er beherrscht das Dieri 
und das Aranda vollständig; zusammen mit Herrn 
Missionar Reuther hat er das Neue Testament in das 
Dieri übersetzt (Teatamenta Marra, Tauunda 1S!»7); in 
der Arandasprache hat er zu gottesdienstlichem Ge- 
brauche ein Religionsbuch (Galtjindinjamea - Pepa , Ta- 
nunda 1004) drucken lassen. Herr Strehlow war so 
freundlich, auf ineiue Anregungen einzugehen, and hat 
mir in einer Reihe von Briefen höchst interessante Mit- 
teilungen über das Geistesleben der westlichen Aranda 
und des benachbarten StammeB der Loritja geschickt. 
Das meiste, was er gesammelt hat, wird er als zusammen- 
hängende Publikation, hoffentlich recht bald, der wissen- 
schaftlichen Welt zugänglich machen. Nicht nur lin- 
guistische Feststellungen wird diese zu erwartende 
Veröffentlichung bringen , sondern vor allem wird sie 
Sagen und (Jesänge, deren oft sehr schwierige (Übersetzung 
gelungen ist, enthalten, ferner genaue Mitteilungen über 



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280 M. Froihorr v. Leonharde Uber einigt- religiöse und totemistische Vorstellungen usw. 



das ganze Lehen der zwei Stimme. Nach den Proben, 
die ich bis jetzt einzusehen in der Lage war, glaube ich 
sagen zu können, daß aller Qrund vorliegt, große Er- 
wartungen auf diese Veröffentlichung zu setzen. 

Im folgenden werde ich einige mir besonders inter- 
essant erscheinende Stellen aus den an mich gerichteten 
Briefen Herrn Strehlows zum Abdruck bringen, möchte 
aber noch zuvor darauf hinweisen, daß in der englischen 
Zeitschrift Kolk-Lore, Bd. XVI, S. 428 ff., Auszüge aus 
einem Briefe von Herrn Strehlow an Herrn N. W. Thomas 
erschienen sind, deren Inhalt sich teilweise mit dem von mir 
zur Veröffentlichung Gewählten deckt. Ich bemerke noch, 
daß ich einige Male, ohne im geringsten den Sinn zu 
ändern, etwas abgekürzt habe. 

Die große Schwierigkeit der Erforschung schildert zu- 
nächst folgende Briefstelle: 

„Hermannsburg, ti. Juni 1!<06. Wie Sio wissen, 
sind die australischen Schwarzen im allgemeinen ge- 
borene Lügner; da heißt es prüfen und immer wieder 
prüfen. Dem Weißen und sonderlich dem Missionar 
gegenüber wollen sich die Schwarzen oft in einem besseren 
Lichte zeigen und geben dann ihren Sagen manchmal 
einen christlichen Anstrich. In dieser Beziehung war 
auch Missionar Kempe nicht vorsichtig genug; ich glaubte 
ihm, der etwa 15 Jahre hier gearbeitet hat, folgen zu 
dürfen, besonders da mir von einigen christlichen Schwarzen 
die von ihm aufgezeichneten Anschauungen bestätigt 
wurden, so z. B. die Ansicht, daß Altjira die Menschen, 
auch die Totems usw. gemacht habe. Auf weitere Nach- 
forschungen, die ich mit Heiden anstellte, fand ich doch 
manches anders. Man darf einem Schwarzen niemnls 
seine eigene Ansicht entwickeln und dann die Frage 
stellen: Verhält sich die Sncho so? Diese Frage wird 
von dem Sohwarzen meistens bejaht werden, da der 
Schwarze einem Weißen mehr Weisheit zutraut als sich 
selbst. Bei dieser Fragestellung linde t man oft nur die 
eigene, vorgefaßte Meinung von den Schwarzen bestätigt. 
Die Frage mnß vielmehr lauten: „Was haben eure Alten 
in dieser Angelegenheit gelehrt':" 1 Denn manche Schwarze 
sind pfiffig genug, selber Antworten zu erftudeu. Auf 
diese Weise findet man allmählich, indem man immer 
wieder nachprüft, das Richtige." 

In seinem ersten Briefe hatte Herr Strehlow mir über 
die Erschaffung der Menschen durch den im Himmel 
wohnenden Altjira geschrieben, wobei Einzelheiten mit 
den späteren Berichten nicht recht stimmen wollten; dar- 
auf bezieht sich die Bemerkung in vorstehendem Brief. 
Von Missionar Kempe ist ein Aufsatz über die Sprache 
der Stämme an den MucDonell Rangvs (Transact. R. S. of 
South Australia, Bd. XIV) erschienen, sowie eine Beant- 
wortung eines Fragebogens in den MitL d. V. für Erd- 
kunde zu Halle, 1883 abgedruckt. 

Weiter schreibt mir Herr Strehlow: 

„Hermannsburg, den 9. Februar l!»0f>. Die Vor- 
stellung und der Glaube au ein höchstes, gutes Wesen 
findet sich bei allen Aranda- Schwarzen. Der Gott der 
Aranda wird Altjira genannt, doch ist derselbe ein tiber- 
weltlicher Gott, der mit den Menseben sehr weuig zu tun 
hat. Seine Gestalt ist dio eines großeu Menschen. Seine 
langen Haare fallen über die Schultern herab, doch hat 
er die Füße des Emu, weshalb er Altjira iliiuka genannt 
wird. Kr ist von roter Hautfarbe. Bekleidet ist er mit 
einum netzartigen Gewand. Er ißt latjia {rübenartige 
Erdfrüchte), die niemals vertrocknen, sowie wohl- 
schmeckende Beeren, wie agi und lalitja, die im Himmel 
stets frisch sind; auch genießt er das Fleisch des Emu, 
der zu den dortigen Quellen kommt und von ihm gespeert 
wird. Es ist umgeben von schönen Jünglingen und.Iung- 
frnuen. die unsterblich sind." 



„Hermanns bürg, 8. April 1906. Nach meinen 
bisherigen Forschungen glauben die Aranda ganz be- 
stimmt an dos Dusein eine» Himmelsgottes, Altjira ili- 
inka genannt: die Sterne sind »eine Lagerfeuer, die Milch- 
straße sein Jagdgrund usw. Nur einzelne besonders 
hervortretende Sterne, wie der Abendstern, das Sieben- 
gestirn usw., sowie Sonne und Mond sind Vorfahren der 
Aranda, die einst auf Erden gelebt und bestimmten 
Totems angehört haben, wie dies aus den Traditionen 
hervorgeht. Von diesem Altjira, der im Himmel wohnt, 
von dem keine Tjurunga (Spencer und Gilten schreiben 
Churinga) existiert, werden deutlich unterschieden die 
mit überirdischen Kräften ausgestatteten, göttlich ver- 
ehrten Vorfahren, die zum Teil als Tiere, zum Teil als 
Menscheu auf Erden lebten. Diejenigen, die in Menschen- 
gestalt aufgetreten sind, sind jedoch mit den Fähigkeiten 
und Eigenschaften solcher Tiere, Vögel usw., von denen 
sie ihren Tntemnamen tragen, ausgestattet gewesen." 

„Hermannsburg, 19. September 1906. Ich bin 
jetzt damit beschäftigt, die Traditionen usw. der Loritja 
zu sammeln. Dabei habe ich gefunden, daß die Anschau- 
ungen der Loritja, die sich selbst Kokutja nennen, in den 
Hauptzügen mit den Anschauungen der Aranda überein- 
stimmen. Auch die Loritja kennen ein höchstes Wesen, 
das im Himmel wohnt, Tukura genannt, von diesem sind 
unterschieden die Takutiba, die Totem-Götter, die ebenso 
wie die Altjira-ngamitjina (Totemgötter der Aranda) zum 
Teil in Bäume und Felsen, zum Teil in Tjurunga (Chu- 
ringa) verwandelt worden siud. Da sich bei den Dicri 
ähnliche Anschauungen finden, so darf man wohl den 
Schluß ziehen, daß unter vielen australischen Volker- 
schaften ähnliche Ansichten vorhanden Bind. Unter den 
drei erwähnten Stämmen werden die Totem-Götter von 
dem höchsten Gott in folgender Weise unterschieden : 
Die Dieri nennen das höchste Wesen Mura, dagegen die 
vergötterten Vorfahren oder Totem-Götter Mura-Mura, 
die Aranda nennen das höchste Wesen Altjira (der Un- 
geschaffene), dagegen die Totem-Götter Altjira-ngamitjina 
(d. h. die ewigen Ungescbaffenen) oder auch lntrara 
(d. Ii. die Unsterblichen). Die Loritja nennen das höchste 
Wesen Tukura (der Ungeschliffene), dagegen die Totem- 
Götter Tukutita (die fortwährenden Ungescbaffenen)." 

„Hermannsburg, 6. Juni 1906. Das Wort Altjira 
ist ein Substantiv. Vou jedem Substantiv kann man in 
der Arandasprache durch Anfügung der Endung erama 
ein Verb bilden mit dem Begriff des Werdens, z. B. atna 
dor Mann, atuerama ein Mann werden. Grammatisch 
richtig würde es sein, das Verbum altjir-erama = träumen 
zu fassen als „ein Gott werden". (So hatte es Herr 
Strehlow auch in einem früheren Brief getan. Siehe auch 
Folk-Irfire, Bd. XVI, S. 430.) „Nun gibt es aber auch 
ein Verbum rama = sehen, also Altjir-ratna = Gott 
sehen. Daß letzteres der Sinn von Altjirerama— träumen 
ist, geht klar aus einer Vergleichung mit dem entspre- 
chenden Loritja-Worte hervor; in dieser Sprache heißt 
träumen tukura-mungani, Tukura = Gott, mangaüi = 
sehen. Gott werden würde im Loritja beißen Tukura- 
ringani. Will mau das Substantiv „Traum" bilden — 
der Eingeborene sagt aber nicht: Ich habe einen Traum 
gehabt, sondern: mir hat geträumt = altjire-raka — 
so müßte Traum = altjirerinja sein. Was heißt nun 
das bei Spencer und Gilleu sich lindende Wort Aleboringa V" 
(Die beiden Autoren übersetzen es mit dreamtime; es ist 
diu Zeit der Wunderungan der mythischen Vorfahren.) 
„An irgend ein Substantiv kann man die Endung rinja 
setzen, mit der Bedeutung „gehörend zu etwas", „lebend 
an einem I'latz", t. B. pata ~ Stein, Gebirge, paterinja 
j = die Gebirgsbewohner , alkira = Himmel, alkirarinja 
-- die Hinimelsbewohner. die Himinlichen. Demnach 



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M. Freiherr v. Leonhard*: C'ber einige religiöse und totemistisehe Vorstellungen u»w. 287 



bedeutet Altjirarinja — die Göttlichen und Alta (=Tag). 
Altjirarinja int die Zeit, in der die Götter gelebt haben; 
ihre Vorfahren nftmlich, die aie zu Göttern erhöhen babeo." 

Daß die Aranda an ein höchstes Wesen, einen Gott, 
glauben, hatte sohon früher Missionar Keinpe berichtet 
(Mitteil, des Ver. Tür Erdkunde zu Halle, 1883, S. 53). 
Spencer und Gilten wollen bei deu Aranda keinen Bolchen 
Glauben gefunden haben; bei den nördlicher wohnenden 
Kaitish dagegen berichten sie von einem im Himmel 
wohnenden Atnatu, der in allen wesentlichen Puukton 
mit dem von Herrn Strehlow beschriebenen Altjira über- 
einstimmt; aber Atuatu, sagen die beiden Autoren (Nor- 
thern Tribes, S. 503) stehe ganz für sich; auch bei 
den anderen von ihnen untersuchten Stimmen finde sich 
nichts derartiges. Merkwürdig bleibt dabei, daß Gilten 
für den 4. Teil des Report of the Horn Expedition to 
Central Australia einen Aufsatz geliefert hat, in dem es 
auf S. 183 beißt: „The sky ig said to be inhabited by 
three persona — a gigantic man with an immense foot 
ehaped like that of the einu, a woman and a ohild, who 
neTer develops beyond childhood. Tbe man is called 
Ulthaana, meaning spirit" Der Riese im Himmel mit 
Emufuß dürfto mit Altjira identisch sein. In den zwei 
gemeinsamen Werken von Spencer und Gillen kommen 
die Autoren nicht auf diene ältere Angabe zu sprechen, 
widerlegen sie aber auch nicht als« unrichtig, obgleich sie 
sonst wohl («. B. Native Tribes, S. 888, Antnerk.) Be- 
richtigungen bringen. 

Bezüglich der höchst merkwürdigen Anschauung, daß 
das höchste Wesen Emufüße habe, will ich darauf auf- 
merksam machen, daß Günther (Graromar and Vokabulary 
of the Wirradhuri in Threlkeld, An Australian Language, 
ed. J. Fräser, 1892, S. 94) von Baiamai, dem höchsten 
Wesen der Stamme bei Wellington, sagt, es habe Füße 
wie ein Emu. Sonst tri U 11 l.'I'ü ich mich nicht, bei Beschrei- 
bungen australischer Gottheiten auf eine gleiche Angabe 
CLietoßen zu sein; dagegen kommt in einer Kamilaroi- 
Legende, worin ein Zauberer sich auf den Weg macht, 
um Baiamai zu sehen, ein ganzes Volk mit Emu fußen 
vor, das dem Wanderer feindlich entgegen tritt. (Science 
of Man. N.S., Bd. I, S. 117.) 

Der uns von Herrn Strehlow vorstehend geschilderte 
Altjira iliinka gleicht dem auch für andere niederste 
Völker nachgewiesenen höchsten, im Himmel lebenden 
Gott. Die Angaben über diese höchsten Wesen sind zwar 
oft und viel bestritten, die Entstehung dieses Glaubens 
christlichen Einflüssen zugeschrieben worden; nach den 
umfassenden Forschungen Andrew Längs in seinem 
„Making of Religion" und einer Reibe weiterer Veröffent- 
lichungen dürft« das Vorhandensein einer solchen Vor- 
stellung jedoch als aicher anzunähen sein. In diesem Sinne 
hat sich auch erst ganz kürzlich 0. Ehrenreich (Zeitschrift 
für Ethnologie 1906, S. 586) in überzeugender Weise 
ausgesprochen, und N. W. Thomas hat die Behauptung, 
daß z. B. Baiamai, das höchste Wesen der Kamilaroi- und 
Wiradjuri-Stainme, der Einwirkung christlicher Einflüsse 
seine Entstehung verdanke, bestimmt zurückgewiesen (Man 
1905, Nr. 28). Irgend welche christliche Einwirkungen 
kann man, glaube ich, bei Entstehung der (iottes-Vor- 
stellung der Aranda und Loritja absolut ausschließen; 
ich finde nichts, was darauf hindeutete. Ob man gut tut, 
das Wort „Gott" auf ein solches Wesen anzuwenden, kann 
ja immerhin fraglich erscheinen; wenn man sich aber da- 
rüber klar ist, was unter einem solchen höchsten „Gott" der 
niedrigsten Naturvölker verstanden werden soll, so ist die 
Bezeichnung nicht bedenklicher als jode andere, z. B. die 
von A.W. Howitt (Native Tribes of S. u. East Australia, 
1904, und auch schon früher) gebrauchte: „Allfathur". 
Auf Altjira würde letztere entschieden weniger gut passen; 



anf die von Howitt beschriebenen höchsten Wesen der 
Yuin, Kurnai, Wiradjuri usw. ist sie dagegen anwendbar. 
Denn bei Altjira, soweit wir bis jetzt unterrichtet sind, 
fehlen gewisse Eigenschaften, die bei Daramulum, Mun- 
gan-ngaua, Baiamai usw. angegeben werden. Es feblt 
die Vorstellung, daß das höchste Wesen der Aranda 
Wächter gewisser Vorschriften des Kulte und der Stammes- 
moral ist, daß es straft, wenn diese seine Gebote über- 
treten werden. Es fehlt eine Beziehung Altjir&s zu den 
Beschneidungszeremonien und der Jünglingsweihe über- 
haupt; es feblt ebenso eine Beziehung zum Schwirrholz, 
dessen Ton in Südostaustralien als Stimme der der Ein- 
weihungsfeier vorstehenden Gottheit ganz allgemein an- 
gesehen wird. Einige dieser fehlenden Züge finden sich 
dagegen bei Atnatu der Kaitish (North. Tribes, S. 347, 
498 und sonst); dieser hat das Scbwirrholz zuerst 
gemacht, er hält darauf, daß os bei der Jünglingsweihe 
geschwungen wird. 

Befremden wird vielleicht die Bemerkung, die Herr 
Strehlow bezüglich eines höchsten WeseDs Mura bei den 
Dieri am Lake Eyre macht. Da er aber diesen Stemm 
aus seiner dortigen mehrjährigen Tätigkeit kennt, so ist sie 
immerhin beachtenswert, um so mohr, als Herr Missionar 
J.G. Reuther mir in einem Brief d. d. Killalpanina, 14. Mai 
1906, eine ähnliche Ansicht ausspricht; er schreibt: „Ohne 
allen Zweifel steht es fest, daß das Leben der verkannten 
australischen Naturvölker von religiösem Geist besoelt 
ist. Sie kennen nur einen Gott, einen strafenden und 
gerechten — natürlich keinen barmherzigen (Mura, Alt- 
jira usw.)" 1 ). Unsere Kenntnis der Dieri beruhte seither 
wesentlich auf den Angaben S. Gasons (Mannen and 
Custoras of tbe Dieyerie Tribe, 1874; wieder abgedruckt 
bei Woods Native Tribes of Soutb-Australia, 1870, und 
Curr, The Australian Race, Band II, 1866) und ver- 
schiedenenAufsitzen Howitta (Jonrn. Anth. Inst, Bd. XX, 
S. 30 u. f., und Ann. Report Smithson. Instit for 
1883, S. 797 usw.), die aber auch auf Angaben Gasons 
im wesentlichen beruhen. Danach glaubte dieser Stemm 
an einen „good spirit", „creator" Mura Mura, von dem 
man mit großer Ehrfurcht spreche; er habe die Menschen 
geformt, die Heiratsgesetze und Totemeinteilung an- 
geordnet, werde um Regen angerufen usw. 

Die sorgfältigen Nachforschungen, die Herr Missionar 
0. Siebert unter den Dieri und deren Nachbar-stummen in 
den letzten Jahren anstellte, und deren Resultate in dem 
Buch von Howitt: Native Tribes of South-East Australia, 
1904, vorliegen, ergaben, daß unter Mura Mura die totemi- 
stiseben Vorfahren verstanden werden, die einst vor dem 
Menschengeschlecht auf Erden lebten. Da» geht aus den 
höchst interessanten Legenden, die Herr Sichert der 
Wissenschaft gerettet hat, zweifellos hervor. Ein Mura 
im Himmel kommt darin nicht vor 2 ). Man mußte also 
annehmen, daß der Gott Mura Mura im Himmel ein Miß- 
verständnis (iasona gewesen war, daß die Dieri einen 
solchen Glauben nicht haben; so faßt es auch Howitt auf, 
noch kürzlich schreibt er (Folk-Loro, 1906, S. 1«6); 
„The Allfather-belief is not found in such primitive tribes 
as the Dieri." l'umöglich ist uun aber der Herren Streh- 



l ) Auch in seinem letzten Brief vom Kt, Februar 1907 
hält Herr Strehlow seine Ansicht t,*anz bestimmt aufrecht; er 
schreibt: ,P»6 die Dieri einen G<>U Je« Himmels kennen mit 
Kamen Mura (richtiger wäre Murr») im Unterschied von den 
Totenivorfahrw (Mura-Mura) kann als feststehendes Resultat 
angesehen werden, da Missionar Reuther, der etwa 17 Jahre 
unter den Dieri gewirkt und ihre Anschauungen aufgezeichnet 
hat, bt-i diu wm Resultat seiner Forschungen gebliehen ist.* 

*) Dagegen in einer Wonkamala- Legende allerdings ein 
im Himmel lohendes Wesen Arawoytya, das einst auf Knien 
gelebt haben solle, ülier das Näheres aber nicht zu erfahren 
war. (NaU Tr. S.-Kast Austr., 8. 479 u. 7»3.) 



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288 M. Freiherr v. Leouhardi: Clier einige religio*«! und t o t« m i h t i a ib b e Vorstellungen u»w. 



low und Reiithcr Auffassung trotzdem ganz uud gar 
nicht, weitere Nachforschungen müssen Klarheit schaffen. 
Wie Herr Siebert, der nicht mehr in Australien weilt, 
zu der Frage sieb stellt, vermag ich zurzeit nicht zu 
sagen. 

Mit zu den bemerkenswertesten Forschungsergebnissen, 
zu denen Spencer undGilleu gelangten, gehören unzweifel- 
haft die von ihnen für alle untersuchten Stämme ange- 
gebenen Ansichten, daß jeder Mensch die Reinkarnation 
eines totetnistiseben Vorfahren s«i, daß nach dem Tode 
jede Seele an ihr Totemzentrum zurückgehe, wo die spirit 
iudividuals in der Zwischenzeit zwischen zwei Reinkar- 
nationen sich aufhielten. Diose Kinderkeitnc gingen in 
die Weiber ein, eine Zeugung durch den Mann sei un- 
bekannt. In der Nahe welche« Totemzentrum« eine Frau 
sich zuerst schwanger fühle, danach bestimme sich die 
Totemzugebörigkcit de» Kindes. 

Nicht wenig erstaunt war ich daher, als mir Herr 
Strehlow zunächst schrieb, er könne einen Reinkarnation*- 
glauben bei den Schwarzen nicht auffinden; es müsse ein 
Mißverständnis vorliegen. Da Spencer undGillen aber mit 
solcher Bestimmtheit und mit solchem Nachdruck von 
der Sache sprechen (». B. North. Triboe, S. 174: „Iu 
every tribe without exception the belief in reinearnation 
ig universal. Every individual is the reinearnation of 
a spil it left bebind by totem ic ancestors in n fnr past, 
tirue"), so bat ich Herrn Strehlow nochmals, nauuntlich 
die alten Männer und Zauberer auszuforschen, worauf 
er auch bereitwilligst einging; er schrieb mir: 

„Hermanosbnrg, 9. Februar 1905. Ich habe nun 
aber die vou Ihnen erwähnten Punkte sorgfältige Nach- 
forschungen angestellt, ich habe zu verschiedenen Malen 
verschiedene Schwarze ausgeforscht, darunter 3 Zauber- 
doktoren, die als Träger der Tradition gelten, die im 
Heidentum groß geworden sind und von denen einer, der 
jetzt noch Heide ist, früher ein großes Ansehen unter 
•einen Volksgenossen besessen hat. . . . Ich habe den 
Schwarzen die Ansichten Spencers und (iillens vorgelegt 
und ihnen so deutlich als möglich erklärt, um was es 
sich handelt, doch alle Schwarzen bezeichneten diese An- 
schauungen als unrichtig. Es tindet sich allerdings ein 
geringer Anhaltspunkt für diese Anschauungen in ihren 
Traditionen, doch von einer Reinkarnation der Vorfohren 
zu reden, ist nicht richtig." An verschiedenen Plätzen 
gäbe es zahlreiche ratapa (Ursprünge von Menschen, 
ungeborene Menschen, die Leib und Seele haben, jedoch 
unsichtbar seien); die Ursprünge männlichen (■ «schlecht» 
befanden sich in Felsen, Bäumen oder in den darauf 
wachsenden Mistelzweigen, die weiblichen Geschlechts 
meist in Felsspalten. Jeder ratapa gehöre einem be- 
stimmten Totem an, und die ratapa« desselben Totems 
seien an bestimmten Plätzen vereinigt. Das rühre daher, 
daß in der Urzeit die Totemvorfahren, „milde geworden" 
von ihren langen Wanderungen, an den betreffenden 
Stellen in die Erde gegangen seien; ihre Leiber hätten 
sich in Felsen, Bfiuino usw. verwandelt, ihre Seelen seien 
in einer unterirdischen Höhle versammelt. In diesen 
Felsen oder Bäumen seien die Kinderkeimu entstanden 
und gingen von dort aus. „Geht nun ein» Frau, die 
einpfiiiigt, an solchem Mistelzweig bzw. Felsspalt vorbei, 
so gebt ein ratapa als erwachsener Jüngling bzw. Jung- 
frau mit Leib und Seele in ihren I<eib hinein, wodurch 
Schmerzen und Übelkeit verursacht werden. Uuranf 
wird der ratapa im Mutterleib kleiner, In* er später als 
Kind geboren wird. Ist nun ein Apuia (=r Schlange) 
ratapa in die Mutter eingegangen, so gehört das Kind 
zum Totem der Apina usw. Stirbt ein Mann, so gebt 
seine Seele (etami) nicht nach dem Totem/.entrenplatz, 
sondern nach Norden, nach der Toteniusel Laia, wo sie 



zunächst bleibt, bis es auf Erden regnet und grünes Gras 
wächst; nun wandere die Seele hin und her, bis sie einen 
Baum mit weißer Rinde (ilnmba) erblickt, vor dem sie 
erschrocken zurückweicht Nun begibt sich die S*ele 
noch ihrem früheren Wohnplatz auf der Erde und spricht 
zu ihren früheren Freunden: »Nehmt euch in acht, damit 
euch nicht dasselbe Schicksal wie mich trifft!« Hat der 
Gegtorbene ein kleines Kind auf Erden zurückgelassen, 
so geht die Seele des Gestorbenen in dasselbe ein und 
bleibt in demselben, bis dem erwachsenen Kinde der Bart 
wächst, worauf die Seele des Vaters wieder ausfährt. 
Ist dagegen der Sohn des Gestorbenen schon erwachsen, 
so stellt »ich die Seele des Vaters hinter seinen Sohn and 
wartet, bis dessen Weib einen Sohn bekommt, worauf die 
Seele des Gestorbenen in seinen Enkel eingeht und in 
demselben so lange bleibt, bis derselbe erwachsen ist, 
worauf sie wieder ausfährt. Nachdem nun die Seele aus 
dem Enkel ausgefahren ist, wandert sie hin und her, bis 
sie schließlich von einem Blitzstrahl vernichtet wird. 
Die« Aurhören dos Seelenlebens wird von den Schwarzen 
auf das bestimmteste behauptet Man kann also nicht 
von einer Reinkarnation sprechen, sondern nur von einer 
zeitweiligen Eiuwohnung der Seele des Vaters oder Groß- 
vaters in seinem Sohn oder Knkel*. 

Dieser Bericht ist nicht durchaus klar und wahr- 
scheinlich nicht vollständig; vor allem erfährt man nicht, 
was aus der Seele der Frauen wird. Ferner müßte man 
dem Wortlaut zufolge annehmen, daß die Seelo eines 
Vaters oder Großvaters nur in einen Sohn oder Enkel 
eingeht Ob das richtig ist? Violleicht werdon weitere 
Nachforschungen Klarheit schaffen. Mit der Darstellung 
bei Spencer und Gilten sind Herrn Strehlow« Fest- 
stellungen in keiuer Weise in Einklang zu bringen. Wie 
sieb der Widerspruch der beiden Berichte erklären läßt, 
vermag ich nicht einzusehen. Anfangs glaubte ich, daß 
vielleicht im Osten und Westen des Araudagobictea ver- 
schiedene Anschauungen herrschen könnten-, aber Herr 
Strehlow will das nicht gelten lassen: .Es wird mir auf 
das bestimmteste vou unseren Schwarzen, die ja mit den 
in Alice Springs sowohl, als den in Süden wohnenden 
zusammonkoiumen, versichert, daß alle Aranda dieselben 
mythologischen Anschauungen haben, in der Hauptsache 
natürlich, in Nebenpuukten mögen sie differieren." 

leb möchte noch darauf hinweisen, daß Missionar 
Schulte, früher ebenfalls langjähriger Missionar in Her- 
mannsburg, in den Trans. R. Soc. of South Australia, 
Bd. XIV. einen Aufsatz veröffentlicht hat, worin er 
auf S. 244 schreibt: „By laia they understood a lake 
north fron) here, on whose »hores the souls live, and eat 
the best of food which, eRpecially fruit, is found there in 
great abundance", und daß Gillcn (Report Horn Exped., 
Bd. IV, S. 183) berichtet, die Seele ginge »nächst 
in den Himmel zu dem großen Ulthaana, werde von 
diesem aber in das Salzwasser gestürzt woraus sie vou 
zwei wohlwollenden Ulthaana gerettet werde, die am Ufer 
wohnten; mit diesen Geistern lobe die Seelo dann weiter 
zusammen. Daß diese Angabeu Gillens in keiner Weise 
mit der später berichteten HeinkarnationBlehre stimmen, 
ist klar; aber auch in diesem Fall erwähnen die Autoren 
mit keinem Wort diese ältere Dnr«tellung, noch suchen 
sie den Widerspruch zu erklären-, einen Widerspruch, 
auf den auch schon Andrew Lang (Secret of the Totem, 
S, Hl u. f.) hingewiesen hat. 

Weitere Forschungen von Herrn Strehlow haben er- 
geben, daß es noch andoro Formen gibt, wie Kinder in 
die Weiber eingehen können. Eine nähert sich sehr der 
vonS|n>iuur uud Gilluu als allein herrschend angegebenen, 
weicht aber doch wieder in sehr wesentlichen Punkten 
davon ab. Ich entnehme die folgenden Sätze aus dorn 



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M. Freiherr v. Leonharde Cbor einig«- religio»« und tolemiitisuhe Vor»tell ongen usw. 



mir zur Einsicht zugeschicktem Manuskript Herrn Streb- 
Iowa: „Die atua ngautja, d. h. die in den unterirdischen 
Höhlen wohnenden Seelen der ToteniTorfahren , können 
auch in die Weiber eingehen, wenn sie wieder in das 
irdische l^ben zurückkehren wolleu, obwohl dann ihr 
endliches Loa — - völlige Vernichtang ist Ein solches 
atua ngantja kommt abends au« der Erde hervor und 
»tollt sich neben einen Baum oder Feld. Eine vorbeikom- 
mende Frau Bieht nun diesen atua ngantja dort stehen; 
sobald sie sich nähert, ist er plötzlich verschwunden ; un- 
mittelbar danach empfindet sie einen heftigen Schmerz 
in beiden Hüften, der atua ngautja hat sie mit seinem 
Stock geworfen und ist in sie eingegangen. Sie bekommt 
später ein Kind mit hellen Haaren (punga ilbartja), 
während die Kinder, die von Felsen oder Mistelzweigen 
L'iugvgfitigen sind, alle schwarze Haare haben. Nach 
dem Tode eines solchen bellhaarigen Menschen geht 
dessen Seele, wie alle anderen, nach der Toteninsel Laia 
und dann der endlichen gänzlichen Vernichtung ent- 
gegen. Auch in Tier- und Pflanzengestalt kann ein 
Kind in seine Mutter eingeben. Empfindet z. B. eine 
Frau die ersten Anzeichen der Schwangerschaft unmittel- 
bar nachdem sie ein Känguru gesehen hat, das davon 
lief und plötzlich ihren Augen entschwunden war, so 
besteht kein Zweifel, daß sie spater ein Kängurukind 
gebären wird. Oder hat die Frau nach reichlichem Ge- 
nuß irgend einer Fruoht die entsprechenden Vorzeiohen, 
so hat sie ein Kind des Totems der betreffenden Pflanzen 
empfangen." 

J. (r. Frazer hat in Fortnightly Review, September 
1905, die Hypothese aufgestellt, daß aus Anschauungen, 
wie die latztberichtaton, der Ursprung des ganzen Tota- 
mis mus sich ableiten ließe. Man braucht sich dieser 
Ansicht nicht anzuschließen, muß aber doch gestehen, 
daß die Theorie des englischen Forschers durch die bei 
den Aranda festgestellte Auffassung eine Stütze er- 
halten hat 

Missionar L. Schulze schreibt a. a. 0., S. 242 von den 
Tjurungahölzern oder -steinen (den Churingas Spencers 
und Gillens): „Those tjarunga arknanoa were altjira, 
that is, were not made" und auf S. 2:18 wird berichtet, 
daß am Grab „an excavation is made at tho bottoui on 
the aide toward their Amara (= Lagerplatz) altjira i. e. 
tbe place whero the mother of the dead person was born." 
Welches die Bedeutung von altjira im letzteren Fall ist 
wird nicht angegeben; klar ist, daß in beiden Fällen das 
Wort altjira adjektivisch gebraucht wird. Auf diesen 
Umstand machte ich Herrn Strehlow aufmerksam und 
ersuchte ihn, auch auf den adjektivischen Gebrauch des 
Wortes achten zu wollen. 

Dies führte nun zu folgender sehr wichtiger Ent- 
deckung: „Hermanneburg, den 19. September 1906. 
Ich habe dieser Tage nochmals den Artikel von Missionar 
Schulze durchgelesen...; was er über tmara altjira sagt, 
konnte ich nioht recht mit meinen Aufzeichnungen in 
Einklang bringen. Ich stellte deshalb weitere Nach- 
forschungen an, und das Resultat war ein überraschendes. 
Ich bekam Aufschluß über manches, was ich noch nicht 
wußte, was auch Spenoer und Gillen entgangen ist: Ein 
jedes Individuum steht in Beziehung zu zwei Totems, 
dem einen Totem gehört er durch Geburt oder richtiger 
durch Empfängnis an, dieses Totem nennt er runga; 
das audere Totem gehört ihm zu, ist mit ihm verbunden, 
hat Gemeinschaft (altja) mit ihm, weshalb er us altjira 
nennt Den Platz, wo sein eigener ratapa (Ursprung) in 
seine Mutter eingegangen ist, nennt er tmara runga 
(mein eigener Platz). Dagegen den Platz, wo der ratapa 
seiner Mutter in deren Muttar, also in seine Großmutter 
mütterlicherseits eingegangen ist, nennt er tmara altjira. 



Somit ist das Totetu-Tier oder -Pflanze seiner Mutter, 
das ihr zu essen im allgemeinen verboten ist, sein altjira, 
das ihm gehört, von dem er essen kann, soviel er will. 
Diese Sache ist wichtig genug, um aie an einem Beispiele 
klar zu machen. Hier auf der Station lebt, ein Mann 
mit Namen Ebalanga, sein eigenes Totem ist eine Tjumba 
(Iguana), d. h. ein Tjumba- ratapa ist an einem Ort 
Paraintenta in seine Mutter (mit Namen Kaputatjalka) 
eingegangen, die ihrerseits zu dem Totem wonkara (wilde 
Ente) gehört Da nun Ebalanga dem Totem der Tjumba 
angehört, so muß er alle Tjumba als seine Freunde, ja 
als seine Verwandten ansehen, da er nach Ansicht der 
Schwarzen selbst ein Tjumba ist er darf ein Iguana nur mit 
größter Schonung töten, nur den Schwanz und die Beine 
essen. Den Platz Paraintenta nennt Ebalanga tmara- 
runga, d. h. mein eigener Platz. Dagegen die wonkam, 
das Totemtier seiner Mutter, ist dem Ebalanga soin 
deba (= Vogel) altjira, sein ihm zugehöriger Vogel (das 
Adjektiv altjira kommt jedenfalls her von altja = mir 
angehörig), derselbe ist mit ihm verbunden, ist unter 
anderem sogar sein Schutzpatron, von dessen Fleisch er 
sich aber nähren darf. Kehrt Ebalanga von einer weiten 
Reise zurück und schläft vielleicht eine TagoroiBc von 
der Station entfernt, so träumt vielleicht einem seiner 
Freunde auf der Station, daß er wonkara (wilde Enten) 
heranfliegen sähe; er ist dann überzeugt, daß er den 
altjira des Ebalanga gesehen habe, d. h. den dem Eba- 
langa zugehörenden Totomvogel. Eine ähnliche Ansioht 
findet sich auch bei den Loritja." 

Hierzu möchte ich zunächst bemerken, daß mir die 
Ableitung des Wortes Altjira in diesem Fallo von altja 
nicht rocht einleuchten will. Ob sie sprachlich möglich 
ist, kann ich nicht entscheiden. Da Altjira aber, wie 
wir oben gesehen haben, auch die totemistiachen Vor- 
fahren im allgemeinen bezeichnen kann, so scheint es 
mir nicht undenkbar, daß das mütterliche Totem auch 
mit diesem Wort benannt werden könnte. Träumen heißt 
altjir-erama = Gott sehen; also auch die vergöttlicbten 
Vorfahren sehen, die ja, wie oben gesagt, ebenfalls altjira 
genannt werden, und hat man im Traum das Totem-Tier 
oder -Pflanze seiner Mutter gesehen, oder hat ein anderer 
das Totem-Tier oder -Pflanze eines anderen gesehen, so 
hat man eben im Traum ein vergöttlicbtes Wesen, einen 
Altjira, gesehen. Hierüber wären noch genauere Nach- 
forschungen nötig. 

Das große Interesse aber nun, was mir mit der neu 
festgestellten Tatiacho verknüpft zu seil) scheint, liegt 
darin, daß wir deutlich ein mütterlicherseits vererbtes 
Totem vor uns haben. Die Aranda und einige ihrer 
Nachbaratämmo haben eine von anderen australischen 
Stämmen durchaus verschiedene Anschauung über die 
Vererbung bzw. Nichtvererbung des Totems. Infolge der 
Annahme, daß ein Menschenkeim von den verschiedensten 
Totems in jede beliebige Frau eingehen kann, kann es 
keine erbliche Totems geben. Das Kind kann einem 
anderen Totem angehören, es gehört ihm tatsächlich oft 
an, als der Vater oder die Mutter. Bei einigen Nachbar- 
stämmen, z. B, den Warramunga, geht allerdings meist 
bei noch anderen, z. B. den Mara und Bimbinga, immer 
ein Menschenkeim von dem Totem des Ehegatten in eine 
betreffende Frau, so daß das Totem von Vater und Kindern 
ein gleiches ist. Bei den Aranda aber, ebenso bei den 
Kaitish, kann ein Menschenkeim jedes Totems in jede 
Frau eingehen und das Totem des Vaters, ebenso das der 
Mutter spielt dabei gar keine Rolle. So stellen es Spencer 
und Gillen dar, und Herr Strehlow ist derselben Ansicht 
Nun aber erbt nach dem vorliegenden Boricht unseres 
Gewährsmannes ein jeder noch totemistische Beziehungen 
zu dem Totem seiner Mutter. Man könnte daran denken, 



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B. F.: Nordost-Rhodosia. — Büehcrechau. 



daß hier ein l^berroat aus Alterer Zeit, wo das Totem 
durchweg von der Mutter vererbt worden wäre, wie in 
so vielen anderen Stämmen Australiens, sich erhalten 
hätte, und man könnte die eigentümliche Lehre von der 
Konzeption der Kinder für eiu späteres Kntwickelungs- 



produkt halten. Über die Primitivität der Aranda und 
deren Nachbarstamme ist in den letzten Jahren sehr 
eifrig verbandelt worden; die obeu mitgeteilte Tatsache 
seheint auf alle Fälle geeignet, der Diskussion neue 
Gesichtepunkte zu geben. 



Nordost-Ith odeala. 

Über das bisher nur oberflächlich erforscht« Nordost- 
Bhodosia liefert L. A. Wsllnco im Aprilheft des Geogr. 
Journal von 190" eine auf mehrjährige Beiaen gestützte ein- 
gehende Schilderung, die durch eine vorzügliche Übersichtt- 
karte (1 :25©0000) vou O. L. Beringer im großen wie in allen 
Einzelheiten unterstützt wird. 

Nordost -Rhodesia ist eine hügelige Hochfläche (1500 bin 
1800 m ü. d. St.), über der »ich langgestreckte Bergzüge er- 
beben, mit Gipfeln wie der Sunzu (2100 m), nahe dem Sud- 
ende de* Tanganika, und wie der Mpanda (2250 m) am Nord- 
westufer des Njassa-Sees. Die Senkung Our Hochfläche zu 
den Niedsrungen ist fast überall schroff; sie füllt ab im Norden 
zum Tanganika (80Om), im Osten von dem Nvika- Plateau 
(2600 m) und von dem nach Rüden verlaufenden Höhenzug 
(1200 bis 900 m) zum Njassa-See, im Süden von der Wasser- 
scheide Luangwa— Njassa längs de« 14. bis zum 15. Breitengrad 
zum Zambesi und im Westen zum Baugweolo- (1130 m) und 
Mweru-Se« (910m). Breit und tief durchschnitten wird sie 
durch das Luangwa-Tal; der Grund desselben auf der 150 km 
langen Streeks von Mirongo nach Neiwala «enkt sich von 
7*0 auf 450 m hinab, .wahrend an seiner Westseile die Michinga- 
Kette gleichmäßig bis zu 1520 tu Hube sich erhebt. 

Die geologische Beschaffenheit des Gebietes ist ziemlich 
einfach. Der nördliche und schmälere Teil vom Nyika-Platcau 
bis zum Mweru-See besteht aus Bandstoiiischicbtcn, der mittlere 
und größere aus Grauit- und Schiefergestein , überall von 
horizontal gelagerten Laterltmassen bedeckt. Im südwestlieben 
Winkel, im Bereich der Luapula— Zambesi— LuanwgaWasscr- 
scheide, herrseht kristallinisches Kalkgestein vor; man trifft 
fast allenthalben auf grauen und wolBen Marmor, de* von 
Glimmer- und Quarzschichten durohzogen ist. Hier in der 
Umgebung von Bröken Hill, der vorläufigen Endstation der 
Kap — Kairo-Bahn, und bei BwanaMkuba (HO km weiter nörd- 
lich) werden Kupfer. Ittel und Zink in erheblicher Menge 
gewonnen. In diesem Kalkgebirge kommen, jedoch nur am 
unteren Kafue, sehr häufig Gumpen oder Pools vor; sie sind 
bis zu »um tief, an einzelnen Stellen 250m breit und stets 
mit kristallklarem Wasser gefüllt Andeutungen vou Stein- 
kohlenlagern hat man im Norden am Songwe-Fluß uud auf 
dem Nvika- Plateau, im 8üdwe»ten im Tale des Lukasashi und 
Lusenfwa entdeckt. 

Während die anf der Mitte der Hochfläche entspringen- 
den Flüsse wilde Gcbirgsbäche mit kurzem Lauf sind und 
auch der Chambezl erst in der Nähe des Bangweolo-See« zu 
einem trägen Gewisser wird, hat der Luangwa. sotiald er von 
dem Nylka-Plateau herabgestürzt ist, einen gleichmäßig lang- 
samen Verlauf über eine Strecke von «40 km; er mündet nach 



einem kurzen Durchbruch durch ein* Gebirgsenge im Süden 
bei Feira iu den Zambesi. 

Nacli Wallace* Karte ist der Bangweolo-See außerordent- 
lich in neuester Zeit zusammengeschrumpft, selbst im Vergleich 
mit der mir wenigstens als jüngsten bekannten Darstellung 
von Wautere im „Mouvetnent geograpbique" vom 27. November 
189». Auch sonst findet man noch bei Wallaces Darstellung 
de* Bangweolo-See« einige kleinere Veränderungen gegen frühere 
Karten: Der Luapula verläßt bei Panta das Südende des Sees 
und tritt nach einem 80 km langen Lauf bei l'hongola in das 
Sumpfgebiet; Chirui ist keim- In<el, sondern ein aus dem öst- 
lichen Morast hervortretendes Stück festen Landes; der Kampo- 
loiobo-See ist zwar, wie bei Wauters, durch eine hohe Barre 
vom Bangweolo • See abgetrennt , aber dicht an dessen süd- 
lichem l'fer und noch gegenüber der Insel Mbawala. 

Lichte, immergrüue Wälder bedecken den größten Teil 
vou Nordost-RUodesia; eigentümlich ist Ihnen, daß sie sich 
«chon 4 bis 5 Wochen vor der Regenzeit mit frischem, glühend 
rotem Laubwerk schmücken. Was die Fruchtbarkeit des 
Bodens betrifft, so ist sie im ganzen recht kümmerlich; nur 
auf der Hochfläche und nur wo sie gut bewässert ist und* in 
den Niederungen an den Flußräuderu gibt es viele, aber weit 
zerstreute Strecken, die sich zum Farmbetrieb eignen. Am 
meisten ist letzteres der Fall im nördlichen Teil des Nyika- 
Plateaus, wie bereits im «4. Bande des Globus von 1»03 
(8. .141) ausführlicher erwähnt wurde; dann im Südosten auf 
der Uft50<ikm großen Hochfläche und der Umgebung des Fort 
Jamesou uud schließlich im Südosten in der Gegend von Bröken 
Hill. Im Luangwa -Tal gedeiht trotz der tropischen Hitze 
keine tropische Vegetation, weil die Trockenzeit allzu lange 
dauert und die Südostwinde versengend wirken. Doch würde 
sich der vortreffliche, über 400 km sich ausdehnende Alluvial 
boden das Tale« nach Wallace« Meinung ganz besonders zum 
Baumwollbau eiguen. 

Ungemein reich ist ganz Nordost-Rhodesia an jagdbaren 
Tieren ; namentlich das Luangwa-Tal zeichnet sich durch eine 
Menge von Klefanten, Rhinozeros, Giraffen, Löwen und Anti- 
lopen au«. Erwähnt sei auch, daß nach der Aussage der Ein- 
geborenen au den Tümpeln im Kalkgebirge im Südwesten da« 
.Wasserrhinozeros* (Chibekwe) haust, das von dem Fleisch 
der Flußpferde sich ernährt. 

Die Bevölkeruug des ungeheuer weiten Gebiets beträgt 
nur gegen 40o 000 Seeleu ; im allgemeinen kommen nur zwei, 
ja häufig kaum eine Seele auf den Quadratkilometer. Die 
grüßte Dichtigkeit, d. h. 5 Seeleu auf den Quadratkilometer, 
besitzt das Hochplateau um Kort Jameson; hier befindet sich 
eine stet« anwachsende Niederlassung eingewanderter Zulus, 
die hauptsächlich mit Viehzucht sich beschäftigen. B F. 



Bücherschau. 



F. BalUer, Die Architektur der Kultbauten Japans. 
Mit 329 Abbildungen. Berlin, W. Ernst & Sohn, 1907. 
10 M. 

Fünf Jahre hat der Verfasser, Baurat und Kixcubahner, 
in Japan zugebracht und in dieser Zeit mit großer Liel>e und 
Sachkenntnis die dortige Architektur studiert, zunächst die 
profanen, dann die so eigenartigen Kultbautcn, die bisher 
einer eingehenden Beschreibung entbehrten. Donn auf alle 
anderen Seiten der Japaner hat man sich bisher mit Feuer- 
eifer geworfen, nur die Bauten, die der Schintoismus und 
der Buddhismus dort schuf, blieben so gut wie unberücksich- 
tigt. Selbst in der japanischen Literatur ist die Ausbeute in 
dieser Beziehung nur gering, doch «Und ein gebildeter ja- 
panischer Architekt, l>r. Ito, dem Verfasser beratend zur 
Seite, wenn auch bezüglich der kunstgescbicbtlichen F.nt- 
wickclutig manche Lücken in dem Werke klaffen. Selbst- 
verständlich liegeu die Anfänge bei der von China über- 
kommenen buddhistischen Kunst, aber es hat sich, wie 
BalUer nachweist, die japanische Bauweixc in den Arten 
ihrer Zierweise und besonders in der Dachge.taltung reich 
uud eigenartig entwickelt, so daß «ic selbständige Bahuen 
wandelt, also keineswegs bloß« Nachahmung der chinesischen 
Baukunst ist. 



Von Interesse ist e«, was der Verfasser über die Rnt 
Wickelung des nationalen Schiutostils sagt. Hier liegen auch 
japanische Quellen vor, und wir erfahren, daß bei dieser 
Naturreligion erst im ».Jahrhundert Tempelbauten verwendet 
wurden. 

Auf die architektonischen Einzelheiten des Werkes können 
wir, weil sie den Zwecken dieser Zeitschrift ferner liegen, 
hier nicht näher eingehen. Aber über vieles, was zum Ver- 
ständnis der japanischen Kultbauten auch dem Ethnographen 
wichtig ist, wird dieser hier Belehrung finden, zumal stets 
Zweck und Bedeutung mit den einheimischen Benennungen 
ausführlich erläutert werden. Außer den Tempeln werden 
iu dem Werke, das mit ganz vorzüglichen Abbildungen ver- 
sehen ist, noch einige andere damit im Zusammenhang 
stehend« Bauarten erläutert.. Die No- Bühnen gehören zu den 
Schintotempeln. auf denen durch Schauspieler religiös-zere- 
monielle Tänze aufgeführt werden, dann die mehrgeschossi- 
gen Turmbauten (Pagoden), die in ihrer Form den indischen 
Grabdenkmalen des buddhistischen Kults nachgebildet sind, 
uud die zweistöckigen Tahoto oder Schal/türme. Ist auch 
in dem Werke in erster Liuie die bis iu» Kleinste eingehende 
Schilderung der Architektur die HaupUaohe, so bietet es 
uns doch auch viel Belehrung über den T 



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2!U 



mit dem Kult, int daher auch in rellgionsgescbicbtlieber Be- 
ziehung beachtenswert. 

A. (ielkle, PhysikalischeGeographie. Nach der neuesten 
englischen Ausgabe bearbeitet von Oeorg Gerland, Prof. 

d. Geogr. a. d. Universität Strasburg. «. verbesserte und 
vermehrte Auflage. Mit Abbildungen und einem Anhang 
von Fragen und Aufgaben (Naturwissensch. Elementar- 
bücber 4). Straßburg, K. J. Trübner, 1907. 0,80 M. 

Es geuügt wohl, hier ganz kurz auf die neu«, sechste Auf- 
lage de« al< vorzüglich ülierall bekanuten Büchelchens hinzu- 
weisen, in der die Umänderungen und Vennebrungen der 
neuesten englischen Ausgabe ergänzend eingetragen sind und 
eiuige Zusätze gemacht wurden, die durch die Naturereignisse 
der letzten Jahre bedingt siud. Die naturwissenschaftlichen 
Elementarbäcber haben durch ihre anschauliche Methode, die, 
an das Alltägliche anknüpfend und zu standigen Beobachtungen 
anleitend , elementar und gewissermaßen spielend in die be- 
treffende Wissenschaft einführt, sich so viele Freunde erworben, 
und der Name des Verfassers des vorliegenden Bandchens, der 
auch schon die zwei letzten Auflagen desselben besorgte, bürgt 
so für den Inhalt, daß empfehlende Worte unnötig sind. Gr. 

Prof. Dr. Ren ward BraiuMetter, Ein Prodromu* zu 

e. inem vergleichenden Wörterbuch der malaio- 
poly nesiacben Sprachen für Sprachforscher 
und Ethnographen. 74 S. Lutern, E.Haag, ll'Oö. 

Der mit der Sprachwissenschaft und ihrer Entwickeluug 
Vertraute weis vod einer erschreckend unfruchtbaren Periode 
linguistischer Forschung zu crxählen, während der da» Studium 
der exotischen Sprachen entweder ganzlich außer acht gelassen 
wurde oder — von einigen höchst rühmlichen Ausnahmen ab- 
gesehen — von allerlei Leuten betrieben wurde, denen es an 
der notwendigen Vorbildung durchaus fehlte. Er weiß aber 
auch mit Genugtuung zu berichten, daß seit einigen Jahren 
eine große Veränderung der Sachlage stattgefunden hat und 
daß die allgemeine Sprachwissenschaft einem unerwarteten 
Aufschwung entgegensieht. Die vorliegende Arbeit, die von 
berufener Hand geschrieben worden ist, erscheint als eine der 
schönsten Waffen im Kampfe gegen Gelehrte wie B. Delbrück, 
der «ich ja durch seine .Grundfragen der Sprachforschung" 
für alle Zeiten kompromittiert bat. 

Her Prodromus zerfällt in einen theoretischen , einen 
praktischen und einen kritischen Teil. Der erste Teil stellt 
die Normen für die Abfassung dos vergleichenden malaio- 
polynealschen Wörterbuches fest. Der zweite, der einen Aus- 
schnitt aus dem definitiven Werk gibt, enthält 20 aus den 
Bezeichnungen der Körperteile genommene Artikel. Im dritten 
Teil bat sich der Verfasser ein bestimmtes Sprachwissenschaft- 
lich-volkskundllvhes Thema vorgestellt und dann den Versuch 
gemacht, es nach den Materialien des praktischen Teiles aus- 
zuarbeiten; somit handelt der kritische Teil von höflichen, 
euphemistischen, poetischen, derben usw. Ausdrücken unter 
den Benennungen der Körperteile. 

In der theoretischen Abhandlung wird ausgeführt, dal 
jeder Artikel des zweiten Teiles neuen Absätze haben müsse, 
die folgenden Gesichtspunkten entsprechen: Das Material, 
älteres Material, das Lehngut, der Lautstand, die Wurzel, 
Zugehörigkeit zu dieser oder jener Wortart, die Ableitungen 
vom Grundwort , Bedeutungsf ragen , der Verbreitungsbezirk 
eines Wortes. Diese Postulate werden dann genauer und aus- 
führlicher formuliert. Hinsichtlich des sechsten Absatzes 
möchte ich jedoch davor warnen, auf die Präzis bezügliche 



Fragen mit sprachpsychologischen zu vermengen. Die Pfeile, 
die der Verfasser gegen die .Theorie der nominalen Aus- 
drücke" abschießt, dringen lange uiclit bis zum Kern der 
Sache. Die hier angeschnittene Frage ist rein philosophisch, 
' und ihr» Beantwortung hängt vielmehr davon ab, ob man 
■ sich die Sprache aus dem Reflex oder aus der Notwendig- 
keit, etwas zu bezeichnen, abgeleitet denkt. Vgl. hierzu 
auch meinen spracbpsychologischen Artikel in /. D. M. G., 1906. 

Im praktischen Teil, dar ein deutlicher Beweis für die 
umfassenden und gründlichen Kenntnisse des Autors ist, werden 
auch die Vertreter der Volkskunde unter Gesichtspunkt VIII 
und IX, Bedeutung»- und Verbreitungsfrage viel Bemerkens- 
wertes vorfinden. 

.Schließlich durfte der kritische Teil dem Ethnographen 
nicht weniger Interesse einflößen als dem Sprachforscher. Er- 
wähnt seieti hier einige Arger-, Scherz- und Tabuwörter: Der 
Ärgerliehe sagt im Bikol kamoi, .Tigerklaue", statt .Hand*; 
der Bisaier verwendet im Zorn naknak, .stinkende Fischüber- 
reste 1 , für anak, .Kind*. Das Kawi sagt kaylhau kutu, .Bade- 
platz der Läuse*, für .Nackenhöhle*. Die Makassaren brauchen 
auf dem Meere das gewöhnliche Wort kanre, .essen*, nicht, 
sondern bilden dafür von totuxj, „Schnabel", das Verbum nottou. 

Die Lektüre des vorliegenden Buches läßt den lebbafteu 
Wunsch entstehen, daß es Brandstetter vergönnt sein möge, 
dem Prodromus bald das endgültige Werk folgen zu lassen. 
Allen, die »ich für malaio-polynesiscbe Sprachen interessieren, 
sei die Arbeit des bewährten Linguisten aufs wärmste empfohlen. 

W. Planen. 

Dr. Albert 8almon und Dr. Edmond Pharleville., LeMaroc. 
Son «tat 4couomii|ue et commercial. (Mission du Minister« 
du commerce.) 235 S. Parts, Berger- Levrault u. <o., l»oö. 
3,60 Fr. 

Die beiden Verfasser haben im Sommer 1905 im Auftrage 
des französischen Handebtmlnister» Marokko zu wirtschaft- 
lichen Studien bereist und in dem vorliegenden Buche das 
Beobachtete und der sonstigen Literatur Entnommenes zu einer 
für den französischen Industriellen und Kaufmann bestimmten 
Darstellung verarbeitet. Für die eigene Beobachtung war ihr 
Aufenthalt von .einigen Wochen* (8. 85) leider recht kurz, 
aber sie haben sich nach besten Kräften bemüht, Tatsachen 
zu ermitteln. Wo die Verfasser ihren Studien obgelegen haben, 
wird in dem Buche nicht ausdrücklich bemerkt; es scheint, 
sie sind in Tanger und einigeu anderen Hafenstädten, viol- 
leicht auch in Fes gewesen. Manche Mitteilungen sind natur- 
gemäß recht lückenhaft oder unzureichend, so die über den 
etwaigen Mineralreichtum Marokkos, weil eben über ihn so 
gut wie nichts Sicheres bekannt ist und die Verfasser selber 
ja keine geologische Forschungsexpeditinn ftlbrteu. Die Dar- 
stellung zerfallt in drei Teile. Im ersten wird der Sund der 
Produktion Marokkos und die Möglichkeit, ihn zu heben, be- 
sprochen; im zweiten der Bedarf Marokkos an eigenen und 
fremden Produkten und im dritten — den die Verfasser als 
den wichtigsten bezeichnen — die Form des heutigeu euro- 
päischen Handelsverkehrs mit und in Marokko. Diese drei 
Teile sind außerordentlich klar gegliedert und scharf dispo- 
niert, so daß man sich stets leicht zurechtfindet. Auch ist 
die Darstellung streng sachlich. Alles iu allem geuommen 
darf man wohl sagen, daß nicht nur der französisebe Expor- 
teur und Kaufmanu aus dem Buche lernen kann , sondern 
ebenso der deutsche — trotz seiner vom Verfasser zum Teil 
anerkannten bereits vorhandenen Überlegenheit — und selbst 
der englische Konkurrent. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit Qusuraangabe geblattet 



— Eine kurze Notiz Uber die neue französische Süd- 
polarexpeditiou Cbarcots brachte der Globus auf S. 244 
des Bandes. Über t'harcots Pläne sei nun noch folgendes 
mitgeteilt. Sein Ziel ist die Fortführung seiner Forschungen 
im Grahamlandgebiet. Es »oll ein besonderes Schiff gebaut 
werden, wofür t'haroot selbst die Kosten tragen will, wenn 
es nicht anders geht. Zunächst will Charcot die Lager von 
Versteinerungen genauer untersuchen, die die Nordensjköldsche 
Expedition am Branslield berge und auf der Sf-ymourinsel ent- 
deckt hat. Die hier gewonnenen Sammlungen will Cbarcnt 
nach Ushuaia (Feuerland) bringen oder an einer leicht zu- 
^.'itnglichen Stelle deponieren. Daun soll es nach der Wandel- 
insel gehen, wo Charcot auf seiner erHen Expedition über- 
wintert hat. und von wo aus das unbekannte Gebiet bis zur 
lAjnbetinsel erforscht werden «oll. Wo überwintert wird, läßt 
sich natürlich nicht «igen Der Ort »oll nach Möglichkeit so 



gewählt werden, daß er Scblittenreiscn der Küste entlang und 
ins Innere hinein gestattet. Gerechnet wird anscheinend nur 
mit einer Überwinterung. Die Kosten des ganzen Unter- 
nehmen* schätzt Charcot auf ÖOOO00 M. Für dieses Jahr 
dürfte man die Ausreise kaum zu erwarten haben. 

— Von der Togokarte in 1 : StiOOOO, die Paul Sprigade 
bearbeitet, sind Anfang April zwei weitere Blätter, llismarck 
bürg und Tamberma, erschienen, so daß von d'-m auf zehn 
Blätter berechneten Kartenwerk jetzt nur noch drei ausstehen. 
Blatt Bismarckburg umfaßt den Westen von Mitteltogo, wobei 
besonders die Darstellung de* Gebiets zwischen dem Oti und 
dem Grenzfluß Lnk* von Interesse ist. Weite Lücken zeigt 
die Karte zwischen dem Oti und dem WesUbfall des Ge- 
birges, allerdings handelt es sich zum Teil um unbewohnte 
oder Savannen. Tamberma ist da» nordöstliche Blatt. 



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292 



Kleine Naebriohten. 



Die Landschaft Tamberma greift noch ins französische Gebiet 
hinein. Es fehlt dort nicht an Kouten: wir begegnen den 
Aufnahmen de* verstorbenen l'reil, v. Döring«, Kerstings nnd 
besonder* Meiling. Diera Herren müssen alao mit dem eigen- 
tümlichen Tambennastamm in Berührung gekommen «ein; 
trotzdem verminen wir von ihnen in der Literatur jede Mit- 
teilung darüber; nur Kenting, in dessen Bezirk der Stamm 
wohnt, teilt in der letzten Afrikadeukschrift mit, dall er gegen 
ihn einen „Strafzug" für nötig befunden hat. Auf den beiden 
Blattern erscheinen manche Aufnahmen älterer Reitender zum 
erstenmal in voller Ausführlichkeit. Auf die technische Voll- 
endung und wissenschaftliche Verläßlichkeit der Blatter braucht 



— Linguistische Arbeiten Tiber südamerikanische 
Indianer. Von seinen mehrjährigen Keiscn in Nordwest- 
brasilien hat Dr. Theodor Koch-Grimberg auch ein an- 
sehnliches linguistisches Material heimgebracht, das er nach 
und nach in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht. Beiner 
Arbeit über die Makü (vgl. Globus, Bd. 91, S. 180) ist jetzt 
eine solche über die Uitoto gefolgt. Sie findet sich im .Journal 
de la Societe' des Amöricaniate* de Paris", N. S., Bd. III (1406), 
Ho. 2. Hit dem Namen ,Uitoto* bezeichnet mau eine An- 
zahl Völkerschaften mit verwandten Sprachen , die in den 
wenig bekannten Gebieten zwischen dem oberen Yapura und 
Ic,a, vor allem an den linken Icanebontlüsscn Carapan:t und 
Igaraparanä wohnen. Sie sind eingefleischte Kannibalen, stehen 
auf einer sehr niedrigen Kulturstufe, sind kleinen Wuchses 
und unterscheiden sich durch ihre dunkle Farbe und die 
negerartige Gesichtabildung erheblich von den übrigen In- 
dianern. Gelegenheit zu seinen sprachlichen Aufzeichnungen 
fand der Verfasser in einer kleinen kolumbischen Vitolokolonie 
am unteren Apaporis. — Eiue Arbeit über die Yauapery von 
Georg Hühner in Manaos, erläutert von Koch-Grünberg, 
enthält Heft 1/2 des Jahrgangs 1907 der „Zeitschrift für Ethno- 
logie*. Der Stamm sitzt an dem gleichnamigen linken Nebenfluß 
des Rio Negro. Auf ihn verwiesen hatte Koch bereits in »einer 
Artikelserie .Kreuz und quer durch Nordwestbrasilien" im 
Globus (Bd. «0, R. 314); hier werden jetzt die Yauaperv be- 
sehrieben unter Benutzung auch der Angaben Richard Payer«, 
über die wir im Globus, Bd. W>, S. 3BS, ebenfall« berichtet 
haben. Beide Abhandlungen sind mit guten Abbildungen 

— Wingatcs Reisen in der chinesischen Provinz 
Nganhwei. Im Februar- und Mariheftdes.Geogr.Jouni.' I9ö7 
ist ein Vortrag abgedruckt, den Oberstleutnant A. W. 8. Wingate 
über seine mehrjährigen Reisen im nördlichen und mittleren 
China in der londoner geographischen Gesellschaft gehalten hat. 
Wingate* Aufgabe waren topographische Aufnahmen, die nach 
der mitgeteilten Probe seiner Routen iu Nganhwei und dessen 
Nachbarschaft (in 1 : 1000000) für die exakte kartographische 
Darstellung Chinas von größter Bedeutung zu werden ver- 
sprechen. Überaus gehaltvoll ist auch der Vortrag; er briugt 
eine Fülle wichtiger und interessanter Angaben überhand und 
Volk und ist dazu geeignet, allerlei westlftndische Irrtümer und 
Vorurteile zu bekämpfen. Ks sei hier nur einiges aus Win- 
gatet Angaben Uber die Proviuz Nganhwei (englische Schreib- 
weise Nganbui) berührt. 

Nganhwei ist eine der östlichsten Provinzen Chinas nud 
wird vom Jangtsekiang durchflössen, aber sie ist in viel 
höherem Maße unbekannt als die weiter vom Meere abliegen- 
den Teile Chinas. Wingate erklärt das ganz richtig au» dem 
Umstände, dall die fremden Korscher vor allem das ferne Innere 
gereizt hat, während sie die küstennaheren Gebiete übevsaheu. 
Ks sind im wesentlichen nur P. Harret und Ferdinand von 
Richthofen, denen wir Angaben über Nganhwei verdanken. 
Die Provinz ist unter deu Titipiugkänipfeti furchtbar ver- 
wüstet worden, hat sich aber dank ihrer Fruchtbarkeit er- 
staunlich schnell erholt; zahlt doch die Bevölkerung nach 
offizieller Angabe heute wieder 24 Millionen, was mit einer 
Dicbte von etwa 175 für den Quadratkilometer ungefähr der 
Bevölkerungsdichte von Belgien entspricht. Jangtsekiang und 
der den grollen Seen am Kaiserkanal zufließende Ilwaiho 
scheiden die Provinz in drei Teile von verschiedenem Charakter. 
Nördlich vom Hwailio ist das Land eine von nur wenigen 
Hügeln unterbrochene Ebene mit dürftiger Flora und Fauna 
und mit einer sehr dichten, aber iirmlirhen und schwer ar- 
beitenden Bauernbevölkerung. Die Dörfer sind zum Schutz 
gegen die Überschwemmungen, aber auch gegen Räuber auf 
kleinen Erhöhungen angelegt und mit Wall und Graben um- 
geben. Der midiere Teil /wischen Ilwaiho und Jangtsekiang 
ist halb gebirgig, halb eine mit Seen und tief liegenden libur- 



fluteten Strichen durchsetzte Ebene. Auch hier fehlt es an 
Wald. Die Bevölkerung ist weniger dicht. Die dritte Zone 
endlich, die südlich vom Jangtsekiang, ist gebirgig und hat 
eine verhältnismäßig wohlhabende und recht dichte Bewohner- 
schaft, sowie zunehmende Waldbestämle. Einen gewaltigen 
Verkehr weist neben dem Jangtsekiang der Hwaiho auf, eben- 
so wie die zahlreichen anderen großen Wasserwege, mit denen 
er in Verbindung steht. Doch beleben sie nur chinesische 
Fahrzeuge, europäische sind hierher noch nicht vorgedrungen. 
Von den Städten im mittleren Nganhwei erwähnt Wingate u. a. 
das in der Nähe des Tschauseea liegende Lütschnufu, die 
Heimat der Familie Li. Ihr bekanntestes Mitglied, Lihung- 
tschang, hat in der Nähe sein einfaches Grabmal. Die An- 
wohner des Sees haben eine eigenartige, sonst von Wingate 
nirgends in China beobachtete Methode, sich Wir ihre Felder 
Dünger zu verschaffen. Sie leiten das Seewaaser in Gruben 
und lassen es dort verdampfen; es bleibt ein dunkelgrüner, 
fürchterlich duftender Schlamm zurück, der als Dünger Ver- 
wendung rindet. 

Ein Blick auf Wingates Kart« von Nganhwei und ein 
Vergleich zwischen ihr und unseren sonstigen Karten, z. B. 
den Blättern Nanking und Hankon der Ostchinakarte der 
preußischen Landesaufnahme, zeigt anfs neue, wie wenig ge- 
nau und verlältlich unsere bisherigen kartographischen Dar- 
stellungen auch dieses Teiles von China sind. Der Iiauf der 
grölten Flüsse sieht in Wirklichkeit ganz andere aus, als jene 
meist auf chinesischen Quellen l«ruhenden Karten angeben. 
Das gilt insbesondere vom Hwaiho. Ebenso verhalt es sich 
mit den Seen im Süden und Norden des Jangtsekiangs. So 
erhält der Tschausee nach Wingate eine vollständig andere 
Gestalt. Allerdings haben diese «umpfartigen Gewässer schwer- 
lich feste und unveränderliche Umrisse- 



— Über Dr. Tafeis weiteren Aufenthalt in Tibet 
wird in mehreren Zeitungen wieder ein ungefähr gleichlauten- 
der, etwas aufgeputzter Bericht verbleitet, aus dem wir die 
wenigen Mitteilungen von Belang hier pflichtgemäß mit den 
nötigen Erläuterungen verzeichnen wollen. Wie im Globus, 
Bd. ut, S. 147, erwähnt wurde, weilte Tafel im Sommer IVOS 
einige Wochen in dem bekannten Bunin in Ost-Zaidam. An- 
fang August verlief] er es, wie wir jetzt erfahren, mit einer 
größeren Karawane, mit dem Tanglasehirpe als Ziel. Der 
Marsch ging südwärts zu den Hoanghoquellen, die .gründlich 
aufgenommen* wurden. Von da in südwestlicher Richtung 
ziehend, anscheinend auf Prsehewalskis RouU» von 18*4 und 
später wohl etwas westlich von ihr, erreichte er den Jangtse- 
kiang oberhalb der Stelle, wo Prschewalaki ihn in jenem Jahr 
berührt hatte. Tafel vermochte dort nicht über den Fluß zu 
kommen und zog daher in seiner Nähe aufwärts. Hierbei 
erlitt er einen Jagdunfall, und während er iu seinem Zelte lag, 
erscheinen plötzlich am II. September in einer weit und breit 
anscheinend ganz meuscfaeuleervn Gegend Tibetaner und trieben 
die Tiere fort. Als Örtlichkeit des Überfalls wird der Fluß 
Tschümar unter etwa 94' ö. L. angegeben. Vielleicht liegt 
sie dort, wo Prschewalski 1873 den oberen Jangtsekiang er- 
reicht hat und die Karten eino .Furt Tschimar" verzeichnen. 
Tafel vernichtete seine Insten, um sie nicht zurücklassen zu 
müssen, ging direkt nordwärts nach Zaidam und dann nach 
Sining zurück, wo er um die Jahreswende anlangte. Bald 
nachher hatte er in dem Kloster Kumhum eine Audienz bei 
dem dort gerade weilenden Dalai-Lama; doch ist die Ver- 
mutung, er wäre der erste Europäer, dem das geglüokt, natür- 
lich ein Irrtum. Viel Entdeckerertolg hat Tafel mithin in 
Tibet noch nicht gehabt. Mitte Januar wollte er von Sining 
einen neuen Vorstoß nach Südwesten versuchen. 



— Nach einer Zuschrift von Alfr. 8harpe aus Britisch - 
Zeutralafrika IGeogr. Journal, April 1907, 8. 467) befindet sich 
der Njassa-See nicht in einem kontinuierlichen Fallen, wie 
fast allgemein angenommen wird, sondern sein Niveau fällt 
und steigt dann wieder, und zwar in sehr lange andauern- 
den Perioden, je nach der ebenfalls periodischen Abnahme 
oder Zunahme der jährlichen Regenfälle. Dieses Fallen und 
Steigen beelnflulit natürlich die Schiffbarkeit des Sahire, der, 
ohne eine Barre überwinden zu müssen, glatt aus dem Sod- 
omie des Njaasa-Sees strömt. Gegenwärtig ist der Wasserstand 
dos Sees ein so niedriger, daß der ftchire als Ausfluß beinahe 
aufgehört hat xu existieren, ja, daß dessen obere Zuflüsse 
nicht in der gewöhnlichen Richtung uach Süden in ihn, sondern 
nach Norden in den See münden. Die Verbältnisse sind hier 
ganz ähnlich wie beim Ausfluß des Lukuga aus dem Tanganika, 
der elwnfalls periodisch bald versperrt, bald aufgeschlossen ist. 



Ttrnnt.orUl.hcr Kot.kiei.r: II Stns^r, Schoners;. B*rU n . H»u P t.tT»fc s* liroek? t'rlsdr. Vis«.« u Sah«, niMaschw.«. 



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GLOBUS. 



ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UNI) VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Ps.uk. Dx. RICHARD AND REE. 

VERLAG von FR1EDR. VIEWEG &. SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 19. BRAUNSCHWEIG. 23. Mal 1907. 



Linnä als Ethnologe. 

Von Georg Buschan. 



Gelegentlich der Vorbereitung zu einem Vortrage 
über Linne und »eine Verdienste um die Naturwissen- 
schaft, den ich aulaßlich der 200. Wiederkehr seines Ge- 
burtstages zu halten gedenke, kamen mir bei der Durch- 
sieht seiner Werke auch die Schilderungen der Reisen 
KU Gesicht, die er im Jahre 1741 auf Veranlassung und 
mit Unterstützung der schwedischen Reichsstände in ver- 
schiedene Provinzen Schwedens, insbesondere nach den 
Inseln Oland und Gotland, unternahm und in seinen 
„Öländska och Gothlfindska Resa pä Riksens Höglaftige 
Ständers beseltniug förvitted Ahr 1731. Stockholm och 
Upsala, G. Kiesewetter 1745" niedergelegt hat Die 
Berichte sind in Form eines Tagebuches abgefaßt: in 
fortlaufender zeitlicher Reibenfolge sind Tag für Tag 
die Beobachtungen verzeichnet, die sich seiner In- 
struktion gemäü, wie Linne in der Einleitung her- 
vorhebt, auf das Vorkommen nutzbarer Farbepflanzen, 
auf die Untersuchung von Hrdarten, die zur Her- 
stellung von Porzellan, Tabakspfeifen, zum Walken 
der Tücher usw. benutzt werden könnten , auf die Fest- 
stellang der für den Apotheker wichtigen Gewächse, so- 
wie überhaupt auf das Vorkommen der für den Unter- 
richt in der Naturgeschichte des Vaterlandes in Betracht 
kommenden „Räume und Gewächse, Tiere, Vögel, In- 
sekten usw." bezogen. Mir lag die. deutsche Übersetzung 
„Reisen durch Oland und Gotland, welche auf Defohl der 
bochlöbliohen Reichsstftnde des Königreiches Schweden 
im Jahre 1741 angestellt worden, Halle, gedruckt und 
verlegt von Johann Jacob Curt 17(54" vor. 

Bei dem Studium dieses Reiseberichtes machte ich 
die Beobachtung, daß in die Darstellung Linnes neben 
seiuen die Naturwissenschaft betreffenden Mitteilungen 
sich noch zahlreiche ethnologische Notizen eingestreut 
linden, die meiner Ansicht nach wohl wert sind, nach 
156 Jahren der Vergessenheit entrissen und im Zusammen- 
hange der Öffentlichkeit übergeben zu werden. Vielleicht 
ist damit der Volkskunde gedient. 

Versuchen wir zunächst, uns ein Bild der Bovölkerung 
der von Linne durchwanderten beiden Inseln zu rekon- 
struieren. 

Die Olander schildert uns Linmi als „grobe und 
starke Menschen" — mit grob ist wohl aber kräftig ge- 
baut gemeint — , was daher rühre, daß sie alle stark 
esseu. Au den Bewohnern von Smaland, da» er auf 
dam Rückwege berührte, fiel ihm die Körperlänge auf, 
die meistenteils die der übrigen schwedischen Bevölke- 
rung überträfe. Sie schienen ihm die echten Abkömm- 

Olebi» KCL Nr. 1«. 



lings der alten Goten zu sein. Kreuzungen wären dort 
so gut wie auszuschließen, denn Fremdlinge ließen sich 
nnr selten in Smaland nieder, und die Bauern heirateten 
nur unter sieh. Die Sprache wird auf der kleinen Insel 
F&rö als abweichend von der Gotländer Mundart ge- 
schildert, einmal wegen der Aussprache — die Vokale 
wurden meistens in Diphthong« lanp gezogen — zum 
anderen auch wogen fremder Worte, welche die gewöhn- 
liche schwedische Sprache nicht kannte. — Vielfach tru- 
gen die Bauern noch, wenigstens bei festlichen Gelegen- 
heiten (Kirchgang), ihre von den Altvordern überkommene 
I-andestracht, die sie „so heilig halten als irgend ein 
Fräulein die allerneuoste Pariser Mode". Indessen be- 
kUgt Linne bereits, daß die Bauern von RAne auf Got- 
land ihre volkstümliche Kleidung nur noch selten an- 
zögen. 

Bei den männlichen Bewohnern von Smaland bestand 
die Tracht der Männer in einem langen schwarzen Ka- 
misol mit einem braunen Tuchrande auf jedem Saume 
und einem Hemd, dessen breiter Kragen dem Kamisol 
auflag, und das gestickte Ärmel trug. In Högby (Oland) 
trugen die Knechte Beinkleider von grauem Walmar, 
d. L ungeschorenem Tuch , „so weit wie Bootsmanns- 
hosen", danohen kurze Kamisole. Zur Kopfbedeckung 
diente ihnen der im ganzen Lande übliche Hut mit hori- 
zontaler Krempe. Die Fußbekleidung bildeten Schuhe 
mit dicken hölzernen Sohlen und kleinen Absätzen; bei 
der Bevölkerung von Högby waren sie noch „mit Birken- 
rinde durchschossen". Die Tracht der Weiber bestand 
in Smaland und auch auf Oland in oinem „Leibstück", 
das vorn zusammengenäht und mit Silber versiert war; 
darüber wurde ein weitärmeligee Kamisol gezogen, das 
nm die Hüften durch einen roten Gürtel mit herab- 
hängenden Enden zusammengehalten wurde. Ein Hals- 
tuch, bei einigen mit Seide gestickt, bei anderen mit 
Spitzen verziert, wurde von den Frauen in Högby ge- 
tragen. Außerdem hatten sie noch ein „Laken von west- 
gotischem Zeuge, von der Art, wie es zu Tischdecken 
gebraucht wird, über die Achsel herabhängen, welch oa 
l'/j Viertel breit und mit Fransen verziert war*. Den 
Kopf bedeckt ein weißes, im Nacken zusammengebundenes, 
mit einem Steine (!) geglättetes Tuch. Die Mädchen in 
Smaland gingen unbedeckten Hauptes einher. Bemerkens- 
wert erschien Linne die Tracht der „Wöchnerinnen and 
Kinderträgerinnen" in Högby. Sie trugen Mäntel von 
dickem, schwarzem, ungeschorenem Tuch ohne Ärmel, die 
bis ans Gesäß reichten; an der Stelle der Ärmel eaß ein 



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294 Georg Busehun: Li 



»Fleck von der Gestalt eine« Hufeisens". Die Halzkragen 
standen steif und horizontal um den Hals, die Schürzen 
waren blau , gelb und grün , sowie ganz schmal. — In 
Wisby erschienen die Frauen troti der Htarken Hitze itn 
Sommer zur Kommunion mit schwarzen Kleidern und 
Muffen. 

Die Landbevölkerung pflegte inmitten ihrer Äcker, 
seltener in der Nabe des Waldes zu wohnen. Trotz des 
Reichtums der Inseln an Kalk- und Sandstein wurden 
zumeist nur die Wirtschaftsgebäude aus solchem Material 
aufgeführt, wegen der großen Feuchtigkeit, die diese 
Geeteinaarten anziehen und schon damals das Wohnen 
in solchen Räumen ungesund erscheinen ließen. „Die 
Tapeten verderbten." Zum Schutze gegen die Feuchtig- 
keit bekleidete man, wenn man in solchen Räumen zu 
wohnen genötigt war, die Wände mit Ziegeln. Mit Vor- 
liebe benutzte man daher zu Wohnungsswecken aus Holz 
gebaute Häuser. Die Wände bestanden meistens „aus 
Hohenplanken, welche in andere stehende Planken ein- 
geschlagen waren, ohne Ecken. Die Fugon waren mit 
Leimen (!) ausgeschlagen, um die Ritzen desto besser zu 
verschließen 1 '. Auf Gotland war der Untergrund der 
Gebäude stets aus Kalkstein aufgeführt; wenigstens be- 
klagt sieb Linne, daß an den meisten Orten dieser Insel, 
ausgenommen Wisby, die Keller durchweg deswegen sehr 
feuebt wären, so daß das Bier bald sauer wurde. Das 
Dach pflegte man zumeist nach Art der Väter mit (iras 
zu decken; geleguntlieh kamen wohl auch mit Ziegeln ge- 
deckte Dächer vor, indessen waren sie, sowie der ver- 
einzelt an den Häusern angebrachte Kalkverputz neueren 
Datums. Bei der Herstellung der üblichen Dächer legte 
man auf die Balken des Daches in ein Viertel Kilo Ab- 
stand dünne Fichtenlatten, deren Äste auf der nach 
oben gekehrten Seite ein Viertel vom Stamme abgehauen 
waren. Auf diese Latten kam dann der Rasen von 
Schoenus inariscus zu liegen, der ganz langsam nach- 
wuchs und daher von langer Dauer war. Linne meint, 
ein solcher Dachbelag könnte 20 Jahre lang aushalten, 
wenn nicht die Sperlinge in ihm Würmer suchten. Auf 
Ol and konnten die Schornsteine der Häuser mittels vier- 
eckiger Deckel nach Belieben geschlossen werden. In 
Kiine, wo es sehr viele Steinbrüche gab, bediente man 
sich als Dachbelag dünner Sandstein fliesen. — Die Be- 
leuchtung der Innonräume wurde durch zwei Fenster 
erreicht, von denen das eine am Giebel, das andere au 
der Längsseite angebracht war, jedoch beide nach der 
Ecke ZU, so daß sie dicht beieinander waren. In dieser 
Ecke stand der Tisch, in der entgegengesetzten Ecke 
aber, wo es am dunkelsten war, das Bett, so daß es von 
Liebt und auch von Zugluft unberührt blieb. In Snia- 
land fiel das Licht in die Häuser durch ein im Dache 
nach Süden zu angebrachtes Fenster hinein. Vor dem 
Tisch standen überall „sehr artig gearbeitet" Bänke oder 
Kauapes, deren Rückenlehne beweglich war, so daß sie 
nach beiden Seiten der Bänke gedreht werden konnte. 
Auf den Bänken lagen überall ein langes und verschiedene 
kleine viereckige Kissen. Die Lichter stellten sich die 
Bauern selber her; sie färbten das Unschlitt mit dein 
Absud einer Fluchte (Liehen candelarius), was den Lich- 
tern ein gelbes waebsähnliches Aussehen gab. Die Ar- 
men setzten dem Talg Tannenharz zu; dadurch erhielten 
sie mehr und größere Lichter, die aber auch wieder 
schneller herunter bräunten. Ober die Heizung der 
Wohnräume erfahren wir leider nichts; nur von Wisby 
wird lwricbtet, daß hier schon eiserne Öfen in Gebrauch 
waren, die man aus Norwegen bezogen hatte. Die Betten 
werden von den Reisenden durchweg als vorzüglich ge- 
schildert Man ruhte fast überall auf „schönen, weichen 
und kostbaren Eiderdaunen". Daunen kamen zumeist 



nnö als Ethnologe. 



von der Insel Furil her; hier wurden sie den Tieren, die 
damit ibre Eier bedeckten, damit sie nicht kalt würden, 
wenn sie ihr Nest auf kurze Zeit verließen, einfach fort- 
genommen. Ein Pfund Eiderdaunen kostete zehn Pfund 
Karolinen Spezies; vier Pfund waren für ein kleines Deck- 
bett nötig, das sich so zusammendrücken ließ, daß es 
nioht größer wurde als ein Kopf, indessen sogleich wie- 
der seine ursprüngliche Größe einnahm , wenn man 
losließ. Im Kirchspiel Gothen) und Boge auf Got- 
land, wo Eibenbäume häufig vorkameu , schmückten die 
Leute die Wände ihrer Zimmer mit Taxuszweigen. Zti 
einem Bauernhause gehörte auch ein Backofen, der außen 
an die Hauswand angebaut and mit einem leichten 
Schuppen bedeckt war; seine Mündung und sein Schorn- 
stein standen aber innerhalb des Hauses. Die Fischerei 
treibende Bevölkerung verfügte noch Uber eine Räucher- 
kammer, die unterirdisch angelegt war. Geräuchert wur- 
den Flundern und Strömlinge, und zwar mittels .Fichten- 
und Tannenzapfen, verfaulter Eichen- und Tannenstöcke 
und anderer Materien, die keine Flamme gaben". 

Die Beschäftigung der Gotländer Bauern bestand in 
der Hauptsache in Ackerbau und Fisch-, bzw. Seehunds- 
fang. Auf Wisby betrieb man großen Handel mit Eng- 
land und führte Balkon, Bretter, Kalk, schonen weißen 
Teer, Wolle und wohlschmeckendes Scbaffleisch aus. Im 
Norden der Insel wurde mehr Roggen, im Süden, wo der 
Hoden lockerer war, mehr Gerste angebaut. Auf Oland 
war es an einzelneu Stellen wegen der vielen Kalksteine, 
die umher lagen, mit dem Ackerbau schlecht bestellt; 
der Bauer erntete hier nur das vier- bis fünffache Korn 
seiner Aussaat. Schafzucht in größerem Stil hier zn be- 
treiben war nicht möglich, weil überall zu viel Schachtel- 
halm wuchs, der diesen Tieren gefährlich sei. 

Zum Düngen der Äcker bediento man «ich an der 
Küste des Seetangs. — Eigenartig war die Methode, in 
der dos ausgedroscheue Getreide von der Spreu gesäubert 
wurde. Dies geschah nicht mittels der Worfschaufel, 
sondern man ließ bei weit geöffneten Scheuneutüren das 
(ietreide von oben herabfallen und dabei von dem kräf- . 
tigeu Winde, der hinein blies, die Spreu mit fortnehmen, 
während die Körner vermöge ihrer Schwere nach unten 
fielen. — Bemerkenswert erschien Linne auch das Joch 
der Ackerpferde auf Gotland. Es bestand in einer Quer- 
stango, die vor dem Bug dor Tiere mit über den Rücken 
verlaufenden Riemen befestigt wurde und in der Mitte 
einen Ring hängen hatte, durch den die Deichsel zu 
stecken kam. 

Die Fischerei wurde hauptsächlich mittels der Angel 
betriebon. 

Sehr eifrig scheineu die Küstonbowohner der beiden 
Inseln dem Seehundfang obgelegen zu haben. Sie stellten 
diesem Tiere entweder mittels Netze oder mittels Harpune 
nach. Die Netze waren aus Segelgarn geflochten und 
mit Teer schwarz gemacht. Sie wurden, am Boden durch 
einen schweren Stein belastet, im Halbkreis um die 
Steine aufgestellt , auf denen die Seehunde zu schlafen 
pflegten, und zwar in der Richtung nach dem Meere zu. 
Dann wurden die Tiere durch Lärm erschreckt, so daß 
sie sich bei ihrer Flucht in die Masehen der Netze ver- 
wickelten, worauf sio totgeschlagen wurden. Die andere 
Methode des Fanges geschah mittels einer Harpune mit 
zwei düuncn Widerhaken an der eisernen Spitze und 
einer daran hängenden neun Faden langen I^ine. Man 
schlich sich an das Tier heran uud stieß ihm die Harpune 
in den Leib; darauf ließ man es ruhig in die See gehen 
und zog es mittels der Fangleine erst heraus, wenn es 
sich verblutet hatte oder ermattet war. Das Seehuuds- 
tleisch wurde entweder frisch oder eiugesalzen oder auch 
am Feuer getrocknet genossen; sehr geschätzt war das 



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295 



Fleisch von juugeu Tiaren. Eineu Leckerbissen bildet« 
auch das Fett, das im frischen Zustande die Stelle von 
Butter vertrat und zu Eierkuchen verbacken wurde. 

Bei dieser Gelegenheit mögen auch noch einige weitere 
Gerichte Erwähnung finden. Eine besondere Delikatesse 
bildete der .Splint unter der Fichtenrinde, „welcher pul- 
pös, aüfi nnd von der Konsistenz oiner Gallert" ist, aber 
nur im Frühjahr, wenn die Jahresschößlinge nur einen 
halben bin einen Finger lang waren. Er wurde roh ge- 
gessen; Linne rühmt ihm verschiedene gesundbeitzuträg- 
liehe Eigenschaften (ala Arznei gegen Ausschlag, Wür- 
mer, Engbrüstigkeit, Lungensucht und Skorbut) nach. 
Holzäpfel, die in großen Mengen im Kirchspiel Böda 
wuchsen, wurden im Herbste, wenn geschlachtet war, in 
frischer Fleischsuppe genossen. Ein eigenartiges Gebück 
waren die sog. Eierschalen, ans Mehl nnd Eiern ohne 
anderon Zusatz hurgestellte, oben mit geschmolzener 
Butter und etwas Zucker bestreute kleine Kuchen, die 
aus dem dann aufgetriebenen Teigo mittels Bierglaser 
ausgeschnitten worden. 

Den Vögeln wurde mittels Vogelschlingen aus schwar- 
zem Pferdehaar nachgestellt. 

Die ausschließliche Beschäftigung der Weiber bestand 
auf Oland im Strumpfestricken; die jungen Mädchen 
verstanden sich darauf, r sehr artig allerlei Figuren mit 
gefärbtem Garn auf die Stuhldecken, Kissen usw.* zu 
nahen. 

Sehr genau unterrichtet ans Linne über die auf Gotland 
nnd (Hand üblicheu Färbern othoden, deren Erforschung 
die Heise u. a. auch gegolten hatte. Schwarze Farbe wurde 
auf Oland durch eine „Modererde*, die von verschie- 
denen Stellen der Insel aus den Wäldern hergeholt 
wurde, hervorgerufen. Znm Rotfärben bedientu man sich 
aaf der gleichen Insel des Byttelet, einer „schwärzlichen, 
mit vielen roten Flecken bestreuten Erde" (aus Liehen 
tartareus bereitet), wobei noch Urin zugesetzt wurde. 
Auf Gotland färbte man die Netze mit Birkenrinde unter 
Zusatz von Lauge und Haselasche rot, oder mit der Wurzel 
von Asperula tinetoriu, wobei allerdings noch „aller- 
sauerstes" Bier erforderlich war; je saurer dieses war, 
um so heller fiel der Farbenton ans. Gelb kam eben- 
falls auf verschiedene Weisen zustande, entweder durch 
Kochen mit Birkenlaub oder Dachuioos (Liehen vulpinus 
und Liehen juniperinus) mit und ohne Zusatz von Alaun, 
oder mit der Rinde der Weißbuche. Auf Gotland wurde 
Hochgelb auch durch Johannisblutoen (Anthemis tinetoria) 
nach vorherigem Kochen mit Alaun erzielt. Zum Grün- 
färben bediente man sich der Faulbaurabeeren; aller- 
dings mußte das Garn zuvor durch Birkenlaub gelb 
gefärbt und getrocknet werden. Auf Gotland wurde 
auch die Rinde des Faulbeerbaums benutzt, oder mittols 
Scharte erst gelb gefärbt und dann mittels Indigo, der 
demnach auch schon Eingang gefunden hatte, die grüne 
Farbe hervorgerufen. Meergrün ergab Kochen mit (irün- 
span, der durch Essig und Salz, in einem kupfernen Ge- 
fäße erzeugt wurde. Die braune Farbe endlich kam 
durch Stein inoos (Liehen saxatilis) oder, wenn ein hellerer 
Ton gewünscht wurde, durch Rnß mit „ Halbbier -4 , auf 
Gotland auch mittels Rinde von Rhamnus cathartica zu- 
stande. 

Die botanischen Kenntnisse der Gotländer Bauern 
setzten Linn» in Erstaunen. Er nahm eines Tages einen 
Bauern mit heraus auf die Wiuso und lioß sich von ihm 
die Pflanzen, die dort wuchsen, mit Namen benennen. 
Dabei stellte sich heraus, daß der Bauer viel mehr von 
ihnen kannte, als Linne vermutet hatte. Allerdings gab 
er .den Gewächsen andere Bezeichnungen, als sie in 
Schweden üblich waren, jedoch waren sie immerhin zu- 
treffend. So nannte er die Orchis mascula „Männer- 



blume u oder „Bisamblume " (das erstere wegen der Gestalt 
der Wurzel, das letztere wegen des Geruches), die Anemone 
hepatica „Küchleinblume" (weil sie um die Zeit blühte, 
wenn die Küohel auskrochen), die Primula veris „Kuckucks- 
blume" (weil sie blühte, wenn der Kuckuck zu rufen 
begann) usw. 

Die Vergnügungen des Volkes bestanden in seiner 
Freizeit in Spielen und Tanzen; besonders wurde die 
Zeit nach dem Kirchgange dazu benutzt. Von den Spielen 
erwähnt Linnä das auf Gotland sehr verbreitete „Park- 
spiel" , „welches artige Ballspiel eine allgemeine Ergötzong 
der hiesigen Bauern ist" und sehr viel Geschicklichkeit 
erforderte. Er hatte es in Schweden vorher nie ge- 
sehen. Sehr beliebt scheint Tanzen gowesen zu Bein, 
trotzdem die Prediger auf (Hund sich „sehr gegen diese 
alte Gewohnheit setzten, wobei manches Mädchen sich 
zu Falle getanzt hat". Der Tanz bestand in Gotland 
in einem langen Sohritt und zwei kurzen Sprüngen. 
Dabei wurdo von einem Sackpfeifer aufgespielt, dessen 
Musikinstrument einmal die Aufmerksamkeit Linnes er- 
regte. Es war nämlich aus einem ganzen Soehunds- 
magen verfertigt; das Mundstüok steckte im Fundus den 
M ugens nicht weit vom Pförtnorausgang, in den der 
„Modulator" eingesteckt war, während der „Baß im 
Schlundo herabhing". Die Teilnehmer des Tanzes wurden 
mit Lura „traktieret", einem sehr trüben Getränk, das 
wie weißes Wachs aussah. Interessant ist seine Her- 
stellungsweise. Es wurde nämlich mittels glühender Feld- 
steine gekocht, die hineingeworfeu wurden — ein gewiß 
primitives Verfahren (Steinkocherei). Worans diese Lura 
bereitet wurde, erfahren wir leider nicht. Dagegen wird 
erwähnt, daß Bier aus Gerste gebraut und, wie es scheint, 
absichtlich durch Zusatz von Taumellolch berauschender 
gemacht wurde. Als Eigentümlichkeit dieses Bieres hebt 
Linnu hervor, daß es viel geschwinder und schneller be- 
rausche als andere Gerstenbiere und daß es die Leute 
während des Rausche» blind mache. Ein anderes bier- 
artiges Getränk, das die Bauern selbst brauten, war die 
Standebilla. Bei seiner Fabrikation ließ man den „Masch" 
(wohl die Maische?) von Bier in einem großen hölzernen 
Faß gären; aber nach ganz kurzer Zeit wurde dieses 
„ganz saure" Getränk schon genossen und der Verlust 
im Fasse immer wieder durch Wasserzusatz gedeckt, 
so daß man von einem Gebräu gegen drei Monate lang 
trinken konnte. Der Befürchtung, daß dieses Getränk 
noch scheußlicher als reines Wasser sein müsse, begegnut 
Linnä mit dem Hinweis, daß auf der ganzen Insel das 
Wasser kalkhaltig und daher wenig genießbar wäre, daß 
dagegen bei der Gärung der Standebilla die Kalk- 
partikelchen zu Boden gerissen würden, „wodurch doch 
das Getränk noch etwas besser ist als bloßes Wasser". 

Der Besuch der Kirchen war rege. Bei dieser Ge- 
legenheit traten die alten Volkstrachten, deren ioh oben 
^dachte, zumeist in die Erscheinung. In Gothetn sangen 
die Männer und Weiber abwechselnd einen Vers des 
Kirchenliedes. „Wenn die einen sungen, so schwiegen 
die andern stille." 

Uber Sitten und Gebräuche erfahren wir mancherlei 
aus Linnes Reisebericht Auf Öland bestand die Sitte, 
daß die Braut, die zum dritten Male aufgeboten wurde, 
mit einem Mantel bekleidet ans der Kirche eilte, so- 
bald der Prediger von der Kanzel stieg, und in Be- 
gleitung eines „mannbaren" Mädchens bei allen Leuten 
im ganzen Kirchspiel der Reiho nach herumging, um 
sich die Aussteuer zusammenzubitten. Sie stellte sich 
zu diesem Zweck ganz unbeweglich an den Eingang 
eines jeden Hauses und verneigte sich stumm. Die 
Hausbewohner verstanden wohl, was sie wollte, und 
überreichten ihr ein Geschenk, das die Hausmutter Bchon 

38» 



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Georg Baschan: Linne als Ethnologe. 



in Bereitschaft hatte, wie Teller, Fässer, Löffel, über- 
haupt alle Küchengeräte. Diese wurden ron der Be- 
gleiterin in den mitgebrachten Saok gesteckt. Die Braut 
eilte von einem Haus tum anderen, und zwar mit solcher 
Geschwindigkeit, daß „oft das ganze Kirchspiel durch- 
wandert ist, ehe die Leute au» der Kirche kommen". 
Allerdings maß dazu bemerkt werden, daß die Kirch- 
spiel« meistens nur einen Bezirk ron 1 4 bis Vi Meile 
umfaßten. Der Johannistag wurde auf Gotland in der 
Weise gefeiert, daß man die Ilauser mit Eichenlaub be- 
steckte, einselne Leute sich auch Laubhütten erbauten, 
ferner wie an hohen Festtagen die Gräber der Ver- 
atorbenen mit allerlei Blumen bestreute und schließlich, 
claü die Knechte und Mägde „die ganze Nacht mit 
großem Gelächter zu ihren Spielplätzen ab und zu liefen". 
Außerdem bestand der Aberglaube, daß mau um Johannis- 
tage nichts Grünes von der Erde aufheben dürfe, nicht 
einmal an einer Blume riecheu, „um nicht den Leich- 
wurm zu bekommen, der alsdann schwärmt". I herhaupt 
knüpften sich verschiedene Gehrluche an die Festtage. 
In der Christnacht muß man die ganze Nacht hindurch 
zwei Lichter bronuen; wenn oins erlischt, so bedeutet 
dies, daß Vater und Mutter im neuen Jahre sterben 
werden. In der gleichen Nacht streut man Strub auf 
den Fußboden, legt es Tor jede Tür und ein Strobkreuz 
unter den Tisch; ebenso legt man Stroh auf die Äcker 
oder bindet es um die Obstbäume, damit alles wohl ge- 
deihe im ueuon Jahre. Findet man am Weih nacht s- 
morgen einige Körner Getreide unter dem Tisch, so wird 
das Jahr fruchtbar sein. Am Grünen Donnerstag muß 
man Kreuze an alle Türen machen, damit die Hexen 
keinen Schaden stiften. Wenn man an diesem Tage 
schießt, so fallen allo Hexen herab, die nach der Insel 
Blakulla (zwischen öland und Smaland) fahren, sobald 
sie den Knall hören. Der Sage nach sollen nämlich an 
jedem Gründonnerstag die Hexen sich auf dieser Insel, 
die dem Pluto geweiht ist, versammeln. Dieser Ort war 
ganz dazu angetan, denn — so sagt Linne — wenn ein 
Ort in der Welt scheußlich aussieht, dann ist es gewiß 
diese Insel. 

Kinigo weitere Proben des Aberglauben» mögen hier 
noch ihre Wiedergabe finden. Am Donnerstag darf nicht 
gesponnen werden, damit es nicht die ganze Nacht nach- 
spinnt. Wenn es im Feuer platzt und prasselt, dann 
zeigt dieses an, daß jemand sterben wird. Wenn einem 
die Haut stark schauert, so läuft ihm der Tod über das 
Grab. Wenu die Hunde oder dio Kinder vor einem 
Hause scharren, so bedeutet dies, daß jemand in dem 
Hause sterben wird; wenn ein Grab auf dem Kirchhofe 
einfällt, daß jemand aus der Familie bald nachfolgen 
werde. Wenn die Eulen auf einem Hause achreieu, so 
steht eiu Todesfall oder eine Feuersbrunst zu erwarten. 
Wenn die I «eiche im Sarge sich nach der rechten Seite 
zu legt, so will dies besagen, daß jemand männlichen 
Geschlechts, und wenn nach der linken Seite, daß jemand 
weiblichen Geschlechts aus der Familie bald nachfolgen 
wird. Damit die Braut das Regiment in der Lho er- 
hält, muß sie den Bräutigam bei seiner Ankunft zur 
Hochzeit eher erblicken, als er sie zu Gesicht bekommt, 
oder wübrend der Trauung ihron Fuß etwas weiter vor- 
setzen als der Bräutigam. Damit sie nicht eher storbe 
als der Bräutigam, darf sie in der ersten Nacht nicht 
eher einschlafen als dieser. Damit sie leicht und glück- 
lich gebären kann, muß sie, sobald sie aus der Kirche 
kommt, den Kopf geschwind in eine getrocknete Nach- 
geburt einer Stute stecken oder darf die Bänder ihrer 
Schuhe vor der Trauung nicht zusammenbinden. Die 
Zahl der zu erwartenden Kinder vermag sich die junge 
Ehefrau selbst zu bestimmen, indem sie nach der Trauung 



mit ihren Fingern den bloßen Leib berührt; mit so viel 
Fingern sie dies tut, soviel Kinder stehen zu erwarten. 
Damit es ihr an Geld nie fehle, muß sie während der 
Trauung Geld in den Schuhen stecken haben. Damit 
das liebe Vieh gut gedeihe, muß sie mit dem jungen 
Ehemann sofort bei ihrer Heimkehr die Ställe besuchen. 
Damit die jungen Eheleute einig bleiben, müssen sie von 
demselben Teller essen oder der Bräutigam beim Reiteu 
nach der Kirche den Halfter des Pferdes der Braut ganz 
kurz fassen. 

Auf den Aberglauben ist Linne überhaupt nicht gut 
zu sprechen. Er teilt ihn nur mit, „weil der Aberglaube 
verdient mehr zum Spaß, als zum Nutzen angemerkt zu 
werden". Verschiedentlich macht er sich darüber lnstig. 
Kino Mitteilung über ein untrügliches Mittel, die Schweine 
vom Acker fern zu halten, schließt er mit den Worten: 
„Wer diese Erzählung verdauen will, der muß einen 
starken Magen haben." An eine andere des Inhalts, daß 
man niemals eine Beere essen stille, die am Kirchwega 
gewachsen sei, wo Leichen vorbeigetragen wurden, damit 
man nicht den Leichwurm (= Fingergeschwür) bekomme, 
knüpft er die Frage: „Kann man wohl Beeren essen, bey 
welchen Krelwe vorbey getragen worden sind, und doch 
den Krebs nicht bekommen, welcher mit dem Leichwurm 
einerley ist?" Linne erklärt den Aberglauben für t ber- 
blcibsel „aus dein Papsttum und dem Heidentum*. 
Dessenungeachtet hält er es für angebracht, wenn jemand 
eine ansehnliche Sammlung von allerlei Aberglauben ein- 
mal zusammenbringen und daran zeigen wollte, woher, 
jeder in letzter Linie herstamme. „Um diese Possen den 
Leuten aus den Köpfen zu bringen", kennt er kein besseres 
Mittel, als daß diejenigen, die sich auf dieGottesgelahrtheit 
legen, die Physik und Natnrhistorie gründlich studierten. 
„Denn nichts tut dem Aberglauben kräftigeren Abbruch, 
als wenn Bich die Geistlichen mit Macht dagegen setzen.* 1 
Goldene Worte, die heute noch mehr wie damals zu- 
treffend sind! 

Der sehr verbreitete Aberglaube der Bewohner unserer 
Inseln erstreckte sich auch auf ihre Heilkunst, deren 
Mittel Linne getreulich niedergeschrieben ' hat. Wenn- 
gleich einem Teile dieser Volksmittel eine gewisse Heil- 
kraft niobt abgesprochen werden kann, so beruhen doch 
die meisten auf abergläubischen Vorstellungen. Ophio- 
glossum vulgatum (ein Farnkraut) wird als „Wund- 
Balbe" — „benimmt die Inflammation" — , die Wurzel 
von Valeriana officinalis gegen „Mutterbeschwerung", 
Semen Cardui gegeu Seitenstechen, Pinguicula vulgaris 
gegen Kopfläuse und als Haarwuchs stärkendes Mitte), 
Snlnik'num palustre mit Bier abgekocht und aufgelegt 
gegen geschwollene Füße, Absud von Taxus gegen Krätze, 
Pulver, Branntwein, Schnupf- und Rauchtabak als Brech- 
mittel bei Fieber, Dekokt vom Leberkraut (Anemone 
hepatica) mit Halbbier und außerdem noch Terpentinöl, 
beides innerlioh zn nehmen, gegen Colica hypoobondriaca 
(Leberkolik) empfohlen.. Alle diese Mittel dürften ge- 
legentlich auch noch in der wissenschaftlichen Therapie 
Verwendung linden. Dagegen ist den folgenden Haus- 
mitteln jeglicher Wert abzusprechen: Schwefel mit Pfeffer 
oder Blüten von Cucubalus sind gut gegen Rose; mit 
den gleichen Blumen muß geräuchert werden, um un- 
ruhige Kinder in den Schlaf zu bringen. Solanum nigrum 
mit Spinngeweben und ranzigem Speck zwischen zwei 
Steiueu zerquetscht, oder Eidotter mit Kochsalz verrührt 
hilft, um den Finger gewickelt, gegen den Wurm (Finger- 
ge*chwür). Bier aus Gerste unter Zusatz von Lolium 
temulentnm gebraut und die Gelenke am Arm und den 
Fingern damit bestrichen, schützt gegen die Vergiftung*- 
ersebeinungen bei Genuß aolchen Bieres, das sich nicht 
vermeiden ließ, weil der Taumellolch sehr häufig unter 



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Leutnant Franz Mühlhofen Die Erforschung de« Magdalencnsohachtes. 



297 



dem Getreide rorkam. Bei menstruellen Beschwerden 
maß die Patientin den Kopf unter eine Decke stecken, 
die Ober junges Bier, das zu garen beginnt, gelegt ist. 
Die gleiche wunderliche Kur wird ron männlichen Per- 
sonen gegen den Rausch gebrauoht. Lüin«5 erlaubt sich 
hierzu die Bemerkung, daß dies ein starker Mann sein 
■nasse, der diese Versuche aashalten könne. Gegen 
venerische Krankheiten gebrauchte man Teer, wodurch 
zwar die Geschwüre vergingen, indessen das Leiden nicht 
beeinflußt wurdo, wie „die nyuiphae tnmidae, tophi, 
dolores artnum noctnrni, ulcera laryngis und die Nasen- 
geschwüre deutlich bewiesen", die sich trotz dieser Be- 
handlung einstollten. 

Auch die Bekanntschaft einer Heilkundigen , namens 
Ingeborg, machte unser Forscher. „Sie ward ans dem 
ganzen Lande als ein Orakel besucht und hatte größeren 
Ruf in der Medizin, als mancher Arzt, der seine ganze 
Lebanszeit hindurch praktiziert hat." Ihre Theorie, nach 
der sie behandelte, bestand in der Annahme, daß Lucifera 
Anhang vom Himmel auf die Erde geworfen sei. und 
hier teils im Wasser unter dem Namen der Nixe, teils 
in Häusern als Kobolde, teils im Rohr unter den Bäumen 
ah Wassermännchen, teils im Walde als Waldteufel 
seine Wohnung aufgeschlagen, daß fernor jeder Mensch 
•einen Schatten habe, der ihm nach unter die Erde immer 
nachfolge , und daß der Mensch an seiner Gesundheit 
gesohädigt wurde, wenn sein Schatten von einem dieser 
Geister „inkommodiert* würde. Zur Diagnose war es 
nicht erforderlich, daß Frau Ingeborg den Kranken sah; 
es genügte ihr schon , ein Stück Kleidung von ihm zu 
erhalten. Sein Leiden hätte sich der Kranke dadurch 
geholt, daß er „sein Wasser auf einen den Geistern ge- 
heiligten Ort gelassen , oder einen Ort sonst entheiligt, 
oder seine Krankheit aus der Luft, Wasser oder Feuer 
bekommen hätte". Die Kur bestand dementsprechend 
darin , daß der Patient z. B. drei Morgen oder drei 
Abende lang stillschweigend gegen Norden an einen 
Fluß, einen Baum usw. gehen und den Geist um Ver- 
zeihung bitten, auch wohl etwas opfern mußte u. a, m. 
Es besteht für mich kein Zweifel, daß wir es hier mit 
Überresten von Aninismus zn tun haben. 

Auch den Steindenkmtlern brachte Linau auf seinen 
Reisen großes Interesse entgegen. Gewissenhaft ver- 
zeichnet er alle Runensteine, deren es auf den beiden 
Inseln eine große Menge damals noch gab-, an einem 
von ihnen (zu Högby) fiel ihm auf, daß die Schrift in 
umgekehrter Richtung von rechts nach links zu lesen 



war. Er muß daher auch mit den Rnnen vertraut ge- 
I wesen sein. Auch Grabhügel beschreibt er des öfteren; 
zumeist waren es einfache Hügel, gelegentlich auch mit 
einem Steinkranz umgeben (wie zu Garnshamn) oder mit 
einem Monolithen gekrönt (wie der Ingelingehög bei 
Orraryd in Smaland). Verschiedene waren geöffnet, und 
ihre aus Steinen zusammengesetzte Kammer wurde von 
unserem Forscher besucht Indessen war ihm die Be- 
deutung dieser offenbar megalithischen Bauten keines- 
wegs klar, „ob es (nämlich das Steingewölbe) zum Auf- 
enthalt der Soldaten in Kriegszeiten, oder ein Gefängnis 
für Missetäter, oder eine Retirade bey Kriegnliiuften, oder 
eine Grube zur Verwahrung des Getreydes gewesen sey". 
Auch die Bauern, an die er sich verschiedentlich um 
Aufklärung wandte, waren nicht imstande, ihm zu sagen, 
welchen Zwecken diese Steinkammern gedient haben 
mochten. Nur einmal, auf der Insel Helgo, knüpfte die 
Sage an einen solchen Steinbau an, den sie für einen 
Tempel des Odin ausgab. Jedoch bringt Linne diesem 
„Tempel" einigen Zweifel entgegen, „welcher doch nicht 
groß gewesen seyn muß, wenn anders die Mauern und 
Gewölber, die man noch daselbst sieht, Überbleibsel 
davon sind". 

Znm Schluß mögen noch zwei Beobachtungen Linneis 
Erwähnung finden, die mehr den Anthropologen bzw. 
Mediziner interessieren dürften. In einem Dorfe bei 
L'ingelöt« (auf Oland) wurde zu unserem Reisenden ein 
Kind gebracht, das man für ein „Wechselbalg" ausgab. 
Der 13 jährige Knabe war ohne Verstand geboren worden, 
vermochte weder zu sitzen, zu stehen »der zu gehen; er 
i redete nicht, sondern „mummelte nur etwas dunkel". 
Seine Zähne standen gerade vorwärts, und mit den Augen 
sah er kreuzweise. Er hatte dünne Füße, weiches Fleisch 
und war im Gesicht eher einem Mädchen als einem 
Knaben ähnlich. Außerdem waren alle seine Gebärden 
so unartig, „daß einem die Haut davor schauderte". Linne 
stellte die Diagnose auf „Hieranosos". Ob damit etwa 
der Morbus sacer, die Epilepsie, gemeint sein sollt«? 
Meiner Ansicht nach bandelte es sich um einen Idioten. 
— Bei Sandby brachte eine Frau ihr Kind zu ihm und 
bat ihn, an diesem das Geschlecht festzustellen, da ihre 
Nachbarin „sieb darüber aufgehalten hätte, daß sie ihrem 
Kinde in der Taufe einen Mannsnamen hätte geben lassen, 
da es doch ein Mädchen wäre". Linne gibt eine Be- 
schreibung der Genitalien dieses unglücklichen Kindes, 
aus der hervorgeht, daß es sich um einen männlichen 
Zwitter handelte. 



Die Erforschung des Magdalenenschachtes. 

Ein Beitrag zum Studium der Karstpliiinomene. 



Von Leutnant Franz 

Der unterirdische Lauf der Poik zwischen Adelsborg 
und Kleinhäusel durchfließt die allen hekannte Adels- 
berger und Ottoker Grotte und steht außerdem noch 
durch den Magdalenenschacht,, die Cerna- und Piuka- 
jama mit der Außenwelt in Verbiiidung. Dio Länge dieses 
unterirdischen Flußlaufes beträgt rund 9000 m, wovon 
6200 m bereits erforscht sind. Die noch nicht orforschton 
Strecken sind durch Siphone und Strengen abgeschlossen'). 

') Ich mache bier das erste Mal diesen Unterschied : 
Unter Siphon verstellt man jenen Teil eines HöhleufluUhette», 
der roni Wasser vollständig ausgefüllt wird ; Strenge ist ein 
stark durchwaschener Ripbon von geringer Lüngenausdehnung, 
dessen Decke während des Minimalwasserstande« vom W&xser- 
ipiecel nicht erreicht wird. Siehe die Schnitte 0 — H und 
E-F der Skizze. 

Olobu, XCL Nr. I*. 



Mühlhof er. Triest. 

Während die Erforschung der Piuka- und Cerna- jama schon 
im Jahre 1885 als abgeschlossen zu betrachten war, 
wurde der Magdalenenschacht erst Ende der achtziger 
Jahre von Putick befahren»). Im Jahre 1893 fand die 
große Expedition des Altvaters der Höhlenforscher E. 
A. Martel statt, während welcher der unterirdische Poik- 
lauf von der Ottoker Grotte bis zum Magdalenenschacht 
das erste Mal passiert wurde. Nach dieser Tour geriet 
die Poikforschung überhaupt ins Stocken. Erst vom 

') Die Sage, dall ein Ottoker Bauer mit einem FloB 
vom Magdalenenschachte aus stromaufwärts bis in die OUoker 
Grotte fuhr, hat nur das Wahre, das Schäbar und Borger 
im Jahre 1888 tatsächlich im Schachte waren, die Poik über- 
schritten und bis zum „Olmenbecken* vordrangen. (Nach 
Schabars Erzählung.) 



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298 Leutnant Kranz Miililhofcr: Die Krforacliung <le> Mapdalenentclinclitea. 




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MS» 



Jahre 1905 an wurde wieder mit der Erforschung de» 
Magdalenenschachtes begonnen, deren endgültiger Ab- 
achlnO durch den Höhlunforscherverein .Hades' 1 in Triest 
vier Expeditionen erforderte. Ich erwähne sie nur flüch- 
tig, da sie im Detail lediglich im höhlensportlichen Sinne 
wichtig sind. 

1. Ostersonntag 1905. G. A. Perko, I..- ,t. .1. Spiller 
und ich. Hochwasser. Ohne Erfolg. 16 Stunden. 

2. 24. August 1905, l.eut. A. Martin, K. ('eh und ich. 
20 Bedieuungsletite (Infanteristen des 97« Inf.-Reg.) im 
ersten Schacht. Ein Hornist auf Kote 490 als Verbindung. 
Mit Leinwaudboot bis zur „Mnrtinsbeuge" ; wegen ein- 
tretenden Hochwassers geschei- 
tert. 13 Stunden. 

3. 19. August 1906. Dr. 
Benno Wolf (Fraukfurt a. M.), 
A. Martin, die Einjährig-Frei- 
willigen des 97. Inf.-Reg. Heigl, 
Schwingshackl und llrinsek und 
ich. Zwei Ottoker Hauern auf 
Kote 490. Mit Binsenfloß bis 
zum Siphon. 16 Stunden. 

4. 16. September 1906. 
V. Winkler und ich /.um 
Zwecke des Photographierens. 
Schwimmtour. 4 Stunden. 

Die unterirdische Poik ist 
schou Ober ein halbes Jahrh lin- 
dert das klassische (iebiot spo- 
laologiscbcr Forschungen ; der 
Magdnlenenschacht besonders 
wird noch vielen Speläologen 
ArbeitastofT geben, und manch 
kühnem Höhlenfahrer wird er 
unvergeßliche Augenblicke ge- 
wahren. Beiläufig 3000 .Schritt 
nördlich GroU-Ottok befindet 
sich sein Einetieg, der sich als 
typischer Erosionsscbacht re- 
präsentiert. (Abb. 1.) Clier 
eine 20 in lauge Strickleiter 
gelangt man auf einen Schutt- 
kegel, dessen Hauptmure nach 
SW verlauft und in einer ge- 
räumigen Hülle endet. Sowohl 
durch diese, als auch durch 
einen vom Schachte aus etwas 
höher führenden Gang gelangt 
mau zum zweiten Schachtmund. 
Er liegt im höchsten Punkte 
eines 36 m hohen Domes. Bei 
Hochwasser vernimmt man hier 
schon das Rauschen der Poik, und ab und zu verlöschen j 
im stoßweisen Luftzug die Kerzen. Einer Außeutempe- 
ratur von — 4°, -{-21* und 1 5" C entsprach am Grunde 
des ersten Schachtes eine solche von 0°, 13" und 13° C. Beim 
zweiten Schachtmund betrug sie 8*, 12° und 13* C; jeden- 
falls sinkt auch hier der Wärinezustand wahrend strenger 
Winter und infolge des Luftzuges unter den Oefrierpunkt, 
da sich im Sinter überall deutlich Frostspuren zeigen. 
Frost war auch hier die /.erstörungsur.mche winziger 
Dellationsbildungen, die gegenwärtig als solche kaum 
mehr zu erkennen sind, zumal sie noch durch das An- 
bringen der Strickleiter au dieser Stelle stark beschädigt, 
wurden. Überwältigend ist der Abstieg in die „Orande 
Galerie". Diese hat zwischen 20 und 10 m Höhe und 
ist gleichmäßig 20 m breit. (Siebe Planskizze und Schnitt 
A — B; auch in der Folge.) Den Boden bedecken große 
Felsblilcke, zwischen denen sich uft -1 in hohe, auffallt nd 




A tili. l. Abstieg In den Magdiilcnensrhacht. 



zylindrische Stalagmiten erheben. Oben aind sie wie ab- 
geschnitten. Bei Hochwasser werden lie von einem 
fingerdicken Wasserstrahl berieselt Am unteren Ende 
dar Galerie lagern mächtige I^ehmmassen, die zahlreiche 
MiniaturbilduDgen, analog deu(iletachertischen,Gletscher- 
mühlen und Steinsäulen, bergen. Im Frühjahre tritt 
längs der Nordwand eine mächtig« Wasserader zunachte, 
die einem Siphon entspringt. Sie ist unzweifelhaft der 
Abfluß der Riesendoline südlich des Schachtes, die noch 
deutlich die Spuren eines gewaltigen Deckeneinsturzes 
aufweist. Der Diluviallehm, der einst den Boden dieses 
Riesendomes bedeckte, bildet gegenwärtig als wasser- 
undurchlässige Schicht das 
erste Hindernis der Sicker- 
wässer, die sich hier aus einem 
weiten Umkreis sammeln und 
eben durch den Mugdalenen- 
schacht den günstigsten Abfluß 
zur Hauptwasserader haben. 
Ein ähnlicher Fall ist im 
Schnitte C — D sebematisch dar- 
gestellt. In die Südwand mün- 
det die Galerie de Jonction, die 
um den Siphon die Verbindung 
mit der K A. Martel -Galerie 
herstellt. Erstere endet nord- 
westlich des Dr. Wolf-Sees, wo 
sich die Poik zweigt; der west- 
liche Ann durchfließt den Mag- 
dalettenschacht, der östliche da- 
gegen wendet sich der (Vrna- 
jnma zu und ist zum größten 
Teile noch unerforscht *). In 
der „Grande (ialerie* beob- 
achteten wir eine Temperatur 
zwischen 12° und 14*0, die 
des Poikwassers zeigte zwischen 
8* und 16°C. Diese und die 
oben angeführten Temperatur- 
schwankungen der Luft sind 
auf den Luftzug bzw. auf den 
jeweiligen Wärinezustand des 
fließenden Wassers zurückzu- 
führen, dessen Temperatur von 
der Außentemperatur diktiert 
ist 4 ). Bezügliche statistische 
Beobachtungen in Wasserhöhleu 
sind daher zwecklos. 

Nur sehr flüchtig konnten 
wir bis jetzt der Fauna nach- 
gehen. Spiller und ich bekamen 
bei unterer ersten Tour eine 
weiße Maus zu Gesichte, die nach ihren Bewegungen 
stark an den Siebenschläfer erinnerte. I, eider war dies 



') Diener Arm betritt die Cenia-jama nicht durch einen 
Siphon, wie es auf nlltn bisherigen Skizzen eingezeichnet ist, 
sondern durch sine Streng«, so ilaO die 300 in unerforschten 
Höhlen tiuUbetles wahrscheinlich ohne Hindernis passiert werden 
können. Da dieser Kanal (Hibeuik-Ksnal) außerdem sich den 
nördlichsten Hohlräumen d«r Adwlsberger Trockenhöhl« bis 
auf 200 m nähert, so wäre sicherlich das vornehmst* Problem, 
die Verbindung mit diesen herzustellen. Jedenfalls würden 
die Korseher günstige Bedingungen zur künstlichen Verbindung 
ermitteln. Die einstigen Besucher der Advisberger Grotte 
könnten dann nach einer kurzen Kahnfahrt durch deu Mus 
dalenenschncht dem .Hades* entsteigen. 

') Ich erwähne hier eine interessante Beobachtung in 
der vom Hönlanforscberverein .Hat«-" in Triest kürzlich 
neuerforschten .Warmhöhle* bei Nabrvsina, in der wir ein« 
Temperatur von -f- 19* C konstatierten. Iiis l'rsaehe ist ent- 
weder auf Insolation «der auf «ine mögliche Verbindung mit 
.•um tu mächtigen l.ithoklase zuröckzufühm 

39* 



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»00 



Leutnant Frans Müblhofer: Die Erforschung des Magdalenenschachtea. 



gerade bei einer gefahrvollen Traverse an der Poikwand 
gogunQbcr der Schäbergalerie Ober einer Schnelle, so daß 
ea uns unmöglich war, rechtzeitig danach zu greifen. Un- 
sere späteren Fangversuche blieben erfolglos Hoffent- 
lich gelingen aie uns noch. Ea handelt sich wahrscheinlich 
um einen Albinismus, um eine Rückbildung, die ihre 
Existenz Lebensbedingungen in Bruchapalten bis zur 
Oberwelt zu Tardanken hat. 

Der Proteus anguinoua findet aich im „01meubecken u in 
der Schabergalerie aebr zahlreich. Ich habe dort die 




Abb. 8. Boll» Oliuonfang In der Cernn-jniiin. 



größten bis jetzt bekaunten Exemplare 
gefangen. F.in 32 cm langes Indi- 
viduum schenkte ich der Adelsbergcr 
Grotten Verwaltung, die es am Kai varien- 
berg den Besuchern der Grotte lebend 
zeigt. Zwar ist ea unseren Bemühun- 
gen nicht gelungen , der Lösung des 
Rätsels der Metamorphose des Proteus 
naher zu rücken, aber wir hatten doch 
Gelegenheit, Biologisches zu beobach- 
ten. Ungestört liegen die Olnie meist 
gestreckt am Schlamm IhmIcu oder hal- 
ten sich nahe der Wasseroberflache 
auf. Von Zeit zu Zeit schwimmen sie 
gemächlich empor, um Luft zu atmen, 
dabei strecken sie den halben Kopf 
aus dem Wasser. Ruhiges, schwaches 
Licht beunruhigt sie oft nur wenig. 
Scheucht man sie, so sind aie bald 
unter Steinen usw. verschwunden, wo 
sie Bich dann stundenlang ruhig ver- 
halten. Ich sah beunruhigte Ohne 
schnurstracks aus einer Entfernung 
bis 1 m auf ganz kleine Locher zusteuern , in denen i 
sie geschickt verschwanden. Einen Olm vergrub ich 
im Sande, 2 m vom Beckenrande; er muchte sich bald 
frei und schlängelte aich auf dem kürzesten und für ihn 
einzig möglichen Wege ins Wasser. Einen großen 
Olm beobachtete ich beim Fressen eines Stückes Krebs- 
fleisches von halber Erbsengröße. In warmem Wasser 
geraten die Olme in Zuckungen , die in der Regel 
die ersten Anzeichen ihres Verendens sind. Olme in der 
(iefangensebaft, ja selbst die aus der Cerna -jaroa •') 



(Abb. 2), weil im Halbdunkel und stets beunruhigt, sind 
stumpfsinniger und biologisch degeneriert, wie überhaupt 
derlei Arten Anlage dazu zeigen. Das Olmenbecken im 
Magdalenenschacht ist Pegel- und Sickerwassor und in- 
folge seiner konstanten Temperatur als Aufentbalteort 
für Olme sehr günstig. Am ehesten ließen sich dort 
weitere Beobachtungen einleiten. 

Der gemeine Flußkrebs tummelt sich in allen Teilen 
des unterirdischen Flußbettes lustig herum und benimmt 
sich genau so wie an der Oberwelt. Mitunter findet man 

sehr trüge Individuen 
und solche, die eine 
merkliche Bleichung 
aufweisen. Von einem 
Albinismus dieser Art 
kann aber nicht gespro- 
chen werden. Dasselbe 
gilt von sämtlichen Fi- 
schen, die in diesem Ge- 
biete im oberirdischen 
Wasser (Zirknitzer See) 
vorkommen. Bomorkt 
sei nur, daß wir eB hier 
nicht mit Troglobien 
und auch nicht mit 
Troglophilen zu tun 
haben , sondern daß 
diese Höhlenbewohner 
im Kampf ums Dasein 
mit solch unliebsamen 
Wohnstalten eben vor- 
lieb nehmen müssen. 




l ) Di« Cerna -jaiun birgt zahlreiche kleine und mittler« 
Exemplare; der Besitzer dieaer Grotte (Lukas Vilhar, UroO- 



Abb. 4. Passieren der Strenge. 

Wie sehr sie dua Licht lieben, beweist nur zu gut ihr 
häufiges Vorkommen, ja ihre förmliche Stauung an sol- 
chen Stollen, wo der Flußlauf ans Tageslicht kommt. Das 
schönste Beispiel dafür ist die Hakbachschlucht, in der 
der unterirdische Abfluß de« Zirknitzer Sees auf eine 
kurze Strecke eingesehen werden kann. Mühelos kanu 
man hier Krebse und Grundeln fangen. Aber auch die 
Piuka-jama (Abb. 3) gibt uns davon Zeugnis, in der zu 
gewissen Zeiten Ma>seujagd auf Fische gemacht werden 
könnte. 



Ottok) hat in einem sorgsam gehüteten und fast unauffind- 
baren Bintertwckeu stet» bin zu 50 vorrätig. 



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301 



Im Magdalenenschaeht konstatierten wir außerdem: 
Leptoderus Hohen war tii, Adelops Khevenhülleri; die La- 
cmita cavicola im ersten Schacht; Tithanetes albus; 
Stalita taenaria, dann Calp« libatrix. 

Wir wenden un» nun wieder der Poik zu; durch 
einen Siphon betritt sie den Magdalonenscbacht und ver- 
ladt ihn durch einen mächtigen Torbogen von lUni 
Höhe und 20 m Breite. Diese Dimensionen behält der 
„Hades" im allgemeinen bis zum letzten Siphon bei. 
Die Poik selbst hat verschiedene Breiten und Tiefen. In 
der Regel bespülen ihre Wasser die Winde, die sich 
dann, meist über- 
hängend, mit der 
Oberfläche ver- 
schneiden. An 
vielen Stellen en- 
gen aber Fela- 
blöcke usw. den 
Fluß ein. 

Der erste See 
in der Richtung 
des Abflusses laßt 
sich durch die 
Schaberhalle um- 
gehen, einen ganz 

unbedeutenden 
Verbindung8gang 
mit Stalaktiten- 
bildungen und 
demOlmenbecken. 
Gleich unterhalb 
seiner Einmün- 
dung in das Fluß- 
bett teilt sich die- 
ses. Der östliche 
Arm endet schein- 
bar in einem klei- 
nen See. Anfangs 
dachten wir, es 
handle sich um 
einen Siphon, bis 
ich nach eingehen- 
der Untersuchung 
eine charakteristi- 
sche Strenge fest- 
stellt«. Durch ein 
photographisches 
Kunstwerk wurde 
uns ein Augen- 
blick unserer Ar- 
beit festgehalten. 
(Abb. 4.) Der west- 
liche Arm fließt in 
nördlicher Rich- 
tung bis zur „Martiusbeuge", wo er sich nach Osten wendet. 
Kurz nach der (iabelung vereinigt er sich wieder mit dem 
Ostarm, dur die C<oh-Galerie durchfließt und durch einen 
engen Verbindungsgang mündet. In der Verlängerung 
des letzten öffnet sieb das Flußbett eines Nebeuflüßchvus 
mit schönen Geschieben. Die Ceh- Galerie tragt schon 
teilweise den Charakter einer Trockenhöhle: Tropfstein- 
bildungen, Wandsinter und wirres Gefälle. Ftwa lUOm 
nach der ersten Beugu wendet sich der Flußlauf plötzlich 
nach Norden und endet bald in einem See, in dem wir 
den Einfluß des Siphons feststellten. Aus einer Tiefe von 
ti m unter dem Spiegel gfthnt ein Loch von 3 m Durch- 
messer in der Wand. Darüber kreisen die Wasser und 
auch das Floß nimmt diese Bewegung an, so daß des 
Bleibens hier nicht lange sein kann. Der Kamin im 



nordwestlichen Teil endet blind. Über dem Siphon fanden 
wir, lotrecht an die Wand gedrückt, das Ruder, das wir 
vor Jahresfrist eingebüßt hatten. Die eine Schaufel 
fehlte. Vom Leinwandboot war nichts zu finden. Andere 
Triftengegenstande gab es nicht. Gewöhnlich fand ich 
bei Siphonen Stangen, irgendwie verkeilt über dem Wasser, 
und zwar um so seltener, je weiter von der Schwinde 
entfernt. Meistens finden Triftengegenstände schon vor 
dem ersten Siphon ein Hindernis und stranden, um end- 
lich vom Hochwasser zerschellt zu werden. Sehr leicht 
schwimmende Körper können Siphone nicht passieren, 

es ist daher 
swecklos , mit 

Triftengegen- 
st&nden Versuche 
Uber den Zusam- 
menbang von 
Schwinde und 
Riesenquelle zu 
veranstalten , da 
ihre Passage von 
vieleu Zufällig- 
keiten abhängt 
Was den all- 
gemeinen Cha- 
rakter dieses Tei- 
les des unterirdi- 
schen Poiklaufes 
anlangt, so sei 
bemerkt, daß er 
sich von den an- 
deren nicht viel 

unterscheidet. 
Daa eigentliche 
Flußbett hat nir- 
gends Tropf - 1 e in - 

büdungen, was 
auf die Ver- 
dunstungsun- 
möglichkeit der 
Sickorwässer als 
Bildungsnotwen- 
digkeit zurück- 
zuführen ist. Die 
Blöcke des Grun- 
des sind von or- 
ganischem Sinter 
bekleidet und 
tiefschwarz ge- 
färbt DieSchich- 
tenköpfeim Bette 
selbst sind mes- 
serscharf ero- 
diert, was ein 
j großes Hindernis beim Vordringon bildet. Durchweg wirre 
Dislokationserscheinungen. Bei Hochwasser füllt die Poik 
daa Bett vollkommen aus, das Wasser fließt mit einer Ge- 
' sohwindigkeit von 7 m an vielen Stellen. Bei Stauungen 
| herrscht auffallender Gegenstrom. Man nimmt au, daß 
sich Hochwasser nach ausgiebigen Regengüssen drei Tage 
nachher schon bei der Ausflußstelle in Kleinhiusel bemerk- 
bar macht. Ich behaupte, daß es sich da noch immer nicht 
um die Wässer handelt, die die Schwinde aufgenommen 
hat, sondern erst um die der Nebenflüsse, die sehr zahl- 
reich sind. Die Sch winde wftsser dürften erst nach fünf 
Tagen zum Ausfluß kommen, wie wir das genügend be- 
obachteten. Geschiebe ist selten zu sehen. Da dessen 
Fehlen einigen Forschern als Beweismittel dient, um 
derlei Gewässern den Charakter eines echten Höhlen- 




Abb. 3. Reim Floßtransporl In der Pluka-jama 



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302 



flusaes abzusprechen, so erwähne ich, daß mau gauz 
deutlich die Ursachen dieses Pehlens nachweisen kann. 
Ka sind erstens die Stauungsgrenzen des Geschiebes 
leicht zu beobachten, uud zweitens aind unregelmäßige 
Gefälle zur Beförderung nicht geeignet. Trotzdem lindot 
aich an manchen Stellen junges Geschiebe, ja selbst 
Gerölle. 

Da das llöhlenph&nomou jedenfalls das vornehmste 
der Karatpbänoinene ist und unzweifelhaft als deren Ur- 
phänomen angesehen werden muß, so hat es in letzter 
Zeit das Augenmerk vieler Forscher auf sieb gelenkt. 
Besonders lebhaft wurde die Frage erörtert, ob zwischen 
Schwinde oder I'onore und Riesenquelle oder Vaucluse 
tatsächlich eine kaualurtige Verbindung, also ein echter 
Höhlenfluß vorbanden ist, oder ob die Schwindewüsser 
zunächst einem Grundwasser zufließen und dann erst 



ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Siphon und 
Strenge hingewiesen; was die Spalten anlangt, so handelt 
es sich in der Regel um Versandungen (CVrna - jama, 
unterer Siphon), wie wir sie schon oft überwanden. 

Weiter sagt Grund , Versuche mit Trifteugegen- 
aUnden seien stets gescheitert. — Auch das habe ich 
entsprechend erwähnt; ich füge noch hinzu, daß unser 
Ruder in einem Jahre nur eine Strecke von 1 20 m 
zurücklegen konnte. Wenn übrigens günstigere Be- 
dingungen vorbanden sind, so sind auch ähnliche Fr- 
scheinungen vorgekommen, z. B. Sägespäne. Fs handelt 
sich hier hauptsächlich um Zeit. 

Drittens bemerkt Grund , Färboversuche seien fast 
immer ohne Frfolg geblieben. — Bei diesen Versuchen 
wurde in der Regel die Zeit der Passage unterschätzt | 
die planmäßigen Versuche gelangen häufig. (Siehe Fried - 




Al.li. 



Ansieht aus der MarteMialerir. 



diesem höhlenflußähnlich entströmen. Während die erste I 
Ansicht die ursprüngliche ist, vertreten neuere Forscher 
die zweite. In dieser Beziehung das hervorragendste 
Werk ist die „ Karst hydrographie* von A. G rund (Leipzig 
1903). Dieser Ansicht hat sich auch A. Penck an- 
geschlossen: Benck, „Über das Karstphänomen", Vor- 
träge des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher 
Kenntnisse, lieft 1 ( Wien 1904). Die Ansiebt, daß echte 
Ilöhlenflüsse existieren, vertritt Walther v. Knebel in seinem 
Werke „Höhlenkunde mit Berücksichtigung der Karst- 
phanomene" (Braunschweig 1906) in treffender Weise, 
so daß sie auf der ganzen Linie noch unantastbar ist. 

Da A. Grund das Vorhandensein größerer unter- 
irdischer Höhlenfluase aus verschiedenen Gründen be- 
atreiten zu müssen glaubt, will ich auf seine bezüglichen 
Argumente hier zurückkommen. 

Kr sagt, man hal>fl stets gefunden, daß die Wasser- 
höhlunsysteiuc blind enden und in ein System von Spalten 
übergehen. — IHese Ansicht wurde von llöhlenpionieren 
nur zu oft uud allzufrüh angeführt. Ich habe eingangs 



rieh Müller, Resultate der Färbung des Ilöhlenllusses 
Rekka im Karst mit Fluorescein in „Mitteilungen des 
deutschen und österreichischen Alpenvereins" 1891, 
S. 230.) 

Als weiteres Argument ist angeführt, daß die Hoch- 
wasser gegenüber den Niederschlägen bedeutend ver- 
spätet erscheinen. — Wer die Stauungen bei Hochwasser 
vor Siphonen usw. beobachtete, kann sich die Verspätung 
leicht erklären. Selbst an den höchsten Decken vor 
solchen kann man Schwemmsand und eingeklemmte 
Aste beobachten. 

Fs liegt nicht im Rahmen dieses Aufsatzes, ändert. 
Umstände als Beweis für das Vorhandensein echter 
Höhlenflüsse anzuführen. Jedenfalls hängen die bis jetzt 
bekannten Ilöhlenflüsse des Karstes noch an keiner be- 
kannten Stelle mit dem Grundwasser zusammen. Die 
Frscbeinung des Zirk nitzer Sees und der Keaseltäler ist 
nur eiu Beweis, daß die oberirdisch abfließenden Gewässer 
über wasserundurchlässigen Schichten (in unserem Falle 
Focäu) beim llutreten der oberen Kreide zur Zeit des 



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Walther von Knebel: Theorien de» Vulkanismus. 



Maximalwasserstande« nicht entsprechend abfließend ge- 
macht werden können. Anders wäre es mit der Er- 
scheinung der gleichen Höhenlag« der Wasscrschliugor 



im Zirknitzer See und iu der Poikquelle; diese Er- 
scheinung, d. h. ihre genaue Bestätigung, laßt noch die 
Lücko offen. 



Theorien des Vulkanismus. 

Ein Rundblick auf ältere untl neuere Lehren. 

Von Walther von Knebel. 



(Schluß.) 



Der Glaube an die Abhängigkeit der Vulkane von 
Spalten hatte durch die wichtige Entdeckung der so- 
genannten Lakkolithe in den Henry Mountains in Colorado 
durch Grove K. Gilbert (1877) einen starken Stoß 
erleiden müssen. Die Lakkolithe (Gewölbesteine) sind 
nämlich oftmals gewaltig große Massen vulkanischen Ge- 
steins, die in die Erdrinde sich einquetschen und, ohne 
je hervorzubrechen , die oberen Lagen der Erdrinde auf- 
wölben, so daß brotlaibartig gestaltete Gebirgsmassen an 
der Uberflache sich bildeD, dereu vulkanische Entstehung 
erst nach Abtragung der die erstarrten Magmama^een 
umhüllenden Gesteine erkannt werden kann. 

Man kann wohl sagen, daß die Lakkolithe einen 
sicheren Beweis für die Unabhängigkeit der 
Vulkane von Spalten und für die Selbständigkeit 
der vulkanischen Phänomene geben: würden doch 
bei einem Vorhandensein von Spalten die Schmelzmassen 
unbedingt hervorgebrochen sein und sich nicht erst in die 
Erdrinde seitlich eingepreßt haben. 

Diese wichtige Schlußfolgerung wurde aber zunächst 
nicht allgemein gezogen. Zum Teil lag dies daran, daß 
die meisten Geologen zu fest an dem Dogma der Spalten 
hingen, zum anderen Teil daran, daß die bedeutende 
Persönlichkeit des Altmeisters unter den Theoretikern 
unserer Wissenschart, Eduard Suess, das Vorhanden- 
sein der Lakkolithe iu seinem „Antlitz, der Erde" in 
kurzen und klaren Worten als unmöglich hinstellte. 

Da aber kam ein weiterer Umschwung in der wissen- 
schaftlichen Erkenntnis des Vulkanismus, als im Jahre 
1895 W. Braue« in dem Vulkaugubiet von Urach 
in der Schwäbischen Alb den Nachweis führte, daß auf 
einem verhältnismäßig kleinen Gebiete an mehr 
als 125 Stellen der Vulkanismus gänzlich unab- 
hängig von irgend welchen Spalten hervor- 
gebrochen ist. 

Nun regte sich auch anderwärts die Erkenntnis. 
H. Bücking wies in der Rhön auf die gleiche Tatsache 
hin. Im britischen Archipel hatte bereits Sir Arcbibald 
Geikie ähnliche Beobachtungen angestellt, desgleichen 
in Österreich Ferdinand LoewL 

In den südamerikanischen Anden, jenem Gebiet, das 
ganz besonders die Spaltenlehro der Vulkane erweisen 
sollte, machte namentlich A. St übel auf die völlige 
Unabhängigkeit zwischen Vulkanon und tektonischen 
Linien aufmerksam. Gleiches geschab in Mexiko durch 
.E. Böse und andere. Ferner sprach sich P. Grosser, 
einer jener wenigen Gelehrten, die in allen Teilen der 
Erde vulkanische Studien betrieben hatten, sofort gegen 
die Spaltenlehre bur. 

Jetzt muß man also bereits zwischen den Gebieten 
unterscheiden , wo [wahrscheinlich der Vulkanismus mit 
präexistierenden Spalten zusammenhängt, und solchen, 
wo dies offenkundig nicht der Eall ist 

Vou diesen zuletzt genannten Gebieteu vordient das 
von Urach hier eine besondere Beachtung. Nicht nur, 
weil es durch die Studien ßrancas zum Ausgangspunkt 



neuerer Erkenntnis geworden ist, sondern auch infolge 
einer Reihe anderer Umstände: 

Erstens ist es nur wenig entfernt gelegen von 
einer der bedeutendsten Bruchlinien Mitteleuropas, der 
Donauspalte. Waren die vulkanischen Ausbrüche an 
tektonische Spalten gebunden , so hätten sie in diesem 
Falle nicht neben dieser, sondern auf ihr hervorbrechen 
können. 

Zweitens ist dieses Gebiet durch die Eigenart des Auf- 
tretens seiner Vulkanprodukte ausgezeichnet. W. Branca 
hat diese einer einmaligen Eruption ihre Entstehung ver- 
dankenden Vulkangebilde, weil sie eben in jugendlichem 
Zustande bereits erloschen sind, als Vulkanembryonen 
bezeichnet. Nicht nur jene gewaltigen, immer neu 
sich hervordrangenden Magmamassen großer 
Vulkauberde, sondern auch jene einmaligen 
Äußerungen geringer, schnell erschöpf 1 icher 
Vulkanherde sind unabhängig von Spalten. 

Drittens endlich sind die Vulkanembryonen Urachs 
dadurch von Wichtigkeit, daß sie tatsächlich die kleinsten 
Vulkane sind, die es gibt. Manohe dieser Eruptioiis- 
röhren haben kaum 100 Fuß im Durchmesser. Und 
diese geringsten Kraftäußerungen des Vulkanis- 
mus sind immer noch stark genug gewesen, um 
die Erdrinde selbsttätig zu sprengen! Wieviel 
mehr also sollten große Vulkane unabhängig von Spulten 
hervorbrechen können ! 

Mit der Spaltenfrage steht und fällt auch die Lehre 
von der Abhängigkeit der Vulkane vom Meer. Abgesehen 
davon, daß ohne Spalten kein Wasser in die Tiefe der 
Erde eindriugen kann, sei bemerkt, daß diese I,ehre auch 
durch andere Beweisgründe widerlegt ist Es war das 
Verdienst von G. Tschermak, vor jetzt genau 30 Jahren 
auf diese hingewiesen zu haben. 

Gesetzt freilich den Fall, daß wirklich Spalten in 
der Tiefe vorhanden wären, auf denen Meerwasser in die 
vulkanische Tiefe dringen könnte — wir halten dies für 
unwahrscheinlich -, dann könnte allerdings der Vulka- 
nismus, wieSvante Arrhenius darlegte (und wir haben 
keinen Grund, die theoretischen Ausführungen dieses 
großen Physikers anzuzweifeln), wirklieb hervorbrechen. 
Das geologische Beweismaterial ist es aber, das 
uns eine andere Erklärung erheischen und die 
von Arrhenius, wenn sie auch physikalisch denk- 
bar ist, verwerfen läßt 

Als einen der vielen GegengrQnde geben wir die Lava- 
eruptionen an, die sich oft iu näcbster Nachbarschaft 
des Meeres — so beispielsweise gerade gegenwärtig auf 
Savaii — ohne Exploaionserschuiuungen ereignen. 

So hatten wir denn wieder den alten Standpunkt 
Leopold von Buchs erreicht: daß der Vulkanismus un- 
beeinflußt durch die Verhältnisse der Erdoberfläche als 
selbständig gestattende Kraft aus der ewigen Teufe des 
Erdballes heraufkommt Aber der Umstand, daß die 
Wissenschaft nach langjährigen abweichenden Lebrmei- 
nungen allmählich wieder auf die älteren Auffassungen 



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304 



Walther von Knebel: Theorien de» Vulkanismus, 



zurückgekehrt ist, läßt diese in unseren Augen neu ge- 
kräftigt erscheinen. 

Wir stehen vor dor Frage: Sollen wir nun auch die 
Lehre Leopold von Uuchs von den Erhebungskratern 
wieder annehmen? Es ist das schwer zu sagen. 

loh selbst habe Gelegenheit gehabt, in Island das au 
studieren, was Leopold von Buch und Alexander von 
Humboldt für das erste Stadium des Vulkanismus hielten: 
dos Deckensystem von Eruptivgesteinen mit da- 
zwischen liegenden Tuffschichten. 

Ferner habe ich wahrend fünf Jahren kleinere Spezial- 
untersuchungen in einem der interessantesten Vulkan- 
Gebiete der Erde machen dürfen, dem vulkanischen Rica 
von Nördliogeo, das nach den bekannten Untersuchungen 
von Brunen und Fraas als ein vulkanisches Hebungs- 
gebiet anzusehen ist. Auf den Inseln Palma und Gran 
Canaria habe ich Erbebungscalderen studieren und 
darlegen können, wie große Wahrscheinlichkeit die 
Buchsche Auffassung in ihren wesentlichen Punkten 
für sich hat. 

Wenn sich auch mit unserer gegenwartigen Kenntnis 
vom Vulknnismus die Ausicbt von den Erbebungen durch 
vulkanische Gaao nicht vereinen laßt, so könnte doch die 
Entstehung durch jene Lakkolithe bewirkt sein, deren 
Nachweis, wie Branca darlegte, in gewissem 
Sinne ein Neuerwachen der Buch-Humboldtschen 
Lehre bedeutete. 

Wenn solche Lakkolithe die Erhebungen verursachen, 
so kann die Caldera selbst dann auf verschiedene Weise 
entstanden sein. Die gehobenen und infolgedessen stark 
gepreßten Zentralmassen können entweder der Erosion 
erlegen , oder aber durch vulkanische Explosionen aus- 
schleudert sein. Ja, es können sogar die Eruptionen 
der zweiten Ausbruchsperiode das Innere der Caldera 
gesäubert haben. 

Wenn ich mich hier im ganzen für die Lehre von 
den Erhebungskratern ausspreche, so will ich 
natürlich keineswegs sagen, daß alle Vulkane 
aus solchen hervorgegangen seien. Es mag sehr 
wohl auch solche Vulkane geben — vielleicht gehört der 
Vesuv zu ihnen — , an denen die Calderaringgebirge keine 
Erhebungskrater, die Calderatrichter nur Explosionskrater 
sind. Ich selbst habe mich bezüglich der Caldera der 
Insel Ferro in diesem Sinne ausgesprochen. Aber ich 
glaube bestimmt, daß ein großer Teil der Calderavulkane 
in ganz ähnlicher Weise entstanden zu denken ist, wie 
Leopold von Buch und Alexander von Humboldt es an- 
nahmen. 

Jedenfalls kann der Vulkanismus unabhängig von 
Spalten hervortreten und er kann Hebungen verursachen 
in der Art, wie die alten Geologen es voraussetzten. In- 
wieweit dies der Fall ist, wird die Zukunft 
lehren! 

Mit der Erkenntnis, daß der Vulkanismus aus den 
Tiefen der Erde, unbeeinflußt durch oberflächliche Gebilde 
(Spalten, Wasser), selbstAndig hervortritt bzw. hervor- 
treten kann, ist unser Thema noch niobt erschöpft. 

Zwei Fragen haben wir geflissentlich nicht berührt: 
sind es doch Probleme, die nach dem jeweiligen Stande 
der Wissenschaft im einzelnen immer wieder eine andere 
I«ösung erfahren werden. Es sind die Fragen: 1. nach 
der genaueren Herkunft des Vulkanismus und 2. nach 
der Ursache des Vulkanismus. 

Die erste Frage ist in früheren Zeiten weniger dis- 
kutiert worden; befand man sich doch auf dem Stand- 
punkt«, daß die Erde im Innern gasförmig bzw. glutflQssig 
sei und nur von einer verhältnismäßig dünnen Erdkruste 
umgeben werde, so daß die vulkanisebeu Kräfte mit Leich- 
tigkeit hindurchzudringen vermochten. Nachdem man 



aber präzisere Vorstellungen vom Wesen des Erdinnern 
erlangt hatte, mußte die Auffassung von dem Zentralfeuer 
aufgegeben werden. 

Namentlich Alphons Stübel war es, der für eine 
andere Auffassung eintrat, nämlich daß an Stelle des 
nach menschlichem Begriffcu unerschöpflichen Zentral- 
herdes zahlreiche, nahe der Erdoberfläche ge- 
legene erschöpfliche peripherische Vulkanherde 
anzunehmen seien, von denen aus die einzelnen Vulkan e 
eines Vulkangebietes gespeist würden. 

Die Tatsachen, daß der Vulkanismus nicht an allen 
Stellen der Erde gleichmäßig auftritt, sondern sich auf 
einzelne räumlich begrenzte Gebiete beschränkt, ferner, 
daß in einem joden Gebiete nach der Bildung der Vulkane 
eine Erschöpfung der Tätigkeit eintritt, endlich, daß da« 
spezifische Gewicht der vulkanischen Massen dem der 
Gesteine der Erdoberfläche und nicht jenem der schweren 
Zentralmassen unseres Planeten entspricht — alle dies« 
Tatsachen mußten zur Annahme peripherischer Vulkan- 
herde führen. Wir wollen hier nicht von den vielen 
weiteren Argumenten für diese Annahme, die namentlich 
Alphons Stübel beigebracht hat, reden. Nur der Ent- 
stehungaart jener peripherisch gelegenen Vulkanherde, 
wie sie von Stübel erklärt wurde, sei hier gedacht. 

Stübel nahm an, daß in der Urzeit der Erde, als 
eine nur sehr dünne Erstarrungskruate sich gebildet hatte, 
der Schmelzfluß der Tiefe leicht und daher auch wohl 
ungemein häufig hervorbrach. Es hätten sich, seiner An- 
sicht nach, dadurch im Laufe der unendlichen Zeiten, die 
verstreichen mußten, bis die Erde so weit abgekühlt war, 
daß die ersten Meere vorhanden waren, mithin auch die 
ersten Sedimentgesteine gebildet wurden, vulkanische Er- 
güsse zu einer Mächtigkeit von vielen Kilometern (nach 
Stübel etwa 40km) auf der Erdoberfläche angehäuft, 
und dieses gowaltige vulkanische Urdeekensyatem, 
das von ihm ala die Panzerdecke der Erde bezeichnet 
wird, berge in seinem Innern noch glutflüssige 
Massen, die an die größten ehemals vorhandenen 
Vulk&nmaaaen gebunden seien. Wäre dem so, dann 
würden wir unter den heutigen vulkanischen Ländern 
ehemals riesige Vulkane uns denken müssen, oder, mit 
anderen Worten, es wäre die Persistenz vulkani- 
scher Kräfte an bestimmten Teilen der Erde aus- 
gesprochen. Wir können dies naturgemäß nur schwer 
entscheiden, das aber ist sicher, daß der Vulkanismus 
kaum aus den großen Tiefen der Erde hervorbrechen 
kanu, sondern daß er, wie seine räumliche Begrenzung 
anzeigt, von einzelnen Schmelzherden ausgehen muß. Wie 
weit aber diese ihrerseits wieder mit dem glut- 
flüssigen Erdinnern in Verbindung stehen, das 
entzieht sich naturgemäß ganz und gar unserer 
Kenntnis. 

Wir kommen zu der anderen der zuvor genannten 
Fragen, nämlich jener nach der Ursacho dos Hervor- 
breebens vulkanischer Massen. Es sind hierüber 
verschiedene Auffassungen niedergelegt worden. Zu- 
nächst glaubte man , daß vulkanische Gase das Aus- 
stoßen des Schmelzflusses veraulaßten, wie ja auch Leopold 
von Buch angenommen hatte, daß die Entstehung der Er-w 
hebungskrater auf Gase zurückzuführen sei. 

Diese Auffassung, daß Gasmassen den Vulkanismus 
bedingten, findet heute noch vielfach Vertreter, aber man 
muß sie gleichwohl als völlig irrig verwerfen, da zahl- 
reiche Vulkane vorhanden sind, deren Massen 
gänzlich ohne gleichzeitiges Auastoßen größerer 
Gasmongen hervorgeij uollen sind. 

Eine andere Annahme, daß das Meer den Vulka- 
nismus verursache, haben wir zuvor bereits 
widerlegt. 



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Dr. H. I'rowe und Dr. W. Lehmann: yuiohö-Sagcu. 



305 



Eine dritto Ansicht iit die, daß dureh die faltenden 
Kräfte der Krdrinde größere Mengen vulkanischen Magmas 
au» der Tief« der Erde in höhere Zonen hineingeijuetscht 
werden , bo daß dort ein Hervorbrechen vulkanischer 
Mausen ermöglicht wird. Indessen tat diese Ansicht wohl 
ebenso als falsch anzusehen, wenn sie auch gelegentlich 
noch Vertreter findet. Donn die Vulkane kommen 
nicht nur in Faltengebirgen vor, sondern ebenso 
auch — ja sogar mehr noch — in Tafellandern. 

Kine vierte Hypothese nimmt zur Krklärung deB 
Hervorbrechen» vulkanischen Materials au, daß Magma 
in der Tiefe im Verlaufe des Krstarrungsprozessee vor- 
übergehende Volumen vermehr ung (Dilatation) 
durchzumachen habe, der zufolge je nach der Größe der 
Vulkanherde und der in ihnen erstarrenden MaBsen 
größere oder kleinere Vulkanmaasen zutage gepreCt 
würden. Diese Auffassung wurde von Ferdinand von 
Richthofen und namentlich von A. Stübel vertreten. 

In neuerer Zeit wurden von 0. Tammann über das 
Schmelzen und Erstarren verschiedene Versuche angestellt, 
die zu ungemein interessanten Ergebnissen führten. Man 
weiß, daß durch hohen Druck das Schmelzen eines Körpers 
erschwert werden kann. Es ist dann eino bedeutend 
höhere Temperatur zum Schmelzen erforderlich als unter 
normalen Drucken. Aber man kann diese Schmelzpunkts- 
erhöh ung infolge Druckes, wie ea scheint, immer nur bis 
zu einem gewissen Grade horhoif ühren ; geht der Druck 
über diesen hinaus, dann schmelzen die Körper wiederum 
bei geringeren Temperaturen. Nun weiß raun ferner, daß 
die Körper unterhalb des zu jenem maximalen Schmelz- 
punkte gehörenden Druckes im allgemeinen unter Zu- 
sammenstellung (Kontraktion) kristallisieren, wahrend sie 



höchstwahrscheinlich oberhalb de« zum maximalen 
Schmelzpunkt gehörenden Druckes unter Ausdehnung 
(Dilatation) erstarren. Vorausgesetzt, daß jene Ergeb- 
nisse der Experimente Tamm an ns auch auf die un- 
gemein schwer schmelzbaren Silikatgestoine der Erdrinde 
sich übertragen lassen, dann würde bis zu einer gewissen 
Tiefe — bis zu jener, bei welcher der Druck, der zum 
maximalen Schmelzpunkt gehört, obwaltet — eine Er- 
starrung unter Kontraktion erfolgen, während in noch 
größerer Tiefe das Umgekehrte der Fall wäre. 

Nun haben wir aber aus geologischen Erwägungen 
annehmen müssen, daß der Vulkanismus nicht in großer 
Tiefe der Erde, sonderu nahe der Erdoberfläche wurzelt. 
Und wenn nun eine Volumenausdehnung nur bei sehr 
großem Drucke, also iu sehr großer Tiefe ■tiittihidun 
kann, während in geringer Tiefe, also unter geringem 
Druck, eine Erstarrung unter Schrumpfung erfolgt, so 
müßte man den Schluß ziehen, daß die Vulkane umgekehrt 
in recht bedeutender Tiefe ihre Herde haben. 

Man könnte vielleicht den Widerspruch zwischen diesen 
beiden Ergebnissen durch eine neue Hilfshypothese er- 
klären, nämlich durch die Annahme, daß die peripherisch, 
d. b. nahe der Oberfläche gelegenen Vulkauherde noch 
Kanäle besitzen, die sie mit dem glutflüssigen Erdinnern 
verbinden. Wenn in jenem die Erstarrung unter Aus- 
dehnung erfolgt, dann könnten von da vulkanische Massen 
in die Schmelzhcrde hineingepreßt werden und so die 
Eruption veranlassen. 

Doch wir tappen mit allen diesen Erklärungsversuchen 
noch sehr im Dunkeln. Und wir müssen dies offen be- 
kennen, um uns über den Standpunkt derer zu erbeben, 
die da glauben machen wollen, daß wir dies alles wüßten. 



Qoiche-Sagen. 

Entgegnung von Dr. II. I'rowe. Guatemala. 

In meinem Aufsatze .Das Wissen der Quiche-lndianer in 
mythischer Form' (Globus, Bd. »0, 8. 157) findet Herr 
W. Lehmann .sprachliche uud sachliche Irrtümer*. — Mein« 
Übersetzung aus dem (juiehe stimme nicht mit der eines 
M. 8. in Paria überein und tauge darum nichts. .Die neue 
Art zu schreiben" stehe aber nicht im Popol Vuh und be- 
weise somit nicht, ee «ei eine „Bilderschrift-Interpretation*. — 
Xhalam ist Herrn I* .nur die Jaguarin*. X, ix (Herr Ij. 
•oh reibt xi) ist vor allem Präfix der Verkleinerung, dea 
Schwindenden, Vergangenen und sodann de« Weiblichen (Ge- 
ringeren). Quo (quelle) heißt wie, Xbalanque also wie ein 
kleiner Jaguar; aus jeder Grammatik geht das hervor. 

Die mir zuerst aufgefallene Analogie de« Einbein» Hurakan 
mit Tezcatlipoca findet Herr L. „tellüttverständllch* und 
ineint, der aztekische Gott werde „allenthalben* in den Bilder- 
schriften mit einem .abgerissenen Bein" dargestallt. Soviel 
ich weis, nur an weuigen Stellen mit verstümmeltem oder 
gefesseltem Fuße, der einmal (G. Fejervary l) mitten auf 
einem liegenden Kreuze befestigt ist, so daß es kein .schwie- 
rige« Kunststück* scheint, mit dem anderen Fuße im Kreise 
darum herumzugehen, ««« im M. 8. von Klorenz Fußstapfen 
zeigen. 

Ilurakan, das in viele Sprachen übernommene Wort für 
Sturm, erwähnt Oviedo (ed. IHM, 8. 82) allerdings zuerst, als 
er von Haiti berichtet. Kr bezeugt aber den Verkehr der 
Karaiben mit Yukatan. Sie oder später die Spanier können 
das Wort von dort nach Haiti gebracht haben. Von den drei 
lflftS in Haiti gebräuchlichen Namen des Orkans (Bochefort, 
zit. von Herrn Ii.) ist neben Hurakan auch das aztekische 
Yuualli vom Festlanile gekommen. — 1 ist Unkel, mox links 
und Imox der linkshändige Enkel. Wir kennen den Jaguar- 
golt mit der Keule in der Linken (C. Aubiu), die Figuren 
von Santa Lucia mit Jaguarkitpfen statt der linken Hand, 
deren Ersatz durch einen Schlangenkopf am Krokodilaltar in 
Copun, den linksbündigen (Lloquc) Inca Yupanqui (Nuttalt, 
Frine. 163) und den linkshändigen Kolibri, Iluitxilopochtli, 
so daft die wörtliche Ubersetzung seines Namens Imox allen 
diesen anreiht und weniger .willkürlieh* ist als die Ableitung 
aus ainoxtli (Herr L.) oder im (Seier), nicht „Mais*, sondern 
Brustwarze, weil eine Variante des Zeichens lmix so aussieht. 



Meist ist es aus oben fünf (auch sieben) Funkten und unten 
vier Strichen gebildet. Diese deute ich als die Fingerzwischen- 
räume der linken Faust, die fünf Punkte als Kasaiopeja (die 
sieben, nach Nuttall, als Urea minor) und das Ganze als Stern- 
bild zur Linken. Dort stehen um Mitternacht Urs* oder 
Kassioprja zu Beginn oder Ende der Begenzeit. Dort gehen 
sie unter, in Opocbcalocan , Platz de* Hauses zur Linken 
(Teznzomne), als stet» im Norden gedachte Unterwelt (Nuttall, 
8. 40). Dan widerspricht nicht dem iopochpa tonatiuh links 
von der Sonne als Süden (Palma-Seler II , SWS), macht aber 
Huitzilopochtli als den .Südlichen* noch fraglicher. 

Das Blasrohr heißt auf Quiche nicht pup (Herr L.), 
sondern pub, pu, und der Schütze ahpu. Der üott Hunahpu 
ist nach dem Popol Vuh ein Meister im Blasrohrschiaßen. 
Trotzdem behauptet Herr L. , sein Name habe nichts mit 
Blasrohr zu tun. Dazu hat ihn wohl Selera Versuch ver- 
leitet, die Identität der Tagesnamen Ahan (Maya) und (Uun) 
Ahpu (Quiche) sprachlich zu erweisen, den ich auch machte, 
weil Hunahpu mit dein ausgerissenen Arm der Tag Imox 
sein sollte. Patron dieses 1. Tages kann aber Xbalan<|Ue sein, 
den die Sage nicht streng von seinem Bruder trennt. Dann 
bleibt dessen voller Name dem 20. Tage, der nicht Ahpu 
hieß, wie Herr I.. annimmt , wenn er den Gott als am Tage 
1 Ahpu geboren auffaßt. Das beweist der Fürst Tay (2) Hu- 
nahpu der Cnkchlqucl-Annalen (od. Brinton, 8. 1&4). Tmtzdem 
int der Name dem Almu analog, da dessen Zeichen ein Gesieht 
ist mit im Dreieck stehenden Kreisen als Augen und Mund, 
ein Vogelgesicht nach Seiers Scharfblick, aber eines aus 
Sternen, das Mittelstück der Ka»*H>eja Auf sie gehen beide 
Namen zurück. 

Die „sprachlichen Irrtümer* sind also solche meines Kri- 
tikers, und die „sachlichen*? — Wir sind allzumal Hypo- 
these nsünder. 

Erwiderung von Dr. W. Lehmann. Berlin. 

Diese Erwiderung beschränkt sich anf Tataachen. 

Bezüglich der in Herrn Prowes Entgegnung gleieb 
anfangs mir zugeschobenen Sätze, deren Inhalt durchaus un- 
richtig wiedergegeben wird, kann ich nur anf meinen Original- 
wortlaut (Globus, Bd. Du, 18o6, 8.274, Absatz 2) verweisen. 

Das weibliche Präfix ix wechselt büutlg mit x ( ix 
oder xi») im (ju'iche (vgl. X-rju'ic .weiblich«« Blut", X-cot 
.weiblicher Adler*, X-toh, X-ganil, X-cocou und andere 



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liiicherscb.au. 



im Popol Viib). Der Gebrauch vod que in 
fester suffigierter Verbindung mit eioeui Subatantiv ist sprach- 
lich nicht belegt. Rein lexikalisch bedeuten quehe, que- 
heri allerdings „ebenso, gleich» ja", die syntaktisch zulässige 
Form würde aber quehe (ri) xbalain, nicht Xbalanque 
im Sinne den Herrn Prowe lauten müssen. 

Pia Analogie zwischen Hurakan und Tezeatlipoca 
int langst schon von Heier (s. z. B. Kommentar zum Codex 
Fejervary, 1901, S. 3.1) klar erkannt wurden. 

Die Häufigkeit der Darstellungen Tczcatlipoeas (und 
und einiger ihm nächst verwandter Gestalten) mit einem ab- 
gerissenen Bein wird zur Genüge dargetan durch: Cod. Vat. 
B. 19 u. r., ( od. Vat. A. «I; Cod. Fejerv. 42; Cod. Borgia 21, 
3.' r. u. 1. ob., 85 1. u., 39 r. u. 1. unt., 41 m. ob., 42 I. ob.. 
R9 I. ob. urw. An allen diese d und vielen andereu Stollen 
der Bilderschriften und Monumente ist der Fuß niemals „ver- 
stümmelt oder gefesselt*, sondern deutlich der Unterschenkel 
fib/ariiaen , so daß aus der Wunde das untere IVmurende 
herausragt. 

Die Möglichkeit eines selbst schon pracol limbischen Ver- 
kehrs zwischen Maynvölkeru (Yukatau») und den Großen 
Antillen soll nicht bestritten werden, da hierfür sogar in der 
Literatur sich Belege tinden lassen, ein linguistischer Ans 
tausch de* Wortes hurak»n zwischen Majas und Kanuten 
ist aber eine durch nichts gestutzte Annahme, der vor »Dem 
auch phonetische Gründe widersprechen. Das von Rochefort 
angegebene haitianische Wort für „Sturm* youällou bat mit 
dem mexikanischen Wort youalli, das übrigens „Nacht* 
bedeutet (part. pass. des Stammes youa .dunkel werden*) 
nur einen rein abfälligen, äußeren Klang gemeinsam. 

Mag auch i .Enkel* und mox .links" bedeuten, so ist 
darum iniox noch lange nicht .linkshändiger Enkel 1 , eine 
Etymologie, die außerdem recht wenig zur Aufklärung de« 
dunkeln Wortes beitragt. Di« von mir («. a. O. , R. 274) ge- 
äußerten Bemerkungen waren übrigem daselbst von vornherein 
als Vermutungen hingestellt worden. Die Beziehungen des 
Wortes imox zu im .weibliche Brust*, ixim „Mais* und 
der iu den Mayahandschriften so oft gerade bei Opfergnben 
zusammen mit kan (.gelb') vorkommenden Hieroglyphe 
imix, die ja dem mexikanischen Tageszeichen cipactli ent- 
spricht, haben höchstwahrscheinlich einen inneren Zusammen- 
Die astronomische Auffassung der llieroglvphe imix 
des Herrn Prowe ist lediglich Hypothese. 



Pup .Blasrohr* ist allerdings bei mir ein 
Druckfehler für pub (pujb im Pokonchi bei 8t«U). Es muß 
aber hervorgehoben werden, daß dor Stamm de» Worte» im 
(ju'iche und Cakchiquel ub lautet (*. ub-ax .mit Blasrohr 
erschossen werden*, ub-ah .mit Blasrohr erschießen" , u-ub 
.sein Blasrohr" , ub-om .Blasrohr besitzend*). In einem 
alten Mayavokabular, das Brasseur benutzte (s. Codex Troauo 
II, 1870. 8. 402) wird ub mit der Bedeutung .tubo. eiWniuo 
inferior de algo* angegeben. 

Belers Ableitung von ahau <; ahpu (s. Ges. Abhandlungen 
I, 8. 500 ff.) hat alle philologische Wahrscheinlichkeit fiir 
sieb. Ahpu in der Verbindung mit hun .eins", also hun 
ahpu ist sicher ein Kalenderdatuni und entspricht durchaus 
dem Maya hun ahau .eins Herr*, dem mex. ce xochitl 
.eins Blume", d.h. dem Sonnengott, dem Regenten des IV., 
dem Buden zugeteilten Tonalamatlfünftels. 

Diesem Hun ahpu analog gebildet ist ferner der Name 
Hun Came = mex. ce miquiztli ,etus Tod", oder Hun 
Chouen, Hun ba'tz =- mex. ce ozornfitli .eins Affe*. 

Dagegen lautet der Blasrohrscbützc ursprünglich und 
noch heute su im Pokonchi nh-pub, ah-pnjb-che (Stoll). 
Die Auffassung von Hun ahpu etwa = *Hun ahpub, als 
.eins Ulasrobrschütze*, ist vollständig haltlos. 

Die Verbindung von hun .eins" und ahpu = ahau 
.Herr* ist vielmehr eine so altertümliche und feste, wie «* 
gerade bei Kalenderdaten nichts Wunderbares ist und z. B. 
aus dem Tzapotekischen in klassischer Weis© illustriert wird 
(«. Seier, Ges. Abhandlungen I, 8. M4) — , daß sie ganz in 
eins zusammenfloß und daß sogar davon weiter nicht nur 
Hun hunahpu im selben Sinne wie Hun ahpu, sondern 
auch Vucub hunahpu = 7 ahau (vgl. mex. Chicome 
xochitl ,7 Blume*) gebildet wurden. Ähnlich erklärt sich 
dann auch der Cakohiquel-Name Cay hunahpu = 2 ahau. 

Die angebliche Beziehung von Hun ahpu zu imox ist 
unverständlich. 

Meine Bemerkungen über diesem ganzen Gegenstand hat 
Herr Prowe leider so mißverstanden, daß ich, um nicht zu 
weitschweifig zu werden und die Richtigstellung seiner Irr- 
tümer abzuschließen, auf Globus, Bd. »0,8. 274 zurückverweisen 
muß. Auch die astronomische Auffassung der Hieroglyphe 
ahau („Mittelstnek der Kassiopeja*) entbehrt jedes Be- 
weise». 



Fritz Kraase, Die Pueblo-Indianer. Eine historisch-ethno- 
graphische. Skizze. Mit » Tafeln , 1 Karte und 15 Text- 
figuren. (Nova Acta. Abb. der K. Leopold. -Carol. deutschen 
Akademie der Naturforscher. Band LXXXVll, Nr. 1.) 
Hall« 1807. 

In großer Fülle haben sich von amerikanischer Seite die 
Werke und Abhandlungen über die Pueblo-Indianer gemehrt, 
die eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen den soge- 
nannten wilden Indianern der Vereinigten Stauten und den alten 
Kulturvölkern Mexiko« einuchmen. Kaum zu <il>er*chen ist 
die reiche Literatur, aus der wir nur die mehr oder minder 
umfangreichen, meist mit schönen Abbildungen versehenen 
Arbeiten von Bandvlior, Cualiing, Dorsey, Voth, Fewkes, Hodge, 
Holmes. MiudelefT, Nordenskjold, Stevenson hervorhel>en. Die 
amerikanischen Museeu sind voll von den Erzeugnissen dic<ser 
Pueblo-Indianer und den Krgebnissen der Ausgrabungen, die 
an ihren Wohnsitzen unternommen wurden. 

Selbst für den Ethnographen vom Fach war es schwierig, 
hier stete zu folgen und den Uberblick in der Flut der Er- 
scheinungen sich zu bewahren. Da kaun es denn als ein Ver- 
dienst des Verfassers bezeichnet werden, wenn er in mühe- 
voller Arbeit alles zusammenfaßt«, was in der reichen Literatur 
bisher erschien, und systematisch zu einem übersichtlichen, 
wohlgeordnetem Ganzen zusammentrug, da.« uns in den ein- 
schlägigen Fragen nicht im Stiche läßt und leicht Auskunft 
gibt Abschließend freilich kann das Werk nicht sein, da die 
Untersuchungen noch im vollen Flusse sind; aber Was mit 
dem heutigen Material geleistet worden konnte, ist geleistet 
worden. 

Dr. Krause gliedert den umfangreichen Stoff in drei Teile. 
Zunächst behandelt er. authropogeographisch, die wichtigsten 
Faktoren der Knltiirentwickelung; dann folgt der ethnogra- 
phisch-ethnologische Teil, wie er iu der hemigeii Puehlokutmr 
sich zeigt ; schließlich wird auf Grund der geschichtlichen, 
archäologischen und ethnologischen Untersuchungen die An 
thropologie der Pucblo -Indianer erörtert. Die merkwürdige 
Architektur, die schon deu ersten Entdeckern «iit'llel, wird als 



durchaus einheimisch, ohne fremden Einfluß, nachgewiesen. 
Über den Zusammenhang mit anderen amerikanischen Völkern 
ist noch nicht genügende Kunde vorhanden, aber Beziehungen 
zu den Nord Westamerikanern sind vorhanden und andererseits 
zu den Mexikanern. Außer der Karte, welche die Sitze der 
verschiedenen Stamme der Puebtoe farbig verzeichnet, Ist eine 
Anzahl Tafeln dem Werke beigegeben, welche die Bauweise 
und zwei Hopi lndianertypen veranschaulichen. 

Onkur St h iin cm ii nn t Das El«aß und die Klsiisser von 
den ältesten Zeiten bis zum Jahre tilo n. I hr. 
Straßburg, J. H. E. Ueitz, 1907. 3,50 M. 
Auf breitester Grundlage werden hier die Völkerströme 
behandelt, die seit den erreichbar iiIUsten Zeiten sich über 
West- und Mitteleuropa ergossen und dabei ihren Wohnsitz 
im heutigen Elsaß nahmen, wo sie mehr oder minder Nieder- 
schläge hinterließen. Nicht nur die Gesahicht* und Sprach- 
forschung, iu orxter Linie die Ortsnamenkunde, werden heran- 
I ge/ogeu, sondern auch die somalisch« Autbropologi« und die 
l'räbistorie tinden Berücksichtigung. Ein sehr großer Teil des 
Werkes bewegt sich, besonders da, wo von den ältesten Be- 
wohnern die Kede ist, auf stark hypothetischem Gebiet, und 
da vermissen wir dann die Quellennachweise, die, wie ein 
Register, dem sonst auf wissenschaftlicher Grundlage auf- 
gebauten Werke fehlen. Sctiöneuiann beginnt mit den Spuren 
der ältesten Völker, die er zum Elsaß in Beziehung setzt, mit 
den Baskeu, deren Volksname im Wasgenwalde, den Vogeeen 
(älteste Form Voeegus), fortloben soll, und denen er auch die 
megalithischeii Denkmäler zuschreibt, von Afrika durch Sild- 
I europa usw., wobei die irrtümliche Behauptung aufgestellt wird, 
I daß eine Linie von Brüssel zur Ilhonemündung die Dolmen 
I nach Osten abgrenze. Wo bleiben da die großartigen Dolmen 
der Niederlande, SorthhuUchlands und Skandinaviens? Auf 
die Ähnlichkeit von Orts- und Flußnamen sich stützend, er- 
teilt der Verfasser dann den I.igurern eine viel weitere Aus- 
dehnung nach Osten hin (bis Ungarn), als man gemeinhin zu- 
gibt , wobei selbst d.-r moderne Name Kolmar i. P. mit dem 



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Kleine Naohriohten. , 307 



elsassiachen Colmar verglichen und als ligurisch hingestellt 
wird. Die Spuren der ligurisohen Bevölkerung im Elsaß glaubt 
Schönemann noch heute nachweisen zu können, und viele», 
wji* wir gewohnt sind nuf keltisch -gallischen Ursprung zu- 
rückzuführen, spricht er den Ligurern zu, so die berühmte 
lleidenmauer auf dem Odilienberge und die Flußnamen Isar 
und Iscre, wobei aber sonderbarerweise die in Böhmen, dem 
keltischen Bojerlande, fließende leer nicht beigezogen wird. 
Die Gallier kommen mit ihrem Einflüsse auf dm Elsaß Über- 
haupt schlecht weg: nicht als Volk, sondern nur als Krieger 
sollen sie sich im Elsaß festgesetzt haben, die. über eine ligu- 
risch» 8klav*nbevölkerung herrschten und »ich mit deren 
Krauen vermischten. Nach dein Verfaßter bat niemals «ine 
größere Anzahl von Kelten im Lande gewohnt. 

Während diese Abschnitte über die ältesten Völkerschaften 
der Kritik genügenden Spielraum darbieten , wir ee mit zu 
vielen .möglicherweise", .vielleicht", .scheint* zu tun haben, 
fühlen wir uns sicherer, wo mit dem Auftreten der Keiner 
das Licht der Geschichte zu leuchten beginnt. Ihr Einfluß 
auf die Kultur wird klar geschildert, den Kämpfen Casars 
mit Ariovist ein breiter Kaum eingeräumt , das Einrücken 
der Alemnunen und die GurmanUierung vortrefflich ausein- 
andergesetzt, wobei auch der romanischen Keule, die heute 
noch in den Vogesen hausen, gedacht wird, worauf mit der 
Unterwerfung der Alemannen durch die Kranken die Dar- 
stellung schließt. 

Was den Namen Elsaß betrifft, so lernen wir durch den 
Verfasser eine neue Deutung kennen. Er verlautet zum ersten 
Male beim Chronisten Fredegar, Anfang des 7. Jahrhunderts, 
wo von Alsatiu» und Alesaciones die Rede ist; von 806 an er- 
scheint auch Klisacinse. über die Deutung von saz als all- 
hochdeutsches Wort fur Sitz, Wohustätte herrscht kein Zweifel 
— aber die ersten Silben des Namens haben sich mannigfache 
Auslegung gefallen lassen müssen. Schönemann knüpft an 
elilenti, das Ausland, die Fremde, mit dem Nebenbegriff Elend 
an und deutet nun, da» das I<and den Alemannen ein solches 
elende« Ausland geworden sei, »eit sie unter die Herrschaft der 
christlichen Franken gebeugt wurden. Die Bedeutung ging 
verloren, der Name blieb. 

Fells Rosen, Eine deutsche Gesandtschaft in Ahei- 
sinien. XII u. 48« S. Mit IttO Abb. n. 1 Karte. Leipzig, 
Veit u. Co., 1807. 10 M. 
Es ist dies Buch eiue Schilderung der Reine jener Oe- 
sandtschuf t , die von der deutschen Regierung Ende 1904 an 
den Hof Meneliks geschickt worden ist. Reinerzeit ist von 
ihr viel Aufhebens gemacht wordeu, doch scheint es — wenn 
nicht alle Zeichen trügen -. das ihre Fölsen für beide Teile 



gleich Null sein werden , genau so , wie es bei der Konlfs- 
schen Uesandtscltaftsreise vor 25 Jahren der Fall gewesen 
ist. Der Verfasser des Buches nahm , wie es im Vorwort 
heißt, als .naturwissenschaftlicher Beirat und Sammler* an 
der Reise teil; aus dem Test ersehen wir ferner, daß er anch 
ethnographische Gegenstande gesammelt uud Höhcnuiessungen 
ausgeführt hat. Die Ezpedition (fing auf bekannten Wegen 
von Dschibuti über Uarar nach Adis Abeba und von da durch 
G od schäm über Dehrn Markos, deu Tanasee und Gondar durch 
Semjen nach Axum, endlich ober Adua Uud durch Eritrea 
nach Massaua. Neu ist hierbei ein etwa 15U km lauge» Kouten- 
stück zwischen Adis Abeba und dem Blauen Nil. Die Ge- 
sandtschaft hatte nämlich den Ehrgeiz, auf der Rückreise 
ein Stück bisher unbekannten tandes im .Herzen von Afrika" 
— so nennt der Verfasser nicht ganz zutreffend «ogar schon 
Harar! - - kennen zu lernen. Das ist also geschehen , und 
der Verfasser hat es auch ausführlich beschrieben, aber es 
ist zu bedauern, daß bei der Zusammenstellung des Gesandt- 
schaftspersonaU ein Topograph vergessen worden ist. So ist 
jene Route offenbar nicht aufgenommen wordeu. Da» Kart- 
eben am End« des Buches ist eine für den Durchschnitts- 
leser ganz unzureichende, noch dazu teilweise falsche (Abai- 
lauf!) Ubersichtsskizze, 

Unsere Keiseliteratur über Abessinien ist im allgemeinen 
»ebr gehaltvoll. Das vorliegende Werk reiht sich ihr quali- 
tativ nicht an; der Verfasser hatte eben in Anbetracht seines 
kurzen Aufenthaltes unter den .geschniegelten Halbwilden', 
wie er die Abessinier uennt, mit seiner Arbeit einen schweren 
Stand. Es wäre am besten gewesen , der Verfasser hätte in 
möglichster Kürze nur das mitgeteilt, was er erlebt und ge- 
sehen hat. Statt dessen hat er mit oft ermüdender Weit- 
schweifigkeit und Breite die Reiseabenteuer und den Aufent- 
halt in Adis Abeba geschildert , wobei wenig Neuen aufstößt 
und nur ab und zu der Botaniker auf seine Rechnung kommen 
dürfte, und dann diese Darstellung durch ausgiebige Benutzung 
der Schriften von Panlittchke, Melli, Bruce, d'Abbadie, Poncet, 
Küppell, v. Ileuglin, HenUe und älterer Autoren etwas auf- 
frisiert. Von Interesse , wenn auch nicht ganz überzeugend, 
sind des Verfassers Gedanken über die Frage, ob Abessinien 
wirklich bis Ende de* 15. Jahrhunderts in Europa unbekannt 
gewesen sei (vom Verfasser verneint, wenigstens für Italien), 
und über die Erbauer des Gemp in Gondar (keine Jesuiten). 
In Dohrs Markos sah der Verfasser eine Zwergin H'J.'> cm 
Größe), von der ihm gesagt wurde, sie stamme .aus den 
Wäldern westlich vom Rudnlfsee*. 

Unter den zahlreichen Abbildungen sind manche nicht 
ohue Wert, hesouders landschaftliche und solche von ethno- 
graphischen Sainmelobjekten. H. Singer. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck Bat mit Qosllanaiigalw gasutut, 



— Der Kopf des Bamumhi-rrscher* Saugo. In der 
großen Stadt Itanium (vgl. die Mitteilungen Hutters in Nr. 1 
bis ■') des laufenden Globusbandes) herrscht seit acht Jahren 
Sultan Joja. Sein Vater und Vorgänger Sango war im 
Kampfe mit dem Stamme der Üansso getötet worden, diu 
■einen Kopf mit sich genoiuincn hatten. Er war dort bisher 
im Besitz des Häuptling» Symu , der ihn in einen Korb 
gesteckt, ihn jedes Jahr einmal herausgenommen und seinem 
Volke gezeigt hatte, was immer den Anlaß zu großen Fest- 
lichkeiten geboten hatte. Die Hansso wurden IBOti durch diu 
Schutztruppe unterworfen, und zu den ihnen auferlegten 
Friedonsbedlnguiigeu gehörte auch die Auflieferung des Kopfes 
Sango* an die Station Bnmenda. Leutnant v. Wenckstvm, 
der mit der Entgegennahme der Leistungen beauftragt war, 
übergab den Kopf Joja, der ü<>er dleseu Dienst «ehr erfreut 
war. v. Wenck»tern liesrhreitit diese Vorgänge im „Kolonial- 
blatt* vom 15. März und berichtet dann noch: .Von Ilamuuis 
wurde mir gesagt, daß Joja erst jetzt, im Besitz des Kopfes 
seiues Vaters, von vielen «irklich als Häuptling angesehen 
und geachtet würde. Joja »oll häutig zum Vorwurf geinaeht 
sein, daß er den Kopf seines Vaters nicht in seinem Lande 
habe. Dies ist leicht erklärlich, wenn man in Betracht zieht, 
daß die Bamums die Köpfe der gefallenen Häuptlinge auf- 
bewahren. Der Verstorbene wird bis zum Hals senkrecht 
eingegraben , über ilen Kopf wird ein Tongefäß gestellt. Ist 
die Verwesung eingetreten, so wird der Schailel for (genommen 
und in einem besonderen Hause untergebracht. Hin und 
wieder, hauptsächlich bei besonderen Gelegenheiten, goht der 
Nachfolger zu dorn Hause und bringt I'almwein für den 
Toten dorthin.* Heinum hatte nun seine Trauerfeier. Alle 
Leute bemalten sich weiß (vgl. Untier, a. a. ü. . 8. 4") und 



trugen schmutzige, zerrissene Kleider. Mau hielt sich in den 
Häusern, aus denen dns Wehklagen der Frauen herausklang. 

— Die Bemühungen um die Einführung Oes metrischen 
Maß- und Oewie.btsystems in England haben leider 
eine neue Enttäuschung erfahren, denn das Unterhau» hat 
Ende März einen dahin gehenden Gesetzentwurf wiederum 
abgelehnt, mit ISO gegen 118 Stimmen. Die Mehrheit 
stellte sich auf den vom englischen Handelsamt vertretenen 
Standpunkt, daß die Abänderung de» bisherigen Systems in 
vielen Industrien Beunruhigung hervorrufen würde, und 
schloß sich auch der Ansicht eines Vertreters der Baumwoll- 
r.rbeiter au , daß die Textilarbeiter in ihrem I<ohutarif ge- 
schädigt werden könnten' Da« Gitta der Bevölkerung ist al»o 
gegen die praktische Neuerung, deren Einführung winder auf 
lange Jahre in Frage gestellt erscheint. 

— Die Erhöhung des Nildaiumes bei Assuan und 
damit die Vergrößerung des durtigen Stauwerks int nunmehr 
beschlossene Sache, nachdem sich herausgestellt hat, daß die 
Einrichtung eines neuen Stauwerke» oberhalb des S<-.hahluka- 
katarnkts nicht ausführbar i»t- Gegen jene Erhöhung war im 
Interesse der Ruinen auf l'hilae lebhaft Einspruch erhoben 
worden; man hatte sie bereits bei der Erbauung des jetzigen 
Reservoirs durch Schutzmaßregeln vor der 1'ulerspnlung und 
Vernichtung »ichern müssen, und künftig wird die Gefahr 
für deu Bestand jener schönen ägyptischen Denkmkler noch 
weit größer sein. Der Damm soll so weit erhöht werden, daß 
das Reservoir bis 7 m über den jetzigen Maximalsten! gefüllt 
werden kann und dann zweieinhalhmal so viel Wimer enthält 
wie jetzt. .1tt!>000ba neuen Kulturlandes »ollen dadurch ge- 



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Kleine Nachrichten. 



«rönnen werden, «las für 75 Millionen M. Baumwolle hervor- 
bringen kann- I>i* Kosten dor Erhöhung des Dammes werden 
auf gegen 31 Millionen M. geschätzt, und die Arbeiten dürften 
sechs Jahre beanspruchen. Die gefährdeten Bauwerke Ton 
Philae and die teilweise ebenfalls bedrohten Nilruinen auf- 
wart« bis Wadi Half» will die ägyptische Regierang durch 
Verstärkung des Unterbaue» gegen die zeitweilig vollständige 
Überflutung nach Möglichkeit zu »ahutzeu versuchen; sie will 
ferner, bevor es vielleicht zu spat ist , im Einvernehmen mit 
den wissenschaftlichen Wünschen ganz Nobien archäologisch 
gründlich durchforschen lassen. 

— Ende April hat der Heichsforscbungsdampfer 
.Poseidon* von Kiel aus eine neuo Fahrt zwecks biolo- 
gischer und hydrographischer Untersuchungen in der Ost- 
und Kordsee angetreten. Leider wird es seine letzte sein, 
da das internationale Zentral - Observatorium in Kopenhagen 
eingeht. An dieses Observatorium wurden die Resultate der 
Foracbungsdanipfer , die die beteiligten Staaten alljährlich 
auntandten , zur Bearbeitung Ober» lesen. Diese haben nun 
aber gefunden, daB die Unterhaltung jenes Instituts zu teuer 
sei, und so hört es — und mit ihm die Ära der internatio- 
nalen Nord meerforsch ung — nach vierjährigem Bestehen auf. 

— Albert Samuel Oatschet vom Bureau of American 
Elhnnlogy der Bmithsonian Institution, einer der verdientesten 
Vertreter der nordamerikanischen Ethnologie und Sprach- 
forschung, ist im Alter von 75 Jahren am IC. März d. J. in 
Washington gestorben. Oatschet war am 3. Oktober 1832 
in St. Beatenberg in der Schweiz geboren, studierte in Bern 
und Berlin und beschäftigte sich zunächst mit historischen 
und philologischen Untersuchungen über die antik« Welt, auch 
mit schweizerischen ortseiyuiologischen Forschungen. 18Ö8 
ging er nach den Vereinigten Staaten, wo er In Neuyork, 
dann in Washington arbeitete. Dem 187» gegründeten Bmith- 
sonian Institution gehörte er in hervorragender Stellung bis 
zu seinem Tode an. OroB ist die Zahl seiner Reisen zum 
Studium der nordaraerikanisehen Indianer gewesen und un- 
übersehbar die Anzahl seiner linguistischen und ethnologischen 
Arbeiten über sie. Es sei in dieser Beziehung auf die Mit- 
teilungen lloops' (mit Gatschets Bildnis) B. 337 des «l.Qlobua- 
bandes verwiesen. Iu letzter Zeit hat Oatschet sich unter 
anderem mit den Dialekten der Creekspraohe beschäftigt. 
Ein von ihm herausgegebenes Sagenbuch, ein Glossar und 
eine Grammatik dieser Sprache werden in den amerikanischen 
Indianerschulen gebraucht. 

— Eine Nationalitätenkarte der Provinz Ost- 
preußen in 1 : 500000 veröffentlicht P. Langhans in seiner 
/.»itschrift .Deutsche Erde*, 1907, lieft 1. Zugrunde gelegt 
sind die mit der Volkszählung von 1900 verbunden gewesenen 
Erhebungen über die Muttersprache. Durch verschiedene 
Farben oder Farbengrade sind unterschieden üemeindeein- 
heilen mit vorwiegend deutscher, vorwiegend polnischer 
(d. h. mesuriioher) und vorwiegend litauischer Muttersprache. 
Außerdem, haben noch die Kuren uud Philippinen (iu der 
Jobannisburger Heide) besondere Farben erhalten. Unter 
anderem erhellt daraus, daß die Nordgrenze des masurischen 
Sprachgebietes in den letzten Jahrzehnten nur wenig zurück- 
gewichen ist; in der Tat geschieht die übrigens nicht sehr 
intensive Germanisation aus dem Innern Masurens heraus. 
Eine interessant« Sonderstellung nimmt — auf der mit größe- 
ren Prozenlunterwhieden rechnenden Karte natürlich nicht 
erkennbar — der Kreis Ooldap ein. weil es hier neben der 
Deutsch sprechenden Hauptbevölkerun^c auch Litauisch und 
Masurisch sprechende Gemeinden gibt; sie haben sich wohl 
itn Schulze der dortigen grollen Walder erhalten. Als Text 
zu der Karte ist der in demselben Heft abgedruckt« Aufsatz 
Friedrich Hahns über die Entstehung der Bevölke- 
rung Ostpreußens aufzufassen. Der Königsberger Uui- 
versitäUprofessor entwirft davon in knappen Strichen ein 
interessante» Bild; ihn erinnert die Eroberung und Koloni- 
sation des deutschen Nordostens in mehrfacher Beziehung an 
die Coni|uista in Mittel- und Südamerika. 

— Ei» neue« Buch mo R. Parkinson ist seit dorn 
April d. J. im Erscheinen begriffen. Es führt den Titel 
.Dreißig Jahre in der Südsee. Land uud Leute, Sitten 
und Gebräuche im Bisiuarckarchipel und auf den deutschen 
Saloniouiseln", wird von Strecker und Schröder in Stuttgart 
verlegt, mit zahlreichen Abbildungen und Karleu versehen 
sein und in 2b Lieferungen zu 50 Pf. bi» Ende 1W7 fertig 
vorliegen. Es ist erfreulich, daß Parkinson sich entschlossen 
hat. die unvergleichliche Fülle seiner Erfahrungen und Beob- 



achtungen im Bismarckarchipel der Wissenschaft sowohl, wie 
im Zusammenhi 



Es handelt sich hier in der Tat um ein literarische* 
Ereignis ersten Ranges auf dem Gebiet« der Ethnographie. 
In dieser dürfte der Schwerpunkt des Werkes liegen. Uber 
den Plan der Darstellung entnehmen wir dem Prospekt, daß 
die einzelnen Inaein oder Inselgruppen nacheinander — zum 
Teil zum überhaupt ersten Male — besprochen werden sollen, 
zuerst die geographischen Verhältnis»* , dann die Bewohner- 
schaft; es ist also eiue systematische Beschreibung des Archi- 
pels angestrebt worden. Die illustrative Ausstattung des 
vorliegenden ersten Heftes laßt auch in dieser Beziehung nur 
Vortreffliches von dem Werke erhofTcD. Nachdem es beendet 
sein wird, soll auf das Werk genauer eingegangen werden. 

— .Schwarzer Regen" fiel am 10. April in Pem- 
brokeahire. Begleitet war er von einem heftigen Gewitter- 
sturm und verfinstorter Atmosphäre. Diese Finsternis wurde 
östlich bis t'ardiff beohachtet, das Gewitter aber blieb auf 
die westlicheren Gebiete beschrankt. Gefärbter Regen soll 
auch in Carmarthen gefallen sein. Solcher Regenfälle hat 
es in den letzten Jahren mehrfach in Südwales gegeben. 
Einer ereignete sich in der Umgebung von Barry, ebenso wie 
in Westengland, am 23. Januar 19012, ein zweiter, der aua- 
gedehnter als jener war, und dessen Staub sich von dem aller 
früheren Fälle unterschied, am 21. Februar 1908. Eine Ana- 
lyse des Staube« von 1903 ergab, daß er wahrscheinlich vul- 
kanisch war. Überlieferungen von sog. Frosch-, Sehnecken- 
und Fischrogen finden sich in der Chronik von Olamorgan. 
(.Natura* vom 18. April 1907.) 

— Ein junger schweizerischer Naturforscher. Dr. Walter 
Volz, «oll Anfang 1907 im Hiruerlande von Liberia von 
einem Mandingostemm ermordet worden sein. Volz, der 
in Basel studiert hatte, war drei Jahre in Sumatra 
im Auftrage eines Petroleumunternehmens tätig und dann 
Assistent des Professors Studer am zoologischen Institut in 
Bern. Im Mai 1906 begab er sich itn Auftrage der schweize- 
rischen geographischen Gesellschaft nach Westafrika , wo er 
zunächst in Sierra Leone mit zoologiechen und ethnographi- 
schen Arbeiten und Sammlungen beschäftigt war. Ende No- 
vember gedachte Volz in das Inuere Liberias vorzudringen, 
die Kannibaleuatämme der Lele und Obele am mittleren 
St. Paul zu besuchen und dann nordostwärta nach dem fran- 
zöschen Posten Beyla zu wandern. Im liberianisch -französi- 
schen Grenzgebiet herrschten damals Unruhen , mit deren 
Niederwerfung die Garnison von Beyla zu tun hatte, und in 
dieses aufständische Gebiet seheint Volz hineingeraten zu 
sein. Als die Franzosen das Dorf Buseedu südlich von Kuong- 
kang (am oberen St. Paul, westsüd westlich von Beyla) er- 
stürmten, fanden sie dort unter anderem die I<eiche eines 
Europäers vor, in dem man den Dr. Volz vermuten muß. Er 
dürfte von einem der aufständischen Mandingohäuptlinge 
gefangen genommen und beim Anrücken der französischen 
Truppen ermordet worden sein. 

— Geheimer Hofrat Dr. Arthur Baeßler, der bekannte 
Südseereisende und Erforscher südamerikanischer Altertümer, 
ist am 31 März d. J. in Eberswalde gestorben. BaeßU-r, 
der in Glauchau geboren war uud in Leipzig Naturwissen- 
schaften studiert hatte, war in der glücklichen Lage, ohne 
Rücksicht auf die Kosten seine weitreichenden Wanderpläne 
verwirklichen zu können. Im Jahre 1*87 unternahm er seine 
erste Reise, die ibn nach Niederländisch - Indien Und in die 
Büdsee führte. Vier weitere Reisen in die Hudsee und nach 
Südamerika folgten. Seinem Sammeleifer verdanken Ethno- 
graphie und Anthropologie außerordentlich viel, und seino 
Sammlungen bildeu wertvolle Bestandteile des Berliner Mu- 
seunis für Völkerkunde, der Museeu iu Dresden und Stutt- 
gart. Von Baeßlers Veröffentlichungen seien zunächst ge- 
nannt seine ,Büdseebilder" (1895) und seine .Neuen Südsee- 
bilder" (1900), beide auch für weitere Kreise von Interesse; 
daun ein vielbändige* Werk . Altpvruanisohe Altertümer". In 
den letzten Jahren, als er sich in Berlin aufhielt, beschäftigte 
«ich B&eßler vornehmlich mit der Untersuchung aeiner im 
dortigen Museum für Völkerkunde ausgestellten peruanischen 
Mumien durch Röntgenstrahlen. Eine eingehendere Würdi- 
gung des zu früh Verstorbeneu (mit Bildnis) findet sich iu 
Bd. 75 des Globus, 8. ü8. 

— Berichtigung, iu der Arbeit von Prof. Ii. Kütimeyer 
über Ma»ken und Maskeugebräuche im Lötschental 
(Schluß, S. ült>, link«, dritte Zeile von unten) muß es statt .wenig 
vergänglichen Bauten- seh 



IM. ..Druck: Krl*a r. Vit««« u. Hob», I 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER I TNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANOREE. 

VERLAG von FRIEDR. V1EWEG & SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 20. BRAUNSCHWEIG. 30. Mai 1907. 

Naclidroek nur ufh (HxrnakaBft mit <t*r Vcrlmnlutudlung tf*«utt#t. 



Ein Artikel im „Antbropos", B<L II, Heft Ii „Sur 
quelques. Station« dolineniques de 1'Algerie" pnr Louis 
Levistre, Institutenr ä Duvivier, veranlaßt mich, oiue 
Photographie bekannt zu geben, die ich im vergangenen 
Jahre auf dem großen Dolmenfelde Mittel-Tunisiens auf- 
genommen habe. Soweit ich sehe, ist von diesem wenig 
oder gar nichts in der deutschen Literatur mitgeteilt, 
zumal nicht in bildlicher Darstellung, und so dürfte diese 
kurze Notiz nicht unwillkommen »ein. 



Dolmen. 

sind, diese Feigenkakteen , haben sie mir den Eindruck 
seltsamer Friedhufe geprägt, das kurz», wuchernde Dorn- 
gestrüpp zwischen ihnen formte sich unter der flimmern- 
den Sonne zu Hachen Grübern, und die fleischigen Stengel 
der Kakteen schützten sie wie die Kreuze unsere Epheu- 
hügel. Und alle waren sie da, die Btolzen reichen wie 
die bescheidenen armen, die aufrechten, von frischer 
Trauer gepflegten, die vergessenen, verfallenden, gestürz- 
ten und im Stürzen sich neigenden, die Andenken au 



Dolmen zwischen Enfldnvllle nnd Kalronaa, Tunisien. 

Nach einer Photographie des Verfaulen. 



Von Enfidaville, einer Station der Eiaeubahnliniu 
Tunis — Sousse, die in meinem Falle allerdings infolge 
eines viertägigen verwüstenden Hegens unterbrochen 
war und durch dos langsamere nnd unbequemere Be- 
förderungsmittel des Maultieres ersetzt werden mußte, 
führt die Landstraße in südwestlicher Richtung nach 
Kaironan. Ein stiller und heißer Weg durch Sand- und 
Dornsteppe, an magerer Weide, spärlich verstreuten 
Ackerstücken und bizarren Opuntien -Wildern vorbei, 
die ihre krausen Formen , ihre dicken Stengel mit den 
gefahrlichen Stacheln, ihre giftigroten, gefleckten Früchte 
über ganz Tunisien ausgestreut haben. Wo sie jung 

Olotx» XCI. Nr. to. 



laugo wirkende, weit und breit nachwirkende Lebens- 
arbeit, wie die schmerzvollen Erinnerungszeichen zweck- 
los geborener, weil früh genommener Kinderseelen, alle 
waren sie da, alle in dem gleichen, glühenden Saude, 
unter der gleichen heißen, sengenden Sonne. 

Am See Kelbia entlang zieht der Weg, durch eine 
erstorbene, in Gluteu verdorrte Welt» Jenseits de« SeeB 
verschwimmen flache Höhen in schwerem Dunst, auf dem 
Wasser lastet wie auf flüssigem Blei unheimliche Starre, 
die jede Begung seiner Teile unterdrückt; in ein paar 
stapfenden Kamelen, noch zögernder, müder als sonst, 
einer trottenden kleinen Ziegenhorde zwischen den Bü- 

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310 



Rebeln der Dornsteppe, einem Hirten, der ans der Ferne 
herüberruft und sich mit unserem Führer verständigt ■ — ■ 
die Distanz, in der das liier möglich ist, erweckte immer 
von neuem mein Erstaunen — bat sich einzig das Leben 
erhalten. Über flaohe steinige Höhenrücken hinab in 
breite Grassteppen eilt der Weg auf Kairnuan zu und 
zeigt uus noch eben recht, in letzter Tagesstunde, da* 
graublaue 1/euchten und daii grünliche Schimmern der 
Zinnenmauer, der Vierkant-Turme, Melonenkuppeln und 
Marabutdächer Tor dem blauen Himinelshintergrunde im 
Osten nnd einen wundervollen Wolkenglanz im Westen, 
der wie auf spiegelnden Wellen in Streifen zerteilt, breit 
hingezogen aber fernen, blauen, dämmernden Reigen 
verglimmt 

Dieser Weg nun durchschneidet bei Dar el Ouar ein 
ausgedehntes, mit kurzem Dnrngestrüpp bestandenes, mit 
Steinen und Steintrüinmern dicht bestreutes Feld , das 
zwischen den losen Steinen einzelne mehr oder weniger 
zerstörte, aber noch immer gut erkennbare Steinkam- 
tnem zeigt. Diese Bind also nicht wie jene Algier- Dol- 
men an den Abhängen oiues Hagellandes erbaut, sondern 
auf völlig ebener Fläche aufgesetzt und bestehen ans 
drei zu einem schmalen Rechteck vereinigten Wand- 
platten, über die eine breitere, also überragende iVock- 
platto gelegt ist. Der verwendete Steiu ist ein eigen- 
artig poröser Kalkstein. Die Orientierung der Kammer 
fand ich einmal von Nord nach Süd, sonst überall von 



Osten nach Westen , wobei Osten dem Eingänge ent- 
spricht, letzterer selbst ist durch eine Schwelle ab- 
geschlossen, die innerhalb der Kammer von einem wenig 
aus dem ßoden hervorstehenden, mit schräg nach vorn 
gestellter Kante eingelassenen Steine gebildet wird. Der 
Boden ist jetzt mit Erde und Steinsplitten) bedeckt, zu- 
weilen mit Asche untermischt, die wohl einem Lager- 
feuer heutiger Hirten entstammt. Um die Kammer herum 
sieht mau einen bzw. zwei konzentrische Kreise von 
Steinblöcken, die vor dem Eingange unterbrochen sind, 
also einen Durchgang zu ihm frei lassen. Die Blöcke 
liegen platt auf dem Boden, scheinen aber ursprünglich 
senkrecht gestanden zu haben, wie aus dem auf unserem 
Bilde in zweiter Linie stehenden Dolmen mit der erhalte- 
nen Deckplatte hervorgebt, neben dessen Eingang ein 
aufrecht stehender Stein sichtbar int. Die Kreise sind 
regelmäßig und vollständig; wo Glieder in ihm fehlen, 
sieht man noch die Gruben, aus denen die Steine heraus- 
gehoben wurdon, wobl um als Baumaterial Verwendung 
zu finden. 

Irgendwelche Spuron eines Opferkultus, Münzen, 
Kiesel od. dgl, wie Haray sie auf den „Challuja" nörd- 
lich von Enridaville, dolmeuartigcn modernen Bauwerken, 
gefunden bat (vgl. ( Anthropologie 1904, S. 373), waren 
nicht zu entdecken. 

Lübeck. Karutz. 



Das mittlere Neumecklenburg. 

Von Albert Hahl. HerberUhöhe, 



Noch einer vorlaufigen Festsetzung, die im Jahre 1900 
getroffen worden war, begrenzt der 152. Grad östl. L. 
gegen Süden den Bezirk der Kaiserlichen Station Käwieng. 
Mitte 1D04 wurde in Namatunui eine Regiorungsstation 
errichtet Die Tätigkeit der beiden Statiouen auf zu- 
sammenhängendem Gebiete erfordert« eine für die öffent- 
liche Verwaltung brauchbare Scheidung, beruhend auf einer 
genauen Untersuchung der geographischen und ethno- 
graphischen Eigenheiten des Greuzlandes. Es hat sich 
ergeben, dalS die früher willkürlich angenommene Linie 
der Völkergrenze nahe kommt Die Stämme Ken- 
mecklenburgs teilen sich in droi Hauptgruppen. Ein- 
sprengungen fremder Volksteile in die geschlossenen 
Gebiete sind wahrzunehmen. Auch innerhalb der Haupt- 
stftmme der l'fervölker ist die Zersplitterung, verbunden 
mit einem Wechsel der Mundart, weitgehend. Man muß 
teilen in die Völkergruppe des nördlichen, in die des 
mittleren zuzüglich der Uferstätnme des südlichen, und 
in die Bergstäinme des südlichen Neumeckleuburg, 
Butam genannt. 

Die Verwandtschaft der beiden ersten Gruppen in 
Spruche, Sitte und Erscheinung ist enge. Die Butam 
sind noch zu wenig bekannt, als daß sie in Vergleich 
mit anderen Bergvolkorn, wie den Baining oder den 
Kai, gebracht werden könnten. Blut und Eigenart der 
nördlichen Gruppe sind überwiegend noch vertreten in 
Panakondo auf der Ostküste und in Laban auf der West- 
küste, wobei zu bemerken ist, daü der Stumm von Laban 
orst neuerdings nach der Aufrichtung des allgemeinen 
Frieden« aus den Bergen zur Küste zu dauernder Nieder- 
lassung herabstieg. Die Bergstämme sind in diesem 
Gebiete gleichen Blutes wie die l'ferstäuime, nur seheint 
im Gebirge (Schteinitzgebirge) die kulturelle Eigenart 
des mittloren Neumecklenhurg, bemerkbar im H Ausbau, 
in der Tracht, in den Geraten und im Tanze, weiter 
nach Norden zu reichen als au der Küste. Südwärts 



der beiden genannten Landschaften folgt ein Grenzgebiet 
der Mischung der beiden Völkerschaften, an der Ost- 
kflste umfassend die Landschaften Leineris bis Kanabit, 
an der Westküste Komalabn bis Kokola. Die Reihenfolge 
ist im einzelnen: Lernens, Kanabu, Silom, Bulu, Lokon, 
Karu, Bälik, Kalelaboi, Pakan, Kanabit; ferner: Komalabn, 
Kalagunan, Kono, Konogogo, Komalu, Kokola. Das süd- 
wärts daran anschließende Land darf das mittlere Neu- 
mecklenburg im eigentlichem Sinne genannt werden. Es 
umfaßt den schmälsten Teil der Insel, der durch das Rossel- 
gebirge gebildet wird. Eine gemeinsame Bezeichnung fehlt 
den Eingeborenen. Die Westküste ist bei den Eingeborenen 
der Neulauenburggruppe unter dem Namen Laur in 
Übung. Vielfach wird diese Bezeichnung bereits für 
das ganze Gebiet gebraucht, wie man sich gewöhnt hat, 
das südlich« Neumecklenburg nach der südlichsten I»and- 
schaft Siara zu nennen. Auf der Ostküste erstreckt ea 
sich von Kamat bis Kudukudu, auf der Westküste von 
Robehen bis Suralil. Südlich dieser Landschaft folgen 
vier Siedelnngsbezirke, die sprachlich und verwandt- 
schaftlich den Bewohnern der Insel Mioko und des 
Ostens der Gazellebalbinsel bei Kabanga nabe kommen. 
Es findet auch ein reger Vorkehr statt. Es handelt sich 
wahrscheinlich um Stätten einer früheren Kolonisation, 
die ihren Ausgang von Mioko genommen hat. Die Siege- 
lungen heißen l'rangat, Wapi, King und Kai. 

Auf der Ostküste schließen sich dem mittleren Neu- 
mecklenburg gegen Süden an, je ein eigenes Sprach- 
gebiet umfassend.: Hilolon, Himau, Himahul, Nokon, 
Hipungan, llipachat, Hipus; sodann Hiratan, Iiimas; 
ferner Schena, Rauganzau, Muliama; zuletzt Lo, Assu 
(Kap St. Maria). Südlich hiervon beginnt das Siara- 
gebiet. das, um Kap St Georg greifend, an der Westküste 
im GeorgBkanal bis Lamassa sich erstreckt Die wich- 
tigsten bis jetzt bekannten Landschaften heißen : Mimiae, 
Morkon, Siara, Golon, Lambon, Lamassa. In Lam- 



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Albert Hahl: Da» mittlere Neumecklenburg. 



311 



bon ist die Stätte der Siedelungsversuoke des Marcjuis 
de Rays, 1879 — 1681, deren loidensvoller Ausgang be- 
kannt ist Die Bewohner Ton Siara kommen denen de* 
Osten« der Gazellehalbinsel und des Laur-Gebietes nahe. 
Es bedarf noch weiterer Untersuchungen, die nähere 
sprachliche Zugehörigkeit der oben aufgezählten Ost- 
küsten-Stämme festzustellen. Die Beeinflussung durch 
die ostwärts vorgelagerten Inselgruppen ist augen- 
scheinlich. 

Das mittlere Neumecklenburg umschließt folgende 
Landschaften : 

1. Auf der Ostkflste: Ramat (= wo die Kbbe stark 
steht); Pire; Bö (= Ort der grünen Kokosnuß); Nama- 
tanai (=r am Fischplatz); Solimun (= die verliorgen 
fließende Quelle, Name einer starken, dort zutage treten- 
den Quelle); Namerodu (— am Hilf) ; Sohun (= Schild- 
krötenplate); Matentutuk (— wo der Baum Tutuko steht); 
Ratiwis (= am Wasser, das aus dem weißen Ufersande 
rinnt); Kudukudu (= Ort des Kudu, der Handtrommel). 

2. Auf der Westküste: Robehen (= am Aufstieg); 
Kornmut (= Ort des Fisches Umut): Labur (= der 
Nordwestmonsun, also: gegen den Nordwestwind); l'ul- 
garainut (= wo man die Holstrommol rollt); Rapon- 
tamong (= auf dem Felsgipfel ?); Kuras (= Ort, wo man 
Alang ausrauft ?); Kurumut (wie oben); Katelik; Rasirik 
(= Ort, wo man Rotang bricht); Ulaputur (= Berg- 
kuppe); Tubuser» (— Wasserloch, wo der Baum Sera 
wachst); Bora; Ratubu (= am Wasserloch); Matakan; 
Umudu; Pakinsala (= Ort des Baumes Sala); Nakudu- 
kudu (auch Kabanut, Bedeutung wie oben); Kabasurhis 
(= wo der Baum Käbii herauskommt; Kiibii eine Apo- 
cinacee, Cerbera); Kalil (= die Riffschnecke); Kaba- 
kadas (= viel Roteng); Palabong (Bast oines Baum- 
stumpfes); Suralil (= Ort, wo die Fischgräten gesammelt 
werden, Kochplatz für Fische). 

3. Im Innern: Nabumai; Napanta; Rakomak; Raben»; 
Hanisrainan; Bisapu; Matenaugaa (= Kreuzweg); Kisela; 
Kftht^o; (= am Vogelherd) ; Bilalon; Ha tarn an (= zu 
Hause); Sua; Panam (= Ort, wo der Meeresboden zum 
Vorschein kommt); Hebehen (=r am Aufstieg); Ramau 
(= die Öde). 

Durch den Landmesser Peter Behrendt ist 1 903 eine 
gute Kartenskizze des Gebietes hergestellt worden, die 
im vierten Heft des Jahrganges 1904 der „Mitteilungen 
aus den deutecken Schutzgebieten" veröffentlicht wurde. 
Auf sie sei zur Orientierung verwiesen. 

Das Land ist gebirgig mit korallinischom Aufbau 
jüngster Zeit, der meist auf Schiefern und Tuffgestein 
ruht. Die Erhebung aus dem Meere erfolgte in ver- 
schiedenen Zeiträumen. Der Steilabfall der Westküste 
läßt deutlich dio früheren Eiuwaschuugen in den einzel- 
nen Stufenrändern erkenneD. Auf dem Kamme des 
Gebirges sind wiederholt gleichlaufende Kotten wahr- 
zunehmen, wie wenn sie ursprünglich als Atolle über das 
Wasser geragt hätten. Der Boden ist meist gut ver- 
wittert, terra rosss, und fruchtbar. Die Bewässerung ist 
reich, ebenso wie der Regeufall. Mißlich erschoint, daß 
die Wasserläufe überall sich tief in das weiche Erdreich 
eingruben und damit eine für den Verkehr hemmend 
empfundene Zerrissenheit des I-andes schufen. Die 
Wälder sind mit guten Hölzern bestockt, an der Küste 
wie im Gebirge. Die Schwierigkeit des Verkehrs hemmt 
noch auf lange jede Ausnutzung. Für den Handel und 
die Ausfuhr kommt einzig Kopra in Frage. Im Gebirge 
(z. ß. in der Landschaft Umudu) ist eine in Taschen vor- 
kommende Braunkohle gefunden worden. Wenn wirklick 
die Berge Mineralien aufweisen, so kann ihr Vorkommen, 
wie wohl überall in don mit starker Korallenschicht und 
Sedimenten überzogenen Gebirgen des Bismarckarchipels 



und der Salomonsinseln, nur durch Tiefbohrungen fest- 
gestellt werdeu. . 

Das Gebiet untersteht der Station Namatanai. Zur 
Erschließung mußte wiederholt scharf eingegriffen werden. 
Joachim Graf Pfeil hat in seinem Buche „Studien und 
Beobachtungen aus der Südsee " (1899) die Schwierig- 
keiten einer Begegnung mit den Eingeborenen geschildert. 
1896 fand eine Züchtigung der Stämme von Kokola und 
Katelik statt, die ein Boot mit Waren genommen und 
die Besatzung aufgefressen hatten. 1897 wurden die 
Bewohner der Landschaft Namerodu niedergeworfen, die 
in steter Blutfehde auch auf die Westküste herüber- 
griffen und den Bestand der Missions- und Handels- 
niederlassungen bedrohten. 1902 sicherte ein Zug die 
Landschaften um Kabakadas gegen die Übergriffe der 
Bergstämme von Hilalon. 1903 gelang es in mehr- 
monatiger Tätigkeit, ohne daß noch eine Gewalt- 
anwendung erforderlich gewesen wäre, die Grundlage 
einer Organisation zu schaffen. 1904 wurde die Station 
Namatanai errichtet, die sich sofort gegen die Raubzüge 
der Messi nordwärts an der Westküste und der Butam 
im Süden zu wenden hatte. Das rasche und erfolgreiche 
Eingreifen hat die Durchführung der Organisation und 
die Aufrichtung des öffentlichen Friedens im mittleren 
und zum Teil auch im südlichen Neumecklenburg ge- 
sichert. 1906 mußte noch unter Aufwondung militäri- 
scher Macht im Süden die Fehde der Uferlandschaften 
Mimias und Morkon mit den Butem unterdrückt werden. 
In allen Landschaften sind, meist von der Bevölkerung 
gewählt, verantwortliche Häupter mit bestimmter Polizei- 
und Gerichtsgewalt aurgestellt worden. Der Wegebau 
ist unter Anwendung der Fröhnd« so weit gefördert, daß 
auf der Ostküste in einer Breite von 10 m eine Schneise 
von rund 150 km Länge, auf der Westküste eine solche 
von rund 30 km Länge für den Verkehr längs der Küste 
geöffnet worden ist. Von Ulaputur und Umudu sind 
Wege über das Gobirge nach Namatanai angelegt worden. 
Die tief «■inpi'Hi-hnitteneu Flußtäler, die weit und steil in 
die See ragenden Höhenrücken, die Spärlichkeit und 
Ungeschicklichkeit der Bevölkerung bilden ernsthafte 
Hemmnisse für den weiteren Fortschritt. Die Metho- 
distische Missionsgesellschaft von Australasien ist seit 
1884, die Miasiun vom Heiligsten Herzen Jesu seit 1901 
tätig zur Gewinnung der Bevölkerung für Christentum 
and Kultur. Dem Namen nach wird es auch nur mehr 
wenig Heiden geben; in neuerer Zeit namentlich war der 
Fortschritt dos Missionswerkes stetig und umfassend. 

Die Eingeborenen müssen nach Körperbau, Sprache 
und Sitte als Melanosen angesprochen worden. Es darf 
als allgemein für sie angenommen werden, was die Kul- 
tur des Melanosen auszeichnet: Das Fehlen staatlicher, 
auf eine Gebietshoheit sich gründender Verbände, der 
Aufbau der Gusellschaft auf der Sippe nach den Begriffen 
des Mutterrechts und unter Einwirkung des Totemismus, 
Blutrache, verbunden mit einem Auagleichverfahren 
durch Büß- und Wehrgeldzahlung, Kaufehe. Gewerb- 
fleiß und Ackerbau stehen auf der untersten Stufe, Jagd 
und Fischfang sind gut ausgebildet. Vgl. hierzu auch 
Dr. Heinrich Schnees Buch „ Bilder au» der Südsee" 
(Berlin 1904), Kapitel 3 und I: Stellung der Bevölke- 
rung und Rechtsverhältnisse. Im einzelnen kann fol- 
gendes hervorgehoben werden: 

Der Herstellung der Waffen und Fauggerätu wurde 
der größte Fleiß zugewendet, in ihr erschöpft sich bei- 
nahe die gewerbliche Tätigkeit. Den Reichtum der 
Formen zeigt die folgende Auswahl: singerakoro, Speer- 
spitze, in einen Bambusschaft eingelassen; der Schaft 
wird mit Brandmalerei (pokpachat) verziert; die Bedeu- 
tung einzelner Figuren oder Linien festzustellen, ist 

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Albert Hanl: Das mittlore Neumecklenburg. 



schwierig, allgemein handelt es »ich wohl nur um die 
Anbringung einer Verzierung ohne tieferen Sinn, salela, 
ebenso Speer in Kambug eingelassen, ohne Verzierung, 
sur, der Holzspeer mit einem Menschenknochen am 
oberen Ende, balalate, Speer aus Hartholz, mit einem 
Knopf am Ende, balau, Speer, halb Bambus, halb Holz, 
der Bambus mit Brandmalerei verziert, auch im nörd- 
lichen Neumecklenburg gebräuchlich, lamas, Speer mit 
einer walzenförmigen Verdickung gegen die Spitze zn. 
Uchalamuru, ein langer, schwerer, einfacher Holzspeer 
aus der Vater Zeiten, der nicht mehr augefertigt wird, 
pitu, ein langer, leichter Holzspeer. kusur, der Fisob- 
speer, meist Tiergezackt, barong, eine schwere Keule 
mit flachem Ende, an der Spitze eine Axt. ran», die ge- 
wöhnliche Streitkeule mit verstärktem Ende, meist Tier- 
kant, tamsidot, Uolzkeule mit rundem Ende, bom, ein 
gewöhnlicher HulzprflgeJ, als Kenle handlich gemacht, 
ohne Verzierung oder Verstärkung, kapsil, ebenso, muk- 
mnk, Steinkeule, aus alter Zeit stammend, nicht mehr 
aufzutreiben, kisip, Steinaxt zum Kampfe, nicht mehr 
zu beschallen. 

Dem Fischfang dienen das kleine Fischnetz (Scheren- 
netz) sapen üben, das große Zugnetz gol; wenn es mit 
Steinen beschwert ist, heißt es nbene bat. Auch Angel- 
haken aus Schildpatt wurden benutzt (uöntion). 

Die kleine wie die große Holztrommel (garamut und 
hi) werden ebenso wie die Handtrommel (kudu) zur Be- 
gleitung der Tänze benutzt An Musikinstrumenten für 
den einzelnen Mann finden sich die Panflöte (kor), die 
Maultrommel aus Bambus (ngap), die einfache Bambus- 
flöte mit zwei Schallöchern (tulal). 

Im Übrigen ist der Gewerbfleiß des Volkes schon in 
Trüber Zeit wohl unter dem Druoke steter Fehde und 
dem dadurch bedingten Fehlen des Verkehrs nach außen 
zurückgelaufen. Der Kanubau ist verschwunden. Es 
steht hierin Am tiefsten unter allen melanesischen Ufer- 
Tölkern. Was an Schmuck getragen wird, kommt ebenso 
von auswärts wie das Musobelgeld. Am meisten üblich 
ist noch das Flechten von gelben und schwarzen Arm- 
ringen (kam) aus Gräsern oder Bast. Die Schnitzkunst 
wird nicht geübt. Die aus Kalk oder Tuffstein ge- 
arbeiteten Iniet-Fignren treten erst wieder in der Gegend 
von Muliama auf. Die Häuser kennon keine Verzierungen, 
die Stutzen entbehren der kunstreichen Bindung an den 
Treffstellen; eine einfache Rotangschlinge muß genügen. 
Feuer wurde durch Reiben zweier Hölzer gewonnen. 

Die Abhaltung regelmäßiger Märkte ist nicht üblich. 
Es findet sioh nur der gelegentliche, auf vorheriger Ver- 
abredung beruhende Güteraustausch zwischen Ufer- und 
Bergbewohnern (Fische gegen Feldfrüchte). Eine solche 
Verabredung auf weite Entfernung und für gleichblei- 
bende Zeiten uud Orte zu treffen, schlössen Blutrache 
und stete Fehde aus. Den Warenaustausch vollzogen 
nur die Franen. Markt halten heißt binoso — die Be- 
gegnung. 

Die Handelsvölker für das Gebiet wohnen auf den 
vorgelagerten Iusoln. Libir mit Massait, Mahoro und 
Mali Btehen in Verkehr mit den Küstenlandschaften von 
Lernens bis Sohun. Nördlich Lemeris handeln die Ein- 
geborenen der Tabar- Gruppe. Die Anir- und Tanga- 
Ineeln haben Verbindung mit der Ostküste südwärts 
Sohun bis Muliama. Den Gegenstand des Austausches 
bilden die Schweine und Feldfrüchte der Bewohner der 
großen Insel gegen die Kähne, vor allem aber das 
Muschelgeld der insularen Handelsvölker. 

Der Verkehr verfügt über folgende GeldBorten : 
mangin (auf der Westküste urungit), fein zugeschliffeue, 
kleine rotbraune Muschelringe anf Fäden gereiht, dns 
gewöhnliche Geld. Der Fundort der Muschel ist wahr- 



scheinlich Tanga; in Muliama heißen die Bewohner von 
Tanga die Mangin. tisfelö, weiße Ringe, sonst wie zu 
mangin; diese Geldart soll nicht mehr bereitet werden. 
Sie ist im Verkehr selten, kawaa, winzige, hollrote Ringe, 
aus Iiihirstammend. kabon und bukean, schwarze Ringe; 
diese Geldsorte ist nicht mehr im Umlauf, lolat (tap- 
soka), das Geld des nördlichen Neumeoklenburg. Ea 
kommt über Libir von Tabar. nulpap, große, zusammen- 
hängende Schnüre weißlich-grauer Muschelringe mit ein- 
gefügtem fremden Oelde und Zierstöcken, in Blättern 
verpackt. Jede Schnur ist mit einem Scbweineschwans 
versehen. Es stammt aus dem Siar- Gebiet und wird 
hauptsächlich in Mimias hergestellt. Nur ganz wohl- 
habende Leute können sich den Erwerb und den Besitz 
solcher Geldpakete leisten. Sie dienen hauptsächlich 
zur Bezahlung großer Festlichkeiten. 

In neuester Zeit hat sich aus der Zuführung besserer 
Arbeitsgeräte und der Freiheit des Verkehrs ein erhöhtes 
Arbeitsbedürfnis uud ein Aufsteigen der Lebenshaltung 
noch nicht entwickelt. Letztere blieb gleich, da« Maß 
der Arbeitsleistung und die Sorgfalt der Ausführung 
gingen zurück, nur scheint der Bestellung der Felder 
erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet zu werden. Eine 
ernsthafte Erziehung muß dem Ackerbau die ganze 
Arbeitskraft des Volkes zuführen, wenn es nicht dem 
Eindringen der neuen Lebenshaltung völlig unterliegen 
soll. 

Die Zählung ist noch nicht abgeschlossen. Die Kopf- 
zahl wird 10000 nicht erreichen. Es gibt fast doppelt 
soviel Männer als Frauen. Das Mißverhältnis beruht 
auf den Einwirkungen der früher bis zur Vernichtung ge- 
führten Kämpfe, die stets die Schwächeren dahinrafften. 
Ahnlich hat auch die wiederholt aufgetretene rote Kühr 
unter den Frauen und Kindern die meisten Opfer ge- 
fordert. Auch die Einschleppung geschlechtlicher Er- 
krankungen schon in den Zeiten des frühesten Verkehrt 
mit Europäern ist nicht ausgeblieben. Die Frau ist fast 
allenthalben prostituiert, die eheliche Gemeinschaft, bei 
den Melanosen sonst streuge gehütet, zerstört; die Zahl 
der Geburten nimmt dauernd ab, die Abtreibung scheint 
allgemein verbreitet zu sein. 

AU Wohnhaus (bang) sieht man meist den einfachen 
Giebelbau mit niedrigen, etwa 1 m hohen Wänden und 
fast bis auf die Erde reichendem Dach. Als Baumittel 
dienen Bambus, Gras (alang), Palmwedel, bei besseren 
Häusern wird Hartholz für die Stützbalkon verwendet. 
Die seitlichen Ausbauten fehlen, die im nördlichen Neu- 
meoklenburg als Feuerstelleu , Vorratskammern , Schlaf- 
stellen dem Giebelban angesetzt werden. Die Giebelfonn 
scheint die ursprüngliche Bauart zu sein. Eine andere 
Form, in Kudukudn und auf der Insel Libir angewandt, 
stellt oin Tonnendach dar, meist ohne gerade Wandung 
unmittelbar auf die Erde gestützt. Diese Bauart weist 
auf dio Insel Buka hiu, deren Kultur über Nissan und 
Pinipil teilweise nach Anir und Libir, von da nach dem 
mittleren Neumecklenburg verpflanzt wurde. Jedes Wohn- 
hans war früher mit einem Zaun aus lebenden Büschen 
umfriedigt. Diese Sitte ist neuerdings mehr und mehr 
dahingeschwunden. Die Männerhäuser (hala), in denen 
die festlichen Versammlungen abgebalten werden, sind 
mit Umwallungen aus Steinen, meist Korallenblöcken, 
versehen (tnhul). Den Eingang (matana hala) bildet 
stets die Astgabel eines mitten in der Umwallung auf- 
gerichteten Baumes. Angeblich ist es den bösen Geistern 
nicht möglich, durch diese Gabel hinduroh zu schreiten. 
Bei einem Festessen soll der Festgeber in der Gabel 
sitzen. Pie Frauen dürfen diese Häuser nicht betreten. 
Das Woiberbaus heißt pal. Es entbehrt der UmwaUung. 
Kine besonders reiche und angesehene Frau darf sich 



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Albert Hahl: Dm mittlcro Nuumecklcnburg. 



318 



aber eine solche errichten. Sie wird dann einem Manne 
gleich geachtet und hinagalam genannt. 

Das Land ist allen gemeinsam. Jeder kennt die 
Grenze gegen den Nachbar. Die Auswahl dee Pflanzungs- 
landes steht frei. Der Baum gehört dem I'flanzenden. 
Am Strande ist innerhalb einer Landschaft der Grund 
and Boden nach dem Totem ausgeteilt Auch reicht ein 
Teil des Totem - Besitzes noch landeinwärts. Nur die 
Gemeinsamkeit der Familie (des Totem) kann darüber 
verfügen. 

Staatliche Verbände gibt es nicht. Wer viel Muschel- 
geld besitzt, ein großer Krieger ist, wird von seinen Ver- 
wandten , auch anderen , die sich ihm anschließen , zum 
Häuptling (watong) gewühlt. Eine Landschaft kann 
mehrere watong haben. Jedem steht die Befehls- und 
Gerichtegewalt aber seine Gefolgschaft zu. Der An- 
schluß ist freiwillig und kann aufgegeben werden. Der 
soziale Widerpart des watong ist der mal a hahiu, der 
arme Teufel. Dem watong leistet der lauana, Sohn der 
Schwester, die vornehmsten Dienste. Er vermittelt die 
Hefehle an die Genossen, fuhrt auch die Kampfe an, 
wenn der Oheim altert. Die Gewalt des watong er- 
scheint in einer gewissen Verbotsbefugnis begründet. 
Sein Zeichen (tabu), das er an einzelnen Orten, an Fisch- 
oder Laich platzen, an Fruohtbaumen, in Pflanzungen usw. 
anbringt, muß beachtet werden. Bei der Verletzung des 
tabu greift, wenn nicht sofort Kampf eintritt, nieist fol- 
gendes Verfahren Platz: Der Tabuherr schlachtet ein 
Schwein, zerwirkt es und legt die Stücke vor die Tür 
des Tabubrechers. Dieser muß das Schwein bezahlen 
und bekundet damit seine Unterwerfung unter den Willen 
des watong. Er darf das Schwein dann behalten. 

Der Krieg wird erbarmungslos geführt. Grund zu 
einem solchen kann jede Rechtsverletzung abgeben, die 
ihre Sühne nicht in dem gewöhnlichen Ausgleichverfahren 
findet. Meist standen die Sippen in dauornder Blutfehde 
einander gegenüber. Der Friedensschluß vollzieht sich 
nach vorheriger Unterhandlung durch die gegenseitige 
Ikiznhlung der Gefallenen. Als Wehrgeld für den Mann 
wurden meist fünf Faden Muscholgeld (inangin) und ein 
Schwein gegeben. Ein Schwein wird mit zehn Faden 
raangin bewertet. Ein Weib wurde mit einem bis zu 
drei Faden aufgewogen. Die zurückkehrenden Streiter 
nähern sich der heimischen Niederlassung mit kriege- 
rischem Lärm und unter Gesang. Schrille, lang aus- 
gehaltene Rufe verkünden von weitem, wie viele der ge- 
haßten Blutfeinde der Rache zum Opfer fielen. Die 
Weiber stürzen sieb auf die zurückkehrenden Kämpfer und 
schlagen auf sie mit Stecken und Zweigen ein, angeblich 
um die Gefallenen ihres Totem zu rächen. Alsbald aber 
bewirtet ein bereit gehaltener festlicher Schmaus die 
Sieger. Die gefallenen und gefangenen Feinde werden 
verzehrt. Das Menschenfleisch wurde sehr geschätzt 
Man rühmt, es komme an Zartheit dem Fleisch des 
jungen Schweines gleich. Wenn der Erschlageno der 
Blutrache zum Opfer gefallen war, durfte an Nachbarn 
oder Frounde kein Stück weggegebeu werden; er mußte 
von den rächenden Verwandten völlig verzehrt werden. 
Dem watong fielen Leber, Herz und Kopf zu. 

Da« Volk scheidet sich in zwei große Familien, die 
sich nach zwei Fischadlern nennen, Malabar uud Tara- 
gau. Die beiden llauptst&mme zerfallen aber wieder in 
•ine Menge Unterabteilungen, die mit wechselnden Namen 
auftreten. InSohun werden folgende Geschlechter unter- 
schieden : 

I. Malabar (auch Manikulai oder Pikalabar genannt). 
1. Bisakubar (angeblich „rote Erde"); 2. Banban (an- 
geblich Laubgang); 3. Saruai (Bedeutung?); 4. Balage(V); 
5. Dünöbüa (Name eines Baches in Sohuu); 6. Hcba (?) 

Ohrt»» ia Hr. f\ 



II. Taragau (auch Tarago). 1. Baka (?, Name eines 
Flusses in Kudukudu); 2. Karbahus (Name eines Baumes); 
3. Buranta (Name eines Bachen in Sohun); 4. Matalapuau 
(Name eines Baches in MaUnangas) ; 5. Dul (Name einer 
Schlange). 

Meist wird angenommen, daß der Urahne des Ge- 
schlechtes seine Behausung in einem fließenden Wasser, 
mit Vorliebe in einem Bergquell, bat Die Wasser der 
Malabar erlauben den Taragau das Baden nicht, und 
umgekehrt. Das Totemtier darf nicht getötet werden. 
Auch ein Fremder, der es erlegt, verfällt der Blutrache. 
Das getötete Tier erhält ein Grab im tahul des watong, 
ein regelrechter Totenschmaua wird abgehalten. 

Die Ehe vollzieht sich in der Form des Kaufes. Der 
Frei», der für die Frau erlegt wird, stellt das Wehrgeld 
dar für ihr Ausscheiden aus ihrer Sippe wahrend der 
Dauer der Ehe. Vielweiberei ist gebräuchlich, kommt 
jedoch bei dem Mangel an Frauen selten vor. Die 
Leviratsehe ist unbekannt. Angehörige desselben Totem 
dürfen sioh nicht heiraten. Die Blutschander verfallen 
der Hache des eigenen Blutes. Die nächsten Verwandten 
haben sie zu töten. 

Die Verlobungs- und Hochzeitsgebräuche sind mannig- 
faltig. Ist jedes Hindernis beseitigt und der Tag der 
Hochzeit bestimmt, so kaufen die Verwandten der Braut 
voran die Eltern, ein Schwein, schlachten es und bereiten 
ein festliches Essen, das in feierlichem Zuge zum Wohn- 
haus des Bräutigams getragen wird. Hier finden sich 
die Sippen ein und verzehren das Mahl. Die Braut teilt 
Muschelgeld aus au die Schwestern und Brüder des 
Bräutigams, dieser erstattet die Kosten des Festessens. 
Die Magen gehen mit ihren Geschenken von dannen, die 
Frau zieht mit dem Manne in das meist neu erbaute 
Haus ein. Bei der Wiederverheiratung einer Witwe und 
der Aufnahme einer weiteren Frau in den Hausverband 
gelten die gloichen Gebräuche. In letzter Linie tragen 
die Hochzeit»- und Festeskosten die beiderseitigen watong. 
Bei späteren Streitigkeiten und bei der Ehescheidung 
spielt neben der Rückgabe des Kaufpreises die Erstattung 
der Festkosten eine erhebliche Rolle. Das Kind erhält 
seinen Namen vom Vater oder vom watong. Meist werden 
Namen von Verwandten und Freunden gewühlt Namens- 
brüder heißen manrana. Die Abtreibung wird häufig 
geübt. Sie wird verursacht durch Massage oder durch 
den Trunk geschabter Baumrinde. Eine Strafe besteht 
hierfür nicht, das Weib crutet vielleicht Vorwürfe. Kindes- 
mord kommt vor. Er wird als ungehörig empfunden, die 
Mutter auch von ihren Verwandten geschlagen, aber nicht 
getötet. Das Kind wird beerdigt Die Frauen sind 
während der menses tubu. Sie wohnen im Weiberhaus, 
verlassen es nicht und brauchen nicht zu arbeiten. Die 
Ehefrau bleibt im Hause ihres Mannes. Das junge 
Mädchen trägt einen kreuzweise um die Brust ge- 
schlungenen Kranz. 

Mit dem Eintritt der Reife wird eine Sobnur um den 
Leib getragen. An dieses Ereignis knüpfen sich lie- 
sondore Gebräuche. Mit dem Auftreten der ersten 
menses zieht sich das Mädchen in ein kleines Haus zu- 
rück (uibak), das in ein gewöhnliches großes Weiberhaus 
eingebaut ist Es hat sich vor den Augen der Mitwelt 
verborgen zu halten, darf nur nachts in da» Freie gehen, 
hat sich zusammengekauert zu setzen , damit man ihren 
Zustand nicht merken soll. Angeblich muß d»s Mäd- 
chen das robak auf zehn Monate bewohueu und darf 
sich durch die Vermittlung der alten Frauen, denen die 
Wartung obliegt, jeden Mann, auch Verheiratete, kommen 
lassen. Mit dem Verlassen des Hauses gehört sie nur 
ihrem künftigen Manne an. Die Verlobung, das Zu- 
sammenversprecheu der Kinder uuter Hingabe von 

»1 



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314 



Musehelgeld und Austausch toii Geschenken, ist all- 
gemeine Sitte. Wenn nun das Mädchen boim Verlassen 
des mbak ad ihrem Verlobten keinen Gefallen mehr bat, 
muß der neue Bräutigam dem ersten den Kaufpreis er- 
statten; die Verlobung ist damit zu Kode. 

Beim Auatritt aus dem mbak wird dem Mädchen von 
den Männern ihrer Sippe ein großes Essen (gutpok) ge- 
rüstet. Man riebtut HolzgesUlle auf, wenn mehrere 
Mftdchen zur gleichen Zeit gefeiert werden, für jedes ein 
besonderes. Jedem wird sein Teil an dem Festessen auf 
das Gestell gelegt. Dem Schmause folgt ein Tanz. 

Kine besondere Pubertätsweiho soll für die Jüngliuge 
nicht stattfinden. Die Jugend wird in den Männer- 
häusern vereinigt und unter scharfer Zucht gehalten, 
um die zu frühe Vermischung mit dem Weibe zu ver- 
hindern. Die Verführung eines jungen Mannes durch 
eine altere Frau wurde stets schwer geahndet, die Frau 
womöglich von ihrem Gewalthaber getötet 

Zum Zeichen der Trauer werden Gesicht und Körper 
der Verwandten schwarz angestrichen (kong). Die Trnuer 
um die Toten ist tief. Die Beerdigung findet unter all- 
gemeiner Teilnahme statt. Später werden Tanz und 
Festessen zn Ehren der Toten gehalten , für einen an- 
gesehenen Mann auch wiederholt. Die Verstorbenen, 
auch Weiber und Kinder, werden im Hofe (Uhul) des 
MannerhaUBes (hala) beerdigt Die Gebeino werden 
später ausgegraben, auch der Kopf, und in die See ge- 
worfen. Diese Handlung begleitet ein großer Fest- 
schmaus, rarik; die Kosten beatreiten die näcbsten'Ver- 
wandten. 

Die Seelen der Verstorbenen (Mann, Weib, Kind) 
gehen zum Wasser ihres Totem. Sie vermögen das 
Wasser nachts zu verlassen. Ks ist gefährlich, ihnen 
zu begegnen, wenn man nicht ihrem Stamm angehört. 
Bei solchen Zusammenstößen suchen die Geister oder 
Seelen (taboran) des einen Totem ihre lebenden Ver- 
wandten gegen die Angriffe der Geister de* anderen 
Totem zu schützen. Die Abgeschiedenen können auch 
in großen Bäumen bansen, die in der Nähe des Wassers 
ihres Totem stehen. Der Verstorbene kann auf Tiere 
Macht ansahen, sie bannen, dagegen nicht in sie ein- 
fahren. Der taberan ist au sein Waaser und dessen Um- 
gebung gebunden. Das Muschelgeld des Verstorbenen 
wird von seinem lauana ausgeteilt, der im Übrigen die 
Habe erbt. Von dem (unterlassenen Muschelgeld wird 
auch die Totenfeier bezahlt. Wenn ein Armer stirbt, 
so muß sein Bruder oder lauana ein Schwein für ihn 
bezahlen , eins ist aber genug. Das Schwein muß fest- 
lich verzehrt werden, sonst würde der taheran des Ver- 
storbenen umherirren und Unfug stiften. Wenn ein im 
Kampfe Gefallener nicht beerdigt wird, so gebt seine 
Seele um. Wer gefressen wird, verliert seino Seele, sie 
stirbt. 

Es gibt auch Erd- und Baumgeister eigenen Wusens. 
Häutig locken sie in Frauengastalt Männer an sich und 
töten sie; man nennt sie dann hinakulkuliu. 

Eine besondere Art böser Geister erwächst ans der 
mit einer Schwangeren begrabenen Leibesfrucht, die ma- 
sinaare. Man kennt sie daran, daß sie nur zwei Zähne 
und vier Haarlocken haben. Die Bewohnor des Ortes 
Kanomala der Landschaft Muliama (bei Kap St Maria) 
sollen vor nicht zu langer Zeit einen lnasinsaro mit einem 
Netz gefangen und überall herumgezeigt hal>eu. Das 
Wesen habe nur kalte Speisen zu sich nohmou können, 
beim Genüsse warmen Essens sei Erbrechen erfolgt. Es 
sei herangewachsen , schließlich aber frühzeitig in Hilo- 
lon gestorlien. 

Sangahakol heißen Kobolde, die in FeUhöhleu hausen. 
Ein Ann ist sehr lang gewachsen , einer verkürzt. Sie 



treiben Fischfang in der See. Mit dem kurzen Arme 
wird das Netz gehalten. Bei jeder Bewegung des Armes 
erscheint ein aufblitzendes Licht Mit dem langen Arme 
werden die Fische in das Netz getrieben. Am Ufer 
nehmen sie die Fische aus dem Netz und lassen einen 
liegen, damit die Menschen auf sie aufmerksam werden 
■ollen. Wer das Licht eines solchen Kobolde« auf- 
flammen sieht, eilt davon, er fürchtet sich vor Behexung. 
Man erzählt, ein sangahakol wohne in einer bekannten 
Höhle am Flusse Nabutu bei Namatanai. 

Eine andere Art Geister heißt songosongot. Ihre 
Haut ist leuchtend, sie wohnen im Walde in hohlen 
Bäumen oder in Höhlen. Sie werden gefürchtet und 
gemieden. 

Zwerge (niopup) und Kiesen (tabisnruno =r dioke 
Knochen) sollen im Süden der Insel, im hohen Gebirge 
ihr Unwesen treiben. Verehrung oder Opfer wird den 
Geistern (Kobolden) nicht dargebracht. 

Die Erde soll von einem Wesen hintububet (auch 
hintubumehet) geschaffen worden sein. Eine Anbutung 
oder Anrufung, ein Kultus werden ihm nicht gezollt 
Donner und Blitz, Regen und Sturm werden von Men- 
schen hervorgebracht, die im Besitze dieser Kunst sind. 
Man geht ihre Hilfe an und bezahlt sie in Zeiten der 
Not, wenn Regen oder Sonnenschein gewünscht wird. 

Das Erwerbsleben das Volkes, seine gesellschaftliche 
Gliederung, seine Anschauung über Sitte and Rocht 
seine Vorstellung des Übersinnlichen spiegeln sich wider 
in seinen Gesängen und Tänzen und finden Ausdruck in 
seinen Geselligkeit*- und Schutz verbänden. 

Der Übergang vom Nordweitmonsun zum Südwest- 
passat wird meist von Windstillen begleitet. Das ist die 
für den Fischfang günstige Zeit Der Wanderfisch stellt 
sich ein und sucht die gewohnten Laichstätten auf. Die 
gesamte Sippe zieht dem Strande zu. Man errichtet ein 
besonderes Haus und stellt ein festlich geschmücktes 
Kanu zur Schau. Dem gemeinsamen Erstlingsfischzug 
folgt ein großer Schmaus mit Tanz, man feiert das Fisch- 
fest (tanore). 

Zur Ehrung von Personen, zum Wechsel der Jahres- 
zeiten (Wechsel der herrschenden Windrichtung), zum 
Erntefest werden gern die folgenden Tänze aufgeführt: 
Tukul, ein Reihentanz der Männer mit nachfolgendem 
festlichen Schmaus. Die Teilnehmer sind bewaffnet Der 
Tanz heißt Tukul birara, wenn die Teilnehmer nur fest- 
lich geschmückt, mit Blumen und bunten Blättern in 
den Händen , aber ohne Waffen auftreten. Kampapas 
und sasale sind Speertänze zur Verherrlichung von Per- 
sonen. Die Tänzer binden sich um Hals und Leib 
Büschel von Ingwer, dessen Genuß Kampfesmut verleiben 
soll. Mbilolo, ein Frauentanz mit folgendem Essen. 
Bitum , Männertanz in fünf Reihen mit Sobrauck und 
Axt; er gleicht dem mbilolo. Talung, ein Männertauz 
in zwei Doppelreiben gegeneinander, die Tänzer tragen 
nur die Axt Parparik (parik = Sturm), ein Männer- 
tanz in zwei Reihen; die Tänzer sind festlich geschmückt 
die Waffen fehlen. Utun, ein Mänuertanz in drei Reihen 
in Schmuck, ohne Waffen. Goigoi, ein Frauentanz in 
Kreisaufstellung. Leplep, ein Frauentanz in rauten- 
förmiger Aufstellung (2:8:4:3:2 usw.). Ks werden 
die Bewegungen einzelner Vogel nachgeahmt 

In flen Landschaften südlich Kudukudu wird ein 
Frauentanz matanman aufgeführt (man der Name eines 
Vogels). Auch hier bringt man Bilder aus dem Vogel- 
leben zur Darstellung. Es muß dahingestellt bleiben, ob 
es sich alloin um die besondere Ehrung eines Totem 
handelt. Ein nächtlicher Mäunortanz mit folgendem 
Schmause wird liulambung genannt, ein gleicher Frauen- 
tnuz, in zwei Reihen aufgeführt, gahalka. Die Männer 



Albert llahl: Das mittlert- Neumeoklenburg. 



316 



dürfen tuschen. Es scheint sich hierbei um die Feier 
de« Mondwechsels zu handeln. 

Ein besonderer Reihentanz der Männer mit vollem 
Schmuck, Waffen und Auwendung von Ingwer heißt ge. 
Er kommt aus Lu bei Kap St. Maria und soll auf fol- 
gendem Vorkommnis beruhen. Einst waren die Ein- 
wohner von Lu auf dem Velde; nur eine alte Frau war 
zu Hause geblieben. Da kamen plötzlich Geister an, 
fegten den Dorfplatz rein und stellten eine Trommel auf; 
einer rührte sie, die anderen tanzten. Die Minner kamen 
vom Felde herbeigeeilt und fragten die Frau, wer denn 
getrommelt hätte. Sie gab vor, nichts zu wissen, wie- 
wohl die Männer auf den gefegten Taus platz wiesen. 
Am nächsten Morgen zog alles wieder ab, nur die Frau 
blii'b zurück. Die Männer hielten »ich aber in der Nähe 
verborgen und spähten aus. Die Geister kamen und 
tanzten wie den Tag vorher. Die Männer merkten sich 
den Tanz und ahmten ihn nach. Er hat sich überall 
hin verbreitet, die Geister aber kamen nicht wieder. 
Heute noch schmäht die alte Frau die Männer, da sie 
ihre guten Freunde vertrieben haben, die den Dorfplatz 
rein hielten. 

Die Tänze werden nach dem Schalle der Trommeln auf- 
geführt und meist auch unter der llegleitnng von Gesang. 

Die bei einem tukul gesungene Weise heißt minan- 
gada. Ein solches tukul-Lied in Sohun lautet: 

Ui! dia lom, kona inari wole, dia lom, kona pondek, 
omari! 

(Ui! Sie schmücken sich zum Tanze, kommt heran 
zum Festhause, nie schmücken sieb zum Tanze, sie kochen 
Taro mit Kokosöl, kommt heran !) 

Ein kampapas aus Hinus (im lunern gelegen, andere 
Mundart als im vorhergehenden Lied) wird wie folgt 
vorgetragen: 

Pande sachmein maris kainrci tuang; 
Pande sachmein kaskampul sangaur, 
Tare sengen inarau. 

(Es wird nicht gut endigen, ich liebe meinen Bruder 
kamrei [ein Vogelname]; es wird nicht gut endigen, ich 
sage I^ebewohl euch beiden, ich werde unstet sein wie 
die Tanbe.) 

Der Gesang enthält dio Abscbiedsworte eines zum 
Kampfe Ausziehenden an seine beiden Brüder. 
Zu einem ge wird gesungen: 

Nga le ra gonai, 

nga le ra gunie, 

nga le ra noui gas, 

I ! nga lom, ta mora ge ! 
(Nimm und streiche [das Gesicht des J gonai mit Kalk 
an |le mit Kolk anstreichen] , nimm und streiche [das 
Gesicht des] gunie mit Kalk an, nimm und streiche 
deinen Tanzschmuck mit Kalk an, I! nimm die Schmuck- 
blätter, es ist der ge für euch)! 

Dem dukduk auf der Gazellehalbinsel entspricht die 
Sitte des ririnangu. Ein angesehener Mann, ein watong, 
bereitet and bezahlt die Zurüstungen. Sein Sendbote, 
der Tänzer, gleichfalls ririnangu genannt, trägt eine 
Maske vor dem Gesicht, der Leib wird mit den Wedeln 
des Rotang verhüllt. Mit einem Speer in den Händen 
zieht er am Strande und auf den Pfaden umher, dringt 
in die Dörfer ein und verbreitet Furcht und Schrecken 
um sich. Er hat die Macht, die Hütten zu betreten und 
Muschelgeld wegzunehmen, vielfach damit von Wider- 
spenstigen zugunsten Dritter Recht heischend. Sein Um- 
herziehen wird kinau, ^Stehlen, genannt. Die Maske be- 
wahrt man in der hala des watong auf. Frauen ist der 
Zutritt nicht gestattet Eine Frau, die beim Zusehen 
betroffen wird, verfällt dem Speer. Für die Wirksamkeit 



de« ririnangu hat der den watong darum Angehende 
Muschelgeld zu bezahlen. 

Ein Verband nach der Art der iniet soll im mittleren 
Neumecklenburg fehlen. Im südlichen Teile der Insel 
(Siara) sind dagegen dukduk nnd iniet vorhanden. 
Einen teilweisen Ersatx in letzterer Hinsicht scheinen 
aber die Vereinigungen und Zeremonien zu bilden, die 
man kamrakrak, lugulagu und papaua nennt. Wer sich 
dem kamrakrak unterwirft, soll gegen Unglücksfälle ge- 
sichert sein; ein stürzender Baum wird ihn z. B. nicht 
treffen, er wird anf steilem Pfad nicht gleiten, im wilden 
Strome nicht ertrinken usf. Für die Einführung muß 
Muschelgeld an den Herrn des Bundes bezahlt werden. 
Bei den Aufnabiuefeierlichkeiton findet folgender Brauch 
statt: An jungen, starken Bäumen werden Taue be- 
festigt. Jeder Neuling bat an einem solchen zu ziehen, 
um den Baum auszureißen. Jede Bemühung bleibt aber 
erfolglos. Nun tritt der Herr der kamrakrak auf, streut 
Kalkstaub in die Lüfte und spricht beschwörende Worte. 
Sofort stürzen die Bäume. Besondere festliche Zu- 
sammenkünfte einigen die Mitglieder in abgelegenen 
Hainen. Die Frauen haben hierfür das Essen zuzu- 
bereiten, dürfen aber deiu Tanz and dem Schmaus nicht 
anwohnen. Wer lagnlagu ist, vermag in Fällen von 
Krankheit und Verwundung leicht Heilung zu finden. 
Wer, ohne Mitglied zu sein, krank oder wund den Hain 
des Bundes betritt, erhöht wir seine Schmerzen und kann 
nicht eher genesen, als bis er die Hilfe des Wissenden, 
des Meisters im Bunde, in Anspruch nimmt. Die Ein- 
führung kostet Muschelgeld. Das Aufnahmefest dauert 
mehrere Tage. Hierbei wird nachts ein besonders ge- 
bautes Haus herumgetragen und gezeigt, dessen Balken 
mit Schnitzereien geziert sind. Nach dem Umgange wird 
es verbrannt Mit der Beendigung der Feierlichkeiten 
kehren die Teilnehmer zu den Wohnstätten zurück. Ein 
großer Schmaus in Schweinebraten mit Zukost in der 
hala dos Meisters bildet den Schluß. Ein papaua soll 
gegen Erkrankungen durch den G enufi von Speisen, auch 
rohen und vergifteten, gesichert sein. Auch die gegen- 
seitige Unterstützung der Mitglieder scheint den Zweck 
der Vereinigung zu bilden. Für den Eintritt muß 
Muschelgeld erlegt werden. Eine Besonderheit der Auf- 
nahmuzeremonien bildet die Einreibung des Körpers des 
Neulings mit Kalk, dein allgemeinen Beschwörungsmittul. 
Die Mitglieder erhalten neue Namen. Zur Teilnahme 
werden nur voll erwachsene Männer zugelassen. Frauen, 
Kinder und Junglinge dürfen weder Mitglieder werden, 
noch den Festlichkeiten beiwohnen. Das jährliche 
Hauptfest dauert zehn Tage. Es findet in einem be- 
sonderen Haine statt Während der ersten fünf Tage 
wird ein strenges Fasten beobachtet, dann dürfen Speisen 
genossen werden, die im Walde auf heißen Steinen ge- 
röstet wurden (umun). Schließlich ziehen die Teilnehmer 
in vollem Schmuck und feierlichem Zuge nach ihren 
Siegelungen zurück, wo die Speisen verzehrt werden, 
welche die Frauen inzwischen zu bereiten hatten. 

In der Landschaft Himuhul bei Kap Matauataberan 
wird alljährlich ein Fest des taberan gefeiert. Ein ta- 
beran geht um durch die Dorfer. Er schreit in schrillen 
Tönen. Die Frauen flüchten in die Hütten und wagen 
sie nicht mehr zu verlassen. Inzwischen treibt der ta- 
beran sein Unwesen, reißt Bäume aus und schleppt sie 
mit, nimmt Schweine weg und entführt Menschen. Letz- 
tere betäubt er; krank und üliel zugerichtet erwachen 
sie wieder weit ab von ihrer Heimat. Um diese wieder 
zu erreichen , müssen sie Muschelgeld an den Ort be- 
zahlen, der im Besitze des taberan ist, ihn zu bannen 
weiß. Den Schluß bildet ein Tanz mit festlichem SchmauB, 
gegeben von dem Dorfe des taboran. Es scheint sich 

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3tr, 



Bodo Freiherr v. Reitzenatein: Hakone, ein Sommersitz des Mikado. 



um einen dem ririnangu verwandten ßrauoh zu bandeln. 

Zurzeit ist die alte, eben in kurzen Zügen dargelegte 
Sitte der Zersetzung unterworfen. Alte Begriffe sollen 
mit neuein Inhalt «ich füllen. Neue Erscheinungen 
dringen sich auf im Verkehr mit den Europäern , durch 
das Gebot der Regierung, durch die Lehre der Missionen 



und heischen weitgehende Anpassungsfähigkeit, wenn 
nicht das Volk zugrunde gehen soll. Die eingerissene 
Zerrüttung der ehelichen Bande seheint kaum heilbar. 
Es bedarf einer geduldigen und dem Verständnis desi 
Volkes angepaßten , jahrelangen Arbeit der zusammen- 
wirkenden Kräfte zur Erhaltung der Eingeborenen. 



Hakone, ein Sommersitz des Mikado. 

Von Bodo Freiherr v. Reitzenstein. 
Mit 3 Abbildungen. 



Als die Glut de» Hochsommers mich vor Wenigen 
Jahren aus den staubigen Straßen Yokohamas an die 
kühlen Gestade des Hakouusces trieb, da lernte ich die 
Vorliebe de« Mi- 
kado für dieses 
köstliche Fleck- 
chen Erde ver- 
stehen. 

Der Europäer 
bezeichnet mit 
dem Kamen „ Ha- 
kone" kurzweg 
eine kleine, am 

gleichnamigen 
Gebirgssee ge- 
legene Ortschuft 
der Provinz Sa- 
gami, südöstlich 
des Fuji-no-yama. 
Der Eingeborene 
nennt sie dagegen 
Hakone-no-shiku; 
„Hakone" ohne 
jeglichen Bei- 
namen bedeutet 
ihm die um- 
liegende Land- 
schaft, ein dem 
Fuji vorgelager- 
tes Gebirge. 

Dieses Ha- 
konebergland ge- 
hört geologisch 
zu der vulkani- 
schen Fuji-Zone, 
die Kaumann als 
„fo&sa magna" 
eingehend be- 
schrieben hat. 

Südöstlich des 
Fuji orstreckt 
sich weit in das 
Meer hinaus die 
Halbinsel Izu, be- 
rühmt durch das 
Städtchen Atami, 
das „ Karlsbad" 
Japans. Mit dem 
Festlande bildet 
sie zwei Buchten: 

die Bai von Oda warn, nach der am Ufer gelegenen ein- 
stigen Hojo-Residenz benannt, und die Surugabai. /.wi- 
schen beiden erhebt sich das eigentliche Hukonebergland. 

Der Tokaido, die bekannte alte Heerstraße, führt 
aber das Bergland hinweg. Am Südufer des Hakono- 
sees entlang, durch die Ortschaft selbst hindurch zieht 




AM». I. Kr» ntmnerleii- Allee hei Hakone. 



sich der von Kryptouierien eingesäumt« Weg. Die einst 
strategisch so wichtige Straße verbindet Tokyo, die 
heutige Residenzstadt, mit dem alten llerrschorsitz Kyoto. 

Der Übergang 
über das Hakone- 
gebirge war stets 
der umstrittenste 
Punkt in den blu- 
tigen Kämpfen 
der vergangenen 
Jahrhunderte. 

Das Hakone- 
bergland zeigt 
durchweg vulka- 
nischen Charak- 
ter, der sich zur- 
zeit allerdinge 
nur in friedlicher 
Weise kundgibt. 
ErloscheneKrater 
um] ein großer 
Roichtum an 
Thermalquellen 
kennzeichnen die 
Landschaft. Hie- 
lten bekannte 
Badeorte verdan- 
ken den Solfa- 
taren ihre hei- 
lende Wirkung. 
Yumoto, Tono- 
sawa, Dogashima, 
Miyanoshita, So- 
kokura und Kiga 
liegen im Tale 
des Hayagawa, 
des .Schnellen 
Flusses". Dieser 
Wildbacb stellt 
den natürlichen 
Al.Huß des II..- 
konesees dar. 

Von Yoko- 
hama her er- 
reichte ich zu- 
nächst Yumoto 
und ließ mich 
von hier im 
Kago, der japa- 
nischen Sänfte, 

das romantische Tal des Haya-gawa aufwärt» bis Soko- 
kura tragen. Hier verließ ich den Wildbach, um über 
Ashinuyu, dem höchstgolegenen der sieben Badeorte, 
nach Hakone zu gelangen. 

Von entzückender Pracht ist die Flora zwischen 
Ashinoyu und Hakone. Mehr denn hundert verschiedene 



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Bodo Freiherr t. Reitzenstein: Hakone, ein Sommersitz des Mikado. 



317 



Arten blühender Bäume und Stntucher geben ein färben- I Ein überraschender Rundblick bietet sich hier, wenn 
sattes Bild. Der Weg windet sich zwischen zwei Krater- j man die letzten Stufen hinabgestiegen ist. Vor uns liegt 
Seen hindurch und fuhrt dann steil in mehreren durch | der' blauschwarze Uukonosee. Ringsum erheben sich in 




Abt.. 



MchloO Hakone. 





Abb. 3. HakoneM'c mit dem Fujl-no-jaraa. 

Stufen Terbundenen Absätzen zum Südostufer des Hnkone- anmutiger Abwechslung die Höhen des Berglandes. Aua 

sees hinab. An dieser Stelle bildeter die schönste Krypta- der Ferne winkt der mächtige Kegel des Fuji-no-yama 

merien-Allee Japans (Abb. 1). l>ie Baumriesen stehen hier herüber. I>ie winzigen Holzbauten des Dorfes Hakone- 

ao dicht, daß kein Sonnenstrahl hindurchzudringen vermag. I no-shiku spiegeln sich in unmittelbarer Kühe im Wasser 



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318 



wieder. Darüber leuchtet blendendweiß da« luftige Kaiser- 
achloß Rikyu, der SommeraiU des Mikado (Abb. 2). 

Im Dorfe herrscht während der Sommerzeit rege* 
Leben. Die kleinen japanischen Häuser sind dann fast 
alle an Europäer vermietet. Aus den heißen StAdteo der 
Ebenen kommen die „Fremden" mit Kind und Kegel, 
um hier Erholung zu linden. Eigene Möbel und Diener- 
schaft muß ein jeder mitbringen, falls er nicht völlig auf 
Bequemlichkeit verachten will. Denn europäisch ein- 
gerichtete Hotelpalaste wie in Miyanoshita sind hier nicht 
zu finden. Darauf beruht eben der Reiz eine« Sommer- 
aufouthaltes in Hakone. Ein jeder kann sich mit den 
Seinen völlig abschließen. Keine lästige Gesellschaft stört 
den Zauber stillen Naturgonusses. Ein stundenlanges 
einsames Wandern gestattet die waldreiche Umgebung. 
Last not least locken Bootfabrten auf dem kühlen See 
und ein erquickendes Bad in seinen Fluten. 

Dieser See, in der Dichtersprache Ashi-no-ko, d. i. 
„Schilfsee", genannt, erfüllt den südwestlichen Teil eine» 
erloschenen Kraters von etwa 10 km mittlerem Durch- 
messer. Der Spiegel des lauggestreckten Sees liegt 750 m 
über dem nahen Meere. Die größte Ausdehnung, die 
6,5 km beträgt, geht vou Nordwesten nach Südosten. An 
Breite erreicht der Kratersee nur ein Fünftel seiner 
Länge. Der natürliche Abfluß, der bereits oben genannte 
Haya-gawa, entströmt dem Nordende des Gebirgssees. 

Die bedeutendsten Gipfel dos Hakoncberglandes um- 
rahmen den See. Auf dem östlichen Ufer liegt dem Dorfe 
am nächsten derFutago-yania.zu deutsch „ZwUliugsberg". 
Seinen Namen verdankt er zwei mächtigen Kraterkegeln 
auf seinem Rücken. Weiter nördlich erhebt sich der 
Komaga-take, d. i. „Fohlenberg*. An dessen Südabhang 
entspringt eine Thermalquelle von fast 100» Celsius. Dag 
schwefelhaltige Wasser wird nach Ashinoyu geleitet, wo 



es den Siechen Genesung bringt. Eine Solfatare von 
fast gleich hoher Temperatur durchdringt den Lavatnff 
des Ojigoko, der „Großen Hölle" , die das Uferbild nach 
Korden hin abschließt. Dieser Berg, auch Kami-yama 
genannt, ist infolge der Schwefeldämpfe vegetationslos. 
Das Gestein in der Nahe der Solfatare ist vollständig 
ausgebleicht, eine Folge der oxydierenden Wirkung der 
Quelle. Auf dem Westgestade ist der Fukara-toge be- 
sonders bemerkenswert. Denn unter ihm hinweg führt 
ein künstlicher Abfluß des Sees. Das abgeleitete Wasser 
wird zur Berieselung von Reisfeldern verwendet Diese 
Felder sind terrassenförmig angeordnet, und es sammelt 
■ich das Wasser wieder, um bei Sano, einem kloinen 
Dorfe, einen Wasserfall zu bilden. 

Alle die Gipfel des Ilakonegebirges werden vom schnee- 
bedeckten Trachytkegcl des Fuji überragt. Der Fuji-no- 
yania, von uns Europäern kurzweg Fuji genannt, ist 
von 13 Provinzen aus sichtbar. In der Kunst dient 
das Motiv des Fuji bekanntermaßen als Wahrzeichen 
Japans. Der Widerschein des Berges im Hakonesee kehrt 
als Vorwurf japanischer Malereien und Stickereien immer 
wieder. 

Den Fuji im „Schilfsee " sich spiegeln zu sehen, ist 
ein Anblick, den man für das ganze Leben nicht ver- 
gißt. Das Glück war mir besonders günstig gelaunt, und 
ich konnte den Fuji bei Sonnenaufgang und bei Sonnen- 
untergang vom Hakonesee aus erblicken (Abb. 3). 

Bei Sonnenaufgang scheint der Berg Funken zu 
gprühon. Bei Sonnenuntergang aber sendet seine schnee- 
bedeckte Kuppe die Strahlen des Himmelslichtes nach 
nllou Seiten weiter. Wie ein dräuendes gen Westen 
deutendes Flammenzeicben spiegelt er sich alsdann im 
tiofsebwarzen See, bis er in das Dunkel der Nacht ver- 
sinkt 



Die Verkehrswege von 

Die schwere Zugänglichkeit Afrikas von der Küste 
aus gilt auch für das weite, französische Kolouialgebiet 
l'Afrique Occidentale; es besitzt keine natürlichen Häfen. 
Der fast ausnahmslos flach in das Meer vorlaufende Strand 
mit seiner gefährlichen Brandung zwingt zu künstlichen, 
sehr kostspieligen Hafenanlagen. Der Geueralgouverneur 
Roume hob die natürliche Abgeschlossenheit des West- 
Sudan hervor, als er die Notwendigkeit der Erschließung 
des Landes vor dem CoiiReil suprrieur begründete und 
die Mittel hierfür beantragte. Kr sagte über seine Lage 
und Beschaffenheit: Den Zugang vom Meere aus erschwert 
die Flachküste, die die großen Dampfer zwingt, meilen- 
weit vom Ufer auf offener Heede zu liegen. Ist man in 
Flachboten gelandet, so befindet man sich in einem sehr 
ungesunden Sumpf- oder Sandgebiete. Beim weiteren 
Vordringen landein stößt man nach 100 — 200 km auf 
das zweite, noch schwerere Hindernis, die fast undurch- 
dringliche, ungesunde Troponwaldzone, die vom Hochlande 
von Futa Djallon bis zum unteren Niger hin das Laudes- 
innere wie ein dichter Vorhang abschließt. Im Norden 
schließt die Sahara den Sudan vou Nordafrika viel wirk- 
samer ab, als dies eiti Wasserozoan tun würde. Im Osten 
geht das Nigergebiet in die menschenleeren Steppen Uber 
bis zu den stark bevölkerten Gebieten um Tsadnce. Den 
einzigen natürlichen Zugang von Westen her bietet der 
Wasserweg des Senegal, aber auch hier hindert eine un- 
ausgesetzt von Nord nach Süd wandernde Sandbarre vor 
der Mündung die Dampfer oft wochenlang, in den Strom 
einzulaufen, ehe sie St.-Louis erreichen. Die Strontfahrt 
aufwärts bis Kayes, utwa 700 km, ist nur in sieben Mo- 



Französisch-Westafrika. 

Daten bei Hochwasserstaud in der durch Sandbänke ge- 
fährdeten Fahrrinne möglich. Von Kayes aus trennt 
wieder ein 450 km breites, menschenarmes Zwischenland 
die Stromgebiete des Senegal und des oberen Niger. 

Mit der Inbesitznahme des Gebietes, das viermal größer 
als Frankreich ist fiel der Republik die Aufgabe seiner 
Erschließung und Verwertung zu. Die Lösung ließ 
sich nur denken durch Anlage von Häfen an den ge- 
eignetsten Stellen, durch Bau von Eisenbahnen von diesen 
Häfen aus, namentlich nach den großen Strömen, durch 
Verbesserung oder Herstellung ihrer Schiffbarkeit, durch 
telegraphische Verbindung der besetzten Plätze. So ent- 
standen und entstehen vier Hafenplätze: Dakar südlich 
Kap Verde für Senegambien, Konakry für Französisch - 
Guinea, Port-Bouet (Petit Bassam) für die Elfenbein- 
küste und Porto Nuovo für Dahomey. 

Die Entstehung von Dakar (1886) laßt sich auf zwei 
Gründe zurückführen: auf die Notwendigkeit hier einen 
Flottenstützpunkt zu schaffen, und auf den Entschluß, 
diesen Flottenstützpunkt mit St.-Louis durch eine Eisen- 
bahn zu verbinden und somit den Nachteil der sperren- 
den Mündungsbarre vor dem Senegal auszugleichen. Der 
Kriegshafen ist durch die Insel (ioreenach außen geschützt 
vor Wind und Wetter, seine Aulagen und Befestigungen 
werdeu durch das Marineministerium hergestellt, der 
Handelshafen liegt innerhalb der Bucht seine Ausbagge- 
rung, die Herstellung der Kais, Anlegestellen, Krähne und 
Magazine fällt der Kolonialregierung zu. Mit der 
Bildung des Kolonialstautes l'Afrique Occidentale fran- 
I < aise wurde Dakar auch zum Sitz des Generalgouvemeurs 



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Oberstleutnant a. D. von Kluiat: Die Vorkohrswege von Französisch Woatafrika. 



319 



mit seinem Beamtenstabe bestimmt Dies iat Für die 
Entwickelung der jetzt schon 25 000 Einwohner zahlen- 
den Stadt ein mächtiger Antrieb. Um die Gesundheite- 
verhältnisse deB Ortes au verbessern, die anlegenden 
Schiffe mit gesundem Trinkwasser zu versehen, wurde 
eine Quellwasserleitung angelegt, zugleich schüttete man 
die Sumpfe tu oder trocknete sie aus, legte gute Zugangs- 
we((« zur Stadt an, versah die Straßen mit Kanalisation 
und elektrischem Licht und versuchte durch Bewässerung 
den ertragfähigen Hoden der Umgebung zum Gemüsebau 
herzurichten, um Stadtbewohner und Schiffe mit seinen 
frischen Erzeugnissen zu versehen. So wird Dakar in 
•einer kommunalen Einrichtung eine ganz moderne Stadt, 
die an Krankenhäusern und Schulen alles das den Ein- 
wohnern bieten soll, was diese auch in der Heimat zur 
Förderung ihres leiblichen und geistigen Wohles vor- 
finden. Dakar soll das Tor für alle Ein- und Ausfuhr 
nach und vom Norden und Westen der Kolonie werden. 
Der zwoite, im Bau begriffene Hafenplatz ist Konakry, 
die Hauptstadt von Guinea. Die Losinseln vor dem Kin- 
gaugo trat England an Frankreich ab, auf eiuer von 
ihnen erbaut man einen Leuchtturm, wahrend das Hafen- 
becken auf eine solche Tiefe ausgebaggert wird, daß es 
die großen Dampfer aufnehmen kann. Die Kosten der 
Hafenanlagen, Magazine usw. fallen dem Budget der 
Kolonie Guinea zur Last. Zugleich wird Konakry die 
Kopfstatiou der Guineabahn, die das reiche Hochland 
Futa Djallon und das Gebiet des obersten Niger erschließt 
und dem Hafenplatz ein ergiebiges Hinterland eröffnet. 
Dar dritte Hafenplatz Port-Bouet (früher Petit Bassam) 
liegt innerhalb der Ebrie-Lagune. Um dieses Wasser- 
becken vom Meere aus zugänglich zu machon, mußte man 
die absperrende Nehrung durchschneiden. Dies gelang 
1906 in den noch nicht zureichenden Ausmaßen von 
30m Breite und 4 m Tiefe; die Arbeiten werden aber 
weiter geführt, wenn sie auch viel Zeit beanspruchen und 
große Kosten verursachen. Ohne Bahn in das Innere 
hätte Port-Bouet keine große Zukunft, diese soll sich 
üubb ich tsvoller gestalten durch eine Linie, die vorlüuiig 
vor der Urwaldzone Halt maoht. Der vierte Hafen, 
Porto Nuovo, soll dem Handel des südwestlichsten 
Teiles von Dohomey dienen. Von ihm hört man nur 
wenig, nur daß die von hier ausgehende Bahnlinie dem 
zahlenmäßigen Voranschläge bisher nicht entspricht. Porto 
Nuovo, Port-Bouet und Konakry leiden gemeinsam unter 
den verderblichen Sumpffiebern; man sucht diesem Übel- 
stande durch Trockenlegung der Sümpfe und Regulierung 
der KUstenflttsse entgegenzuarbeiten. Da, wo dies den 
gewünschten Krfolg nicht ergibt, sieht man sich zur Ver- 
legung des Sitzes der Kolonialregierung nach höher ge- 
legenen, gesünderen Orten gezwungen. Dies gilt be- 
sondere für Porto Nuovo; wahrscheinlich wird die lle- 
gierung Dahomeys nach Abomey weit im Innern über- 
siedeln, um so mehr als Porto Nuovos Handel durch die 
Nachbarschaft des britischen Hafens Lagos stark beein- 
trächtigt wird. Man findet also von den vier Hafenpl&tzen 
den einen, Dakar, als wichtigsten, als Flottenstützpunkt 
erster Klasse an der Westküste und als Haupthafenplatz 
und die drei anderen an der Süd-Guineaküste, um hier 
örtlichen Zwecken zu dienen. Von ihnen aus gehen Bahn- 
linien nach dem Innern, und zwar nehmen sie ihre Bichtun g 
auf die natürlichen großen Wasserwege des Senegal und 
Niger, mit Ausnahme der Bahnlinie von der Elfenbein- 
küfite, von Port-Bouet aus, die alloin dorn Innern dos 
Nigerbogens zustrebt. 

Will man die Anlage de» Bahnnetzes verstehen, so 
muß man sich die Ansicht der Kolonialregierung zu eigen 
machen. Diese sieht in dem oberen Nigerlaufe von 
KulikorobisKabara in der Nähe vonTimbuktu die 



politische und wirtschaftliche Achse von West- 
afrika und den Senogal als den natürlichen Zu- 
gangsweg nach dem Gebiet Keiner der zahlreichen 
Küstenilüsse im französischen Gebiet ist weiter strom- 
auf schiffbar, Wasserstürze, Stromschnellen, ein sehr 
wechselnder Wasserstand verhindern die Schiffahrt, nur 
der Senegal und der Niger eignen sich zeitweise und 
unter Hindernissen zu natürlichen Wasserwegen. Die 
Senegalmündung wird oft wochenlang durch die Mün- 
dungsbarre für größere Dampfer geschlossen; bei Hoch- 
wasserstand erreichen sie über St. -Louis das 700km 
aufwärts gelegene Kayes; weiter oberhalb verwehren die 
Wasserfälle von Tufi bei Medina eine Stromfahrt auf 
dem Oberlauf. Kayes iat also der Endpunkt der Senegal- 
schiffahrt, und zeitlich ist diese auf die Monate vom 
Oktober bis Mai beschränkt; denn in der Trockenzeit 
fällt der Wasserstand so bedeutend, daß der Schiffs- 
verkehr gänzlich aufhört. Zudem war dieser sehr ge- 
fährdet durch zahlreiche Sandbänke, die Schiffe mußten 
nachts vor Anker gehen. Dank der mit großen Kosten 
aufgenommenen Strouiregulierung und Aufräumung de« 
Flußbettes bessern sich die Verhältnisse, doch wird der 
Tiefstand des Stromes während fünf Monaten für die 
Schiffahrt bis Kavea trotz oberhalb zu erbauender Stau- 
wehre imnior ein Hindernis bleiben. 450 km über I<«nd, 
in der Luftlinie gemessen, trennen Kayes am Senegal 
von Kulikoro am oberen Niger, wo die Möglichkeit einer 
durchgehenden StromBchiffahrt beginnt. Der wechselnde 
Wasserstand übertragt sich auch auf diesen Riesenstrom; 
zur Regenzeit bedeckt eine einzige, ungeheure, 30000 <|km 
umfassende Wasserfläche von Diafarabe bis hin zu den 
Binnenseebecken südwestlich von Timbuktu das sog. 
Überschwemmungsgebiet, dessen außerordentliche Frucht- 
barkeit die des Nillandes übertreffen soU. Diese Frucht- 
barkeit bestimmt seine Bedeutung als wirtschaftliche 
Achse. Die unabsehbare Wasserfläche erschwert den 
Schiffen das Innehalten der eigentlichen Fahrrinne, wenn 
sie auch die Unebenheiten des Strombettes ausgleicht Zur 
Trockenzeit fallen die Wasser erst langsam, dann schneller, 
der Strom beschränkt sich auf sein Bett bald bilden die 
Niveauunterschiede desselben gefährliche Stromschnellen, 
die nur die flachgehenden Boote der Eingeborenen über- 
winden. Trotz dieser Hindernisse gelang es 1902 dem 
Kapitän Lenfant, einen Verpflegungstransport von Kulikoro 
abwärts über Kabara bis nach Ssay am unteren Niger 
zu führen. Seit dieser geglückten Fahrt nahm die Re- 
gierung die Stromregulierung, die Beseitigung der Strom- 
hindernisso methodisch unter Aufwendung großer Summen 
auf, jetzt, d.h. 1906, sollte ein geregelter Dampferverkehr 
von Kulikoro nach Kabara eingerichtet werden. In 8 
bis 9 Tagen hofft man von Timbuktu aus mit dem 
Dampfer Kulikoro, mit der Bahn Keyes und am Ende 
Dakar zu erreichen, eine Reise von höchstens 10 Tagen 
für ein Unternehmen, das bisher große Vorbereitungen, 
(i Wochen und viele Kosten beanspruchte. Von Kahara 
stromabwärts bis zur französisch-britischen Nigeriagrenze 
findet die Stromschiffahrt auf dem Niger im Bereiche der 
Flußinseln allerdings auch noch schwere Hindernisse, sie 
lasten sich aber abschwächen, und Kapitän Lenfant 
hatte recht, wenn er den Niger eine „Voie ouverte a notre 
empire africain 1 " nannte. Die für Handel und Verkehr 
wichtigste Stromstrecke bleibt der obere Lauf von Kuli- 
koro bis Kabara-Timbuktu ; der untere Lauf tritt in seiuer 
Bedeutung für don Kolonialstaat zurück, wenn nicht in 
späteren Jahren die Dahomey-Bahn Anschluß an den 
französischen unteren Lauf des Niger findet. 

Das Eisenbahnnetz von West-Afrika paßt »ich 
den Wasserwegen an und bietet ihnen den Anschluß an 
das Meer, um Einfuhr und Ausfuhr zu übernehmen. 



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330 Oberstleutnant a. IX von Kloist: Dia Verkehrswege von FmuzÖBisch-Wcstaf rika. 



Fünf grolle Bahnen sind im Botriebe oder im Bau. Als 
die wichtigste Linie ist die von Dakar nach St.-Louis 
am Senegal siu betrachten, hier tritt der Stromverkehr 
ein bia Kays«, und mit der Linie Kay es — Kulikoro erreicht 
man den Niger. Die 262 km lange Bahn Dakar— St.- 
Louis vermittelt fast den ganzen über See gehenden 
Verkehr aus dem Senogal- und Nigergobiot. AU man 
ihren Bau aus zwingenden politisch-militärischen Uründen 
begann, schützte man ihre .Tahres-Kilometer- Einnahme 
auf höchsten« löOO Fr., jetzt betragt sie 10000 Fr. Die 
Wüste, die sie meist durchzog, ist jetzt von einer Acker- 
bau treibenden Bevölkerung besiedelt. 

Die 555km lange Linie Kayes — Kulikoro, die 
zweite, bildet die mittelbare Fortsetzung der Bahn 
Dakar — St.-Louis, verbundeu mit ihr durch die Strom- 
schiffahrt auf dem Senegal. Ihr Bau wurde fast 
gleichzeitig mit dem der St-Louis-Bahn begonnen, doch 
erat im Dezember 1!)04 konnte sie in Betrieb gesetzt 
werden, so sehr verzögerten das Gelände und Kapital- 
mangel ihre Fertigstellung. 1 9()ö belief sich die Jahres- 
Kilometer-Einnahmo auf 4086 Fr., man erhofft aber ein 
entsprechendes Wachsen mit dem Eintreten eines ge- 
regelten Dampferverkebrs auf dem Niger. 

Drittens die Guinea-Bahn. Sie ist über (iOOkm 
lang mit ihren Abzweigungen und verbindet den er- 
wähnten Hafen Konnkry mit Kurusaa am obersten 
Niger. Vorläufig ist erst die Teilstrecke von Konakry 
bis Kilometer 154 im Betriebe, hier entstand eine neue 
Stadt Kindia. Die Bahn soll 1910 ihren Kndpunkt er- 
reichen; während sie jetzt schon durch ihre fertige Teil- 
strecke das Hochland Fnta Djallon erschließt, wird sie 
bei Beendigung des Baues in Kurussa da» Gebiet des 
obersten Nigerlaufes zugänglich macheu. Dann ist die 
schon mehrfach erwähnte Achse von Konakry an der See 
über Kulikoro nach Kabara eine moderne Verkehrsstraße 
für Eisenbahn und Dampfer, nur unterbrochen durch die 
verhältnismäßig kurze, der Verbindung noch harreude 
Straße Kurussa — Kulikoro. Au dieser von Südwest nach 
Nordost gerichteten, von dem Guineagolf bis zum Scheitel 
des Nigerbogens reichenden Linie liegen als Hauptstädte 
der Verwaltungen oder als Hauptstapelplätze Konakry 
als Hafen, Banimako unfern Kulikoro als Hauptstadt des 
MilitirterritoriumB Senegal et Niger, Timhuktu als Haupt- 
und Handelsplatz des Territoriums gleichen Namens. Hin 
Vorteil, der der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung 
nur förderlich sein kann. Die Kilometer -Jahres- Kin- 
nahme auf der fertigen Teilstrecke überstieg den Vor- 
anschlag schon bedeutend; die Guineabahn wird sich 
voraussichtlich sehr gut rentieren. 

Die vierte Bahnlinie gehört der Elfenbein- 
küste zu, sie gebt von Port-liouet ans, war nach den 
letzten Nachrichten auf 50 km im Betriebe und bis 
Kilometer 101 abgesteckt, doch trügt man sich mit dem 
Plane, sie quer durch den Urwaldgürte) hindurch bis 
nach dem zerstörten Kong weiterzuführen, wo man gün- 
stige Verhältnisse für llaumwollkultur zu finden hofft. 

Dio fünfte, die Dahomoy bahn, sollte 1906 den 
Kilometer -'20 erreichen und damit ein Gebiet, in dem 
starke Viehzucht getrieben wird ; auch hier durchschneidet 
die Bahn Luudereieu, in denen sehr gut Baumwolle ge- 
deiht. Obgleich Daboiney als ein von der Natur reich 
ausgestatteten Land angesehen wird, war die es durch- 
ziehende Bahn die einzige, deren Einnahmen nicht den 
Erwartungen entsprachen. Das liegt zum Teil an dem 
hohen Frachttarif, den die Baugcsellschaft aufgestellt 
hatte, wodurch ein Teil der Güter von der BahnbefÖrdernng 
ausgeschlossen wurde, deren geringer Wert die hohe 
Fracht nicht tragen konnte. Bei der Besprechung der ! 
Stromfuhrt auf dem unturen Niger war der Hahnanschluß i 



der verlängerten Dnhomeybahn erwähnt Die Ausführung 
dieser Absicht steht noch in weiter Ferne. Sie kann 
dann aber nur dazu beitragen, den französischen Güter- 
transport auf dem unteren Niger auob auf eine franzö- 
sische Bahn überzuleiten, sie vermag jedoch nicht mehr 
den deutschen Handelsverkehr in Togo oder den britischen 
in Nigeria auf französisches Gebiet hinüberzuziehen. 

Das sind die Ende 1906 fertigen und im Ban be- 
griffenen Eisenbahnen in Fransösisoh-Westafrika. Ihre 
Lauge beträgt rund 1200 km, die aber bis 1910, spätestens 
bis 19 12, bis auf 2150 km anwachsen werden und faat 
ausnahmslos gute Aussicht auf gewinnbringende Ent- 
wickelung geben, ganz abgesehen von den unabschätz- 
baren Vorteilen, die sie der Zivilisierung der ein- 
geborenen Bevölkerung und der Sanierung der ungesun- 
den Gegenden bieten. 

Dienen Wasserwege und Eisenbahnen dem Personen - 
und Güterverkehr, so begleitet der Telegraph zu 
schnellster Nachrichten-Übermittelung wenigstens die 
letzteren. Eisenbahn und Telegraph sind unzertrenn- 
lich verbunden, oft weist aber die Telegraphenlinie 
den Weg und das Ziel, wohin später der Bahnbau folgt 
Alle von der Eisenbahn berührten Orte sind somit 
telegraphisch miteinander verbunden; von den Haupt- 
linien gehen Nebenzweige nach Handelsplätzen und 
Militärposten. Auf nähere Entfernungen tritt schon 
oft das Telephon in Tätigkeit und es überspannt 
ein dichtmaschiges Netz telegraphischer oder tele- 
phonischer Leitungen das weite Kolonialgebiet. Mit 
Timbuktu hatte es im Norden sein bisheriges Ende. 
Zwischen dieser Stadt und dem Tsadsee, 800 km von 
ersterer entfernt, liegt der Militärposten Zinder. Hier 
machte sich seit 1905 eine gewisse Unruhe in der isla- 
mitischen Bevölkerung bemerkbar, sie drohte als ein 
Ausbruch des Panialamismus in eine Überrumpelung der 
Besatzung auszuarten. Wenn es auch hierzu nicht kam, 
dank der Entschlossenheit des französischen Komman- 
danten, so erkannte man doch die große Gefahr, die die 
von aller Unterstützung abgeschnittene Garnison lief, die 
nicht einmal Nachricht geben konnte. Hierzu kam die 
wachsende Bedeutung von Zinder als Ausmündungspunkt 
des ganzen tripolitnuischon Karawanenhandels, der sich 
hier entweder nach den Tsadseeländern oder nach dem 
Niger zu spaltet. Schließlich wurde es notwendig, von 
Zinder aus eine ständige Besatzung nach dem Oasen- 
gebiete Bilma zu legen, um die sich hier schneidenden 
Karnwnnenwege polizeilich zu überwachen. Diese Gründe 
bestimmten die Kolonialrcgierung, das von Timbuktu 
SOOktu entfernt« Zinder telegraphisch anzuschließen 
und zur Ausführung dieses Unternehmens 2 Millionen Fr. 
bereit zu stellen. Endo 1907 soll diese Arbeit aue- 
geführt sein. 

Mit dem Anschluß von Zinder an das Telegraphen- 
netz von Westnfrika verknüpft sich aber die Ausführung 
eines großartigen, schon lange geplanten Unternehmens, 
die Loguug einer transsaharischen telegraphi- 
schen Leitung zur Verbindung von Algier mit We»t- 
afrika. Frühere Artikel des Globus berichteten schon über 
die Expedition des Posten- und Telegraphen-Direktors 
Etiennot im Jahre 1905, der die zweckmäßigste Linie 
für die Logung einer Telegraphcnleitung tjuer durch die 
Wüste ausrindig machen wollte. Ausgangs- und End- 
punkt waren in der früheren Endstation Ben Unif der 
Süd-Oranbuliu und in Timbuktu gegeben. Das Ergebnis 
dieser Erkundungsreise, die zeitlich mit Gautiers Durch- 
<|uerung der Sahara zusammenfiel, war, daß keine wesent- 
lichen Hindernisse für das Legen einer Telegraphen- 
leitnng bestehen, wenn man, die meridionale Lage der 
Tuat-Oasen benutzend, westlich vom lloggargebirge bliebe. 



W. von Bülow: Die Lage der vulkanischen A nabr uchstellen ubw. 



321 



Nun ordnet« die französische Regierung das Legen der 
t raus iaharischen Telegraphenleitung an und berechnete 
die Kosten auf 2700000 Fr., die von den beiden Kolonial- 
gebieten Algier und Westafrika zu tragen seien. Eine 
Einigung der genannten Verwaltungsgebiete konnte noch 
nicht erfolgen, doch glaubte der Generalgouverneur von 
Algier die Aufführung der Anordnung nicht langer hin- 
ausschieben zu sollen. Er beauftragte den Direktor 
Etiennot, die erste Strecko von ßeni Ahbas, der bis- 
herigen Endstation des Telegraphen, nach Adrar. einer 
der Tuat-Oasen, im Herbste 1907 in Angriff zu nehmen. 
Die Entfernung betragt 4(>0km, die Kosten werden auf 
3 — 400000 Fr. berechnet, in drei Monaten glaubt man 
die Arbeit beendet zu haben. Als Träger der Leitung 
sollen aufnehmbare Metalltn.iato benutzt werden. Woun 
die Verwaltung von Westafrika noch nicht zur Erledi- 
gung des Auftrages schritt, so liegt wahrscheinlich der 
Grund in der Notwendigkeit, die telegraphiscbe Leitung 



Ton Timbuktu nach Zinder der Richtung der transtuha- 
rischen Linie anzupassen. Immerhin tritt diese groß- 
artige Unternehmung nun in die Wirklichkeit, doch wäre 
es voreilig, hieraus Schlüsse auf die Ausführung einer 
transaafaarischen Eisenbahn zu ziehen. 

Wirft man einen Blick auf die Wasserwege und die 
sich diesen anpassenden Bahnlinien Westafrikas, so darf 
man erwarten, daß der Zweck der modernen Verkehrs- 
wege, das Land zu erschließen, den Ackerbau und die 
Industrie in dem bisher halbstarren Lande zu beleben, 
die Kultur der eingeborenen Bevölkerung zu heben und 
die bisher so ungünstigen Gesundheitsvorbältnisse des 
Landes zu bessern, wohl erreicht werden wird. Bringt 
das Seekabel Westafrika in engen Anschluß an die Re- 
gierung der Republik, so gestattet der truussuhrnisohe 
Telegraph den Mitteilungsaustausch der beiden Kolonial- 
reiche Algier und Westafrika. 

von Kleist, Oberstleutnant a. D. 



Die Lage der vulkanischen Ausbruchstellen von 1902 und 1905 auf Savaii. 



Matapoo, 4. Marz 1907. 

Durch die Abhandlung deB Herrn Prof. Dr. Karl 
Sapper in Tübingen „Der MataTauuausbruch auf Savaii 
1905/06" in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erd- 
kunde zu Berlin 1906, S.684u.f., ist der neue Vulkan 
auf Savaii für die Wissenschaft nun endlich getauft 
worden : Matavanu heißt der neue Vulkan. 

Bei dem Vulkananabruche des Jahres 1902 sowohl, 
wie bei dem des Jahres 1905 war man in den ersten 
Tagen nach dem Ausbruche durchaus nicht ganz im 
klaren darüber, an welcher Stelle des Gebirges er statt- 
gefunden hatte. 

Während man aber im Jahre 1905 bereits nach zwei 
bis drei Tagen festgestellt hatte, daß der Ausbruchsort 
im Eingänge — mata — einer Schlucht — vanu — lag, 
die Matavanu genannt wird, dauerte es im Jahre 1902 
fast einen ganzen Monat, ehe ermittelt werden konnte 
(ich berufe mich hier auf meinen Bericht im Globus, 
Bd. 83, S. 108 u. 109), daß der Ausbruch in einer ehe- 
mals tiefen, langgezogenen, von Westen nach Osten fah- 
renden Versenkung — „To" — stattgefunden hatte, die 
von den Eingeborenen vanu — Schlucht — und maisu 
— schwarz, dunkel — daher Vanumaisu genannt wird. 

Ich möchte deshalb vorschlagen, den Vulkan von 
1902 als den Vulkan Vanumaisu zu bezeichnen und 
damit zugleich eine gewisse Gleichheit mit dem Vor- 
gehen bei der Benennung des Vulkanes von 1905 her- 
zustellen. 

Nun klingt es ja allerdings recht eigentumlich, daß 
man eine Erhöhung, einen Berg, als Anfang einer 
Schluoht oder als dunkle Schlucht bezeichnet, aber der 
Grund, auf dem diese Vulkane stehen, hat schon von 
alters her diese Namen geführt und sie sind bei den Ein- 
geborenen eingebürgert. 

Der Vulkan bei dem Dorfe Aopo auf Savaii, dessen 
Alter ich auf hundert und einige Jahre schätze, bat 
keinen speziellen Namen erhalten. Er heißt bei den 
Eingeborenen Mauga mu oder auch Mauga afi, d. i. 
„Vulkan«. 

Alle anderen Vulkane sind benannt. 

Wenn ich dem Mauga mu oder Mauga afi im Gegen- 
sätze zu anderen Berichterstattern nur ein verhältnis- 
mäßig geringen Alter zuerkenne, so gründet sich diese 
Schätzung auf folgende Umstände: 1. Als ich vor 
25 Jahren auf der Insel Savaii eintraf, lebten noch Leute, 
die von ihren Eltern gehört hatten , wie diese sich des 



Ausbruches des Mauga mu erinnerten. Diese Leute, 
die bei meinem Eintreffen noch lebten, sind seit einigen 
Jahren im ungefähren Alter von 60 Jahren gestorben, 
in einem Alter also, das nur selten einem Eingeborenen 
zu erleben besebieden ist. — 2. Als ich bei meiner An- 
kunft in Savaii (also vor 25 Jahren) das Lnvafold 
zwischen Aopo und Asau besuchte, war kein Schatten 
spendender Strauch vorhanden. Das Lavafeld sah genau 
so aus wie jetzt das Feld, das Salago, Lealatele und 
die verschiedenen Pflanzungen und Stationen der Fremden 
begraben hat, aussieht. 

25 Jahre haben genügt, um bei Aopo auf dieser 
kahlen Steinwüste bereits große Sträucber und mitunter 
auch Bäume hervorzubringen. Eine Schätzung, die 
mindestens 200 Jahre als Alter jener Lavafläcben an- 
nimmt, dürfte auf der Mißdeutung einer samoanischen 
Überlieferung beruhen : Laulunofovaleane (nach Krämer) 
hatte eine Tochter Maupeinei. Diese machte der Sage 
nach eine Reise nach „Fiti" (Viti), wahrscheinlich aber 
nach Tonga, wo sie von dem Tui Tonga geheiratet 
wurde. 

Als sie Savaii verließ, war die Insel eben und hatte 
sandigen Strand. Bei ihrer Rückkehr fand die Reisende 
die Felsenküste vor. Der Wohnort der Maupeinei lag 
auf der Südseite von Savaii. Duß sie damals auf ihrer 
Reise die Nordseite gesehen haben sollte, die ganz außer 
ihrer Route lag, ist unwabr-sclioinlicb. Nun ist aber 
das Lavafeld auf der Südseite älter als das Lavafeld auf 
der Nordseite und rührt nicht von dem Ausbruche des 
Mauga mu her, wenigstens nicht von demselben Aus- 
bruche, von dem die Felsenküste der Nordseite herrührt, 

Maupeinei lebte vor acht bis zehn Generationen , die 
man für Samoa auf je 25 Jahre annehmen kann. 

Auf diese Weise kommen allerdings mindestens 
200 Jahre für das Alter des südlichen Lavafeldes herauB. 
Das nördliche Feld ist aber jünger. 

Der von K. Sapper erwähnte Bericht des Feldmessers 
Lammert über seine amtliche Begehung des Vulkan- 
gebietes des Vanumaisu von 1902 enthielt die sehr be- 
gründete Vermutung, daß die vulkanische Tätigkeit Ten- 
denz zur Ausbreitung nach Osten zeige. Dieser Schluß 
gründet sich zweifellos darauf, daß Östlich von der Aus- 
bruchsstelle die Erdbebenerscbeinungen heftiger und 
häufiger auftraten als westlich davon , und daß östlich 
vou dem Krater (1902) ein großer Riß in der Erdober- 
fläche Bich zeigte, der von dem Meeresstrande zwischen 



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3'>2 



Kleine Naolirichten. 



den Dörfern Safune und I^amau^a nach Süden bis auf 
den Berg Maugaloa eich erstreckte und von dort aus in 
spitzem Winkel »ich wieder nach Norden bis zum Meeres- 
ufer hinzog. Der Riß verursachte eineu von dem Heere 
aus erkennbaren Abrutsch vom Maugaloabergo. 

Ferner waren in dem östlich von der Atisbrucbs- 
htello des Jahres 1902 gelegenen Gelände von Safune 
bis Lafotu mehrfach Einbrüche in der Lagune fest- 
gestellt worden. Westlich von der Ausbruchsstelle waren 
dagegen keine derartigen Erscheinungen zutage getreten. 

Wenn Lammert nun als das Zentrum der vulkani- 
schen Tätigkeit den Maugaloa ansah, weil die Erdspalten 
sich auf ihm in einem Winkel vereinigten, so scheint er 
hierbei ganz logisch geschlossen zu haben , wie die Tat- 
sachen bewiesen haben. 

Daß aber ein uouer Ausbruch nicht gerade auf der 
Maugaloaspitze. also an der relativ stärksten und wider- 
standsfähigsten Stelle der Erdrinde, sondern mit größerer 
Wahrscheinlichkeit an einer Seite des Derges oder in 
einem der vielen und tiefen Ravins der Ost-, Südost- 
oder Südseite des Bergkomplexes des Maugaloa, also an 
einer relativ dünnen und widerstandsunfahigoren Stelle 
der Erdkruste stattfinden kannte, darüber ist wahrschein- 
lich weder Lammert noch sonst jemand im unklaren ge- 
wesen. Tatsächlich hat dann ja auch, wie bekannt, die 
Eruption in einem dieser tiefen Einschnitte statt- 
gefunden, der zuzeiten auch als Wasserlauf diente. 

Auch heute noch hat sich in der Tätigkeit des Mata- 
vanu nichts geändert Die Lava fließt zwar nioht über 
den Kratorrand, wohl aber durch tiefer gelegeno Öffnun- 
gen unterirdisch nach Osten hin, um sich dort, wo etwa 
das Riff des Dorfes Tuapaipai gewesen ist, in das Meer 
zu ergießen. 

Im Meere fließt die Lava teils nach Osten, teils nach 
Westen hin an der Küste entlang ab. Doch der größere 
Teil der Lava strömt seukrocht zur Küsto in das Moer, 
wo sie verschwindet. 



Bei Vergleich der an der Küste sich ergießenden 
Lavaniengen und der Quantität der Lava, die sichtbar 
den Ausflußatellen des Matavanu entströmt, kommt man 
leicht zu der Oberzeugung, daß es höchst unwahrschein- 
lich, ja ganz unmöglich ist, daß diese gleichzeitig an 
der Küste sich ergießenden Mengen auch gleichzeitig 
im Krateriuunda Platz gefunden haben sollten. Die 
Frage, ob der Lavastrom auf seinem Wege zur KüBte, 
der wegen der bereits erkalteten, ihn überbrückenden 
Lavadecke nicht kontrollierbar ist, nicht aus irgend 
einer noch nicht bekannten Eruptionsöffnung oder Spalte 
Lavazurluß erhalt, hat noch nicht ergründet werden 
können. 

Höchst interessant ist es, zu beobachten, in welcher 
Weise bei vulkanischen Ausbrüchen Neuland entsteheu 
kann. Seit dem Erkalten der Lava bei Saleaula ist 
durch Strömung und Seegang auf eine Entfernung von 
utwa 1 km das die Ijigune begrenzende Riff in eine lang- 
gestreckte Landzunge verwandelt worden. Die zu 
feinem , glitzerndem schwarzen Sande beim Erguß ins 
Meer zerstäubte Lava ist in diesem Zustande auf das 
Riff gespült Durch hoftigeren Seegang sind dann klei- 
nere und größere Steine hinaufgeworfen worden und 
gaben der neuen Formation eine größere Konsistenz. Die 
neue Landzongo befindet sich jetzt dem Dorfe Safai 
gegenüber und zeigt die Neigung, sich der Küste zu 
nähern. 

Der Zugang des noch erhaltenen Teiles des Dorfes 
Saleaula zum Meere ist nur bei dem Dorfe Safai 

möglich. 

Die Lagune zwischen den Dörfern Safai und Saleaula 
wird auf diese Weise allmählich zum Binnensee. Der 
östliche Teil der Lagune hat jetzt schon süßes Waaser, 
da überall unter der neugeformten und erkalteten Lava 
Quellen sich gebildet haben, die gutes, kühles Trink- 
wasser liefern. 

W. von Bülow. 



Kleine Nachrichten. 



Abdruck nor mit yu<tlleTi»n(rabe R?t.tatt*t. 



— Mitteilungen über das Ts adseebeeken und über 
da* System des Bahr el-Gha*al gibt Leutnant Fröden- 
berg im Harzheft von „La Geographie" (mit zwei Karten- 
skizzen). Frendenberg ist einer der Offiziere der in Kanem 
stehenden französischen Truppenabteilung unter Kapitän 
Mangin, dessen interessante Züge bis Borku im Globus 
(Dd. 91, S. 244) bereits kurz erwähnt worden. An einigen 
von ihuen hat Freydenberg teilgenommen, außerdem hat er 
die Nordhälfte de» Tsadsee» befahren. Nachtigal hatte Borku 
für eine Mulde erklärt, die früher vom Tsadsee durch den 
Bahr el-Gbasal mehr "der weniger mit Wasser gefüllt worden 
sei. Die Eingeborenen versicherten, daO das Tsadsecwasser 
den Hahr el-Ghasal hinaufginge. Kr verwies dazu auf die 
Konstanz des Salzgehaltes des Tsad inmitten einer Gegend, 
wo die Auswitterung von Natronsalzen allgemeiu verbreitet 
ist. Frendenberg bestätigt die Tatsache, daß zor Schwellzeit 
das Waaser des Tsad im Bahr el-Gbasal gegen Borku vor- 
rückt, will darin aber keinen Abfluß, sondern nur die Wirkung 
der Überschwemmung sehen. Dieses bestätige die von 
ihm im Mai 1Ö05 (also zur Zeit de» höchsten Wasserstandes 
im Tsad) beobachtete Tatsache, daB die im Kitt des Bahr 
el fi basal gegrabenen Rrujineii ein deutliche« Abtlielien nach 
dem Tsad zeigten. Schnecken, die auf den Kiesbänken unter 
den Sanddünen gefunden wurden, kommen von Formen in 
fließendem Wasser her. Die Gesteine sind fortgerollter ('halce- 
don und Kindstain. Beides findet sich nicht am unteren 
Schari oder in der nächsten Umgebung des Hees als an- 
stehende» Gestein. Mau muß also annehmen, dafl diese 
Gesteinstrümmer aus den oberen Teilen der Betten des Kguei, 
de« Toro und des Dschurab hergekommen sind und die Pro- 
dukte der Denudation sind, der das üebirgsmassiv von Tibesli 
unterlag, dessen Südatihiioge noch ganz unbekannt sind. 



Alles dieses spräche nach Freydenberg dafür, dal! der Tsad 
seit alter Zeit das Reservoir auch für den Nordosten ge- 
wesen ist, nicht dafür, daß er umgekehrt nach Kordosten 
entwässert hat. Der von Nachtigal weiter betonte Grad der 
Süßigkeit des Tsadseewassers ist nach Freydenberg nur relativ. 
Das Wasser ist salzig, zur Schwellzeit aber erhält es so viel 
süßes Wasser, daß der Natrongeschmack wenig wahrnehmbar 
ist. Der Umstand, daß der Salzgehalt des Tsad, trotzdem er 
keinen Abfluß hat, konstant ist, erklärt Freydenberg damit, 
daß seine Zuflüsse ihm wenig oder gar kein Natron zuführen 
und daß dieses sich nach dem Zurücktreten des Hochwassers 
in den Sümpfen schnell kristallisiert. Er schließt: Nordwest- 
Tibesti schickte sein Wasser zum Becken von Kanar (Bilroa), 
8dd-Tlbestl, Borku und Wadai zum Tsad. Vermutlich standen 
diese beiden Becken einmal in Verbindung derart, daß der 
Schari sich in das nordafrikaniache Binnenmeer ergoß, dessen 
Kalkablagerungen man bei Tessaua in Damergu und südlich 
vou Bilma antrifft. Die Frage, wie weit es nach (.Uten 
reichte, kann nur durch Untersuchungen in Tibesti ent- 
schieden 



— Über seinen Wiistenmarsch vom Tuat nach Tie- 
deui im Frühjahr und Sommer lttofl, der im Globus, Bd. »0, 
S. ^VS erwähnt wurde, t»erichtet Oberstleutnant Laperrine 
ausführlicher im „Bull, du Comite de VAfritjue frauc.aise" 
für April d. J. unter Beigabe einer vorläufigen Kartenskizze. 
Für Anfang Mai H'Oß war zwischen Laperrine und dem 
Kommandanten von Timbuktu ein Zusammentreffen von 
Truppenabteilungen aus dem Tuat und aus Timbuktu in Tao- 
deni verabredet worden. Die Tuatubteilung führte Laperrine 
selbst, die Nigerabteilung Kap. Cauvin. Das Zusammentreffen 
fand auch stau, doch mit Verspätung und nicht in Taodeni, 



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Kleine Kachriobten. 



323 



sondern beim Brunneu El-Gettara, 100 km südöstlich von 
Taodeni; ferner war der zweite Beteiligte nicht Ciiuvin, der 
Taodeni aas Nahrungsmangel bald hatte verlassen müssen, 
sondern ein von ihm «udoetwarta ausgesandter Offizier, 
Lt. Cortier. Ober Cortiers Erlebnisse und Beobachtungen 
ist im Globus, Bd. 91, 8. 93 berichtet worden. 

Laperrine hatte versuchen wollen, von Adghar auf der 
jetzt verlassenen direkten Karawanenstraße, die eine süd- 
westliche Richtung einschlägt, Taodeni zu erreichen, aber 
keine Fuhrer finden können. Er war daher genötigt, za- 
nke h st nach Inalae zu marschieren und von da in weitem 
südlichen Bogen über IlAfok, 6unfat, Aschurat (SO* 30' uördl. 
Br., 1° SO' westl. L.) und Inisehaig (Cortiers Ruuto) gegen 
Taodeni vorzudringen. Hieraus erklart sich die Verspätung. 
Laperrine war am 2«. Mär* mit 6 Europäern, 85 Mann der 
Eingeborenentruppen, den erforderlichen Kamelen und Lebens- 
mitteln für 90 Tage von Adghar aufgebrochen und am 28. Mai 
in Taodeni angekommen. Binige Kamele waren verloren ge- 
gangen infolge der Strapazen, doch konnte er den Verlust 
in Taodeni zur Not ersetzen. liier fand er zwei Scherifs ans 
Arauan und einen Taodeniter, die das Wagnis unternehmen 
wollten, ihn auf der erwähnten direkten Straße nach Adghar 
zurückzubegleiten. Am 1. Juni verließ Laperrine Taodeni; 
bis zum 1. Juli hoffte or die 600 km lange Strecke zurück- 
gelegt zu haben, doch langte or erst am 9. Juli in Adghar 
an, naoh einem an furchtbaren Strapazen und Entbehrungen 
reichen Marsch, der den Kamelbestand stark gelichtet und 
die Expedition an den Band des Verderbens gebracht hatte. 
Zwei Mann erlagen den Folgen. Die Gefährlichkeit der 
Stracke, die Laperrine trotzdem dem Karawanen verkehr wieder 
za eröffnen hofft, besteht im teilweisen Mangel ausreichen- 
der Kamelweiden und der Spärlichkeit oder dem schlechten 
Zustande der Brunnen. Ausreichendes und gutes Wasser 
liefern nur die beiden Brunnen Bir Beheb und Bir el-Had- 
Mlmdsch (300 bzw. 500 km von Taodeni entfernt). Der Tao- 
deni zunächst liegende Brunnen El-Biar (so km) ist fast 
völlig versiegt. Der Brunnen Tinbala (200 km vou Taodeni) 
hat ein fürchterliche« Naß, da* wie Seifenlauge *cln»eckt und 
sämtliche Mitglieder der Expedition auf mehrere Tag« — 
eins für 30 Tage! — unförmlich anschwellen machte, und 
der Brunnen Hasai-uId-Brini (350 km von Taodeni) hat nur 
spärliches und salziges Wasser. Laperrine hat indessen 
Schritte getan, die Wasaerverhältnisse auf dieser Strecke zu 



— Flußreisen im Südwesten von Nicderländiscb- 
Neuguinea. Das Hinterland der SüdweMkiiste von Nieder- 
ländiach-Neugainea zwischen der Pisangbai und der Prinz 
Friedrich Heinrich-Insel war bisher gänzlich unbekannt. Zwei 
in die Ostbai. etwa in der Mitte zwischen diesen beiden 
Pnnkten, mündende Flüsse, den Süd- und den Nord-Utum- 
buwe, hat in der Zeit vom C. bis 25. Oktober 190* der 
holländische Regierungsdampfer ,Valk" ziemlich tief land- 
einwärts befahren und erforscht, nachdem auf einer früheren 
Reise ihr Mündungsgebiet untersucht worden war. Eine all- 
gemeine Beschreibung der Beise (mit Kart« in 1 :3«0000 und 
Abbildungen) hat der Kommandant des „Valk", J. H. Hon- 
dius van Herwerden, in der .Tijdechrift v. h. Kon. Neri. 
Aardr. G*noot*chap*, 1907, Heft 2, veröffentlicht, und ein 
anderer Teilnehmer, der Assistent- Resident in Merauke, 
R. L. A. Hellwig, hat daran einige weitere Bemerkungen 
angeschlossen. Die Endpunkte der Fahrt liegen in der Luft- 
linie etwa 90 bis 95 km von der Küste entfernt, der auf dem 
Südfluß unter 5* 15' aüdl. Br. und 138* 50» östl. L., der auf 
dem NordliuO unter 4° 52' aüdl. Br. und 138*44' östl. L. Auf 
dem Südfluß konnte der Dampfer 80 km weit vordringen, die 
I »ampfflcbaluppe von 1,2 m Tiefgang noch weitere 37 km; auf 
dem Nordfluß sind die Entfernungen 98 bzw. 34 km. Die 
Ufer sind mit dichter Vegetation bedeckt, doch fehlen hier 
dl« ausgedehnten Alang-alang-Flachen und Enkalyptuswälder, 
die für die Südküste Neuguineas sonst charakteristisch sind. 
Das Oelände an den Unterstufen ist niedrig nnd sumpfig, 
weiter landeinwärts wird es höher, am obersten Laufe des 
Nordflusses 3 bis 4 m hoch. Hier fand man auf den Kies- 
bänken Geröll und Stücke einer schlechten Steinkohle, die 
gerundet and offenbar vom Flusse auB dem Innern horgef iihrt 
worden waren. Auf die dortigen Bergkämme, deren Ent- 
fernung vom Endpunkte der nördlichen Reis« Btlf 60 bis 80km 
geschätzt wurde, hatte man häufig einen Ausblick. Die 
innersten Ketten sollen Schneeberj»* tragen. Die Gegend 
scheint ziemlich dicht bewohnt zu sein. Am Ufer, gewöhn- 
lich an den Mündungen von Nebenflüssen, sah man zahl- 
reiche Dörfer, mehrere von 40 bis 50 Hütten. Auch traten 
die Reisenden oft mit deren Bewohnern in Berührung. Diese 
gaben Zeichen des Erstaunens oder Schreckens, schlugen mit 
den Rudern gegen ihre Kanns, stießen ein betäubendes Geschrei 



au* und bliesen Asche und Kalk aus ihren Blasrohren, er- 
griffen aber nicht die Flucht Nach einigem Zogern kamen 
sie mit ihren Kanus näher, und es entwickelte sich ein leb- 
hafter Tauschhandel; diu Eingeborenen boten unter anderem 
Lanzen und Dolche aus Kasu.irknochen an. Sie benahmen 
sich, obwohl bewaffnet, stets friedlich, doch habsüchtig und 
überlastig. Elumal näherten sich dem .Valk* in 25 Kanus 
gegen 240 Mann mit solchem Cngestttui, daß der Kom- 
mandant es für nötig fand, einige Schüsse in die Luft ab- 
zugeben, worauf sie zuriiekruderten. Ks scheint sich überall 
um einen und denselben Stamm zu handeln, der sich aber 
im Äußeren und in der Sprache von den Kaja-Kaja der Büd- 
kftste unterscheidet. Der Wuchs ist weniger hoch als bei 
diesen, doch kräftig und schlank. Die Haare werden sehr 
kurz getragen. Die Mäuner tragen nur Federn uud geflochtene 
Armbänder, die Frauen Schamschürzen. Die Häuser haben 
nur einen Raum und beherbergen meist mehrere Familien. 
Sie ruhen auf oft 3— 4 m hohen Pfählen. Der Raum unter 
ihnen ist durch horizontal befestigte Baumstämme geschlossen. 
An den Enden dar Dörfer sieht man 4 bis 5 m hoch angelegte 
Boobachtungsposten. Zweimal sah man an Pfählen befestigte 
Köpfe, was beweisen dürfte, daß die Eingeborenen Kopfjäger 
sind. Der Lebensunterhalt wird erworben durch Bereitung 
von Sago, Kasuarjagd und Fischfang; dieser wird durch Ab 
sperren der Krieks und mit Wurfspeeren botrieben. Einmal 
wurde ein Albino gesehen. 



— Dr. v. Zahn Berlin hatte beabsichtigt, eine Reise ins 
Pontische Gebirge zu unternehmen, und zu diesem Behuf 
umfassende Vorstudien über das östliche Kleinasien und Ar- 
menien begonnen. Da die Reise infolge widriger Umstände 
aufgegeben werden mußte, hat er die Resultate der Studien 
benutzt, am unter dem Titel .Die Stellung Armeniens im 
Gebirgsbau von Vorderasien usw." (Veröffentlichungen 
des Instituts für Meereskunde zu Berlin, Heft 10, 1908) eine Zu- 
sammenfassung dessen zu geben, was uns über den Zusammen- 
hang des iranischen und kleinasiatischen Gebir^fsystems, die in 
Armenien zusammentreffen, bekannt ist. Er ist dabei zum 
Teil zu eigenen, von den seitherigen abweichenden Ansichten 
gekommen, indem er bestreitet, daß oin bogenförmiger Über- 
gnng der iranischen in die taurischen Züge, wie sie z. B. 
Edmund Naumann annahm, stattfindet. Im Anschluß an 
M. Friederichsen teilt er Armenien in drei Teile, einen öst- 
lichen mit iranischer, einen westlichen mit vorh* rrschend 
taurisch-kleinaaiatisoher Richtung und einen zentralen mit 
Vulkankegeln und vulkanischen Hochflächen, aus denen der 
Aghri-Dagh mit iranischer Richtung auftaucht. Nach Zahns 
Meinung findet ein einfaches Aneinandertreten der östlichen 
und westlichen Richtungen ohne l'mbiegung ineinander statt, 
jedi*h mit Beeinflussung der östlichen Gebirge. Die Eigen- 
schaft dos armenischen Taurus als bogenförmigen Ketten- 
gebirges wird verneint und diese Erhebungslinie als Stufen- 
raud einer Scholle angesehen. Damit in Verbindung versucht 
er eine Reihe auderer Briiohlioien in Armenien zu konsta- 
tieren; auf einen Zusammenhang mit ihnen weist die An- 
ordnung der Vulkane hin. Ur. 

— Richard Btechele hat (Möncbener Geographische 
Stadien, 20. Stück) die Nachrichten zusammengestellt, die 
wir über die eigentümlichen , Steinströme" auf den Falk- 
landsinseln erhalten haben. Nach kurzen Bemerkungen 
über die gengraphischen Verhältnisse der Falklandsinseln im 
allgemeinen und einer Beschreibung der „8U>ne Rivers' 1 dis- 
kutiert er in ausführlicher Weis« alle Möglichkeiten ihrer 
Entstehung. Nach seiner Ansicht hat der Erklärungsversuch 
WyviUe Thomsons die größte Wahrscheinlichkeit für sich, 
nach dorn die Blöcke, die zusammengehäuft die Stnne Rivers 
geben, infolge der Verwitterung au deu Höhen abbrechen 
und dann ganz allmählich zur Tiefe transportiert werden. 
Der Torfboden, auf dem die Blöcke lagern, dehnt sich beim 
Feuchtwerden aus, so daß die Blöcke ein Stückchen abwärts 
rutschen, wird er aber wieder trocken und zieht sich dabei 
zusammen, so ist er nicht imstande, die riesigen Blöcke wieder 
in ihre frühere Lage zu heben. So kommen sie ganz lang- 
sam in die Täler und häufen sich dort zu den riesigen Block- 
mas»en, deren Oberfläche meist nur geringe Neigung — 2 bis 
8* — zeigt. Nach dieser Erklärung würden die Steinströme 
demnach eine Abart der sog. „Felseumeere* darstellen. 

Gr. 



— Aas dem vulkanischen Gebiet, das sich dem 
Kamerungebirge nord- und nordostwärts anschließt, be- 
richtet Dr. Paul Rohrbach in einem Brief« an die Berliner 
Gesellschaft für Erdknude (.Zeitschr.* 1907, 8. 254) einige 
Einzelheiten. Er war im Januar d. J. auf dem Wejre von 
Duala übor Mundamo und Bagam nach Bamum. Bei Bagam, 



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324 



Kleine Naohriohten. 



südostlich von Bamenda. «lleB Bobrbacb auf .ein Vulkangebiet 
großen Stils*. Etwa halbwegs zwischen Bamenda and Bagam 
verzeichnen unsere Karten den Mutigebirgsstock , und hier 
bat Rohrbach einen, wie er glaubt, bisher unbekannten 
Kraterberg entiegen. Er tagt: .Beim Anmarsch auf den 
Berg merkt man allmählich, daß er hauptsächlich, deshalb io 
hoch erscheint, weil er auf einer langsam Ansteigenden, breit 
und massig ausladenden, stark zerfurchten Bodenanschwellung 
aufsitzt. Am Kutte des eigentlichen .Berges' angekommen, 
wo der Aufstieg zu der steil gelöschten Hohe beginnen sollte, 
lieht man sich plötzlich vor einem gewaltigen, bis auf eine 
breite Ausführungsschlucht geschlossen umwallten Kraterkessel, 
der in jene allmählich erstiegene breite Bodenanschwellung 
— in Wirklichkeit den unteren breit ausladenden Teil des 
Aufschüttungskegels — eingesenkt ist. Der mittlere Durch- 
messer des Kraters beträgt 1000 — 1200 m nach Schätzung. 
Der eigentliche Wall dieses Kraters ist auf etwa % seiner 
»Streckung anscheinend zusammengebrochen, uud die Massen 
sind dabei offenbar hauptsachlich nach außen gestürzt, da 
der Krater nicht verschüttet, der eigentliche große Auf- 
schüttungskcget aber, wie gesagt, namentlich nach der Seite 
des Zusammenbruches hin sehr unregelmäßig gestaltet ist. 
Der kleinere Teil der einstigen sehr hohen und nach innen 
steil geböacbten Kraterumwallung ist aber stehen geblieben, 
und dieses stehen gebliebene Stück Kraterwall, dessen konkave 
Seite nach Bagam hin gewendet ist, ist augenscheinlich der 
Hutiberg der Karte.* Bings um den Bauptkratcr Hegen 
»massenhaft* kleinere Kraterbildungen. Weiter nördlich setzt 
sich die VuLW;i:ilun^vchaft weit fort, und wir besitzen darüber 
auch schon Mitteilungen. — Ob Rohrbach dieseu Krater als 
erster gesehen hat, steht dahin. Im Jahre 1905 bat Huttar 
das Mutigebirge durchstreift, und es ist kaum denkbar, daß 
Ihm der Krater entgangen sein sollte. Wenn aber auch Bohr- 
bach ihn als erster gesehen haben sollte, so war es über- 
K, den Mutikrater noch besonders zu taufen („Delbrück- 
r"); es genügt, wenn ein Krater nach dem Namen des 
enannt wird, den er krönt, es sei denn, daO kein 
Berg vorhanden ist. 

— Als im Jahre I9ul A. B. Meyer und O. Bichter ihre 
Abhandlung über die im ottasiatischen Archipel bei den Ein- 
geborenen vorkommenden Hessinghelme, Panzer und Schilde 
veröffentlichten, waren sie noch völlig im Unklaren über die 
Herkunft dieser Waffen. Daß sie europäischer Abkunft waren, 
erkannte man auf den ersten Blick — aber von welcher Na- 
tion stammten die Urbilder, die seit Alters in Indonesien 
bekannten Messliighelme? Jetzt ist diese Frage durch 
Baron van Hoevell in Leiden gelöst worden (Internat. 
Archiv für Ethnographie, Bd. 16, S. 85). Danach bat schnu 
im Jahre 1599 Heemskerk, wie sein Tagebuch bezeugt, auf 
der Insel C'ontor ein Warenhaus mit Tauschmitteln für die 
Eingeborenen errichtet, das ganz neue Dinge in den Archipel 
brachte: Nürnberger Waren, Messer, Glaswerk, Sturmhauben, 
Brust- und Rückenharnische, Kettenpanzer, Scharlachstoffe usw. 
Daraus geht hervor, daß die Holländer und nicht die Portu 
giesen dorthin die Modelle für die später von den Eingebore- 
nen nachgeahmten Schutzwaffeu gebracht haben. 



— Über die Kunst des Einbalsamierens der Lei- 
eben im alten Ägypten hat Klliot Bmith, Professor der 
Anatomie an der Medical School zu Kairo, iu Bd. V, Heft 1 
der .Memoire« presentes a l'luslitut egyptien* eine interessante 
Arbeit veröffentlicht. Für seine Untersuchungen standen ihm 
unter anderem 44 Priester- und Priesterinnen - Mumien aus 
der Zeit der 21. Dynastie (11. Jahrhundert v. Chr.) zur Ver- 
fügung. Tm diese Zeit hatte die Kunst der Murai«nber«tel- 
lung, die in Ägypten spätestens unter der 17. Dynastie (17. Jahr- 
hundert v. Chr.) aufkam uud bis etwa eoo n . l'hr. geübt 
wurde, ihre Blüte erreicht, weil man damals auf die Kon- 
servierung der Haut und die Sicherung der natürlichen Form 
des Körpers das größto Gewicht legte. Es wurde damals die 
Methode des Füllens oder Stopfens eingeführt, um das Ein- 
schrumpfen de« Kloisches und die Verdrehung des Körpers 
zu verhindern, Mißstände, die die Arbeiten der älteren Tech- 
nik veruuüierten. Das Fleisch wurde ersetzt, indem man es 
unter der Haut durch dauerhaftes Material, wie Lehm, Sand 
oder Sägespane, ersetzte, oft unter Beimengung wohlriechen- 
der Substanzen. Später wurde diese Ausstopfungsmelhode 
wieder verlassen und versucht, durch Einwickeln der Glieder 
und des Körpers in Bandagen dessen äußere Gestalt zu sichern. 
Noch später wurden Verdrehungen durch Anwendung von 
Pech und Bandagen verhindert. Herodot hatte geschildert, 
wie das Gehirn der Leichen durch eine kleine künstliche 
Öffnung im Dach der Nasenhöhle herausgezogen wurde. Das 
ist für unglaublich, weil unpraktisch, gehalten worden. Smith 

H Slnuer, 



aber fand an allen Mumien der 17. und späteren Dynastien, 
daß Herodot recht unterrichtet worden war. Die Einbalsa- 
mierung ging in folgender Weise vor sich: Zunächst wurden 
durch eine Öffnung an der linken Seite die Eingeweide ent- 
fernt , wobei aber das Herz stets drinnen gelassen wurde. 
Dann wurde die Leiche 30 bis 40 Tage lang in Salzwasser 
gelegt, während man die Eingeweide durch ein ähnliches 
Mittel in den vier .kanopischen Vasen* präservierte, von denen 
jede einem der vier Kinder des Horns geweiht war. Endlich 
wurde die Leiche, die nun stark zusammengeschrumpft war, 
aus dem Salzbade genommen und gefüllt, uud zwar in einer 
Weise, daß man mit Bruitb. den alten Ägyptern sehr beträcht- 
liche Kenntnisse vom Bau des menschlichen Körpers zu- 
schreiben muß. Beendet wurde das Ausstopfen, indem man 
den Inhalt der vier .kannplschen Vasen" in vier Päckchen 
in gewisser Reihenfolge wieder in die Körperhöhle einführte. 
Jedes Päckchen schloß das Bildnis eines der vier Uaruskiu der ein. 
Über die Verteilung dieser Bilder auf die vier Päckchen hatte 



seinen 



etttgrew t 
Befunden 



aber nicht durchweg 



— Zu einem wichtigen Handelsplatz Sibiriens 
scheint sich die am Ob und an dor großen sibirischen Eisen- 
bahn liegende Stadt Nowo-Nikolajewka zu entwickeln. 
Sie bat nach einem Bericht des österreichisch-ungarischen 
Generalkonsuls in Moskau (.Österreichische Monatsschrift für 
den Orieut*, April 1907) in letzter Zeit erhöhte Bedeutung 
gewonnen und macht dem bisherigen Handelszentrum Sibi- 
riens, Omsk, starke Konkurrenz. An der Eisenbahn und im 
Mittelpunkt einiger Wasserwege gelegen, bildet Nowo-Nikola- 
jewka auch den Durchgangspunkt für die Karawanen aus 
der Kirgisensteppe, und auch der Altai gravitiert dorthin. 
Einstweilen äußert sich die Bedeutung von Nowo-Nikolajewka 
hauptsächlich im Rohwarenhandel, und in der Saison 1906/07 
sollen die ausländischen Kommissionäre ihre Kinkäufe zum 
überwiegenden Teile dort besorgt haben. Nach Ausbau der 
geplanten Verbindungsbahn zwischen der großen sibirischen 
Eisenbahn uud den mittelasiatischen Eisenbahnlinien, deren 
Ausgangspunkt Omsk bilden würde, könnte dieses allerdings 
den Handel von Nowo-Nikolajewka wieder an sich reißen. 

— Der Geolog Karl Ludolf Griesbach ist am 15. April 
in Graz gestorben. Geboren war Griesbach am 11. De- 
zember 1847 in Wien, wo er auch studierte. Er siedelte nach 
Beendigung seiner Studien nach England über und hat sein 
Wissen und Können vorzugsweise in deeaen Diensten ver- 
wendet. Seit 187t) gehörte er der indischen Geologie*! Survey 
an, deren Direktor er 1894 wurde. 1903 trat er in den Buhe- 
stand, worauf er in die Heimat zurückkehrte. Griesbachs 
geologische Forschertätigkeit betraf vornehmlich Afghanistan. 
Er besuchte es zum ersten Male während des Afghanenkriege* 
1H80, später, 1884 — 86, mit der afghanischen Grenzkommission 
und zum dritten Mal als Berater des Emirs 1888—89. Seine 
Mitteilungen bilden noch bente die einzige Quelle für die 
Kenntnis der Geologie großer Teile jenes Landes. 



— Dr. Emil A- Goeldi hat die Leitung des nach ihm 
benannten Staatsmuseums in Parä niedergelegt, und sein bis- 
heriger Mitarbeiter Dr. J. Huber, der der botanisoheu Ab- 
teilung vorstand, ist sein Nachfolger geworden. Goeldi, der 
Zoologe ist, hat mit hervorragendem Erfolge nahezu ein 
Vierteljahrhundert an der Spitze dieses »Goeldi-Museums* ge- 
standen und ihm einen Weltruf verschafft; ebenso sind desseu 
verschiedene Veröffentlichungen als wertvoll anerkannt. Die 
Staatsregierung von Parä macht in einem gedruckten Schreiben, 
das uns zugegangen ist, auf den Wechsel in der Leitung auf- 
merksam und hebt Goeldis Verdienste hervor. 

— Eine nachgelassene umfängliche Arbeit des Missionars 
Edmond Perregaux übor die Aaohanti, betitelt .Chez 
les Achanti", bringt auf S. 1 bis 'JVi der kürzlich erschienen« 
17. Band des .Bull, de la Society Keuchuteloise de Geographie". 
Bie geht unter Mitteilung zahlreicher Abbildungen auf alle 
Lebensverhältnisse, auf die materielle und geistige Kultur des 
Volkes ein und bringt viele Fabeln, Erzählungen, Sprich- 
wörter u. dgl. Perregauz, der der Basler Mission an- 
gehorte, war am 6. Februar 1868 in Neuchiitel geboren und 
seit 1891 an der Goldküste tätig, zunächst mit «einem Oheim, 
dem bekannten und ebenfalls um die Kunde A schau tis hoch- 
verdienten Missionar Fritz Ramseyer iu Ahetin, später in 
Kumassi. Hier ist er am 14. Oktober 1905 gestorben an den 
Folgen einer beschwerlichen Reise ins Innere. Perreg»ux 
war einer der besten Kenner des Asohantivolkes; außer seiner 
vorliegenden letzten Arbeit finden sich andere in den früheren 
Bänden derselben vortrefflichen Zeitschrift. 

. — I>ru«k: Frledr. Visweg u. Sohn, : 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 21. BRAUNSCHWEIG. 6. Juni 1907. 

Nachdruck nur auch Dbcnioknntt mit dar V«riug»luuidlung gMUlWt. 



Die Wirkung des Indianerbogens. 



Von Hauptmann b. D. I 

Die wirksamste und am weitesten verbreitete Fern- 
wafTe des primitiven Amerika war der Bogen. An den 
wenigen Stellen, wo er fehlte, wurde er teils durch Wurl- 
vorrichtungen für den .Speer oder auch wohl durch die 
Schleuder nur unvollkommen ersetzt, so auf den Bahama- 
Inaeln, Haiti und Kuba; teile fand er in dem Wurfbrett 
einen rocht guten Ersatz, so in weiten Gebieten Süd- 
amerikas und Teilen Mittelamerikas '). 

Von dem Augenblicke an, wo die Franzosen, Eng- 
lander und Holländer anfingen, eiueu gewissenlosen 
Waffenhandel und -scbmuggel in Amerika zu treiben, 
begann die Verdrängung des Bogens durch die euro- 
päischen Feuergewehre. Es war nicht sowohl die häufig 
mehr wie zweifelhafte Überlegenheit jener unvollkommenen 
Musketen über Bogen und Pfeil an sieb, was diese Uni- 
bewaffnung einleitete, sondern der Schrecken, den jede 
neue technische Erfindung auf dem Gefechtsfelde auslost. 
Das Fouern, Rauchen und Knallen der Flinten verur- 
sachte Bestürzung und abergläubische Furcht-, nach den 
ersten sitzenden Kugelu war Flucht und Panik gewöhn- 
lich allgemein. Sich in den Besitz dieser Schrecken 
bringenden Werkzeuge zu setzen, maohte den Erwerb 
einer Feuerwaffe so erstrebenswert für den Indianer; sie 
machte ihn von vornherein dem Bogenschützen überlegen 
und gab ihm dem Europaer gegenüber das Gefühl der 
Gleichwertigkeit wieder, das ihm der stumme Bogen ver- 
sagt hatte. 

Ein zweiter Vorzug der Muskete war der, daß man 
etwas mehr Munition mitschleppen und diese nicht so 
schnell verschießen konnto; aber dieser an sich schon sehr 
zweifelhafte Vorteil wurde für den Indianer durch die 
Unmöglichkeit des Munitionsersatzes im Kriege mehr wie 
aufgehoben. Im übrigen gab es nur Nachteile: Die alten 
Büchsen waren entsetzlich schwer, ihre Treffgenauigkeit 
war sehr mäßig und ihre Anfangsgeschwindigkeit so 
gering, daß man Brandpfeile aus ihnen abschießen konnte. 
Besonders in tropischen Gegenden litten sie stark unter 
den Witterungseinflüssen, uud der geringste Schaden am 
Mechanismus machte die Waffe für den Eingeborenen 
unbrauchbar, da er nicht in der Lage war, ihn zu repa- 
rieren. Selbst viele unter den Con<iuistadoren zogen 
daher eine Armbrust der Muskete vor. Baiboa sagt es 
ausdrücklich, und noch im 18. Jahrhundert stellt Byrd 
die Überlegenheit des Bogens fest. Bis zur Erfindung 

') Navamte, L, p. 367 (segund. edic. Madrid 1858). — 
.The American Naturalist*, IX, p. 1*4 (Salem. Mass.. 

1875). 

Olobi» XCt. Kr. !l. 



>r. Georg Friederici. 

der Hinterlader war ein guter Indianerbogen tatsächlich 
dem Durchscbnittsgewehr an Leistungen überlogen. 
Wenn die Bogen führenden Indianer iltren Aberglauben 
überwaudeu, so sahen sie auch häufig die I>age der Dinge 
ein: ,sie machen sich über unsere Musketen lustig* 1 , 
sagt Cabeza de Vaca, und noch im 19. Jahrhundert 
führten die Indianer der Plains Bogen und Pfeil neben 
ihren Klinten mit sieb, um beim Versagen der letzteren 
nicht waffenlos zu sein 2 ). 

Hatte man jedoch einmal die Feuerwaffen angenommen, 
so war ein Aufgeben selbst bei spater kommender besserer 
Einsicht nicht mobr möglich. Ihr Hauptvorteil, ihr 
moralisches Gewicht, blieb, und von ihren Nachteilen 
wurde der größte Teil im Laufe der Jahre und Jahr- 
hundorte durch die fortschreitende Technik beseitigt. 
Für die Indianer war es viel bequemer, beim Händler 
Blei und Pulver gegen Pelze umzutauschen, als sich der 
unendlich mühseligen Arbeit des Pfeil- und Bogenuiachens 
hinzugeben. Sie verlernten diese Technik ebenso schnell, 
als ihnen bei mangelhafter Übung die Fähigkeit ver- 
loren ging, einen starken und sicheren Bogenschuß ab- 
zugeben. 

Der indianische Bogenschütze suchte in der Haupt- 
sache auf folgende Weise zu wirken: einmal durch die 
Durchschlagskraft seines Geschosses, dann durch beson- 
dere Geschoßwirkung der Pfeilspitze und schließlich 
durch Schußgeschwindigkeit. Gegen diese drei Wirkungg- 
arten wendete der Indianer als Angegriffener Scbutz- 
maßregelu an, dio natürlich ihrerseits wiederum zur Folge 
hatten, daß man die Wirkung tu vervollkommnen suchte. 

Die Durchschlagskraft des Geschosses hängt in erster 
Linie von dem Gewicht, d.h. von der Stärke des Bogens 
ab. Es ist bekannt, welchen hohen Wert bogensebießende 
Völker auf die Fähigkeit legten, einen starken Bogen 
handhaben zu können. Den Bogen des Odysseus zu be- 
spannen , war die den Freiern der Penelope gestellte 
Preisangabe, und Ihn Batutah erzählt, daß der Sold der 



*) Navarrete, III, p. 374 (Madrid 1880). — ,I.a relaciou 
qua diu Aluar nufie« cabeca de vaca", p. 86 (Zamora 1542). 

— Oexmelin: .HUtoire des Avanturiers qui »e »out signalez 
dan« les Indes", II, p. 100—101 (Paris lösB). — Lawiou: 
„Uistory of North Carolina", p. lfil (Charlotte, N. C, 1»03). 

— Clark: .The Indian Sign LangUAge", p. 7« (Philadelphia 
1885). — E« darf übrigens nicht unvermerkt bleiben, daß auch 
einige Indianerbogen in ihren I<el«Hing«n von der Witterung 
stark beeinflußt wurden; dies gilt besonders von den g.v 
leimten und stark, mit Horn uud Sehnen verarbeiu-teu. Hieb« 
.Smlthson. R*p. for 1*7«", p. 4Ötf (Washington 1877). 

42 



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336 



Hauptmann a. D. Dr. Georg Fricdoriei: Die Wirkung dos Indianerbogens. 



indischen Truppen verschieden war je nach der StArke 
de» Bogen», den ein jeder zu spannen vermochte 8 ). 

Ehe ich nun auf die Kraft de« Indianerbogens selbst 
eingehe, müssen noch ein paar Worte über Schuß- 
sicherheit, Schußweite und Art der Geschosse gesagt 
werden. 

Alle Berichte aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert 
sind sich darüber einig, daß die Urbewohner Amerikas 
ganz außerordentlich sichere Bogenschützen und vielfach 
da« waren , was wir heute einen Kunstschützen nennen 
würden. Diese Nachrichten gehen fort bis in die zweite 
Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber schon Tom 18. Jahr- 
hundert an kommen Berichte dazwischen, die von weniger 
guten und sogar minderwertigen Leistungen sprechen. 
Aus solchen Fallen ist hier und da die Behauptung ab- 
geleitet worden, daß es mit den Schnßleistungen der In- 
dianer gar nicht so weit her sei, daß sie übertrieben 
worden seien. Das würde eine unberechtigte Verall- 
gemeinerung sein. Man kann doch die Masse von Zeug- 
nissen ganz einwandfreier, voneinander unabhängiger 
Berichterstatter nicht einfach beiseite schieben! Mau 
kann dies doch um so weniger tun, als man weiß, wie 
durch die eindringende europäische Kultur die Lebens- 
bedingungen und Sitten der Indianer, hier früher, dort 
später, total verändert worden Bind, und wie durch die 
Kinführung von Feuerwaffen die Anforderungen an den 
Bogenschützen geringer und demzufolge seine Leistungen 
minderwertig wurden. Kann man doch bei einzelnen 
Völkern , z. B. den Irokesen , genau verfolgen , wie der 
Bogen aus der gewaltigen Kriegerwaffe ein verhältnis- 
mäßig harmloses Kinderspielzeug wurde. 

Unfehlbar waren natürlich die Indianer ebensowenig 
wie alle anderen barbarischen und zivilisierten Völker, 
die sich als Schützen einen Namen gemacht haben. Im 
Gefecht waren sie vielfach geneigt, zu hoch zu schießen, 
ganz besonders bei Nacht, ein Fehler, der in der mensch- 
lichen Natur begründet ist, der der Offensive so viel Vor- 
schub leistet und der in den europäischen Heeren ebenso 
allgemein ist, wie er bei den Chinesen li»00 bis 1901 und 
im russisch-japanischen Kriege beobachtet worden ist*). 
Kann darüber kein Zweifel bestehen, daß die primitiven 
Indianer ganz hervorragend sichere Bogenschützen waren, 
so wird die Beantwortung etwas schwieriger, wenn ge- 
fragt wird, auf welchen Entfernungen die wohlbeglau- 
bigten Meisterstücke im Präziaions- und Kraftschießen 
gelebtet worden sind. Zahlenangaben siud nämlich recht 
selten in den Berichten, schließlich aber doch ausreichend 
und genau genug, um folgende Grenzen festzulegen: 

Die gleich zu erwähnenden Leistungen gewaltiger 
Durcf>-«;hla>^kraft wnrden aus ganz naher Entfernung 
oder aus Entfernungen, die wohl nie 40 m überschritten, 
erreicht. 



•) .Vovages d'Ibn Ratoutali*, trad. Defremery et ßangui- 
nettl, III, p. UM — 120 (Paria 18*7). 

*) Im Rahmen eines im Kaum beschrankten Aufsätze« 
int e» natürlich nicht möglich, die Mute der Zeugniase für 
die Treffsicherheit der Indianer aufzuführen; nur einige, 
vielleicht im allgemeinen weniger bekannte Belege mögen 
hier genannt werden: Dreasany: .Relation Abregee, de 
Quelques Mission- des l'ores de la Compagnie de Jesus dun» 
la Souvelle- France", p. 220 (Montreal 1852). — Wafcr: .A 
New Voyage and Descriptiou uf the Isthmus of America'', 
p. 54, 152 (Cleveland, 0., 1903). — Ro«i: „Florerta" , iu 
.American Anthropologin*, N. III, p. 62H, «32— «33. — 
Lery: .Hiatoire d'un Voyage fait en la Terre du Bresil, au- 
treinent dite Ameri(|Ue", p. 199 ([Oenöve] 1594, E. Vignou). — 
Soare« de Houza: „Tratado deseriptivo da Brazil em 15»"", 
p. 321 (Rio de Janeiro 18511. — (Cordana): „Itelacion del 
Ultimo Viage al Kstrecho dt' Magallanes*. Aptfndice . p. 59 
(Madrid 1793). — (iilij: „Baggio di Storia Americaua", II, 
p. 350 (Roma 1780— 17*4). — Gregg: .Commerce of the 
Frames", .'.»' edit., II, p. 144 (Philadelphia 1*51). 



Kunstschüsse wurden von Knaben auf Entfernungen 
von 16 bis 20 m, von Männern von 40 bis 50 m geleistet. 
Die Hauptgefechtsgrenzen, d. h. die Entfernungen, inner- 
halb derer sich im allgemeinen ein Bogengefecbt abspielte 
und innerhalb derer ein guter Schütze von einem wohl- 
gezielten Schuß auf einen ruhigen Gegner einen töd- 
lichen oder wenigstens schwer verwundenden Treffer 
erwarten konnte, lagen zwischen 80 und 150 m. Schüsse 
auf 275 m, 365 ui und sogar 450 in werden genannt, von 
einem Treffergebnis aber wird nichts gesagt; wahrschein- 
lich bezeichnet die letzte Zahl die Geaauitsehußweite, 
ohne Aussicht auf Truffer, eines sehr schweren Indianer- 
bogens. Diese Zahlen scheinen mir gut zu denen zu 
stimmen, die Max Buchner in seinem anregenden Auf- 
satze über das Bogenschießen in England gibt, wenn 
man die zweifellose Überlegenheit der primitiven Indianer 
in Anrechnung bringt, denen das Bogenschießen Lebena- 
beruf war, deren Existenz von ihm abhing 1 ). 

Wie Kntfernungszahlen , ao sind auch die Angaben 
sehr selten, welcher Art die Spitzen der Pfeile waren, 
deren erstaunliche Wirkung erzählt wird. Die wenigen 
Angaben bestätigen aber die schon von mir an einer 
anderen Stelle') hervorgehobene Tatsache, daß in der 
Hauptsache die Gcbrauchspfeilspitzen des amerikanischen 
Indianer» nicht aus Stein, sondern aus Hol«, Knochen 
und ähnlichem Material bestanden. Zuweilen wird ein 
Unterschied zwischen Kriegs- und Jagdpfeilen gemacht, 
und dann rechneten die etwa vorhandenen Steinspitzen 
sicherlich zu ersteren 7 ), im übrigeu aber schlagen Hart- 
holz- und Knochenspitzen genau so glatt durch Tier- 
und Menschenleiber, Hüstungen, Lanzenschafte, dick« 
Bretter und Thüreu durch, wie es nur die schönsten 
Eisenspitzen tun konnten, und vielleicht besser als 
manche rauhe Steinspitze. 

Um nun auf die Wurfkraft des Indianerbogens selbst 
einzugehen, ao müssen wir zunächst die große Zahl der 
überlieferten wohlbeglaubigteu Fälle erwähnen, in denen 
ein Pfeil durch einen Bison vollkommen hindurch- 
gesehossen wurde. Der Indianer galoppierte hierbei ge- 
wöhnlich in aller Ruhu auf seinem wohldressierten Jagd- 
pony neben dem Bison her und jagte ihm aus nächster Nähe 
einen wohlgezielten Schuß mit furchtbarer Gowalt durch 
den Leib. In einigen wenigen Fällen flog der mit faat 
unverminderter Anfangsgeschwindigkeit in das Tier 
eingedrungene Pfeil mit einer derartigen Gowalt durch 
den Leib hindurch, daß er noch die Kraft hatte, einen 
auf der anderen Seite galoppierenden Bison ebenfalls zu 
toten. In der Hauptsache waren diese gewaltigen Bogen- 
schützen Sioux. Einen vorgleichenden Maßstab mag 
die Tatsache geben , daß der mächtigste Coltrevolver 
sein Geschoß nicht durch den Körper eines Bison durch- 
zutreiben vermag"). 

*) Wafer, p. 152. — Eder: .!>e»crlptio Provincia* Moxi- 
Uruni in Regno Peruano*, edlt. Mako., p. 286 (Budae 1791). 
— Gregg, II, p. 38 — 37. — Armand: Amerikanische Jagd- und 
Reiseabenteuer* , p. 12 (Stuttgart und Augsburg 1858). — 
„Coleccion de Documento« Ineditos del Archivo de Indiai", IV, 
p. 187; XIV, p. 272. — Maaon: „North American Bowf, Arrows, 
and Quivers*, in „Smith. Rep. Julv 1898*, p. »48, «76 (Washing- 
ton 1894). - Grinnell: „The Btory of the Iudian*. p. 15>J 
(London 1696). — Clark, p. 77. — Büchner im .Globui*. 
XC. p. 77. 

*) Frledorici: „Skalpieren und Ähnliche Krieg»gebrftuche 
in Amerika" , p. 39—42 (Braunochweig 1906). Die hier ge- 
getifnen Angaben könnten um Dutzende von Belegen vermehrt 
werden. 

■") Pfefferkorn: „Beschreibung der Landschaft Sonora", 
H, p. 147—151 (Köln am Rhein 1794/95). — 8eidler: „Zehn 
Jahre in Brasilien usw.*, I, p. 204 (Quedlinburg und Loipxig 
1835). — Clark, p. 47, 49. — .Hecueil de Voiages au Nord", 
V, p. 4«— 47 (Amuterdum 1715—1738). 

») Cartafieda, inWinship: „Tho Coronado Expedition" iu 



Hauptmann a. D. Dr. Georg Frioderici: Die Wirkung de« Indianerbogens. 327 



Angesichts solcher Leistungen verliert das Durch- 
schießen tod Ochsen, Pferden, Jaguar, Puma, Guanako, 
Wildachwein und anderen Arten von Wild etwas an Be- 
deutung; die Beispiele werden nur aufgeführt, um au 
zeigen, wie diese enorme Wurf kraft des Indianerbogens 
aber ganz Amerika hin zu finden war. Als besonders 
charakteristisch mögen nur noch zwei Erfahrungen der 
»Spanier während des de Soto -Zuges genannt werden. 
Einmal wurde ein Pfeil in ein Pferd von Torn so hinein- 
gesrhossen, daß er vollkommen im Körper verschwand; 
ein anderer Pfeil drang einem Pferde von hinten durch 
einen Hinterschenkel ein und so weit in die Brust vor, 
daß vorn um Brustbein nur vier Fingerbreit an seinem 
Wiederaustritt fehlten*). 

Im Kriege zeigten sich diese Bogen vielfach in ihrer 
ganzen furchtbaren Gewalt. Die Schilde der Spanier, 
ihre Plattenpanzer nnd Hinghemden, sowie die Baum- 
wollenpanzer, die sie so schnell von den Eingeborenen 
angenommen hatten, wurden nicht nur glatt durch- 
schlagen, sondern auch Soldaten uud Rittor. die in diesen 
Rüstungen steckten, wurden so durchbohrt, daß die 
Pfeilspitze an der anderen Seite wieder herauskam. Zoll- 
starke Bretter, Türen und Eichenstamme von der Dicke 
eines Unterschenkels wurden durchschlagen. Diese zuletzt 
erwähnte Leistung bin ich geneigt für übertrieben zu 
halten, obwohl sie von spanischen Soldaten beschworen 
worden ist. Mit dem aber, was ein Soldat in fremden 
Landern manchmal gesehen haben will und bereit ist zu 
beschwören, hat es zuweilen seine eigene Bewandtnis. 
Dagegen mögen noch einige wohlbeglaubigte Beispiele 
für die furchtbare Durchschlagskraft des Indianerpfeila 
Platz finden. In einem Falle schoß ein Patagonier seinen 
Pfeil einem spanischen Soldaten vollständig durch den 
Leib und gleichzeitig durch den Kleidersack, den er, 
angefüllt mit seiner ganzen Habe, auf dem Leibe trug. 
Bei einer anderen Gelegenheit fuhr einem spanischen 
Reiter ein Pfeil mit Hartholzapitze so von hinten durch 
Panzer und Oberschenkel, daß er noch den Sattel durch- 
schlug und den verwundeten Krieger am Leibe des vor 
Schmerz bäumenden und tobenden Pferdes festnagelte. 
In einem dritten Falle schließlich war der Pfeil durch 
einen Schädel geschlagen und hatte ihn derartig an 
einen dahinter stehenden Baum genagelt, daß der wage- 
rechte Schaft das Gewicht des frei schwebenden Schädels 
trug"). 

,XIV lb Ann. Rep. Bur. Ethn.", Part J, p. 442. — Hannon: 
.A Journal of Voyages and Travels in the Interim- of North 
America", p. 287 (Naw York 1908). — Irving: „The Adven 
tares of Captain Bonneville, IT. S.A.* , p. 244 (New York 
1863, Putnam). — Franklin: .Xarrative of a Journey to the 
Bhores of the Polar Sea in Die Yram 1HI9, so, 21. and 22", 
p. 112 (London 182:))- — ('«diu: .Letter* and Notes usw.", 
II, 212—213, note (London 1644). — .Smith«. Rep. f. 187«*, 
p. 4«9. — Armand, p. 12. — ßrinnell, p. 152. — Marryat: 
,A Diary in Amsriea*. I, p. 159 (Pari. 183S). - Clark, p. 77, 
78—79. 

') Oviedo y Valdes: . Historia General y Natural de las 
Indias" , I, p. 572 (Madrid 18M — 1855). — Garcilaao de la 
Vega: .La Florida del lnca*. p. 98', 10« n (Madrid 1723). 

— Relacion de Kray Alonso Ponce in .Coleccinn de Doc. 
Inedit.p. I. Historia de Espana", LVI1I. p. 136 (Madrid 1872). 

— Pr. Joäo Daniel: .Thesouro Descouerto* in .Rerista Tri- 
(nensal", II, p.472; III, p. 168 (Riodc Janeiro 184U u. 1841). — 
Cieza de Leon: . I« Croniea del Peru" in .Hi*toriadora* Pri- 
nütivos de Indias", edic.Vedia, II, p. a62 1 (Madrid 1858—1862). 

— Hove: „Expedfciou Austral Arcen Li na. Informe* Prälimi- 
nare»*, p. 133 (Buenos Aires 1883). — Pena: .Etnografla del 
Chaeo* in .Bol. InstiL Oeograflco Argentino*. XIX, p. 485 
(Buenos Aires 1898). 

'•) .History of the Pequot War", edit. Ch. Orr, p. 130 
(Cleveland, 0.,"l897). — Ca beza de Vaca, 1. c, p. 25, 30. — 
Oviedo, I.e., I, p. 589-570. — .La Florida del Inca*. p.2l7M. 

— Clark, p. 77, 78 — ,Col. Doc. Inedit. Arch. Indias*, XV. 
p. 112, 174-175. — Gonzalez de Mendoza; .The Hi-tory of 



Während so Dutzende von überlieferten Beispielen 
die enorme Wurf kraft des Indianerbogena beweisen, ist 
mir auch nicht ein einziger Fall bekannt geworden, wo 
eine ähnliche Leistung vom Wurfbrett (estolica oder 
tiradera) behauptet würde. Ein Wurfpfeil war fähig, 
einen Mann oder einen Jaguar zu durchbohren; das war 
aber offenbar seine Höchstleistung "). An Wurfkraft und 
noch mehr an Treffsicherheit und Feuergeschwindigkeit 
war das Wurfbrett dem Bogen zweifellos unterlegen; es 
war die primitivere Waffe, die wir daher im allgemeinen 
auch nur bei niedrigstehenden Völkern finden, oder als 
Rest neben dem Bogen bei aufgeklärteren. Der Bogen 
stellte dem Wurfbrett gegenüber einen Fortschritt dar. 

Heiden mit großer Wurfkraft machen in den meisten 
Fällen eine Vorrichtung zum Schutze der linken Hand 
gegen die vorschnellende Sehne notwendig. Solche Ein- 
richtungen hatte man von verschiedener Art. Die atha- 
baskischen Kutchin hatten einen hölzernen Handschutz 
am Bogen selbst befestigt, die Stämme der nordamerika- 
nischen Piaina banden ein Stück starken, steifen Ledors 
über die linke Hand. Bei Indianern von Sinaloa oder 
Sonora fand Alarcön kleine mit Samenkörnern gefüllte 
Säckchen als Schutz für die linke Hand, während die 
Mataooz im Chaco Fellstücke für diesen Zweck Ver- 
wendeton '*). 

Schon Cabeza de Vaca erwähnt, daß glatt durch den 
ganzen Körper fliegende Pfeile bei dem Indianer mit 
seiner vorzüglichen Heilbaut und ungeachwächton Kon- 
stitution nur dann tödlich wirkten , wenn sie edle Teile 
verletzton. Wie alle primitiven Völker haben daher auch 
die Indianer Mittel erdacht, durch besondere Vorrichtungen 
am Pfeil die Geschoßwirkung zu erhöhen. Aus den 
mannigfaltigen Vorkehrungen dieser Art aollen nur einige 
wenige charakteristische herausgehoben werden. Hatten 
rauhe, unpolierto Steinspitzen schon an und für sich 
etwas von der Wirkung eines gelinden Giftes an sich, ao 
erhöhte man die Wirksamkeit von Pfeilspitzen aller Art 
besonders dadurch, daß man sie mit Widorhaken verHah 
oder Material wählt«, daa beim Auftreffen auf Knochen 
eine Splitter- oder leichte Sprengwirkung hervorbracht«. 
Gomara sagt, daß die Fischstachel- uud Knochenspitzen- 
pfeile der Azteken die Wunde fast unheilbar machten. 
Das war es, was jene erreichen wollton: ein auf diese 
Weise außer Gefecht gesetzter und gefangener Gegner 
lebte gerade noch lange genug, um den Göttern als Opfer 
dienen zu können, während angewandtes Pfeilgift zu 
schnell wirken und solche Absichten vereiteln würde. 
Die Apachen und Araukaner sind berüchtigt wegen Ver- 
wendung von Pfeilen, deren Spitzen ao angeleimt waren, 
daß sich nach Eindringen in den Körper der Klebstoff 
im warmen Blute löste, so daß die Spitze nicht wieder 
mit dem Schaft herausgezogen werden konnte. Die 
Vilela im Chaco leimten in derselben Absicht Federn 
lose an den Pfeil an, die dann später ganz besonders 

the Oreat and Mighty Kingdotn of China*, p. 242 (London 
1853/54, Hakluvt Boc). — r*. Colon: „Hutoria del Altnirante 
Don Cristobal Colon*, I, p. 211 (Madrid 1892). — Cardin«: .Do 
Principio e Origem dos Indien do Brazil". p. 19 (Rio de Ja- 
neiro 1881). — .Revist« Trimensal', LVII, parte I, p. 196 
-197 (Rio de Janeiro 1694). — .Col. Do«. Iu6dit. Areh. Ind.*. 
V, p. 391. — Th. Wilson hat in «einem interessanten Aufsatz 
.Arrow Wound** (.Amer. Anthrop.", N. III. p. 5l3-5.ll) 
eine gröBere Anzahl von Pfeilwundan und Pfeilwirkungen 
beschrieben. 

") Velaseo: .Histoire du Royaume de Quito", *dit Ter- 
naux-Compans, 1, p. 179 (Paris 1840). — ,Col. Doc. Ioedit. 
Arch. Indias*, V, p. 489. 

") .Hmithson. Rep. for 1866*, p. »22 (Washington 1887). 

— Dodge: .Our Wild Indian»*, p. 420 (Hartford, Conn., 1882). 

— Ramusio: .Delle Navigation! et Vlaggi Raceolte*. III. 
p. 304a (Venetia 1609). — Baldrieh: .El Chaoo Central Norte", 
p.245 (Bueuos Aires 1890). — .Glonns*, LXVI, Taf. I, Fig. 3. 

42* 



Hauptmann a. D. Dr. Georg Friedorioi: Die Wirkung de» Indianerbogana. 



sohwer oder gar nicht au« dem Körper zu entfernen 
waren. Die Karaiben erreichten denselben Zweck durch 
Einachneiden tiefer Kerbe, die dann das Abbrechen der 
Spitze im Körper herbeiführten. Für besondere Zwecke 
hatte man auch besondere hergerichtet« Spitzen; Fisch- 
pfeilo hatten zuweilen deren mehrere. Schließlich wurden 
in Amerika I'f eilgifte in großem Umfange angewendet. 

Auf dieses interessante Kapitel kann natürlich hier 
nicht näher eingegangen werden; erwähnt sei nur, daß 
die Verwendung von Pfeilgiften in Nordamerika ursprüng- 
lich orfeubar weiter verbreitet war, als wohl im all- 
ngenommen wird »). 
Die Verwendung von Brandpfeilen findet sich Ober 
ganz Amerika; in den Kämpfen zwischen Indianern uud 
englischen Ansiedlern spielten sie eine große Rolle, Tim Il- 
ona, Karaiben, Tupi, Chaco- und Pumpasindianer ver- 
wendeten sie mit Vorliebe H ). Eine besondere Wirkung 
wurde durch Schwirrpfeile hervorgebracht, die einen 
ahnlichen Zweck verfolgten wie die altchinesischen 
Depeschenpfeile. Der erfahrene Aztekajager hatte immer 
einige Pfeile mit Schwirrvorrichtung in seinem Köcher; 
traf er auf einen Jagtiar, so schoß er einen solchen 
Schwirrpfeil gegen ihn ab, um dann sofort mit einem 
zweiten scharfen Pfeil das durch das ungewöhnliche Ge- 
räusch abgelenkte Tier zu erlegen. Die Moxos hatten am 
Ende einzelner Pfeile durchlöcherte Nußschalen angebracht, 
die, gegen die Feinde abgeschossen, „sibilum edunt terri- 
fioum". Ähnlich waren Pfeile von Indianern dor Mos- 
kitoküste konstruiert; am Ende waren liolzkästchen 
befestigt, in denen sich zum Teil kleine Steine befanden, 
so daß sie zugleioh die Durchschlagskraft des Geschosses 
vermehrt haben müssen IS ). 

Um sich der Wirkung der gefährlichen Bogenschüsse 
ihrer Gegner zu entziehen, wendeten die Indianer in der 
Hauptsache zwei Mittel an, ein technisches und ein phy- 
siches. Auf das erste, die verschiedenen Deckungsmittel, 
Schilde, Panzer, Rüstungen, Helme, kann an dieser Stelle 
ebensowenig eingegangen werden wie auf die Pfeilgifte. 
Deckungsmittel in irgend einer Form sind Uber ganz 
Amerika, von den nördlichsten Eskimo bis zum Kap Iloorn 
verbreitet gewesen. Ihnen nachzuspüren ist eine hoch- 
interessante, aber nicht leichte Arbeit, die noch zu lebten 
ist '•). 

'") Cabexa de Vaca, 1. c. , p. 86. — O rinneil: „Story", 
p. 149. — Wallacc: „A Narrative of Travel» on the Amazon 
and Bio Negro", u- 486 (Loudon 1853). — Gomara: ,H interna 
de Mexico, con el descobriinienlo dela nueva Ksuana", 
p. HO (Anver» 1554). — Pumpelly: .Acr»« America and 
Aaia". p. 25 (New York 187Ü). - Pike: .An Account of 
Expedition» to the Hourcea of the Mississippi, and throagb 
the Wettern Parts of Louisiana*, Append. to part III, p. 10 
(Philadelphia 1810). — Medina: Jx>» Aborijetie* de Chile", 
p. 134— 138 (Santiago 1802). — Dobrizhoff er : „An Account 
of the Abipone«, an E<iuestrian People of Paraguay*, trän*. 
II, p. »55, 35«, 358 (London 1822). — Du Tertre: „Hi-itolre 
Generale de» Autille»*, II, p. 40B (Paria 1657 — 1671.) — La bat: 
„Nouvcau Voyage aux I»le« de rAincri(|Ue", II. p. 7 (La Haye 
17-24) — Barrere: „Nouvelle Relation de la France Equmo- 
xiale*. p. 16» (I'ariH 1743). 

,4 )LeMovne: „Hrevia Narratio" , tan. XXXI (Franco- 
forti a. M. 1581, de Bry ). — Du Tertre, II, p. 404. — Labat, I). 
p. 114. — „N. Jedermann» und 11. Stade« Keinen in Südamerika 
1529—1555", herausgegeben von Klüpfel, p. 104, 167 (Stutt- 
gart 1859). — Dobrizhuffer: II, p. 359. — „Ulrich Schmidels 
Reite nach Slld-Amerikti in den Jahren 1534 bin 1554", her- 
ausgegeben von Laugmantel. p. »2 (Tübingen 1889). 

") Snhagun: .Hintoria Oeucrat de la* Cosa» du la Nueva 
F.spanV, III. p. 110— 151 (Mexico 1829— 1830). — Eder, p. 287. 
— Oexmelin, II, p. 186—188.— .HoaTüien Ki, of Gcschiedcnis 
van hat Uebloemde Briefpapier", vert. G. Schlegel, p. 78, 7W 
(HaUvia 1865). 

") Hough: .Primitive American Armor", in „Hep. IJ. 8. 
National Museum for 1893*. p.S25-«51, »teilt eine wertvolle 
Vorarbeit dar, in der besonders die bildliche und 



Das physische Mittel bestand in einem andauernden 
Hin- und Herspringen, um dem Gegner das Zielen und 
Treffen zu erschweren. Denn ein indianisches Gefecht 
stellte eine Summe von Zweikämpfen dar, die zwar im 
Rahmen des Ganzen stattfanden, bei denen aber ein jeder 
in erster Linie auf seine eigene Person und einen Gegner 
bedacht war. Ihn suchte mau durch ununterbrochenes 
Springen und Ausweichen am Treffen zu verhindern, und 
selbst wenn man mehrere Gegner hatte, wie z. II. ein 
Häuptling immer, so erschwort« man ihnen allen durch 
die »tete Bewegung das Zielen. Die europäischen Ent- 
decker haben den Sinn dieses sonderbaren Springen« 
gewöhnlich bald orkannt und beklagen sich zuweilen, 
daß sie nicht zielen und treffen könnten; bisweilen jedoch 
ist es ihnen nicht ganz klar geworden. Das so häufig 
in spanischen Berichten vorkommende „bailando", Tüuzoij, 
bedeutet in solchem Zusammenhange immer jenes Kampf- 
springen. Diese über ganz Amerika verbreitete Gefechts- 
taktik der Indianer orklärt den Zwischenfall, don Colum- 
bus während seiner dritten Reise im Golf von Paria mit 
einer eingeborenen Kriegscanoa hatte. Um die miß- 
trauischen Indianer näher heranzulocken, um ihnen die 
Furcht zu benehmen und sie zu belustigen , ließ der 
Admiral einen Trommler und die Schiffsjungen seiner 
Karavelo auf dem Oberdeck antreten und zum Schlag 
der Trommel einen lustigen Tanz beginnen. In dem- 
selben Augenblicke warfen die 25 Indianer in der Canoa 
ihre Ruder fort, ergriffen Schild und Bogen und ließen 
eine Wolke von Pfeilen auf die tanzenden Schiffsjungen 
los. Natürlich machte diese unerwartete Antwort auf 
die Aufforderung zum Tanz aller Fröhlichkeit auf der 
Karavele ein schnelles Ende und veranlagte die Spanier, 
die Eingeborenen mit scharfen Schüssen zu vertreiben. 
Die Indianer hatten ihren Anschauungen und Erfahrungen 
gemäß in dem Springen der Schiffsjungen unter Trommel- 
schlag den Beginn des Angriffs gegen siu erblickt; sie 
machten sich sofort kampffertig und griffen nicht an, 
sondern erwiderten den vermeintlichen Angriff durch 
Bogenschüsse 1T ). 

Dieses Erschweren des Zielens und Treffens durch 
Springen und Ausweichen mußte natürlich zu dorn 
Streben führen, die Schußgeschwindigkeit zu erhöhen. 
Daher finden wir denn auch so häufig neben der Treff- 
sicherheit und Schußkraft die Fähigkeit des Indianers 
gerühmt, erstaunlich schnell schießen zu können. Ge- 
naue Angaben dafür zu gewinnen, wie sobnell der In- 
dianer wohlgezielte Pfeilschüsse abzugeben vermochte, 
ist naturgemäß sehr schwer; die Leistungen werden sehr 
verschieden gewesen sein und sind an sich schon schwer 
zu messen. Daß der indianische Bogenschütze es ver- 
stand, mehrere hintereinander abgeschossene treffende 
Pfeile gleichzeitig in der Luft zu haben, wird verschiedent- 
lich erwähnt. Daß sie ebenso schnell mit ihrem Bogen 
schießen konnten wie ein Weißer mit einem Revolver, 



bende Darstellung nordamerikaniitcher Museumsschätze gut 
ist. Will sie aber nach dem beurteilt werden, was der Titel 
vermuten läßt und dem der Inhalt hier und da zu ent- 
sprochen versucht, so muß sie angesichts der großen Masse 
von vorhandenem Material als recht lückenhaft bezeichnet 
werden. 

''") Cabeza de Vaea, I. c, p. 8ö. — Carvajal: „Descubri- 
mieuto del Rio de la» Amazonas", edic Toribio Medina. p. 58 
(Madrid 18»4). — Soare« de Snura, p. 332. — Dobrizhoffer, II, 
p. 420. — „The First Voyage round the World by Magcllan", 
p. 54 (Ixmdon 1874, Hakhivt 8oc.). — Segers: »Tierra del 
Fuego" in ,llol. Instit. (ieogriif. Argentino", XII, p. 61 (Buenos 
Aires I8»l), — Navarrete, I, p. 397. — Fetru» Martvr: ,De 
Rebus Oceanicis et Novo Orbe, Decadea Tre*', p. 72 (Colo- 
niae 1574). — F. ( «Ion: „Uistoria del Almirante*. II, p. 50. 
— La» C'asa»; .Histori» do las Indias", II, p. 233 (Madrid 
1875-187«). - Lettre* Kdif., V. p. 138. 



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Hauptmann a. D. Dr. Georg Friodorici: Die Wirkung des Indianerbogens. 



32fl 



wird bezeugt, und Kder berichtet! dnß die Moxos zwanzig 
wohlgezielte Pfeilschüsse iu der Minute Abzugeben ver- 
mochten. Das würde die in der deutschen Armee auf 
gleicher Entfernung und in derselben Anschlagstellung 
▼erlangte Schulbedingung genau um das Doppelte über- 
treffen. Die Tapuya zur Zeit der holländUch-portugic- 
siseben Kriege in Brasilien kämpften liegend in Schützen- 
linie; blitzschnell sprang der Bogenschütze auf, um einen 
wohlgezielten Pfeil zu entsenden und dann ebenso 
schnell wieder an der Erde zu verschwinden. 

Um seinem Weibe die nötige Frist zur Flucht zu 
verschaffen, stürzte sich ein Muskhogeekrieger sieben 
berittenen Spaniern entgegen, verwundet« sie alle sieben 
und ihre sieben Pferde und Hei erst, von einer Lanze 
darchbohrt, nachdem er noch als letztes Mittel einen 
Spanier durch einen Schlag mit dem mit beiden Händen 
gefußten Bogen besinnungslos niedergestreckt hatte. 

Für die Masse der sicher und schnell abgeschossenen 
Pfeile liefert de Sotos Kampf gegen die Mobiiiaus ein 
gutes Beispiel: außer den 22 getöteten Spaniern und den 
erschossenen und verwundeten Pferden waren die 148 
verwundeten Spanier von zusammen 68H Pfeilen ge- 
troffen worden, von denen auf de Soto allein mehr wie 
20 kamen 

Für die Erreichung einer großen Schußgeschwindig- 
keit war natürlich die Bereithaltnng der Munition von 
der größten Wichtigkeit Die Schützen Kocher tragender 
Stamme hatten daher gewohnlich nur einen Teil ihrer 
Pfeile in ihrem Behälter, wahrend der andere stets zum 
unmittelbaren Gebrauch bequem zur Hand war. So 
hatten die Stämme der Plains, Tapuyas von Brasilion 
und Chaco - Indianer ihre Pfeile in der linken Hand, 
Chicbiuiecas hatten sie im Gürtel, Timucua in den Haaren 
stecken, wahrend Puelchen und Patagonier die ihrigen 
an der Kopfbinde hängen oder stecken hatten. Während 
des Gefechtes konnte man beobachten, wie sie sich dann 
und wann blitzschnell zur Erde niederbeugten, um die 
duroh andauernde» Sehnenziehen schweißig und schlüpfrig 
gewordeneu Finger im Sande zu reiben VJ ). 

Um die Schußgeschwindigkeit noch mehr zu erhöhen, 
ist man an einzelneu Stellen auf den Gedanken gekommen, 
mehrere Pfeile gleichzeitig von dem Bogen abzuschießen. 
Labat bestreitet diesen Gebrauch für die Karaiben, aber 
für Mexiko und Michuac/in ist er beglaubigt- Zwei Pfeile 
vou einer Sehne abzuschießen ist gar nicht so schwer, 
besonders wenn Setzpunkt der Sehne und Kerbe des 
Pfeiles für diesen Zweck zugestutzt werden und die ent- 
sprechende Art des Anzuges gewählt wird. Auch könnte 
man sich vorstellen, daß zwoisehnige Bogen angewendet 
wurden ; hat man doch solche, allerdings als Kugelbogen 
zum Kinderspielzeug und zum Vogelbogen degeneriert, 
in Venezuela, in Brasilien und im Chaco gefunden »*). 

'") Orinnell: .Btory*. p. I.V.!. - Gregg. II, p. 30-37. — 
„L* Florida del loca", p. 73i, 103—104. — Oviedo, 1, p. 569. — 
Ponce in „Col. Doc Im'-dit. Uiator. Kspaiia* , IiVIll, p 135 
— 186. — Daniel in .Kevin»» Trimensal", II, p. 473. - 
Kiohshoffer: „Diario de um Soldado da Corapauliia da« In- 
dias Uccidcntae* (102»— 163*)", trnd., p 73—74 (Reeife ISB7). 
— Uder, p. 286— 2K7. 

") Dodge, p. 42u. — Prinz Wied: ,Rei*» nach Brasilien in 
den Jahren 1815 bi» 1817", I, p. 1315 (Frankfurt a. M. 182» Iii« 
1821). — Bancroft: ,The Native Races of the Pacitic States of 
North America", I, p. '»27 (New York 1875—76). — Calveto: 
„Histnria Indiae OccidetttauV, p. 441 (((!«meve] 1586, E. Vig- 
non). — Coreal : „Voyages »ux ltidoi Uccidentalca*, trad., 
p. 35 (Amsterdam 1722). — Medina : „Abonjenes 4 , p. 134 
—138. — „Col. Doc. Inedit, Arch. Indiiis", V, p. :«» [ . — „ Voyage 
of Magellaii", p. 55. — Dobrixhofter, II, p. 411). 

") Labat, II, p. 114. — Gomitra, p. 323. — Tor«|iiem«da : 
.LosVeinte y l'n Rituales, y Monaniuia Indiana*, II. p. 53M 
(Madrid 1723). — „Relacion de In» Ceremonia* y Ritns y 
Poblocion y Gobemacion de In Proviueia de Mechuacan", 

Globoa XC1. Sr.il. 



Ks ist klar, daß bei Geschossen, die der Luft eine so 
große Angriffs- uud Keibefläche bieten, vou einer rasan- 
ten Klugbahn nur auf ganz kurzen Entfernungen die 
Hede sein kann. Der Indianer ging daher sehr bald zum 
indirekten Schießen über und verstand es, auf weiten und 
ganz nahen Entfernungen, gegen sichtbare und unsicht- 
bare Ziele seinen Pfeil vou oben her durch Kurvenschuß 
hereinzubringen. Manchmal legte man sich zu einem 
solchen Schuß auf den Rücken, wobei rechte Hand, oder 
noch die beiden Hände, und Füße das Spannen besorgten, 
während die linke Hand verhinderte, daß beim Vor- 
schnellen der Sehno der Bogen 86i u eil Platz verlor»'). 

Über die Art, den Bogen zu fassen, zu spannen, zu 
zielen und den Pfeil zu entsenden, sind die Nachrichten 
leider nur sehr spurlich; die wenigen vorhandeuen sind 
nicht von der Art, daß man Hegeln aus ihnen ableiten 
könnte. Der Zeigefinger der bogenfassenden linken Hand 
scheint zuweilen als Visier gedient zu haben; die Art 
der Fingervorwendling beim Spannen und Pfeilentsenden, 
um deren Untersuchung «ich Morse besonders verdient 
gemacht hat, war wohl häutig noch der Art und Stärke 
des verlangten SchusseB verschieden **). 

Es ist selbstredend, daß der Indianer auf seinen 
Bogen, der ihm so Großes leistete, die höchste Sorgfalt 
verwendete. Um seine Federkraft nicht unnütz zu 
schwächen, wurde er immer erst unmittelbar vor dem 
Gebrauohe bespannt. Im Handel stellte er ein wertvolles 
Tauschobjekt dar, er war ein ehrendes, gern gesehenes 
Geschenk. Zu C'abesa de Vacas Zeiten stand ein Bogen 
mit zwei Pfeilen gleich einem Weibe im Preise, während 
im 19. Jahrhundert auf den großen Plaius ein guter, 
einfacher Sioaxbogen 12 bis 15M., ein kunstvoller Horn- 
bugen dagegen bis zu 140 oder 150 M. kostete 13 ). 

Da der Handel unter primitiven Völkern nur in ganz 
geringem Umfange einen Ausgleich zu schaffen vermag 
und der Indianer hei Vorfertigung von Bogen und Pfoilen 
fast ausschließlich von dem Material abhing, das ihm 
seine geographische Umgebung mit ihrem Pflanzen- und 
Tierreich bot, so ist os klar, daß iu Amerika Bogen und 
Pfeil nur eine beschränkte Rolle als Erkennungszeichen 
zusammengehöriger Völker spielen kann. Die einzelnen 
Stämme unterschieden sich immer voneinander durch die 
Form ihrer Bogen und Pfeile, und jedes einzelne Indivi- 
duuni unterschied seine Pfeile wieder von denen eines 
jeden anderen Kriegersseines Stammes durch kleine Merk- 
male. Alw Formen , die Völkergrappen und Völker- 
familien gemeinsam wären und sie vou anderen Gruppen 
trennten, können in Amerika nur iu beschränktem Maße 
festgestellt werden. Die Aruaks sind vom östlichen Bolivia 
bis uach Florida hinein verbreitet gewesen, die Tupl von 

edie. H»|t>rzano, p. 141— 142 (Mnrelin 1»03). — Bandelier : ,On 
the Art of War and Mode of Warfare of the Ancient Mexi- 
cans* in .Teiith Ann. Rep. Peahody Mus.', II, p. 138 (Cam- 
bridge 1877). — Wied, I, p. 75. — heidler, I, p. 205. - von 
Langsdorf! : ^ Henierkungen auf einer Reise am die Welt in 
den Jahren 1803 bi» 18o7", I, p. 40—41 (Frankfurt a. M. 1812). 
— Diibrizhoffer, II, p. S'io. — Aznr«: „Vnyagc« dann l'Amlrinuo 
Mcridionale, depuis 17*1 ju« ( uVn 1801**. edit. Walckenaer, II, 
p. il6— «7 (Pari» 1809t — Renggcr: .Reiw nach Paraguay 
iu den -lehren IM» bis 1826", p. 126—127 u. Taf. 1, Fig. 16 
(Aarau 1835). 

*') French : .Uistorical Colleetioivs of Louisiana*, II, p. 209 
(Philadelphia 1850). — «iregif, II, p. 36 -37. -■• Bernau; ,Min- 
sinnarv Labours in British Guiana", p. IM' (London 1847). — 
SMdler, 1, p. 203— 204.— Dobrizhoffer, II, p. 359. — tou Kate 
in „Revue d'Kthnograpbie*, IV, p. 136 (Paris 1X85). 

") Ubal, II, p M3. — v. Holten in .Zeitsclir. f. Ethnol.", 
IX, p. III (Berlin 1877). — Daniel in . Revista Trimensal", 
III, p. lt)8. — „The American Naturalist". XXI, p. 785 (Phil- 
adelphia 1887). — Clark, p. 78. 

»*) Cnbez« de Vaca, p. «2— 63, 85-86, »1, 83. — Alonso 
Pot.ee in „CnL Doc. Inedit. Historia Espau»*, LVI1I, p. 13«.— 
Clark, p. 76— 78. 



330 



Dr. Häberlin: Flcohten und Weben auf Fuhr und den Halligen. 



der La Plata-Mündung bis zum Putumavo. Athapasken 
finden sich im Mündungsgebiet des Yukon in Alaska und 
am unteren Rio Grande del Norte; Algonquins in Alberta. 
Montana und am Atlantischen Ozean in Virginia; Sioux 



in den weetlichen Plains und in »Sudcarolina. Ganz 
andere klimatische Verhältnisse mit weit verschiedener 
Fauna und Flora umgaben sie hier und mußten ihnen das 
Material zur Verfertigung von Bogen und Pfeil liefern. 



Flechten und Weben auf Föhr und den Halligen. 



Von Dr. Haberl in. Wyk (Föhr). 



Vor einiger Zeit entdeckte ich unter vergessenem 
Hausrat einer alten Frau in Övenuin ein eigentümliche* 
Gerat, „Litz-Holz" genannt, das früher zur Herstellung 
der Stoßlitzen an den Kleiderröcken benutzt worden war. 



eine feste, vierkantige Litze (Abb. 3). Die Haltung des 
Ganzen in der Hand geht aus Abb. 3 hervor; die Pro- 
zedur dürfte mit Hilfe der Abbildungen verständlich 
sein. 




Abb. 4. Links: Flechten von Litzen mit den Tontelstörken. Hechts: Ilnndvrebcn mit dem Webebrett. 



Ich erinnere mich nicht, Ahnliches beschrieben gelesen 
zu haben und gebe hier Abbildung und Technik 

Um das Horn a (Abb. 1) wird ein einfacher Knoten 
von Wollgarn (schwarz, blau, je nach Hockfarbe) ge- 
schlungen. Das freie Ende wird mit dem Zeigefinger 
der linken Hand an das Hrettchen fixiert, das laufende 
Ende mit der rechten Hand über das Horn b weggeführt. 
Hierauf wird das ganze Instrument um 180* gedreht, 
und zwar linksum. Das von der rechten Hand gehal- 
tene laufende Ende liegt nun vor der Rückseite von 
Horn a; rechter Daumen und Zeigefinger fassen darauf 
die Schlinge des erstgebildeten einfachen Knotens, führen 
sie über das am Horn a anliegende laufende Garn weg 
und stülpen sie schließlich über die Spitze des Horns 
(Abb. 2); so entsteht eine Masch«. Nun wieder Drehung 
um 180° linksum; dieselbe Maschenbildung au der Vorder- 
seite von Horn b; nsw. Es entsteht so ziemlich rasch 



Das Gerät wird nicht mehr gehraucht, war aber vor 
einer Generation noch in Anwendung; seine Verbreitung 
könnt« ich nur auf Föhr, Amrum und Hallig Langenesa 
und Höge nachweisen. Ks war meist aus Holz; einige 
sollen aus Horn gewesen sein. Das Luch in der Flache 
des Drettcbens (manchmal auch zwei Löcher) diente nur 
zum Durchstecken der fertigen Litze (Abb. 3), um sie 
au störender Freibeweglichkeit zu hindern. 

Ahnliche StoOlitzen wurden ohne Hilfe eines Instru- 
mentes einfach mit den Händen hergestellt, wobei die 
Technik ganz analog wie beim Litzholz war, indem die 
Finger an Stelle der Hörner des Litzholzes traten. Auf 
diese Art wurde rascher gearbeitet; auf Föhr kam die 
letztere Arbeitsweise bis in die jetzige Generation vor, 
jedoch seltener als ein /.weites Gerät zur Herstellung der 
Stoßlitzen, die Tuntel-Stöcke (friesisch: Tuntel-stoke. 
auf Langeneis: Tuntel -luarde; luard beißt Blei, dann 



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331 



allgemein Gewicht). Diese «ehe ich nicht selten noch 
heute iu Gebrauch. Sie geben runde Litzen , und da 
sich schneller damit arbeiten läßt, hatten sie das Litz- 
holz verdrängt, ehe sie selbst durch die käuflichen Stoß- 
borten außer Dienst gestellt wurden. Bs werden dabei 





Abb. I. Lltxholx. Beginn des Hechtens: Ein einfacher 
Knoten. Abb. 2. Bilden der ersten Masche. 

vier Stöcke benutzt. Die vier Faden werden je von 
links und rechts, sowie von vorn und hinten kreuzweise 
übereinander geschlagen. Form und Handhabang gebt 
aus Abb. 4 links hervor; häufig sind sie mit gedrehten 
Verzierungen versehen und haben meist einen Haken 
am oberen Ende. (Die Klöppelhölzer beim Spitzen- 
klöppeln sind in verkleinertem Maßstäbe ungefähr das- 
selbe nach Form und Bestimmung.) Verbreitet waren 
die Tuntel -Stöcke auf den friesischen Inseln und dem 
angrenzenden Festlande; Schütze, Holstein. Idiotikon, 
1802, erwähnt sie in Dithmarschen und Kiderstedt. 

Mittels der Tuntel-Stöcke wurden aber auch breitere 
Bänder hergestellt 1 ); man benutzt« dann bis zu 18 und 
mehr Stöcke und verfertigte mit zwei bis drei ver- 
schiedenfarbigen Garnen sehr hübsche Mutter. Wäh- 
rend beim Bandweben mit dem Bogleich zu erwähnenden 
Webebrett Kette und F.in schlag senkrecht zueinander 
verlaufen, ist hier die Fadenrichtung schräg vom Rande 
nach der Mitte zu, wo sich alle Fäden in einer Mittel- 
linie treffen. Die so entstandenen Bänder dienten als 
Aufschürzbänder (sitte-bian) für die Röcke. (Auf den 
Halligen — nur dort fand ich diese Webeart — müssen 
die Frauen wegen der Arbeit in Schlamm und Wasser 
sehr viel hochgeschürzt gehen.) Allgemein wird ge- 
rühmt, daß diese jetzt verschwundene Methode weit 
zierlichere Muster zu machen ermöglichte als das Webe- 
brett (Wew-bord). 

Das Webebrett (Abb. 4, rechts und links oben) war 
auf den friesischen Inseln und dem Festlande weit ver- 
breitet; viele noch lebende Frauen haben es in ihrer 



') Verwandt damit ist da» „I'lattinglegen* der Seeleute: 
Fünf ntl sieben oder mehr Strähne Knbelgarn (alten, auf- 
gelöstes Tauwerk) werden zu einem breiten Band („Platting') 
geflochten, das an Stellen starker Reibung (.Schamitelung') 
zum Schutz vor Abnutzung Uni eine Rnderstange usw. gelegt 
wird. Bei diesem Flochten waren infolge der Steifheit des 
Uames keine „lunrde* nötig. 



Jugend gebraucht. In manchen Familien war es auch 
der Mann, der webte. Nach der alten Chronik von 
Last, Husumer Nachrichten, gab es 1561 in Husum 
außer den Leinewebern auch Bandweber, die sich ihre 
Satzungen von Herzog Johann Adolf bestätigen ließen. 
Die Produkte der Bandweberei sehe ich noch mannig- 
fach in den Bauernhäusern , meist in schönen , drei- 
farbigen Mustern. Verwendet wurden diese Bänder als 
Strumpfbänder, Hosenträger und als Aufschürzbänder 
zum Hochschürzen der Kleiderröcke. 

Ethnographisch ist das Webebrett höchst bemerkens- 
wert. Im Globui, ßd. 69 (1896) erwähnt 0. Mason aus 
Washington die Ähnlichkeit der in Friesland und Finn- 
land üblichen Webebretter mit denen der PuebloB in 
Arizona, in Neu -Mexiko, in Connecticut und in West- 
Virginia. Schurtz, Urgeschichte der Kultur, gibt auf 
S. 319 und 320 Schilderung und Bilder primitiver 
Weberei; das Bild des Aino- Webstuhles erinnert sehr au 
unseren Apparat. Auch das webende Pepohoanweib 
(Ploss, Das Weib, Bd. II, S. 517) zeigt starke Anklänge 
an unsere Technik. 

Im Friesen -Museum cu Wyk befinden sich mehrere 
solche, zum Teil schön geschnitzte Webebretter; das 
älteste mit der Jahreszahl 1720. Zum Befestigen der 
FadenreihenanTänge dienten vielfach die Rollhölzer der 
Mangelbretter; bei einem Exemplar unserer Sammlung 
ist eine eigene Holzwalze hierfür vorhanden (entsprechend 
dem Kettenbaum des Webstuhles). Meist aber wurde 
der Anfang der Kadenreihe einfach an der Türklinke usw. 
befestigt; die Enden wurden am Gürtel des Webenden 
befestigt (siehe Abb. 4). Um den Einschlag nett an das 
fertige Gewebe anzudrücken, wur mitunter, aber durch- 




Abb. I, Haudhaltmg beim Flechten. Ein Stück 
fertige Litze. 

aus uiebt immer, ein Kamm im (iebrauch (der Kamm 
hängt auf unserem Bilde links oben in der Ecke). Die 
Fäden liefen zur Hälfte durch Löcher in der Äquator- 
linie de» Brettes, zur Hälfte durch die Spalten, so daß 
durch Heben und Senken des Brettes mit der linken 
Hand eine Kreuzung der Fäden erfolgte. Die rechto 
Hand schob den Garnknäuel von einer Seite zur anderen. 

43* 



332 



Dr. W. Lehmann: Die altmexikanischen Mosaiken usw. 



In einer Bildersammlung des schwedischen Malers Karl 
Larsson („Spadarfvet") sah ich unlängst die Abbildung 
einer Kubhirtin, die das Wehebrett im Umhergehen be- 
nutzt, indem sie die Fadenanfänge an einem geschweiften 
Stabe befestigt von sich abhält. 

Das Wehebrett acheint ein gutes Belegstück für die 
Ansicht, daß der Völkergedanke ohne Eutlehnung zum 
gleichen Zweck gleiche Mittel erfinden kann. 

Kndlich habe ich in der Nähe von Husum einen 
Apparat zur „Brettclien- Weberei" aufgefunden (22 dünne, 



durchlochte Holzblättchen). Über diesen für Nordfries- 
land bisher nicht nachgewiesenen Apparat wird Ton an- 
derer Seite berichtet werden. 

Zum Schlüsse erwähne ich noch eine eigentumliche 
Art zu stricken: Eine Stricknadel wird in einem Halter 
fixiert, der in den Schürzenbund geschoben und da von 
der linken Hand festgehalten wurde; die recht« Hand 
dirigierte allein die übrigen Nadeln. Diese eigentümlich 
ungeschickte Art des Strickens wurde noch vor 30 bis 
40 Jahren von einzelnen alten Frauen auf Langem»» geübt. 



Die altmexikanischen Mosaiken des ethnographischen Museums 

in Kopenhagen. 



Von Dr. W. Lehmann. Herlin. 



In Nr. 20 des 90. Handes dieser Zeitschrift (190b\ 
S. 318 — 322) habe ich eine zusammenfassende Übersicht 
aller bis jetzt bekannten Mosaiken Mexikos gegeben. 



„ unter der Hand gekauft worden sind". Sie wurden in 
Korn orworben, „hvorhen de rimeglijvis ere brogte af eu 
Missionier fra Mejico". 





i 



J 




Abb. 1. Mosaik I aus der ethnographischen Abteilung des Nntionalmu*eums In Kopenhagen. 

n Vonltmiiüicht, b Stiunauilelit. 



Bezüglich der Literatur über diesen Gegenstand kann 
daher auf diese Abhandlung verwiesen werduu. 

Von den bisher noch unveröffentlicht gebliebenen 
Mosaiken ') sind außer einem sehr beschädigten Stück 
in Jnguargestalt des British Museum die Ko|MMihagcner 
Mosaiken zu nennen, die in den folgenden Zeilen be- 
sprochen werdeu sollen. 

Zuvor habe ich dem Direktor der ethnographischen 
Abteilung des Nationaltuuseuiu* in Kopenhagen, Herrn 
Dr. Sophus Müller, für die großu Liebenswürdigkeit zu 
danken, mit der er mir die Untersuchung und die 
Erlaubnis zum Photographiereu der Mosaiken überließ, 
was beides Herr Dr. P. Steensby zu vermitteln die große 
Güte hatte. 

Leider ist die Geschichte der beiden Gegenstände 
nicht weit zurück verfolgbar. Aus den Akten des Küpen- 
hagoner Museums ergibt sich nur so viel, daß sie is. r >lj 

') Was die im Berliner Museum für Völkerkunde auf- 
bewahrten drei Mosaiken anlangt, *n habe- ieb. in Krjränzung 
der von Üble veröffentlichten Schädeluiask« , die beiden 
anderen koubareu Reliquien fiir den XV. Internationalen 
Amerikauiateu-KongreB in Quebec beschrieben. 



An Signaturen finden sich 



und 



<) I> 1 S 40 
4 424 



OD I Ml 
A 420 



auf dem einen 



lf dem anderen Stücke. Sie beziehen 



sich zweifellos auf frühere Museumskataloge. 

Die Stücke werden wohl ähnlich den meisten anderen 
mexikanisebeu Mosaiken — vielleicht ül»er Spanien — 
ihren Weg nach Italien genommen haben, wo Bie sich 
dann vermutlich längere Zeit befanden, ehe sie für die 
Kopeuhagener Sammlung erworben wurden. 

Ihre erste Erwähnung finde ich kurz bei Tylor"). 
Leouzon Le Duc beschreibt sie unter dem 5. Dezember 
186S S ). Von den iibrigou Autoron, die in der Folgezeit 

! ) S. T>l-.r. Anahuac London 1S61, Appaadil V, p. MT. 
Kr sugt: „with tue exception of two in the Museum at Copen- 
hagen oblained many years ago by Professor Thomsen from 
a convent in Rom«, and. tbough greatly dilapidated, presenting 
lome traee« of the aaine* kind of ornamentation, they (d. h. 
die Londoner Mosaiken) are believed tO be unique.* 

i S. Leoasoo Le Dm, Rapport sur le« antiquites mexi- 
caines couserveesn C»prnhague, in Archive* de la Commission 
scientiliiiue du HejÜqiM, Uiin. III, livr. I, p. 157. Paria 1867. 



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888 



Ober die mexikanischen Mosaiken bandeln, werden sie 
regelmäßig nur ganz flüchtig berührt Der einzige, der 
etwaB ausführlicher von ihnen redet, ist Leouzon Le 
Duc. Er spricht a) von einer 24 cm hohen „tüte d'idole, 
egalement sculptee en bois et evidee interieurement, 
avec une coilTure tres-elevee et evaHsee au sommet. 
La bouche de l'idole est Tagt«, et «es lcvres fortetnent 
tendues decouvrent une double rangee de longues dents; 
ees oreiües sont ornees du pendeloques." b) von einer 
1 9 cm hohen „t£to d'alligator . . . sculptee en bois et 
creusee par derriere. La gueule de l'alligator est large- 
ment ouverte et ses müchoirea en cadrent une tüte hu- 
mnine fixee au fond du palais". 

Leouzon l.e Duc, der sie bereits mit „Mosaiken" 
vergleicht und ihnen ein hohes Alter zuschreibt, halt 
unrichtigerweise die in Harzinasse eingebetteten Mosaik- 
plättchen für Knochen- 
stückchen, die verschie- 
den gefärbt seien '). Ks 
handelt sich , wie als- 
bald näher auageführt 
werden wird, nicht um 
Knochenstücko, sondern 
um Muschelschalen, Tür- 
kise usw. 

Die Technik der bei- 
den Mosaik stücke ist die- 
selbe wie hei den übrigen 
bekannten. Die Grund- 
lage bildet jedesmal ein 
kunstvoll geschnitztes 
und von hinten ausge- 
höhltes Stück Holz, auf 
dem eine dunkle Harz- 
masse (mex. tzinacan- 
quauh-cuitlatl) auf- 
getragen ist, in welcher 
die Mosaikplättchen, 
Türkis-, Malachit- und 
Muschelschalenscheiben 
eingebettet sind. Leider 
ist dos Mosaik schon seit 
langer Zeit großenteils 
herausgefallen , so daß 
die einstmals reichver- 
zierten Stücke jetzt recht 
unansehnlich geworden 
sind. 

Am meisten beschä- 
digt ist das von Leouzon 

Le Duc an zweiter Stelle genannte Mosaik (Abb. lt 
und b). Ks stellt eine Maske in Form eines Schlangen- 
kopfes dar, ans dessen Hachen ein menschlicher Kopf 
hervorsieht. Die Maske ist von hinten ausgehöhlt der- 
art, daß die Vorderwand der Höhlung von der I linter- 
wand des menschlichen Kopfes gebildet wird. An Zäh- 
nen sind im Oberkiefer des weit geöffneten Schlangen- 
rachens nur einige Schneidezähne angedeutet in Gestalt 
einer skulpierten senkrechten Holzplatte. Da sich so- 
wohl im Ober- wie im Unterkiefer jederseits eine mit 
Harzmasse ausgefüllte Grube findet, so darf man wohl 
annehmen, daß die hier befindlich geweseneu Eckzähne 
ausgebrochen sind. 

Auch scheinen die im Unterkiefer vermutlich früher 
vorhanden gewesenen Schneidezähne ausgefallen zu sein, 

4 ) ,Ces deux pieees offrent cette singularitv remaniuable 
qu'elle» sont Karnies eu partie, et ont du l'avoir ete en entier, 
de petita fragment d'os la plupart i|tiadraDgulairea , blaue* 
ou teints en vert, en rouge et en noir . . .". I.eouzoD Le Duc. 1 c. 




Abb. 



weil an der entsprechenden Stolle der Kieferrand defekt 
ist. Die rechte Seite der Maske ist stark beschädigt, 
da von dem äußeren Augenwinkel des Schlangenkopfe* 
an nach unten und hinten zu ein großes Stück der 
hölzernen Seitenwand abgebrochen ist Auch die linke 
Holzwand ist teilweise beschädigt Sie zeigt außerdem 
ein künstlich gemachtes viereckiges Loch in einiger Ent- 
fernung nach hinten zu von dem äußeren linken Augen- 
winkel des Schlangenkopfes, das wohl zur Befestigung 
der Maske gedient haben mag und dem auf der abge- 
brocheneu rechten Holzwand eine gleiche Öffnung ent- 
sprochen haben dürfte. 

Der Kieferwinkel des Schlangenrachens zeigt auf der 
intakten linken Seite eine Öffnung, die nach vorn zu be- 
grenzt wird von einem 3,7 cm langen, etwas gekrümmten 
Fangzahn. Der trapezförmige Raum zwischen der Vor- 
derseite dieses Zahnes 
und der Hinterseite des 
menschlichen Kopfes ist 
nicht mit Harzmasse, 
sondern ganz mit weißer 
Farbe bedeckt (siehe 
Abb. 1 b). 

IIa» Mosaik bedeckt 
nur die äußeren Flächen 
des SchlaugenrachenB 
und des menschlichen 
Gesichtes, nicht aber die 
Innenteile. Es besteht 
aus grünen Türkis-, bläu- 
lichen Malachit- und röt- 
lichen Muschelschalen- 
plättchen. Das nur teil- 
weise erhaltene linke 
Auge des menschlichen 
Kopfes besteht aus heller 
Muschelschale mit einem 
aufgelegten dunkeln 
Ring. Die Augenhöhlen 
des Schlange ukopf es sind 
mit dunkler Harzmasse 
angefüllt. Der Lippen- 
saum war ursprünglich, 
nach einigen Resten zu 
schließen , wie bei den 
meisten anderen Mo- 
des saiken mit roten Mu- 
schelschalen belegt. Die 
Höhe des menschlichen 
Kopfes beträgt 7,9 cm, 
seine Breite annähernd ebensoviel, seine Dicko etwa ö 1 ,cm. 
Die größte Länge der ganzen Maske an der linken Seite 
gemessen beträgt ungefähr 22 cm, ihre größte Breite 
ungefähr 13' a bis 14 cm. Die Lange vom Hinterrand 
bis znr Schnauzenspitze ist 19' ,cm. Das menschliche 
Gesicht ist von dem Votierende des Unterkiefers 5 1 t cm, 
von dem des Oberkiefers 7* ,cm entfernt. Die Dicke des 
Schlangenunterkiefers ist 2' , cm , die Dicke des Ober- 
kiefers 6 bis 7 1 , cm. Die Dicke der Wandung der hin- 
teren Aushöhlung schwankt zwischen 6 und 7 mm. Die 
größte Höhe des Schlangenkopfes beträgt etwa 21 cm. 

Ein hervorragend schönes Stück ist das zweite Mosaik 
(Abb. 2 a und b), das kurz als Kopf mit hohem Feder- 
diadem bezeichnet werden kann. 

Als Material ist ein rundes, oben und unten etwas 
dickeres Stück (27 cm lang, 9' a cin Durchmesser) von 
einem Baumstamm verwandt worden, der eiuen Ast hatte, 
der bei dem Ausschnitzen deB ganzen Kopfes so ver- 
wertet wurde , daß er den größten Teil des Gesichtes 



Mosaik II ans der ethnographischen Abteilung 
Natlonalmusenms in Kopenhagen. 

a Vorderansicht, Ii Seitrnumctit. 



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334 



(untere Gesichtshälfte mit vorgestrecktem Mund nebst 
Zunge) bildet Das ganze Stuck ist kunstroll ausgehöhlt, 
■o daß die Dicke der Wandung nur 6 biß 7 mm beträgt. 
Ilie Breite Ton einem äußeren Ohrrand zuin anderen ist 
11 cm, der größte horizontale Durchmesser von der 
1 Unterseite bis zur Vorderseite des „Schnabels" 13 cm. 
Oben ist der Rand des Federkopfputzea 3 bis 4 cm 
schwach nach außen gebogen, was dem ganzen Stück 
eine sehr elegante Form gibt und offenbar das Wallen 
der langen grünen Quetzalfedern der wirklichen Feder- 
kopfschmucke nachahmen soll. 

Dieser Kopfschmuck ist 20 cm hoch. Seine Vorder- 
Hache war einstmals aufs reichste mit einem Mosaik von 
Türkis- und Malachitplatten bedeckt, in welche hier und 
da etwa bis zur halben Höhe dos Kopfputzes Scheiben 
von rötlicher Muschelschale in querer Lage eingestreut 
sind. Obgleich ein großer Teil der in Harz eingebetteten 




Abb. 3. Larra Indlc« varils laplllis cxoranta Instar 
Litoostrotl. 

VI. Aldrorandi Mumcuisi Metallica», Bulagnii 164«, fol. 550. 

Mosaikplatten und -plättchen abgefullen ist, so vermag 
man doch noch ein mittleres Hauptfeld und mehrere 
seitliche leider in der Anordnung der Mosaikstreifun zu 
erkennen. Das Hauptfeld verbreitert sich nach oben zu 
in beträchtlicher Weise. Es weist eine große quere, mit 
drei kurzen Rilleu versehene Muschelscbeibe und mehrere 
kreisrunde Scheiben auf, von denen einige, ähnlich der 
Doppeljaguarügur der Berliner Sammlung, kleine Plomben 
von Türkis enthalten. 

Der Kopfputz neigt sich in der Ansicht von der Seite 
(Abb. 2 b) ein wenig von unten vorn nach oben hinten. 
Er sitzt einem etwa 7 cm hohen kreisrunden Holz- 
bande auf, von dem jedoch nach links zu ein .'!' ,cm 
breites Stück herausgebrochen ist. Von den Mosaik- 
rosetten, die einstmals dienen Keifen zierten, ist in 
Abb. 2 b eine etwas hinten und oberhalb des rechten 
Ohre» zu sehen. 

Da* 7 bis 8 cm hohe Gesicht wird von einem natür- 
lichen llolzauswuchs gebildet. Die Augen sind ganz 
uach Art der mexikanischen Bilderschriften behandelt. 
Der äußere Teil besteht aus einer roten halbkreisförmi- 



gen Muschelschale, das Augenweiß aus holler Muschel- 
schale; die Pupille ist durch einen dunkeln King an- 
gedeutet. 

Die kurze Nase ragt nur etwa l 1 , cm hervor. Der 
Nasenrücken bis hinauf zur Stirnmitte war mit breiteren 
Mosaikplatten, vermutlich von Muschelschale, bedeckt, 
von denen nur ein kleiner Teil oben erhalten ist. Augen 
und Wangen sind in bogenförmigen Linien reich mit 
Türkis- und Malachitmosaik inkrustiert und verhältnis- 
mäßig am besten erhalten. 

An jedem Ohr findet sich ein Hängeschmuck von 
kleineren abwechselnden horizontalen Türkis- und breiten 
Muschelschalenreihen. Der Ohrachmuck ist oben etwa 
1 ■ t , unten 2 cm breit und ragt ungefähr 1 cm über den 
l'nturraud des Kopfes herab. 

An den Seiten des Gesichts sieht man links die Ab- 
drücke zweier Zähne in der Harzmaase, rechts sind noch 




Abb. 4. Mosalkmaske ans dem Besitz des Arztes 
III. Aldrorandus, jetzt Im Museo prehlst. dl Roma. 

N«h L. I'igorini. 

deutlich zwei Zähne erkennbar, die offenbar dem Ober- 
kiefer angehören. 

Leider ist das Interessanteste, nämlich der vordere 
Teil des Mundes, entzweigeschlagen, so daß sowohl das 
Mosaik wie auch die Harzschicht fast ganz verschwun- 
den sind und diese ganze Partie recht undeutlich ist. 
Immerhin sind auf der Seitenansicht unterhalb der 
Nase (Abb. 2b) doch die aus Schlangenwindungen 
ornamental entwickelten Mundschnörkel zu erkennen, 
die das Charakteristikum des Kegengottes Tlaloc 
sind. 

Die Zunge und der Unterkiefer setzen sich in 
einen nach unten gebeugten Vorsprung fort, der in 
einen Zwickel endet, der 2' , bis 3 cm über den 
unteren Rand des Kopfes sich nach unten erstreckt. 
Dieses schnabelartige, merkwürdige Gebilde ist mit 
Malachitstückchen bedeckt, und unten zieht sich jeder- 
aeits noch ein S-förmig gewundener Belag von Perl- 
mutter hin. 

Zu diesem ungemein interessanten Stück bildet 
I offenbar die aus dem Besitz des im Jahre Ui05 ge- 



Otto Scholl: Abwehrzauber am bergischen Hause. 



386 



storbenen Arztes Ulysses Aldrovandus 4 ) in Bologna 
stammende Maske, die jetzt im Museo prehistorico di 
Roma aufbewahrt ist und die von Luigi Pigorini«) be- 
schrieben wurde, eine Parallele. Zum bequemeren Vergleich 
fuge ich die Abbildung Aldrovandus' nach einer Zeich- 
nung von mir bei (Abb. 3), sowie eine Skizze nach der 
kleinen farbigen Reproduktion Pigorinis (Abb. 4). Ich 
hatte mich bemüht, in meiner eingangs erwähnten Arbeit 
über die Geschenke des König« Motecuzoma an Corte* 
im Jahre 1519 den Nachweis zu erbringen, daß von den 
vier Masken, die zu den vier (iöttertrachten gehörten, 
die Motecuzoma dem Corte« durch vornehme Holen 
überbringen ließ, drei noch erhalten sind. Es sind die« 
die Maske des Gottes Tezcatlipoca, die sieb jetzt in 
der Christy Collection befindet; die Maske Quetzal - 
couatl-Xiubtecutlis, die ebenda aufbewahrt ist; 
weiter die Maske Quetzalcouatl-Eccatls, die ident 
ist mit der von Aldrovandus abgebildeten (Abb. 3) und 
die jetzt sich in Koro befindet. Nunmehr glaube ich, 
auch in dieser Kopenhagen er Maske endlich die vierte 
noch fehlende gefunden zu haben, welche diejenige des 
Regengottes sein muß. 

Interessanterweise nennt Sahaguu') unter den Ge- 
schenken au Corte« auch eine von Federn gekrönte 
Maske. Der Ausdruck quetzal-aztatzontli de« mexi- 
kanischen Originaltextes Sahaguns in der Bibliotheca 
Laurentiana zu Florenz, den ich der großen Güte des 
Herrn Professor Seier verdanke, ist entweder als eine 
Federkrone von Quetzal- und Reiherfedern zu verstehen, 

') B. ülyssi* Aldrovandi Mnsaeum Mstallicuin, Fol. 55o. 
Bologna 1648. 

*) 8. L. Tigorini in Atti Reale Accadem. dei Lincei, 
ser. 3a, vol. XII, p. 4 u. 5 u. Fig. Sa. 

') 8nh«gun, XII, cap. 4. .Llsvaron tambien los orna- 
ineutos y atavios dal dios que llamabau Ttalocantecutli, 
que era una mftscara con su plumage . . .*. 



oder vielleicht als eine Krone aus Quetzalfedern nach 
Art einer Reiherfederkrone (azta-tzontli), welch letztere 
gerade ein besonderes Trachtzeichen der Berg- und 
Regengötter ist"). 

Die Kopenhagener Maske enthalt nun nicht nur eine 
in Tttrkismosaik ausgeführte Federkrone, sondern auch 
die für den Regengott charakteristischen Schlangenwiu- 
dungen der Mundpartie. Die Ähnlichkeit dieser Regen- 
gottmaske mit der Windgottmaske Quetzalcouatls 
(E<-catl) ist kein Zufall. Sie beweist vielmehr die enge 
Verwandtschaft, die zwischen diesen beiden Göttern be- 
steht, weshalb der Interpret des Codex Magliabecchi 
auch den Quetzalcouatl ah „amigo o pariente del 
Tlaloc*') bezeichnet. Aber mehr als das, Quetzal- 
couatl scheint ursprünglich geradezu ein Regengott 
der tropischen mexikanischen Golfküste gewesen zu «ein. 
Die Beweise hierfür würden von dein Zweck dieser Arbeit 
zu weit abführen. Ich begnüge mich daher, an dieser 
Stelle auf eine ausführlichere Darlegung zu verweisen, 
die ich in einer demnächst im Archiv für Anthropologie 
erscheinenden Arbeit unter dem Titel „Ergebnisse und 
Aufgaben der mexikanistischen Forschung" gegeben habe. 

Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Kopen- 
hagener Maske eine ganz hervorragende Bedeutung. Ea 
wäre dringend zu wünschen, daß diese Reliquie im Zu- 
sammenhang mit den anderen Mosaiken eiumal in wür- 
diger Weise in farbiger Photographie veröffentlicht würde. 
Meine Aufgabe war es nur, das Interesse der Amerika- 
nisten von neuem auf jene Seltenheiten gelenkt zu habcu, 
die, wie ich darzulegen versuchte, mit der Religion und 
der Eroberungsgeechichte Mexikos so eng verknüpft sind. 

") 8. »eler, Veröffentl. Kgl. Mus. f. VMkerkd. Berlin I. 4, 
S. 132. Berlin 1690. 

*) Codex Magiiabscchi , edld. Herzog von Loubat, 1904, 
Fol. 33 verso. 



Abwehrzauber am bergischen Hause. 

Von Otto SchelL Elberfeld. 



Das altero bergische HauB können wir in erster 
Linie auf dem einsamen Gehöfte kennen lernen, ganz 
vereinzelt in den Städten und Dörfern. Das bergische 
Gehöft weist nun verschiedene Hanstypen auf, das 
Bauernhaus und die Köterwohnung; letztere wird „Backes" 
genannt. „Backes" ist eine verkürzte Sprachform für 
„Backhaue", weil an ihm der Backofen noch zuweilen 
angebaut ist. Ohne auf die historische Ent wickelung 
des „Backes" einzugehen l ), möchten wir hier nnr ein- 
mal die Vermutung aussprechen, daß wir im „Backes* 
vielleicht den ursprünglichen Typus des bergischen 
Bauernhauses vor uns haben, eine Vermutung, die unter 
anderem durch einen näheren Vergleich mit den von 
R. Meringer 2 ) an verschiedenen Stellen vertretenen An- 
sichten etwas an Wahrscheinlichkeit gewinnt Sollte 
diese Vermutung zutreffen — ein schlagender Beweis 
wird wohl niemals erbracht werden, ebensowenig wie 
ein völlig gegründeter Abweis dieser Ansicht — ,so würde 
manche Frage gelöst werden , die uns noch wie das 
Ratset der Sphinx entgegenstand. 

Für unsere weiteren Ausführungen sehen wir vom 
„Backes" und seiner Bauweise usw. ab. Wir wendon 
unsere Aufmerksamkeit dem Hause im allgemeinen 
innerhalb der geographischen Grenze des einstigen Bergi- 



darüber in der ,I>*nkmal 



'j Vgl. meine Abhandlung 
pflege' , Bd. VIII, Nr. 6. 

') Das deutsche Haus und sein Uausrat. 



I. Der Bau des Hauses. Die Erbauung eines 
Hauses war ehedem ein wichtiges Ereignis, das mit Um- 
sicht und kluger Berechnung in Angriff genommen 
wurde (Andreo, Ethnogr. Parallelen, S. 24). Montanu« ») 
bemerkt hierzu: „Der Grundsteinlegung ging früher die 
Weihe des Bauplatzes voraus. Noch besprengen fromme, 
akglaubige Leute die Baustelle mit Weihwasser und 
sprechen einen Segen, wie man dergleichen (wo? Der 
Verf.) noch aufgezeichnet findet. Früher wurde die 
Baustelle von Priestern gesegnet, auf daß alle« Unheil, 
daß Spuk und Unholde davon vertrieben würden. In 
die zur Grundmauer aufgeworfeneu Gruben werden von 
den Landleuten nach alten Überlieferungen Salz, Asche, 
Getreide und Wermutblätter 4 ), oder auch andere Kräuter 
gestreut; einige sagen, um Spuk fernzuhalten, andere 
sagen, um der Mäuse willen. Doch ist hier die Andeu- 
tung eines Opferbrauches unverkennbar. Daß früher 
eine die ganze Gemeinde angehende Festlichkeit dabei 
üblich gewesen, scheint noch aus der beutigen Grund- 
steinlegung von bedeutenden Gebäuden hervorzugehen." 

Ich möchte diese Gegenstände als abwehrzauber- 
kniftig nach dem Glauben des Volkes betrachten. Das 
scheint noch deutlicher aus einem am Döllbach geübten 
Brauche zu erhellen. Dort legt man nämlich, münd- 
lichen Berichten zufolge, Salz unter die Schwelle de« 

*) Volksfeste, 8. «8. 

') Sartori, Bauopfer, Zeitscbr. f. Kthnol., Jahrg. I«»8, 
S. 43. 



33C 



Otto Schell: A Ii wuhrzaubcr am bergischcn Hause. 



neu erbauten Hauses; dnnn kann keine Hexe int Haus 
kommen, glaubt man 

In Karten und Bechern wackelt nach der schers- 
haften, aber nicht mißzuverstehenden Andeutung de« 
Baumeisters der Grundstein, bis der Bauherr einige Taler 
unter ihn schiebt. Dann erklart der Baumeister, der 
Stein liege sicher. Gearbeitet wird an dem Tage nicht 
mehr, sondern das Geld verjubelt. Auch bei den Bussen 
herrscht diese Sitte ,; ). Das Scherzhafte ist kaum neueren 
Datums; der Brauch soll vielmehr dem Hause Segen 
verleihen, daß immer darin Geld vorhandeu sei. 

Daß wir es hier mit der Ablösung alter Weihopfer 
durch Geld zu tun haben sollten , erscheint doch mehr 
als ungewiß. Aber wir dürfen wohl unbedenklich diese 
GogensUndc, die dem Neubau in seinem ersten Stadium 
eingefügt werden, nicht ausschließlich als Zeichen der 
Weihe und als Mittel «um Zweck, als Abwehrzauber 

Im Bergischen, namentlich im östlichen Teile, wo der 
Fachwerkbau noch beute vorwiegt, hatte natürlich beim 
Hausbau der Zimmermann vor dem Maurer den Vorrang, 
letzterer führt nur die Grundmauern auf. Der Zimmer- 
mann war biugegeu bis Tor kurzem der eigentliche Bau- 
meister. Das liegt in der Natur der Sache begründet, 
läßt sich aber auch urkundlich nachweisen. Der Zimmer- 
mann führt das Zimiuerwerk auf und setzt alsdann auf 
den First des Hauses den Maibaum. Dieses Maibaum- 
aufrichten hat man selbst in don Städten um des Frei- 
trunkes willen , der alsdann auf Kosten des Bauherrn 
stattfindet, beibehalten. Der Maibaum ist eine stattliche 
Maibuche (in jüugorer Zeit wohl auch ein anderer Baum), 
die mit bunten Bandern , Eierschnüren , Blumen und 
Flitterwerk geschmückt ist Am First des Ilanses prangt 
sie als Zeichen der Vollendung. Früher, hiu und wieder 
auch jetzt noch, ist die Spitze des Maibaumes mit einer 
Krone geziert, die ebenfalls bunt ausstaffiert ist. Nach 
Montanus ') wurde sie ehedem von den Mädchtm des 
Dorfes oder der benachbarten Gehöfte hergestellt und 
von den Burscheu mit Musik abgeholt, wobei sie von 
den Madehon getrogen wurde. Hatte der Maibaum 
seinen Platz gefunden, dann bestieg der Zimmermeister 
oder ein redegewandter Gesolle ein zu diesem Zwecke 
verfertigt«» Gerüst und hielt die sogenannte Zimmer- 
mannspredigt, auch Baupredigt genannt. In schwül- 
stigen Worten pries er zunächst das ehrsame Zinimer- 
mannshandwerk. Dann gedachte er oft in »innigen 
Worten Gottes und flehte seinen und aller llimuiels- 
mächte Schutz für das Gebäude und seine zukünftigen 
Bewohner an , übergab aber zum Schluß das fertige Ge- 
rippe der Maurerarbeit, In der Krone des Maibaumes 
aber war ein feines seidenes Halstuch befestigt, auch 
wohl ein Geldstück in dessen Ecke eingebunden. Das 
nestelte nach beendigter Predigt der Zimmermeister oder 
der betreffende Geselle als seinen herkömmlichen I.obn 
los. Die ganze Dorfschaft, ja die ganze Umgegend lief 
zu einer solchen Baupredigt zusammen; ein festliches 
Gelage mit Tanz schloß diese Feier, die von den Polizei- 
Verordnungen zwar wiederholt untersagt, jedooh nie 
völlig unterdrückt wurde. 

In manchen Gegenden begann die Baupredigt mit 
den Worten: 

Kiu Huhn und ein Huhu — 
Die Predigt geht an. 
Dann folgten einige Mitteilungen: 

Eine Kuh und ein Kalb — 
Die Prrdigt im halb. 

s ) Vgl. meine Arbeit: Da» Salz im Volksglauben, Zeitwhr. 
d. Ver. f. Volkskunde, Bd. XV, 137«. 
*) Rartori, Bauopfer, 8. 44. 
; ) Volksfeste, 8. 96. 



Wieder eiuige Mitteilungen: 

Eine Katze und eine Maus — 
Die I' red igt ist aus. 

Kino neuere Baupredigt aus Kürten und Bechern hat 

folgenden Wortlaut: 

Diesem Hause wünsch' ich alles Glück, 

lind allen, die darin gehu ein und aus; 

Dein Bauherrn ein fettes Riad, 

Und der Baufrau ein Kind, 

Und der Magd zw.ji. 

Das (fi bt ein ganzes Uausgeschrei. 

Das Aufrichten eines Maibaumes bei Noubauten ist eine 
althergebrachte, weit verzweigte Sitte. Im Bergischen 
unterbleibt die Baupredigt jetzt meistens. Für Aachen 
ist beispielsweise das Aufrichten eines Maibaumes bereits 
für da» Jahr 145C urkundlich bezeugt"). Mannhardt 
(Wald- und Feldkulte, Bd. I, S. 218 ff.) sieht in diesem 
Maibaum den Genius des Wachstums, der als guter 
Hausgeist allezeit über der neuen Wobnstätte walten soU. 
Ganz ohne weiteres, wie Sartori'''), möchten wir diese 
Meinung schon mit Rücksicht auf den in der Baupredigt 
erwähnten Hahn 10 ) nicht gelten lassen. Das Geld im 
Maibaumo dürfte hier des Rata« La Lösung nahelegen. Ks 
soll, wie Mannhardt und Sartori übereinstimmend wollen, 
dem Wunsche entsprechen, es möge den Bewohnern des 
Hauses nie an Geld fehlen. Zum wenigsten dürfen wir 
eine Ahnliche sympathetische Einwirkung von dem Baume 
mit seinem bunten Schmuck überhaupt erhoffen. 

Die weitere Gestaltung des Baues (der Schiovertag, 
die Hausbauhochzeit usw.) sollen uns hier nicht weiW 
beschäftigen. 

Ehe die Bewohner in ein neuos Haus einziehen, trägt 
man etwas Salz und eine Bibel hinein. Der Glaube ist 
verbreitet, dann werde es den Bewohnern in der neuen 
Wohnung an dem zum Loben Nötigen nicht fehlen. Die 
Bibel wird für das auch sonst zur Anwendung kommende 
Brot durch übergroße Frömmigkeit (die vielfach im 
Beigischen herrscht) substituiert worden sein. Brot und 
Salz (vgl. nieine betreffende, vorhin angezogene Arbeit) 
beaitzon aber eine die Geister abwehrende Kraft. Ob 
wir weiter gehen dürfen in der Deutung dieses Brauches, 
mag dahingestellt sein. Für unseren vorliegenden Zweck 
genügt diese Gewißheit. 

Hier seien auch noch die Tieropfer erwähnt, vou 
denen die Sagen des Bergischen oft reden. Da hier 
aber ein Bauopfer, zum mindesten ein Krsatzopfer an- 
gedeutet wird, das allerdings in weiterer Perspektive 
anch abwehrkräftig erscheint, so begnügen wir uns hier 
mit dieser Andeutung. 

II. Gegenstände und Symbole am Hause, die 
den Abwebrzauber bewirken. Wenden wir uns nun 
den Gegenständen am Hause zu, die den Abwehrzauber 
bewirken, d. b. dem Zauber, der Unheil und schädigende 
Einflüsse von den Bewohnern des Hauses fernhält, und 
zwar vermöge guwisser Gegenstände und Symbole, die 
als integrierende Bestandteile des Hauses aufgefaßt 
werden müssen, bei denen also der Zweck nicht so un- 
mittelbar hervortritt wie etwa bei dem Maibaume, dem 
Geldstück unter der Schwelle usw. Solche Mittel, die 
durch die zauberhaften Einwirkungen , die man dem 
ineuceblichen Körper oder oinzelnen seiner Teile zu- 
sohreibt, ihre Kraft erlangen, dürften im Bergischen nicht 

') Vgl. Karton, Bauopfer, S. +7. 
*) Ebenda. 

'") Diener Hahn darf wohl in Parallele gestellt werden 
mit dem Huhn auf dem Kirchturm und dem sehr oft in 
der Wetterfahne vorkommenden Hahn. Daß er aber hW 
zum Bchutze gegen Unwetter angebracht ist, darf als aus- 
gemacht gelten; vgl. unter anderem E. H. Meyer, Deutsche 
Mythologie, 8. Höf. 



uigmzea Dy vji 



Otto Sehull: Abwehrzauber am bergischen Hause. 



837 



m«br bekannt sein. Aber einen gewissen Ersatz finden 
dies« durch vereinzelte eingemauerte Köpfe. An 
dem im Jahre 1588 aufgeführten und in anderer Be- 
ziehung noch weiter unten zu erwähnenden Hause „auf 
der Beeck* in Hilden findet sieb neben dem Kingange in 
etwa mannshohem Abstände vom Boden der einge- 
mauerte Kopf eines Mannes und daneben der einer Frau. 
Letzterer ist bedeutend kleiner. Der männliche Kopf 
ist besonders scharf modelliert, tragt einen geteilten 
Knebelbart und eine Krone. Der Tradition zufolge soll 
es der Kopf des Erbauers und der seiner Frau sein, was 
aber mm mindesten als sehr ungewiß bezeichnet werden 
muß. 

An dem wahrscheinlich im 14. Jahrhundert errich- 
teten Hause in Groß-Siepen bei Herzkamp 1 ') findet sich 
ebenfalls ein eingemauerter Kopf, den die Überlieferung 
als den Kopf des Erzbiachofe Engelbert von Köln be- 
zeichnet. Die ganze Linienführung laßt den Kopf eines 
Kirchen fursten mitMitra wohl erkennen. Die allerdings 
stark verwitterte Arbeit scheint für das 1 3. Jahrhundert 
zu sprechen. 

Vielleicht dürfen wir auch hier den berühmten 
Königskopf aus Solingen anziehen, der sich dort an einem 
Hause der Johannisstraße noch vor wenigen Jahren be- 
fand. Mutmaßlich haben wir hier ebenfalls einen ein- 
gemauerten Kopf vor uns, der spater als berühmtes 
Klingenzeichen angenommen worden ist mit der Um- 
schrift: 

Oer Königs Cop Mein Wapen ist 

Mir gantz übel Misgund ist, 

Fide, Bet etc. (Trau, schau, wem "). 

Wenn ich mich reobt entsinne, hatte dieser Kopf eine 
gewisse Ähnlichkeit mit dem männlichen Kopfe zu Hilden. 

Ferner befindet sieb an der alten Kirche zu Müllen- 
bach im Nordgiebel ein roher Hansteinkopf eingemauert "). 
Die Sage meldet, es sei der Kopf eines Maurers oder 
Dachdeckers, der beim Bau der Kirche an dieser Stelle 
verunglückt sein soll. 

Solche Skulpturen finden sich keineswegs häufig, 
namentlich selten an Wohnhäusern. Das bergische 
Fachwerkhaus begünstigt« dazu keineswegs die Stein- 
bildnerei '*)• 

In solchen Köpfen nur Hüter des Bauwerkes zu or- 
blicken, dürfte zu nichtssagend sein. Man möchte eher 
Liebrecht '*) zustimmen, der bemerkt: „So wie nun aber, 
wie wir gesehen, statt des ganzen Leibes der in Rede 
stehenden Menschenopfer oft nur der Kopf verwandt 
wurde, der später stellvertretend außen an der Mauer 
der betreffenden Bauwerke seinen Platz fand , ebenso 
linden wir statt der an die Stelle der Menschen getretenen 
Tieropfer oft nur andeutungsweise die Köpfe vorkommen." 
Wir bitten also hier eineu Ersatz für das immerhin 
dunkle Banopfer. Sollte das wirklich vollzogene Bau- 
opfer nicht in der Müllenbacher Sage dunkel und ent- 
stellt durchklingen V Einen weiteren Anhaltspunkt nach 
dieser Richtung dürfte die allerdings von dieser Sage 
losgelöste und selbständig ausgebildete Sage von dem 
durch den Patronateberrn auf der Kanzel erschossenen 
Prediger 1 «) bieten. Gründe nnd Zweoke der Hauopfer 

") Vgl. meine Arbeit in .Denkmalpflege", Bd. Vll, 8. 4» f., 
wo weitere Quellen vermerke. 

") Rud. Cronau, Geschichte der Klingenindustrie Solingen*, 
S. 2«. 

'») Des Verf. .B«rgi*ehe Sagen*, 8. 142. Cleuien, Kunst- 
denkmäler der Rheinprovinz, Bd. V, 1, 8. 48 ff. 

") Über eingemauerte Köpfe an Burgen vgl. unter anderen 
Piper, Burgenkunde, 8. 172; Merian, Top. Hatsiae, Anh., 
ES. 41. 

") Zur Volkskunde, 8. 294. 

") MonatsBchr. d. Berg. Gcschichtsvsr., Bd. II, 8. 133. 



hat Sartori ausführlich dargelegt ")• Auch über Ersatz- 
opfer hat Sartori (S. 47 ff.) eingehend gehandelt 

Stärker noch als der Mensch tritt das Tier, wenig- 
stens in unserer Zeit und der jüngsten Vergangenheit, 
im Abwehrzauber unseres Landes hervor. Sartori (Bau- 
opfer) schreibt: „Auch die Knochen gewisser Tiere eignen 
sich zu Zauberfetischen. Ks gilt die« meist von solchen 
Tieren, die entweder den Menschen als Haustiere nahe 
stehen, wie Hund, Katze, Pferd, oder durch gewisse 
besondere Eigentümlichkeiten , entweder ihres Korper- 
baues oder ihrer Lebensweise , etwas Geheimnisvolles 
an sich haben, wie Schlange, Maulwurf, Fledermaus, 
Eidechse usw." 

Heute noch ist die Sitte im Bergischeu ziemlich ver- 
breitet, ganze Tiere oder Teile von ihnen, namentlich 
Köpfe, Hörner und Füße, an Tor und Tür zum 
Schutze gegen feindliche Einflüsse anzunageln. Das 
Tor der Burg Groß -Winkelbausen , unweit Heitorf, war 
noch vor wenigen Jabren (vielleicht auch heute noch) 
mit den fast verwitterten Laufen von Wildschweinen be- 
nagelt. Auch am Tore des alten Schlosses Griffgenstein 
bei Ratingen ist dasselbe der Fall. Eulen und andere 
Raubvögel schlug man überall an das Sobeunentor. 
„Eine Eule mit ausgebreiteten Flügeln ans Scheunentor 
genagelt schützt vor Bezauberung und Blitz" '*). In der 
Winkelsmühle bei Mettmann, wo seit einigen Jahrzehnten 
I eine Fischzuchtanstalt errichtet worden ist , nagelt man 
den farbenschillernden Eisvogel, den gefährlichsten Feind 
der Fische, zur Abwehr an das Scheunentor. 

Greifen wir einen Vogel heraus, um uns eingehender 
mit ihm zu befassen: Die Eule. 

An allen bergischen Häusern und Scheunen, selbst 
in den großen Städten des Wuppertales, findet man nicht 
selten in der obersten Giebelspitze ein dreieckiges (mit- 
unter auch rundes) Loch, das den Eulen gestattet, in 
das Innere, namentlich den Speicherraum, zu gelangen, 
um dort der Jagd auf Mäuse nachgehen zu können. 
Woeste 1 '") sagt: „Ein Loch am Scheunengiebel, damit 
die Eulen hereinkommen und mausen können" *°). Damit 
dürfen wir uns aber kaum begnügen, da es bei dieser 
oberflächlichen Deutung unmöglich sein ausschließliches 
Bewenden gehabt haben wird. Ehe wir einer tieferen Be- 
gründung Dachgehen , gestatten wir uns noch einige 
wenige Bemerkungen. „Das „Üllenlook" findet sich 
in einem plattdeutschen Gedichte erwähnt (Kch sin 'nen 
Bnrscbmann sohläit on räit), das Firmenich »•) veröffent- 
licht hat. 

Dieses Eulenlooh (auch anderwärts Ulenlok, ülen- 
Hucht, l lengebühr usw. genannt) ist durchaus nicht all- 
gemein in Deutschland. Es eignet vielmehr, wie es 
scheint, nur dem niedersächsischen Hauernhause und be- 
gegnet z. B. schon im Königreich Sachsen nicht mehr 19 ). 
Das bekundet unter anderem auch E. H. Meyer Js )- 
Führen wir nur noch an, was R Andre«" 4 ) über das 
Eulenlocb bemerkt; er schreibt: „Bei den meisten alten 
Häusern mit Strohdächern zeigt sich nämlich zwischen 
Walm und First unter den Windbrettern ein kleines, 
nicht geschlossenes, sondern offenes Dreieck, das wohl 
ursprünglich dadurch entstanden ist, daß in dieser 
scharfen Spitze die Strohbedachung des Walnis und der 

") Banopfer, 8. 28 ff. 

'•) Liehrecht, Zur Volkskunde, 8. 842. Wuttke, Deutscher 
Volksaberglaube, § 223. 

") Westfälische)) Wörterbuch, S. S7«. 

**) Abbildung in W. 1'eOler, Das aluächsische -Bauern- 
haus in «einer geographischen Verbreitung, 8. 200. 

*') Gerinaniens Vfilkersümmen, Bd. I, 8. 418. 

**) Wuttke, Sächsische Volkskunde, 8. 437. 

u ) Deutsche Volkskunde, 8. "1. 

") Braunschweiger Volkskunde, 8. 17*. 



338 



Otto Schell: Abwehrzauber um bergischen Haute. 



Dachflächen nicht gut aneinandergefügt werden konnten. 
Diese Öffnung fuhrt bei uns die Bezeichnung Ulcn- 
lok, anderwärts Uleuflncht. Sie dient dazu , den weiten 
Banseraum etwaa zu erhellen und führte auch iu früheren 
schornsteinlosen Zeiten wohl Rauoh ab. Da hier die 
Hauseulen verkehrten, so erklärt sich der Name." 

Die letzte Ausführung erhärtet unsero im Eingang 
gemacht« Behauptung, daß das Eulenlooh nicht nur an 
Scheunen , sondern auch an Häusern vorkommt, was für 
unsere weiteren Ausführungen sehr ins Gowicht fällt. 

Es ist bekannt und ein allgemein verbreiteter Glaube 
fast aller Völker"), daß die Eule (auf die Unterscheidung 
der einzelnen Arten kommt es hier nicht an) als Unheil- 
böte gilt Dieser Volksglaube herrschte schon bei den 
Römern. Plinius und viele andere Schriftsteller können 
kaum Worte genug linden, um den diesem Vogel an- 
haftenden Schrecken zu schildern. So war es, um nur 
ein einziges Beispiel anzuführen, nach der Erzählung 
des Silius Italicua, ein Uhu, der die entsetzliche Nieder- 
lage der Römer bei Cannae herbeiführte. 

Im völligen Widerspruche dazu stehen wiederholt 
bezeugte glückliche Eulenauspizien bei den Römern und 
anderen Völkern. Auch die Germanen haben allem An- 
scheine nach Eulenauspizien gekannt. Sonst galten bei 
ihnen die Eulen als verwünschte Menschen, „daher alt- 
hochdeutsch holzröna, holzmuoja, ein Vogel, der im Walde 
runend und muhend vernommen wird , woraus dann 
später der Ausdruck „Klegemuhme* für „Eule" ent- 
standen ist" '*). Blierin dürften auch die nahen Be- 
ziehungen der Kule zu den Hexen usw., die auch im 
Bergiscben ,7 ) bekannt sind , ihre Begründung finden 
dürfen. 

Der Volksglaube, daß namentlich der Steinkauz durch 
seinen Ruf einen Todesfall ankündige, ist fast allgemein 
ein Gemeingut der Menschheit. 

E. H. Meyer s *) bemerkt: „Weniger deutlich ist die 
Beziehung der Nachteule (Strix alueo) zur Natur. Bayerisch 
Holzwuibel, sonst auch Nachtrabe genannt, ist sie ein 
L'nglückstier, ein Leichenvogel *'■>). Hexen, böse Stief- 
mütter erscheinen als Eulen" 3 «). 

Um so auffallender sind die oben angedeuteten ab- 
weichenden Meinungen, die in ihrer Vereinzelung um so 
mehr Beachtung verdienen, wenn man die Eule weiter 
im Volksglauben verfolgt. 

(ranz besonders möchte ich hier auf ein altvlämisches 
Volkslied Sl ) hinweisen, ausdrücklich als Tovoressclied 
(Zaubererlied) bezeichnet. Ks lautet in der ersten Strophe: 

Om Middernacht by Manenscheen, 

Den Druiden lag op zynen steen, 

Dar kwam die Joogvrouw door den Bosch; 

Die Hav« krayt, den Uyl fliegt loci. 

") Ii. Uopf, Tierorakel und Orakeltiere, ti. 100 ff. 

") Ebenda. S. I0r>. Grimm, Deufecho Mythologie, 3. Aufl., 

S. 9SO. 

") Vgl. de* Verf. „ßergüche Sagen" und .Neue Bergische 
Sagan* a. v. 0. 

'") Deutsche Mythologie, 8. 112. 

") Leoprechting. S. 82. Bartsch. Bd. II, B. 124. Panzer, 
Bd. 11, S. 293. Wuttke, $ 284 usw. 

") Bartsch, Bd. I, 8. 132. Panzer, Bd. II, S. 170, 1T2 usw. 

") Ein aus Uent nach Elberfeld eingewanderter Herr, 
mehr all« 90 Jahre alt, der wichtige Beiträg«.' zu Litienkron* 
historischen Volksliedern lieferte, Herr K. Wcstcnd<>rp. zeich- 
net« Text uud Melodie auf. 



In dem weiteren Verlaufe erweist sich die Eule als 
Weissagerin. 

Zunächst ist zu erwägen, ob man einen Unglücks- 
vogel par excellence, wie die Eule, wohl durch einen 
.Eulenflug'' geradezu ans Haus heranziehen würde, wenn 
dieser Vogel im Glauben des Volkes nicht auch noch 
mit anderen, allerdings stark verdunkelten Anschauungen 
wurzelte. Der praktische Nutzen des Mnu.sefa.nges ist 
doch nicht schwerwiegend genug, um eine solche An- 
schauung als allein maßgebend su rechtfertigen. Dazu 
halte man das oben zitierte vlämische Lied, das in 
manchem Zuge ein sehr hohes Alter verrät und darum 
von besonderem Worte ist. 

Geklärt wird die I/Ösung unseres Eulenproblems 
durch den oben schon erwähnten Gebrauch, gerade die 
Eulo ans Scheunentor zu nageln (ehemals gewiß auch 
ans Haustor), um Hans und Hof vor Feuersgefahr nnd 
Hexeu zu schützen. Dieser Brauch gilt in Thüringen, 
Schlesien usw. In der Schweiz „schreit sie den Kranken 
heraus; dafür nagelt sie der Bauer an Soheunentor und 
Gartenzaun , wo sie Gespenster abhält und den Knaben 
I zum Wurfspiel dient" 3ä ). Ähnliches berichtet Wuttke *'), 
wie wir vorbin bemerkten. Sie meldet demnach Tod, 
verhütet ihn aber auch. Sie ist demnach nur ein Unheil- 
verkünder, aber kein Unglückbringer. Sie ist wissend 
(man denke an die Eule der Minerva, die Enle als Symbol 
der Weisheit, an das altvlimische Zaubercrlied usw.) und 
zauberkr&ftig, selbst nach dem Tode, ein geheimnisvoller 
Vogel, der in seinem lichtscheuen Wesen die Vorbedin- 
gungen su diesem Volksglauben gelogt haben dürfte. 

Eine weitere Ausgestaltung hat dieser Glaube in 
Dänemark und Italien erlangt, wo man der Eule einen 
tötenden Blick zuschreibt 94 ). Dabei ist jedoch nicht ge- 
sagt, daß dieser Blick den Menschen tötet; sondern in 
der natürlichen Konsequenz der Zauberkraft, die dem 
ans Scbeunentor angenagelten Vogel zugeschrieben wird, 
ist es viel logischer , anzunehmen , daß dieser tötende 
Blick dorn Unheilbritigor (Hexen usw.) gilt, dem Menschen 
aber geradezu Schutz verleiht. Unter diesem Gesichts- 
punkte wird das „Eulenloch" erst verständlich. 

Es ist ein Abwehrzauber, den der Landmann der 
angenagelten Eule glaubt zuschreiben zu dürfen. Schutz 
apendut das Tier. Dazu stimmt, was A. F. Dörler aus 
Tirol über das Käuzeheu oder die Habergeiß berichtet: 
„Trägt man das Herz nnd den rechten Fuß einer 
Habergeiß unter der Achsel bei sich, so kann man von 
keinem Hunde gebissen werden. Lagt man dieselben 
aber auf einen Schlafenden, muß derselbe im Schlafe 
alles ausschwatzen, was man gern von ihm wissen möchte. 

„Nicht selten findet man im Magen der Eulen zu- 
sammengeballte Federn, welche, mit einem Holzspänlein 
und einigen Wiedehopfsaugen in einem Säcklein bei sich 
getragen, alle Hexereien, Traden- und Teufelskünste un- 
schädlich machen. Dieser Talisman muß aber iu der 
Silvesternacht angefertigt werdeu." 

Ks iBt überflüssig, weitere Schlüsse bezüglich der 
I Eule und ihrer Beziehungen zum berglschen Hause zu 
I ziehen, weil das außerhalb des gesteckten Rahmens liegt 
I 

") Rochholz, Deutscher Glaul* und Brauch, Bd. 1,8. 155. 
'*> Deutscher Aberglaube, § 223. 

'*) Zeitschr. f. Volkskunde, "Bd. XI, 8. 305. Gaidoz, Melu- 
sine, Bd. IV, 8. 4SI. (Schluß folgt.) 



339 



Bücherschau. 



Dr. L. Reinhardt, Vom Nebelfleck zum Menseben. 
Eine gemein verständ liehe Kntwickelungsgeschiehte de» 
Naturganzen nach den neuesten Forschungsergebnissen. 
1. Die Geschichte der Erde, 575 Seiten mit gegen 200 
Abbildungen im Text, 17 Volltafeln und 3 geologischen 
Prorlltafelu nebst farbigem Titelbild. München, Ernst 
Reiuhardt, 1»07. 8,50 M. 
Der Verfasser beabsichtigt, in dem auf zwei Bünde be- 
rechneten Werk eine für jeden Gebildeten verständliche Zu- 
sammenfassung unseres heutigen Wissen« über den Ko»tno* 
zu geben. Der erste hier vorliegende Band »oll die Geschichte 
der Erde, der zweite die Geschichte de« Lehens auf der Erde 
enthalten. Den vorliegenden Band kann man in zwei Teile 
teilen, einen astronomischen und einen geologischen. Der 
erste gibt eine Ubersicht der Entstehung unserer jetzigen 
Ansichten über die Einrichtung des Weltsystems, sowie dann 
eine genauer« Schilderung der einzelnen Teile desselben, der 
Steruenwelt, des Sonnensystems, Erde und Mond und der Ko- 
meten und Meteore. Im geologischen Teile werden die Er- 
starrungsgesteine der Erde, der Vulkanismus, dio Schicht- 
gesteine, die Gebirgabilduug, Verteilung und Verhältnisse von 
Wasser und Land, Kreislauf des Wandert , Verwitterung der 
Erdoberfläche und die Abtragung de* Festlandes je iu be- 
sonderen Kapiteln behandelt. Die Sprache ist flüssig, das 
Vorgetragene leicht verständlich gehalten, immer an Bei- 
spielen erläutert und durch viele und tatsächlich zum größten 
Teil sehr gut ausgeführte und ihrem Zweck entsprechende 
Abbildungen illustriert Dem gegenüber dürfen nach des 
Refereuten Ansicht Ausstellungen in dem Sinne, wie man 
sie sonst machen mUOte — %, B. daß die veraltete Dovesche 
Theorie der Zirkulation der Atmosphäre wieder aufgenommen 
ist, sowie einige Ansichten vorgetragen werden, die kaum in 
dieser Weise gültig sind, wie die vulkanische Natur der Sel- 
sen, die Entstehung der Calderen (Val del Bove am Etna) 
durch Ausblasung usw. — , zurücktreten , da ein derartiges 
Buch doch wohl den Hauptzweck verfolgt, den Sinn für den 
betreffenden Zweig der Wissenschaft zu wecken und das 
Interesse an ihr zu heben. Dies in breiteren Schichten zu 
tun, scheint aber das Buch vollständig geeignet. Gr. 

J.P. Johneon, The Stotie Tiuplements of South Africa. 
.SS 8. Mit 458 Abbllduugen. Londou, Longmans, Green 
u. Co., lttü". 7s. 6d. 

Johnson hat in vorliegendem Buch die Resultate lang- 
jahriger Untersuchungen zusammengefaßt, nachdem er bereits 
eine Reihe einzelner Aufsätze in den Transaction» of tho 
Geologieal Society of South Africa Uber Funde von Stein- 
werkzeugen veröffentlicht hatte. Drei Perioden lassen sich 
deutlich erkennen, die der Eolithe, Paläolithe und Neolithe. 
indes ist es wichtig, festzustellen, daß Eolithe auch massen- 
haft in den beiden jüngeren Perioden, Paläolithe auch im 
Neolithikum vorkommen. Anfäuger und Stümper haben näm- 
lich auch in vorgeschrittenen Zeiten unvollkommene Werk- 
zeuge geliefert, und umgekehrt haben puliioltthische Arbeiter l 
zuwelleu so gute Geräte hergestellt, daß sie wie neolitbisch 
aussehen. Die Werkzeuge der verschiedenen Perioden werden 
beschrieben und in großer Zahl abgebildet. Ea handelt sich 
im Eolithikum um Schaber, und zwav erscheint es nach John- 
son ganz zweifellos, daß die Eolithe Kunstprodukte sind, alle 
Übergänge zu zweifellosen Werkzeugen sind vorhanden. Im 
Paläolithikum treten Schaber und Beile auf, im Neolithikum 
gleichfalls, aber iu viel feinerer Ausführung. Interessant ist 
das Auftreten neolitbischer .Pyginäenwerkzeuge' , dio dein 
Pygmäen Werkzeuge Englands gleichen und mit den anderun 
ueolithiscben Geräten gleichalterig sind. 

Das Alter der Steiiiwerkzeuge ist zum Teil einigermaßen 
genau zu bestimmen. Die Eolithe und Paläolithe finden «ich 
in alten Schottern, die höchstwahrscheinlich der Pluvial- 
zei t entstammen. So liegen die Paläolithe in zwei Terrassen am 
Vaal, die der Viktoriafalle sind so^ar alter aU das 
Tal unterhalb der Fülle, denn sie liegen oben auf den 
Bändern des Schlundes, in den der Sambesi hinabstürzt. 

Die Neolithe siud wesentlich jünger. Sie liegen zum Teil 
auf jenen alten pluvialen Terrasnen iu jungen Olierflächen- 
ablagerungen. Ja, sie kommen in Küchenabfltllen mit Aachen, 
Knochen, Straußeneierschalen, Perlen aus diesen Sana Im, 
Topfscherben zusammen vor. Daraua konnte man schließen, 
daß sie kein hohes Alter besitzen, und doch enthalten Pfannen, 
an denen die Küchenhaufen liegen, in ihren Ablagerungen 
neben den Neolitben auch Schalen von Succinea. Diese 
Schnecke könnt« in dem heutigen trockenen Klima des west- 
lichen Transvaal« nicht mehr leben, man muß al*o auf ein er- 



heblich feuchteres Klima der »eolithlschen Zeit jener Gegend 
schließen. Johnson meint, daß die Träger der neolithlseheu 
Kultur Buschmänner gewesen sind. Pa »sarge. 

0. Solberg, Beiträge zur Vorgeschichte der Ost- 
Eskimo. Steinerne Schneidegeräte und Waffeuschftrfer 
aus Grönland. Mit IS Lichtdrucktafeln, 1 Karte und 
55 Illustrationen im Text. Herausgegeben vom Fridtjof 
Nansen-Fonds. Chriatiania, Jacob Dybwad, ISO". 
Ks ist dieses eine Schrift, gleich belangreich für den 
Ethnographen, wie für den Prähistoriker, die tatsächlich eine 
Lücke ausfüllt und uns die noch von allen fremden Einflüssen 
freie Eskimokultur vor Augen führt. Die Grönländer wohnten 
den nordamarikauischen Indianern am fernsten, blieben von 
deren Berührungen frei, und was daher von wirklich alten 
Funden (jetzt in den nordischen Museen) vorhanden ist, zeigt 
uns die reine Kskimokultur vor dem Auftreten der Europäer. 
Mit diesen gelaugte früh da» Eisen nach Grönland, und als 
Kpede die dortigen Grönländer »ozu»agen wieder entdeckte, 
war die Herstellung der Steinwerkzeuge schon eine verlorene 
Fertigkeit. Aber für die Urzeit sprechen die erhaltenen Fang- 
und Schneidewerkzeuge aus Stein, an denen sich sogar ver- 
schiedene Entwickclungsstadieu und Altersunterschiede nach- 
weisen lassen. Auf die grönländischen Altertümer wies zuerst 
der berühmte Thomsen hin; in größeren Mengen gelangten 
•le aber erst no.it etwa SO Jahren aus den zahlreichen alten 
Gräbern an der Diskobucht usw. nach Kopenhagen, und diese, 
bisher unbeachtet, feiern nun, mit anderen Funden, durch 
Solberg ihre Auferstehung. Auch die OstkUste Grönlands 
lieferte Ausbeute, und hier beginnen die Funde mit der 
zweiten deutschen Nordpolfahrt 1870. 

Quarzite, namentlich Chalcedon, dann Kieselschiefer lie- 
ferten den Stoff zu den ältesten grönländischen Steingeräten, 
die im Vergleich mit den schönen Arbeiten Skandinaviens 
nur ein mittelmäßiges Gepräge zeigen, in der Ausführungs- 
technik aber dieser ziemlich gleich gewesen sein müssen. 
Schaber, Gerfite, die fälschlich als steiuerue Fischhaken ge- 
deutet wurden, Messer verschiedener Form, schräge, eigen- 
tümliche Steinkliugen, die nach Aualogie eines modernen 
Geräts als ein beim Nähen der Eskimofrauen benutztes In- 
strument (Tigursaut) gedeutet werden, Bohrer und Pfriemen, 
Beile werden da als der älteste Nachlaß ausführlich be- 
schrieben. Das für alle Eskimostämme heute so kennzeich- 
nende einseitige, bei der Fellzubereitung benutzte Weiber- 
messar (LUo) fehlt aber noch auffallenderweis«, und Solberg 
führt den Nachweis, daß es erst mit dem Aufkommen des 
Eisens, wenn auch in früher Zeit, zur Geltung kam. Endlieh 
sind al» ureigenste Kskimogeräte die steinernen Lanzenapitzeu, 
namentlich Harpunenspitzen, von sinnreicher Konstruktion 
zu erwähnen, welche die Jagd auf die großen Seetiere er- 
möglichten. Von besonderem Interesse ist auch, was über 
das Fortleben alter Formen bis auf unsere Tage nachgewiesen 
wird; auch über die Einführung des Eisens und seine Wir- 
kungen erfahren wir Bemerkenswerte*. Was die Untersuchung 
ferner ergibt, so ist namentlich hervorzuheben, daß sich in 
den Steingerüten der Gröulündor zwei ältere Elemeute nach- 
weisen lassen: Erstens, die aus ihrer kulturellen Urheimat 
stammenden, allen Veränderungen widerstehenden Gerät- 
formen und dann die in Grönland herausgebildeten Sonder- 
formen, neben denen als drittes, jüngeres Element die von 
außen eingeführten Formen erscheinen. A. 

Prof. Dr. Frltl Regel, Geographie für Handels- und 
Realschulen, zum Gebrauch an kaufmännischen Fort- 
bildungsschulen, sowie zum Selbstunterricht. Bearbeitot 
unter Mitwirkung von Rektor Münchgesang. 5., voll- 
ständig umgearbeitete Auflage von F. U. Schlössingt 
Handelageographio. Industrie- und Kulturgeschichte. XIV 
und 484 Seiten (Handbibliothek der gesamten Handels- 
wissenschaften, 3. Bd.). Stuttgart, Wilh. Nitzschke fc Aug. 
Hrettinger. 11»07. S,zo M. 

Ein dem Im Titel zum Ausdruck gebrachten Zweck sehr 
entsprechendes kleines Handbuch, das zu Naehschla£i'zwt?cken 
sich sehr wohl eignen wird. Auffalleud ist die Gliederung 
des Buche», wonach ein Sechstel des Umfang» Seiten) 
der allgemeinen Erdkunde zufällt. Bezüglich der außereuro- 
päischen Erdteile verdient Erwähnung, daß Afrika in ge- 
bührendem Maße berücksichtigt worden ist. Die Hälfte de» 
Buches wird von Europa ausgefüllt, dessen Uaodelsgeographie 
ja auch an erster Stelle für l-ehrzwocke iu Betracht kommt. 

Walther von Knebel. 



340 



Kleine Nachrichten. 



Kleine Nachrichten. 



— Die gefährliche Ablenkung des Coloradof hisse* 
und die Bildung de« Saltonsees In Kalifornien wurde oben, 
8. 274. besprochen- Im Februar d. J. hat nun Dr. D. T. 
MacDougal im Auftrage de« Desert I^aboratory der Car- 
negie Institution (Washington) eine Studienreise in dem Ge- 
biet aufgeführt und dabei den Saltonsee in einem Segelboot 
umfahren. Der See hatte damals eine Länge von über 00 
engl. Meilen und ein Areal von etwa 700 Quadratmeilcn. 
Da* wären rund 80 km bzw. 1800 qkm, und das bedeutet, 
daß der See in den vier Monaten seit Anfang Oktober 1006 
um ein Dritte) an Flächeninhalt gewachsen ist Obgleich 
der Bruch in den Ufern de» Coloradof! usses, aus dem der 
Hauptkana) zu dein See führt, am 10. Februar 1907 ge- 
seldosecn wurde, so liellen doch kleinere Kanäle und die 
Durchsickerung genügend Waaser zu dem See gelangen, «o 
daC mau erwarten konnte, dnB sein Wasserstand im nächsten 
Monat unverändert bleiben würde. Man meint daher, daB 
in diesem Jahre die Verdunstung den Zufluß nicht nm mehr 
als SO /oll (125 cm* übertreffen wird. Ks wurden fünf Sta- 
tionen angelegt, die untersuchen sollen, wie mit dem Fallen 
des Sees sein Becken durch Anpflanzungen der Kultur wieder 
zurückgewonnen werden kann. Kin zweites Becken wurde 
südlich vom Salton zwischen den Cucopabergen und der 
Hauptkette von Nleder-Kaliforuicn in Mexiko mit dem Wagen 
durchfahren, wobei die Ufer eine* Sees berührt wurden, der 
es teilweise füllt. Dieses Becken scheint häufigeren Über- 
flutungen ans dem Delta ausgesetzt zu sein, und 1905 bildete 
sich ein 50 km langer und 25 km breiter See, der jetzt auf 
den dritten Teil dieser Ausdehnung zusammengeschrumpft 
ist. Die Expedition brachte im übrigen wichtige Beobach- 
tungen über Pflanzen- und Tierleben in salzigem Wnseer, 
heißen Quellen und Lehmwüsten heim. („Science', Bd. XXV, 
8. 439.) 

— Die erste Grammatik der Sprache der Bontoc- 
Igoroten auf Lnzon hat kürzlich Dr. Seidenadel der 
philologischen Gesellschaft in Chicago vorgelegt. Er hat 
monatelang unter den Igoroten gelebt, welche die Saint I/ouis- 
Weltausstellung besuchten, und täglich zehn Stunden lang mit 
ihnen verkehrt, so daS er schließlich ihre Sprache ganz ge- 
läufig sprach und auf alle ihre Ideen eingehen kounte. Kr 
hat zwischen 3000 und 4000 igorotlsche Sentenzen aufgeschrie- 
ben und, da er auch Musiker ist, die Melodien dieses Volkes 
festgelegt. Seidenadel beabsichtigt, seine Studien auf den 
Philippinen 



— Den Panggongsee — so bezeichnet man die Kette 
von vier oder fünf langgestreckten Seen, die auf der Grenze 
von Tibet und Kaschmir liegen — schildert Prof. K. Hunt- 
ington in Nr. 7 des „Journal of Geolog}'* von 190*. Hunt- 
ington besuchte den westlichen, kaschmirischen Teil des Sees 
Anfang Mai löo.">, als er sich nach Ostturkestan begab. Dieser 
hat etwa 42oom Höhe und ist der niedrigste der gauzen 
Kette, deren tibetanische Glieder alle etwas höher liegen. 
Haben jene Glieder alle süßes Wasser, so ist da* westliche 
Glied salzig, da es keinen Abfluß hat. Zur Zeit von Hunt- 
ingtons Besuch war der See noch gefroren , uud die Luf t- 
temperatur betrug nachts nur 1 bis «' C. Die Anwohner be- 
gannen damals gerade Hafer zu säen, die einzige Getreide- 
art, die dort noch reift, Die Ernte erfolgt im September. 
Am 8e« wird der Hafer reif, in der etwas höheren Nachbar- 
schaft nicht mehr. Die bisher herrschende Ansicht, daß der 
Ree seinen Abfluß dadurch verloren habe, daß ehemalige 
Zuflüsse ihn durch ihre Gerüllmasseu abgeschnürt hätten, 
hält Huntington für irrig, er meint vielmehr, es sei dort ein 
Felsriegel vorhanden, der den See im Westen abschließe. Ks 
sei ferner wahrscheinlich, daß das Becken hinter dem Fels- 
riegel durch das Eis erodiert sei, so daß es den Fjorden Nor- 
wegens oder den Talseen der Schweiz gleiche. Die Ablage- 
rungen uud l'ferlinien deuten darauf hin, daß das Niveau 
beständigen Schwankungen unterv orfen ist infolge Verschie- 
denheiten im lieget il a|] und in der Verdunstung. 

— Das Knde des „Wettersehießens*. Vou dem so- 
genannten Wetterschießen versprach man sich eine Zeitlang 
recht viel als Abhilfe gegen Gewitter und Uagelschlag. ja, 
mau rief sogar im Jahre 1W2 eine internationale Experten- 
konfereuz für Wetterschießen in Graz zusammen. In der 



Folge wurden zwei offizielle Sehießfelder gegründet, in der 
Steiermark, der eigentlichen Heimat des Wetterschießens, und 
in Italien. Der steiermärkische Gewitterforscher Prohaska 
als Vorsteher der zuerst genannten Station sagte in seinem 
Berichte über das Jahr 1904: Dieses hagelreiche Jahr hat 
das Wetterschießen in unserem Lande auf eine harte Probe 
gestellt, aber man kann nicht sagen, daß sie zugunsten des 
Schießens ausgefallen ist. Das italienische Schießgebiet in 
Castelfranco ist aber insoweit noch maßgebender, da es um 
die Hälfte großer als das österreichische ist und die Wetter- 
schießkanonen noch einmal so dicht aufgestellt waren als im 
Nachbarstaat. Von demselben Jahre mußte dessen Leiter 
Pochettlno trotzdem melden: Am 23. Mai traf, trotz des 
regelmäßigen Schießens, der Hagel den südlichen Teil der 
Verteidigungszone, ein Nutzen des Schießens zeigte sich nicht. 
Dagegen freilich fiel am 12. Juli an der Grenze unserer Zoue 
Hagel, während die geschützte Zone hagelfrei blieb, obwohl 
gerade au diesem Tage kein Schuß abgegeben war. Darauf- 
hin hat die Regierung die weiteren Versuche mit Wetter- 
schießkanonen eingestellt und nur noch einige Experimente 
mit Raketen und Bomben angeordnet. Alles, was die 1899 
einsetzenden Versuche versprachen, hat sich also uiebt er- 
füllt, und J. M. Perutner konnte seinen soeben über diesen 
Gegenstand erschieneneu Artikel (.Meleorol. Zeitechr.*, Jahrg. 
IB07) nur mit den Worten schließen: Das Ende des Wetter- 
ist 



— In seiner Arbeit über die mittlere Dauer des 
Frostes (.Meteor. Zeitschr.', 1B07; vgl. .Globus", Bd. 91, 
S. 211) zeigt 0. Dorscheid weiter, daß von der Westküste 
aus nach der Mitte der Kontinente unter gleicher Breite der 
F.intritt des Frostes sich verfrüht, um von dort bis zur Ost- 
küste wieder allmählich eine Verspätung zu erfahren. Europa 
durchquert die Frostgrenze, nachdem sie der Südweatküste 
vou Norwegen gefolgt ist, im wesentlichen in südlicher Rich- 
tung und teilt dadurch unseren Erdteil in eine wärmere 
West- und eine kältere Osthälfte. Das Schwinden des Frostes 
verzögert sich über den Kontinenten oder den Küsten nach 
dem Innern hin bedeutend. Die Frostgrenze braucht zum 
Zurückweichen nach Norden im Frühjahr mehr Zeit als zum 
Vorrücken nach Süden im Herbst. Wichtig ist der Zusammen- 
hang zwischen der pulareu Grenze des Baumwuchses und 
der Dauer des Frostes. Der Verlauf der polaren Waldgrenze 
ist in erster Reibe durch übermäßige Frostdauer bestimmt, 
d. h. durch eine Verkürzung der Zeitdauer mit Temperaturen 
über U° unter ein bestimmtes Maß, nach Dörscheids Unter- 
suchungen unter 100 Tage. Selbstverständlich handelt es sich 
dabei nur um die großen Züge der Waldgrenze, nicht um 
die kleinen, welche durch die Einzelheiten der Geländeformen 
bedingt sind; da lautet die Regel: In windgeschützten Tälern 
springt die Waldgrenze nach Norden vor. während wiud- 
gepeitachte Hügel der Nachbarschaft waldfrei sind. 



— Wellmans Polarexpedition. Wellman hat für 
»einen diesjährigen Flugversuch nach dem Nordpol den Ballon- 
teil seines Luftschiffes „America* bei Mallet in Paria um- 
bauen lassen. Der Ballou ist 56 m lang und hat einen größten 
Durchmesser von 16 m. Sein Inhalt beträgt 7500 cbm und 
seine Tragkraft 8850 kg. Das Schiff selbst hat eine Länge 
von :<5 m , besteht aus Röhrenslahl und ist sehr leicht und 
stark. Der Hauptteil und sein Rückgrat ist ein stählerner 
Behälter von gleicher Länge mit 3090 kg Petroleum fllr die 
Motore. Der Hauptmotor ist ein Clement von 60 bis 70 Pf erde- 
kräfteii, der uutniltelbar auf zwei an jeder Seite des Schiffes 
angebrachte Stahlschrauben von 3'/, m Durchmesser wirkt. 
Die Schnellickeit des Luftschiffes soll 26 bis 29 km in der 
Stunde betragen und der mitgeführte Petroleum Vorrat es in 
den Stand setzen, 150 Stunden mit Maximalgeschwindigkeit 
zu fliegen. Das genügt für 3000 km, und das ist nahezu die 
doppelte Entfernung, die zurückzulegen ist, nämlich die von 
Spitzbergen zum Pol und zurück. Die Maschinenteile sind 
dadurch geprüft, daß man sie wochenlang hat laufen lassen. 
Auf Spitzbergen (Diiiieuinsel), wo das Schiff zusammengesetzt 
wird, werden vor Antritt der Reise Versuche in der Luft 
stattfinden. Diese selbst soll P.nde Juli oder Anfang August 
beginnen. — Am 11. Juli d. J. sind es übrigens zehn Jahre 
her. daß Wellmaus Vorgänger Andr* mit »einem Ballon auf- 
stieg. 



YrrantwortHcher Rcd*ktour: II. Singer, Scbftnobarg.lUirlin, Hauiit*tr»U« w, • Irnick: PrloJr. Vitwtg u. Hofen, Bniiinscawsia. 



GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UNI) VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „ADS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG * SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 22. BRAUNSCHWEIG. 13. Juni 1907. 

Nachdruck nur ludi Ctwniakanft mit du V«rlng»handJimg gnutut. 



Aberglauben in Armenien und Kurdistan. 

Von Dr. Volland. Bielefeld. 



„Die fremden Eroberer, sie kommen und gebn. 
Wir unterliegen — aber wir bleiben bestebn." 
Dieses Dichter wort aus der „ Braut von MeBeina" 
findet Tor allem Beine Bestätigung bei den Bewohnern 
Kleinasiena. Welche Völkerstürme sind doch seit den 
ältesten Zeiten Ober Kleinasien dahingebraust, dio sich 
entgegenstellenden Bewohner niederwerfend, dann unauf- 
haltsam weiter von Osten nach Westen, von Norden nach 
Süden und umgekehrt vorwärts dringend, 
um oft anscheinend spurlos wieder vom 
Schauplatze ihrer Taten zu verschwin 
den. So konnten sich die im ersten 
Anprall zu Boden geworfenen 
Völker wieder erheben , 
konnten sich die verschie 



heiten und abergläubische Gebräuche vorfinden, die den 
Wechsel der Zeiten überdauert haben und sich bis zu 
der Epoche der alten Assyrer zurückverfulgen lassen, 
auch wenn sie mit den bestehenden Religionen, dem 
Islam und Christentum, in mehr oder minder nahe Be- 
ziehung getreten sind, äorade die Gemeinsamkeit solcher 
Befunde bei den AuH"^.srn der verschiedensten reli- 
giösen Bekenntnisse est es, die auf einen gleichen Ur- 
sprung zurückweist. 

I »aliin gehören wohl sicher die häutig 
in Kleirmsien anzutreffenden Ziarets. 
Das sind Heiligtümer, geweihte 
M ütten, die Christen und Mo- 
hammedanern in gleicher 




nen Völkertypen und mit 
ihnen viele ihrer Anschau- 
ungen undGewohnheiten 
aus den ältesten Zeiten 
bis in unsere Tage er- 
halten , wenngleich 
natürlich eine Ver- 
mischung mit Frem- 
dem , Andersartigem 
in mancher Hinsicht 
nicht zu verkennen ist. 

Die KuqÖovjoi Xe- 
nophons, die den Rück- 
zug der Zehntausend so 
häufig durch ihre Über- 
fälle störten, sind ja bekannt- 
lich dio Vorfahren der heutigen, 
immer noch kriegerischen Kur- 
den. Wie vor Jahrtausenden be- 
völkern sie auch heute nooh die wilden 
Gebirgslandschaften des armenischen 
Taurus, und in der Art ihrer Behausun- 
gen, ihrer Lebensweise und ihrer Be- 
waffnung mit den auch heute noch stellenweise anzutreffen- 
den kleineu, runden Schilden erinnern sie lebhaft an die 
Beschreibungen des berühmten griechischen Historikers. 
Die Bewohner der Ebenen nördlich und südlich vom arme- 
nischen Taurus, am oberen Euphrat uud Tigris, auch wenn 
sie sich als Armenier und Türken streng voneinander tren- 
nen, sind ethnologisch fast immer der gleiche Menschen- 
schlag, und nur der religiöse Funatismus hat die tiefe, fast 
unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen zur Folge gehabt. 
So kommt es, daß wir heute viele gemeinsame Gewohn- 

Olohnt XCI. Nr. iL 



Weise als heilig gelten. Sie 
werden repräsentiert ent- 
weder durch eine heilige 
Quelle, deren (ienull 
angeblich Krankheiten 
zu heilen vermag, oder 
es sind Bäume, die 
einsam auf weithin 
sichtbarer Anhöhe ste- 
hen, oder es ist eine 
Höhle, von denen eine 
weiter unten etwas 
näher beschrieben wer- 
den soll. Diese Bäume 
werden vom Volke ge- 
radezu personifiziert und 
"i I ilten damentsprechend 
auch einen menschlichen Na- 
men. Will der christliche oder 
mohammedanische Pilger mit Hilfe 
ler Ziarets von einer lästigen Krankheit 
Abb. I. Jagylytas; beschriebene u « fre 't ■«"». d * nn »chneidet er sich von 
Schale (Zaoberschale). seinem Kleide einen Fetzen und bindet 

ihn , Gebete sprechend , an die Zweige 
des Baumes, so daß diese im Laufe der Zeit über und 
über mit bunten Läppchen behängt sind. Bei Pertag am 
oberen Eupbrat steht auf steiler Felsenhöhe eine male- 
rische Chalderburg. An ihrem Fuße auf dem rechten 
Ufer des Flusses verdeckt herabhängendes, dichtes Ge- 
büsch und etwas Baumwuchs eine geräumige Höhle in 
dem steil abfallenden Uferrande. Nur ein schmaler, 
schwer zu passierender Gang führt in die einen Folsblock 
enthaltende Höhle hinein , der in der heidnischou Zeit 
wohl als Opferaltar gedient haben mag. Auch heute 

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342 



noch wallfahren die christlichen und mohammedanischen 
Bewohner hierher. Davon zeugen diu zahlreichen buuteu 
Kleidorfetzen, die eine oben noch am Eingange der Höhle 
Platz findende Platane über und Ober bedecken. 

Auch das Trinken aus einer sog. „jusylvtas" soll 
heilkräftig wirken. Es ist das eine flache Schale, deren 
Innenfläche mit christlichen oder mohammedanischen 
Segenssprüchen und Abbildungen von Tieren und dämo- 
nischen Gebilden bedeckt ist (Abb. 1). Metallplättchen 
mit Schrift zeichen sind meist am Kunde der Schale be- 
festigt, die als Schlüssel zur Deutung der Sprüche dienen 
sollen. Unwillkürlich denkt man bei der Form und 
Bedeutung dieser Schalen an die mit Keilschrift be- 
deckten assyrisch-babylonischen Tongef&ße, die einst dem 
gleichen /wecke dienten. Jeder, der längere Zeit im 
Orient weilte, hat gewiß einen Derwisch mit einer solchen 
Zauberschale angetroffen. Der Derwisch füllt sie mit 
Wasser, läßt den Patienten 
beispielsweise ein gelbes Geld- 
stück hineinwerfen und das 
\V usser darauf trinken, dkl 
nun imstande sein soll , ihn 
viin der Gelbsucht und ullen 
möglichen Krankheiten zu be- 
freien. 

Bekannt sind die Tier- 
kolosse Tor dem Palaste San- 
heribs im alten Ninivo und 
anderwärts. Sie stellen die 
assyrischen Schutzgötter des 
Hauses dar, die in Gestalt 
von Stier- und Löwenkolossen 
den Palast- oder den Tempel- 
eingang zu bewachen hatten. 
Das ist gewiß auch die ur- 
sprüngliche Bedeutung der 
beiden Tierköpfe in Abb. 2, 
die die heutigen armenischen 
Einwohner von Til am oberen 
Euphrat über dem Eingänge 
ihres christlichen Heiligtums 
angebracht hatten. 

Amulette der verschieden- 
sten Art gegen allerlei Unheil 
erfreuten sich bei den alten 
Assyrern einer weiten Ver- 
breitung. Zu ihnen gehörten 
auch Bilder der abzuwehren- 
den Dämonen mit oder ohno 

baigegebene Verwünschungen. Die gleiche Bedeutung 
hat ein im Besitze des Verfassers befindliches, inter- 
essantes Stück armenisch-katholischer Herkunft. Es ist 
eine fast 7 m lange und 10cm breite Papierrolle, mit 
armenischen Schriftzeichen und zahlreichen eigenartigen 
Malereien bedeckt: Die Taufe Christi, der Einzug in 
Jerusalem, die Faßwaschung, Maria mit dem Jesuskinde, 
Christus und die 12 Apostel, Abraham im Begriff, den 
Isaak zu opfern, der Drachentöter St. Georg und an- 
deres mehr werden dargestellt, und am Schluß der 
ununterbrochenen Anrufungen folgt das Objekt der 
Verwünschung, der Teufel, in einer komisch -naiven 
Darstellung (Abb. 3). 

Eine große Bolle spielt im Aberglauben des Orien- 
talen „der böse Blick" (türkisch: gös wermek = das 
Auge geben). Eine große Zahl von Amuletten dient 
zur Abwendung diesos böseu Zaubora. Das einfachste 
sind mit Taubenblut beschriebene Zettel, die, von einer 
dreieckigen Hülse umgehen, um den Hals oder in das 
Fez eingenäht werden. Mit Vorliebe bedieut man sich 




Abb. 1 Tierköpfe aus St 
armenischen Kirche zn 



dabei der als Schutzsuren geltenden Suren H3 und 114. 

Sie lauten l ): 

Das Morgengrauen (113). 
Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! 

1. Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des 

Morgengrauens, 

2. Tor dein Übel dessen, was er erschaffen, 

3. Und vor dem Übel der Nacht, wenn sie naht, 

4. Und vor dem Übel der Kuotenanbläserinuen, 

5. Und vor dem Übel des Neider», wenn er neidet. 

Die Menschen (114). 
Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! 

1. Sprich: Ich nehme meiue Zuflucht zam Herrn der 

Menschen, 

2. Dem König der Menschen, 

3. Dem Oott d«r Menschen, 

4. Vor dem Übel des Einflüsteren, des Entweichen, 

5. Der da einflüstert in die Hriiite der Menschen, 
8. Vor den Dach in ii und den Menschen. 

Aber auch das ..Maschal- 
lah " (= bei Allah!), was man 
zuweilen au kostbaren tür- 
kischen Zigarettenspitzen auf 
herabhangenden Silberplätt- 
chen findet, soll dazu dienen, 
das Unheil des bösen Blickes 
vom Träger des Gegenstandes 
zu bannen. Ein Amulett von 
besonderer Kraft, zum Schutze 
des ganzen Hauses aufzuhän- 
gen, stellt Abb. 4 dar. Es ist 
ein wunderliches Gebilde, das 
aus den verschiedensten Din- 
gen zusammengesetzt ist: Ein 
Metallkrüglein, eine Bleiplombe 
mit arabischer Inschrift, tür- 
kische Kupfermünzen, drei- 
eckige Hülsen (Zaubersprüche 
zur Abwehr des Bösen ent- 
haltend), Eicheln, die ketten- 
förmig aneinander gereiht sind, 
als Vertreter des Tierreiches 
ein Schneckenhaus und der 
Panzer einer kleineu Schild- 
kröte, und schließlich ein hoh- 
ler, fauliger Zahn vom Men- 
schen. Letztere Gebilde sind 
ja eigentlich Träger der Un- 
reinheit und Unheiligkeit, aber 
gerade solche Dinge werden 
wie zu den Zeiten der nlten 
Assyrer von den heutigen Bewohnern Klcinasiens zur 
Abwehr des Bösen gebraucht, mit der Ablicht, Gleiches 
mit Gleichem zu bekämpfen. Eine Teufelsfratze, in 
diesem Sinne einst bei den alten Assyrern als Amulott 
dienend, bringt Bezold in seiner Monographie „Babylon 
und Ninive", S. !J9. Ein ähnliches tiebilde, das heute 
im Orient die gleiche Verwendung fand, konnte Ver- 
fasser von einem armenischen Händler erwerben (vgl. 
Abb. 5). Auch bei den alten Assyrern (vgl. Bezold) 
schrieb man die verschiedenen Geisteskrankheiten dem 
Einflüsse von Dämonen und Hexen zu und verwandte 
zu deren Bekämpfung eine ganze Reihe besonderer 
Beschwörungsformeln. An diese Tatsache wurde Ver- 
fasser in seiner ärztlichen Praxis dadurch erinnert, 
als die Frau eines ihm bekannten Kurden an oiner 
akuten Geistesstörung erkrankte. Der Ehemann ver- 
zichtete in diesem Fülle auf die ärztliche Behandlung, 
diu er sonst gern in Anspruch nahm, und wandte sich 

') Der Koran übersetzt von Max Henning. 



ein über dem Eingang der 
TU am oberen Euphrat. 



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Dr. Volland: Aberglauben in Armenien uu<l Kurdistan. 



343 



hilfesuchend an seineu ("bodscha (mohammedanischen 
Priester). 

Dieser trug ihm auf, ein kohlschwarze« Huhn herbei- 
xiiKohalTen, das er tötete, und dessen Mut er zum Auf- 
schreiben dor B«schwörungsfomiol Torwandte. Das so her- 
gestellte Amulett wurde der Frau um den Hals gehängt, 



ärztlichen Vorschrift die Patienten die Absicht äußerten, 
dos in Stucke geschnittene und in Wasser geworfene 
Rezept tum mal taglich eßlöffelweise zu genießen. — Das 
„KnotenBchurzeii 1 ' ist ein nralter, bis zu den Assyrern 
zurückgehender, unheilvoller Brauch -'), der auch im heu- 
tigen Volksglauben tief eingewurzelt ist Es soll be- 




Abb. s. Drei AbschaHte aus einer bemalten armenischen Papierrolle. 

Taufe Chriiti, Einsag in Jerusalem, KuBwaschung, Heiligenbild (?). t> ChrUtus und die «wölf Apo»tel, 
Maria mit dem Jesuskind. ( Menschliche (Heiligen- V) üe»tall um) der Teufel. 



und den „bösen Dschinn" glaubte man gebannt zu haben, 
als der hysterische Erregungszustand dur Kranken 
— denn um einen solchen handelte es sich höchstwahr- 
scheinlich — nach einigen Wochen von selbst zurück- 
gegangen war. Auch das ärztliche Rezept wird häufig 
von den Eingeborenen als eine gesundmachende Zauber- 
formel angesehen und findet dann eine für den Arzt 
unerwünschte Verwendung. Verschiedene Male erlebt« 
es Verfasser, daß bei aufgetragener Wiederholung der 



deuten, „daß der Verwünschende mit Entschlossenheit und 
Beharrlichkeit handelt und mit dem Dämon einen Bund 
schließt und beweist, daß er die feste Absicht hat, den 
Zauber unlösbar zu machen". In manchen Gegenden 
trifft man bei Türken und Persern den Aberglauben an, 
daß Impotentia coi-undi des Mannes die Folge ist, wenn 

*) Wober, Dnmont-nbeschwörunß bei den Babylonieni und 
Asavrern. 

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344 



Sven Hediiis Tibetreiie l!)0fi/07. 



ein Übelwollender beim Lesen de« Khevertrage« Ver- 
wünschungen sprechend einen Knoten windet. In Sure 1 1 3 
(▼gl. oben) nimmt der Gläubige Zuflucht zum Herrn den 
Morgengrauens vor allen möglichen Übeln, unter anderem 
auch vor dein Übel der „Zauberinnen, die Zauherknoten 




Abb. 4. Orientalische« zusammengesetztes Amulett. 



schürzen und anblasen". Andererseits* kann das Knoten- 
knüpfen auch eine heilvolle Bedeutung haben, wenn der 
Patient, bei Fieber Gebete sprechend, mit einem Bautu- 
wollonstrick eiuen Knoten windet. Noch zu erwähnen 
ist, daß die heutigen Orientalen am Euphrat und Tigris 
gleich den alten Assyrern die Schicksale der Menschen 
mit den Gestirnun in Beziehung bringen. Die Zahlen- 
symbolik bei den Tiirkou erinnert au die des Alten 
Testaments, das ja erklärlicherweise so viele Beziehungen 
zu Babylon und Ninive aufweist. Namentlich gelten 3, 



7 und 40 als heilige Zahlen , und in solcher Anzahl 
finden sich fromme Muslims zu heiligen Gemeinschaften 
zusammen. Wie bei uns gilt auch 13 als eine Unglücks- 
zahl. 

Kurz seien noch folgende, Türken und Christen ge- 
meinsame abergläubische Anschauungen erwähnt: Der 
Freitag ist ein Tag des Unheils für alles, was der Mensch 
beginnt; auch als Geburtstag ist er unglücksbringend. 
Am Donnerstag sollen jedoch Gott und die Kugel hold 
sein, deshalb wählen die Reisenden auch diesen Tag 
gern zum Aufbruch, die Brautleute ihn zum Hochzeitstag. 
Bekannt ist der Abscheu der Türken vor dem Schweine- 
fleisch. Divsur ist jedoch nicht etwa, wie man häufig zu 
hören bekommt, durch hygienische Anschauungen be- 
dingt, sondern hat in den jüdischen Vorschriften seinen 
Ursprung. Das Schwein gilt den 



Juden als unrein, weil es nicht zu 
den ausschließlichen Pflanzenfressern 
gehört , sondern auch das Fleisch 
toter Tiere nicht verschmäht. Man- 
cherlei Mittel werden von den mo- 
hammedanischen Priestern an die 
Ilaremsschönen verabreicht, um die 
Zuneigung des Mannes zu erwerben 
oder zu erhalten. Vielerlei Mittel gibt 




es bei den Mohammedanern gegen A)ll) ., Teufels- 
die Unfruchtbarkeit in der Ehe. Ein fratze, als Amulett 
eigenartiges ist folgendes : Der Chod- dienend, 
scha (Priester) schreibt die berühmte 
Sure 112 auf ein Ei und gibt Je oine Hälfte den 
Eheleuten zu essen; oder er schreibt die genannte Sur« 
auf einen dreieckigen Speer und läßt den Ehemann 
darüber springen. Die Sure ist bekanntlich dio „Rei- 
nigung" (d. i. von dem falschen Glauben an mehrere 
Götter) benannt und lautet: 

1. Sprich: Kr ist der eine Göll, 

2. Der ewige Gott ; 

3. Er zeugt nicht und wird nicht gezeugt, 

4. Und keiner ist ihm gleich. 

Knoblauch in der Tasche soll vor Fieber schützen. 
Unglück bringt es, wenn ein Hase oder eine Katze über 
den Wog läuft. Dur Hase wird vom Orientalen im all- 
gemeinen als Fleischnahrung verschmäht, weil er an- 
geblich menstruiert wie die Frau und somit unrein 
sein «oll. 

Eigentümlich sind manchmal dio Inschriften auf den 
Kaffeetassen, z.B.: „Wer an« dieser Tasse trinkt, wird 
ein Freund des Hauses". Wie bei uns im Volke, so 
wird auch bei den Orientalen Spinngewebe zur Blut- 
stillung verwandt. 

Es ist anzunehmen, daß mit dem Aufgezählten die 
große Zahl der abergläubischen Gebräuche bei den 
Orientalen nicht erschöpft ist; es sollten jedoch nur die 
gebräuchlichsten erwähnt werden und vor allem die- 
jenigen, die den Wechsel der Zeiten seit Jahrhunderten 
und Jahrtausenden siegreich überdauert haben und 
weiterhin überdauern werden. 



Sven Hedins Tibetreise 1906/07. 



Wie seinerzeit im Globus mitgeteilt wurde (Bd. 91, I 
S. 147), war Sven Hedin von Chinvsisch-Turkestan aus 
nach Durchquerung Westtibets von Nordwest nach Süd- 
ost im Januar d. J. auf dem Wege nach Schigatse am 
Sangpo (Brahmaputra). Am 9. Februar ist er liier ein- 
getroffen, und unter dem 20. Februar hat er dann an 
die Londoner geographische Gesellschaft ein ausführliches 



Schreiben gerichtet (abgedruckt im Maiheft des „Geogr. 
Journ."), aus dem hervorgeht, daß er auch diesmal 
wieder mit den in Tibet üblichen Reiseschwierigkeiten 
zu kämpfen gehabt, aber auch wieder ausgedehnte, bis- 
her unbekannte Strecken des Hochlande« unserer Kenntnis 
näher gebracht hat, besonders das große von den Routen 
Wellbyg, Dutreuil de Rhins' und Bowers begrenzte Droi- 



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34Ö 



eck in» Norden und die Gegenden zwischen Nain-Singhs 
Route und dem Sangpo im Süden. 

Bekanntlich hatte man in Indien auf Veranlagung 
der englischen Regierung, die Tibet nicht beunruhigen 
will, Hedin ein Eindringen von Lodak ans untersagt '). 
Kr hatte dort bereits Begleiter und Tragtiere gemietet, 
ging nun über die Karakorum- und Kweulunpässe nach 
Chinesisch -Turkestan und drang über einen der Pässe 
südlich von Chotan in Tibet ein. Aus eintftn Briefe 
Hedins vom 18. September v. J. wußto man, daß er da- 
mals bereits den Jeachil-Kul erreicht hatte. In seinem 
neuesten Briefe berührt er eingangs die trüben Aus- 
sichten, die ihm infolge der Erlaubnisvorweigerung der 
englischen Regierung erwachsen waren; hierauf fährt 
er fort: 

„Und jetzt, wie anders sieht alles aus! Ich habe 
eine prächtige Reise hinter mir, reich an geographischen 
Entdeckungen von sehr großer Bedeutung. Ich bin im 
Herzen Tibets, und ich habe die Zukunft vor mir. 

„Ich hatte trotz allem mein Bestes zu versuchen. 
Ich mußte durch das ganze Tsrhang- Tang J ) mitten im 
Winter gehen. Ich organisierte eine erstklassige Kara- 
wane mit erstklassigen lauten, und jetzt habe ich das 
weite Gebiet durchkreuzt, und es ist eine schöne und 
glückliche Reise gewesen. Allordings habe ich die ganze 
wertvolle Karawane verloren, aber keinen einzigen Mann. 
Von 36 Maultieren (zu je 200 Rupies) ist nur eins übrig 
geblieben, von 58 Pontes nur fünf, und die sehen mehr 
wie Skelette aus, und ich muß sie hier lassen. Und alle 
Tiere waren die besten (und teuersten), die ich in Leh 
bekommen konnte. Zum Durchreisen ist Tschang-Tang 
ein schwieriges Land. 

„Jedenfalls habe ich das ganze Tibet diagonal von 
Nordwest nach Südost gekreuzt und Scbigatse nach 
einer genau halbjährigen Reise erreicht ... Ich hatte 
meinen Weg von Osttorkestan aus zu nehmen, wenigstens 
von dem sehr unsicheren Punkte aus, wo Turkestan, 
Kaschmir-Ladak und Tibet snsammenstoßen. Von da 
ab wandte ich mich ostwärts und vermied soviel als 
möglich die schon von Wellby, de Rhins, Deasy und 
Rawling besuchten und kartierten Gegenden. Rawlings 
Karte 3 ) ist sehr genau, und mit ihrer Hilfe konnte 
ich leicht Gebiete vermeiden, die jener hervorragende 
Reisende schon so sorgfältig erforscht hatte. Um das Hoch- 
plateauland zu erreichen, benutzte ich einen 19.'i00 Fuß 
(5850m) hohen Paß, der nur ein paar Meilen östlich 
von dem von Forsyth benutzten Tschang- Long- Dschogme 
liegt. Der Kuriosität wogen kann ich hinzufügen, daß 
ich einen Mann bei mir hatte, der Forsyth vor etwa 
33 Jahren begleitet hatte, und er ist noch bei mir. 

„Nach Ling-Si-Tang und Aksai-Tschin hinauf hatte 
ich eine viel leiohtere Reise, als ich erwartet hatte. 
Einige Leute erzählten mir, daß ich gerade dort, d. h. 
während der drei ersten Monate der Reise, wenigstens 
die halbe Karawane verlieren würde. Gewiß war es 
eine harte Reise, aber nichts, worauf ich nicht vorbereitet 
gewesen wäre. Jeden Tag fanden wir Wasser — zwei- 

') Diese Rücksichtnahme der englischen Regierung Tibet 
KBfreuüber aus politischen Gründen hat nicht nur die Pläne 
des schwedischen Reisenden zerstört- Sie hat auch die Ab- 
sicht der Londoner geographischen Oesellschaft, da« noch 
unbekannte 8troms»uck do« Brahmaputra zwiseheu Gjala- 
dseboug und Oberassnm durch . ine englische Expedition er- 
forschen zu Unten, vereitelt; sie erklart«, eine solche Expedition 
nicht fördern zu künnen. Man will offenbar das gegen Eng- 
land von jeher nnd namentlich nach dem Feldzuge nach 
Lhassa bei den tibetanischen MacUthabern vorhandene Miß- 
trauen nicht noch steigern; vielleicht spielen auch Rück- 
sichten gegen Japan dabei mit. 

Einheimischer Name für Nordtibet. 
Enthalten im Geogr. Journ., Dd. XXV (1905), S. 4«0. 

Nr. 22. 



mal mit einiger Schwierigkeit und nach langen Märschen 
— und täglich auch auagezeichnetes Gros. Das Gelände 
war ebenso ausgezeichnet, besonders nachdem es im 
Herbst zu frieren begonnen hatte. Keine Pässe, keine 
nennenswerten Berge, aber eine der großartigsten und 
prächtigsten Landschaften, die ich je gesehen habe: im 
Norden die mächtigen parallelen Ketten des Kwenlun- 
system 8, im Süden die nicht weniger mächtigen Ver- 
ästelungen des Karakorumsystems. Und zwischen ihnen 
hatte ich einen verhältnismäßig leichten Marsch zum 
Lightensee, von wo ich eine gemietete Ililfskarawane 
von 30 Pnnies und meine llindudiener, die das Klima nicht 
vertragen konnten, zurückschickte. So sandte ich auch 
die Radschputeneskorte zurück, und für die Weiterreise 
nach Gegenden, wo eine Kskorte vielleicht nützlich ge- 
wesen wäre, hatte ich nicht einen Mann. Abgesehen 
von meinen Ladaki-Karawanenleuten, die alles, nur nicht 
Soldaten sind, und meinem eurasischen Assistenten, bin 
ich hier ganz allein in Schigatse. 

„Der Lightensee ist einer der größten and reizendsten 
Seen, die ich in Tibet gesehen habe. Ich kreuzte ihn auf 
ein paar Linien in meinem Faltboot. Niemals hatte ich 
mehr als 78 m Tiefe in einem tibetanischen See ge- 
funden und deshalb jetzt nur eine 68 m lange Leine bei 
mir, und diese erreichte an mehreren Stellen nicht den 
Grund. Andererseits siud der Pul-Tso, von dem ich eine 
hübsche Karte anfertigte, und der Jescbil-Kul sehr flach. 
Ich hatte die wildesten Abenteuer an diesen Seen; sehr, 
sehr knappes Entkommen. Am Pnl-Tso wurde eins meiner 
Ponies von Wölfen in den See gejagt und ertränkt. 

„Dana berührte ich Deasy« Lager, wo er eine ziem- 
liche Menge seiner Vorräte und Büchsen vergraben 
hatte *). Nichts war davon übrig, da einige tibetanische 
Jäger dort vor kurzem gewesen waren. Das einzige, 
was ich des Mitnehmens für wert hielt, war Bowers 
Buch. Ich war jedoch durchaus nicht besorgt, da wir 
reichlich von allem hatten und da meine Karawane an 
diesem Punkte noch in vorzüglicher Verfassung war. 
Ich besuchte die Stelle in der Hauptsache, um meine 
Karte zu kontrollieren. Von da marschierten wir einige 
Zeit in ostnordöstlicher Richtung weiter, kreuzten Wellbys 
Route und dann den großen weißen Fleck auf der Karte 
zwischen Bowers und de Rhins' Routen. Hier begannen 
die wirklichen Mühsale, und die Karawane schmolz von 
Tag zu Tag zusammen. Einmal verloren wir uns bei 
andauerndem Schneesturm in hohen Schneegebirgen, und 
hierbei verlor ich in zwei Tagen elf Maultiere und zwei 
Ponies. Kein Gras, wenn auch Wasser überall, manch- 
mal nicht einmal Yakdung für die Lagerfeuer. Die 
Tiere hatten keine Nahrung, wir machten sehr kurze 
Märsche und gaben ihnen einen Ruhetag, wo das Gras 
gut war. Weiter im Südosten hatten wir täglich Gras, 
und das Gelände wurde günstiger. Hin und wieder 
kamen wir an einem neuen See vorbei und wenigstens 
jeden zweiten Tag über einen Paß, obwohl diese fast 
immer leicht waren; aber selbst eine kleine Steigung 
wird in dieser schrecklichen Höhe schwer empfunden. 
Eines Tages machte ein wilder Yak, der am Lager ver- 
wundet worden war, als ich ankam, einen wütenden An- 
griff auf mich, meinen Assistenten und meinen Diener. 
Kr war gerade meinem Pony zur Seite und wollte dieses 
und mich auf die Hörner nehmen, als er den Diener be- 
merkte, der für sein Leben lief und eben zu Boden ge- 
stürzt war. Der Yak fiel über ihn her und verlutzto ihn 
böse, ließ von uns aber ab. Der Mann ist jetzt wieder 
woblauf. 

') Kapitän II H. K Deasy war 1H9.1 und 1H«8 in jener 
Gegend. 

A'o 



3tü 



Sven liedina Tibetreise 1906/07. 



„Als wir so weit waren, daß die Ladaker cinon Tai) 
den Gepäckes tragen mußten, stießen wir auf die erstell 
Zeichen der Anwesenheit von Menschen — Goldminen 
in großer Zahl, die aber nur im Sommer aufgesucht 
werden. Einige Tage spoter fanden wir die ersten No- 
madon, nach 83tägiger Einsamkeit Sie waren nett und 
freundlich in jeder Weise und ich kaufte eine Anzahl 
»ehr guter Yaks; sie sicherton soweit unsere Lage. Von 
hier ab und den ganzen langen Weg hinunter bis zum 
Hogtscbang - Sangpo hatte ich immer Nomadenführer, 
ausgezeichnete und gewandte Kerle, und wir wurden 
gute Freunde mit ihnen allen. Ks war nicht schwer für 
mich, Verbind ungspunkte am Bogtschang-Sangpo zu er- 
halten, wo ich meine lloute von 1901 kreuzte*). Wo 
ich aber Bowers Weg gekreuzt habe, ist unmöglich zu 
sagen; denn seine Ksrto ist nicht detailliert genug. 
Andererseits glaube ich dem Ufer des Sees gefolgt zu 
sein, den de Rhins Ammoniaksee benannt hat. Ich folgte 
dem Flusse (Bogtschang) einige Tage. Ein Nomaden* 
häuptling sagte mir hier, er würde Nachricht über mioh 
nach Nantsang - Dschong am Kjaring-Tso (Scbansa- 
Dschong') senden, und ich hatte nicht* dagegen. Dann 
setzten wir unseren Marsch südwärts fort. Nun wird das 
Land schwierig, enge Täler und hohe Pässe jeden Tag. 
Am Dumbok-Tso verbrachten wir die WeihuachtBiiacht die 
Kälte war heftig und ging bis — 35° C. Jeden Tag 
blendende Stürme ans Westsüdwest, Ton Zeit zu Zeit 
Schneestürme. Es war der härteste Winter, den ich in 
Asien »erbracht habe. Fast alle Leute waren krank; 
in einem solchen Wetter zu reiten , ist eine harte Arbeit 
— man wird halbtot vor Kälte. Jetzt gingen unsere 
letzten Pouios ohne Lasten, da wir ausgezeichnete Yaks 
hatten. Sehr erschöpft erreichten wir dns Nordufer dt» 
von Nain-Singh 1874 entdeckten Ngangtse-Tso. Seine 
Karte enthält viel Wertvolles, doch ist sie ungenau. 
Die Gestalt, die er dem Ngangtse-Tso gibt, läßt mich 
vermuten, daß auch die Form der Übrigen zentralen 
Seen auf seiner Karte falsch ist. Wie dem aber auch 
sei, ich bewundere seine Leistung; er war ein geschickter 
Pionier. Er läßt ganze Bergketten aus, nfttnlich die dem 
Nordufer des Ngangtse-Tso folgende. Das Schlimmste 
von allem aber iat die Art, wie er die großen Linien des 
Landes südlich vom Ngnngtse-Tso zeichnet. Sein Dobo- 
Dobo-Tso existiert überhaupt nicht Er läßt die Flüsse 
zum Kjaring-Tso nach Osten gehen; in Wirklichkeit jedoch 
fließen sio nach Westen, einige von ihnen zum Tagrak- 
Sangpo, dem größten Zufluß des Ngangtse-Tso, die 
übrigen zum Brahmaputra'). 

„Zunächst maß ich aber einige Worte über meine 
merkwürdigen Erfahrungen am Ngangtse-Tso sagen. 
Unsere Yaks waren nun ermüdet und mußten eine ge- 
hörige Ruhepause haben. So schlug ich mein Haupt- 
quartier an der Ausmündung des Kaeutalos auf, wo wir 

») Vorher dürfte Hedin auch Dutreuit de Rhin»" Heise- 
weg gekreuzt haben. Der Bogttchang - Sangpo (Karjjtpo 
r-r. Kluß) verlauft etwas südlich vum 32. Breitengrad und mündet 
unter 87* 30' 5. L. in den Tsoring-Tno. Hedin folgte diesem 
Flusse 1901 auf Beinern Hückmarvcho westwärts nach Ladak. 

') See unter 31° n. Br. und SB 4 bis 30' ö. L. 

'") Selbst in der Kinschräokung, die in LI od in» anerkennen- 
den Worten liegt, sind diese Vorwürfe nicht recht am Platze. 
Nain-Kingb. der berühmteste der indischen Vundita, hat seine 
Boulen, so gut es angesiehu de« Mißtrauen» der Tibetaner 
und der daraus «ich ergebenden Gefährlichkeit seiner Laue 
möglich war, aufgenommen und da» Gelände und die Seen, 
soweit er .sie nicht selb»t sehen konnte, dem Augcn»chein 
nach oder nach den diirftigeu Krkundigungen iu die. Knrte 
eingetragen. Am Uobo I>oho und überhaupt im Süden de* 
NgangUe-T-o istNain Bingh nicht gewesen; er hat da* (lebiet 
nur nach dem llören«agen Bezeichnet und «ich dabei eben 
geirrt, wie da» in ähnlichen l allen europäischen Forschern 
ebenso |»a»»iereo kann. 



mit vielen Schwarzzelten Freundschaft schlössen. Während 
dieser Zeit unternahm ich eine Schlittenreise von zehn 
Tagen auf dem Eise des Ngangtse-Tso und fertigte eine 
sehr sorgfältige und genaue Karte des Sees nnd seiuer 
Tiefe, die im Maximum nur zehn Meter und ein paar 
Zentimeter beträgt. Ich nahm mir Zeit, Locher in das 
Eis zu schlagen, das bis zu '/» m dick ist, obwohl da« 
Wasser salzig ist Am 1. Januar, als ich fort war, kam 
ein Trupp Reiter noch dem Lager, um uns zu sagen, daß 
wir auzuhalten hätten; wir wären nicht berechtigt weiter 
zu reisen, da wir keinen Paß aus Lhassa hätten. Ich 
kehrte um 7. Januar zurück, als das Lager schon ein- 
geschlossen war. Jetzt erklärte man mir, daß der Gouver- 
neur von Nantsang selbst in wenigen Tagen eintreffen 
würde. 

„Er kam mit seiner Begleitmannschaft am 11. Januur 
und war kein Geringerur als mein alter Freund Hl ad je- 
Tseng, derselbe Mann, der mich lfJOl am Naht.sang-Tso 
(Tso - Ngombe) mit 500 Reitern aufgehalten halte. Kr 
sagte mir jetzt wieder, ich müßte nach Westen und 
Nordwesten zurückkehren, da er seinen Kopf nicht noch- 
mals um meinetwillen aufs Spiel setzen wolle. Ich eagto 
ihm, meine Karawane wäre in einem Zustande, daß ich 
nirgendsbin gehen könnte, daß ich vielmehr die Absicht 
hätte, zu bleiben, wo ich wäre, um die Antwort auf einen 
Brief abzuwarten, den ich gerade an den britischen Ver- 
treter in Gjangtse ") abzuschicken im Begriff wäre. 

„Zwei Tage später kam er aus Gründen, die ich nicht 
kenne, wieder zu meinem Zelt und sagt« mir, ich könne 
meine Reise südwärts fortsetzen. Ich glaubte, er hätte 
eine besondere Weisung dazu aus Lhassa erhalten; aber 
nein, er muß auf eigene Verantwortung gehandelt haben. 
Am 17. Januar erhielt ich eine dicke Post, die mir aus 
Indien über Gjangtse und Schigatse gesandt wnrde, und 
der Postbote war geschickt genug gewesen, mich iu 
diesem Labyrinth von Gebirgen und Seen zu finden. Und 
so kehrte Hladje- Tseng zurück und ließ mich in der 
Einsamkeit allein, und es wird mir immer ein großes 
Rätsel bleiben: Warum unternahm der alte Mann die 
lange winterliche Reise ohne jedeB Ergebnis? Nur um 
einen alten Freund zu sehen, der ihm einmal soviel Be- 
unruhigung verursacht hatte? Ich glaube es kaum; ich 
verstehe es nicht Dann machten wir uns gen Süden 
auf. Am 21. Januar sandte ich den Postboten nach 
Gjangtso zurück. Von nun ab konnten wir Yaks und 
Pontes mieten, und ich konnte viel schneller reisen, als 
ich erwartet hatte. Meine eigenen Yaks wurden zurück- 
gelassen. 

„Das Gelände zwischen dem Ngangtse-Tso und dem 
Sangpo ist außerordentlich kompliziert Wir hatten 
mehrero kleine Pässe zu überschreiten und fünf, die über 
5700 m hoch waren, unter Schneestürmen und beißender 
Kälte. Es war dies eine harte, aber sehr interessante 
Reise. Der erste hohe Paß ist der Sein -La (La = Paß); 
er liegt, auf der riesigen Gebirgskette, einer der höchsten 
Asiens und der Erde, die die Wasserscheide zwischen 
Ngangtse-Tso und Dangrajum einerseits und dem Brahma- 
putra andererseits bildnt. Hier habe ich die Karte ganz 
verändert 1 ') und eie mit einem verworrenen Labyrinth 
von Flüssen und Gebirgen ausgefüllt Zwischen all 
diesen Hochpässen kreuzten wir Flüsse, die geradewegs 
westwärts verliefen und in den My- Sangpo fielen, der 
hüdlich zum Sangpo (Brahmaputra) fließt und ein sehr 
großer Fluß ist, selbst im Winter, wenn er gefroren ist 

") Die englisch indi»chc Iterierung darf nach dem letzten 
Vertrage mit Tibet in (ijmigUe einen Vertreter haben, bi« 
die (teldeutichädigung bezahlt worden ist. 

') I>i« Karte zeiirt*' hier nur einige auf Kain-Singhs Er- 
kundigungen lieruhemle Andeutungen. Vgl. Anm. 



W. von liülow: Sprichwörtliche Redensarten der Samoaner. 347 



Alle übrigen Pässe sind zweiten Ranges- uud liegen in 
den Verzweigungen der Hauptkette, die zwischen dem 
Karakorum und dem Himalaja und parallel mit diesen 
sich ausdehnt. Au die Stelle des weißen Fleckes hier auf 
den Kurten wird man in Zukunft eine gewaltige Kette 
xu aetzen haben, die die Fortsetzung den Niu-Tschen- 
Tang-La am südlichen Ufer des Tengri-Nor sein muß. 
Der Sela-I.a ist einer der — geographisch ausgedrückt — 
wichtigsten Pässe, dio ich je gekreuzt habe; denn er 
markiert einen Poeitiouspunkt zwischen dem Plateauland 
mit seinen abgeschlossenen Becken und den (ie wässern, 
dio einen Ausweg nach dem Indischen Ozean haben. 
Der letzte Paß, La-Rotsch, war »ehr leicht von Norden 
her. Von seiner Höhe gewinnt mau deu ersten prächtigen 
Blick Uber das Tal des Sangpo uud diesen großen Strom 
selbst, der tief unten im Tale fließt. Aber man hat 
einige tausend Fuß hinabzusteigen nach dem großen 
Dorfe — oder vielmehr Haufen von Dörfern und Tempeln 
— von Je. Hier finden wir die ersten Bäume. Die 
Kingeborenen waren freundlich und gastfrei, wio immor. 
Von dort folgte ich dem Nordufer des Brahmaputra drei 
Tage lang. Au letzten Tage, von Sta-Nagbo, ging ich 
den Fluß in einem tibetanischen Boot hinunter, eine 
Heise von sechs Stunden , die ich niemals vergessen 
werde, inmitten des treibenden Eises und der Pilger, die 
zu den Neujahrafestlichkeiteu in Taschilumpo sich be- 
gaben. Spät am 11. Februar erreichte ich SchigaUe und 
lagerte in einem Garten gerade am Südrande der Stadt, 
die zu dieser Zeit ganz voll von Pilgern ist. 

„Der Taschi-Lama, Pantschen Uimpotsche, empfing 
mich mit wahrhaft königlicher Gastfreundschaft. Kinige 
I Pirnas und Mitglieder des Dschong hatten den Befehl, 
in jeder Hinsicht zu meinen Diensten zu sein. Ich habe 
mich mit dem Großlama Stunden und Stunden unter- 
halten, und ich buhe in ihm einen der bedeutendsten 
nud liebenswürdigsten Manner gefunden, mit denen ich 
in meinem Leben zusammengetroffen bin — einen Mann, 
den man nie vergessen kann. Ryder hat iu dem, was 
er über ihn in seinem Artikel im GeographicalJournal 
sagt, ganz recht. Ich gab ihm ein kleines Geschenk, 
und er hat mich mit Geschenken von großem Wert und 
ganzen Karawanen von Lebensmitteln für mich, meine 
Leute und Tiere überschüttet. An den Tagen, wo ich 
ihn nicht |>ersönlich sah, ließ er sich nach mir erkundigen. 
Und ich bin zugegen gewesen bei den Festlichkeiten in 
Taschilumpo"), die zu den malerischsten, wildes tun, 
phantastischsten uud blendendsten gehören , die ich je 
gesehen habe. Wie ärmlich sind die l-aniaUinze in Ladak 
im Vergleich mit diesen. Fast jeden Tag, wenn es nicht 
stürmt und schneit wie heute, gehe ich zum Tempel, um 
zu zeichnen und zu photographieren ; auch habe ich einige 
Hehr gnte Porträts vou dem Großlama selbst hergestellt. 
Ich habe vollkommene Freiheit und kanu gehen in der 
großen Gompa, wohin ich will, und alle die 3800 Lamas 
sind außerordentlich höflich und nutt zu mir." 

'") Ryder, Kxploratlon atid Rurvey with th« Tibet Krontier 
Commissio», nud froin Oyangis« to Rimla via üartok. O« >gr. 
Journ. XXVI (ISöi), S. 3611-381. 

"> Diese» Kloster, der Sitz des Taschi Lama , liegt süd- 
östlich und gauz in der Nahe von Seligst«» 



Das Verhalten des Taschi • Lama entspricht der 
englftnderfreundlichen Politik, die er wahrend Young- 
husbands Zug nach Lhassa bewiesen hat. In Lhassa 
selbst aber war man Hedin durchaus nicht freundlich 
gesinnt. Kr erhielt in SchigaUe den Besuch zweier 
Männer aus Lhassa, die erzählten, sie seien von den 
dortigen tibetanischen uud chinesischen Behörden mit 
einer Truppenabteilung nach dem Ngangtse-Tso geschickt 
worden, um Hedin aufzuhalten uud zur Rückkehr nach 
dem Norden zu nötigen. AU sie ihn dort nicht mehr 
getroffen hätten, wären sie ihm in Eilmärschen gefolgt, 
aber erst zwei Tage spater als er in Schigatse eingetroffen. 
Sie erklärten, er habe nicht das Recht, hier zu seiu, und 
müsse den Weg, den er gekommen, wieder zurückgehen. 
Hedin zählt weiter seine wissenschaftlichen Arbeiten 
auf und fährt dann fort: 

„Das Profil der ganzen Durchquerung wird von 
großem Interesse sein. Ganz unerwartet ist insbesondere 
die festgestellte Existenz eines Gcbirgslandes im Süden 
der zentralen Seen mit durchschnittlich viel größerer 
Höhe als selbst Nord-Tachang-Tang. So fand ich, daß. 
das hohe tibetanische Plateau ununterbrochen bis zum 
Nordufer des Sangpo »ich fortsetzt, aber iu dem Tale 
des Flusses werden Klima und Natur ganz anders. So- 
gar in der kältesten Zeit des Jahres hat man die Emp- 
findung des Frühlings und der Wärme, wenn man von 
der Kaute des Plateaus zum Tale des großen Stromes 
hiuuntersteigt. Überall in Tscbang -Tang, wo wir auf 
Nomaden stießen, sagten sie, dieser Winter wäre un- 
gewöhnlich mild, während ich dachte, — 35° seien 
ausreichend für einen Menseben aus dem kalten Schweden 
und für die ausgezeichneten und abgehärteten Ladaki." 

Wie Hedin aus Scbigatse herausgekommen ist, ohne 
genötigt zu werden, auf derselben Route zurückzukehren, 
ist zurzeit noch nicht bekannt. Es heißt allerdings, er 
sei auf dem Wege westwärts nach Ladak. Uber seine 
damalige Lage sagt er am Schlüsse seines Briofes: 

«Aber meine Schwierigkeiten sind noch nicht zu 
Lude. Die chinesischen Beamten haben mir gesagt, ich 
hätte durchaus kein Recht, hier zu sein, und ich hätte 
den Weg, den ich gekommen, zurückzugehen. Ich weiß 
gar nicht, wie diese neue Verwickelung enden wird. Dio 
letzte Nachricht, die ich habe, ist, daß sogar die Straße 
nach Gjangtse nun verschlossen ist. Es ist wirklich hart, 
von der einzigen Stadt in Tibet abgeschnitten zu sein, 
wo es eiuen F.uropäer gibt, Kapitän O'Connor, gerade, 
wenn man nur noch zwei oder drei Tage dahin hat nach 
einer Reise von einem halben Jahr, und gerade, nachdem 
mir Kapitän O'Connor die liebenswürdigsten Briefe ge- 
schrieben hat mit dem Ausdruck der Hoffnung, ich würde 
kommen und bei ihm bleiben. Ich habe auf diesen Be- 
such gerechuet und auf die vielen Mitteilungen, die er 
mir machen würde. Aber ich muß zwischen der 
britischen, der chinesischen und der tibetanischen Re- 
gierung kreuzen und alle die unterseeischen Felsen 
soviel als möglich vermeiden. Und der britische Ver- 
treter iu Gjangtse hat natürlich seinen Instruktionen zu 
folgen, und so sind wir in der Lage, einander ganz nahe 
zu sein und uns doch nicht treffen zu können." 



Sprichwörtliche Redensarten der Saraiiane r'|. 

Wenn ein Mann der Praxi» die ihm bei «einen Berufs- 
geschäften gebotene Gelegenheit, ethnologische und lingui- 

') Da. m> Utiulte Werk •!<•> Herrn OU rro litri » St Ii u In in 
A|<l» ist IfluMs kurz im tiM.us itii^rz'-i^t witrlfn. Hirr \V. vi<n 
üiilüw in Mutitnnu (S;iiixa) -i-ii.lit uu< dazu ihkIi .lit r<>lge».lt<n 
Ui-iiii-<kuni;'Mi. 



I »lisch« Studien zu machen, in so ausgiebiger Weis« wshr- 
I nimmt, wie dies « »berrichter Schultz nach Ausweis seines 
i Büches , Sprichwörtliche Itedensarttn der Samoaner* (Apia, 
: K. Liibke, 274 8.) getan hat, so kanu nicht nur die Völker- 
kunde, sondern auch die Linguistik sich zu der YerölYent- 
, lichung seiner Htudieu beglückwünsch«». 

Die Quellen, aus denen der Verfasser «e-chöpft ha», sind 
I die denkbar besten. 

45* 



346 



\V. von Bülow: Sprichwörtliche Redensarten der Samoaner. 



Dr. Schultz kam vor etwa aecha Jahren «1* Bezirksriebter 
nach Samoa, wurde dann Oberrichtcr und stellvertretender 
Gouverneur. In der Stellung alt Oberricbter war er der Vor- 
sitzende der au* Eingeborenen gebildeten Land- und Titel- 
kommiaaion, die über die Ansprüche streitender Parteien nm 
Hechte an Landbesitz oder um dio Berechtigung zur Führung 
gewisser Namen — Titel - ihr Gutachten abgaben mußte. 
In der Kommunion »aßen die auserwfthllesten Samoaner, die 
man im Laufe der Zeit al» die tüchtig.ten Kedner. die ver- 
ständigsten Berater und die relativ wahrheitsliebendsten Leute 
kennen gelernt hatte. Schreiber und Dolmetscher waren aus 
der jüngeren Generation entnommen und gehörten ebenfalls 
zur geistigen Klite der Hamoaner. 

Der Verfasser, der seibat eines Dolmetschers schon seit 
langer Zeil nicht mehr benötigt, hatte auf diese Weise Ge- 
legenheit, die Ansichten der Samoaner über den Sinn und 
die Bedeutung der Redewendungen , die für Kulturmenschen 
nicht immer klar aind, aus dem Munde der Eingeborenen 
selbst zu erfahren, und daß er es mit dieser Erkundigung 
ernst nahm, dafür apricht sein Buch. 

Die ersten M Betten des Buches enthalten die Kinleitung. 
Der Verfasser geht von der Behauptung Kramer» aus (Die 
Kamoa-Inaeln, Bd. II. S. 314), daß die Melanesicr eine viel 
ausgebildeten Industrie hätten ala die Foljncsler, Der Ver- 
fasser schränkt diese Behauptung Kräuter» iusofurn ein, als 
, namentlich die Maori und die Hawaiier eine recht hohe 
8tufe der Kunstfertigkeit erreicht haben". Die Industrie der 
Samoaner ist hiergegen über <las Notwendige, allenfalls daB 
Nützlicho, nicht hinausgekommen, ihre Ornamentik arm. 

Ob diese Sätze gerade in diewr Fassung unumstößlich 
richtig sind, dürfte aber doch noch recht zweifelhaft »ein. 
Ich würde vorziehen zu sagen, daß bei ihrer Einwanderung 
die Polynesier ei» viel kunstfertigeres, fast möchte ich tagen 
gebildeteres Volk gewesen »ein müssen, als sie ea jetzt sind. 
Sie müssen im Laufe ihrer etwa 200üjährigen Wanderung 
ihre Künste nnd Wissenschaften eingebüßt haben. Die Ein- 
buße war gri)ßer bei den Stämmen, denen die isolierte Lage 
ihrer Wohnsitze, die iuneren blutigen Zwistigkeiten und 
häutigen feindlichen Invasionen zu Kunstbetrieb und zu Er- 
lernung und Fliege von Kenntnissen und Fertigkeiten viel« 
Oenoraliouen hindurch keine Gelegenheit boten- 

Zu diesen Stämmen gehören die Samoaner und Tonganer. 
Die Kenntnia der Gestirne und der Bau und die Uandbabung 
größerer Fahrzeuge ist fast nur noch aus Überlieferungen 
bekannt. Die Königagriiber und die Haamoga in Tonga, der 
Tempel des Fu iu Hämo«, die an pbönizisehe Sonnentempel 
eriunernden Steiuaetzungeu auf der Osterinael sind Zeugen 
einer verlorenen Kulturperiode. 

Daa interessanteste Beispiel des Verlorengehens einer 
Kunstfertigkeit — das man übrigens in jedem europäischen 
Museum wird iu Augenschein nehmen können — l»t der als 
Sprecherstab benutzte dreikantige Speer der Dorfschaft Ma- 
tautu auf der Insel Savaii. 

Nach der Überlieferung stammt die Bevölkerung von 
Matautu von den Viti-Inseln. 

Die Melauesier hat>eu vielfach Speere, die einen dreieckigen 
Querschnitt zeigen. An den drei Ecken den )',, bis 2 Fuß 
langen Blatte» des hölzernen Speeres sind von den Spitzen 
nach unten gerichtet« Fischstacheln befestigt. Die Vorfahren 
der jetzigen Samoaner müssen solche Speere gekannt haben. 
Sie nennen den Speer o le tala o le 1<j — den Stachel des 
Fisches Lo. In dem Kriegsgesange von Matautu (Pratt, 
Dictionarv, Auflage, S. 34) ist auf dieseu Speer Bezug ge- 
nommen. Diu Samoaner keuuen aber nicht mehr die Art, 
wie die Fischstacheln angebracht uud befestigt werden, sie 
schnitzen daher solche Speere aus dem eisenharten roten llolz 
des I'ftu und die Stacheln werden aus dem Holze selbst 
herauageachuitzt. Die Form des Matautu Speeres ist ganz die- 
selbe wie die des oben beschriebenen ; nur iat der Matautu- 
Speer für den Emstfall nicht zu verwenden, da die Schnitz- 
arbeit «ehr zerbrechlich ist. Dieser Speer gilt nur noch als 
das Wahrzeichen von Matautu und als Sprecberatab. 

So gering aber immer die Kunstfertigkeiten der Samoaner 
auch «ein mögen, die Gesetze, die den geselligen Verkehr 
regeln, sind desto reicher. 

Daa Zeremoniell, die sogenannte Häuptlingssprache, dio 
Rhetorik und schließlich die sprichwörtlichen Wendungen 
und Kcdcnsarten werden dann besprochen, und vielfach sind 
linguistische Beispiele eingeschaltet. 

Der Verfasser sagt zum Schluß: Das Buch soll kein Nach- 
schlagewerk sein, sondern der Lektüre dienen. Ich kann mir 
aber wohl denken, daß das Buch dem Beamten, dem Pllanzer, 
dem Geschäftsmann auch als Nachschlagewerk sehr gute 
Dienst« zu leisten vermag, wenn zuerat auch der übrige In 
halt des Buches dem Nachschlagenden geläufig ist. 



Der erste Abschnitt umfaßt 87 der Fischerei entlehnt« 
Redensarten. 

Gerade die Fischerei ist in Samoe so vielseitig, wird auf 
so viele verschiedene Arten betrieben, daß dieses Thema allein 
ein eigene» Studium erfordert. Erfreulich iat die große Zahl 
der gesammelten Nummern. 

Linguistisch soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Wort 
pa, für das Krämer das neue Wort .Blinker* geprägt hat, 
schon sei« vielen Jahren mit „Fischbakenachaff übersetzt 
worden iat. Für gute Übersetzungen aber neue Worte zn 
suchen, dürfte uieht »ehr empfehlenswert sein- 

Die Jagd behandeln 44 Sprichwörter und Redentarteu. 
Diese Zahl wird sich hoffentlich iu Zukunft noch vermehren 
lassen. Über die Taube iu den Sprachbllderu der Samoaner 
findet sich im Internationalen Archiv für Ethuographie, Bd. XII, 
8. ISl , ein Aufsatz, der einige hier noch nicht registrierte 
sprichwörtliche Redensarten enthält. 

In dem Kapitel III, Handwerk und sonstige Arbeit usw., 
finden wir die fünf verschiedeneu Fahrzeuge der Samoaner 
aufgeführt. Zwischen dein großen Bon ito boote und dem großen 
Doppelboote (alia) wäre noch das kleine Häuptlingsboot ama>- 
tasi cinzuxchalten. Dieses Boot ist seit etwa 30 Jahren aus 
Samoa verschwunden. Es war ein kleines, halbgedeckte« 
taumualua mit Aualeger zum Gebrauch für etwa 5 Personen 
und diente lediglich dem persönlichen Bedürfnis der Häupt- 
linge, die es nur als Segelboot, nie als Ruderboot be- 
nutzten. 

Dieses III. Kapitel umfaßt 65 sprichwörtliche Redensarten. 
Daa Sprichwort Nr. 155 scheint l'ratt durch unrichtige Über- 
setzung des Wortes vinavina („tbe bow of a native drill") 
recht unveratändlich gemacht zu haben. Turner, Nineteen 
Yeara in Polyneaia. S. 274, hat die Abbildung eines samoani- 
schen Drillbohrern mit deutlicher Beschreibung uns überliefert. 
Leider fehlen die aamoaniachen Benennungen der einzelnen 
Teile. 

In meiner Arbeit .Die Muscheln im Leben der Ein- 
geborenen von Samoa" (Int Arch.. Bd. XIU, 8.177 u f.) habe 
ich seinerzeit die einzelneu Teile des Drillbohrers wie folgt 
benannt: Dio scharfe Spitze matAvana; der Schaft, an dem 
die Spitze befestigt ist, o le au o le matuvana; die runde 
Schwungscheibe livaliva; die kleine Sehne, dio am oberen 
Ende des Schafte» befestigt ist und den Bohrer treibt, o le 
fau. Da» kleine Stück Holz, das, zwischen beiden frei hängen- 
den Knden der Sehne befestigt, al» Handhabe dient, habe ich 
damals mit Stillschweigen übergangen, weil bereit* damals 
der «amounische Name nicht feststellbar war. Ob dieser Griff 
gerade oder gebogen ist, bleibt ohne Bedeutung. Pratt nennt 
dieses Stück Holz einen Bogen und bezeichnet es al» vinavina. 
Drillbohrer, die lediglich durch einen Bogen, nach Art eines 
Feuerquirles getrieben wurden, haben bestimmt in Samoa 
nicht existiert. 

Demnach ist die Bewegung des livaliva eine ganz gleich- 
mäßige von links nach rechts nnd dann wieder von rechts 
nach links , und das treibende Stöckchen — vinavina — be- 
wegt sich von oben nach unten und von unten nach oben. 
Es durfte auf den Sinn des Sprichwortes Nr. 155 keinen Ein- 
fluß ausüben, wenn dort livaliva und vinavina miteinander 
vertauscht werden. 

Der Nahrung und deren Zubereitung sind 34 Sprichwörter 
entnommen; 86 dem Spiel und Tanz. 

Der interessanteste Teil ist zweifellos der Abschnitt .Ver- 
schiedenes" mit 173 Sprichwörtern und der Nachtrag mit 
6» Sprichwortern. Jedes einzelne Wort hi^r zu bespreche!), 
dazu reicht leider der Raum nicht hin. l>oeh mochte ich nur 
zu Nr. 487 bezüglich der Tokelau Insel Atafu bemerken, daß 
die von Alafu nach Samoa .verschlagenen 1 ' Flüchttinge der 
Sage nach im Tuamasaga- Distrikt angesiedelt wurden und 
daß deren Anführer deu Sprechernamen Tui Atafu annahm, 
dor auch heute noch existiert. 

Wenn aber der Verfasser sagt: Pulotu heißt daa im 
listen gelegene Land, von wo die Samoaner stammen — 
und ich füge hinzu: wohin demnach auch die Geister der 
Verstorbenen zurückkehren müßten! — , ao möchte ich mir 
doch zu erwähnen gestatten, daß der Fatu (Stein) oeolla (von 
dem abgesprungen wird; im = »priugeu, passiv o»ofta), das 
Dorf Fatuosofla also, am Westende von Upolu liegt. Dort 
springen die Geister in» Meer, schwimmen nach Savaii, wandern 
auf dem Gebirgskamm des Tu hm vi von Osten nach Westen 
und gehen durch da« FaN, auf der Westseite der Insel Savaii, 
zur linterweit. Unterirdisch wild dann die Reise nach Pulotu 
fortge»elJtt. 

Da« alphabetische Wörterverzeichnis erleichtert das Nach- 
schlagen. 

Di« ganze vorliegende Arbeit ist so zeitgemäß und ao 
gründlich linguistisch durchgearbeitet, daß alle, die mit Ein- 



Sg.: I»cr XVI. Deutsche Geographentag in Nürnberg. 



geborenen amtlich oder geschäftlich zu tun haben werden, 

der Kolonie in 



anderer Stellung, in Hämo« »elbst, recht bald zu verwerten 

Gelegenheit habeu. Mit diesem Wunsche dürfte ich kaum 
vereinzelt dastehen. 

Matapoo, 23. Februar 1907. W. von Bnlow. 



Der XVI. Deutsche üeographentag in Nürnberg. 



Die Zahl der Mitglieder und Teilnehmer, die siob in 
den diesjährigen Pfingsttageu (21. bU 23. Mai) zum 
XVI. Deutsahen GeographentAg in Nürnberg zusammen- 
gefunden hatten, betrug laut offizieller List« 271, wozu 
noch 11 korporative Mitglieder — verschiedene Gesell- 
schaften und Vereine — hinzukamen. Mit etwa 125 Per- 
sonen war Südiltuitschland vertreten (darunter Nürnberg 
selbst mit 60); aus Österreich waren 12 erschienen, aus 
Berlin und Umgebung 35. Auch in Nürnberg fehlt es 
an einer geographischen Gesellschaft; die Vorbereitungen 
hatte — und zwar mit gutem Gelingen — ein Orts- 
ausschuß übernommen, der sich aus Vertretern dortiger 
wissenschaftlicher Vereine und der Handelswelt zu- 
sammensetzte. Dieser Ortsausschuß hatte auch eino 
Festschrift zusammengestellt, die eine Anzahl wertvoller 
geographischer, geologischer und naturwissenschaftlicher 
Abhandlungen über Nürnberg und Nordbayern enthält. 

Am stärksten besucht war die Eröffnungssitzung, die 
im großen Rathanasaale stattfand. Die übrigen Sitzungen 
wurden im Saale der Gesellschaft »Museum" abgehalten. 
Von ihnen zeigte den größten Zuspruch die dem geo- 
graphischen Unterricht gewidmete Sitzung. Ziemlich 
schwachen Besuch hatten die Nachmittagssitzungen be- 
sonders in den spateren Stunden. Es ist eine große 
Zahl von Vorträgen absolviert worden. Läßt man sie, 
bzw. die einzelnen Redner nachträglich an sich vorüber- 
ziehen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Wünsche, 
die auf eine Neuorganisation der Geographentage ge- 
riebtot sind, cum Teil nur zu berechtigt sind. Manche 
Redner beinsteten die Zeit unverhältnismäßig stark, mit 
der Folge, daß namentlich die Herren, die erst spät in 
den Sitzungen zu Worte kamen, sich in ihren Ausführun- 
gen sehr beschränkt sahen und sie dann oft in einem 
Umfange kürzen mußten, der naturgemäß weder dem 
Thema noch den Rednern selbst zum Vorteil gereichte. 
Ks müßte in Zukunft doch darauf Wert gelegt werden, 
daß niemand einen gemessenen Zeitraum überschreitet. 
Auch in der Diskussion konnte mancher gar koin Ende 
linden. Einige Vorträge haben dann schließlich aus- 
fallen müssen, oder die Redner verzichteten auf sie. 

Die Eröffnungssitzung am 21. Mai vormittags 
wurde durch (Begrüßungsansprachen eingeleitet. Nach- 
einander hießen der Ehrenvorsitzundu, Geheimrat v. Neu- 
mayer, die Vertreter des Ortsausschusses (Prof. Rackl), 
der Regierung»- und städtischen Behörden, der Prorektor 
der Nachbarunivorsität Erlangen, der Präsident der 
Handelskammer und der Vorsitzende des Zentralaus- 
schusses des I)eutschen Geographentages die Hamen und 
Herren willkommen, wobei mehrfach der engen histori- 
schen Beziehungen der Stadt zur Erdkunde gedacht 
wurde. Der Beratungsgegenstand hieß „(Berichte über 
Forschungsreisen". Mit diesem Gegenstand ist es 
auf den Geograpbentagen seit Jahren immer etwas miß- 
lich bestellt. Die Zeiten sind vorüber, da dem Geographen- 
tag solche Berichte sozusagen brühwarm geboten wurden ; 
die Tatsachen, die hier vorgebracht werden, sind nieist 
schon bekannt. Diesmal sprach zunächst Prof. Uhlig 
über das Thema „Der sogenannte Ostafrikanische 
Graben zwischen Magad (Natronsee) und Lauaya 
Mueri (Mangarasee)". Jener Graben zeigt auf der 
Strecke zwar einen gut ausgeprägten West- 



rand. Dagegen erscheint der Oetraud hier völlig 
wischt, so daß Redner für das Gebilde die bisherige 
Bezeichnung aufzugoben und dafür den Namen „Ost- 
afrikanische Bruchstufe" vorsohlagen zu müssen glaubte. 
Was hier älter ist, die Vulkane oder die Spalten, wollte 
der Redner unentschieden lassen; er meinte, daß die 
Annahme von Überschiebungen die verwickelten geo- 
logischen Verhältnisse am besten erklären würde, daß 
die Beweise jedoch erst noch zu finden wären. Es sei 
hinzugefügt, daß dort jetzt ein Fachgeologe, Jaeger, reist, 
der vielleicht weitere Aufschlüsse bringen wird. 

Von Interesse waren die darauf folgenden Ausführun- 
gen des Leutnants Filchner: „Über einige Ergeb- 
nisse seiner Expedition unter Vorlage der ersten 
Sektion des Kartenwerkes Nordost-Tibet" Auf 
seine Expedition selbst brauchte Filchner nur kurz hin- 
zuweisen ; er bat deren Verlauf in seinem schönen Reise- 
werk „Das Rätsel dos Matschu" bereits geschildert. In 
der Hauptsache betrafen seine Mitteilungen die geplante 
Veröffentlichung der wissenschaftlichen Resultate, ins- 
besondere der Aufnahmen. Ein zahreiche Bände um- 
fassendes Werk ist in der Vorbereitung, und ein botani- 
scher und ein ethnographischer Band sind in Kürze zu 
erwarten. Das Kartenwerk „ Nordost-Tibet" soll die Auf- 
nahmen in 1:50000 bringen. Etwa 15 Blätter davon, 
für deren Bearbeitung der Große Generalstab und die 
Preußische Landesaufnahme die Mittel bewilligt hatten, 
konnte Filchner vorlegen. Sie betreffen die Route von 
Siniug bis gegen das Quellgobiet des Hoangho hin und 
legen ein glänzendes Zeugnis ab für den erstaunlichen 
Fleiß, den der Reisende auf die Routenaufnabtne ver- 
wendet hat. Das Terrain ist durch Höhenüuien und 
Schummerung wiedergegeben. Acht weitere Kartenhefte 
Riehen aus (für die Bearbeitung hat Filchner die Karto- 
graphen Sprigade und Moisel gewonnen); da aber die 
Herausgabe eine Summe von 140000 M. beanspruchen 
dürfte, so steht die Vollendung leider noch nicht außer 
Frage. Weitero Mitteilungen betrafen dio Methode der 
Aufnahmen und die Ermittelung der Längen. Den Höhen- 
messungen kam der Umstand sehr zugute, daß die 
Gattiu Filchnors, die während seines Tibetvorstoßes in 
Sining zurückgeblieben war, dort fortlaufend Thermo- 
meterbeobachtungen ausgeführt hat. — Prof. Wagner- 
Göttingen sprach dio Hoffnung aus, daß von staatlicher 
Sehe die Mittel zur Vollendung des mustergültigen Karten- 
werkes zur Verfügung gestellt werden möchten, und 
behielt sich den Vorschlag für eine entsprechende Re- 
solution des Geographentages vor (vgl. weiter unten). 

Den letzten Vortrag in dieser Sitzung hielt Dr. Bren- 
necke-Hamburg über das Thema „Ozeanographische 
Arbeiten S. M. S. Planet". Brennecke nahm an der 
Reise dieses Schiffes teil. Berichte über die Ergebnisse 
sind auch bereits erschienen, und im „Globus" ist davon 
die Rede gewesen. Der Vortragende bot ein zusammen- 
fassendes Bild jeuer Arbeiten während der Ausreise noch 
Matupi und während einer zweiten Fahrt des „ Planet" 
von dort nach Hongkong. 

Die zweite Sitzung (21. Mai, uachmittogs) betraf 
die Geschichte der Erdkunde. Dr. E. Tiessen- 
Berlin behandelte das Thema „Beobachtende Geo- 
graphie und Länderkunde in ihrer neuereu Ent- 



350 Stf.: Der XVI. Deutsche Geographentag in Nürnberg. 



Wickelung (nebst einem Wort zum 26 jährigen Bestehen 
der Zentrnlkominission für wissenschaftliche Landeskunde 
von Deutschland)". Der Vortragende hat das Gefühl, 
daß die Beobachtung in der Geographie ein groß«« Über- 
gewicht über die bearbeitende, die konstruktive Geo- 
graphie erlangt habe. Die Bedeutung der ersteren dürfe 
nicht überschätzt werden. IIa mangele an zusammen- 
fassender Arbeit. Es gebe immer noch keine große 
Landeskunde von Deutschland, man vermisse bei der 
landeskundlichen Arbeit die gehörige Organisation. Der 
Hedner vermißt ferner eine genügende Pflege der Landes- 
kunde von Deutschland und der lokalen I^indeskunde 
durch die Universitätslehrer und suchte das aus den 
Vorlesungsverzeichnissen zu begründen. Es sollte in 
dieser Beziehung mehr getan, und es sollten mehr Ex- 
kursionen als bishur mit deu Studenten unternommen 
worden. Die Frage: kann, darf und soll ein Geograph 
die Länderkunde eines Gebiets bearbeiten, das er selbst 
nicht gesehen hat? beantwortete der Vortragende mit 
Ja. Er berief sich dabei auf den verstorbenen Kicht- 
hofen, der gleicher Ansicht gewesen und, obwohl selbst 
ein großer Reisender, doch keineswegs dem Reisendon 
unbedingt die Fähigkeit zugeschrieben habe, die Lander- 
kunde seines Reisegebiets zu behandeln. 

Au den Vortrag schloß sich eine längere Diskussion, 
in der für und wider Stellung genommen wurde. Prof. 
Friedrich Hahn- Königsberg bemerkte, daß der Redner 
vielleicht gut getan hätte, vor Beinen Ausführungen deu 
Bericht der Landeskundlichen Kommission für Deutsch- 
land zu hören; er hätte dann gefunden, daß auf diesem 
Gebiete doch mehr getau werde, als er anzunehmen 
scheine. Im übrigen sei eine Statistik auf Grund des 
Vorlesungsverzeichnisses nicht untrüglich; deuu örtliche 
und deutsche Landeskunde werde vornehmlich in den 
Sominarien der Universitäten gopllegt Prof. Theobald 
Fischer-Marburg meint« gleichfalls, das Vorlesungs- 
verzeichnis könne irreführen. Zu beaobten sei auch die 
vorbereitende Arbeit der Dozenten, die den Exkursionen 
vorausginge. — Prof. Pe tick -Berlin betoute, daß im 
Vordergrunde die Beobachtung stehen müsse, die Ge- 
dankenarbeit allein mache es nicht, solange sie nicht 
kontrolliert werde durch die Beobachtung. Es fehle 
aber an Beobachtern. Die Charakteristik eines Landes 
könne mau nicht aus der Literatur entwerfen, sie müsse 
aus der Beobachtung entnommen werden; die Geographie 
sei keine kompilatorische Wissenschaft. Prof. v. Dry- 
galski wies demgegenüber darauf bin, man solle nicht 
vergessen, daß die zusammenfassende Arbeit neue Gesichts- 
punkte für die Beobachtung ergeben könne; wichtige 
Probleme hätte erst die konstruktive Arbeit geliefert, 
schätze man sie also nicht gering. Beide Richtungen 
seien ebenbürtig. — Prof. Supper-Tübingen meinte, daß 
der Vortragende die lieisendeu zu sehr unterschätze, er 
scheint! anzunehmen, duO ein Reisender keine Laudes- 
kunde schreiben könne. Es gebe aber verschiedene 
Reisende. — Prof. Jentzsch-Berliu verlangte, daß beide 
Richtungen sich gegenseitig stützen sollten, und Prof. 
Günther-München bat, an dem vom Vortragenden ein- 
geführten Ausdruck „konstruktive" Arbeit festhalten 
zu wollen und die Bezeichnung „kompilierende" Arbeit 
als unwürdig für die geographische Wissenschaft fallen 
zu lassen. — Beendet wurde die Diakussion durch einen 
Schlußantrag. 

Es sprach hierauf Prof.Oberhunimer-Wicn über das 
Thema „Der Stadtplan, seine Entwickelung und 
geographische Bedeutung". Sein« Ausführungen 
taten dar, daß die Plauzcichnung mit der Kartenzeichnung 
nicht gloicheu Schritt gehalten biitte. Unsere Stadtplane 
sagten uns zu wenig, weil sie die Geländedarstellung 



meist vernachlässigten. Die Anschauung aber vom Ge- 
lände eines Orts sei die Vorbedingung für das Verständ- 
nis von dessen Geschichte und Entwickelung. Es sei zu 
wüuschen, daß bei der Zeichnung von Plänen durch An- 
deutung des Geländes mehr als bisher geographischen 
Gesichtspunkten Rechnung getragen werde. Redner 
hatte eine Anzahl interessanter alter Pläne und auch 
neuere Stadtpläne ausgestellt, auf denen versucht ist, den 
zu stellenden Anforderungen zu eutsprechen. 

Weitere Vorträge hielten Prof. Johannes Müller- 
Nürnberg über den Nürnberger Reichs wald und seine 
Bewirtschaftung vom 13. bis lfi. Jahrbuudert (Die Mit- 
teilungen über seine BodenbeschatTenheit ließ er mit 
Rücksicht auf die vorgerückte Zeit aus.) Ferner sprach 
Dr. Wolkenhauer-Göttingen über den Nürnberger 
Kartographen Etzlaub, der um 1460 geboren und 
1532 gestorben ist. Er war bisher so gut wie unbekannt, 
und doch stellten seine Karten von Deutschland beachtous- 
wertu Fortschritte dar. Endlich knüpfte Dr. Ostreich- 
Marburg an die Vorlegung von Abbildungen aus dem 
Himalaja Bemerkungen über die dortige Talbildung. 
Da auch noch von Prof. Uhlig die Lichtbilder zu seinem 
Vortrage gezeigt wurden, so endete diese Sitzung nach 
fünfstündiger Dauer erst gegen acht I hr abends. 

Die dritte Sitzung (22. Mai, vormittags) wurde 
mit geschäftlichen .Mitteilungen und Verhandlungen er- 
öffnet Der Geschäftsführer des Zentralausschusses, 
Hauptmann a. D. Kollm, teilte mit, daß die Rechnungs- 
legung des Geographentages für 1905 06 eine Einnahme 
von 7231 M. und eine Ausgabe von 68f>2 M., also einen 
Bestand ven 379 M. nachweise. Prof. Sieger-Graz 
erwähnte, daß das Denkmal für Eduard Richter am 
15. September in Salzburg enthüllt werde, und daß auch 
die Geographen dazu eingeladen seien. Eine längere 
Auseinandersetzung knüpfte sieh an die Frage nach der 
Wahl des Ortos für deu XVII. Geogiapheulag (1909). 
Eine Einladung nach Lübeck überbrachte der Vertreter 
der dortigen geographischen Gesellschaft. Demgegen- 
über wurde daran erinnert, daß bei der Danziger Tagung 
(1905) deu Österreichern in Aussicht gestellt worden 
war, man würde für 1909 eine österreichische Stadt, und 
zwar Innsbruck, wählen; hierher lud jetzt Prof. v. Wiener 
ein. Um eine Entscheidung durch Abstimmung zu ver- 
meiden, wurden die Überbringer der beiden Einladungen 
gebeten, sich bis zur Entscheidung in dor Schlußsitzung mit- 
einander zu einigen. Es wurde dann folgender Antrag von 
Prof. Halhfaß-Neuhaldensleben besprochen: „Es möge 
in der Nürnberger Tagung eiuo Kommission ernannt 
werden, welche dem nächsten Deutschen Geographentag 
Vorschläge über Änderungen in dor Organisation 
des Deutschen Geogruphentages und dein- 
entsprechende Änderungen der Satzungen zu machen 
hat" Halbfaß begründet» den Antrag nur kurz mit 
dem Hinweis auf die Uber diesen Gegenstand gepflogenen 
Auseinandersetzungen in der Fachpresse. Über die 
Zweckmäßigkeit des Antrages schien eino Meinungs- 
verschiedenheit nicht zu bestehen. Prof. Hettner- 
Heidellierg schlug vor, die Zahl der Kommissions- 
luitglieder auf neun zu bemessen. Prof. Wolken- 
hnuer-Bremen glaubte, daß man auf alle Fälle an 
folgenden drei Punkten festhalten müsse: an Tagungen 
mit zweijährigen Zwischenräumen, an der Pfingstzeit und 
an den dreitägigen Verhandlungen. Die Beschlußfassung 
erfolgte in der letzten Sitzung (vgl. unten). 

Verhaudlungsgegenstand dieser dritten Sitzung war 
der geographische Unterricht. Namens der 
ständigen Kommission für den erdkundlichen 
Unterricht berichtute deren Vorsitzender, Prof. 
II. Fischer-Berlin, über die Geschäftsjahre 190.'i und 



Sg.: Oer XVI. Deutliche Oe 

1906, nachdem Prof. Waguer-Gottiugen dur Verdienst« 
des verstorbenen Kirchhoff nm diesen Unterricht ge- 
dacht hatte. FUcher berichtete zunächst, daß die Hoffnung 
auf eine Fachorganisation der Geographielehror an den 
lidheren Schulen trügerisch gewesen sei und »ich nicht 
erfüllen werde. Es läge das an dem Umstände, daß der 
Geographieunterricht eben nicht uberall in den Minden 
von Fachlehrern ruhe. Die billige Lieferung von 
Generalstabskarten für die Schulen habe die preußische 
Landesaufnahme bewilligt. Dasselbe müsse von den 
anderen deutschen Staaten erst erreicht werden, doch 
stehe man vor einem erfreulichen Abschluß dieser Sache. 
Gelegenheit «um. Eingreifen hatte die Kommission bei 
verschiedenen Schulreformen; die Unterricht« Verwaltung 
von Preußen habe sich an die Kommission mit der Frage 
gewandt, was sie bei der Aufstellung von neuen Lehr- 
plänen für wünschenswert erachte. Ein anderer Teil 
der Tätigkeit umfaßte Ahwehrinaßrcgeln, z. B. gegen die 
Bestrebungen der Naturforscher- uud Arztetage, diu auf 
eine Zerpflückung des geographischen Unterrichts an den 
höheren Schulen hinausliefen. Verschiedene Eingaben 
sind gemacht worden, so an die Kolonial Verwaltung: Es 
möchten Kurse für Geographielehrer geschaffen werden, 
es möchte für die Herausgabe einer praktischen volks- 
tümlichen Landeskunde der Kolon ion Sorge getragon 
werden, und es sollten Stipendien für Informations- 
reisen von Lehrern nach den Kolonien bereit gestellt 
werden. Der Kolonialdirektor habe geantwortet, er stehe 
diesen Wünschen, die allerdings eine Geldfrage seien, 
sympathisch gegenüber und wolle sich zuerst mit dem 
preußischen Kultusminister in Verbindung setzen. Im 
Kultusministerium, so glaubte der Berichterstatter, sei 
ebenfalls Neigung für diu Angelegenheit vorhanden. 
Auf eine Anfrage aus der Versammlung bemerkte er, 
daß ein „Ukas", daß der Geograpbieunterricht in Preußen 
nur durch geprüfte Fachlehrer erteilt werden dürfe, 
nicht ergangen sei, jedoch eino Verfügung, daß diesem 
Grundsatz .möglichst" Rechnung zu tragen sei. 

Im Anschluß daran äußerten sich verschiedene 
Herren über die Verhältnisse in anderen deutschen 
Bundesstaaten, woraus hervorging, daß die selbst- 
verständliche Forderung dos (ieographentages nach Er- 
teilung des erdkundlichen Unterrichts nur durch Fach- 
lehrer von der Erfüllung noch recht weit entfernt ist. 
Prof. Thorbecke- Mannheim erklärte, in Raden sei es 
noch viel schlimmer als in Preußen, denn da bestehe in 
den maßgebenden Kreisen die Ansicht, daß die Geographie 
keine Wissenschaft sei, sondern ein großes Sammel- 
surium , für das aus den übrigen Wissenschaften das 
Nötige entnommen werde. Nur die höheren Mädchen- 
schulen führten den erdkundlichen Unterricht bis oben 
durch. Für die geplante Reorganisation der Oberreal- 
schulen seien die Wünsche der Geographen wieder nicht 
erfüllt worden, es bleibe also in Raden beim Alten. 
Paul Wagner- Dresden bemerkte, daß die Lehrpl&ne in 
Sachsen wohl busser worden dürften als die preußischen. 
Prof. Sapp er-Tübingen charakterisierte den Geographie- 
unterricht in Württemberg. Soweit der Unterricht 
von Neuphilologen erteilt werdo, werde von diesen eine 
Prüfung verlangt. Für die Altphilologen aber genüge 
der Nachweis , daß sie ein geographisches Kolleg oinmal 
— belegt hatten. Prof. Penck schaltete ein: In Öster- 
reich bestehe Fachlehrersystem, was ein großer Vorzug 
sei, aber die Geographie sei dort verheiratet mit der 
Geschichte, und das ergehe Schwierigkeiten. In Öster- 
reich habe man die Besserung nicht durch Eingaben, 
sondern durch diu Heranbildung einer Generation von 
beobachtenden tieographon erreicht; es seien deren fast 
schon zu viel vorhanden. Prof. Regel- Würzburg: In ■ 



ographentag in Nürnberg. 351 



Rayern müßten die Reallehrer Geographie studieren, 
an den Gymnasien aber gebo es keine vorgebildeten 
Geographielehrer ; für sie genüge ebenfalls, wenn sie ein 
geographisches Kolleg belegt gehabt hätten. Die Prüfung 
aber nähmen Philologen nb, und dagegen müßte er 
Protest erheben. In Bayern hieße es: Quieta nou movere 
Prof. Günther-München ineinte, man müsse trotzdem 
versuchen, das Ruhende endlich zu bewegen. Er werde 
eine entsprechende Resolution vorschlagen. Gymnasial- 
lehrer Rüttner -Nürnberg betonte, die Vorwürfe sollten 
sich nicht gegen die bayerischen Philologen richten — 
die wollten schon gern die Prüfung machen — , sondern 
gegen die Unterrichtsverwaltung. Prof. v. Drygalski- 
Müncben unterstrich diese Romerkung: Der bayerische 
Gymnasiallehrerstand dringe kräftig auf Geographie- 
Studium und auf Fachprüfung. Prof. Regel -Würzburg 
bemerkte: Natürlich habe auch er sich nicht gegen die 
Lehrer, sondern gegen das System gewandt; man müsse 
doch zwischen den Zeilen seiner Auaführungen lesen. — 
Erwähnt wurde noch die bedauerliche Tatsache, daß uuf 
der Berliner Kriegsakademie die Geographie jetzt etwas 
zurückgesetzt worden ist, wie sich aus ihrer geminderten 
Rewertung als Prüfungsfach ergibt, — Prof. Günther- 
München schlug eine Resolution vor, in der es heißt: 
Der Deutscho Geograpbontag spreche die Uberzeugung 
aus, daß in ganz anderem Umfange als bisher in sämt- 
lichen deutschen Staaten den Fachvertretern ein maß- 
gebender Einfluß auf die Gestaltung des geographischen 
Unterrichts eingeräumt werden müsse. — Prof. Geist- 
beck- Kitzingen beantragte ebenfalls eine Resolution: 
Danach solle die Schulkommission von großen Gesichts- 
punkten aus eine Denkschrift darüber ausarbeiten, wie 
der geographische Unterricht in den deutschon Staaten 
zu gestalten sei. Die Denkschrift solle sie dem midisten 
Geographentag vorlegen , der sie dann iu endgültiger 
Fassung den Regierungen überreichen werde. — Diese 
Verhandlungen füllten den weitaus größten Teil dor 
Sitznng aus. 

Privatdozent Eckert -Kiel hielt dann einen Vortrag 
über die wissenschaftliche Kartographie im 
Universitätsunterricht. Er vorwies darauf, daß die 
Universitäten nicht in genügendem Maße mit dem 
heutigen hohen wissenschaftlichen Stande der Karto- 
graphie rechneten. Dem Verständnis und der Kunde 
der Karteu sollten über vier oder fünf Semester sich er- 
streckende Kurse dienen. Der Redner gab dann eine 
Definition unserer heutigen Kartographie, die nicht als 
eine Technik, sondern als eine Wissenschaft, wobei auoh 
die künstlerische Eingebung ihre Rolle spiele, zu be- 
trachten sei; ferner Betrachtungen über die Farbcu- 
anwendung, die „ Farbenlogik Sein Ideal ist neben 
unseren großen Atlanten, die ein Nebeneinander geben, 
die Schaffung uines Musteratlas zur Geschichte der Karto- 
graphie, der einen Querschnitt durch die Entwickelung 
liefert. — Zwei weitere Vorträge wurden zurückgezogen, 
ein dritter (Dinges) verschoben. 

Verhandlungsgegenstand der vierten Sitzung 
(23. Mai, vormittag«) war dio Anthropogeographiu. 
Prof. Götz-München hielt einen Vortrag über die klima- 
tischen Verhältnisse am Begiun des neolithischen 
Zeitalters. Ein nasses Aiifangsklima habe die rezente 
Ära eingeleitet. Darauf deuteten gewisse in Europa 
weit verbreitete Erosionsformen, wie Trogtäler, die das 
Wasser des heutigen Klimas nicht ausgehöhlt haben 
könne; ferner Schwemmlagen auf Höbenrlächen über 
gpätdiluvialem Material und botanische Befunde in 
Mooren. Die Regenperiode dürfte nach dem Azylien 
(Piette) eingetreten sein. Erscheinungen in Hahlen 
i Frankreichs (Piette, Cartailhac) und im Frankonjura 



S62 



deuteten ebenfalls darauf hin. Reste des Menschen aus 
jener Zeit fauden sich stets zusammen mit solchen von 
Tieren aus der Waldzeit, einer nassen Epoche, nicht mit 
Resten Ton Steppeutieron. Alles weise mit grotter Wahr- 
scheinlichkeit auf solche Klimaverbältnisse hin, wie der 
Redner sie annimmt, wennschon ein völlig überzeugender 
Beweis für diese Pluvialzcit nach dem Diluvium nicht zu 
erbringen sein werde. — In der Debatte verwies Prof. 
Fi sc her- Marburg auf die gleichartigen Annahmen 
franzosischer Forscher (Flamand, Gautier) für die Sahara. 
— Prof. Jentzach-Berlin fand Göte' Theorie plausibel. 
Sie stütze auch die erwiesene Tatsache, daß die nord- 
deutschen Seen nach dem Zurückgehen deg Eises viel 
ausgedehnter gewesen seien als beute. Andererseits 
aber warnte er vor einer Verallgemeinerung aus lokalen 
Beobachtungen', auch Beien die l.agerungs Verhältnisse in 
den Mooren hier nicht heranzuziehen, die ihre bestimmte 
eigene Fruchtfolge hätten. 

Das Thema »Zur Geographie der zeitweise be- 
wohnten Siedelungen in den Alpen" behandelte 
Prof. Sieger-Graz. Diese Geographie werde nicht immer 
allein durch die Höhengrenze bestimmt und erklärt, es 
kämen geschichtliche, nationale uud wirtschaftliche Mo- 
mente hinzu. Statistisch« Erhebungen hierüber, die als 
Grundlage für die Erforschung dieser verwickelten und 
eigentümlichen Erscheinungen dienen könnten, sind aus 
Österreich schon vorhanden, ihre größere Ausdehnung 
aber sei sehr erwünscht zum Zwecke der wissenschaft- 
lichen Darstellung und kartographischen Wiedergabe. 
Er bitte daher, der Goographentag möge folgende Wünsche 
«tu den seinigen machen: Die geographische Untersuchung 
der zeitweise bewohnten Siedelungen in den europäischen 
GebirgslAndern sei eine Aufgabe von hoher Bedeutung. 
Als wertvolle Hilfsarbeit dazu erkläre er eine statistische 
Aufiiuhiue in sämtlichen Alpenländern, deren Ergebnisse 
in möglichst großem Umfange veröffentlicht werden 
sollten. 

Prof. Hcttner-Hoidelborg sprach sodann über die 
Geographie des Mensehen unter Betonung der Be- 
deutung der geschichtlichen Vorgänge für diese. Aus 
den heutigen Verhältnissen allein ließe sich die Ent- 
wickelung von Siedelungen nicht erklären; Kirche und 
Kultur, also geschichtliche Momente, müßten herangezogen 
werden. Ratzel, von dem zwar nicht, wio gewöhnlich 
geglaubt werde, der Begriff der Geographie vom Menschen 
stamme, wohl aber das bequeme Wort „Authropogeo- 
graphie", sei nicht einseitig gewesen, habe nicht alles 
durch den Einfluß von Boden und Natur erklären wollen, 
aber seine Schüler seien es zum Teil gewordeu. Viele 
Geographen hätten arg gesündigt in der Auffassung der 
Einwirkung der Natur auf den Menschen (auch Pescbel 
habe sich hier Trugschlüssen hingegeben); die Stellung 
des Menschen in der Natur könne nur entwickelungs- 
geschichtlich aufgefußt werden. ■- Ein ähnliches Thema, 
„Über das Verhältnis von Natur und Mensch in 
der A n t h rop ogeogrB ph i e u , behandelte dann Privat- 
dozcnt Schlüter-Charluttenburg. Ferner kam am Schluß 
dieser Sitzung Seminarlehrer Dingcs-Amherg mit einem 
Vortrage „Das Relief in der geographischen Unter- 
richtspraxis" zum Wort. Auch zeigte an diesem Vor- 
mittage Lehrer M. Greubel-Hinipar Experimente mit 
farbigen Nadeln und Sand zur Herstellung von Reliefs 
und zur Ausnutzung dieser Experimente für den ersten 
geographischen Unterriebt. 

In der Schlußsitzung am Nachmittag des 23. Mni 
wurdo zunächst an Stelle de» statutenmäßig ausscheiden- 
den Professors Günther-München Professor Part sc Ii- 
Leipzig in die Zentralkommission des Geographentages 
gewählt. Dann teilte Prof. v. Wieser mit, daß er Beinen 



Antrag auf Abhaltung des XVII. Geographentages in 
Innsbruck zugunsten Lübecks zurückziehe, aber die Er- 
wartung ausspreche, daß die übernächste Tagung eo ipso 
in Innsbruck stattfinde. Die Versammlung wählte daher 
Lübeck und empfahl für die übernächste Tagung Inns- 
bruck. 

Es wurden hierauf alle die oben erwähnten Resolu- 
tionen und Anträge angenommen. Außerdem noch 
folgende: 1. Prof. Wagner-Göttingen: Der Deutecho 
Geographentag hat mit lebhaftem Interesse Kenntnis ge- 
nommen von der ersten Sektion des Filchnerschen Karten- 
werkes „Nordost-Tibet" und hofft zuversichtlich, daß sich 
die Mittel finden werden, in entsprechendem Umfange 
die Veröffentlichung durchzuführen. 2. Resolution des 
Prof. Theobald Fischer-Marburg: Der Deutsche Geo- 
graphentag wendet sich an die Unterrichtsverwaltungen 
aller deutschen Staaten mit der Bitte, es möchteu, wo es 
nicht bereits geschehen, den Faohvertretern der Erd- 
kunde an allen Hochschulen (d. b. nicht allein den Uni- 
versitäten) ausreichende Mittel zur Erleichterung von 
geographischen Ausflügen und Reisen, vorzugsweise zur 
Ausbildung der Studierenden im Gelände, zur Verfügung 
gestellt werden; der Deutsche Geographentag macht ee 
zu einer seiner Hauptaufgaben, der Geographie an unseren 
Mittelschulen zu der ihr gebührenden Stellung als Unter- 
richtegegenstand zu verhelfen. 

In die Kommission zur Beratung Uber eine eventuelle 
Neuorganisation des Deutschen Geographentages (Antrag 
Halbfaß) wurden gewählt: Die Professoren Partsch, 
Wagner, Penck, Hettner, Supau, Schott, Halbfaß, Laogen- 
beck.Sieger, Wolkenhauer, H. Fischer, Kartograph E. Debea 
und Hauptmann a. D. Kollm; in die ständige Kommission 
für den erdkundlichen Schulunterricht: die Professoren 
H. Fischer, Geistbeck, Langenbeck, Neumann, Regel, 
Schlemmer (Treptow a. d. R.), Sieger, Wolkenhauer, Ober- 
lehrer Paul Wagner und Dr. Zemmrich. 

Nunmehr erstattete Prof. H a h n -Königsberg den 
Bericht der Zentralkommission für wissen- 
schaftliche Landeskunde von Deutschland. Der 
.Bericht Uber die neuere Literatur zur deutschen Landes- 
kunde", von dem drei Bände erschienen waren, hat wegen 
der ungünstigen Absatzverhältnisse und der Zuschüsse 
des Verlegers nicht mehr fortgeführt werden können, doch 
wird erwogen, wie dafür ein Ersatz zu schaffen sei. Mit 
Kirchhof! haben die „Forschungen zur deutschen Landes- 
und Volkskunde" ihren Redakteur verloren, und der 
Berichterstatter hat provisorisch die Vertretung über- 
nommen. (Dur Geographentag spricht den Wunsch aus, 
daß Hahn von nun ah die Redaktion dieses Werkes 
führt) Der Berichterstatter erwähnt hierauf einige der 
wiebtigeren größeren landeskundlichen Arbeiten, die er- 
schienen sind oder vorbereitet werden. Von abschließen- 
der Bedeutung und höchstem Wert sei Peßlers Buch .Das 
aluächsische Bauernhaus in seiner geographischen Ver- 
breitung". Vor der Vollendung steht ein Werk von 
Haupt, das das Samland betrifft und insbesondere die 
Morphologie der dortigen Flüsse behandelt Schumann- 
Leipzig will die obere Grenze der Siedelungen in den 
Mittelgebirgen untersuchen, auch historisch, und die 
Kommission hat ihm dazu 300 M. Unterstützung be- 
willigt. Privatdozent Braun in Greifswald beabsichtigt 
eine Art Zentralstelle für die Sammlung von kritischen 
Nachrichten über Veränderungen der Erdoberfläche (Berg- 
stürze, Ku(«chungen, Aussichtsveränderungen) zu er- 
richten, uud die Kommission will ihn dazu mit einer 
Summe bis zu 2f>0 M. unterstützen. Die Zeitschrift 
„Deutsche Erde" hat der Kommission in jedem Heft 
etwas Raum für ihre Nachrichten zur Verfügung gestellt 
Gefördert worden ist ferner das (iebiet der Namenkunde. 



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Bäckern bau 



*** 



Der Bericht der Provinzialobm&nner der Kommission 
wird in den Verhandlungen des XVI. GeogTaph^ntatfe» 
ericheinen. Die Tätigkeit dieser Obmänner wurde kurz 
»ki/ziert Aua den weiteren Mitteilungen ging unter 
anderem hervor, daß für Ostpreußen eine neue Landes- 
aufnahme bevorsteht, sie durfte ein vielfach verändertes 
Bild der Gewässer und auch der Siedelungen ergeben; 
mich für den Schutz der eigenartigen »ttiul&udisehun 
Küste bat die Kommission sich interessiert. Der preu- 
ßische Kultusminister bat der Kommission wieder 500 M. 
bewilligt — Die Mitglieder der Kommission wurden 
wiedergewählt 

Privatdozent M. Gasser-Darmstadt besprach sodann 
die Technik der Apianschen Karte von Bayern. 
Apian ist ein wenig gewürdigter, aber sehr verdienter 
Kartograph des 16. Jahrhunderts (gestorben 1589 in 
Tübingen), der seiner Zeit in vielfacher Beziehung voraus- 
geeilt ist. Seiner Karte von Bayern, die der Vortragende 
zum erstenmal genau ausgemessen bat liegt unter an- 
derem eine Triangulierung zugrunde, die hiermit bereits 
für das 16. Jahrhundert nachgewiesen ist — Prof. Halb- 
faß-Neuhaldensleben behandelt« die Frage .Inwieweit 
kann die Seenkunde die Lösung klimatologischer 
Probleme fördern?" Der Redner zeigte an einigen 
Beispielen den Einfluß der Seen mit ihren Temperatur- 
Schwankungen auf die klimatologischen Verhältnisse der 



L BkgevuAg. euste hfforaoijuiif ,t <i+m*m s^x* .«»t^ 

sei daber ex aot* ynuc^M Wüptr-*«* w w f > ^ 
es erfordere de« fcoMiww^a, {t»w4«w tw^vxx 
bebendere I&strKaiestU usvi »wa>» »>s. <,*■.*. A v.* 
die Auswahl der **«• biete ^v»«^«t«. 
die von Strömen dorcbftossjeDeii sv*z*«-%*Aea w/.- ij, 
zu wählen, die morphologisch mtXnitt%iAtu iff.stM 
werden können. Für Europa bat der ivvdu«r i* omw 
Beziehung bereits Vorsetzt/» gemacht n*eb »r»4»r»ni Vfi- 
teilen Verbindungen angeknöpft Kr verwies di* 
logischen Landesanstalten und Fwcbereivereiue auf di***»i 
dankbaren Forschungszweig. — Nach einiget» Bei»«r- 
kungen des Prof. Brückner hierzu sprach scblieHteb 
Adjunkt 0. Breu Aber neue Beenf orsehungen in 
Bayern, unter anderem auch über den KinfluC der »üd- 
hayerischen Seen auf Gewitterbildung und -Verlauf. 

Hiermit wurde der XVI. Deutsche Geographentag 
geschlossen. Verwiesen sei noch auf die im Germa- 
nischen Museum veranstaltete historisch-geogra- 
phische Ausstellung. Sie bot die bekannton reichen 
Schatze des Museums an alten Karten, Globen und In- 
strumenten, sowie Sachen aus dem Nürnberger Königl. 
Arohiv, der Stadtbibliothek und der Erlanger Universi- 
tätsbibliothek. Als Führer stand ein umfangreicher 
Katalog zur Verfügung. Kg. 



Bücherscbau. 



Gerhardt» Iropatseheci, n» amuletorum apud antl- 
quot usu oapita duo. Dlssertatio Monast Greifs- 
wald 1907. 

Diese an sieb schon dankenswerte und notwendige Unter- 
suchung .Ober den Gebrauch von Amuletten im Altertum* 
gewinnt dadurch noch besonderen Wert, daß in ihr neben 
den ZeujfDiwen der alten Autoren vor allem die Zauberpapyri 
nutzbar gemacht sind. Der erste Teil, der mit den Amu- 
letten im allgemeinen sich befaßt, hat folgenden Inhalt: 
I. Die antiken Bezeichnungen für .Amulett , II. 1. Zweck 
der Amulette a) in der Magie, b) beim dauernden Gebrauch; 
9. Ursachen ihrer Wirksamkeit (das Amulett als Gott), III. 
Welche Dinge dienten zur Herstellung von Amuletten 1 1T. Ma- 
gisch« Worte, Formeln, Gebete (geschrieben und gesprochen) 
als Amulett, V. Uber die Art und Weise, wie die Amulette r»- 
l ragen wurden. Dasu wäre tu nehmen, was 8. IV über das 
Verschlacken van Amuletten gesagt ist. Als Anschluß dieses 
Teiles werden Beispiele darüber zusammengestellt, wie man 
im Altertum, besonders in den Kreisen der Gebildeten und 
Ärzte, über das Tragen solcher Schutzmittel dachte. Der 
zweite Teil behandelt speziell die Pflanzen, so weit sie als 
Amulette Anwendung fanden. Ks wird besonders ausgeführt, 
wie dabei der Gebrauch der Amulette in die Gebiete der 
Medizin und Volksmedizin hinübergreift. — Der Verfasser 
stellt das alles gründlich und umfassend dar, ohne jedoch, 
wie es bei solchen Forschungen so oft vorkommt, in Einzel- 
heiten und Übertreibungen zu verfallen. Er verarbeitet mit 
Recht zunächst das antike Material und sucht daraus ein 
klares Bild der Gebrauch« und Vorstellungen zu gewinnen. 
Dann aber geht er zeitlich und örtlich über die Grenzen der 
alten Kultur hinaus, indem er einerseits zeigt, wie die An- 
tike hier bisweilen durch das Mittelalter bis in unsere Zeit 
direkt fortwirkt, andererseits Parallelen aus den anderen 
Kulturen der Alten Welt (wie der ägyptischen, assyrischen 
und anderen), von den Naturvölkern und aus dem Aber- 
glauben der Oegenwart beibringt. Man sieht daraus, daB 
die Arbeit Kropatscbecks auch umgekehrt für Ethnographie 
und Volkskunde von Nutzen sein wird, zumal da die Schrift 
so klar und übersichtlich angelegt ist, daB man auch ohne 
Index sich über einzelne Fragen daraus gut unterrichten 
kann; die im zweiten Teil behandelten Pflanzen sind zudem 
alphabetisch geordnet Vielleicht wäre es noch möglich, von 
dem einen oder anderen Amulatt Herkunft. Entwicklung, 
Verbreitung und Ähnliches zu ermitteln. Eine Ent Wickelung 
der Amulette überhaupt deutet zwar der Verfasser (S. 35 f.) 
in den l'mrissen an, doch ohne irgend einen Beweis dafür 
vorzubringen. Aber solch« Fragen lassen sich eben aus d«r 
Literatur nur In geringem Maße beantworten; hier muB das 



archäologische und ethnographische Material (z. B. H. Scburtz, 
.Amulette und Zaubermittel*, Arch. f. Anthrop. XXII, 67) 
b*igezogen werden. Kropatscheck stellt denn auch eine Be- 
arbeitung der erhaltenen antiken Amulette in Aussicht; gut 
wäre es, wen» darin die besprochenen Objekte auch abgebildet 
würden, da das gerade in diesen Gebieten die Darstellung 
sehr viel einfacher und verständlicher macht. Es ist nur zu 
wünschen, daB der Verfasser seine erfolgreichen Studien fort- 
setzt. 

München. Albert Hartmann. 

0, N»Chod, Gesohtcbte von Japan. I. Bd., erstes Buch: 
Di« Urzeit (bis ft«S n. Chr.). XXIX u. 43« 8. (.Allgemeine 
Suateiigesehiehte*, herausgegeben von K. Lamprecht, I.) 
Gotha, Friedr. Andreas Perthes, 1900. 9 M. 
Es ist hier zum ersten Male der Versuch gemacht, in deut- 
scher Sprache eine umfassende kritische wissenschaftliche 
Geschichte Japans zu geben, und dieser Versuch ist als voll- 
kommen gelungen zu bezeichnen, wenigstens was den ersten 
bisher erschienenen Band betrifft, der die Urzeit bis zum 
Jahr 645 n. Chr. behandelt Wenn auch der Verfasser di« 
japanische Sprache und Schrift nicht beherrscht, so hat er 
doch unter Benutzung des zerstreuten und zahlreichen Ma- 
terials der bekannten Erforscher dieses Landes, wie Florenz, 
Chamberlain, Bein, Aston, der Wi**enschaft mit seinem Werke 
einen großen Dienst erwiesen. Die ungeheuren Schwierig- 
keiten, di« sich dem Europäer in der Erlernung japanischer 
Sprache und Schrift entgegenstellen und nur dem Fachkenner 
in ihrer ganzen Größe bekannt sind, würden die Aufguti«, 
die sich Nachod gestellt hat, beim Fehlen von Ubersetzungen 
japanischer, chinesischer und koreanischer Quellen unmöglich 
gemacht haben. Gerade die Zusammenfassung dieser Ar- 
beiten und ihre teilweise kritische Beleuchtung bilden das 
Verdienst Nachods. Jedem, auch dem, der die japanischen 
Verhaltnisse nicht kennt, muB das Werk höchst willkom- 
men sein. 

Um so unangenehmer wird es von den Japanern emp- 
funden werden, daraus zu entnehmen, wie die ihnen von 
Jugend an in den Schulen als Tatsachen hingestellten Er- 
zählungen über den Stammvater der kaiserlichen Dynastie. 
Jimmu, über die Kaiserin Juigo und überhaupt über die 
ersten sogenannten 17 Kaiser bis 899 n. Chr., also etwa bis 
zur Einführung der chinesischen Schrift, vor der Kritik in 
nicbU zerfallen. Diese Periode, .die balbhistorisehe Zeit*, 
bildet den zweiten Teil des Nachodschen Werks«. Die Ja- 
paner werden auch nicht davon erbaut sein, zu sehen, daB 
die Einführung der chinesischen Schrift und des Buddhisinua 
einer viel spateren Zeit angehört, als sie in den Schulen 



354 



staatlich belehrt werden. Oerade dies iit ein Verdienst der 
Kritik. Mit dem dritten Teile des ersten Bandet, „dem 
Ge*chlecbienrtaate (Uji- Verfassung)*, betritt Naehod den 
eigentlich historischen Boden, den er Ton allem sagenhaften 
Unkraut freihält, und auf dem er mit gewissenhafter Kritik 
die schon zahlreicheren wirklich historischen Früchte sammelt. 

Was den Inhalt des ersten Bandes anhebt, so gesellt sieb 
zu den schon erwähnten beiden Teilen ata erster Teil die Ein- 
leitung, die das Land Japan und das Volk der Japaner 
schildert unter Berücksichtigung der für die Urzeit notwendi- 
gen Rekonstruktionen; die Laodesverhiiltnfsse, die Rassefrage, 
die Ureinwohner, die AbstAmmutigstheorien uud die Ergeb- 
nisse der Ausgrabungen sind entsprechend gewürdigt. 

Im »weiten Teile, .dem halbhistnrischen Zeitalter", sind 
xKnächst die Quellen einer eingebenden und scharfsinnigen 
Kritik unterzogen, und zwar nicht nur die rein japanischen, 
sondern auch im speziellen neben anderen die koreanischen 
und chinesischen Quellen. Sodann weiden die Zustände in 
Staat, Religion, Bitten und Gebräuchen an der Hand dieser 
kritischen Betrachtungen zunächst im ciuzelnen und darauf 
zusammenhängend erörtert. 

D*r dritte Teil, den wir schon unter dem Titel .Ge- 
scblechierstaat (Cji-Verfassuog) 4 kennen, umfallt die Zeit von 
der Einführung der chinesischen Schrift bis zur Beendigung 
der Uji-Verfa**ung, die durch die Taikwa-Reform im Jahre 
645 n. Chr. abgeschafft wurde. Wenn auch die Zeit des 
Geschlechterstaates in seinen Anfängen weit früher zurück- 
liegt als die Ära der Einführung der chinesischen Schrift, 
d. b. der Beginn des 5. Jahrb., so ist die Wahl dieses Zeit- 
abschnittes aus den von Nachod angegebenen Gründen für 
zutreffend zu erachten- 

Die Schwierigkeiten, die sich dem Verfasser bei seiner 
Nichtkenntnl* japanischer Sprache und Schrift gerade für 
die späteren Zeiten bis zur Neuzeit entgcgenxtellen werden, 
sind nicht zu verkennen; aber nach dem, was der erste Band 
bietet, dürfte es ihm gelingen, auch sie zu überwinden. Im 
Interesse der gesamten gebildeten Welt wäre nur dringend 
zu wünschen, daß die anderen Bände nicht zu lange aur 
sich warten lassen. Gr. Crasselt. 



Prof. Dr. WetuKcheak, Grundzftge der Gesteinskunde. 
I. Teil: Allgemeine Gesteinskunde als Grundlage der Geo- 
logie, f. Aufl., VIII u. 228 8. Mit 100 Textflguren und 
sechs Tafeln. Freiburg l. Br-, HerderscheVerUg*handlu D g. 
I»06. 5,40 M. 

Ein vortreffliche» Werk, dessen erster hier vorliegen- 
der Teil in der Neuauflage reichliche Veränderungen und 
durch zahlreiche neu hinzugekommene Abbildungen and 
ausgezeichnete Tafeln von Strukturformen der Gesteine 
eine nennenswerte Bereicherung erfahren hat Für eine 
eventuell erscheinende dritte Auflage würden wir den Wunsch 
hegen, dafi das Historisch», das ist die Entwickelung der 
Gesteinskunde, etwas weiter ausgeführt werden mochte, und 
daß die den einzelnen Abschnitten vorausgesetzten Literatur- 
nngabon entweder erweitert werden oder aber ganz weg- 
bleiben mochten, da die Auswahl mitunter eigenartig zu 
nennen ist. Inhaltlich stellt das Werk indessen in jeder Be- 
ziehung etwas Ausgezeichnetes dar, weswegen wir es nur 
auf das wärmste empfehlen können. Walther v. KnebeL 



Prof. Dr. Alfred Forke, Die Völker Chinas. Vorträge, 
gehalten im Seminar für orientalische Sprachen in Berus. 
Berlin, Karl Curtius, l»U7. 1,50 M. 
Bei der Wichtigkeit, die Ghina für uns besitzt und auch 
iu der Zukunft haben wird, da die ostasiatische Frage noch 
lauge Zeit für Europa eine Rolle spielen wird, ist eine bessere 
Kenntnis der Bewohner Chinas, als sie allgemein vorhanden 
ist, sicher am Platze. Der Verfasser, der lange Jahre in 
China lebte uud jetzt Professor des Chinesischen in Berlin 
ist, orientiert in der vorliegenden Schrift kurz, aber gründ- 
lich. Nicht nur die eigentlichen Chinesen lernen wir kennen, 
sondern auch die kleineren dem grollen Reiohe angehörigen 
Völkerschaften, Miaotse, Lolo, Sehen, Singpo u. a.; aus- 
führlicher noch die Mandschu, die nun die Herrscher sind 
und deu Chinesen den Zopf brachten, die Mongolen, die 
Türktartaren und TilieUner. Die kleine Schrift ist eine 
Ethnographie Chinas in nuce. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck aar mit QtMiUexmngabe g.-i».»t«.i. 



— Eine neue Forschungsreise nach Island, für 
die die preußische Akademie der Wissenschaften die Mittel 
bewilligt hat, bat Ende Mai der Privatdozent an der Berliner 
Universität, Dr. Walther von Knebel, der schon 1905 
die Insel bereist hatte, angetreten. Für die ersten Tage 
sind Studien in den kleinen vulkanischen Distrikten des 
Ellida Vatn und des Thingvalla - Vatn geplant, dann will 
von Knebel auf dem bereits 1905 von ihm begangenen 
Wcgeüber den sogenannten Kiel (Kjalvegur), die eisfreie 
Fläche zwischen Langjökult und Hofujokull, nach Aknreyri 
und von da nach dem Mückensee (Myvatn) sich begeben. 
Hier wird die Expedition sich einige Tage der Untersuchung 
der sogenannten Vulkanreihe im Osten und Nordosten des 
Sees widmen. Vom Mückensee geht die Reise nach Süden 
an den Rand der großen Lavawüste Oditda-Hrauu und weiter 
sndoatwäru nach dem von Dyngju-Fjöll umsclilonsenen vul- 
kanischen Kessel der Axkja, der vermutlich eine große Cal- 
dera darstellt. Da» 1200 bis 1400 m hoch gelegene Gebiet 
der Askja ist noch so gut wie unerforscht; nur F. Johnstrup 
und Thoroddsen hatten dort jeder einige Tage sich aufge- 
balten. Die von Knebelsehe Expedition will auf die Erfor- 
schung der Askja zwei Monate verwenden. Da dort voll- 
ständige Vegetationslosigkeit herrscht, s» können die inländi- 
schen Pferde nicht zur Verwendung kommen. Sie sollen also 
nur die Ausrüstung Hilbringen, wieder zurückgeführt wer- 
den und dann die Expedition nach Beendigung ihrer Arlwit 
abholen. Von einem Standquartier aus soll das Askja(febiet 
zu Fuß durchstreift werden. Auch sind dort meteorologische 
Beobachtungen geplant; es liegen bisher aus den Hochflächen 
des Innern Inlands noch keine Beobaohtungsreihen vor, da 
noch niemals an unbewohnten Stellen fiir längere Zeit Sta- 
tionen bestanden haben. Nach Erledigung dieser Aufgaben 
im Askjagebiet will von Knebel zu Waw>er und vielleicht auch 
auf dem Landweife einige Vorstoße nach dem großen Glet- 
scherfelde des Vatua-Jokull unternehmen und eine zur Be- 
»leigutig geeignete Stelle ausfludig zu machen suchen. Diese 
Besteigung selbst »oll vornehmlich zwecks gteUcherkundlicber 
Forschungen eine Aufgabe einer neuen IslandroiBe von Kne- 
bels bilden, die bereit* für nächstes Jahr gesichert ist. Den 
Abschluß der diesjährigen Reise soll eine zweite Wanderung 



nach der Nordkiiste Islands vom Nordrande des Vatna- 
Jökull bilden, vorbei an dem noch unerforschten großen Ge- 
birgsstook Herdubreid nach dem schon 1805 durch von Kne- 
bel untersuchten Lavagebiet der Bveinagja und von da nach 
Westen zum Mückensee. 

— Die pflanzengeographischen Verhältnisse der 
Plattensee-Balatonsee-Gegcud, des größten Wasser- 
becken! Ungarns, sind iu jahrelanger Arbeit sorgsam unter- 
sucht uud von V. Borbas herausgegeben; die deutsche Aus- 
gahe ist von J. Bcrnatzky liesorgt. Der See ist im all- 
gemeinen dach, die wichtigste Pflanze ist das Kohr, Phragmites 
communis , Holzgewächse wie typische Bewohner salziger 
Gewässer fehlen; die allgemein verbreiteten Arten leben 
untergetaucht. Die durchscbnitUicbe Armut des Sees an 
Wasserpflanzen ist einesteils auf den herrschenden Wellen- 
schlag zurückzuführen, dann auf den Einfluß der Kultur; wo 
Herden Tag für Tag den Boden aufwühlen, wächst auf die 
Dauer keine Wa»«ei pflanze. Durch diesen Umstand, vielleicht 
im Verein mit dem ersten, ist das Waaser des Balatonsees in 
der Regel trübe; so stößt man bereits bei einer Tiefe von 
2,20 m auf die äußerste Grenze der Vegetation. Für die Flora 
kommt dann in Betracht, daß Gewässer unter Klimaten mit 
ausgesprochenen Trockenperioden eine starke periodische 
Schwankung erleiden; sie treten bald vom Ufer weit zurück, 
bald gibt ex Überwbweromunscn. Die Frage, ob die gegen- 
wärtig im Balatonsee vorkommende Vegetation ihren Ur- 
sprung in der Vegetation eines tertiären, hauptsächlich die 
Stelle des heutigen Balatonsees einnehmenden Salzwassers 
habe und somil der Balatonsee als ein Belikt des einstigen, 
die gegenwärtige Tiefregion Ungarns einnehmenden Meeres 
zu betrachten sei oder nicht, beantwortet Verfasser im zweiten 
Sinne. Wai die Vegetation des festen Landes betrifft, so 
bieten die höheren Dunen prägnante Bilder einer pontisch- 
danubialeu oder inittelungarischen Landnurvegetation. Im 
Vergleich mit der Sandvegetation der weißen Dünen an der 
Ontsee fällt ea vor allem auf, daß bochwachsende, ansehnlich 
belaubte Gräser mit großen, dichten Ähren fehlen, dagegen 
treten schwächer und uiedriger gebauto Arten mit kümmer 
liebem Laub uud dünnen geteilten Blüten- und FruchUtätidcn 



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Kleine Nachrichten. 365 



In den Vordergrund. Wichtig tat der Kalkgehalt du* Räude«; 
je nachdem kalkmeiiiemie oder kalk liebende Gewachst an- 
zutreffen lind. Den Basaltbergen am Ufer des Balatonsee* 
kann nach den bisherigen Erfahrungen keine besonder« eigen- 
tümliche Flora zugeschrieben werden, tie ist mit der de* 
Kalkes nahe verwandt. Man Yennag sie in Weidesteppe, 
Wald und spezielle Formation der fiasaltf eisen einzuteilen. 
Die erstem bietet nichts Besonderes. Im Walde ist ron dessen 
unterer Grenze bi* zu einer gewissen Höbe Quere ua sossili- 
flora ganz vorherrschend. Neben dem Eichwald kommt na- 
mentlich auf dem l'iateau de« Badacson und in dessen Sen- 
kungen der Buchenwald zur Ausbildung. Der Lößboden, be- 
sonders am südlichen Ende des Balatonsce« und weiter in 
dem Hinterland, trägt int allgemeinen eine recht reichliche 
Wald Vegetation, doch leidet die Physiognomie des Waldes 
bereits unter dem regelmäßigen Holzschlag und dadurch, daß 
er vielfach auch zur Heugewinnung oder gar als Weideplatz 
dienen muß. Unter Steppe hat man dort diejenige Formation 
zu verstehen, die im Bereich der Kegion des lanbabwerf en- 
den Eichenwaldes bei normalen Bodenverhältnissen überall 
da auftritt, wo die Vegetation vom Weidevieh weitgehend 
beeinflußt wird. Bei ungünstigen Bodenverhältnissen tritt die 
nachträgliche Wirkung des Bcweidens noch intensiver hervor, 
während namentlich bei Reichtum an Bodenwasser die Steppe 
viel von ihrem typischen Aussehen verliert. Bildet Dolomit 
den Untergrund, so ist in den Senkungen die Vegetation 
im Sommer grün und wiesenartig, auf den Erhebungen da- 
gegen graugrün uud dürftig. Von der Buderaiflora ist be- 
sonders Poa annua mit Ausnahme des Hochsommers stetig 
zu finden, Uordeum murinum, die Mäusegerste, erscheint im 
Frühjahr in dichten Basen, Polygonum aviculare und Lolium 
perenne herrschen namentlich auf lehmigem Boden; letztere 
stellt das Urbild einer echten Steppenpflanze vor, die alljähr- 
lich im Frühjahr uud Herbst grünt, um im dürren Hoch- 
sommer wie strengen Winter zu vergilben und zu verblassen, 
ohne ganzlich abzusterben. Auch die oftmals recht gemischte 
Flora der Weinberge bietet nicht wenig des Interessanten 
dar. Auch einige neue Arten konnten aus der Umgebung 
des Balatonsees beschrieben werden. 



— Die Eisverhältnisse der Elbe und ihrer Neben- 
flüsse untersuchte Max Thielemann, anch stellte er inter- 
essante Paralleleu mit anderen deutschen Strömen an. Im 
60jährigen Zeitraum zeigte sich im Winter 1864/65 am läng- 
sten eine Eisdecke, nämlich in Dresden 59, in Barby 80, in 
Magdeburg S4, in Hamburg 59 und in Halle-Trotha 87 Tage 
lang. Magdeburg und Hamburg konnten 1870/71 sogar bis 
60 und 8f» Tage Eisstand beobachten. Die mittlere Eisdaue r 
ist sowohl in der Elbe wie in ihren Nebenflüssen ziemlich 
einheitlich. Die geringste Eisdauer herrscht auf der Elbe im 
Mittellauf und den norddeutschen Nebenflüssen. Seit 181» 
hatte Magdeburg eine Eisdauer von 119 Tagen auf der Elbe. 
Das Eis pflegt sich stets an gewissen Stellen zu setzen, wenn 
es überhaupt zum EisstoO kommt Diese Stellen befinden 
sich zwischen Anßig und Leitmeritz, bei Schöna an dar 
»Aehiiaoh ■ böhmischen Grenze, unterhalb des Königateinea, 
unterhalb Meißen, oberhalb von Roßlau und im Tidegebiet, 
)>e«"nders an der Trennungsspitze bei Moorwerder. Das Eis 
kommt gewöhnlich auf der Elbe dort am ehesten in Be- 
wegung, wo es zuletzt zum Stehen kam. Der Eisgaug voll- 
zieht sich flußabwärts entgegengesetzt wie der Aufbau. Die 
Nebenflüsse im Flaeblande haben, mit Ausnahme der Havel, 
alle viel früher Eisgang als die Elbe selbst In Übereinstimmung 
mit den russischen Strömen fallen die kalten Perioden von 
1830 bis 1860 und die zu warmen Winter im Zeitraum von 
1860 bis 1880 auf. Es scheint neben diesen Klimaschwankun- 
gen, auf die ja bereits Brückner hingewiesen hat, wie die 
Höhe des Widerstandes der Elbe, so auch die Eisdauer im 
Laufe der Zeiten immer geringer geworden zu sein; die Ur- 
sache dürfte dafür in den Flußregulierungen zu suchen sein. 
Beim Vergleich mit den anderen deutschen Strömen ergibt 
»ich: Je weiter wir nach Osten kommen, desto eher tritt 
Treibeis auf, und um so länger ist die Eis- und Eisstoßdauer. 
Das euUpricbt der Temperaturverteilung. Die Elbe zeigt 
darum länger und mehr als die westdeutschen und weniger 
und kürzere Zeit als die ostdeutschen Ströme Eis. Am gün- 
stigsten ist, was die Kisverhältnisae anbelangt, der Rhein und 
die Donau, am schlechtesten die Weichsel gestellt. Die Elbe 
nimmt eine Mittelstellung ein. Ihre Schiffahrt liegt darum, 
durch die Eisverhältnisse gezwungen, viel länger als besonders 
um lihein brach. Das mag neben den geringen Waasermeii^ftn, 
unter denen die F.lbschiffabrt zu leiden hat, der hauptsäch- 
lichste Grund sein, warum sie trotz der günstigen l*ge ihrer 
Wasserstraßen bi« heute noch von der ltheinschifTaha an 
Große und Bedeutung übertreffen wird. Thielemann empfiehlt, 
da durch Flußregnlierung die Eisbildung und besonders die 



Ktsstände bedeutend vermindert und, mau mochte sagen, ver- 
hindert werden können, dieselbe dringend für unsere Elbe. 
Durchstiche und Einengungen, andererseits Erweiterungen 
des Flußbettes an geeigneten Stellen würden die Stoßgebiete 
sicher vielfach beseitigen. 

— Die Verkehrswege der Plußtnler um Münden 
geben Beruh. Uhl (Phil. Di**, von Halle, 1907) Gelegen- 
heit, ihren Einfluß auf Anlage und Kntwickelung der 
dortigen Siedelungen zu zeigen. Außerordentlich charak- 
teristisch prägen sieh, obwohl im kleinsten Maßstabe, die 
Verkehrsverhältnisse des Wesertales in den Grundrissen der 
Siedelungen aus. An Werra und Fnlda lassen sämtliche Sie- 
delnngen die Bedeutung der den Fluß kreuzenden Wege er- 
kennen, wir haben da eine Reihe fast reiner Furtsiedelungen ; 
an der Weser fehlt dagegen diese Form der reinen Ausbildung 
fast vollständig, trotzdem doch Immorhin Nebentaler, die zum 
Flusse hinführen, auf beiden Seiten vorhanden sind. Sämt- 
liche Stedelungen schließen sich ihren Grundrissen nach in 
erster Linie der Längsrichtung an, Gimte und Vaake sind 
fast reine Läugssiedelungeu. Zwei Parallelstraßen sind durch 
ganz kurze Querstraßen verbunden; im zweiten Orte zeigt 
sich erst neuerdings der Ansatz einer Querstraße, welcher 
über die zweite Längsstraße hinausgeht. Der stärkere Quer- 
verkehr hat bei Vackenhagen und Hameln die Ausbildung 
von Straßen auch in dieser Richtung im Gefolge gehabt, 
doch zeigen die Längslinien immerhin das Übergewicht. Sehr 
bezeichnend hat bei Hameln die Querept Wickelung genau an 
der Stelle der alten Furt des Hamelbaches angesetzt, ebenso 
wie die alte Kirche hinter dieser Stelle liegt Dem Wasser 
wenden alle die Siedelungen das Antlitz, dem Lande den 
Rücken zu. Der Bückgang der Schiffahrt und das Fehlen 
einer Eisenbahn haben dem Wesertal den früheren Verkehr 
zum Teil genommen. Die Industrie ist nicht lebensfähig ge- 
blieben, und die Einwohnerzahlen gehen durchschnittlich 
zurück. 



— Das Wahrsagen aus dem Schulterblatt eines 
Säugetieres, die Scapulimautia , ist der Gegenstand einer 
Abhandlung Prof. Andrees im „Boas Memorial Volume". 
Die Scapulimautia sucht die Zukuuft zu ergründen, wobei 
vorzugsweise das Schulterblatt eines Schafes verwendet wird. 
Rostet man diesen Knochen, so bekommt er Risse, aus deren 
Länge und Richtung die mit der Kunst vertrauten Personen 
— Priester sowohl wie Laien — ihre Schlüsse zogen. Die 
Bcapulimantia erinnert somit stark an die Chiromantie, das 
Wahrsagen aus den Linien der Hand. Andree ist der An- 
sicht, daß die Heimat der Bcapulimantia unter den nomadi- 
schen, viehzüchtenden Bewohnern Innerasiens, also in der 
Hauptsache bei den Mongolen, zu suchen ist Hier beschreibt 
sie bereits Rubruk aus der Mitte des 13. JahrhunderU vom 
Hofe des Mongolenkhans Mangu in Karakorum, und neuere 
Beob achter stellen fest, daß sie dort heute noch gerade so 
vorgenommen würde wie ehedem. Aua Innerasien hat sich 
die Sitte also verbreitet, wobei sich herausstellt, daß das in 
Ost— West-Richtung in weit größerem Maße geschehen ist als 
in Nord— Süd-Richtung. Andree verfolgt diese Verbreitung 
und bespricht die Variationen, die die Sitte auf ihren Wan- 
derungen erlitten hat. Wir erfahren zunächst von der Aus- 
bildung der Scapulimantia bei dan Kalmücken und von der 
Bedeutung, die die Hauptlinien des Schulterblattes hier haben. 
Die Kirgisen sind Mohammedaner, die Buräten am Baikalsee 
heute Buddhisten, aber beide Völker kennen die Scapulimantia. 
Tschuktschen und Korjäken ebenso. Diu mohammedanischen 
Sindh'und Belutschen haben das Schulterblatt in zwölf Ab- 
teilungen eingeteilt, deren jede ein bestimmtes Wahrsage- 
gebiet umfaßt Man denkt dabei an die zwölf Häuser des Tier- 
kreises, es ist hier also wohl eine Verbindung von Astrologie 
und Bcapulimantia eingetreten. Bekannt ist die Kunst weiter- 
hin bei Tscherkessen , Arabern, ja selbst in Marokko. Nach 
Europa kam sie woht mit den Völkerverschiebungen, die der 
Völkerwanderung vorausgingen. Die meisten Beispiele stam- 
men aus Sodosteuropa. Die mazedonischen Räuberbauden 
machen Scapulimantia , um zu erfahren , ob sie für Ihre Ge- 
fangenen Lösegeld bekommen werden oder nicht; in letzterem 
Falle ermorden sie sie. Die Sitte ist dann ans Korsika be- 
legt — ein Hirt soll auf diesem Wege Kapoleon die Lauf- 
bahn vorausgesagt haben — , aus Frankreich, Spanien, Litauen, 
Deutschland , hier jedoch nur aus dem späteren Mittelalter. 
Im ganzen sind die Zeugnisse aus Mitteleuropa spärlich. 
Reichlicher aus den britannischen Insoln, noch tief au« dem 
19. Jahrhundert. Also durch die ganze Alte Welt, von der 
Beringstraße bis Marokko, ist oder war die Scapulimantia 
verbreitet, doch scheint sie in Afrika, abgesehen von Nord- 
afrika, zu fehlen. Von Bedeutung ist aber vornehmlich, daß 
sie in Amerika fehlt; wenigstens besitzen wir keine sicheren 



356 



Nachrichten darüber. Dm Wahriagen dieser Art ist nach 
Andrea Dicht dorthin gelangt, .weil einmal die Viehzucht, 
mit welcher es Terknüpft ericheint, io Amerika nicht vor- 
handen war, und dann, weil ea wohl erat verhältnismäßig 
spät zu aeiner öetliehen Verbreitung bei Tschuktaohen und 
Korjaken gelangte und, sozusagen, noch nicht Zeit hatte, die 



— Von welch gewaltiger Auadehnung die Muschel- 
abfallhaufen an der atlantischen Külte der Ver- 
einigten Staaten, wie viele Geschlechter von Indianern 
an ihrer Aufhäufung im Verlaufe von vielen Jahrhunderten 
beteiligt waren, erfahren wir aui einer eingehenden Abhand- 
lung von W. H. Holmes im .American Anthropologist*, 
1907, B. IIS bla 138. Die Austern, Clammuscheln , Mi»«- 
muacheln und zahlreiche andere Muscheln, deren aufgehäuft« 
Kaita berghoch erseheinen, .sind oft von überraschender 
Großartigkeit*, wie Holmes achreibt Oft ziehen sie sieh 
viele englische Meilen lang an den Buchten und Küsten hin, 
dabei eine halbe Meile und mehr ins Innere reichend. An 
den Küsten von Maryland —Virginia bedecken sie über 
100000 Acres, und wo sie im Laufe der Zeit zersetzt sind, 
bilden sie außerordentlich fruchtbaren Boden; auoh haben 
sie unerschöpfliche Vorräte von gebranntem Kalk geliefert. 
Von den Popes Creek-Musehelhaufen in Maryland wurden zu 
diesem Zwecke allein SOOOOOKubikfuß Musehein fortgeführt. 
Schon ans diesem Umfange läßt sich auf das hohe Alter 
der Muschel berge schliefen; ein weiteres Zeugnis dafür ist, 
daß in ihnen infolge Veränderung der Flußläufe Erosionen 
stattfanden, ferner, daß manche Musehelu altere, nun va- 
riierte Formen aufweisen, als ihre heutigen Nachkommen. 
Auch Kulturunterschiede zwischen den älteren und jüngeren 
Schichten zeigen die menschlichen Artefakte der Muschel- 
häufen: Abwesenheit von Töpferei unten, reichliche Ver- 
tretung derselben oben; dazu die gewaltigen Eichen, die auf 
manchen von ihnen stehen und Alter ab die Zeit der Ent- 
deckung Amerikas sind. 

Die Gerate und Gebr»iiL'h*g«geri«tAn<le aus menschlichem 
Nachlasse deuten darauf hin, daO nur zeitweise, etwa nur in 
der Pischereisaison, die Musobelbaufen auch als Wohustätten 
dienten. Von Norden nach Süden, von Maine bis nach 
Mexiko hin, läßt sich in dem menschlichen Nachlasse auch 
eine Steigerung der Kultur wahrnehmen, rohes Geschirr im 
Norden, etwa* feineres in der Mitte, bis zu den bemalten 
keramischen Erzeugnissen am Golf von Mexiko. Das ent- 
spricht auch dem, was wir über die dort wohnenden Stamme 
zur Zeit der Entdeckung erfahren, und deren Vorfahren sind 
auch diejenigen, welehe die Muschelberge anhäuften; also 
im Norden namentlich Algonkinvölker, daran anschließend 
Irokesen nach Süden zn. Die in den Muschelhaufen gefun- 
denen und von Holmes naher beschriebenen und abgebilde- 
ten Gerate und Waffen sind ziemlich häufig, namentlich solche 
aus hartem Stein, und übereinstimmend mit jene«, die im 
Binnenlande als Indianernachlaß gefunden werden: Herd- 
steine, Koebsteiue, Mörser, Stampfer, Hammer, Äxte, Messer, 
Pfeil- und Lanzenspitzen, Schaber, Ahlen, Netzsenker, dazu 
rohes Töpfergesehirr , Tabakspfeifen usw. Auch einzelne 
Geräte aus Knochen sind gefunden worden, z. B. Ahlen aus 
Y'igelknochen. Auch menschliche Skelettrest« kommen vor, 
meist aber in einem so zerfallenen Zustande, daß über deren 
Bestattungsart sich nichts Näheres sagen laßt. 

— Auf interessante tiergeographische Fälle weist 
Th. Arldt in .Himmel und Erde*, 19. Jahrg., 1907, hin. 
8o gibt es einen Tapir in Malakka, Sumatra und lloroeo, 
die anderen fünf Arten sind im tropischen Südamerika ein- 
heimisch. Von den Kamelen treffen wir vier Spezies vom 
Ijama im Kordülerongebiet Südamerikas, echte Kamele aber 
in Iunerasien, von wo sie nach Vorderasien und Nordafrika 
durch den Menschen gelangten, ja bis nach Australien ein- 
geführt wurden. Ferner weist Arldt darauf hin, eiue wie 
auffällige Ähnlichkeit zwischen der Tierwelt von Westafrika 
und derjenigen der malaiischen Inseln bestehe. Viele Tiere 
dieser beiden weit getrennten Gebiete sind näher miteinander 
verwandt als die der dazwischen liegenden Länder Ostafrikas 
und Vorderindiens. Merkwürdig sind die verwandtschaft- 
lichen Beziehungen zwischen Ostasien und den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika, freilieh mehr in der Flora wie in 
der Fauna hervortretend. Wenn sich aber auch viele der 
Tierverbreitungen auf Orund der jetzigen Verbreitung von 
Land und Meer höchstens unter Annahme geringer Niveau- 
Schwankungen erklären lassen, so ist das doch nicht in allen 
Fällen möglich. Dieses gilt namentlich von den merkwürdi- 



gen Beziehungen zwischen Australien, Südamerika, Afrika 
und Madagaskar ^uer Uber^die^ südlichen ^Ozeane^ ton wrg. 

einfach und ungezwungen erklären, oftmals nur vermutungs- 
weise angeben. Nicht selten ist aber auch jede nur einiger- 
maßen sichere Erklärung unmöglich. So erinnert Arldt be- 
sonders an die niederen Tierklassen von hohem Alter, wie 
•die Skorpione und Würmer. Nach seiner Ansicht kann 
deren Verbreitung die Grundlage für die Rekonstruktion alter 
Festlinder in keiner Weise bilden, lie vermag letztere höch- 



— Einige Bemerkungen über fossile Dünen 
lieht G. Romer in den .Verhandlungen der k. k. geologi- 
schen Reichsanstalt*, 1907, nachdem Solger früher sie als 
Zeugen postglazialer Klimaschwankungen hingestellt hatte). 
Römers Ergebnisse stimmen insofern mit dessen Ansichten 
überein, als er für die Gestaltung der Dünenlandschaft die 
Mitwirkung der herrschenden Ostwinde annimmt. Solger 
macht aber die vorherrschende Windrichtung allein für die 
Ausbildung der iolisohen Formen verantwortlich, Romer hält 
diese neben den zur Talrichtung senkrechten Nebenwinden 
von untergeordneter Bedeutung, ja er vermutet sogar, daß 
die großen diluvialen Täler die Ursprungsstätte der Dünen- 
bitdung seien. Die Anschauung J. Walthers, daß alle Dünen- 
formen von der Bogendün« abgeleitet werden müssen, be- 
zweifelt Verfasser. Auf den Gegensatz zwischen Barchan 
und der hohen Düne wies bereits früher Muszketow hin, 
und Romer glaubt, dieser Gegensatz sei so groß wie der 
zwischen unseren Fluguindrliichen und Helden einerseits und 
zwischen den Dünen andererseits- Die im Grundriß gewalti- 
gen, durch ausgesprochene Kammbildung ausgezeichneten 
Dünen unseres Tieflandes können nur mißverständlich Bar- 
chane genannt werden. Ee sind eben unsere Dünen keines- 
wegs Bogendünen, sondern gebogene Dünen. Sehen wir nun 
in den gebogenen Dünen keine Barchane mehr, so können 
wir dieselben auch nicht als primäre Bildung ansehen; sind 
sie aber eine zusammengesetzte Erscheinung, dann ist kein 
Grund vorhanden, die Strichdänen und die gebogene Düne 
auf dieselbe Ursache bzw. dieselbe Windrichtung zurück - 



— F. Höck veröffentlicht in Petermanns Mitteilungen, 
53. Bd., 1907, den Versuch einer pf lanzengeographi- 
schen Umgrenzung und Einteilung Norddeutsch- 
lands. Das Hauptergebnis, besteht darin, daß Verfasser von 
Ostpreußen, besonder« «einem nördlichen Teile, nachweist, 
daß es ein entschiedenes Übergangsgel uet zu Osteuropa bil- 
det, wie denn des weiteren der übrige Teil Norddeuti 
einen großen Gegensatz zwischen dem pnanzenärzneren ' 
und dem pAanzenreicheren Osten zeigt. Die Elbe trennt so 
Deutschland in zwei ungleiche Teile, deren größerer nach 
Osten liegt. Schleswig-Holstein gehört aber trotzdem zum 
westlichen Abschnitt in seinem größeren Teile, während die 
Ostküste nach Osten gravitiert. Für die verschiedenartige 
Verteilung der Pilnuzenarten innerhalb Nurddeutachland.« sind 
vermutlich die Regenverbsitnime mehr bestimmend gewesen 
als die verschiedene Verteilung der Wärme. Im allgemeinen 
haben die Bodenverhältnisse die Verteilung mehr örtlich be- 
wirkt Dann ist die Verbreitung ganzer Genossenschaften 
wie auch einzelner Arten durch frühere Lebensbedingungen 
beeinflußt; das vielfach zu beobachtende Vordringen von 
Arten namentlich nach Westen hin in neuerer Zeit zeigt, 
daß durchaus noch nicht alle Arten das ganze Gebiet ein- 
nehmen, das sie bei den heutigen klimatischen Verhältnissen 



— Prof. Fr. Starr von der Universität Chicago ist kürz- 
lich von einer Reise aus dem Innern des Kongo- 
Staates zurookgekehrt, die ethnographischen Zwecken ge- 
widmet war und länger als ein Jahr dauerte; fünf Monate 
allein brachte er bei den Stämmen am oberen Kassai zu, wo 
der Bakubaort N dorn he sein Hauptquartier war. Von den 
in der dortigen Gegend vertretenen Bakuba, Baluba, Ballte 
und Hatua brachte er anthropologische Messungen und Vo- 
kabularien zurück. Starr fand, daß in künstlerischer Be- 
ziehung die Völker am Kaawi unter allen des Kongostaates 
voran stehen. In der Region zwischen Leopold ville und den 
Stenleyfällen des Kongo verweilte Starr fünf Monate. Die 
nach Chicago mitgebrachten ethnographischen Gegenstände 



nach Chicago mitgebrachten ethnographischen Gegenstände 
umfassen über 35uo Nummern; Starr nahm 700 Negative 
auf und maß über 900 Individuen. 



Singer. 



te. - Drask: Frledr.Vi.w.g .. Ssba, 



uigmzea Dy vji 



GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILEN". 

HERAVSGLÜI-DKX VON lt. SINGER UNTKR ULSONDERER MITWIRKUNG VON Trop. Dk. RICHARD ANDRER. 

VERLAG von FRIEDR. VIEWEG A SOHN 



Bd. XCI. Nr. 23. BRAUNSCHWEIG. ao. Juni 1907. 

KuMniek uat Buch Üb*rWokunlt all .ler Vrrlimahudloag gwtattet. 



Krankheit und Tod bei den südrussischen Juden. 

Von Dr. S. Wui Ben borg. Klisabethgrnd. 
Mit 8 Abbildungen. 



Trübt weuig angenehmer Verhältnisse, gedrückt und 
verfolgt von der Umwelt, in großem Elend und in Armut 
lebend, bfingt doch der südrussische Jude fest am I<ebon 
und sucht dieses für ihn scheinbar wertlose Gut mit 
allen ihm zugänglichen Mitteln zu erhalten. Wie sticht 
doch dies« Lebensliebe ab von der stillen Rosignation 
des im allgemeinen viel glücklicheren Hussen dem Tode 
gegenüber! Dabei i»t aber der Kusse mehr abergläubisch 
nnd von dem Nutzen der wissenschaftlichen Medizin 
weniger überzeugt als der Jude. Während die Behand- 
luug des Russen in Krankheitsfällen noch fast ganz und 
gar in den Händen verschiedener alter Weiber und der- 
gleichen zweifelhafter Heilkünstler ruht, konsultiert der 
Jude den Arzt schon bin der geringfügigsten Angelegen- 
heit. Dabei spielt selbstverständlich eine gewisse Rolle 
die Tatsache, daÜ die Juden in überwältigender Zahl 



Juden dieselben Talismane uud Amulette ') . die die 
russische Bevölkerung gebraucht, und die manchmal so- 
gar aus christlichen Glaubensformeln oder Glaubens- 
artikeln bestehen. Zur zweiten Art gehören verschiedene 
kabbalistische Amulette in hebräischer oder jüdisch- 
deutscher Sprache, sowie auch andere Anhängsel, die 
vom Wunderrabbi oder sonst einem Kundigen empfohlen 
werden. Dabei herrscht der Glaube, daß die Christen 
durch die bösen, die Juden aber durch die guten Geistor 
Eiutluß auf die Krankheit gewinnen können. 

Aber nicht nnr unter den Heilfaktoren, sondern im 
ganzen, Krankheit und Tod umfassenden Gebiete hat 
sich noch genügend Aberglaube erhalten. So wird die 
Entstehung der Krankheit häufig dem bösen 
Dlick, euphemistisch „a git Oig" genannt, zugeschrieben. 
Dessen Wirkung äußert sich in häufigem Gähnen und 




Abb. l. Ein Amulett 



Städter sind; aber auch der Dorfjudo steht bezüglich des 
Kulturbositzcs bedeutend höher als der Bauer. Während 
der Bauer krankheitshalber das Dorf nur in verzweifelten 
Fällen verläßt, versäumt der Dorfjndo nie die Gelegen- 
heit, einen städtischen Arzt aufzusuchen. Diese fast 
krankhafte Sorge um soiue Gesundheit ist es aber auch, 
die den Juden bei chronischen Fällen und nicht selteu 
auch sonnt veranlaßt, nicht nur verschwenderisch ärzt- 
liche Hilfe zu suchen, sondern auch zu verschiedenen 
abergläubischen Handlungen seine Zuflucht zu nehmen. 
DieBe sind zweierlei Art. Erstens Bolche, die von der 
russischen Bevölkerung geübt werden, und zweitens 
solche, die nur den Juden eigentümlich sind. Zu den 
ersteren gehören verschiedene Besprechungen und Ver- 
wünschungen, die von sogenannten „Sprecherinnen" 
unter verschiedenen magischen Handlungen ausgeführt 
wordun. Diese Sprecherinnen sind fast immer alte 
liussinnen, nnd wenn auch manchmal sich eine Jüdin 
damit beschäftigt, So sind dio ßespruchungsforiuelu 
russisch ; auf sie können wir im Rahmen dieses Themas 
nicht eingehen, da sie in das eigentliche Gebiet der 
russischen Volkskunde gehören. Auch sieht man bei 

Ololxi» XCI. Nr 2.1- 



kann durch mehrmaliges Ausspucken dem weggehenden 
unfreundlichen Gaste gleich hinterher verhindert werden 
oder auch dadurch, daß ihm hinterwärts oder ebenfalln 
beim Verlassen des Hause» Feigen gezeigt werden. Um 
*ich dem bösen Blick nicht auszusetzen, wird ängstlich, 
hauptsächlich vor übel beleumundeten Nachbarn ver- 
mieden, den Gesundheitszustand, insbesondere den von 
Kindern, zu loben. Im Gaspräche mit Leuten, von denen 
bekannt ist, daß sie ein schiechtes Auge haben, werden 
sogar Krankheiten erdichtet , um sie irrezuführen. Als 
probatestes Mittel gegen „a git Oig" gilt das Besprechen. 

Der unter den Juden sehr verbreitete Kopfgrind, 
Favus, wird in scherzhafter Weise einem lapsus linguae 
eines Litwaks zugeschrieben ; es ist dies ein litauischer 
Jude, und zwischen ihm und dem südrussiseben herrscht 
ein ewiger Antagonismus. Der Kopfgrind ist in Litauen 
am meisten verbreitet und heißt dort Koltun. Nun soll 
ein litauischer Jude in der Mitternacht gegen Tischa be 
Ab (Tag der Tenipelzcrstorung) , wenn sich der Himmel 



'\ S. VViß'-iibi-rir, KüJrussim-ln- ArnulfU*. Verh. iL H>rl. 
»iithr. ü.-s. 1»»7, 8. 3H7. 



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358 



Dr. S. Weißenberg: Krankheit und Tod bei den südrussischen Juden. 



■paltet und jedem Juden seine Hitte gewährt wird, an- 
statt „Kol toiw" (alles Gute) „ Kolton " gebeten haben. 

Die Entstehung von Epidemien, insbesondere unter 
Kindern, schreibt mau nicht «ölten dem schlechten Lebens- 
wandel irgend eines Geineindetnitgliedcs zu. Man sucht 
in solchen Fällen den Schuldigen herauszufinden und 
ihn zur Änderung seines Lebenswandels zu veranlassen. 
Große Volksepidemien , Cholera z. D., sind Folgen der 
Sündhaftigkeit und der Mißachtung der alten Gebote 
durch die Mehrzahl des Volkes. In solchen Tagen wird 
zur Reue gemahnt und spezielle Fasttage werden auf- 
erlegt. Andererseits herrscht alter die Sitte, sich nicht 
kleinmütig der allgemeinen Angst und Verlorenheit zu 
orgeben. Man muntert sich gegenseitig auf, man kneipt 
gehörig und sucht auf diese Weise der infolge schlechter 
sanitärer Zustände und Armut nicht selten trostlosen 
Lage Herr zu werden. Vielleicht spielt dabei auch eine 
gewisse Rolle die Absicht, den Todesengol durch Ah- 



gorie gehören Wolfszähne, Nadoln in Päckchen u. dgl. 
Prophylaktische sowie heilende Wirkung haben solche 
Gegenstände, deren Eigenschaften vom Standpunkte der 
Volkslogik mit dem krankhaften Prozeß in irgend eine 
Beziehung zu bringen sind. So werden bei Zahn- 
schmerzen eiserne Fingerringe, aus einem gefundenen 
Hufeisen hergestellt, getragen, wohl um den Zahn fest 
wie Eisen zu machen. Hauptsächlich herrscht hier der 
Grundsatz similia similibus. Gegen Ohrensausen 
werden (sausende) Muscheln und gegen Schwindel 
(Schwindel machende) Kristallgläser getragen. Ein roter 
Faden oberhalb der betroffenen Stelle verhindert das 
Fortachreiten des Rotlaufes, und Gegenstände aus Gold 
in Form von mehreren Armbändern sind gut gegen 
Gelb. nicht (nehmen das Gelb des Körpers auf?). Mäd- 
chen, die an Bleichsucht leiden, umhängt man mit 
Korallenhalsbändern, wohl in der Meinung, ihnen da- 
durch zu Blutreichtum zu verhelfen. Gegen Wasser- 





AbK 'J. Erinnerung»- und Erkennungszeichen. 



Wesenheit der Trauer irrezuleiten, wovou wir noch weiter 
unten Beispiele sehen werden. In diesen Gedankengang 
gehurt vielleicht auch die seltsame Sitte, während einer 
grassierenden Epidemie auf dem Friedhofe selbst eine 
Hochzeit zu feiern. Solche Hochzeiten wurden noch in 
Menge während der letzten Choleracpidemie (1892 bis 
1893) in den kleinen Städtchen und Marktflecken ver- 
anstaltet. Gewöhnlich sind es arme verlassene Waisen 
oder Krüppel, die man in solchen Fällen unter den Bal- 
dachin führt, wobei die Gemeinde oder einzelne Wohl- 
täter für Aussteuerung und Hinrichtung der Neu- 
vermählten sorgen. 

In das Gebiet der Prophylaktik gehören die meisten 
Amulette. Hier schaut deutlich die Absicht durch, 
diu verxchiedeneu bösen, Krankheit bringenden Geister 
einfach zu verscheuchen, entweder durch stark riechende 
Stoffe oder durch Schrecken erregende Gegenstände oder 
endlich durch eine Gebetformel. So hängt man um den 
Hals der Kinder während einer Scharlach-, Dipbthcritis- 
oder irgend einer anderen Epidemie Säckchen mit 
Knoblauch. Pfeffer, Nelken u.dgl. Dies tun übrigens 
auch manche ängstliche Krwachsene. Zur zweiten Kate- 



sucht hilft eine Spinne in einer Nußschale um den » 
Hals getragen, weil die Spinne, wie mir die Trägerin er- 
klärte, saugt und so das überflüssige Wasser aussaugen 
kann. Ein Päckchen stark duftender Gräser ist gut 
gegen Erbrechen und andere Magenleiden (Appetit 
erregend ?). 

Nicht immer läßt eich aber der Gedankengang beim 
Gebrauch eines Amulettes verfolgen. So sind Mäuse- 
augen ein gewöhnlicher Bestandteil vieler Amulette: 
gegen Fieber trägt man Erdpäckchen ; schwächliche 
oder lange ersehnte Knalien werden mit Ohrringen ver- 
sehen. 

Das Arsenal der Heilmittel und -methoden ist 
nicht besonders groß. Fallsüchtige dürfen während 
des An Talles nicht beunruhigt werden, man deckt sie 
gewöhnlich mit einer schwarzen Decke oder einem Gebet- 
ruantel zu. Dieses unheilbare Leiden verschallt den 
unglücklichen Müttern viel Kummer, und sie beruhigen 
sich nicht eher, bis auch alles Übernatürliche erprobt ist. 
Helfen die heimischen Hcilkünstlcr nicht, so wird ein 
berülunter kurpfuschender Tatare, und möge er noch so 
weit wohnen, aufgesucht. Dasselbe geschieht auch bei 



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Dr. S. WeiQenberg: Krankheit und Tod bei den siidrussitchen Juden. 



psychischen Störungen . deren Träger erst dann in 
ein Krankenbaus kommen, wenn sie schon von allen 
möglichen „Sprechern" malträtiert worden sind. Bei 
Hexenschuß hilft folgendes: Man legt eich auf eine 
Türschwelle mit dem Gesicht nach unten und läßt das 
älteste Kind über den Körper schreiten, wobei es mit 
einem Fuße auf dal Kreuz treten muß; auf der anderen 
Seite angelangt, spucktus mehrmals aus. hin Überbein 
liiüt man täglich von dem Ältesten Sohn mit den Zähnen 
beißen und ist hoch erfreut, wenn diese eigentlich ratio- 
nelle Behandlung zum Ziele fuhrt. In hartnäckigen 
Fällen wird diese Geschwulst mit der Hand eines Toten 
bestrichen. Letzteres hilft auch bei vielen anderen Ge- 
schwülsten, bei Rheumatismus, und soll auch den Huckel 
gerade machen. Hier spielt wahrscheinlich der Gedanke 
eine Rolle, daß dem Verstorbenen eine überflüssige Krank- 
heit wohl nicht schaden könne, weshalb man sie ihm 
ruhig aufbürden darf, was in dem Ausdrucke „der Tote 



hohlen klarlegt. Es ist eine verschnörkelte Inschrift auf 
einem Papierstreifen, die aber nicht selten sich entziffern 
läßt, Die in Abb. 1 wiedergegebene lautet in Jüdisch- 
Deutsch : „Chaja-Rejsl (Frauenname) bass (Tochter von) 
Lea is nitn in der Hejm (ist nicht zu Hause)'. Dieser 
Papierstreifen wird zu einem Dreieck gefaltet und um 
den Habi gehängt. 

Wird es dem Kranken schlimmer und schlimmer, so 
läßt man im Rethaus von alten frommen Leuton ent- 
sprechende Psalmen lesen. Auch wendet man sich um 
Beistand zu den verstorbenen Verwandten, deren irdi- 
scher Lebenswandel ohne Makel war; man besucht ihre 
Gräber und fleht die Toten um Verwendung beim All- 
mächtigen, zu dem sie doch direkten Zutritt haben. 

Nicht selten wird auch zur Rettung eines Schwer- 
kranken „das Feld (Friedhof l gemessen", wobei ein dem 
Umfange des Friedhofes entsprechend langes Stück Zeug 
gekauft und an die Armen oder an ein Krankenhaus 





Abb. 3. ' jüdischer Friedhof, SUdrnßland. 



nimmt die Krankheit mit" klar zutage tritt Plötzliches 
schmerzhaftes Schluchzen ist ein Zeichen dafür, daß 
vom Betroffenen irgendwo gesprochen wird. Man legt 
die Hand auf eine Augenbraue und nennt die Namen 
der guten Freunde. Sobald der Schuldige genannt wird, 
hört das Schluchzen auf. Bei Schwindsucht wird 
nicht selten Frauenmilch gebraucht, auch erlauben sich 
diu Kranken das sonst so verpönte Schweinefleisch und 
-fett. Lehm mit Harn vermischt ist gut gegen Furun- 
kulosis. Bei Kkzem hilft Ruß von einem Lehmtopfe. 

Schwerkranken wird in deutlicher Absicht, den bösen 
Geist oder den Todesengel irrezuführen, der Name ge- 
ändert, wobei die neuen Namen irgendwelche Anspie- 
lungen auf den Lebensprozeß in sich tragen. So lauten 
die bezüglichen männlichen Namen Chajiiu (Leben), 
Alter, und die weiblichen Chaja (Leben), Alte, Babe 
(Großmutter). Die Namensänderung geschieht in der 
Synagoge unter entsprechendem Gebet und im Beisein 
eines Miujaus I 10 Männer). Genest der Kranke, so be- 
hält er den neuen Namen , während der wirkliche ver- 
heimlicht wird. Fin auderes Mittel, den Kranken zn 
retten, ist ein Amulett, das die obige Absicht ganz unver- 



versrhenkt wird. Dies geschieht vielleicht unter der 
Idee, den Kranken dem Tode abzukaufen *). 

F- ist ein sehr verbreiteter Glaube, daß man dun 
Sterbenden durch hart:; und Geschrei dem Tode abringen 
kann, weshalb die Anwesenden in einem ihrer Meinung 
noch kritischen Augenblicke einen Höllenlärm machen. 
Kommt der Kranke zu sich und reugiert darauf mit 
Fragen oder dergleichen, so ist man von der beabsich- 
tigten Wirkung des Lärmes überzeugt. Mun nennt das 
„viu'ui Toit upschreien, upriefen". Viele sind aber da- 
gegen und halten ein solches Benehmen für sündhaft, 
da es die Seelenpein hier zu Krdeu nur verlängert. 

Das Sterben auf einem eisernen Bett verursacht 
dem Sterbenden viele Qualen ; es soll die Agonie ver- 
längern , weshalb der Sterbende gewöhnlich in ein Holz- 
bett gelegt wird. Dasselbe gilt von Hühnerfedern, 
weshalb die Juden für die Kissen Gänsefedern gebrauchen. 
Im allgemeinen vermeidet man aber ängstlich, den Ster- 



') B. WeiBenberg, Die Test- und F*ntU|r» der Süd- 
ru»*i*rhi-ii Juden, fllnbus, IM. BT. — Dn» Feld - und das 
Kejwermesseu. Mitt. zur jiid. Volkskunde IVO«, tj. 39. 

46* 



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StiO l>r. S. WuiDciiborg: Krankheit und 



banden anzurühren, um nicht in Verdacht zu kommen, | 
den Tod verursacht zu haben. 

Hin fallender Stern kündigt den Tod irgend eines 
Erdenbargers an. 

Soliald der Tod eingetreten ist, werden dem Toten 
die Augen zugedrückt, man zündet mehrere Lichter an, 
und alle Spiegel im Hause werden verhängt. In drei 
Nachbarhäusern jederseits wird daa Wasser ausgegossen, 
damit der Todoso n gel darin sein Schwert nicht ab- 
waschen kann. Es herrscht der (ilaube, daß der Tote, 
solange er nicht begraben ist, von allem um ihn Vor- 
gäbenden Kenntnis hat, nur ist er, wegen des Stillstandes 
der Leibesfunktionen, nicht imstande, darauf zu rea- 
gieren. 

Von diesem Glauben ausgebend, suchen die Um- 
gebenden auf den Toten möglichst Rücksicht zu nehmen, 
um ihn nicht zu boschainen, mewajesch stellen. Es wird 
infolgedessen das Gesiebt des Verblichenen mit einem 
Tuche zugedeckt, damit er nicht vor dun Unschicklich- 
keiten der Umgebenden zu erröten brauche. Da der 
Verstorbene daran nicht teilnehmen kann, darf im 
Aufbahrungsziiumcr weder gegossen noch „gelorut" 
werden, denn es war die größte Beleidigung für einen 
Juden von ehemals, ihn nicht zu Tische zu laden, und 
eine Schande für ihn, beim Lernen teilnahmslos zu bleiben. 

Früher hatte jede Stadt ihre „heilige Brüderschaft" 
(Chebhruh kadischnh), deren Mitglieder verpflichtet waren, 
die Beerdigung zu besorgen. Jetzt hat sich dieser Brauch 
nur in den kleinen Stadtchen erhalten, während in den 
größeren der Friedhof und so das Beerdigungsgcscbäft 
in das Verwaltungsgebiet des Vorstandes der Ilaupt- 
synugoge gehört. Hier möchte ich einen ganz unver- 
dienterweise viel geschmähten Brauch erwähnen. Stirbt 
nämlich jemand aus einer vermögenden Familie, so wird 
zur Beerdigung erst dann geschritten, wenn die Familie 
einen gewissen Beitrag für Wohltätigkeitszwecke zu- 
gesichert hat. Die Höhe dieses Beitrages wird von der 
Gemeinde bestimmt und ist dem Wohltätigkeitssinn des 
Verstorbenen oder der Hinterbliebenen umgekehrt pro- 
portional: je besser dor Leumund der Familie, desto J 
weniger wird gewöhnlich gefordert. Stirbt ein reicher 
Familienvater, der sein Loben lang nichts für dio Armen 
und für die Gemeinde getan bat. so wird er nicht unter 
einigen tausend Rubel beerdigt. Eh wäre aber fabch, 
diese Abrechnung mit dem Toten als Erpressung zu 
deuten ; denn die Motive für solche Handlung sind eigent- 
lich höchst lobenswerter Natur. Es ist eine Art Selbst- 
wohr einer in ihren sozialen und kulturellen Einrich- 
tungen sich selbst überlassenen Gemeinschaft. Denn 
dort, wo dio Regierung sich um einen gewissen ßevölke- 
rungsteil nicht kümmert und ihn sich selbgt überläßt, 
ist ein gedeihliches Fortkommen dieses Teiles nur dann 
möglich, wenn die Reichen sich um dio Wohlfahrt des- 
selben kümmern. Tun sie es nicht , so sündigen sio an 
dor Gemeinschaft , und Schuld fordert Sühne. Leider 
kann jetzt die jüdische Gemeinde ihre antisozialen und 
antinationalen Mitglieder nur nach dem Tode strafen, 
und die Gerechtigkeit fordert zti sagen , daß sio nur 
selten in dieser Beziehung ihre Prärogative mißbraucht. 

Nach Eintritt des Todes kommen entweder die Mit- 
glieder der heiligen Brüderschuft oder eigens dazu be- 
stellte Diener, um den Toten zu reinigen, metaher «ein. 
Bevor man zu seiner Reinigung schreitet, wird beim 
Verstorbenen um Vergebung geboten, dann wird die 
Leiche entkleidet und auf den Boden, auf den man etwas 
Stroh -treut, golegt. Dies nennt mau „upkejbcn", und 
duruu teilzunehmen wird als gute Tat angerechnet. Die 
nackte Leiche wird mit einem Tuch zugedeckt. Die an- 
kommenden Verwandten und Freunde zünden immer 



Tod boi dou südrussischen Juden. 

neue Lichter an, mit denen sie die Leiche umgeben. So 
bleibt der Leichnam, bis zu seiner Reinigung, „Tabarah", 
geschritteu wird. Die eigentlichen Reinigungszeremo- 
nien bestehen darin , daß zuerst der Magen und die Ge- 
därme durch Brücken auf die entsprechenden Gegenden 
von ihrem Inhalt befreit werden. Dann wird die Leiche 
auf eine ilolzbank gebracht und mit warmem Wasser 
gewaschon, wobei sio nicht mit dem Gesicht nach unten 
gedreht werden darf, da diese Lage für den Toten be- 
schämend ist. Man wäscht also zuerst den Vorderteil, 
dann wird die Leiche abwechselnd auf die eine und die 
andere Seite gebracht und der Rücken gewaschen. Nach- 
her wird die Leiche aufgerichtet und mit reinem Wasser 
übergössen, wobei dreimal „tob-oir" (rein) gesagt wird. 
Darauf wird die Leiche abgetrocknet, dann werden ihr 
Brust und Bauch mit einem Ki eingerieben, und endlich 
wird zur Bekleidung geschritten. 

Die Totenkleider heißen Tachrichitn. Es ist eine 
Schande und zugleich ein Unglück, in fremden Tachrichitn 
begraben zu sein. Deshalb ist es Sitte, wenigstens das 
Oberkleid schon in jungen Jahren anfertigen tu lassen, 
was besonders goru alleinstehende Personen, z. B. Wit- 
wen, tun, die nicht sicher sind, im höheren Alter da« 
nötige Gold ersparen zu können, und nicht den Kindern 
diese weitere Last auferlegen wollen. Die Manner er- 
halten den Kittel als Hochzeitsgeschenk von ihren Bräuten 
und tragen ihn zur Trauung, sowie während des Passah- 
abends und des Versöhnungstages. Beim Zuschneiden 
der Totenkleider wird wieder um Verzeihung gebeten. 
„Tnchrichim soll man dir nähen!" ist ein fürchterlich« 
Much. Für dio Totenkleider wird ausschließlich weitie 
Leinwand gebraucht. Zu unterst kommt eiu Hemd, de«jen 
Ärmel oberhalb der Handgelenke geschnürt werden. 
Dann kommen breite und lange Hosen, die unterhalb der 
Sohlen zugenäht werden. Darauf wird der oben ge- 
nannte Kittel angezogen, der die Form eines Schlaf- 
rockes mit breitem Kragen und laugen Ärmeln, die die 
Hände ganz zudecken , bat. Um den Kittel wird ein 
Gurt geschlagen, dessen Enden nach der Knotung drei- 
mal um sich gedreht uud dann beiderseits unter den 
Gurt geschoben worden-, dies zu vollziehen gilt als gute 
Tat, weshalb viele danach streben. Damit der Unter- 
kiefer nicht herabhänge, wird er mit einem Bande, l'od- 
borodnitza (Unterkieferband) genannt, an den Kopf fest- 
gebunden. Soweit ist kein Unterschied zwischen Mann 
und Weib, der erst bei der Kopfbedeckung eintritt. Die 
männliche Kopfbedeckung besteht einfach aus einem 
tiofou Hute, der bis an dio Schultern reicht und den 
Kopf mit dem Gesichte zudeckt. Viel verwickelter ist 
die Kopfbedeckung boi der Frau. Zuerst wird ihr Basr 
mit einer Haube, Kupka, festgebunden, worauf vorn der 
handtuchartige Schlier kommt, dessen Mitto an die 
Haube angeheftet und dor um das Gesicht ausgebreitet 
wird; die langen Enden des Schleiers werden hinter den 
Gurt gesteckt; um den Schleier wird oudtich noch ein 
Stirnbaad, das Bawolnitza (?) heißt, gebunden. Mädchen 
werden noch außerdem mit einem rosa Stirnband ge- 
ziert. Männer nicht unter 1* Jahren werden in einen 
Gebetmantel oberhalb des Kittels gehüllt. Auch wird 
eiu „Krdsäckele" angefertigt, das auf dem Friedhofe mit 
Erde gefüllt und als Kopfkissen dient. Ist die Leiche 
angekleidet, so wird bei ihr wieder um Vergebung g*" 
beten. Zurückbleibende Fetzen , besonders wenn der 
Verstorbene eine ältere Person war, werden von Mütter* 
erhandelt , dio „zitterige" (kränkliche) Kinder haben. 
Aus diesen Fetzen worden verschiedene Kleidungsstück» 
für *ie angefertigt oder ausgebessert und getragen. 
Pazu sind übrigens auch dio Taburotichlech. die z' ,nl 
Abwuschen dor Leiche dienten, gut. 



Dr. S. Weißenhcrg: Krankheit und Tod bei den audr nssiache n Juden. 



361 



SÜrbt eine Schwangere, so darf sie nicht mit 
dar Frucht begraben werden. Zar Fruchtabtreibang 
dienen warme Bader und Maiwage. Verzögert eich die 
Gebort, so flüstert der Gatte oder eine Freundin der 
Toten mehrmals ins Ohr: „Me bejt dech, gib das Kind." 
Erst nach dem Fruchtabgange wird zur Reinigung ge- 
schritten. Eine Schwangere bekommt außer den oben 
genannten Kleidungsstücken noch oberhalb der Hosen 
einen Unterrock. Auch wird der Rang der Hebamme 
nach dem Tode dnrch eine Schürze hervorgehoben. 
Weibliche Leichen werden selbstverständlich von Frauen 
zugerichtet und angekleidet. 

Erst in letzter Zeit ist die Sitte aufgekommen, den 
Leichnam schon zu Hause in einen Sarg zn legen, was 
übrigens des Kostenpunktes wegen sich nur reichere 
Leute gestatten können. Bei den ärmeren wird die 
Leiche in ein schwarzes Tuch gohüllt und in einem 
ebenfalls schwarzen gedeckten Wagen transportiert. 
Früher war es allgemeine Sitte, daß die in scbwarses 
Tuch gehüllte Leiche an zwei Stangen gebunden und so 
bis zum Friedhofe getragen wurde. Hier kamen die 
Wagen erat seit der letzten Choleraepidemie , vor etwa 
15 Jahren, auf; sie waren damals ron der Polizei an- 
geordnet worden. Früher war es auch Sitte, Kinder-, 
besonders Saugliugsleichon, in ihren Wiegen zum Fried- 
hofe zu tragen und die leeren Wiegen auf dem Grabo 
zu hinterlassen. Diese Wiegen wurden dann nicht selten 
von anderen Müttern geholt, im Glauben, daß darin ihre 
kranken Kinder den sie meidenden , gesund machenden 
Schlaf finden würden. 

Die Beerdigung findet gewöhnlich am Sterbetage 
statt, sonst ist die Seele unruhig, auch ist es dem Toten 
unangenehm, unter den Lobenden zu weilen. Muß aber 
die Leiche übernachten, so werden im Nebenzimmer ent- 
sprochende Psalmen gesagt. Falls zwei I /eichen da sind, 
so wird der weiblichen der Vorzug gegeben und sie 
früher beerdigt, da die Frauen schneller der Fäulnis 
verfallen sollen; sonst wird die Reihenfolge nicht durch- 
brochen. Ein geöffnetes Grab darf nicht über Nacht 
leer stehen bleiben. Je häufiger der Tote genannt wird, 
desto heilbringender ist es für seine Seele. Man sucht 
deshalb seine Lieben näher an dem Eingange des Fried- 
hofes zu begruben, von der richtigen Voraussetzung aus- 
gehend, daß niemand den Eingang meiden kann, und so 
häufiger die Gelegenheit gegeben ist, beim Lesen der 
Grabsteine den Namen des Verstorbenen zu nennen. Es 
wird vermieden, zwei Feinde im (.oben nebeneinander 
zu beerdigen. 

Bei einem Leichenbegängnis darf die einmal 
zurückgelegte Strecke nicht zum zweiten Male betreten 
werden. Damit muß gerechnet werdon, wenn z. B. die 
Synagoge, in die besonders vornehme Verstorbene ge- 
tragen werden, abseits vom Wege liegt. In solchen 
Fällen wird die Leiche auf irgend einem Umwege dahin 
getragen, um durch die nächste Straße weitergeleitet zu 
werden. Auch wird es vermieden, wahrscheinlich um 
unliebsamen Zusammenstößen aus dem Wege zu gehen, 
während eines LeicrinübB^iingnisses an einer Kirche vor- 
bei zu kommen, weshalb die nächste Seitengasse gewählt 
wird. Gewöhnlich gehen dem l-eichenzuge einige Diener 
mit Büchsen voran , die Geld für Wohltätigkeitszwecke 
einsammeln, wobei sie laut ausrufen: „Zdokoh tazil 
mimowes — Wohltätigkeit rettet vom Tode!" 

Seltsam ist die Sitte, wonach die verstorbene Mutter 
von ihren Söhnen nicht nur getragen werden darf, son- 
dern eigentlich getragen werden muß, während beim 
Tode des Vaters die Söhne am Leichenbegängnis gar 
nicht teilnehmen dürfen und gewöhnlich zum Friedhofe 
auf irgend einem Umwege vorausfahren. Diese Sitte 

üluhu. X*!l. St. IS. 



wird vom Volke so gedeutet, daß die Mutter ihre Kinder 
kennt, was aber vom Vater nicht immer gesagt werdon 
kann. Frauen durften früher an einem I,eicbenlwgäi>g- 
nis überhaupt nicht teilnehmen, da Bie beim Weinen 
und Jammern rote Wangen bekommen, wodurch sie bei 
den Männern Gelüste erwecken konnten: „Die Klippes 
(böse Geister) spiegeln sech in sej 1 " — sagt das Volk, 
eine Ansicht, für die schon im Talmud ein Anhalt da ist 

Auf dem Friedhofe angelangt, wird der Leichnam in 
einem speziell dazu dienenden Zimmer auf einen Tiacb hin- 
gelegt, bis das Grab fertiggestellt ist Diese Zeit wird 
dazu benutzt, einige Gebete zu verrichten und wieder 
um Vergebung zu bitten. Während des letzten Ganges 
vom obengenannten Zimmer bis zum Grabe wird sieben- 
mal angehalten bei lautem Vorlesen von Psalm 91. Die 
Leichen werden mit dem Kopfe nach Westen gebettet. 
Da, wie schon gesagt, die Leiche gewöhnlich ohne Sarg 
transportiert wird, so wird sie erst im Grabe von Brettern 
umgeben, aber nur an den Seiten und oben. Bei Be- 
erdigung in einem Sarge werden in dessen Boden einige 
Löcher durchgebohrt, damit die I«eiche näher an die 
Erde kommt und schneller verwest , was besser für die 
Seele sei. Andererseits herrscht aber auch der Glaube, 
daß Erde aus dem heiligen Lande die Leiche vor Ver- 
wesung schützen kann. Es ist deshalb der heißest« 
Wunsch manches Juden , das Kopfkissen mit solcher 
Erde füllen und mit ihr im Grabe bestreut werden zu 
können. Palästinapilger bringen zu solchem Behufe für 
sich und ihre Freunde etwas Erde mit. Interessant ist 
auch der andere Brauch , der mit Palästina zusammen- 
hängt Dem Toten werden nämlich in die Hände Stück- 
chen Holz, Gejpelech (Gabeln) genannt, gedrückt, die 
ihm bei der Auferstehung das unterirdische Wandorn 
nach dem heiligen Lande erleichtern sollen. Auch werden 
auf die Augen, die im Leben unersättlich waren, Scherben 
gelegt Früher zerbrach man auch die Stangen , an die 
der Leichnam gebunden war, und warf sie ins Grab, da- 
mit nichts an den Tod erinnere in Erfüllung von Jesaja 
25, 8: „Er läßt aufhören den Tod für immer." 

Ist das Grab zugeschüttet, so wird von den nächsten 
Verwandten Kadisch gesagt und zum letzten Male um 
Vergebung gebeten. Diese Bitte, Mechilah genannt 
wird gewöhnlich von einem der Bediensteten im jüdischen 
Jargon laut vorgetragen und lautet etwa folgender- 
maßen: „Herr X, deine Frau bittet um Vergebung, deine 
Kiuder bitten . . ., deine Brüder bitten . . . (usw. bis alle 
anwesenden Verwandten genannt sind). Alle deine gite 
Freind bebten dech Module; wus sej bobn getun, ia alles 
vio dein Kuwed (Ehre) wejgen in efscher (vielleicht) 
hobn sej welcheB getun nit be-Kuwed , bejten sej alle, 
sollst sej moichel san iu san far sej a giter Bejter, sej 
solin schon san babit vin Zaar (Unglück) in der Toit 
soll varderben wern oif ejbig!" Aus dem mehrmaligen 
Vortrage dieser Vergehungshitte im Laufe der Beerdi- 
gungszereraonien erhellt, daß ihr eine besondere Wichtig- 
keit beigelegt wird, was darin seinen Grund hat, daß 
nach dem die Massen beherrschenden Glauben die Ver- 
gehen gegen Gott am Versöhnungstage gesühnt, wäh- 
rend die Vergehen gegen den Menschen nur durch per- 
sönliche Abbitte wieder gut gemacht werden können. 

Ein schrecklicher Fluch lautet: „Man soll dir eine 
schwarze rhipe (Trauhiminel) stellen!" — im Sinne von: 
Du mögest als Braut bzw. Bräutigam sterben! Man er- 
zählt, daß in früheren Jahren in solchen Füllen ein 
schwarzes Tuch über dem Grabe ausgebreitet wurde, je- 
doch erinnert sich hier niemand, einer solchen Zeremonie 
beigewohnt zu haben. Viele erklären diesen Much als 
einfache Hyperbel, was aber nicht ganz zuzugeben ist; 
denn etwas Greifbares steckt wohl in allen, auch in den 

47 



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362 Dr. 8. WoiJJenWrir: Krankheit und 



unscheinbarsten Redensarten. Dafür spricht auch der 
Brauch, daß am Graba einer Verlobten ton einem nahen 
Verwandten gesagt wird: „Vergebt euch einander, da 
biet Dicht sein, und er ist nicht dein." Ähnliche» ge- 
schieht auch am Grabe eines Bräutigams. Übrigens 
sagt auch der Diener am Grabe eines jeglichen Verheira- 
teten , sioh an den Toten wendend , wenn es z. B. ein 
Gatte ist: „Du bist nicht mehr der Gatte deiner Frau, 
und sie ist nicht deine Gattin." 

Hin alter Brauch ist os in Israel, daß die erste Mahl- 
zeit für die Leidtragenden von ihren Freunden zubereitet 
und ins Haus gebracht wird. Jeremia (16, 7) klagt 
schon: „Man wird den Leidtragenden nicht Brot bei der 
Trauer brechen, um sie au trösten über den Toten, und 
nicht zu trinken geben den Becher des Trostes um Vater 
und um Mutter." Jetzt trägt aber dieser Brauch einen 
ganz anderen Charakter; denn nicht der Troüt ist hier 
die Hauptsache, und nicht Wein wird den Hinterbliebenen 
gereicht, sondern runde Gegenstände, gewöhnlich ge- 
kochte Eier und Beugel, die an die Nichtigkeit und Eitel- 
keit alles Weltlichen erinnern sollen. Denn kein Erden- 
glück ist sicher, und der Tod ist wie ein rollendes Rad 
und trifft jeden der Reihe nach. Diese Eßwaren werden 
Ton irgend einem Freunde zubereitet und bei der Rück- 
kehr der Leidtragenden ihnen vorgesetzt. Übrigens wird 
dii'so Sitte auch dadurch motiviert, daß die Trauernden 
selbst vielleicht nicht in der Lage sein werden, für «ich 
etwas zuzubereiten, weshalb ihre Freunde für sie sorgen 
müssen. 

Am BeerdigungHta^u beten die Söhne ohne Tephilin 
(Gebetriemen) ; denn die Tephilin .»anen a Ziering (Zie- 
rat) far a Jiden", und ein solches darf doch am ersten 
Trauertage nicht getragen werden. Die ersten sieben 
Tage nach der Beerdigung, den Sabbat ausgenommen, 
bringen die nächsten Verwandten barfuß am Boden oder 
auf niedrigen Schemeln sitzend zu — „echiwoh (sieben) 
sitzen". Die ersten drei Tage werden als tiefste Trauer- 
tage betrachtet, weshalb an ihnen die Leidtragenden von 
niemand gestört werden dürfen; dagegen wird es als 
gute Tat angesehen, sie an den folgenden Tagen zu be- 
suchen und zu trösten: Nichum abbelim. Beim Kommen 
werden die Leidtragenden nicht gegrüßt, beim Gehen 
sagt man: „Seid bebitt vin Zaar (Unglück)!" Der gute 
Ton fordert, während des Beaoches die Vorzüge des Ver- 
storbenen zu preisen. Während dieser sieben Tage be- 
schäftigen sich die Hinterbliebenen hauptsächlich damit, 
daß sie die Bücher Hiob, Jeremia u. dgl. lesen, sowie 
regelmäßig beten und Kadisch sprechen , zu welchem 
Zwecke sich zu bestimmter Zeit nicht weniger als zehn 
Männer versammeln. Auch wird nicht selten im Hause 
des Verstorbenen Mischnah und Talmud gelernt, welche 
Übungen dazu dienen, der Seele den Kampf im Jenseits 
zu erleichtern. Die Leidtragenden dürfen aber im all- 
gemeinen nicht vergessen, daß das Leben zum Genüsse 
desselben gegeben worden ist, weshalb Weinen und 
Jammern nur an den ersten drei Tagen zulässig sind, 
während nachher ein übermäßiges Klagen als Sünde be- 
trachtet wird. Tränen helfen dem Toten nicht, während 
sie dem Lebenden schaden können. 

Es herrscht der Glaube, daß die Seele dos Ver- 
storbenen während der ersten sieben Tage in der Luft 
kreist und häutig in sein Haus zurückkehrt. Ali« ihr 
Symbol brennt deshalb während dieser Zeit im Sterbe- 
hause ein Liebt, und damit die Seele bei ihren Besuchen 
sich reinigen kann, setzt man am Fenster, durch das die 
Seele gewöhnlich hereinfliegt, ein Glas mit Wasser hin 
und legt dabei einen von den Sterbekleidern zurück- 
gebliebenen Leinenluppen. 

Etwa um zehn Uhr morgens des siebenten Tage* 



Tod bei den (nidrusaischoa Juden. 

endigt das Schiwohaitzeu, man „stejht if Schiwoh", und 
man geht die „Nesobume (Seele) balejten (begleiten)". 
Meistens gebt man eine kurze Stracke vom Hauso in der 
Richtung zum Friedhofe hin und kehrt durch eine andere 
Straße zurück. Manche, hauptsächlich Frauen, gehen 
aber auf den Friedhof, wo sie am Grabe sagen: „N. N. 
is gekimtnen deine hejlige Neschume zi balejten, hejt far 
ihn in far ins alle, wir sollen schoin mehr ken Zaar nit 
bubn." Auf den Ort, wo man die sieben Trauertage zu- 
gebracht bat, wird ein Stein gelegt, zum Zeichen dafür, 
daß dieser Ort einem solchen Zwecke nicht mehr dienen 
soll. Die eigentliche tiefe Trauer dauert aber bis zum 
dreißigsten Tage, Schloischim, bis wann das Sterbezimmer 
unaufgeräumt gelassen wird. 

Der Sterbetag der Eltern wird hoch gehalten , nicht 
selten erinnern an ihn besondere Sterbetafeln an der 
Wand. An diesem Tage, der Jahrzeit heißt, werden 
Almosen verteilt und Kerzen an die Synagoge geschenkt, 
auch wird das Grab besucht und öffentlich in der Syn- 
agoge Kadisch gesprochen. 

Kehren wir nun znm Toten zurück. Sobald das Grab 
zugeschüttet ist, erscheint vor dem Toten der Engel den 
Toten reich es , Dumoh (Ruhe, Stille), und fragt ihn nach 
seinem Namen und seinen Taten. Hat der Tote seinen 
Namen nicht vergessen, so gilt er als Gerechtor und ge- 
langt direkt ins Paradies. Um den eigenen Namen zum 
Gerichtstage, Joim ha-Din, sich einzuschärfen, ist es Sitte, 
tagtäglich während dos Gebetes einen Bibelvers vorzu- 
lesen, dessen Anfangs- und Endbuchstaben mit denen 
des Eigennamen» übereinstimmen. Solche Verse werden 
in manchen Gebetbüchern parallel mit dem betreffenden 
Namen angeführt, und es genügt dem Todesengel, wenn 
er anstatt des Namens diesen Vers hört Kann sich aber 
der Tot« nicht ausweisen, so beginnen für ihn gleich die 
schrecklichsten Todesqualen, Chibut ha-Kebher. Der 
Todesengol schlägt den Toten mit einer eisernen Rute, 
wovon die Leiche in mehrere Stücke zerfüllt, oder die 
Wände des GrabeB nähern sich einander und zerdrücken 
die Leiche. Daun erscheinen andere Engel, sammeln die 
einzelnen Stücke zusammen und bringen den Toten vor 
das Gericht dos Allmächtigen. Die Gerichtsverhandlungen 
dauern ein J»br und finden im Beisein der guten Engel 
und des Satans statt. An manchen Orten herrscht des- 
halb die Sitte , die Verstorbenen während de» ersten 
Jahres nach dem Tode weder in Notfällen um Beistand 
zu bitten, noch überhaupt ihre Gräber zu besuchen, ds 
sie während dieser Zeit selbst in Untersuchung stehen 
und deshalb anderen keine Hilfe leisten können. Nur 
wer im Monate Nissan stirbt, ist von allen Todesqualen 
frei und gelangt direkt ins Paradies. 

Dio Strafe hängt selbstverständlich von dorn Lebens- 
wandel hier auf Erden ab. Jedoch sind auch die schlimm- 
sten Missetäter am Sabbat von jeder Strafe frei, und alle 
Höllenbewohner werden auf den ganzen Sabbat in die 
Vorhalle des Paradieses hineingelassen, die sie aber beim 
Sabbatausgang wieder verlassen müssen. Besonders 
fromme Juden suchen deshalb ihr Schlußgebet, Maaribb. 
am Sabbatausgang so spät als möglich zu verrichten, 
um den armen Sündern ihren kurzen Aufenthalt im Para- 
diese nach Möglichkeit zu verlängern. 

Es ist ein verbreiteter Aberglaube, daß die Toten 
sich allnächtlich in der Hauptsynegoge des Ortes zum 
Gebete versammeln. Wer nachts beim Vorübergehen dort 
seinen Namen nennen hört, der wird im Laufe des Jahre» 
sterben. Bevor der Synagogen diener früh morgens die 
Synagogo öffnet, klopft er dreimal mit dem Schlüssel an 
die Tür, um die Toten zu benachrichtigen, daß der Tag 
schon angebrochen ist, weshalb es Zeit sei, die Synagoge 
zu verlassen. 



Otto Schell: Abwehrzauber im bergischen Haute. 3C3 



Zum Sohluß noch einige« aber den Friedhof und 
den darauf bezüglichen Aberglauben. Der Friedhof wird 
euphemistisch im Jargon „der gute Ort", „der heilige 
Ort", „das Feld" und im Hebräischen „das Lebenshaue", 
„das Weltenhaus", „das Gräberhaus 41 genannt. Obgleich 
die Vorstellungen Tom Jenseits beinahe materieller Natur 
sind nnd der Jude mit seinen toten Ahnen in standigem 
Verkehr steht, werden doch die Friedhöfe nichts weniger 
als gut gehalten. Es herrscht auf den Friedhöfen ge- 
wöhnlich weder Ordnung noch Reinlichkeit, geschweige 
denn, duß von irgend welchen Verschönerungen die Rede 
ist Der Schönheitssinn fehlt dem Joden im Leben wie 
nach dem Tode. Wie sollte er auch dazu hinter den 
Ghettomauern gelaugenl Aber abgesehen von diesen 
Äußerlichkeiten nnd trotz dieser scheinbaren Vernach- 
lässigung ist der Tote dem Juden der beste Berater, 
wenn es gilt, ein neues Unternehmen zu beginnen oder 
ein Kind zu verheiraten; auch ist der Tote der beste 
Fürsprecher vor dem Allmächtigen in allen Unglücks- 
fällen und Krankheiten. 

hl« ist eine heilige Pflicht der Hinterbliebenen , „den 
Kejwer (Grab) zäumen", d. b. irgend ein Merkzeichen 
auf dem Grabe zu errichten, und zwar fordert die Sitte, 
daß das Grabmal im Lanfe des ersten Jahres nach dem 
Tode aufgeführt werde. Hier sind es gewöhnlich eichene 
Häuschen verschiedener Form, die über dem Grabe auf- 
gebaut werden und an deren einer Seite die zugehörige 
Inschrift, gewöhnlich auf Eisenblech gemalt, angeschlagen 
ist. Obgleich diese Häuschen sowie ihre Inschriften leicht 
vergänglich sind, so bilden sie doch die große Mehrzahl, 
da sie bedeutend billiger sind als die Steingrabmüler. 
Abb. 2 zeigt eine große Reihe solcher Häuschen von ver- 
schiedener Größe und Form. Die meisten dieser Häuschen 
haben über der Inschrift einen Ausschnitt, in den beim 
Besuche der Gräber etwas Gras gesteckt (s. mittleres 
Häusschen) oder sonst ein Gegenstand geworfen wird 
unter den Worten : „Da hast du ein /eichen, daß ich bei 
dir war." Bei Abwesenheit eines I<oches oder auch sonst 
werden diese Erinnerungszeichen auf das Häuschen selbst 
gelegt und dienen dann nicht selten dank ihrer gewissen 
Form oder Zahl als Erkennungszeichen der Gräber, was 
bei vernachlässigten Gräbern oder für des Hebräischen 
unkundige Frauen notwendig ist. Abb. 8 zeigt eine 
Gruppe solcher Gräber mit Erinner ungs- und Er- 
kennungszeichen aus dem ältesten Teile des hiesigen 
Friedhofes. In der Mitte ist eine Blechkanne und ein 
Deckel, beide mit Steinchen gefüllt, zu sehen; links liegen 
zwei Steine von etwa Faustgröße und ein Holzstück, 
während rechts ein sehr großer Stein liegt. Bei letzterem 
hat wohl das Krkennungsmotiv dem der Erinnerung vor- 

') Jüdische Merkwürdigkeiten. 



geherrscht Diese Sitte scheint sehr alt zu sein. So sagt 
Schudt s ) : „Auf den aufgerichteten Grabsteinen zu Frank- 
furt liegen obenauf zwei, drei, auch bis aehn oder «wölf 
kleine Steine von der Gassen, dessen mir kein Jud, 
deren ich viel gefragt, eine tüchtige Antwort geben 
können oder wollen." Auch kann man dergleichen nach 
Andree 4 ) auf dem alten Prager Friedhofe beobachten. 
Ee sind aber keine Opfergaben, keine Zeichen der Ver- 
ehrung für die Dahingeschiedenen, wie Andree in Paral- 
lele mit einem allgemein verbreiteten Völkerbrauoh will, 
sondern in erster Linie Erinnerungszeichen an den Ver- 
kehr mit dem Toten. Wie wir einem Freunde bei passen- 
der Gelegenheit etwas hinterlassen mit der Inschrift: 
„Zur Erinnerung an N. N.," so legt die Jüdin, nachdem 
sie ihre Bitte dem Verstorbenen vorgetragen hat, das 
Steinchen hin mit den Worten: „Ot (hier) lejg ich dir 
a Ssiinen (Zeichen), as ich bin ba dir gewejn." 

Vor dem Verlassen des Friedhofes wirft man etwas 
Gras oder was sonst in die Hand kommt über die Sobul- 
ter und sagt den Vers (Gen. 3, 19): „Von Staub bist du 
und zum Staube kehrst du zurück." Beim Verlassen 
werdeu die Hände gewaschen , wozu immer Wasser und 
Handtuch von einem der Diener angeboten werden. 

Die Friedhöfe werden gewöhnlich besucht wahrend 
des ganzen Monats Elul vor dem Neujahrsfeste, in den 
zehn Bußetagen zwischen Neujahrsfest und Versöhnungs- 
tag und am Tage der Zerstörung Jerusalems, an dem die 
Gräber mit Knoblauch beworfen werden. WiihreuJ eines 
Feiertages darf man den Friedhof nicht besuchen, um 
die Toten nicht zu stören, denn „s'is Jontew (Feiertag) 
ba die Mejssim (Toten)". 

Nachts darf weder von Toten noch vom Friedhofe 
erzählt oder gesprochen werden; geschieht das aber, so 
wird hinzugefügt: „Nit akegen Nacht dermahnendig." 

Ein neuer Friedhof darf nur dann angelegt worden, 
wonn dor alte ganz ausgenutzt ist Bei der Einweihung 
wird der neue Friedhof siebenmal unter Rezitation ent- 
sprechender Psalmen umgangon. Man muß suchen, die 
Benutzung des neuen Friedhofes mit einem Greise zu 
beginnen. Auch ist es gut, seine Eröffnung an einem 
Tage, wo zufällig mehrere Leichen zu beerdigen sind, zu 
vollziehen, damit ein alleinstehendes Grab nicht unlieb- 
same, zweideutige Gerüchte erwecke ; denn einsam werden 
nur Verbrecher nnd Selbstmörder beerdigt Liegt der 
neue Friedhof in der Nähe des noch nicht ganz aus- 
genutzten alten, so dürfen die für ihn bestimmten Leichen 
nicht am alten vorbeigetragen werden, was eine Beleidi- 
gung für den jeweiligen Toten wäre, indem dies so ge- 
deutet werdeu könnte, daß der Verstorbene nicht ver- 
dient habe, auf dem alten Friedhofe begraben zu sein. 

') Zur Volkskunde der Juden. 



Abwehrzauber am bergischen Hause. 

Von Otto Schell. Elberfeld. 



(Sehl 

Der Pferdeschädel spielt ferner eine bedeutsame 
Rolle. In der Gegend von Remlingrade sollen heute 
noch viele Bauern einen Pferdeschädel im Giebel ihres 
Hauses aufbewahren, um namentlich dem Vieh Schutz 
zu gewähren' 1 ). Im Jahre 1870 oder 1871 eiferte der 
dortige Prediger gegen diesen Glauben und Brauch, und 
mancher Bauer ging in sieb und warf den Schädel aus 
dem Hause. Mancher holte ihu aber nach einiger Zeit 

»>) Vgl. Zeiuchr. d. Ver. f. Volkskunde, Bd. XII, S. 11», 
■J78, 3«« f. 



uß.) 

wieder zurück, weil sein Vieh angeblich von Kranklieit 
befallen wurde oder gar verendete; denn der Unheil 
abwehrende und darum Segen bringende Pferdeschädel 
fehlte in dem Hanse, darum bekamen die bösen Geister 
Macht über das Vieh und behexten es. Die Gegend von 
Remlingrade ist noch heute als „Hexenland" verschrien. 
Montanus**) teilt mit, daß man öfter einen Pferdekopf 
über der Tür der Viehställe, unter der Hausschwelle und 
im Gesimse der Gebäude finde. Auch im First der Häuser 



-) Die deutschen Volksfeste, 8. 161 «. 



17" 



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3C4 



Otto Schell: Abwehrzauber am bergisehen II:« ur- 



bei Hückeswagen *») bewahrte man noch vor kurzem 
Pferdeschäde) auf. Man hoffte dadurch dem Hause Glück 
zu sichern. Noch im Jahre 18!»5 befand sich in dem 
First eines Gebäudes zu Katern in der Bürgermeisterei 
Hückeswagen ein Pferdeschädel. Kuhn (Westfäl. Sagen, 
Bd. II, 8. 60, 130), E. H. Meyer (Germ. Mytho)., S. 69, 
106), Montanus (Volksfeste, a. v. O.) , Liebrecht (Zur 
Volkskunde, S. 249) fassen im Grunde diesen im Hause 
aufbewahrten Schädel in demselben Sinne auf. Es ist 
ein Abwehrzauber, der im Glauben unseres Volkes noch 
deutlich durcbklingt s "). Reste und Überbleibsel, ge- 
wissermaßen Erinnerungszeichen ursprünglicher Üpfer 
dürfen wir kaum darin erblicken 3 -'). Auch Lipperts 40 ) 
Auffassung, in dieseu Schädeln noch lebendig wirksame 
oder von einem persönlichen Geiste besessen gedachte 
„Wächter" zu sehen, dürfte abzuweisen sein 41 )- Aber 
der Pferdekopf auf der Nuidstango darf hier wohl zum 
Vergleich angezogen werden 4 *). 

Die hölzernen Pferduköpfe auf der Giebelfirst der 
Bauernhäuser sollen uns hier nur ganz vorübergehend 
beschäftigen. Auch ihnen wohnt nach dem Glauben des 
Volkes abwehrkräftiger Zauber inne. Einer Angabe (irre 
ich nicht , von Montanus) zufolge Bullten solche vordem 
an einem Bauernhause in Odenholl bei Hückeswagen 



Kommt schon hier der Satz pars pro toto zur Gel- 
tung, so noch vielmehr bezüglich des Hufeisens und 
seiner Anwendung als Abwehrzauber. Auch im Bergi- 
schen ist diese bekannt (Andree, Ethnogr. Parallelen, 



Man findet das Hufe 



namentlich an Toren 



Türen und Türschwellen angebracht und zwar so, daß 
das offene Ende nach unten gekehrt ist. An dem Tür- 
pfosten eines im 18. Jahrhundert erbauten Hauses zu 
Dierath bei Burschoid fand sich die Form eines Hufeisens 
eingebrannt, also nur noch ein Symbol. 

Die abwehrende Zauberkraft des Pferdes, von dem 
das Hufeisen als Teil aufgefaßt werden darf, verbindet 
sich im Hufeisen mit der schützenden und abwehrenden 
Kraft des Stahles und Eisens *•). Dem aufgenagelten 
oder eingebrannten Hufeisen schrieb das bergische Volk 
Schutzkraft gegen böse Geister und Feuerabrünst« zu. 

Bisher völlig unbeachtet, gewiß mit Unrecht, blieb 
beim Abwehrzauber die Form des Balkenwerkes, ungleich 
inniger mit dem Hause verbunden als beispielsweise der 
Pferdescbädel. Hier möchten wir vor allen Dingen eines 
Gjehelschniuckes gedenken, des sogenannten Hörner- 
ay mbols 4 "). 0. Gruner bringt in seiner Arbeit „Hau« 
und Hof im sächsischen Dorfe" (Sächsische Volkskunde! 
zwei Abbildungen von solchen, ebenfalls im Fachwerke 





Abb. l. HSrnersymbole an 

a VolDKrh.uM!,,. t und c [iefakai 



vorhanden gewesen sein. Eingehenden Untersuchungen 
zufolge darf behauptet werden , daß Bolche wohl niemals 
im Bergischen, auch nicht in Odenholl, vorhanden ge- 
wesen sind. Daß diese geschnitzten Pferdekopfe mut- 
maßlich als Ersatz dieneu , gibt unter anderem auch 
E. II. Meyer 4 ») in bedingtem Maße zu mit folgenden 
Worten: „Ob aber die hölzernen Pferdeköpfe am Giebel 
deutscher, namentlich niederdeutscher Bauernhäuser die 
Symbole sogenannter Sonnenrosse (Chr. Petersen, Pferde- 
köpfe, 1860), oder Ersatz der Häupter von Opfertieren 
(W. Jahn, 1). O. 23), oder die Räder und Scheiben über 
deren Tür Sonneubilder "seien (E. II. Meyer, Kolands- 
programm der Hauptschule zu Bremen. 1868), ist un- 
sicher." Und an anderer Stelle (Germ. Mythol., S. 106) 
bemerkt Meyer ($ 135, 141): „Wie Drachen- und Sticr- 
köpfe wehren Pferdeköpfe Unheil ab, sind daher in natura 
oder geschnitzt ülter dem Stall, unterm Kopfkissen, auf 
dem Dache usw. angebracht 44 )." 

"•") Voßuack und «'zarnowsky. Der Krei« Lennep, 8. 126. 

Sart.iri, Hauopfer, 8. 41. 
") Jahn, Dir deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau 
uml Viehzucht. S. 1K ff. 

"") Christentum, Volksglaube usw., 8. 4r.a f. 
*') Snrti.ri, BniKipfer, 8 4U. 41. 

*') Weinhold, Altnordisches Leben, 8. 298. Keitscbr. d. 
Ver. f. Volkskunde, IM. XII, S. H84. 
") Germ. Mythologie, S. 

") Tgl. dazu Keitaebr.d. Vi r. f. Volkskunde, Hd. X.S SM. 
Andree, Ethnogr. Parallelen. 8. 12S. 



des Giebels dargestellt Im MergiRchen tritt das Hörner- 
symbol überall auf; ich führe nur wenige Beispiele au: 
Ein Haus an der Kirche in Wülfrath; ein Haus an der 
Brücke in Leichlingen; Häuser in Wiehl, Dattenfeld, 
Windeck. Heiligenhaus (Kettwigerstraße), Groß-Berren- 
berg bei Gummersbach usw. Ich gebe einige verschieden- 
artige Darstellungen. Dieses Motiv ist sehr stark variiert 
worden (vgl. die Abbildungen la bis e). 

Welche Hedeutung hat dieses Hörnersymbol? Ein 
rein dekorativer Zweck erscheint wenigstens in ursprüng- 
licher Zeit ausgeschlossen. Sollte es den Sichelmond 
durstellen 47 )? Ein Gegenstück dazu dürften in diesem 
Fallo die noch zu erwähnenden Voll-, Halb- und Viertel- 
sonnen bilden. Ausgeschlossen wäre es nicht, daß dieses 
Hörnersymbol — als Symbol dürfen wir es wohl unbe- 
denklich ansprechen — eine Nachbildung deR sächsischen 
(aber auch sonst vorkommenden) Giebelschmuckes in 
der Eorm von l'ferdeköpfen wäre. Man halte hierzu, 
was E. II. Meyer 4> ) über hornseli , Ochsenhörner usw. 
sugl 4 ' 1 ). Diese Auffassung würde uns berechtigen, das 

**) Liebrecht, Zur Volkskunde, 8. SU 2. üervas, S. »» 
Muutilmrdt, Wald- und Feldkulte, ltd. 1, 8. 132. Rimrock. 
Handbuch, 4 Aull., 8. .LS 7. Tylor, Aufünge der Kultur, Hd- 1 - 
S. 140 fl 

") Vgl. O. Gruner in Wuttkes Sächsische Volkskunde 
•J. Au«.. K. 454. 

,: ) Simroek, ilaudbucb, «. Aufl., 8. 21. 

") iHiutsche Volkskunde, 8. 70. 

"j M- Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, 8. IL 



Otto Scholl: Abwehrzaut 



bor am bergischen Hause. 



3<;ö 



Hörnertymbol hier anzufahren. Vielleicht darf man das 
Hörnei-symbol, an der obersten Giebelspitze angebracht, 
auch alt» Symbol für dun Anbruch de* .Jüngsten Tages '*") 
auffassen. Hier würde es sieh mit dem über Wotan 
hängenden Horn, aber auch mit Heimdalls Horn, das 
gewissermaßen zum Horn des Nachtwächters wurde, be- 
rühren, andererseits aber auch iu Verbindung mit dem 
bei Kuhn : '') erwähnten Maitagsborn treten, dessen sich 




Abb. 2. Giebel eines Bauernhauses auf GroB-Berrenbers; 

die Hexen in der Walpurgisnacht bedienen. Auch letz- 
tere Anschauung würde uns berechtigen, hier des Hörner- 
symbols zu gedenken. 

Etwas klarer erscheint das Motiv des Andreas- 
kreuzes im Gebälk des bergiseben Hauses. Es tritt 
vielfach an älteren Häusern auf, und zwar in allen Teileu 
des bergiseben Landes. Der heilige Andreas ist Gicbt- 
patron und, wie wir aus Cäsarius von Helsterbach (lebte 
ums Jahr 1200) wissen, ein wunderkräftiger Schützer, 
der am Niederrbein besondere Verehrung genossen zu 
haben scheint. Darum wird man nicht ohne Grund ge- 
rade das Andreaskreuz dem Gebälk eingefügt haben. 
Mit dem rein technischen Zwecke (dem Holzgeföge des 
Hauses die größtmögliche Widerstandskraft zu ver- 
leihen) und dem ästhetischen (der unbestritten bleiben 
mag) dürfte ferner bei der Anbringung dieses Symbols 
die Ansicht vorgewaltet haben, die Hausinsassen gegen 
Gicht zu schützen, denn auch hier scheint das Symbol, wie 
so oft, als Ersatz einzutreten, nämlich für den Apostel 
Andreas, dem es eignet. 

Glaube und ßraueb, der am Andreastage haftet bzw. 
geübt wird, beschäftigt uns hier nicht. 

Es ist eine lange Entwickelungsreihe, die wir bei 
dor Anwendung des Andreaskreuzes verfolgen können; 
kulturhistorisch und folkloristisch gleich bedeutsam 
und wertvoll. Als ältestes Beispiel stellt sich uns Groß- 
Siepen la ) bei Herzkamp, unweit Härmen , in dieser Hin- 
sicht dar. Der hohe Giebel dieses wahrscheinlich im 
14. Jahrhundert erbauten Hauses ist mit sechs überein- 
ander liegenden Reihen von Andreaskreuzen ausgefüllt, 
wodurch die Flächen ungemein belebt und dekorativ 
reizvoll ausgestaltet werden. 0. Gruner (Haus und Hof 
im sächsischen Dorfe) bemerkt '' 3 ): „Gewisse Anzeichen 
sprechen dafür, daß ursprünglich die Ijuipwände der 

M ) Sinirock, Handbuch, C. Aufl., 8. 231. 

") Norddeutsche Sagen , Nr. 32. Sminx-k t Handbuch, 
B. Aufl., S. 471. 

**) Unter anderem verweis« ich auf meine betreffende 
Arbeit in der .Denkmalpflege*. Jahrg. 1»05, Kr. 7. 

") Wuttke, Sächsische Volkskunde, 8. 453 f. 



Gebäudeumfassungen in ihrer ganzen Höhe von aolchen 
schrägen Kreuzen gebildet wurden — wie noch einzelne 
erhaltene Beispiele — — — beweisen, waa die Wand- 
tlächen reizvoll belebte." Im Bergiachen tritt dieser Schmuck 
der Langflächen erst später hervor, z. B. au dem Hause 
auf dor Beech in Hilden, l.'i88 erbaut. Hier zeigt sich eine 
Reihe durchlaufender Andreaskreuze. An anderen Häu- 
sern (z B. in Hilden) sind zwei Beihen solcher Kreuze 
angebracht. Und nun nimmt die Zahl derselben immer 
mehr im Laufe der Zeit ab. Die eine Reihe derselben 
wird immer mehr unterbrochen , bis zuletzt nur noch 
einige Kreuze und gar halbe übrig bleiben, wahrschein- 
lich , weil man Holzverschwendung fürchtete oder die 
Bedeutung der alten Symbole nicht mehr kannte bzw. 
im Zeitalter der Aufklärung absiohtlieh ignorieren wollte. 
So verschwand dieses charakteristische Motiv und be- 
achtenswerte Symbol allmählich aus dem Gebälk des 
bergischen Hauses. 

Allgemein bekannt ist das Andreaskreuz am mittel- 
rheinischen Hause (z.B. dem weltbekannten alten Hause 
in Bacharach), hier atar mit architektonischen Abwand- 
lungen (geschweifte Streben mit Nasen) usw. Weil hier 
das Kreuz ganz dekorativ auftritt, hat es sich bis zur 
Gegenwart erhalten 5< ). 

Ein weiter zu beachtendes Motiv im Gebälk des 
bergischen Hauses sind die sogenannten Voll-, Halb- 
und Viertelsonnen. E. U. Meyer spricht sich über 
diese Baudetails mit folgenden Worten aus: „Eine bis- 
her gar nicht beachtete Zierde bilden Vollsonnen oder 
häufiger Halbsonnen, eingeschnitzt in die Balken des 
steilen Vordergiebels, häutig an den niedersächsischen 
Stadthäusern von Wernigerode am Harz bis Bielefeld, 
am schönsten iu Hildesheim auch an solchen Häusern, 
die aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhundert» stammen, 
so daß man an den Einfluß der Renaissance nicht denken 
darf. Auch wird diese Zierde kaum weiter südlich über 
die angedeutete Linie hinausgehen. Nordwärts von ihr 
sehen wir sie nun auch an Bauernhäusern, namentlich 
in manchen Dörfern um Bremen und auch auf Fehmarn." 
Diesen Ausführungen Meyers können wir durchaus nicht 
in allen Punkten zustimmen. Daß die Renaissance hier 
kaum eingewirkt hat, dürfte zutreffend sein, denn diese 
Stilart hat am bergischen Bauernhause überhaupt keinen 
Einfluß ausgeübt; und doch finden sich an ihm dieae, 




Abb. 3. MotlT ans Soest (Westfalen). 

sagen wir vorläufig Verzierungen, wie wir weiter unten 
nachweisen werden. Ferner müssen wir bemerken , daß 
diese zierlich geschnitzten Voll-, Halb- und Viertelsonnen 
allerdings im Bergischen nicht nachweisbar sein dürften, 
aber einen schlichten Ersatz durch kreisförmiges oder 
halbkreisförmiges usw. Gebälk am Giebel gefunden haben, 
diu den Kreis Olpe in Westfalen (ans Bergische an- 
stoßend) in seiner Bauart charakteristisch beeinflußt 
haben ' 1 ) und im Oberbergischen (Groß-Berrcuberg bei 
Gummersbach, Abb. 2, Liefenroth bei Derschlag usw.) 

") Deutsche Volkskunde, 8. 71. 

") Jostes, Weitf. Trachtenbucb, a. versch. O. 



3W> Otto Scholl: Abwehrzau 

iiicbt aalten vorkommen. Daß wir aber iu diesen schlichten 
Motiven des Bergischen die erwähnten Voll-, Halb- und 
Viertelsonnen jener Städte in allerdings vereinfachter 
Form vor uns haben, dürft« zur Genüge durch mehrere 
Beispiele »üb Soest (z. Ii. ein Haas an der WieBenstraße, 
1585 erbaut, Abb. 3) erwiesen werden. Hier wechselt 
eine ausgeführte Halbsonne mit einer dnrch das Holz- 
werk nur angedeuteten (wie im Bergiscben) ab. 

Daß wir es hier mit einer bloßen Verzierung an 
tun haben, wie Meyer will, erscheint uns ausgeschlossen, 
schon mit Rücksicht auf das Vorkommen an altbergischen 
Hausern, die hinsichtlich ihres Schmuckes äußerst stief- 
mütterlich bedacht sind. Dieses Symbol — als solches 
darf es vielleicht aufgefaßt werden — in Verbindung zur 
Sonne zn setzen und zu ihrer Verehrung, hervorgerufen 
durch ihre belebende Kraft, erscheint indes kaum zu ge- 
wagt. Daneben darf man auch das Scheibenschlagen 
und das Rollen eines Rades halten •''*), wenn dieses auch 
speziell im Bergischen kaum mehr nachweisbar sein 
dürfte M ). Ohne uns auf weitere, heute noch zu gewagt 
scheinende Erörterungen einzulassen, möchten wir doch 
auf Grimm") verweiseu. Oerade der Umstand, den 
Golther w ) gebührend würdigt , daß die Sonne zu keiner 
vergeistigten, persönlich wirkenden und handelnden ( iöttin 
Anlaß gab, hat den an sie anknüpfenden Glauben in viel- 
facher Form anders ausgestaltet. Das Symbol dieses 
Leben spendenden Gestirns am Hause kann als Heil brin- 
gendes, Unheil abwehrendes Symbol gedeutet werden, vor 
allen Dingen in Verbindung mit den anderen Symbolen 
im Gebalk des Hauses, nicht zuletzt dem früher an- 
geführten Hörnersymbol. 

Gedenken wir nunmehr der Haussprücbe, die im 
Bergischen vielfach nur ans Sprichwörtern bestehen, oft 
aber auch Dibelstellen , Liederstrophen usw. enthalten, 
welche letzteren aber durch ihre Anwendung sprichwört- 
lichen Charakter erlangen. Daß diese Hausinschriften 
mit besonderer Sorgfalt ausgewählt wurden, liegt zu nahe, 
um weiter betont werden zu müssen. Hei dem Haus- 
spruch muß sich der Mensch ein für allemal auf ein 
Wort aus der reichen Fülle dos Vorhandenen beschränken. 
Er muß damit eine I/ebensdevise aus der volkstümlichen 
Weisheit auswählen, die er selbst für die passendste halt, 
die er an der Stirn seines Hauses gleichsam eingräbt, 
und die jedem Wanderer über des Hauherrn Wesen 
knappen Aufschluß gibt. Darin liegt das Monumentale 
und Bedeutsame des Hauaspmchs. Aber auch iu volks- 
kundlicher Hinsicht bedürfen unsere Haussprüche noch 
einer kurzen Erörterung. Der Hausspruch eignote vor- 
dem nicht nur dem platten Lande, dem Heim des Danern, 
sondern auch der Heimstätte des Bürgers, allerdings nicht 
in demselben Umfange. Der Landbewohner war zu allen 
Zeiten ungleich frömmer, konservativer, aber auch aber- 
gläubischer als der Bürger; dazu trieb ihn schon sein 
isoliertes Wohnen, das ihn nachdrücklicher auf den Schutz 
höherer Mächte hinwies. Darum bemerkt E. H. Meyer 80 ) 
mit Hecht: „Sein ganzes Haus stellte der Bauer gern 
anter den Schutz höherer Mächte. Solchen bezweckten 
zunächst die Haussprüche über der Tür, die immer mehr 
aus der Mode kommen." 

Der Hausspruch ist darum ein Schutzmittel für das 



,Ä ) K. H. Meyer, Deutsch« Mythologie. 8- 198. 

"l (irimm, Deutsche Mythologie, .f. Aufl., St. r>8«, 587. 
Schmitz, E)fel*agen, S. 24. 

s ") Deutsche Mythologie, X Aull., S. «64 f. K. H. Meyer, 
Deutsche Mythologie, H. «!. 

") Germ. Mythologie, S. 486. 

*■) Deutsche Volkskunde, S- 1!«*. 



ber am bergischen Hause. 

Haus, wie es deren noch viele gibt: Dachtraufe, Haus- 
segen, Hauswurz usw. Alles dies fällt unter den Begriff 
„Abwehrzauber". 

In der Nähe von Langenberg wurde um da« Jahr 
1895 ein altes Haas niedergelegt, in dessen Grundmauern 
ein kleines, irdenes Töpfchen gefunden wurde. Solche 
kommen in Schleswig-Holstein häufig vor. Sartori (ßau- 
opfer) rechnet solche Funde zu den Ersatzopfern, wenn 
er sagt: „Ich weiß diesen Töpfen keinen anderen Sinn 
zu geben, als daß sie ursprünglich als der Aufenthalts- 
ort für eine dem Bau in irgend einer Weise zustatten 
kommende Seele gedacht wurden Zum mindesten 
haben wir es also hier mit Abwehrzauber zu tun. 

Zum Abwehrzauber am bergischen Hanse gehört 
ferner noch derHnuslauch (Sempervivum tectorum), ein 
Donarssymbol "*), das überall auf die Dächer gepflanzt 
wird, bui Wengeriughausen aber durch die Bezeichnung 
n Donnerkraut. " deutlich seine Bestimmung verrät, daß 
man es nämlich hier wie anderwärts zum Schutz gegen 
Gewitter pflanzt. Dem gleichen Zweck dienen die Kräuter 
des Weibbundes, die man nach der Krautweibe im 
Hause aufhängt, um einen Teil von ihnen zu verbrennen, 
sobald ein Gewitter heranzieht. 

Ein etwas anderes Gebiet berühren wir, wenn wir 
uns die Gebräuche vergegenwärtigen, die im Bergiscben 
echt volkstümlich sind, um dem Hause Schutz gegeu 
Diebe und unbefugte Fremde zu sichern, und die anderer- 
seits die Heiligkeit des Hauses klar zur Anschauung 
bringen. An manchen Orten ist es nämlich Sitte, beim 
Auegehen nicht die Haustür zu verschließen, sondern 
einen Besen verkehrt gegen die Tür zu stellen. In 
Borlinghausen und anderswo steckt man nur ein grünes 
Reis auf den Hausring, um jedermann den Eintritt 
während der Abwesenheit der Hausbewohner zu wehren' ; ). 
Offenbar steht diese Sitte in Zusammenhang mit einer 
ähnlichen in Dcvonshire, wo man, damit die Pferde nicht 
unbefugterweise von den kleinen Leuten geritten würden, 
die Tür dos Stalles mit einem Zweig des scow (oder 
cldertree) verschließt"). 

Als Zeichen unbestrittenen Eigentums brachte man 
che J in ganz allgemein die Haus- und Hof marke an, 
ein lineares, strichliches Zeichen oder eine geometriiiche 
Figur, die ursprünglich vielfach den Runen glich. Aach 
diese muß hier genannt werden. 

Ein besonderes Kapitel dürftun der Herd und da» 
Herdfeuer beanspruchen, durch den ihm anhaftenden 
: Glauben ganz in das Gebiet des Abwebrzaobers hiuein- 
| spielend, andererseits aber auch als ein Teil des Hauses 
selbst aufzufassen, da man dns Feuer im Herd fortwährend 
zu unterhalten suchte. Doch begnügen wir uns hier 
mit dieser Andeutung, die weitereu Ausführungen einer 
besonderen Arbeit vorbehaltend. 

Wir haben es bei dem Abwehrzauber am bergischen 
Hause wohl kaum mit der Gewinnung eines persönlichen 
Schutzgeistes zu tun, wenigstens nicht in allen Fällen, 
vielmehr mit Geräten, Gegenstäudeu und deren Sym- 
bolen, durch die ein Zauber bewirkt werden soll. I)* 8 
ergibt sich z. B. sehr klar aus der Aufbewahrung eines 
Pferdeschädels in manchen Bauernhäusern. Ob ursprüng- 
lich andere Absichten vorgelegen haben, berührt uns hier 
weiter nicht- 

") Vgl. das interessante Materia], das Bartori ra die»er 
Sache weiter beibringt; Uauopfer, 8.52. 

M ) K. II. Meyer, Deutaeh" Mythologie, 8. 209. 

M > Woeste und Wolf, Zeitschrift, Bd II. 8. 88. 

Athenaeuni, Oktober 1*46, S. 1042 Kuhn, Westfülifl"' 
8ag«n, M. If, 8. «I. 



Von Amundscns Polarcxpcdition. 



Von Amundsens Polarexpedition. 



Die Zeitschriften der geographischen Gesellschaften, 
die Kapitän R. Amundsen auf »einer Rundreise im Fe- 
bruar d. J. mit «einen gleichlautenden Vorträgen bedacht 
hat, veröffentlichen jetzt diesen Vortrag, Der vor der 
Londoner Gesellschaft ist im Maiheft des „Geogr. Joum." 
abgedruckt, der vor der Pariser im Aprilheft von „La 
Geographie". Er beschäftigt sich mit dem äußeren Ver- 
lauf der Reise und bringt außer schon Bekanntem vor- 
nehmlich Bemerkungen über die Eskiuio^tainme, mit denen 
die Expedition in ihrem Winterhafen und an der Küste 
von Bootbia Felix zusammengetroffen ist. Einzelne davon 
sollen bisher unbekannt gewesen sein. Einigesaus dem Vor- 
trage sei hier zur Ergänzung früherer Mitteilungen berührt 
oder wiedergegeben, auch sei die den im „Geogr. Journ." 
abgedruckten Vortrag begleitende Karte kurz besprochen. 

Diese Karte gibt in 1 : 2000000 eine Darstellung der 
Gebiete, in denen die Expedition ihre einzigen rein geo- 
graphischen Erfolge ersielt hat. Man verdankt sie dem 
dänischen Marineleutnant G. Hansen, der im Sommer 1905 
eine Schlittenreise von King Williamland nach der Ost- 
seit« von Victorialand unternahm. Diese Reise wird in 
dem Amundaenschen Vortrage mit nur wenigen Worten 
iihgotan. Hansen brach mit dem Sergeant Histvedt am 
2. April 1905 vom Winterquartier, dem Gjöahafeu, auf 
und war 84 Tage abwesend. Auf der Aus- und Heim- 
reise kreuzt« er den mit Victoriastraße auf unseren Karten 
verzeichneten Meeresteil, der King Williamland von 
Victorialand trennt. Ee ergab sich, daß diese Straße eine 
Gruppe von zwei großeu und xahllosou kleinereu Inseln 
füllt, die Amundsen mit dem etwas langen Namen „Royal 
Geographica! Society Islands" belagt hat. Den Namen 
Victoriastraße hat er auf den Meeresteil zwischen dieser 
Gruppe und Victorialand beschränkt, während der zwischen 
ihr und King Williatnland vermutlich uach der neuen 
Königin von Norwegen . Alexandrastraße" benannt worden 
ist Das von MacClintock und Schwatka umfahrene 
Westende von King WiUiamland mit Kap Crozier er- 
scheint auf Hansens Karte nicht unerheblich, um etwa 
20', nach Osten gerückt, so daß die veränderte Gestalt 
jener Insel auffällt. Andererseits liegt bei Hansen die 
Südostküste von Victorialand mit Point de Häven etwa 
15' östlicher als bei Collinson und Rae. Die Nordost- 
küste von Victorialand gegen den MacClintock- Kanal 
war bisher von Kap Collinson, 70" 15' nördl. Br., bis 
Reynolds Point, 7J« uördl. Br„ 108° westl.L., unbekannt, 
es war daB die einzige noch unerforschte längere Küsten- 
strecke im Parryarchipe). Hansen hat sie bis Kap Nansen, 
einem Punkte etwas nördlich vom 72. Breitengrad und 
unter 105" wostl. L. , in großen Umrissen aufgenommen 
und „König Haakon VII -Küste" getauft Sie hat mit 
ihren zahlreichen Buohten und Vorsprängen eine Nord- 
uord west rieht ung, so daß das jetzt noch unbekannte 
Küstenstück bis Reynolds Point ostwestlich verlaufen 
dürfte. Auch Hansen ist auf dieser Schiittonreise mit 
einem bisher unberührt gebliebenen Eskiniostanini, den 
Kiilnermiuiu, zusammengetroffen, deren Jugdgründe vom 
Kupfermiuenlluß sieb ogtwnrts ausdehnen. 

Die Wahl des an der Sudostecke von King William- 
land gelegenen Gjöahafens als Winterquartier erklärt 
Amundsen damit, daß er für die instrumentalen Ablesungen 
eine günstige Basis bot. Er liegt nämlich so weit vom 
magnetischen Nordpol ab, daß die Inklination etwa 89° 
betrug, so daß die Beobachtungen nicht ganz so schwierig 
waren als bei völliger Vertikalstellung der Nadeln, also 
näher dem Pol. Durch seine Exkursionen in der Umgegend 
und auf Boothia Felix hat Amundsen, wie er sagt, den 



absoluten Nachweis dafür erbracht, was bisher nur aus 
theoretischen Gründen angenommen worden sei, daß 
nämlich der magnetische Nordpol keine unbewegliche und 
stationäre Lage habe, sondern „aller Wahrscheinlichkeit 
nach" in beständiger Bewoguug scL Den magnetischen 
Nordpol selbst hat Amundsen nicht erreicht. Kr machte 
dortbin einen Vorstoß im April 1904. Da aber die diebi- 
schen Ichjuachtorvik ihm ein Depot geplündert hatten, 
so mußte er die Exkursion anf zwei Monate beschränken. 
„Ich hatte jedoch dio Genugtuung, dem Pol so nahe als 
nötig zu kommen", sagt Amundsen. 

Die höchsten Kältegrade während 4#r Expedition sind 
Anfang März 1904 erlabt worden, und zwar iu der Nähe 
des Winterquartiers auf einer Schlittenfahrt nach dem Pol, 
die deshalb abgebrochen werden mußte. Am 29. Februar 
las man — 53° C ab, au einem der nächsten Tage — 57" 
und schließlich gar — 62" C. Der Schnee war wie Sand. 

Über Kommen und Guben der Eskimo, über Erschei- 
nungen in der Tier- und Pflanzenwelt erzählt Amundsen 
aus dem Jahre 1904: „ Anfang Juni erschienen Eskimo 
in großer Zahl beim Schiff mit Seehundsspeck und -feilen 
zum Verkauf, die sie während der Wintermonate erboutet 
hatten. Wir bezahlten sie mit Holz uad Eisen. Mitte 
Juli verließen uns die meisten wieder nach verschiedenen 
Richtungen, um Renntiere zu jagen und Lachse zu fangen. 
Der Sommer war kurz und traurig. Am 22. Juli glitt das 
Schiff aus dem Eise heraus. Von durchkommenden Vögeln 
sahen wir Schwäne, Ganse, Eistaucher, Enten, Eidergänse 
und viele Kloinvügel. Das Schneehuhn kam im März und 
ging im November, die einzigen Standtiere waren Polar- 
fuchs, Hermelin" und Lemming. Die Vegetation war reich, 
und man konnte große, ganz mit Blumen bedeckte Striche 
sehen. Es gab Schmetterlinge, Fliegen und einige andere 
Insekten, nicht zu vergessen mehrere Milliarden Mücken . . . 
Mitte Oktolwr kehrten die Eskimo von ihren sommer- 
lichen Exkursionen (im Gebiet der Festlandsküste) zurück 
und besuchten uns in großer Zahl, gingen aber wieder 
fort, um vor Eintritt des dunkelsten Teiles des Winters 
zu fischen. Gegen Weihnachten kamen sie wieder, und 
wir hatten nun fast zwei Monate das Vergnügen ihrer 
Gesellschaft." 

Mit diesen Eskimo ist die Expedition also häufig in 
Berührung getreten. Die ersten sah man am 29. Oktober 
1903 am Winterquartier. Es waren dies schöne Leute, 
groß und kräftig gebaut, und erinnerten mit ihrer roten 
Gesichtsfarbe Amundsen tuohr an Indianer als an Eskimo. 
Die übliche breite, fleischige Eskimonase war bei ihnen 
durch eine besser geformte Hakennase ersetzt. Das Haar 
war kurz geschoren bis auf einen kleinen Kamm, der von 
einer Schläfe um den Nacken nach der anderen ging. 
Sie nannten sich Ogluli und betrachteten die Festlands- 
küste vom Backfluß westwärts bis zur Adelaidehalbinsel 
als ihr Jagdgebiet. Man wurde mit ihnen gut Freund 
und mehr noch bald darauf mit dem Nechjillistamm (wohl 
englische Schreibweise?), desseu Angehörige sich außer- 
ordentlich ehrlich und anständig benahmen. Weit weniger 
sympathisch führten sich die schon erwähnten Ichjuach- 
torvik ein, die nach ihrer Auesage von der Ostküste von 
Bootbia Felix, aus der Gegend des Winterquartiers John 
Roß' von 1829 bis 1832, herkamen. Eines Morgens waren 
eine Säge, eine Axt und ein Messer verschwunden. Sie 
leugneten den Diebstahl und gaben die Sachen erst heraus, 
als Amundsen sie zu erschießen drohte. 

Nechjilli heißt das Wohngebiet, naoh dem sich der 
Stamm jenes Namens nennt. Es sind die Ufer des großen 
Willerstedtsees an der Wurzel der Halbinsel Bootbia uud 



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868 Von Amundscus Polarcxpeditioti. 



des kloinen Flusses, der den See mit dem Meere ver- 
bindet Von der Zeit, wo im Juni oder Juli da* Eis auf- 
bricht, bis zum Februar des nächsten JahreB leben sie 
dort, im Sommer in Zelten, wenn Schnee fallt, in ihren 
Schneebäusern. Hierüber berichteten die Nechjilli Amund- 
seu, der selbst nicht dort gewesen ist. Die Expeditions- 
mitgliedor wurden mit diesen Leuten sehr vertraut, 
konnten sich aber ihre Sprache niemals wirklich aneignen, 
so daß ein tiefereB Eindringen in ihre Lebensverhältnisse 
nicht möglich war. Was Amundsen über sie mitzuteilen 
vermag — er bat davon eine ziemlich hohe Meinung — 
erfuhr er durch die Beobachtung und aus den Erzählungen 
der Eskimo selbst. Er beschreibt ziemlich eingehend ihren 
Hausbau und erzählt dann: Die Hutten sind von ver- 
schiedener Gestalt, manche lieben sie hoch, manche niedrig. 
Der Umfang betragt 10 bis 15 in, entsprechend der Größe 
der Familie. Im Januar, bei strenger Kalte, loben zwei 
Familien darin, damit es wärmer ist. Die Familie ist 
abends beisammen. Die Hausfrau sitat auf dem gewohnten 
Platz und summt ihren monotonen tiesang von vier 
Wörtern und ebensoviel Noten, die in wechselnder Form 
wiederholt werden. Höflicher Bitte, sich ruhig zu ver- 
halten, wird nicht nachgegeben; wenn aber dio europäi- 
schen Besucher eine eigene musikalische Auffährung be- 
gannen, war man sofort still, doch auch nicht beleidigt. 

Betritt ein Eskimo die Hotte , so zieht er zunächst 
sein Oberkleid aus und klopft den Schnee herunter, bevor 
dieser schmelzen kann. Beabsichtigt er dun Abend über 
zu Hause zu bleiben, so zieht er auch sein zweites Ober- 
kleid aus. Die Fleisch- und Fischstücke, die zur Nahrung 
dienen , siud zwar steif gefroren , doch geniert das den 
Eskimo nicht im geringsten, und es verschwinden davon 
gewaltige Mengen. Nach der Mahlzeit denkt man ans 
Schhifengehon , und der Eingang zur Hütte wird von 
innen sorgsam vermauert. Man zieht sich dann ganz 
nackt aus, schläft gemeinsam anter großen Docken von 
Henntierfell. Die Kinder werden erst spät entwöhnt, 
lange nachdem sie zu laufen begonnen haben: Knaben 
werden sogar bis zum 10. Jahr gesäugt. 

Die Vorführungen des Zauberers des Stammes — eine 
sehr ernste Angelegenheit — waren die sinzigen Veranstal- 
tungen, zu denen die Reisenden niemals eine offizielle 
Einladung erhielten. Sie überlisteten die Eskimo aber 
trotz alledem und kamen dahinter. Die Hütte wird fast 
ganz dunkel gemacht, und man läßt nur eine einzige 
Flamme brennen, die mit ihrem spärlichen Licht die 
Sache noch geheimnisvoller macht Der Zauberer und 
sein Gehilfe (gewöhnlich seine Frau) nehmen auf der 
Bank Platz, während die Gesellschaft sich am anderen 
Ende der Hütte niederläßt. Die beiden heginnen nun ein 
lautes Geheul und erweckon den Anschein, als ob sie ein- 
ander umbringen wollen. Nachdem diese Komödie eine 
halbe Stunde godauert hat, nimmt der Lärm ah, und 
schließlich wird alles ruhig. Das Licht wird heller ge- 
macht, und der Zauberer zeigt, zur offenbaren Verwunde- 
rung aller, zwei Löcher in seiner Kleidung, die vorhin 
ganz war, eins auf der Brust, das andere im Rücken, 
und sie sollen also zeigen , daß er während der wilden 
Szene sich durch «einen Speer gerannt hat. Allein An- 
schein nach nahmen die Eskimo das sehr ernst, als aber 
Amundsen später mit ihnen darüber scherzte, lachten sie 
und sagten, das Ganze wäre Unsinn. 

Diese Eskimo zeigten selten ein Zeichen des Er- 
staunens. Einmal war dies der Fall, als Amundsen zum 
Schiff ans seinem 15km entfernten Lagereinen von ihnen 
als Boteu mit einem Brief schickte und um etwas Muni- 
tion bat. Als der Eskimo am nächsten Tage zurückkam, 
sagte ihm Amundsen. er wüßte, wieviel Patronen von 
jeder Sorte er brächte, er möchte selbst nachzählen. Er 



war nun erstaunt zu sehen , daß der Weiße recht hatte, 
und überrascht von dem Gebrauch der Schrift. Später 
machte es ihnen oft Spaß, einige Striche auf einen Papier- 
fetzen zu kritzeln. Die Europäer taten dann immer sehr 
erstaunt und lasen es laut vor, und das belustigt« sie 
sehr. Das Familienleben schien in der Regel glücklich 
zu sein, obwohl Falle, daß ein Mann Beine Ehefrau miß- 
handelte, Amundsen bekannt wurden. Da das männliche 
Geschlecht viel zahlreicher ist als das weibliche, so ist 
das Vorkommen von Zwuimännerei nicht ungewöhnlich, 
während das umgekehrt« Verhältnis nicht beobachtet 
worden ist Im allgemeinen befahl der Mann , und das 
Weib gehorchte bliudling», ältere Witwen aber hatten 
manchmal großen Einfluß. 

Über die religiösen Anschauungen dieser Eskimo ver- 
mag Amundsen mitzuteilen, daß sie ein gutes und ein 
böses Wesen, sowie Strafe und Belohnung kennen. Hat 
ein Mann sich in diesem Leben so betragen, wie er soll, 
ho geht er in die Jagdgefilde im Monde, anderenfalls 
geht er unter die Erde. Während der ganzen Zeit de« 
Verkehrs mit den Eskimo kamen bei diesen , soweit be- 
kannt wurde, nur vier Geburten und zwei Todesfälle vor. 
Die letzteren waren auf Selbstmord zurückzuführen. Dieser 
wird nicht für ein Unrecht gehalten, doch nimmt man 
zu ihm nur dann seine Zuflucht wenn die Schmerzen bei 
einer Krankheit unerträglich werden. Die Art ist folgende: 
Ein Riemen aus Seehundshaut wird quer durch die Hütte 
'/jin über dem Boden gespannt Der Kranke wird dann 
in der Hütte allein gelassen, während die anderen hinaus- 
gehen, aber durch Löcher in den Wänden beobachten, 
was drinnen vorgeht. Der Kranke kniet nun nieder um! 
versucht, durch Anpressen der Kehle an den straffen 
Riemen sich zu ersticken. Ist er nicht imstande, du 
selbst zu tun, oder scheint es zu lange zu dauern, so tritt 
einer der draußen Weilenden hinein und erleichtert ihm 
den Tod, indem er dessen Kopf auf den Riemen nieder- 
drückt Kämpfe mit den Fäusten kommen dann und 
wann vor, und Mord ist nicht unbekannt Im Sommer 
1904 geschah es, daß ein zwölfjähriger Knabe einen 
anderen, siebenjährigen im Zelt zufällig erschoß. Darauf 
ergriff der Vater des getöteten Knaben den anderen, der 
sein Adoptivsohn war, schleppte ihn aus dem Zelte und 
erstach ihn. Die Toten werden in ein Renntierfell genäht 
und auf den Boden gelogt, ein Bogen, Speer, Pfeile und 
Ahnliches daneben. 

An den langen Winterabenden vereinigt man sieb 
manchmal in der größten Hütt« und vertreibt sich ein 
paar Stunden mit Gesang und Tanz. Hierbei sitzen die 
Frauen im Kreise herum und beginnen ihren eintönigen 
Gesang, während die Männer einzeln in den Kreis treten 
und eine Art Solotanz aufführen, dabei ein mit dünn ge- 
gerbter Renutierhaut überzogenes Gestell schlagen und 
wahrhaft fürchterlich schreien. Am meisten war hierbei 
Amundsen über den Gesang der Weiber erstaunt. Kr 
hatte gemeint, daß alle ihre Weisen — oder vielmehr 
Variationen auf den fünf Noten — Improvisationen wären, 
es waren aber wirkliche Gesänge; denn es sangen wobl 
zwanzig Frauen zusammen bei diesen Versammlungen 
eine Stunde lang gleichzeitig, ohne daß sie aus der 
Melodie fielen. 

Auf eine Frage in der Disknsaion über den Vortrag 
antwortete Aniundson , daß die von ihm angetroffenen 
Eskimo nichts über das Schicksal der Mitglieder der 
Franklinexpedition wüßten, daß er aber über eines der 
Schiffe etwas erfahren habe. Zwei Eskimo fanden dieses 
Schiff im Winter, als sie auf die Seehundsjagd gingen, 
und nahmen von dem Eisen und Holz so viel mit, als si« 
bekommen konnten; als dann der Frühling und Sommer 
kam und das Eis schmolz, ging das Schiff zugrunde. 



H. F.: Freydenbergs Mitteilungen nber dun Tsudsoe. — Büchcrschau. 



Der franznsisehe Leutnant Freydeuberg, von dessen 
Beobachtungen nm Bahr «1 -Ghasal im Globus (Bd. Ol. S. 322) 
bereit» die Rede war, bat im Jabre 19u5 von Juni bin August 
den nördlichen Teil de» Tsad Ton Ost nach West und Sud 
durchkreuzt und über seiue neuen Erfahrungen im Märzheft 
1U07 der .Geographie* berichtet. Danach besteht der Tsad 
nördlich de» 14 Breitengraden aus zwei verschiedenen, aber 
ungefähr gleich grollen Teilen: hu« einem ulTenen See im 
Westen und aus einem Archipel im Outen, der »ich westwärts 
bis II" U'östl. L. und südwärts bi* zu Vi' Mi' nördl. Br. er- 
»treckt Die dünenartigeu Inseln de» Archipel» nehmen in 
ihrer Krhebuug über dem Wasser ziemlich gleichmäßig von 
Osten nach Westen ab; die Kanüle (.Bahrs" genannt) zwi- 
»cheu ihnen wechseln an Tiefe. An den (irenzeu des Archi- 
pels befinden sich hier und da Untiefen, die am Orundo aus 
barter Masse, an der Oberfläche aus einem zäh-weichen, 2 m 
dicken Schlamm bestehen. Die Eingeborenen überschreit*» 
diese sehr gefährlichen Stellen auf verschiedene Weise je nach 
deren geringerer oder größerer 8eichtigkeit. Hat da» Wasser 
eine Tiefe von 50 bis "oem, so legen sie »ich auf den B»uch 
und schieben ihren Korper vorwärts durch Einkrallen ihrer 
Finger in den Schlamm. Finden sie dagegeu mit dm Füßen 
keinen Grund, so bedienen sie sich eines 2 m langen uud 20 
bis 30 cm dicken Ainbadsch-Stuninies, auf den sie sich ritt- 
lings setzen und den sie mit Armen uud Beineu vorwärts 
rudern. Dies erfordert große Geschicklichkeit und Kraft- 
anstrengung und wird überdies erschwurt durch die Mischung 
des Schlammes mit Muschelschurben, Fischskelelteu und scharf- 
kantigen Rückenflossen, die tiefe Wunden in das Fleisch ein- 
schneiden. 

Die Tiefe des T»ad in diesen Gegenden schwankt im all- 
gemeinen zwischen V, und I m. In der Umgebung der Insel 
Ngeboa (etwa Ii km südlich des 14. Breilengrades, zwischen 



11" und ll°30'üstl. L.) dehnt sich eine weile, absolut ebene 
Bodeufläche aus; sie war im Juli 1905 mit einigen Zenti- 
meter Wasser bedeckt, doch schon im August vollkommen 
ausgetrocknet und mit Rissen durchzogen, die mit 30 bis 
80 cm tiefem Schlamin angefüllt waren Der nordöstliche 
Teil des Archipels hui nur durch die Lücke zwischen den 
Inseln Kindiiin und Madu (20km südlich des 14. Breitengrades, 
1 1° 24' östl. L.) eine dürftige Verbindung mit dem ,8ee von 
Komadugu", der von dem Seeteil nördlich der Mündung des 
Schari durch eine Grasbarriere getrennt ist; andererseits ge- 
langt man vom sogen. „Schari-See" nur durch die Pflanzen- 
barre von Koremirom in den »tidlichsten Teil des Archipels 
und bis Bol auf dem Festlande. Demnach sind die einzelnen 
Wasserflächen des Tsad, nämlich der Schari- und Komadugu- 
See und der nordlich« Archipel, allein zur Zeit hohen Wasser- 
standes in schiffbarer Verbindung miteinander. 

Das Niveau lies Tsad unterliegt periodenweise sehr be- 
deutenden Schwankungen. Die Perioden lassen sich nach 
den Angaben der Eingeborenen mit ziemlicher Sicherheit 
fixieren-, sie zerfallen in große und kleine. Die groDen Pe- 
rioden umfassen je 20 Jahre, von denen jede vier kleine Pe- 
rioden von je fünf Jahren einschließt, nämlich die Perioden 
1. des llochwasserstande», 2. des allmählichen Sinkens, 3. des 
NiederwassersUndes uud 4. des allmählichen Anschwellens. 
Im Jahro 1*51, zur Zeit von Overwegs Besuch, herrschte 
Hochwasserslnnd , H'O« dagegen Nieder Wasserstand. Ob mit 
der jetzt /.u erwartenden Anschwellung das Ende einer großen 
Periode wirklich erreicht werden wird, oder ob man sich 
noch länger gedulden muß, bis man den gaDzen Tsad mit 
Wasser angefüllt sehen kann, bleibt der Zukunft überlassen. 
Übrigens wäre es schon jetzt interessant, die über das pe- 
riodenweise Steigen und Falten des Tsad gegebenen präzisen 
Daten mit jenen über die Schwankungen der audereu großen 
inueraf «klinischen Seen zu vergleichen, um herauszufinden, 
ob etwa eine relative Übereinstimmung existiert, B. F. 



Bücherschau. 



Karl Radllll, 100 Jahre Dampfschiffahrt 1807 bis 
1007. VIII und 300 Seiten. Rostock, V.J. B. Voh-k- 
mann, 1907. 7,50 M. 

Diese Schilderungen und Skizzen aus der Entwickelungs- 
geschiohtc des Dampfschiffes sind mit 12.1 Abbildungen und 
zwoi Tafeln ausgestattet, die Lings- und Querschnitt des 
Dampfers Amerika aufweisen. Da die Technik und die Kul- 
turgeschichte im allgemeinen stiefmütterlich bei ihren Jubi- 
läen betlacht werden, sei noch besonders auf dieses inter- 
essante Buch hingewiesen, das geeiguet ist, in unserer rasch 
lebenden Zeit die historische Bedeutung der Dampfschiffahrt 
für das gesamte Wirtschaftsleben in das rechte Licht zu 
setzen und durch passende Illustrationen zu beleben. 

Das erste praktische Dampfschiff verdnnkou wir dem 
Amerikaner Robert Fulton, nachdem die Versuche verschie- 
dener anderer Männer zu greifbaren Resultaten nicht geführt 
hatten. Erfunden ist das Dampfschiff nicht von Fulton, es 
ist nicht die Erfindung eines Mannes, sondern einer Nation 
von Maschineningenieuren. 

Dieser erste Dampfer Fulton» wies eine I<ünge von 42,67 in, 
eine Breite von 4,:>7 rn und einen Tiefgang vun 0,81 m auf; 
die als Antriebmaschine für die beiden, au den Seiten de» 
Schiffes angebrachten Huderräder dienende Dampfmaschine 
war 20 Pferdekräfte stark; die Fahrtgeschwindigkeit betrug 
etwa vier Seemeilen in der Stunde. 

Nach einem Verlauf von fünf Jahren zählte Nordamerika 
bereits mehr als 50 Dampfschiffe, womit namentlich die großen 
Flüsse und Seen befahren wurden. Innerhalb 15 Jahren hatte 
sich diese Flottille drübeu bereits auf mehr als 300 Schiffe 
erhoben. 1K39 zählte man rund 7<K> meistens große Dampfer 
von 5O0 bis 12O0t Tragkraft. 

181» ging die Savannah als erster Dampfer über den 
Ozean; die Reise erforderte etwa 2« Tage, während welcher 
Zeit ■•* Tage ausschließlich die Segel Iwnutzt wurden. Nicht 
lange darauf kamen an Stelle der festen Ruderschaufeln die 
beweglichen zur Einführung. Als eine ganz bedeutende Ver- 
besserung des Dampfschiffes ist. die Einführung der Schraube 
als Propeller an Stelle des ursprünglichen Schaufel- oder 
Ruderradeji anzusehen. Neben dem Österreicher Josef Ressel 
ist namentlich Francis Petit Smith hier /u nennen, der 18.18 
die archimedische Schraube als Propeller eiuführte; es gelang 
ihm dadurch, eine Geschwindigkeit von 9,75 Knoten zu er- 



zielen, aber erst 1843 entschloß sich die englische Marine als 
erste diesen Fortschritt in ihrer Flotte einzuführen. Ericssons 
Propeller steigerte dann rasch die Geschwindigkeit auf 18 
Knoten, er, der sich bereits mit der Idee der heutigen Heiß- 
luftmnschine beschäftigte. 

Die Entstehung der ersten größeren Dampfergesellschaft 
fällt in die Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhun- 
derts , und zwar in England , sie baute und beförderte die 
ersten transatlantischen Passagierdampfer, die 1838 zu der 
überfahrt bereits nur 15 Tage benötigten. Amerikanische 
Ozeaudampfer haben niemals eine Rolle gespielt, hier kommen 
noch Frankreich und vor allem Deutschland in Betracht, wo 
dann die Hamburg — Amerika -Linie nnd der Norddeutsche 
Lloyd entstanden. 

Die sogenannten Großreedereieu beginnen sogar erst um 
die Zeit von 1870 sich zu bilden, als stärkere Kapitalkräfte 
für den Bau nnd Betrieb der Dampfschiffe sich als notwendig 
erwiesen. 

Währenddessen hatte sich eine andere tief einschneidende 
Veränderung in der Schiffsbaukunst eingebürgert. Die alten 
Holzrümpfe mußten dem Eisen und später dem Stahl weichen. 
Hatte man bereits 1787 ein Segelschiff aus Eisen hergestellt 
und 1821 den ersten Dampfer aus diesem Material den Fluten 
übergebeu, so dauerte es doch geraume Zeit, bis man sich 
allgemein vun dem Holzbau abwandte ; enrt von der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts an beginnt der Bau eiserner Schiffe 
sich allgemeiner einzubürgern, wobei England bahnbrechend 
und vorbildlich voranging. Namentlich die Handelsdampfer 
profitierten von diesem Fortschritt; die Vergrößerung der 
Huuräunie beim Vergleich von Holzschlff- und Stnblschiff- 
konstruktion ist bei kleineren Typen etwa 4 : .'>, bei größeren 
5 : 8. 

Die Anregung, eiserne Schiffe gegen den zerstörenden 
Einfluß des SeewaBScr» zu bekupfern, gab der Engländer 
Oantham Anfang der sechziger Jahre. 

Trotz alledem bürgerte sich der Dampfer gegen den 
Segler nur lungsnm eiu. Ende 1860 zählte beispielsweise die 
Handelsmarine Europas 2974 Dampfschiffe und 92272 Segler, 
]H77 waren es 10:>87 Dampfschiffe gegen 11041 Segler. 

Wesentlich erleichtert wurde die Benutzung des Dumpfes 
durch die Verminderung des Kohlenverbrauches der Kehiffs- 
maschinen innerhalb eines Jahrhundert». Uin ein Beispiel 



370 



Kleine Nachrichten. 



zu gehen, do verbrauchte die Britanuia 1840 pro 1 PS und 
Stunde 2,H1 kg; 1 8 *>«S waren es bei der Persia 1,72; 1870 bei 
der Gallia 0,88; 1S84 bei der Umbria ebenfalls 0,86 und 1803 
bei der fampania 0,73. 

Durch die Verbesserungen wie andere Fortschritte gelang 
es auch, die Geschwindigkeiten erheblich zu steigern. So er- 
reichte Tbornyeroft etwa 1871 mit der kleinen, 15m langen 
Dampfjacht Miranda etwa lfl,2. r < Knoten, 1*78 »>>II er mit der 
Gittana sogar 2ö,7S Knoten erzielt haben. Das von dem- 
selben Ingenieur 1HT7 erbeute erste englische Torpedolvoot 
Her 1B.54 Knoten. 

Jetzt setzt der Bau der großen Uzeanrenner eiu, die sich 
spater den Namen Ozean Windhunde erwarben. Hatte bisher 
England die schuellstfahreudeu Schiffe gebaut, su kam später 
das blaae Band des Ozeans an Deutschland. Auch in der 
Kriegsmarine steigern sich allgemein die Fabrtgeechwindig- 
keiton und erreichen bei Torpedobooten annähernd 30 Kno- 
ten, wahrend für Passagicrdainpfer uugefikhr lsi Knoten als 
recht gute Leistung gilt, während 2:t als Kekord gilt. Die 
Dampfjacht Arrow lief 1902 sogar 30,13 Knoten. 

Die Annehmlichkeiten auf den großen Ozeandampfern 
übertreffen die Mehrzahl der kontinentalen Hotels; die Unter- 
kunftsräume der ersten Klasse sind sogar kunstgewerblich 
die reinen Sehenswürdigkeiten. 

Neuerdings scheint die alte Ko)l*ndampfina>icbino an 
dem Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt zu sein und 
die Turbino an ihre Stelle zu treten, wodurch namentlich 
das Schlingern der Schiffe vermieden wird. Was die Tur- 
bine noch leisten wird, tnuli die Zukunft lehren. 

Halle a. 8. E. Uoth. 



Herman» Schneider, Kultur und Denken der alten 
Ägypter. (EntwickeluugKgeiwhicbtc der Menschheit. 
Erster Band.) XXXVI u. .W Seiten. Leipzig, lt. Voigl- 
länders Verlag, 1907. 
Das vorliegende Werk rührt nicht von einem Ägyplologeu 
her. Der Verfasser erklärt selbst im Vorwort, für seine Zwecke 
sei das Studium der Ägyptischen Sprache nicht notig gewesen, 
es hätte geradezu ein Hindernis. Zeitverlust und die Gefahr 
der Verwirrung durch unzählige Kinzelfragen bedeutet Kür 
ihn handelte es sich um den Weitblick, nicht das philologi- 
sche Nahesehen, da er als Gescbichtsphilosoph an die Arbeit 
herantreten wollte. So geht er denn bei seinen Angaben 
über das alte Ägypten auf sekundäre Quellen zurück, hat 
aber den Vorteil gehabt, daß er sich von Kduard Mover und 
Steindorff Hai erholen konnte und daß der Berliner Ä"gypto- 
loge H. Schäfer da» fertige Manuskript auf «achliche. Irrtümer 
durchsah. Im allgemeinen hat er seine Quellen mit Geschick 
benutzt, wenn auch bei einzelnen Angaben der Fachmann 
Einwendungen erheben wird. So beispielsweise bei dein Ver- 
suche, als Helden der Löwenjagd auf einer Schieferplatte der 
Frühzeit einen König zu sehen (S. 79); der Angabe, daß Isis 
als G' ier Horns cmpfnngeu habe (8. 55:'.); dorn Gedanken, 
daß die Ägyptische ßns*e vollkommen fertig in die Geschichte 
eingetreten sei (S. 4 f.) und dem dementxprechenden Iguo- 
rieren der Arbeiten über die Vülkermischungen in der Na- 
gada-Periode. Kür das Ganze der philosophische!) Betrach- 
tungsweise des Verfassers kommen diese Punkte nicht weiter 
in Betracht. Er will der Entwickelung des ägyptischen Volke« 
uud später der anderen Völker nachgehen, da er annimmt, 
daß in den Einzelentwickvlungun der Völker der gemeinsame 
Kern der Men-xhheitsentwickchiiig verborgen läge. Er hofft 
auf diesem Wege allmählich eine Reihe fester, vergluichlmrer 
Punkte in fester, zeitlicher Ordnung uud die Grundbegriffe 
einer genetischen Völkerpsychologie feststellen zu können. 
Daun werde man als Parallele dazu die Entwickelung der 
Kindesseele zu verfolgen halten, um zuletzt zur wahren (ie- 
schichtsphilosophie, der Völker- und Kinderpsychologie zu 
gelangen. Diese letzten Konsequenzen gehören in den Bereich 
philosophischer Spekulation, sie entziehen sich meiner Be- 
urteilung- 

In dem bisher von dem weitaussoheuden ITntemehuien 



allein vorliegenden ersten Bande wird zunächst ein knapper 
geographischer Überblick über Ägypten gegeben, die Ent- 
stehung des ägyptischen Staates auf Grund moderner Hypo- 
thesen geschildert und seine Entwickelung his auf Alexander 
den Großen verfolgt. Dann betrachtet der Verfasser vom 
philosophischen Staudpunkte aus die Entwickelung des König- 
tums, des Priestertums und der sonstigen Stände. Hieran 
schließen sich eine Übersicht über die Geschichte der bilden- 
den Kunst und weitere über die der Dichtkunst und Geschichts- 
schreibung, der Wissenschaften und vor allem der Keligiou. 
Letzterer glaubt der Verfasser am Ende seiner Darlegungen 
große unmittelbare Bedeutung für den Ausbau der christlichen 
Lehre zuschreiben zu können, eine Ansicht, der Refereut 
sehr zweifelhaft gegenübersteht. Boicher Zweifel wird sich 
auch bei manchen anderen prinzipiellen Punkten regen. Vor 
allem erscheinen die Entwickelungsvorgänge als zu einheit- 
liche aufgefaßt, und wird den großen Lücken unserer Kennt- 
nis des alten Ägyptens weniger Rechnung getragen, al« der 
Agyptologo wünschen würde. Aber diese Bedenken hindern 
nicht, daß da» Buch einen geistvolleu, in großen Zügen ge- 
gebenen Abriß der Geschichte der ägyptischen |>olili»chen 
F.ntwickelung uud Kultur bildet. 

Ks wird den Fachmann in manchen Beziehungen an- 
regen, weiteren wissenschaftlichen Kreisen Gedanken und 
Ausführungen über allgemeine Entwickelungeu im alten Nil- 
tale in ansprechender Form übermitteln. Ein alphabetisches 
Namenverzeichnis am Schlüsse erleichtert die Übersicht über 
die Darstellung, deren Verfasser, um dies am Schlüsse zu 
beUmen, ab» Qe»chichUphilo*opb bewußt au Herder und Hegel 
anknüpfen will. 

Bonn. A. Wiedemann. 



Dr. O. Rehlairliilnuifen, Ein Beitrag zur Kraniologie 
dar Seuiaug. Mit 26 Figuren. (Abhandlungen des 
Königl. zoologischen und anthropologisch- ethnographischen 
Museums zu Dresden, Bd. XI.) Leipzig, B. 0. Teubner, 
1907. 

Der Verfasser hat schon verschiedene krnniologische Ab- 
handlungen geliefert, die den Beweis erbringen, daß er auf 
diesem Gebiete zu deu tüchtigeren der jüngeren Kräfte ge- 
hört. Im vorliegenden Falle handelt es sich um die Unter 
suchung von zwei Semangschädeln, womit eine wünschens- 
werte Ergänzung zu den die somatische Anthropologie der 
Inlaudstäimue der malaiischen Halbinsel behandelnden Ar- 
beiten von Prof. R. Martin gewonnen wird. Es handelt sich 
um zwei der seltenen Semangschädel, die der negritoartigen 
Bevölkerung angehören, einen männlichen und einen weib- 
lichen, beide gut erhalten und durchaus echt; hatte doch der 
Häuptling de« Stammes gegen ein Trinkgeld die ftchiVdel der 
eigenen Eltern verschachert. Auf die sehr sorgfältig durch- 
geführte und stets vergleichend gehaltene kraniologiache Unter- 
suchung Schlaginhaufens können wir hier nicht eingehen; er 
bestätigt aber, daß die Schädel so gut wie nichts mit dem 
diluvialen Menschen zu tun haben, sondern innerhalb der 
Formen des Homo sapiens liegen. 



Prof. Dr. K. Weinschenk, Die gesteinsbildcnden Mine- 
ralien. 2. Aull. IX und 225 Seiten. Mit 204 Text- 
lifturen uud 21 Tabellen. Freiburg i. Br., Herdersche 
Verlagxliandlang, 1»04. i> M. 
Das einzige größere Werk dieser Art, das vollauf jeden 
Studierenden in das schwierige Gebiet der mikroskopischen 
Untersuchungen von Gesteinen bzw. den sie zusammensetzen- 
den Mineralien einzuführen vermag. Zahlreiche mit großem 
Geschick, cutsprechend der langjährigen Erfahrung des Ver- 
fassers al> Lehrer, zuxatnmeugestellt« Abbildungen, deren An- 
zahl gegen die orste AufIngo noch vennehrt wurde, zeichneu 
das Much aus, und oiue beigefügte sehr zweckmäßig ein- 
gerichtete Tabelle der ge.iteinsbildendeu Mineralien erleich- 
tert die Ausführung der mikroskopischen Minentlbestiinlnuug 
in denkbar höchstem Maße. Walther von Knebel. 



Kleine Nachrichten. 

Abdruck nur mit (jti»11««ai>g»>j(i getuitsi, 



— Iii seiner Schilderung der territorialen Ent- | 
Wickelung der europäischen Kolonien fiihrt Hein- 
rich Fischer unter anderem folgendes aus (Geogr- Anzeig., 
Jahrg. 8, IVO"): Aus der Periode vor der Entdeckung Arne- i 
rikas stammen nur folgend-- Überseeische Kolonien: Island, I 



die Azoren, Madeira, die Kauarischen, Kapverdischen uud 
Guinea ■ Inseln , das überseeische Algarve, die afrikanischen 
Forts Arguin uud Eltuina und Kongo. Die Periode 1492 bis 
ItSUO wird durch die Kolonisation der Großen Antillen, der 
tropischon Hochländer Amerikas und durch die ersten Ein- 



Kleine 



griffe der Europäer in die ostindiache Welt charakterisiert. 
In der Periode Iftoo bis 1*50 treten Nordamerika and die 
atlantische Seite Südamerika* als wichtigste Kolonisations- 
gebiete hinzu. In der Alten Welt aind die räumlichen fort 
achritte nur im sibirischen Norden bedeutend, aonat herrscht 
fast überall die punktweiae Koloniaatiou vor im Gegensatz 
zur flächenhaften Kolonisierung der Neuen Well. Die Wich- 
tigkeit der kanadiachen Wasserst raßen, dea Loreuzstromea 
and der Seen tritt bereits hervor. In der Periode 1750 bis 
IHÄO beginnt Bich die tlachenhafte Kolonisation auch über 
die tropischen und südbeniisphilrischen Gebiete der öatlichen 
Halbkugel atlazudehneti. In Australien, Neuseeland und Süd- 
afrika entwickeln sich neue Heimstätten für europäische An- 
siedler. In Nordamerika tritt der Zug nach dem Westen 
schon deutlich hervor. Die gegenwärtige Periode öffnet die 
weitesten auagedehnten Räume dem europäischen Unternehmer 
geint. Kiiigeleitet wird sie durch die Entdeckung der Gold- 
länder in Nordamerika, Australien und Südafrika, doch Gold 
und Luxusartikel aind nicht mehr die wichtigsten Waren 
der Kolonialländer für unsere Märkte. Nach Rohstoffen und 
Nahrungsmitteln verlangt unsere so ungeheuer angewachsene 
Industrie und Volkazahl. Das bedeutet eine einachneidende 
Verschiebung in der Wertschätzung der Übermeerländer. Die 
Kolonisation bedeutet ferner eine neue Art Völkerwanderung. 
Man kann drei Arten vou Kolonien unterscheiden: Einwan- 
derer-, Misch- und Eingeborenenkolonien, wie Australien, das 
ironische Amerika und Kritisch - Indien als Heispiele zeigen. 
Von den ISS Millionen Quadratkilometer außereuropäischen 
Landes (das Südpolarland nicht mit eingerechnet) sind 99 
Millionen Quadratkilometer bereits kolonisiert und haben 
105 Millionen Europäern eine neue Heimat geschenkt. Erei- 
lich der EintluC der Kolonisation auf die neuen Länder ist 
oft zunächst kein günstiger, und in der Eingeborenenfrage 
bekämpfen sich von von jeher zwei Richtungen, die des 
wirtschaftlichen Egoismus und die humanitäre. 



— Bei seinen Versuchen über den Einfluß dea Hodens 
anf die Vegetation kommt II. Frickhinger (37. Her. d. 
naturf. Ver. zu Schwaben u. Neuburg, 1906) zu der Über- 
zeugung, daO die sogenannten kieselsteten Pflanzen auch vor- 
trefflich auf kalkreichem, verwittertem Dolomit gedeihen, 
dessen Porosität derjenigen des Quarzliodeu« gleichkommt. 
Di« sogenannten kalksteten Pflanzen gedeihen schlecht anf 
einem kalkhaltigen Boden, der durch Zusatz von Quarz 
lockere, poröse Beschaffenheit erhalten hat. Sie gedeihen 
gut auf Bälden, der sehr kieselreich ist, aber durch Zusatz 
von I<ehm und etwas Kalk tonige, kompakte Konsistenz an- 
genommen hat. Die PHanze wächst normal, wenn man ihr 
einen Boden zur Verfügung stellt, der in seinen physikali- 
schen Eigenschaften dem Boden der natürlichen Standorte 
entspricht, vorausgesetzt, daß ihr die Mineralstoffe, die sie 
zum Lebeu notwendig hat, geltoten werden. DaO die« in der 
Natur stets der Fall ist, ersieht man aus den vom Verfasser 
mitgeteilten chemischen Analysen der verbreitetsten Geateina- 
arten. Die Pflanze verkümmert aber in einem Boden, der 
zwar in bezug auf aeine chemische Zusammensetzung dem 
Boden dea natürlichen Standortes gleicht, in physikalischer 
Beziehung aber andere Eigenschaften besitzt. Es sind die 
physikalischen, d. h. die mechanischen Eigenschaften des 
Humus, die einen Einfluß auf das Gedeihen und die Ver- 
breitung der Pflanzen ausüben, nicht alier die chemische Zu- 
sammensetzung desselben. Der Unterschied, welcher zwischen 
der Vegetation des Sandbodens und derjenigen dea Kalk- 
und Tonbodens besteht , wird einzig und allein durch die 
mechanische Verschiedeuartigkeit der Verwitterungsprodukte 
der Gesteinsarten hervorgerufen. 

— Eine pflanzengeographische Skizze der Su- 
deten mit besonderer Berücksichtigung der subalpinen und 
alpinen Elora des Rioaengebirgea gibt Vi. Bzubo (Földr. Köz- 
lernen., Bd., 1907). In der weiteren Umgehung ist kein 
Gebirge s» reich an Vegetation; erst in don Alpen und den 
hüheren Gebieten der Karpathen findet man wieder eine ao 
prächtig ausgebildete alpine und subalpine Region. Leider 
iat die untere Grenze der subalpinen Region nicht ganz be- 
stimmt. Die GebirgsHora steht in engster Beziehung zu dem 
Kloreureich d><r europäischen Mittelgebirge, mit der von Her- 
zynien, Böhmen, Mähren und den westlichen Karpathen. Die 
subalpine und alpine Flora liudet jedoch nach Westen keine 
Fortsetzung mehr, da das deutsche Mittelgebirge nirgends 
1000 m überragt. Den Sudeten verleiht das Vorhandensein 
einer Reihe nordischer Pflanzen, die sonst auf europäischen 
Gebirgen nicht vorkommen, einen besonderen Reiz; es sind 
Salix bieolor. Saxifrnga nivalis, Rubua chamaeinorua and 
Pedicularis audetica. Die Sudeten weisen 27 in den Kar- 
pathen fehlende l'nanzcnarton auf, umgekehrt beträgt deren 



achrichten. 371 



Zahl in den Karpathen 110. Auffallend ist die Verbreitung 
dea Knieholzes im Riesengebirge und dessen Fehlen im Alt- 
vatergobirge. Die Flora der Sudeten steht mit derjenigen 
der Alpen und Karpathen in engem Verhältnis, ihre speziellen 
Eigenachaften hebeu sich aber trotzdem derart hervor, daß 
ihr abgeschlossenes Florengebiet die Zone der Sudeten bildet. 
Die Pflanzendecke der Kette ist dabei nicht einheitlich; einer 
Reibe vou Gewächsen dienen die Sudeten als Greuze. Die 
südlichen Elemente in den Sudeten dürften über das Erz- 
gebirge in poatglazialer Zeit in daa Gebiet gewandert sein. 
Hervorzuheben ist, daß die Sudeten eiu wichtiges Kntwicke- 
lungazentrum der Hieraciumarten bilden; das Alter der en- 
demischen Entwickelung muß recht klein sein; ob tertiäre 
IHeracieu existierten, ist bisher unbekannt geblieben. 



— W. Gallonkamp will lu einer Arbeit .Wetterlage 
und Vogelzug" (Verhdl. d. ornith. Ges. in Bayern, 6. Bd., 
1905/1906) die Hübneraehen Anschauungen folgendermaßen 
präzisieren: Jede Vogelart hat ein bestimmtes Temperatur- 
gebiet, in dem sie ein Maximum ihres Wohlbehagens emp- 
findet; dieses Gebiet wird begrenzt durch Isothermen, die 
je nach der Art mehr oder weniger auseinander liegen 
können. Jeder Verschiebung dieses Isothermengürtels wird 
der Vogel, da sein Flugvermögeu ihm dies ermöglicht, folgen. 
Da ein solcher Gürtel im Frühjahr nach Norden und im 
Herbat wieder von Norden nach Süden rückt, wird der Vogel 
im Frühjahr ebenfalls seine Wanderung nach Norden, im 
Herbst seine Rückwanderung nach Süden antreten. Dies* 
Wanderung ist der Vogelzug. Innerhalb dieaea Gürtels ist 
dem Vogel eine gewisse Freizügigkeit gestattet, soweit die- 
aelbe nicht über die Grenzen des Gürtels gegen die all- 
gemeine Richtung des Vorrückens der Istithermen erfolgt. 
Von den sekundären Motiven der Bewegung des Vogels inner- 
halb dieses Gürtels ist das hauptsächlichste die den Klug 
störende Luftbewegung, wie sie insbesondere im Bereiche 
barometrischer Depressionen auftritt. Wie alle Hypothesen, 
kann sie nicht bewiesen, sondern nnr wahrscheinlich gemacht 
werden. 



— Der neue f ranzösisch-siamosische Vertrag. Am 
23. März d. J. ist wieder einmal ein Vertrag zv ischeu Krank- 
reich und Siam geschlossen worden, da mit dem letzten, dem 
vom 13. Februar 1904, beide Teile nicht zufrieden wareu. 
Siain war es nicht wegen der Frankreich zugestandenen bei- 
den Enklaven von Dang-Sai (am rechten Mekongufer, 200 km 
südlich von Luang-Prabang) und von Kratt (an der Koste, 
bei Tschantabun), die beide rein siamesische Bewohnerschaft 
hüben. Ferner waren Siam Bedenken gekommen wegen ge- 
wisser Zugeständnisse, die es 1904 bezüglich der Jurisdiktion 
über Franzosen und Angehörige französischer Hchutzstaaten 
in Siam gemacht hatte: es fürchtete, daß auch andere Mächte 
solche Zugeständnisse verlangen würden. Frankreich wiederum 
war mit der Lage in den bei Siam verbliebenen, ehedem zu 
Kambodscha gehörenden Provinzen Sysophon, 8iem-Reap und 
Battambang nicht zufrieden. Im Vertrag von 190* war be- 
stimmt worden, daß Siam hier nnr von französischen Offi- 
zieren kommandierte einheimische, d. h. kambodschanische 
Milizen halteu dürfe. Daraus hatten sich Unzuträglichkeiten 
ergehen, auch quälte der König 8is»wath von Kambodscha 
fortwährend die französische Regierung mit dem Verlangen, 
sie solle ihm jene/früher von Siam eroberte Provinzen wieder- 
verschaffen. Der neue Vertrag bestimmt nun: Frankreich 
gibt an Siam die Gebiete vou Kratt and Dan« -Hai zu- 
rück. Die vier 1904 von Siam an Frankreich abgetretenen 
Konzessionen auf dem rechten Mekongufer werden in , Erb- 
pachtungen' verwandelt. Frankreich gesteht Siam Änderun- 
gen in der Jurisdiktion zu, um dessen Stellung in den Ver- 
handlungen mit anderen Mächten zu stärken. Siam tritt an 
Frankreich die drei Provinzen Sysnphon, Sieui-Reap und Bat- 
tambang an der kambodschanischen Grenze ab Alle fran- 
zösischen Staatsangehörigen erhalten das Hecht, ülierall in 
Siam Grundeigentum zu erwerben. 

Mit den erwahiiteii drei Provinzen ist Frankreichs Schutz- 
staat Kambodscha in den Besitz des ganzen Beckens des 
Grand Lac gekommen; sie zählen wenigstens 250000 Ein- 
wohner uud sind «ehr reich an Heia. An Territorium hat 
Siam auch durch diesen Vertrag viel eingebüßt; die drei 
kambodschanischen Provinzen sind fünf- bis sechsmal so 
groß wie Kratt und Dang Sai zusammen. 



— Eine Expedition zur Entscheidung der Frage, ob 
daa Gillis- oder Gilesland existiert oder nicht, plint 
für diesen und den uäclisteu Sommer Theodor Kern er. 
Der holländische Kapitän jenes Namens will 1707 in dur tie- 



372 



Kleine Nachrichten. 



gend zwiaclteu Spitzbergen und Kranz Josef-Land, eine Kutte 
gesehen haben, die dann seitdem auf unterm Karten dort 
umhergeirrt ist. Heute freilich Ut dieaei geheimnisvolle Land 
oder wenigatens «ein Name von den meisten Karten ver- 
schwunden, nachdem Nathorst den Nachweis zu fähren ver- 
sucht hat (Twa Öomrar in Norra Ishaf vet, Bd. 1, 8. 284 ff.), 
daß, wenn Qillisland überhaupt existiert, es mit der 1896 von 
ihm umfahrenen Weißen Ins«) in der Nähe und im Osten 
de« Nordostlandes von (Spitzbergen identisch ist. Ks spricht 
indessen nicht« gegen die Möglichkeit, daß es. vielleicht in 
etwas nördlicheren Breiten, zwischen dem Nordostlande und 
Franz Josefs-Land (Alexandra-Land) noch eine unbekannte Insel 
von natürlich nur geringer Ausdehnung gibt, und daß diese 
das Gillisiand sein kanu Dieser Meinung ist auch Lerner. 
Er will während der Monate Juli und August d. J. auf einer 
Vorexpedition nach Spitzbergen an der Dovebai, auf den 
Bieben Inseln oder an einer anderen passenden Stelle einen 
Überwinterungsplatz für die Uauptexpcdition im Jahr« 1903 
ausfindig machen. I>eren Aufgabe soll in einem im Früh 
jähr 190» zu unternehmenden Vorstoß mit dem Schlitten 
über das Eis in nordöstlicher Richtung bestehen, während 
auf der Station ein Jahr hindurch wissenschaftliche Beob- 
achtungen ausgeführt werden sollen. Eventuell <.oll jener 
VorstoB bis Franz Jo«ef-I«nd ausgedehnt werden. Auf eiu 
eigene! Schiff verziehtet Lerner. Er glaubt im übrigen mit 
Hecht, daß, wenn auch das sagenhafte Land nicht gefunden 
wird, die Expedition viel wichtiges wissenschaftliches Ma- 
terial heimbringen wird. Die Frage wird nur sein, ob ihm 
die Kisverbaltnisae zwischen dem Nordostland*.' und Franz 
Josef-Laud «ine längere Bei»« tnit dem (Schlitten "estatteu 
werden. Die Zahl der Teilnehmer an der Hauptexpedition 
1908 soll fünf - 



— In seiner ausführlichen Besprechung des Buches von 
F. de Montessus de Bailore, Les tremblementa de torre (Geogr. 
Zoitschr. , IS. Jahrg. , 190") beschäftigt sich Karl Sapper 
mit den allgemeinen Ursachen der Erdbeben. Er stimmt 
mit jenem darin überoiu, daB die Mehrzahl der Beben unse- 
rer Erde tektontscheu Ursprung« sei, aber er nieint, daB die 
vulkanischen von ihm sowohl ihrer Intensität als ihrer 
Häufigkeit nach unterschätzt werden. Heilpriu macht dazu 
auf die Schwierigkeit einer Unterscheidung zwischen vul- 
kanischen und tektonischen aufmerksam und auf die häufig 
zutage tretende zeitliche Annäherung von seismischen und 
vulkanischen Ereignissen; möglicherweise ist für beide Phä- 
nomene eine gemeinsame tiefliegende Ursache anzunehmen; 
die Krusteubeweguugen, die wir als tcktonische lieben an- 
sehet!, sind vielleicht die Folgen eines Rütteins von uuten 
her. Was die geographische Verbreitung der Erdbeben an- 
langt, so erhellt aus dem Buche der Nachweis, daB die Krde 
hauptsächlich innerhalb der schmalen Zonen längs zweier 
Grußkreise bebt, die sich unter einem Winkel von etwa 07° 
schneiden, des Mittelmeerk reiset und des zirkutupazinschen, 
d. h. der Uauptrelieflinien der Erde. Der früher nur für 
einzelne Teile unseres l'lancten nachgewiesene Satz, daß die 
Tafelgebiete stabil, die Faltungsgebiete instabil sind und wohl 
zu allen geologischen Zeiten so gewesen sein werden, ist eine 
weitere Frucht aus dem vortreffiieheu Werke des franziieischen 
Gelehrten. Aber trotz aller Fortschritte in der «•itw.ologitchcn 
Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten tind wir von einer 
allseitig befriedigenden Erklärung der Erscheinungen noch 
immer weit entfernt. Die statistische Methode von F. de 
Monteasus de ßallorc wird sicherlich hei allen weiteren Ver- 
suchen, die Lösung zu bewirken, unter den anwendbaren Me- 
thoden eine erste Rolle zu spielen haben. 



— Ül>er die Enlwickelung von Kiautschou im Ver- 
waltungsjabr 1. Oktober 1903/06 gibt die letzte Denk- 
schrift Auskunft. Betont werdcu die ruhlgeu, stetigen Fort- 
schritte auf allen Gebieten de» Wirtschaftslebens. Die Ein- 
nahmen de» Schutzgebieti sind von 1001170 auf 137049:» M. 
gestiegen, der Wert de« Handelt nach der chinesischen Zoll- 
statistik von 32,4 Millionen auf 39,4 Millioneu Dollar (zu 
2,38 M.) gewachsen. Der Schiffsverkehr des Hafens Tsingtau 
hat um rund iöOOO Reg.-Tuns zugenommen und betrug im 
Berichtsjahr 47U64iSt. Der Peraonenvcrkehr der Schantung- 
bahn wuchs von 780328 auf BII28.I Personen, der Fracht- 
verkehr (besonder* Steinkohle) von 279740 auf 377049 t. 
Über die Aussichten der weiteren Enlwickelung 
äuOert sich die Denkschrift unter anderem wie folgt: Für 
die fernere Hebung de« wirtschaftlichen Lebens der Kolonie 
werden in erster Reihe die Faktoren maßgebend sein, auf 



denen schon ihre bisherige Entwickelung vor allem beruhte, 
nämlich die fortgesetzte Ausgestalung des Seeverkehrs und 
der weitere Ausbau der Verkehrswege im Hinterlande. Mit 
Bezug auf die Ausgestaltung des Seeverkehrs ist hervor- 
zuheben, daß an bequemen und sicheren l<ösob- und Lade- 
einrichtungen Tsingtau alle Häfen in Ostusien übertrifft: auch 
die größten Frachtdaiupfer können am Kai unmittelbar in 
die Eisenbahn überladen. Diu Ansteuern des Hafens ist 
außerdem bei jedem Wetter und hei jeder Tages- uud Jahres- 
zeit möglich, und es finden die Schiffe eine so sturmsicherv 
Unterkunft, daß Zeit- und Gnterverluste beim Löschen uml 
Laden ausgeschlossen sind. Eudlich bietet sich nach Volt- 
endung der Gouvernemeutswerkstatt und des Schwimmdocks 
eine Gelegenheit zu sachgemäßer und preiswerter Reparatur 
für Sohiffe und Maschinen, wie sie besser an keinem Platze 
in Ostasien angetroffen wird. Es steht zu erwarten, daß mit 
der zunehmenden Erschließung der Provinz Schantung und 
in dem Maße, wie sich die einheimische Landwirtschaft uud 
Industrie der Erzeugung von Ausfuhrartikeln zuwenden, der 
Handel sich dieser Vorkehrsmittel bedienen wird. Die F-ut- 
wtckelungsmöglicbkeiteu der chinesischen Landwirtschaft sind 
noch beträchtlich, und das Vorkommen von Kohle und Eiseu 
läßt mit Sicherheit die Entstehung neuer Industrien voraus- 
sehen. Mit der zunehmenden Kaufkraft des Landes wird 
aber auch die Einfuhr steigen. Von ganz wesentlicher Be- 
deutung wird es sein, wenn es gelingt, die Fortsetzung 
der Bahnlinie über Tsinanfu hinaus, besondere in der 
Richtung nach Tientsin, zu erreichen. Der Uinttaud, daß 
die Schiffahrt im Golf von Techiii im Winter de« Eise» wegeu 
ruht, muß ohne Zweifel dem nächsten eisfreieu, mit der Bahn 
zu erreichende!) Hafen zugute kommen, da ganz Nordohina 
auf diese Verbindung angewiesen ist. Im besonderen wird 
der Personenverkehr sich dieses Weget bedienen, wenn er in 
Tsingtau Anschluß an den großen Weltverkehr findet. Ein 
wichtiges Glied in der Kette dieser Entwickelung wird daher 
sein mästen, daß die deutschen Postilampferlinien Tsingtau 
aus- und heimreisend regelmäßig anlaufen und so auch 
ihrerseits zur Hebung von Handel und Wandel im Schutz- 
gebiet«, namentlich aber zur Fftrderang der Einfuhr deut- 
scher Erzeugnisse beitragen. (Die mit Abbildungen aut 
gestattete Denkschrift Urt für 3 M. durch Dietrich Reimer, 
Berlin, zu bezieheu.) 



— ü räcoromanische Einflüsse in Indien. Es ist 
eine bekannt« Tatsache, die von Prof. Grünwedel auch mit 
Abbildungen im Globus eingehend erläutert wurde, wie seit 
der Zeit Alexanders d. Gr. uud später die indische Kunst 
von der griechischen beeintlußt wurde Dio sog. Gandhara- 
tkulpturen des nord wextlichen Indien legen dafür be- 
redtes Zeugnis ab, und neue Funde bestätigen immer wieder, 
wie tief diese gräcoromanisolien Einflüsse in Indien gegangen 
sind. Vor kurzem itt eiu Relief in das britische Museum ge- 
langt, das jetzt O. M. Dalton (Man, Mai 1907) abgebildet 
und beschrieben hat, und auf dem wir nicht nur korinthi- 
sche Säuleu mit Acanthuskapitälen, sondern darüber einen 
Fries aut Lorbeerblättern sehen, echt griechische Ornamente. 
In der so eingerahmten Nische sitzen zwei Männer, die Schrift- 
rollen in den Händen halten, di« wohl nach hellenistischen 
Motiven kopiert sind. Da« Auffallendste und durchaus Un 
indische aber i«t der Klappstuhl mit gekreuzten Beinen, auf 
dem die eine Figur sitzt, wie er häufig auf römischen und 
griechischen Denkmälern vorkommt, niemals aber im Osteu. 
Ks itt eine tella curulit der römischen Magistrats personen, 
die auch (iu Holstein) in der Bronzezeit schon nachgewiesen 
ist, hier aber wohl auf die römische Kaiserzeit hindeutet, so 
daß dieser Stuhl wohl als eine Bestätigung der neueren An- 
sicht gelten kann, welche die Gandharaskulptureu in die 
früheste Periode unserer Zeitrechnung verweist. 



— In einem kleinen Aufsatz .Geodäsie für Geogra- 
phen*, der gleichzeitig iu der Zeitschr. f. Vermessungswescn 
uud den Mitteil. d. k. k. geogr. üesellsch. zu Wien erschienen 
ist, macht 8. Truck auf die Wichtigkeit der Geodäsie, be 
sonders für den Forte uungsruisondeu aufmerksam und spricht 
sich dafür aus, daß an den Universitäten spezielle geodäti- 
sche Vorlesungen und, whs gleich wichtig ist, Lbungen für 
Gcogruption eingerichtet werden sollen, die ihnen den geo- 
dätischen Stoff nur in dem Umfang» vermitteln sollen, in 
dem sie ihn für ihre speziellen Zwecke und zur erfolgreichen 
Lösung ihrer Aufgaben nolig halten. Über den zu behan- 
delnden Stoff bzw. dessen Umfang diskutiert der Schluß de« 
Aufsatzes. Gr. 



Versal« 



II. Singer. ! 



; FrieJr. Visw«v o. hoho. ] 



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GLOBUS. 

ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE. 

VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN: „DAS AUSLAND" UND „AUS ALLEN WELTTEILIN". 

HERAUSGEGEBEN VON H. SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof. Dr. RICHARD ANDREE. 

VERLAG von FR1EDR. VIEWEG Sc SOHN. 

Bd. XCI. Nr. 24. BRAUNSCHWEIG. 27. Juni 1907. 




Das Qasteiner Tal. 

Von Julias Jaeger. Mönchen. 



Der bequemste Orientierungspunkt für das obere 
Tal tob Gastein ist Markt und Bad Hofgastein am Fuße 
den Gamskarkogls. In den hübschen Promenaden dieses 
Ort«« hat man im Süden den ganzen Talabschluß vor 
sich mit den hohen VorWgen und darüber ragenden 
Tauern mit ihrem ewigen Schnee, den Keeaen, wie sie 
kierlauds heißen. Am Fuße dieses erhabenen Gebirgs- 
hintergrundes schimmern in »eltsamem Gegensätze hierzu 
die etwas über eine Meile entlernten großstädtischen 
Gebäude von Wildbad Gastein, bei Föhnluft scheinbar 
kaum eine .Stunde eutfernt Wenden wir uns gegen 
Norden, so tritt uns auch der nördliche Hintergrund des 
Tales in den Kalkalpen (Schönfeldspitze und Steineruos 
Meer), wenn auch in weit größerer Ferne, entgegen. 
Im Osten und Westen des hier über >/, km breiten, von 
der Gasteiner Achu durchströmten Tales erheben sich 
ansehnliche Berge des Schiefergebirges zum Teil tod 
mehr als 2000 m Höhe, die das 88 Inn lange Tal link« 
und rechts vom Ursprung oberhalb Bad Gastoin bis zur 
Einmündung in das Salzachtal bei Lend begleiten. Den 
Südabschluß des Tales bildet der Zug der Hohen Tauern 
von den Mallnitzer Taueru bis zum Atikogl. Im Westen 
trennen der Türchl- und Stubnerkamm unser Tal vom 
Rauns- und Angertule, der Rad h auastock im Süden 
(höchster Punkt der Kreuzkogl mit 2683 m) steht zwi- 
schen Weißenbach- und Anlanftal, der Keichebenkamm 
mit Graukogl (24!) 1 m) zwischen Aulauf- und Kötechach- 
tal; im Osten lagert sich der Gsmskarkamm zwischen 
Kötschach-, GaBteiner- und Großarltal. In dem südlichen 
steilen Felswalle ist der Ankogl mit 3253 m dio höchste 
Erhebung , im Keichebenkamm die Tiscblerspitze mit 
rund 3000 111, deren in einem Ungeheuern Kare gelegenes 
Scbneefeld (Tischlerkaar-Keos) dem Gasteiner Tale einen 
hochalpinen lteiz verleiht. Der Türchlkatnin im Westen 
(2573 m) und der Gauiskarkogl (2465 m) im Osten be- 
gleiten in ihren Ausläufern das Tal nahezu bis zu dessen 
Ausgang im Norden. Die Glet&cherbedeckung des süd- 
lichen Talbintergrundes nimmt eine Flache von 11,(1 qk'm 
ein. Dos Gasteiner Haupttal beginnt am Fuße des Mali- 
nitzer Tauern mit dem Weißenbachtale, wo die Ache 
entspringt, um sodann die Terrasse des Naßfelde* 
(1624 m Höhe), dann eine steile Engschlucht (Asten) mit 
Wasserfällen, weiter die zweite Talterra-iao bei Böckstein 
(1079 w Höbe) zu durchströmen, bei ltad Gasteiu (960 m) 
in drei Stufen mit gewaltigem Brausen in das Tal von 
Hofgastein (870 in) abzustürzen und in einem noch 1!' km 
langen Tallaufe »ich schließlich durch die Gasteiuor 

Olr.b«. XCI. Nr J4. 



Klamm (753 in) in einem mächtigen Wasserfalle bei 
Lend (636 m) in die Salzach zu ergießen >)■ 

Neben dem Interesse an der schönen Landschaft tritt 
nun an ernstere Bewunderer bald auch die Frage nach 
der Entstehung dieses bevorzugten Gebirgstales heran. 
Bekanntlich führt dasselbe von der Ausmündung in die 
Salzach an bis nach Wildbad Gastein durch immer altere 
Formationen, nämlich durch Petrefakten führendes' Cam- 
brium bis Lugau (zwischen Dorf- und Hofgastein), dann 
durch Glimmer- und andere kristallinische, namentlich 
Grünschiefer und Phyllite bis etwa 3 km südlich von 
Hofgastein, endlich durch Zentralgneis von dort bis 
Wildbad Gasteiu und darüber hinaus. Die Falten der 
Schieferhülle lehnen sich an den Zentralgneis, der in der 
Hauptkette eine fächerförmige Anordnung erfahren bat 
Hierin liegen wohl Fingerzeige für die Art der Erhebung 
dieses Gebietes und für die relative Zeitbestimmung dieses 
Ereignisses. Es werden nämlich schon vorher die Schichten 
der Schieferhülle abgelagert worden sein, bevor der Ur- 
gneis empordrang, der dann diese oberen Formationen 
mit sich in die Höhe zog *). Der Gneis erlitt dabei eine 
steile Aufrichtung mit Umkehrung der Schichten, und es 
bliebe nur die Frage, wann diese ungeheure Bewegung 
ius Werk gesetzt worden und wie das Verhältnis von 
Gneis und Granit in den Tauern aufzufassen sei. 

Eine bis auf Humboldt und Leopold v. Buch zurück- 
reichende Ansiebt geht dahin, durch die plutenische 
Kraft des Granits, welcher ja auch im Tauernstocke zu- 
tage tritt, seien die Schiefer metamorphisch in Gneis 
umgewandelt worden. letzterer sei also kein selbständig 
auftretendes Gestein uud die ganze Katestrophe lediglich 
der aus dem Krdinnern uach der Erdoberfläche gerichteten 



') , Wildbad Gasteiu', von Dr. K. Uunzel, H. Auflag«, 
8. 1 ff. Wien 1891. 

*) „Goulogiscbcs von der Taucrnbahn' von F. Becke, 
8. U, Wien 190«: „Der Kuchen von Granitgneis war »-inst 
ganz von den Gesteinen der Bcliieferhalle bedeckt, aas der 
er erst durch die zerstörende Tätigkeit des Wassere, des 
Frostes, der Atmosphäre nach und nach herausgeschält wird. 4 
Becke nimmt als sicher an, .daß der Kern von Granitgneis 
einstmals in feuerflüstigem Zustande unter die Gesteine der 
ßchieferhülle gedrungen und unter einer mächtigen, jetzt 
zum gröOten Teile zerstörten Decke erstarrt ist". Anhalts 
punkte: „Cheruischu Zusammensetzung dos Gneises gleich 
echtem eruptiven Granit, Grenzverhältnia«« zwischeu SSchiefer- 
hullu und Granitgnois, an vielen Htelleu ein Durchbrechen 
der Bchieferhülle, ein Zerreißen domellieii in einzelne Scholien, 
ein F.indiingeti von dünnen Granitgiieislagen zwischen ilie 
Schieferlager." 

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Julia« Jaegor: Das Gasteiner Tal. 



Granitintrusion zuzuschreiben. Auch die neueren Au- 
toren schließen sich zumeist dieser Ansicht aii, wodurch 
aber gewiß die Frage, ob «ich an vielen »öderen Stellen 
der Gebirge nicht auch selbständig entstandener, also 
von Granit unabhängiger Gneis plutunisch erhoben habe, 
nicht verneinend beantwortet sein wird; denn schon 
L. v. Buch fand in Skandinavien nur seltener den Granit 
und viel häufiger den Gneis, und es konnte schon damals 

— zum Leidwesen Goethes — der Granit nicht mehr 
als das eigentliche Urgestein, „die Grund feste der Erde", 
festgehalten werden 3 ). 

Fraglich bleibt es noch, ob dieser Aufbruch der 
Schieferhülle schon in uralten Zeiten, %. Ii. denjenigen 
der sog variscischen Alpenerhebung, oder erst im 
Tertiär bei Erhebung der Kalkalpen eingetreten sei. 
Das Alter des Gneises und der Schieferhulle wird natur- 
gemäß für eine ältere Erhebung sprechen , die ja auch 
im Sehwarzwalde, Fichtelgebirge, Erzgebirge die ältesten 
Formationen getroffen hat. Da aber in den Tauern ein- 
gefaltete Kalkzüge gefunden werden, so mnß dieser 
Zentralstock auch noch an den jüngeren Faltungen teil- 
genommen habon, die einzelne Teile der früher über 
den Zentralalpen vermutlich ausgebreiteten und wieder 
abgetragenen Kalkdecke festhielten *). Wenn sich andere 

*) Nach Uumboldt» .Kosmos", Bd. I (1845), 8. 287 bi* 2«9, 
wirkt das Eruptionsgestein — Grauit, Forpbyr, Melapbyr — 
nicht bloB dynamisch, erschütternd oder hebend, die Schichten 
aufrichtend und seitwärts schiebend ; seiu Hervortreten bewirkt 
auch Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung 
der Stoffe, wie in der Natur des inneren Gewebes. E« ent- 
stehen neue Gebirgaarten : Gneis, Glimmerschiefer und kör- 
niger Marmor durch Umwandlung des Tonschiefers, des dich- 
ten Kalkes, der Quarzkörner des Sandsteins. Humboldt 
beruft sieb dabei auf direkto chemische Versuche und auf 
die Arbeiten I<eopold von Buchs. Siehe aueh S. S7U/274 und 
281 ebenda. Beiläufig sei bemerkt, daß Humboldt neben 
der älteren Ansicht von der Gebirgserhebung durch die Kraft 
der elastischen Dämpfe im Erdinnern doch auch schon die 
Möglichkeit einer Faltung (Bunzelung) durch ungleichen 
säkularen Wärmeverlust der Erdrinde und des Erdkernes an- 
nimmt. .Kosmos*, Bd. I, 8. »12. Von Neueren sagt Fr.Löwl 
in seiner Arbeit .Die Tonaliten der Bieser Kerner in Tirol* 
in .Veterinarn» Mitteilungen", IB9S, 8. 73 und 112: ,I>ie tona- 
litiscbeu (granitischen) Kernmasaeu der Tauern sind Erup- 
tivmasaen und lieget) in den umgebende» Schiefern wie 
Lakkolithe, deren Intrusion gleichzeitig mit der ersten Fal- 
tung der kristallinischen Schiefer erfolgte.* Oerselbe erklärt 
in der Abhandlung »Der Großvenediger* in .Jahrb. der Wiener 
geol. BeichsansUilt*, 1894, 8. 515: „Der Zentralgneis ist ein 
intruslver Grauit, der teilweise durch Druck schieferig ge-' 
worden ist*, und in einer Abhandlung über .Kais' in der 
.Zeitachr. des d. u. öster. Alpenvereins", 1897, 8. 34 ff.: .Der 
Zentralgneis bildet im Tauernzuge ausgedehnte von kristalli- 
nischen Schiefern umhüllte Kerne, die erst durch die Zer- 
störung ihres ursprunglichen Schieferdaches bloßgelegt wurden 

— sie wurden in geschmolzenem Zustande aus der Tiefe in 
die Schiefer hineingetrieben und erstarrten in ihnen gleich 
einem Granit". E. Weinschenk in dem Artikel .Gesteine 
der östlichen Zeulralalpen" in .Neues Jahrbuch für Mine- 
ralogie", Stuttgart 1895, Bd. I, S. 221 erklärt: .Der Zentral 
gueis ist ein eruptiver Granit („Zentralgrauit"). Seine Intru- 
siou erfolgte nach dem Beginne der Faltung der Schiefer, in 
denen er liegt. Im weiteren Verlaufe der Faltung drangen 
basischere Granitmaaseu in vielverzweigten Gängen empor. 
Nach außen geht der Zentralgranit allmählich in Gneis über.* 

— Faul Wagner in .Aus der Vorzeit der Erde* in der 
Zcitacbr .Natur", 1898: .Gneis ist gequetschter Granit, echiefe- 
rig, mit parallcleu Qlimuierteilchen." Allmähliche Übergänge 
in Glimmer- und von diesem in Urtonschiefer. 

") F. Becke, a. a. O., 8. 5: „Den nördlichen Band dor 
Tauerngesteiue bezeichnet der Klammkalk. Gegen Lend sind 
verquetschte Schollen jüngerer Kalke und Dolomite eingekeilt 
und mit Serpentin, Serpentinschiefer und Tonschiefer ver- 
schweißt." 8. ö: „Kurz vor Dorf Gastein" wird von der Bahn 
ein .schmaler Streifen von hellem Dolomit und Kalk , ein- 
gekeilt in den Tauernschiefer" gekreuzt. 8. 8: Vorkommen 
von körnigein Marmor in Runsen . darunter Granitgneis bei 
HofgasU'in. 8.7: Die Schieferhülle besteht aus Kalkglimmer 
schiefem und düuntdatterigen Phylhten (Umwiindlungspro 



Gesteine jüngeren Alters in den Tauern nicht finden , so 
muß an die gewaltige Abtragung in diesen alten Zentral- 
kämmen erinnert werden, deren ursprüngliche Höhe man 
im Vergleich mit der heutigen noch um 1000 bi» 2000 m 
großer annimmt 

Wie die Alpen im großen Ganzen, so verlaufen auch 
die Tauern für sich in bogenförmiger lAgerung mit kon- 
vexem Rande gegen Norden. Trennt man Hoho und 
Niedere Tauern , so hat man eigentlich zwei Bögen der 
genannten Art, indem sich in der Mitte des ganzen 
Stockes eine Einbiegung nach Süden zeigt. Die Neben- 
ketten der Tauern sind hauptsächlich gegen Norden ent- 
wickelt und führen hier zur Bildung einer auffallend 
großen Reihe fast paralleler Taler vom Krimmler Tauern- 
tal bis zum östlichen Ende der Niederen Tauern mit 
größeren oder kleineren Abflüssen in dio Salzucb uud 
Enns. Diese Nebenketten sind in den Hohen Tauern 
ganz ansehnliche Gebirgszüge mit Erhebungen bis über 
2000 tu Höhe, bestehen aus den dem Zeutralstock an- 
gelehnten kristallinischen Schiefern nnd bzw. kambrischen 
Schiebten und werden also, wie oben gesagt, schon bei 
Aufrichtung des Hauptkammes uiiterhobeu worden sein. 
Ahnliche Bildungen von Haupt- und Nebenketten, wenn 
auch nicht in so großer regelmäßiger Roiho der letzteren, 
trifft man noch in vielen Kettengebirgen unserer Erde, 
von welchen hier nur die Ötztaler und Zillertaler Alpen, 
in anderen Erdteilen z. B. der Tianschan , die Nunberge 
in Kamerun, die Sierra Nevada in Nord-, die Kordilleren 
oder Anden in Südamerika erwähnt sein sollen '•). Es 
ist naheliegend, an ein Bildungsgesetz zu denkon, wonach 
bei ursprünglicher Aufrichtung der Gebirge außer dem 
Zentralkamm auch eiue Reihe von Seitenkämmen mit- 
erhoben wurde, gleichsam wie die Seitenzweige eines 
Wurzelstockes beim Aushalten eines Baumes ans der 
Erde. Immerhin muß es mangels eines organischen Zu- 
sammenhanges zwischen Haupt- und Nebenkämmen das 
Erstaunen jedes Nachdenkenden hervorrufen, daß bei den 
Ungeheuern Massenerhebtuigen in größeren oder kleineren 
Abständen ao regelmäßige, fast parallele Reihenzüge ent- 
stehen konnten, deren Zwischenräume uns heute als 
freundliche Täler mit lebhaften Wasserläufen begrüßen, 
ohne daß durch wesentliche Herausrückung der flan- 
kierenden Berge aus der ihnen angewiesenen Linie eine 
Unterbrechung oder bedeutendere Einengung dieser 
Täler (abgesehen von einigen erodierten Gebirgsklammen) 
eingetreten sein würde. 

Als klassisches Beispiel für das Verhältnis des Zentral- 
kammes zu den ausstrahlenden Ncbenzwoigen kann nun 

dukte von kalkigen [mergeligen) und Umigen Sedimenten), 
dann besonders aus den auffallenden Grünschiefern (um- 
gewandelten vulkanischen Laven und Tuffen). 

') Gümbel in „Anleitung zu geologischen Beobach- 
tungen in den A)|»en*, 8. 88, nimmt eine erste uud successiv 
fortschreitende Faltung der Alpen schon in den frühereu 
Entwickelungsphasen der Erde an , den Aufbruch der Falte 
und die zentrale Aufpressung eines älteren Kernes aber erst 
in einer relativ späteren Feriode. Fr. Frech, .Aus den 
Karntsehcn Alpen", 1890, setzt dio uralte Faltung in die Mitte 
der Carboiweit. Diener, „Gcbirgsbau der Ostalpen*, 1S»01, 
gibt der Granitintrusion der Tauern «in höheres Alter als 
das der vortriadiachen (variscischen) Gehirgsfaltung. Nach 
G. Steinmann, .Geol. Probleme de« Alpengebirge»', bildet 
das Tauerngebiet eiue Insel der I.epontinischen Altteu , und 
es tauchen die Gesteine dieser Insel unter die ostalpinen am 
Rande unter, welche bei der großen Phase der Gebiigabildung 
über jene geschobon wurden. „Zeitschr. des Alpenvereins", 
IHOrt, S. I ff. 

*) Über den Tianschan s. Gottfr. Merxbaebcr in der 
.Zeitschr. de* Alpenverein«*, 100«, S. 122; über das Kamerun- 
gebirge s. Hauptmann Hutter im .Globus*, Bd. 91, B. 1 ff. : 
.An der Südseite der Pyramide (des Nun -Berges Muti) sind 
langgestreckte Bergrücken, Ausläufer gleich Strebepfeilern 
angesetzt." 



Julius Jaeger: Da» Gasteiner Tal. 



wohl da« Gasteiner Tal mit den beiderseits angrenzenden 
Tälern des Rauri« und Groß- Arlbaohes bezeichnet 
weiden. Im Saden de« Tale« ist der Urgneis der Naß- 
Felder Tauern faltig erhoben, und an diesen Zentralkaram 
lehnen «ich nun die beiden nach Norden abfallenden 
Nebenketten des Tales an, die zunächst aus kristallinischen 
Schiefern dos Arcbaicunn, dann von Luguu an aas paläo- 
zoischen Gesteinen bestehen und deren Schichten eine 
mantelförmige Umlagerung erfuhren, wobei sie vom 
Gneise weg, also von innen nach außen zu liegen kamen 
und innig mit dem Hauptkamme verbunden erscheinen. 
Die Zwischenräume (Täler) zwischen diesen und anderen 
Nebenkotten der Tauern sind allerdings mäßig und be- 
tragen oft kaum 1 km in der Breite , während die 
Nebenketten selbst gewöhnlich eine Breite von 3 bis 4 km 
und darüber behaupten. Solche, wenn auch ziemlich 
enge Täler müssen wohl immerhin tektonisch gebildet 
worden sein, denn die Erosjon durch Wasser oder Eis 
wäre sicher nicht imstande gewesen, eine solche ver- 
hältnismäßig breite Spalte wie das (iasteiner Tal durch 
allmähliches Hinwegnehmen eines weit höher gelegenen 
Bodens mit Hinterlassung von ganz natürlichen Berg- 
reihen von über 2000m Höhe herzustellen'). Dagegen 
ist die Ausarbeitung auch des Gasteiner Talbodens (ins- 
besondere auch der Enge unterhalb des Naßfeldes und 
der Klararo beim Talausgange) allerdings das Werk der 
Erosion durch Wasser und Eis. Das orstere gewann 
seine volle Bedeutung bei Rückgang und Abschnielzung 
des Gletscherstromes , der in diesem Tale, wie in den 
andoren Tauerntälorn, bis weit in nördliche Gefilde sich 
fortgeschoben bat Vom Hauptkamme her wälzte er sich 
durch das Naßfeld in das Gasteiner Tal, durchschritt 
weiterhin den Paß Lueg und drang dann als großer 
Salzachgletscher weit über die Gegend de« heutigen Salz- 



') Gümbel spricht bezüglich der Alpen von einer 
Uauptgebirgskctte von hoher zentraler Achse mit beiderseits 
angelehnten Nebenketten ebenda, 8. 88; Schlagin tweit, 
, Untersuchung über Talbildung uud die Form der Gebirgs- 
züge in d»u Alpen" im .Jahrbuch der Geolog. Reichsanstalt", 
Wien 1851, Heft I, 8. 33 ff., nimmt in den Tauern eine Ver- 
bindung der Becken durch plötzliche Senkung der Talsohle 
an. Die Bildung der Quertäler betrachtet er als dos Werk 
einer Reihe von successiven Hebungen, verbunden mit einigen 
Senkungen, und hält daa Talsystem des Gebirge« für prä- 
glazial, wahrend er die Krosion erst in zweiter Reihe für die 
Ausarbeitung dieser Täler wirksam sein hißt. Richter in 
seiner Arbeit über .Gebirgserhebung und Talbildung" in der 
„Zeitschr. des Alpenvereins*, 1899. 8. 18 ff., betrachtet die 
Gebirgskämnio als Reste einer einstigen großen, zusammen- 
hängenden Oebirgsmosse , aus der eine Anzahl prismatischer 
Körper, den jetzigen Tälern entsprechend , herausgenommen 
wurden (wie Jting das zu?). — Die Krosion durch Wasser 
kann wohl enge, tiefe Schluchten mit himmelhohen, fast senk- 
rechten Wanden schaffen wie Canons, Ilarraticaa (auf den 
Kanarischen Inseln) und Gebirgsklammen, sie kann auch im 
Bunde mit (Wetschereis Fjorde — nicht schaffen — aber aus- 
arbeiten; wenn man jedoch die Möglichkeit der Ausptlügung 
eines 8eebeckens von meistens weniger als 100 m Tiefe heute 
noch vielfach bestreitet , so wird doch an eine Entstehung 
von solchen Abdachungstttlern mit ganz natürlichen Gebirgs- 
rändern uud keineswegs schroffen 8«iteiiwänden durch 
Krosion von Waiser uud Ris nimmermehr gedacht werden 
können und dieser Kraft nur dio Vertiefung, Verllacliung 
und Verbreiterung des tektonisch vorgebildeten Talbodens 
zugeschrieben werden können. Ks muß sohin eine ge- 
nügende Aufhellung des für solche Abzweigungstäler walten- 
den geotektonischen Gesetzes heute noch allen Gelehrten 
und Ungelehrten angelegentlichst empfohlen werden. Schließ- 
lich darf »her nicht unerwähnt bleiben, daß Fr. Frech, 
.Über dos Antlitz der Tiroler Zentralalpen" in der „Zeitschr. 
des Alpenvereins", 1903, 8. «, ,den Verlauf der Tauvrntäler 
in beinahe gleichem Abstände und vollkommen parutlcl von 
Böden nach Norden" der Kxistens einer großen I<ängxfurche 
vom Zillertale bis zur F.nns zuschreiben will, wie auch in den 
Karnischen Alpen die modellartige Anlage der Nebeutaler 
der üail Langsfurche. 



bürg hinaus bis nach Burghausen im jetzigen Bayern, 
wo er seine Erdmorinen ablagerte. An zurückgelassenen 
Spuren dieses Gletschers fehlt es auch nicht im Gasteiner 
Tale, wobei hier nur auf die im Gneise bei Bad Gastein 
aufgedeckten Gletschern] üblen hingewiesen werden mag, 
die als das Werk des Gletschers bei dessen Rückzug be- 
trachtet werden. Bei der Abschmelzung wurden, wie be- 
merkt, ungeheure Wassermassen entfesselt, die sich 
durch die Engen und Böden des Gasteiner Tales und den 
I'aß Lueg hinabwälzten bis zur Niederung und als 
Salzach das heutige Flußtal sich bildeten. Lange wird 
es gedauert haben, bis in dem Gasteiner Tale die Wasser 
sich auf die Riune der heutigen Ache zurückzogen und 
ein Uferland freiließen, wobei offenbar noch verschiedene 
kleine Seen und Tümpel übrig blieben , von welchen 
heute noch Spuren in moorigen Partien auf den Böden 
(daher „Naßfeld") und im Tale wahrzunehmen sind, 
deren Gewinnung für die Landwirtschaft zum Teil noch 
die heutige Generation beschäftigt *). 

Im Anschluß an die geologische Betrachtung muß 
noch zweier Naturschätze gedacht werden , die dem 
Gasteiner Tal beschert worden sind, nämlich des Goldes 
und der warmen Heilquellen. Der Gneis, Granit, 
Quarz und Glimmerschiefer seiner Berge fördert auch 
hier noch einige andere Mineralien und Edelsteine zu- 
tage, wie Beryll, Rauchtopas, Granaten, Asbest, dann 
einiges Silber, Kupfer und Blei. Auch Serpentin bricht 
in dem Urgebirge und erscheint an allen Gelinden des 
Tales. Aber daR vorzüglichste Mineral , das man hier 
förderte und das in der älteren Geschichte des Tales die 
größte Rolle spielt, ist immerhin das so »ehr geschätzte 
Gold. Dieses edle Mineral entstammt zunächst den 
Quarzgängen des Rad haus berges , findet sich aber auch 
bei Schellgaden (im Lungau), im Pochhard- und Siglits- 
tale, am Goldberggletscher im Rauris 9 ). Das führende 
Gestein im Radhausberge ist Granit mit viel Feldspat 



*) Nach Penck, .Die Vergletscherung der deutsehen 
Alpen", 188%, Kap. XVI, trugen die Alpen zur Glazialzeit 
eine zusammenhangende Schnee- und Kishülle, wie das 
heutige Grönland, aus der nur die höchsten Gipfel und 
Bergzüge einsam herausragten. Brückner, .Vergletscherung 
des Sahtachgebietes", 188«, 8. 1«: „Drei grüße Ströme von 
Gesteinen der Tauen, ergossen sich durch drei Quertäler, 
getragen von mächtigen Kismaasen. Die Hohlwege (bei Saal- 
felden) und der Paß Lueg wurden von Gletschern durch- 
schritten." Gletscherstand südlich beider Kngen : 1700 m, 
nördlich etwa 1*00 m. 8. 47 : Wahrscheinliche Höhe der 
Schneegrenze am Abfall der Hohen Tauern 8750 m. S. 94: 
Bei Saalfelden tritt die heutige Saalach in die Hohlwege, 
indem sie die Kalkalpen durchbricht. Der schroffe Abfall 
des Wassers aus der Kilzlochklainin , der Gasteiner- und 
Iiichtensteinklamm und des Arlbaches bei 8t. Johann deutet 
heute noch auf jene Gletscherströme. 

Fr. Wöhner, .Geolog. Bilder von der Balzach', 1894. 
Nach ihm bestand die Salzaeh vor der letzten Vergletscherung 
aus zwei Flössen, der Pinz- und der Pongauer Salzach. 
Krstere wandte sich beim heutigen Zeller See nach Norden 
und folgte dem heutigen Saalachtale. Die Tauern bäche bis 
zum Raurisbachc waren ihr tributär. Der Gasteinerbach 
war der Quellbach der Pongauer Ache. Wasserscheide bei 
Kinbach. Beim Gletscherrückzuge lagen die Kismassen noch 
im Becken von Saalfelden, während da.« Gebiet der Pongauer 
Ache allmählich eisfrei wurde. Die Schmelzwasser des i'inz- 
ganer Oletschers floaten zu ihr ab und durchsägten sohin die 
ehemalige Wasserscheide. Nach dem Rückzüge der Ver- 
gletscherung blieb diePinzgauer mit der Pongauer Ache ver- 
einigt, während sieh die Saalach von der enteren trennte. 

K. Fugger erklärte auf dem Deutsch - Öiterr. Anthro- 
pologen-Kongreß vom 28. Aug. 1905 zu Salzburg: Der Pon- 
gauer Gletscher wurde vorzüglich aus den Firnmulden des 
Rauriser. Gasteiner und Großarltales gespeist und schob sich 
durch das heutige Satzachtal über Bischofshofen und Paß 
Lueg hinaus nach Salzburg, wo er noch ungefähr 900m 
Höhe erreichte. In der Nähe der Stadt vereinigte er sich 
mit dem Pinzgauer Gletscher. 

') F. flecke, a. a. O., S. II. 



Julius .laeger: Das Gasteiner Tal. 



und schwarzem Glimmer, in Gneis übergehend, der 
dünner geschichtet ist und stark nach Süden einfällt. 
Da« Ganggestein des (Söldes ist weißer, muscheliger Quarz, 
dessen kleine offene Drusen das (iold enthalten. Auch 
kommt (einblätteriger Gneis mit gediegenen Goldteilohen 
und geringhaltigem Goldkies vor. Daneben fiudet sich 
Bleiglanz, Kupfer, Schwefel-, Arsenikkies uud Weiß- 
güldenerz, wo der Quarz weniger mächtig ist. IHe 
Gange liegen von Ost nach West, von Lettenkluften und 
tauben Adern durchsetzt. Vor der untersten Bergstuf© 
bis in die Talenge hinter Böckstein ward eine Aufzuga- 
maschine angelegt, von welchem Radwerke der Name 
Kadbuusberg stammen soll I0 ). In der Neuzeit wurde 
der Berg Werksbetrieb hier und iin Rauristale, der im 
Mittelalter so schwunghaft war, wegen L'nergiebigkcii 
aufgegeben. Im Gegensatze zu diesem entschwundenen 
Mammon stehen die warmen Heilquellen des Gasteiner 
Tales heute noch in nngeminderter Kraft und Ergiebig- 
keit und werden vielfach als Jungbrunnen der an Krank- 
heiten oder den Gebreeben hohen Altera leidenden 
Menschheit gepriesen. IHe am Radbausberge mitten im 
Orte Bad Gasteiu bzw. am Fuße dos Graukogls zutage 
tretenden warmen Quellen sollen im Jahre G20 n. Chr. 
von (ioldecker Jägern entdeckt uud schon in genanntem 
Jahrhundert benutzt worden sein, wahrend ihre Aus- 
gestaltung zu einem Heilbad« erst im Mittelalter 
(um 1400 n. Chr.) nachgewiesen werdeu kann. Die 
meisten dieser Quellen entspringen am rechten Ufer der 
Ache dem quarzretchen Gneise. Ks sind an 10 Quellen, 
von denen aber nur 9 zum Baden benutzt werden. Die 
chemisch wenig verschiedenen Quellen haben eine geringe 
Menge fester Bestandteile und zahlen zu den sog. indiffe- 
renten Thermen, zeigen jedoch in der Temperatur Ver- 
schiedenheiten von 24,4 bis 49,4° 0 Wärmegrade, die sio 
in allen Jahreszeiten uud Wittorungsumstüudeu bewahren. 
Schon lange wurde diesen Thermen hohe elektrische 
I/eitungsfähigkeit und in neuester Zeit auch Radium- 
gebalt zugeschrieben , der in den Gasteiuer Thermen 
sogar am stärksten sein soll. Das Radium wird auf den 
sog. Reißacherit (eine Art Braunstein) zurückgeführt, 
der in den Tiefen vermutet und mit dem wohl das 
Radium in den höheren Schichten abgesetzt wird. Diesem 
Bestandteil wird der große Einfluß der Bnder auf das 
Nervenleben der Badonden zugeschrieben. 

Interessant ist es geologisch, daß die Zu- und Ab- 
nahme der Niederschläge, dann die Außere Teiuperatur 
auf den Stund und die Wärme der Quellen keinen Ein- 
fluß üben , was die Sucßschc Theorie von der Speisung 
der warmen Quellen durch sog. juvenile, vom Erdinueru 
herrührende Gewässer auch für die Gasteiner Thermen 
bestätigen dürfte ")■ 

Wenn wir nun von diesen vorwiegend naturgesebicht- 

'") Kr.ch-Kternfeld, „Dm Gasteiner Tal und seine Heil- 
>|Oell«n in der Tauernkette". Zweite Auflage, München 1820, 
K. 283 bis 2*4. 

") E. Hunzel, , Wildbad Gastain", «. Aull.. Wien 1891, 
8. 10 ff. 8ucß (.Global", Bd. 89, S. 291) nimmt An, 
durch das ^liilieude Magma in der Tiefe würden die Onse 
auiigehaucht. die «ich zu deu Wassern der Thermen ver- 
dichteten. Bei Ganlein erklärte er den Zutritt sog. juveniler 
Gewässer (1903) für noch unentschieden. (, Globus 1- , Bd. 83, 
8. 22"'!. üautier sieht in dem Warner der heißen Quellen 
eiuo Art Destillation, herrührend aus Eruptivgesteinen in 
großer Tiefe, eine Äußerung des Vulkauinmu* in der l'eriode 
der Abnahme. („üaea" 10U7, S. 245 f.). W. v. Knebel 
(.Naturwis*. Kundschau" v. 22. März 190») legt auf Grund 
«einer isländischen Forschungen das Hauptgewicht auf Zu- 
tritt von Grundwasser in deu überhitzten Bereich. Koch- 
Sterufeld, a. a 0., 8. 29. 3S, nimmt an, daß schou die 
Römer die heißen QuelleD gekannt haben. (8.153) K.Schider, 
„Gastein für Kurgäste und Touristen", ereSnzt von O. Gerke, 
12. Aull. I9UÖ, P. 4 ff., «ff. 



liehen Betrachtungen auf die Frage der Besiedelung 
des Tales und seiner Berge übergehen, so dürfte anzu- 
nehmen sein, daß diese nicht sofort nach vollendeter 
Eisschmelze und allmählicher Begrünung der Landschaft 
eingesetzt habe, wie dies bei nördlicher gelegenen Fund- 
plätzen (Schweizersbild, Schussenried, Tnubach) wohl der 
Fall war. Schon deshalb nicht, weil etwaige Anwohner 
der Erdmoränen des Pongsuer Gletschers ja erst viel 
weiter nördlich in dermalen bayerischen Gebieten in 
Frage kommen könnten. Das ist wohl auch der Haupt- 
grund, warum der diluviale Mensch der filteren Steinzeit 
in den Alpen, die erst nach dem letzten Rückgänge der 
Gletscher bewohnbar wurden , keine Spuren hinterlassen 
hat '*). Aber auch diu Anwesenheit von Leuten der 
neolithischen Zeit ist sehr fraglich, indem diese ihre 
Wohnplatze an den Flüssen, Seen und in den Flachland- 
schaften des Vorlandes in geschützter Lage zu nehmen 
liebten uud einen Anlaß zum Betreten unsores Tales 
nur wegen Bekanntwerdeiis frühzeitiger Goldfunde oder 
des ") Wunsches, durch Überschreitung der TauerupasHii 
zu südlicheren Völkerschaften zu gelangen , gefunden 
haben könnten. In die Nähe des Tales werden sie 
jedenfalls gekommen sein , indem sie an den Ufern der 
heutigen Salzach gegen das Gebirge hin das nötige Stein- 
material für ihre Waffen und Geräte fanden und auch 
der Salzgewinnung nachgingen. So wurden in dem 
uralten Kupferbergwerke des Mittelberges bei dem 
unserem Tale nicht sehr fernen Biscbofuhofen nur Werk- 
zeuge aus Stein, Knochen und Holz gefunden, desgleichen 
beim uralten Bergbau in Hallstatt u ). Hatten also die 
Neolithiker vor dem eigentlichen Hochgebirge vielleicht 
mit ganz vereinzelten Ausnahmen noch Halt gemacht, 
so ist um so weniger zu bezweifeln, daß die Leute des 
Bronze-, Hallstatt- und besonders La Töne - Zeitalters 
nicht nur den Weg dahin gefunden, sondern sich auch 
an verschiedenen Orten festgesetzt, Saumwege gebaut 
und diu Tauorn überschritten haben. Wenn auch die 
Funde bis jetzt nur höchst vereinzelt sind und die 
Spuren eine« älteren Bergwerksbetriebes wohl durch 
dessen späteren großen Aufschwung verwischt oder ver- 
deokt worden sind, so kann man doch z. B. aus einem 
Depotfund bei Treffelberg in Kärnten, der Steigeisen 
aus Bronze bot, eine alte Verbindung des Salzachtales 
über die Tauern mit dem Drautale und weiter dem 
Meere vermittelst Saumwego herleiten und auf antike 
Zeugnisse für den vorrouiischen Betrieb des Rauriser 
Goldbergwerkes und der Goldwäschereien in den Tauern 
sich stützen Es unterliegt ja auch keinem Zweifel, 
daß diu eindringenden Römer auf seßhafte Völker- 
schaften stießen, die Acker- und Bergbau trieben, von 
jenen als Kelten betrachtet und Taurisker 16 ) geuannt 

'*) II uerncs, .Urgeschichte der Meuschheit", 3. Aull. 

1905, 8. 48. 

") F. Weber, „Spuren der Menschen der Bronzezeit in 
den HochalptD des deutschen Sprachgebietes* im „Korreap. 
Bl. der deutsehen Qesellach. f. Anthropologie*, XXXVI. Jahr;;., 
Nr. I, Januar 1905, 8. 2. 

") C K. im r Globus", Bd. 89. 8. 90 ff. u. Much, ebenda, 
Bd. 84, Nr. 10, S. lt)2, danu derselbe auf dem Deutach- 
Jisterr. Anthropologen - Kongreß vom 28. Aug. 1905 in dem 
Vortrage: .Erste Besiedelung der Salzburger Alpen und ihrer 
Naehbarg« biete". 

,v > F. Weber, s. h. O.. 8. 3 u. 4. 

'*) Tuuorn bedeutet in der Volkssprache Tür, Tor, 
Obergang, Faß (Törl). Daher auch der Name Teurnia 
Röuiorslsdt bei Spital. Alex. Peez, „Die Stammsitze der 
Bayer« und Österreicher*, in der Beil. zur ,AUgem. Ztg." 
v. 18 Nov. 1899. Keltisch «oll Tur, Dur = Berg bedeuten, 
während die Taueru in der Volksanschauung gerade als das 
Gegenteil, als Paflühergange gewertet werdon. 8. auch Koch- 
Sternfeld, a. a. O., S. 99 ff. Da» tauriskische Stammwort für 
Gastein (römisch (iastuna) soll nach Koch Jast, Gaest sein 



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Julias Jaoger: Das Gasteiner Tal. 



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wurden. Sie wurden der römischen Provinz Noricum 
mit der Hauptstadt Noreia (zwischen Mnr und Drau) 
einverleibt. In dieser Stadt war auch die tauriskiscbe 
Werkstitte zur Verarbeitung der Metalle. Außerdem 
blähten in den Talern der Tauern schon andere Städte 
wie Teurnia (bei Spital), Agunt, und es wurden diese 
Namen wahrscheinlich nach tauriskiscken Benennungen 
romanisiert. Die Römer behielten die Goldgruben für 
sich, und die Tanrisker inuOten ihnen jährlichen Tribut 
an Menschen, Vieh und Geld entrichten. Über die Berg- 
sklaven (metallis adsoripti) wachten die oomites metal- 
lorum, und es gab auch Pächter des Bergwerksbetriebes 
(publica» ,T ). Die alteren Gruben sollen auf den süd- 
westlichen Höhen des Naüfeldes, an der Sohlaberebene 
bestanden haben. Von Teurnia führten mehrere Saum- 
wege über die Tauern, deren erste Anlage den Tauriskern, 
deren verbesserte Gestaltung aber den Römern zu- 
geschrielien wird. Ein solcher Saum weg führte ins- 
besondere von Teurnia Ober da« N aßfeld in das Gasteiner 
Tal. Die romanisiert« einheimische Bevölkerung wurde 
nach Verfall der Rtimorherrschaft in die Berge zurück- 
gedrängt und überdauerte dort die Volkerwanderung "). 
Obwohl Odoaker die römischen Grenzer nach Italien 
zurückführto , blieben doch Tanseude der Römer im 
Lande und war Latein noch lange die Schrift-, Kirchen- 
und GeschSftBsprache der norischen Gebiete. Aber es 
blieb nicht bei den Volkselementen der Taurisker und 
Römer, denn Theodorich, der Ostgote, nahm slawische 
Kiemente in Noricum auf bis zur Dran, und von 490 bis 
620 n. Chr. siedelten sich insbesondere slawische Wenden 
ring» um die Tauern an. Sie drangen durch das 
Gasteiner Tal bis nach Schwarzach (dem Ausgangspunkt 
der Gasteiner Bahn im Salzachtale) und bauten sich die 
Kirche St Veit — nach dem Patrone der christlichen 
Slawen Swantewit, d. i. sanctus Vitus benannt, dem auch 
in Kärnten, Krain und Tirol viele Kirchen gewidmet 
worden. Im Gastoiner Tale hatten sich die Slawen 
gleichfalls festgesetzt, wovon jetzt noch die Namen ver- 
schiedener Ortliobkeiten und Anklänge in der Volks- 
sprache Zeugnis geben. Als slawische Überbleibsel 
können z. B. betrachtet werden der Name des Kötachachtales 
(Chod = Übergang), des Rastetzenbacbes bei Hofgastein 
(rzeke = Bach), der Schlahe rebene (Zlab = Wasserfall 
oder Slawe = Ruhen). Im Lnngau finden sich etwa 25 Proz. 
slawische Ortsnamen. Die um die Wende des sechsten 
und siebenten Jahrhundert« aus dem Pustertale über den 
Radstadter und Mall nitzer Tauern herauf gedrungenen 
Slowenen spielten l'/j Jahrhunderte die erste Rolle im 
Tale»»). Die Bojer oder Bojoarier (Bajuvaren), nach 
einigen selbst Markomannen und Buevischen Stammen, 
nach anderen von den Markomannen ans den böhmischen 
Wäldern verdrängt, gingen zu früher Zeit Ober die 
Donau, drangon in das Land der Norikor ein nnd machten 
sich dort seßhaft. Infolgedessen wurden sie auch mit 
den Tauriskern handgemein. Obwohl zunächst bei Noreia 
geschlagen, blieb doch ein großer Teil der Bojer im 
Tauernlande, während ein anderer Teil sich an den Ober- 
rhein nach Helvetien zog. Die Schicksale und Kultor der 
Taurisker wurden naturgemäß von dem überlegenen 
Volke der Römer in hohem Maße beeinflußt, und wenn 
jene auch noch an ihrem alten Mythus hingen, so war 
doch im Jahre 270 n. Chr. selbst noch der Dienst des 
Mithras von den Römern zu ihnen gedrungen *°). Im 

(aufwallende, siedende Kraft d. i. der Heilquellen) und Jattun 
der taurukUche Name gewesen sein. 

") Koch-Sternfeld, a. a. O., 8. 99 ff. 

") K. Weber, a. a. U., B. 7. 

") K. Hunzel, a. a. 0., 8. 77 ff. Koch -Sternf eld, 
8. 10fi, 175, 177, )B0. 

") Koch-Stcrufeld, a. a. O., 8. 154. 
Olobai XCl. Nr. il. 



Jahre 323 n. Chr. unter Konstantin d. Gr. wurde sodann 
das Christentum Staatsreligion im römischen Reiche, so 
auch in Noricum. Schon 381 n. Chr. soll zu Aquileja 
im Sprengel der Tauern ein christlicher Kirchenrat ge- 
halten worden sein, und in der zweiten Hälfte dee 5. Jahr- 
hundert« wirkte der hL Severin in Noricum. Theodoricb 
der Ostgote (493 bis 526) nahm nach der Schlacht von 
Zülpich (496) auch Alemannen auf, die sieh im Gebirge 
ausbreiteten, wie er ja südlich der Tauern bis zur Drau 
auch den Slawen die Ansiedelung gewährte. Die Baju- 
varen unter Herzog Garibald II. stießen mit Genannten bei 
Agunt 610 n. Chr. zusammen, wobei erster« den kürzeren 
zogen, Agunt aber zerstört wurde. Nach Sammlung 
eines neuen Heeres besiegte dann Garibald die Slawen. 
Auf den Ruinen den römischen Juvavum, das 477 n.Chr. 
von den Herulern zerstört wurde, gründete der hL Rupert 
696 die Kirche von St. Peter. Mitte des 8. Jahrhundert« 
drangen die Bayern im Kampfe mit den Hunnen über 
die Radstadter Tauern ins Pustertal. schlagen sie und 
gewannen Kärnten für die fränkische Monarchie. Gegen 
Ende des 9. Jahrhunderts sollen schon viele christliche 
Kirchen im Gasteiner Tale bestanden haben, wie die 
Frauenkirche zu Hofgastein (Gründung 894), wohl auch 
die Kapelle dos hL Primus und Felicianus zu Bad 
Gastein u. a. m. "). Aber die Erinnerung an den vor- 
christlichen Kultus blieb noch vielfach in Sitten und 
Gebräuchen, Kesten und Feiern im Volke erhalten, wie 
das gerade in diesen Tälern noch jetzt so übliche 
Perchtenlitnfim dartut **). 

Bis zum Übergang des Tales an das Erzbistum Salz- 
burg herrschten Terschiwilfne Dynasten in und um Gastein. 

insbesondere die mit den Wittelsbachern verwandten 
Grafen von Plaien und Beilstein , gewissermaßen auch 
die Goldecker, dann seit 1219 die Herzoge von Bayern, 
die aber schon 1297 die Provinz Gastein (provinciam 
Gasteun) mit Vorbehalt der Rechte der Goldecker an 
Erzbisohof Konrad IV. von Salzburg und seine Nachfolger 
verkauften unter Bestätigung des deutschen Königs 
Adolf. Die Goldecker traten dann auch ihre Rechte 
gegen Entschädigung an das Erzstift ab und starben 
Anfangs des 15. Jahrhunderts aus. Während der un- 
vordenkliche Verkehr mit Reichenhaller Salz über die 
Tauern durch eine Urkunde König Ludwigs von 908 
dargetan wird, ging der allgemeine Handelsverkehr von 
Deutschland mit Venedig immer lebhafter über die 
Tauern auf 5 Saumwegen (Saum = Last, Kracht in der 
Sprache der Taurisker). Die sogenannten Saumer saßen 
zu beiden Seiten dee Gebirges und brachten mit Zügen 
von 20 bis 50 Pferden die Frachten über die Pässe. 
Krzbischof Heinrich gab 1342 der „Chasteun" eine Berg-, 
Fron- und Wechelordnung. Die Erze in Gastein und 
Rauris wurden verpachtet. In der blühendsten Periode 
des Bergbaues gab es mehr als 30 Bergherren und viele 
Neuschürf er, dann über 1000 Graben in beiden Tälern, 
und es mußten die Berechtigten jährlich bei 80000 Gold- 
gulden an den Krzbischof fronen. Der Übermut der 
Knappen wurde im 11. Jahrhundert so groß, daß sie 
einige Bergherren erschlugen und nur mit großem Auf- 
wände von Maeht durch die benachbarten Dynasten zu 
Paaren getrieben werden konnten. Auch im Jahre 1525 
erfolgte ein Aufstand der Knappen und der Bauern. 

Einige Familion des Talos hatten ee infolge des Berg- 
segens und damit verbundenen Handels nnd Verkehrs 

*') Derselbe, a. a. O., 8. 155 bis 172. 

**) Über das Parohtanlanfen enthält Näheres eine zu- 
sammenfassende Beschreibung der Frau Professor Andree- 
Kysn auf Grund eingehender Ortastudien besonders auch im 
auriatale unter dem Titel „die Perchten im SalzburgischLn*. 
Arch. f. Anthropologie, N. F., Bd. II, Heft 2, B. 122 ff. 

49 

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378 



Fritz Bauer: Die Guatemala-Nordbahn. 



zu großem Reichtum gebracht, bo die Familie der Weit- 
moaer seit Ende de« 15. Jahrhundert«, deren Nach- 
kommen aber im 17. Jahrhundert wieder verarmten, 
dann die Familien der Strocbner, Zotten, Kütschau, 
Straßer, Hölzl und Krüner. Unter Christian Weitmoser 
und Martin Zott hatten die Bergwerke ihre blühendste 
Periode. Aber schon 1606 boschwert sich die Bürger- 
schaft zu Hofgastein über die vielen ihren Erwerb be- 
einträchtigenden Gewerbe der Gewerkschaften, was das 
Sinken des Wohlstandes zu erkennen gibt; 1810 sollen 
die Bergwerke der Gast ein und von Rauris nur noch 
165 Mark Gold (a 440 fl. 6 kr.) und 642 Mark Silber 
(a 28 fl. 43 kr.) ertragen haben. Heute sind sämtliche 
Grubenbetriebe eingestellt. Die gelegenen Fundplntze 
waren eben erschöpft, und neuere Versuche haben zu 
lohnenden Ergebnissen nicht geführt 

Die Reformation und, wie oben angedeutet, der Bauern- 
krieg machtun sich bei den Gasteiner Knappen in hohem 
Maße geltend, und es maßten im Jahre 1520 auswärtige 
Truppen aufgeboten werden, um den Aufstand zu be- 
zwingen. Der Bergmann Martin Lodinger, ein Freund 
Luthers, verbreitete dessen Grundsätze unter den Ge- 
werken und Knappen, was einen großen Gegendruck 
zufolge hatte an Inquisitionen und Verfolgungen, so 
daß das Tal bis zum Jahre 1750 einen großen Teil seiner 
tüchtigsten Bewohner durch Auswanderung nach Amerika 
und Ostpreußen verloren hatte. Dagegen ergriffen zweifel- 
hafte Kiemente aus den benachbarten Ländern die Ge- 
legenheit zur Einwanderung und die besseren Schichten 
der Bevölkerung errangen nur allmählich wieder das 
C berge wicht 

Schon im Mittelalter entwickelte sich das Bad Gastein 
und im Jahre 1 436 war der nachmalige Kaiser Friedrich III. 
dort Badegast. I)as Geschlecht der Straubinger, das 
1509 das erste Gasthaus, „die Straubinger Hütte", erbaute, 
ist heute noch im Besitze eines blühenden Gast- und 
Badeetablissements. Das dortige Schloß wurde 1794 
von Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo erbaut. 
Einen erhöhten Aufschwung fand das Bad seit dem 
1 9. Jahrhundert und Kaiser Wilhelm I. gebrauchte dort 
in 20 Sommern die Kur. 

Der im Tale selbst an die östliche Bergseite angelehnte 
Markt Hofgastein, an einem Wildbach gelegen, der aus 
dem Rastetzen -Wasserfalle des Ganiskarkogl* herab- 
kommt, soll alemannisch-bojoarischem Völkertum seinen 
Ursprung verdanken, das sich hier im Gegensatze zu 
den slawisch-romanischen Elementen des Tales gesammelt 
und festgesetzt habe. Der Ort galt Mitte des 14. Jahr- 
hunderts als 7. Marktflecken der salzburgischen Landtafel. 



Sein Wappen ist Schlägel und Eisen im gold- und silber- 
belegten Schilde. Durch Bergbau, Handel und Gewerbe 
war „Hof in der G »stein " nach der Hauptstadt Salzbarg 
seinerzeit die reichste Ortschaft im Lande, die aber durch 
große Brände, die Pest, mächtige Überschwemmungen 
des Raatetzenbaches und Erdbeben (1690) viel gelitten 
und verloren hat. Die aus dem !). Jahrhundert stammende 
Frauenkirche wurde durch die Elemente zerstört und 
Ende des 16. Jahrhunderts durch die Gewerkschaft wieder 
aufgobaut In einer angebauten Kapelle befinden sich 
die Grüfte der Weitmoser, Straßer, Krüner, Englmoar 
und Hölzl. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde in der 
Schule zu Hof sogar lateinische Grammatik gelehrt In dem 
benachbarten Feiding finden sich noch Spuren eines luthe- 
rischen Freithof es aus alter Zeit. Die ältesten Orte dea 
Tales wurden vielfach auf den Schuttkegeln und Muhren 
von Bergwässern angelegt die sich aus den Nebentälern 
in das Haupttal ergossen. Außer dem meist nahen 
Walde und dem Nutzen eines Wasserlaufes, der ihnen 
allerding» wieder vielfach verderblich wurde, suchten 
die Ansiedler in den erhöhten Wohnplätzen auch wahr- 
scheinlich dem noch sehr waaser- und sumpfreichen Tale 
gegenüber eine trockene Stätte zur Anlage ihrer Ort- 
schaft. So entstanden die Orte Kötschach, Gadaunern, 
Remsach, der Markt Hofgastein selbst und eine Reihe 
kleiner Siedelungen auf beiden Seiten des Tales, über- 
ragt von den dunkeln Wäldern und üppigen steilen 
Grasmatten der Berge der Schieferhülle (Becke). Im 
Jahre 1816 wurde die Gasteiner Landschaft der öster- 
reichischen Monarchie einverleibt, und 1886 ging das Bad 
Gastein mit Beckstein, soweit es das Land Salzburg be- 
saß, käuflieb in den Privatbesitz des Kaisers über, von 
dem es der Gemeinde and Kurkommission im Jahre 1897 
pachtweise überlassen wurde. 

Die Gasteinor Quellen wurden schon seit 1830 durch 
eine hölzerne Leitung dem Markte Hofgastein zugeführt 
welche 1905 durch eine solide eiserne I<eitung ersetzt 
wurde, so daß das Thermalwasser hier nur mit geringem 
WänneverluBt und vollwirksam ankommt"). 

Die im Jahre 1905 bis Bad Gastein eröffnete Tauern- 
bahn brachte dem Tale einen erhöhten Aufschwung. 
Die Bewohner des Tales, soweit sie nicht in Amtern oder 
Gewerben beschäftigt sind, leben von der Landwirtschaft 
namentlich von Viehzucht, Wiesenkultur und etwas Acker- 
bau, dann aber von dem Erträgnis ihrer Thermen, welche 
sie den wohltätigen Folgon uralter Erdbewegungen ver- 
danken. 

") Koch-Sternfeld, a. a. O., 8. 193 bis 279 u. 295 bis 
837. Hcbider, a. a. O, 8. 83. 



Die Quatemala-Nordbalin. 



Als eines der verdienstvollsten Werke des Jetzigen 
Präsidenten von Guatemala, Don Manuel Estrada Cabrern, 
ist die Ferro -Carril del Norte zu betrachten, die ihrer 
Vollendung entgegengebt und die Stadt Guatemala mit 
ihrem wichtigsten Hafen, Puerto Barrios, in engste Ver- 
bindung bringen wird. Drei Viertel der Strecke sind 
heute schon im Betriebe, dagegen ist man von El Rancho 
ab immer noch auf Ruittiere angewiesen, ein Umstand, 
der die meisten Touristen vom Besucho dieses an Natur- 
schönheiten so überaus reichen Landes abhält Die vor- 
handene Verbindung über Salin» Cruz (Mexiko) und 
San Jose an der pazifischen Küste erscheint dem zum 
Vergnügen reisenden Kuropäer und 0st«merikaner als 
ein zu großer Umweg, und für den Gütertransport auf 



dieser Linie liegt San Francisco hinsichtlich der Zeit- 
dauer und Kosten so erheblich günstiger, daß es heute 
für eilige oder leicht verderbliche Sendungen das Monopol 
besitzt 

Nach Fertigstellung der Nordbahn hingegen kann 
der New Yorker in fünf bis sechs Tagen die herrliche 
Gebirgslandschaft in der Umgebung des Amatitlan- und 
Atitlan - Sees bequem erreichen. Es ist kaum daran zu 
zweifeln, daß dieso prächtigen Ufer mit ihrem milden 
Klima „in Mode kommen" und in wachsendem Maße der 
eleganten Welt als Winteraufenthalt dienen werden; ja 
es gibt Leute, die, vorausahnend, hier schon das ameri- 
kanische Nizza und Mentone entstehen sehen, denn 
klimatisch sowohl als landschaftlich übertreffen sie die 



rungspolitik der Saharabevölkerung. 



379 



Jetzt bevorzugten kalifornischen Plätze bei weitem. Dal! 
endlich diese Bahn den europäischen und oatatnerikani- 
schen Kxporteuren Oberhaupt erst den hiesigen Markt 
erschließen wird, zeigt ein Blick auf die Karte, und somit 
kann der Torteil, den das Laud aus der Bahn ziehen 
muß, gar nicht hoch genug angeschlagen werden. 

Aber gerade die jetzt noch zu bewältigende Strecke 
bietet ganz erhebliche Schwierigkeiten; besonders werden 
Brückeubauten notwendig, die über recht breite and tiefe 
Täler hinwegfuhren. Eines der interessantesten Werke 
dieser Gattung stellt die hier mitgeteilte Abbildung dar. 
Der Bahnkörper liegt 7fi m Ober der Talsohle, und das 
Itauwerk ist demnach eine der höchsten Konstruktionen 



dieser Art in der Welt. Besonders an windigen Tagen ist 
es ein eigenes Gefühl, neben dem Kran zu stehen, der 
in die leere Luft hinausragt und die schweren Elisen- 
träger hinabläßt, die von den wie die Affen im Gestinge 
herumklutternden Arbeitern dem Gitierwerk eingefügt 
werden; Scbwindelfreiheit ist die unbedingte Voraus- 
setzung für solche Beschäftigung. Ks ist zu verwundern, 
daß bisher nur ein einziger Unglücksfall dabei sich er- 
eignet hat. Die Gesamtkosten dieses Viaduktes sind auf 
385 000 M. veranschlagt, was als änßerst gering be- 
zeichnet werden muß, wenn man bedenkt, daß sämtliche 
Teile aus den Vereinigten Staaten bezogen wurden. 
Guatemala, März 1907. Fritz Bauer. 




Brückenbam im Zuge der Uuatemala-Nordbahn. 



Die Thesaurierungspolitik der Saharabevölkerung. 

Von Ferdinand Goldatein. 



Das Kamel ist das Schiff der Wüste, ohne seine Hilfe 
könnten dio Wüstenstämme nicht ihre weiten Reisen 
machen, wäre ein Verkehr des nördlichen Afrika mit dem 
Sudan unmöglich. Trotzdem war die große Wüste mit 
Menschen besetzt, bevor das Kamel dort hin kam. Ein 
großer Teil der Sahara dient heute Stämmen zum Auf- 
enthalt, die man unter dem Namen „Tuareg" zusammen- 
zufassen pflegt 1 ). Diese fanden, als sie sich von Nord- 

') l)or Name vdl den Berbern der Wüste vun den Arabern 
gegeben worden sein, weil sie ihre Religion wechselten (tereku 
diiiihuin). Barth. Reisen und Entdeckungen in Nord- und 
Zentralafrika, Bd. I, 8. 247; vgl. BwUel, Völkerkunde, Bd. II, 
8. 471, Anm. 1. Danach wäre der Name gleichwertig mit dem 
der Kaffero, also wissenschaftlich unzulässig. Dagegen weist 
liourst darauf hin, dall ein Berberstamm sich Tarka uannte, dal! 
ein Aaelimmidenstamm Tarkai Tamut and der große Berber 
eroberer Spaniens Tarik hieß. I Sur le Niger, S. ly f i vgl. Barth, 
Bd. I, 8. 24A/248. Jedenfalls behalte ich deu Namen Tuareg bei, 
da sich crfahrungsmäDig der Wechsel einer alteingewurzvlten 
Nomenklatur einer Verständigung hindernd ia den Weg stellt. 



afrika vor den andrängenden Arabern in die südlichen 
Oden zurückzogen , eine mit den zentralafrikanischen 
Stimmen verwandte Bevölkerung vor, die sie zu Imrhad 
(d. i. Leibeigenen) machten. Demnach zerfallen diu 
Tuareghorden abgesehen von den Sklaven, in zwei 
soziale Schichten: in die Herrenstimme (Ihaggaren, Sing. 
Ahaggar) und die Imrhad (Sing. Amrhi). Bei den Asger- 
Tuareg ') sind die physischen Unterschiede zwischen bei- 

*) Die Bezeichnung .Horden*, die auch Barth zuweilen 
gebraucht, ist der der „Konföderationen", von der man liei 
den Tuareg gewöhnlich spricht, vorzuziehen, da letztere die 
Vorstellung eines festen Zusammenhang* der einzelnen Teile 
hervorrufen könnte, der tatsächlich nicht existiert; vgl. 
Foureau, Bappnrt sor ma miasion au Sahara et chez lea 
Touareg Azdjer, 8. 136, 208 f. 

*) Der Name wird verschieden geschrieben. Barth schrieb 
Asgar, Foureau, Duveyrier, llacguard Azdjer, Bissuel Asgueur. 
Letzterer sagt, daO er die Namen immer so schreibt, wie *ie 
die Tuareg des Westens (Taiti»|) aussprechen, daß sie aller- 
dings bei anderen Tuareghorden zuweilen erheblich anders 

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880 



den so bedeutend, daß Barth ursprünglich glaubte, der 
Name Imrbad bedeute eine besondere Völkerschaft; erst 
später überzeugte er sieb, daß er Ton den Tnareg allen 
unterworfenen Stämmeu gegeben wird 4 ). Die A« ger- 
edlen sind wie alle Tuareg berberischen Ursprungs, baben 
belle Haut und erinnern nicht im mindesten an den Neger, 
ihre Itnrhad dagegen sind zwar nicht alle, aber «um 
überwiegenden Teile dunkel und nahern sich namentlich 
in ihren weiblichen Bestandteilen zentralafrikanischen 
Stimmen s ). Bei den Tuaregstämmen Airs ist der Gegen- 
satz nicht so schroff, weil hier die Berberbevölkerung in 
sehr bedeutendem Maße aufgesogen, also dunkel ge- 
worden ist Air (Asbcn) hieß früher nach der Gobernation, 
dem edelsten Teile der Haus**, Land der Goberaua, und 
die Uausaaspracho ist heute die gewöhnliche Umgangs- 
sprache, wtthrend man sich des Temasohirt als Amts- 
sprache zu Unterhandlungen bedient*). Ks kann also 
keinem Zweifel unterliogen , daß die ursprüngliche Be- 
Tölkerung eine» großen Teiles der Sahara zentralafrika- 
nischen Ursprungs ist 7 ). Der afrikanischen Urbevölke- 
rung ist aber das Kamel unbekannt gewesen, noch heute 
fehlt es den eingeborenen Naturstammen. 

Das Ton den Ureinwohnern Afrikas am höchsten ge- 
schätzte Haustier ist das Rind, und dies muß auch einst 
Ton der dunkeln Urbevölkerung in der Sahara zu dem- 
selben Zwecke, zu dem es so viele Stamme Afrikas noch 
heute züchten, gehalten worden sein, zu dem der Sohatz- 
bildung. Als Barth auf seiner denkwürdigen Reise von 
Murzuk nach Rbat im Aagergebiet marschierte s ), fand er in 
einem Felsen höchst merkwürdige Darstellungen von Rin- 
dern, aus denen er schloß, daß einst in diesen Gegenden das 
Rind nicht nur gewöhnlich, sondern sogar ausschließlich 
anstatt des Kamels als Lasttier benutzt worden ist. Denn 
letzteres, das gegenwärtig der alleinige und unentbehr- 
liche Vermittler zwischen weit auseinander liegenden Rast- 
und Wohnplatzen ist, fehlte auf den Skulpturen, und 
selbst auf den Kritz«leien auf anderen Blöcken, die aus 
viel späterer Zeit stammten und Büffel, sowie Strauße und 
andere Vögel darstellten, wurde es vermißt'). Rbenso 
fand Nachtigal in Tibeati Felsskulpturen. aus denen er 
schloß, daß das Rind, obgleioh es damals aus jenen 
Gegenden fast völlig verschwunden war, einst dort hei- 
misch gewesen sein muß und nicht aus einer Erinnerung 
an den Sudan in den Felsen gehauen worden ist. Denn 
im Sudan wird das Rind mittels eines Strickes, der durch 
einen Nasenring gezogen ist, geführt, hier aber war er 
um die Hörner geschlungen, und im Sudan wird das 
Buckelrind gezüchtet, die Skulpturen Tibestis aber zeigten 
Rinder ohne Buckel. Neben diesen fand Nachtigal aller- 
dings auch ein Kamel; er gewann aber die Überzeugung, 
daß es in neuerer Zeit in schlechter Nachahmung der 
Rinderskulpturen in den Felsen gegraben worden war '*). 

kluagen I>n aber auch Monieil und Honrst Aagueur bzw. 
Azgeur sehreiben, so vermute ich, daß die Schreibweise Asgör 
Asger die richtige ist. 



\) a 



Harth, a. ». O. 
') Foureau, lkK-ument* scicntifliiues de la misikra Saha- 
rienne, 8. 851. 

') 8. hierüber auch Barth, a. a. O., 8.241— Ü44. Bohlf», 
Quer durch Afrika, Bd. I. 8. 1»», 354. Duveyrier, Lea Touareg 
du Nord, 8. 27» ff. 

") Am Sclilnas« leines großen Heisewerkes gab Barth der 
Hofftiung Aundruck, daß »eine Arbeit ein dauerndea Denkmal 
deutschen Heilte» bleiben werde. Heule ist Barth »o ver- 
nachlässigt, daß Hinter sich entschuldigen mußte, daß er aus 
ihm und Nachtigal schupfte (Globus, Bd. 87, 8. 234). JJa 
sind die Tuareg doch bessere Menschen: Huurst gab »ich als 
Neffen Abdul Kerims (Barths) aus und erregte hierdurch 
ihr lebhaftes Interesse. 

•) a. a. O., Bd. I, 8.215. 

w ) Sahara und Sudan, IM. I. 8. SUR f., 417. 



Die zentralafrikanische Bevölkerung, die vor den Berbern 
die Sahara beherrscht hat, züchtete also das Rind wie 
so viele afrikanische Statnmo, unterschied sich also auch 
hierin nicht von ihnen, und noch heute benutzen die 
lmrhad das Rind bei ihrer Arbeit Ebenso ist in Tibesti 
einst das Rind von den Teda gezüchtet worden oder, was 
mir wahrscheinlicher ist, auch hier hat einit wie im Lande 
der beutigen Tuareg ein rinderzücbtendes Volk geherrscht. 
Jedenfalls kommt das Rind in der Wüste fort, und letz- 
tere ist von Menschen bewohnt gewesen, bevor das Kamel 
eingeführt worden ist. Durch dieses ist die Beweglich- 
keit der Saharavölker natürlich sehr erhöht worden, aber 
ihr Leben ist nicht unbedingt an dasselbe gebunden. 

Barth sagt an obiger Stelle, daß das Rind als Last- 
tier benutzt worden ist. Inncrafrikaniscbe Stimme be- 
nutzen es noch heute als solches, aber es ist allgemein 
bekannt, daß nicht dieser oder ein anderer Nutzen der 
Zweck seiner Zucht ist, es wird vielmehr als Schatx- 
bildner gehalten. Ratzel nennt die Viehzucht der afrika- 
nischen Stämme Luxus"), Bücher Liebhaberei 11 ), 
Schweinfurth (die der Dinka) Freude am Besitz »). Alles 
das kommt sachlich auf dasselbe hinaus wie die Schatz- 
bildnng, denn in jedem Falle wird ausgedrückt, daß das 
Vieh nicht wirtschaftlich ausgenutzt, sondern seiner selbst 
wegen gehalten wird. Dennoch möchte ich für die Vieh- 
zucht der Naturstiimme, für die sich bisher noch kein 
allgemein gültiger Ausdruck eingebürgert bat, die Be- 
zeichnung „Schatzbildung" in Vorschlag bringen, da sie 
dem Denken dor Naturstämme ebenso gerecht wird wie 
die Ratzels, Büchers, Schweinfurths und ferner an ein 
wirtschaftliches Streben anschließt, das bei Kulturvölkern 
zwar wenig verbreitet, immerhin aber nicht ganz un- 
bekannt ist. 

Daß der Mensch seinen Besitz zu vergrößern sucht, 
ist eine uns allen geläufige Erscheinung, ja heute jagen 
bei weitem die meisten Menseben, die bereits Vermögen 
haben, diesem Ziele so blind nach, daß sie darüber ihre 
geistige Ausbildung fast vergessen. Daher die ewigen 
Klagen, daß die Bildung sinkt, während der Wohlstand 
steigt. Wenn also die Wüstcnstämnie ihren Kamelbesitz 
zu vergrößern trachteten, um ihren Karawanenverkehr 
auszudehnen oder einen größeren Überschuß ihrer Herden 
zu erzieleu, um also ihr Einkommen zu vermehren, so 
wäre das für uns nicht auffallend. Das ist aber gerade 
nicht der Fall. So wenig der Neger seine Rinder zu 
wirtschaftlichen Zwecken hält, ebensowenig tut es der 
Saharaedele mit seinen Kamelen. Darin liegt das für 
uns Fremdartige, und das Verständnis für diese Politik 
wird uns dadurch noch sehr erheblich erschwert, daß so- 
wohl Rind wie Kamel wirtschaftlich ausgebeutet werden 
köuuen und von den unteren Volksschichten der Natur- 
st&mme auch ausgebeutet werden. 

Wenn in Kulturstaaten die Menschen ihr Vermögen 
vergrößern, so erziolen sie dadurch ein höheres Einkommen, 
können also ihre Lage verbessern, für die Naturstämme 
abor kommt das Einkommen aim dem Besitz so gut wie 
gar nicht in Betracht, das Wesentliche für sie ist der 
Besitz als Besitz, und die größtmögliche Vermehrung des- 
selben betrachten sie als ihre Lebensaufgabe. Es ist un- 
umstritten, daß der Neger seine Rinder nicht der Milch 
oder des Fleisches oder eines anderen Nutzens wegen 
hält, sondern daß er sie thesauriert, um sie zu thesaurieren. 
Kr mag noch so viele Rinder haben, niemals wird er auf 
den Gedanken kommen, den Überfluß seiner Herde zu 
verkaufen, um sich eine menschenwürdige Wohnung 
bauen oder sich und seine Kinder geistig bilden zu 



") Völkerkunde, Bd. 11, 8. 9 
") Die Entstehung der Volkswirtschaft, 4. Aufl., 
") Im Uvrzen von Afrika, Bd. I, 8. 177, 



8. 81. 



381 



er bleibt für unsere Begriffe immer der armselige Natur- 
mensch. Aber in seinem Lande und unter seinesgleichen 
gilt er für einen großen Herrn, da er viel Vieh hat. 
EbenBO wird ein Asgeredler niemals, auch wenn er noch 
so viele Kamele bat, sich ein Haua bauen lassen, nicht 
einmal eine Lehmhütte, um ein bequemeres Leben au 
fuhren, sondern immer bleibt er in seinem elenden Leder- 
zelte wohnen, ja dessen Vertauschung gegen eine feste 
Behausung hält er für eine Schande, denn der feste, also 
für unsere Begriffe bessere Wohnsitz ist für die unter- 
worfenen Imrhad, die nach unseren Begriffen tatsächlich 
meist wohlhabender sind als ihre Herren, während letz- 
tere das erbärmliche Räuberleben im Kamelsattel und in 
den leicht transportablen Zelten allein für standuigeinäU 
halten. Käme ein Tuareg direkt von der Wüste ohne 
Vorbereitung nach Berlin und sähe, daß die Menschen in 
steinernen Häusern wohnen, keine Kamele besitzen und 
arbeiten, er würde sie samt und sonders für Gesindel 

hülfen. Uml diese Lebensauffassung und soziale Ordnung 

herrscht überall in der Wüste. Die Nomaden bilden die 
Adelsklaase und führen ein l<eben sehr ahnlich dem der 
Stegreifritter des Mittelalters, während der Ackerbau wie 
überhaupt jede nützliche Arbeit für die verachteten Klassen 
ist. Daraus folgt aber, daß die Krzielung von Hinkommen 
für den Kamelzüchter ganz zwecklos ist, weil er keine 
Verwendung für dasselbe hat; es liegt ihm nicht nur 
nichts an einem regelmäßigen und darum bequemeren 
Leben, er verachtet sogar die Leute, die os führen. 

Ich will jetzt im einzelnen den Schatzcharakter des 
Kamels in der Wüste nachweisen und werde zu diesem 
Zwecke die bereits benutzte Parallele zwiachen ihm und 
dem Rinde des Negers weiter fortführen. Da allseitig 
zugegeben wird , daß letzteres seiner selbst wegen ge- 
züchtet, also als Schatz betrachtet wird, so muH dasselbe 
vom Kamel gelten, falls die Parallele in allen wesent- 
lichen Punkten durchführbar ist. 

Der Neger schlachtet ein Rind nnr bei festlichen Ge- 
legenheiten, selbst Tiere, die so alt sind, daß sie keinen 
Zahn mehr im Maule haben, werden zu gewöhnlichen 
Mahlzeiten nicht verwandt, da dadurch der Schatz an- 
gegriffen würde. Daß das Kamel nicht zu Schlacht- 
zwecken gehalten wird, dürfte für uns selbstverständlich 
sein, tatsachlich aber ist es nicht mehr und nicht weniger 
Schiachttier als das Rind des Negers. Fourean nennt 
als Fleisch tiere der Kel-owi in Air Zebu, Kamel, Schaf, 
Ziege, Geflügel, aber sie benutzen sie selten zu ihrer Er- 
nährung und zaudern immer, ein Stück aus ihrer Herde 
zu schlachten "). Kamele aber, die dem Verendon nahe 
sind, werden von allen Wüstenstämmen getötet, ihr Fleisch 
wird in Streifen und Scheiben geschnitten, an der Sonne 
getrocknet und zur Nahrung verwandt. Da es sehr zähe 
ist, so wird es mit einem Stein vorher bearbeitet. Nach- 
tigal fand os wohlschmeckend Kommt ein Gast zu 
den Asgern, so besteht die höchste Ehre, die man ihm 
erweisen kann, in dem Schlachten einer fetten Kamel- 
stute, und ebenso schlachten sie ein Kamel vor Ab- 
haltung einer Volksversammlung (mtaad "'). Diese Sitte 
ist gewiß höchst auffallend, und man könnte die Schlach- 
tung einer brauchbaren Kamelstute nur als höchste Ver- 
schwendung bezeichnen, wenn man sich nicht vergegen- 
wärtigt, daß in den Augou des Tuareg ein solcher Griff 
in seinen Schatz seiner Hochachtung vor einem Gast den 
beredtesten Ausdruck geben muß. 

Der Neger kauft seine Frauen für Kinder, und ebenso 
verfährt der Tuareg. Für eine Frau (ich rede nicht von 

'•) Documenta «cientifl.|ues, 8. *»<! f. 
'») a. ». ()., Bd. 1, S. 298. 

") Duveyrier. Le« Touareg du Nord, 8.410. 442. 



Konkubinen) muß er etwa vier Kamele zahlen reichere 
zahlen sechs will aber einer eine Tochter eines Häupt- 
lings heimführen, so muß er einen wesentlich höheren 
Kaufpreis erlegen. Als Richardson und Barth in Air 
waren, war Annur der Häuptling der Kel-owi. Eine 
Tochter von ihm kostete zehn Kamele, obgleich er nur 
mit Konkubinen zusammenlebte ''')• Der Brauch ist also 
in der Sahara genau derselbe wie bei den Negern, und 
nur insofern besteht ein Unterschied, als der Neger das 
Vieh den Eltern der Braut gibt, während die Kamele bei 
den Tuareg Eigeutum der Frau bleiben. 

Bei den Negern ist die Milch der Kühe das wichtigst« 
Nahrungsmittel , bei den Asgern und Ahaggarn die der 
Kamele. .Solango die Stuten Milch geben, bildet Kamel- 
milch ihre einzige Nahrung, stehen die Tiere aber trocken, 
so tritt für sie eine schlimme Zeit ein. Zwar müssen die 
Imrhad regelmäßige Abgaben zahlen, die aber bei den 
Asgern, soweit es sich um Nahrungsmittel bandelt, nur 
in einem Topf Butter und Milch von zehn Schafen oder 
Ziegen besteben ao ). Gewiß nehmen sie ihnen auch Vege- 
tabilien nach Bedarf, denn der Imrhad ist taillable et 
corveable ä merci et a misüricorde, indessen scheinen es 
die stolzen Asgerjunker den Imrhad nach Möglichkeit 
verheimlichen zu wollen, daß die Herren dieselbe Nahrung 
zu sich nehmen wie die Knechte, denn sonst würden sie 
die Cerealien bei den gesetzlichen Lieferungen ihrer Unter- 
gebenen berücksichtigt haben, was nicht der Fall ist, und 
ferner könnte die Lage der letzteren bei dem chronischen 
Hunger ihrer Herren nicht so günstig sein, wie sie ist. 
Außerhalb ihres Landes genießen die Tuareg aber 
Cerealien, und gerade dadurch, daß der geniale Blick 
Foureaus ihre Verproviantierungspunkte erspähte, und 
die französische Regierung sie militärisch besetzen ließ, 
konnte letztere sich die Sahara unterwerfen. — Es ist 
mir wahrscheinlich , daß die Tunreg nur deshalb so er- 
picht auf Kamelmilch sind und solch weitgehende Gleich- 
gültigkeit gegen die Bodeuprodukte ihres Landes zeigen, 
weil sie die erstere für die allein standusgeinäUe Nahrung 
halten. Diese verrückte Denkweise über „standesgemäß'- 
Ernährung" beherrscht unzweifelhaft die Braknas am 
Senegal. Bei diesen ist die Kamelmilch die einzige einem 
Vornehmen zukommende Nahrung, und der König und 
seine Granden genießen niemals Kuhmilch. Sie selber 
sagen , daß sie ihnen besser schmecke , aber Caillic war 
der Überzeugung , daß sie sie nur vorziehen , weil sie 
schwerer erbältlich ist, in ihrem reichlichen Genuß sich 
also Wohlhabenheit manifestiert. Das gewöhnliche Volk 
lebt von ober Art Hirsebrei, die Marabuts aber wür- 
den ihn niemals genießen, denn dadurch schädigen sie 
uach ihrer Meinung ihre Würde 91 )- Es unterliegt für 
mich keiner Frage, daß der hohe Wert, den die Mauren 
und Tuareg auf exzessive Fettleibigkeit der Weiber legen, 
aus dem Wunsche entspringt, aller Welt ad oculos de- 
monstrieren zu können, daß ihre Frau oder Tochter eine 
sehr vornehme Dame ist. Denn da die Mast mit Kamel- 
milch und Kamelbutter ausgeführt wird, so muß der Fett- 
klumpen sub einem kamelreichen oder, was damit identisch 
ist, reichen und darum vornehmen Hause stammen. So 
benutzen die Naturstiimme ihren vermeintlichen lteich- 

") Bichardson, Narrative of a Mission to Central Afrira, 
Bd. 11, H. 103 f. 

'"> Denhain und Clapperton, Narrati ve of Travels and 
Discoveries in Northern and Central Africa, 3 Aufl., ltd. 1. 
8. 77 f. 

") Richard«on, a. a. 0. 

w ) Duveyrier, a. a. O., 8.3.(5; vgl. Arthur Köhler, Ver- 
fassung, soziale Gliederung. Recht und Wirtschaft der Tuareg, 
H.21 f. 

■ x ) l'ullie, Journal d'un voyage » Temboctou et ä Jenn*, 
Bd. I. H.wif. 



382 Ferdinand Goldslein: Die Thesaurierungspolitik der Saharabevölkerung. 



tum, um physische Unterschiede zu konstruieren, die von 
bestimmendem Einfluß auf die Geschicke der Menschen 
sind. In Kulturstaaten benutzen die Menschen andere 
Mittel, um ihren Reichtum zur Schau zu tragen. Der 
Toilettenluxus der Domen, kostspielige Reisen, die Bevor- 
zugung gewisser, möglichst teurer Staclt^gendon sind 
zwar nicht so abstoßend wie die Milchmast, haben aber 
dieselbe Tendenz wie diese. Das echte Unterscheidungs- 
mittel zwischen Vornehm und Niedrig ist auch bei uns 
nur sehr wenigen bekannt. 

Rinderraub bildet bei allen Negerstämmen den 
häufigsten Grund zu ihren Kriegen: die Sahara wird 
durch die ewigen Kamelräubereien (rhazzia oder ghazzia) 
in einen immerwährenden Kriegsschauplatz verwandelt. 
Kiner der erfolgreichsten Raubzüge war der der Ut-led 
Slitnan (Nächtig»]* Aulad Soliman) gegen die Kel-owi, 
durch den letztere 60 000 Kamele verloren haben sollen SJ ). 
Die Zahl mag ubertrieben sein, ober zweifellos erbeuteten 
damals die Ueled Sliman sehr viele Tiere. Das ist aber 
keineswegs immer der Füll, im Gegenteil, sehr oft wird 
ein kolossaler Apparat in Bewegung gesetzt, endlose 
Strecken durchmessen, um eine kleine Anzahl Kamele zu 
erbeuten. Man sieht zuweilen Tuaregabteilungen von 
100 und mehr Manu, oft jeder mit zwei Kamelen, 700 bis 
800km zurücklegen, um an den Platz zu kommen, an 
dem der Raub ausgeführt werden soll, und der ganze 
Erfolg der sechs Monat« dauernden Kraftanatrenguug 
sind l'i Kamele nnd einige Klciduugstücke. Foureau 
sagt ganz richtig, daß man sich wirklich fragen muß, 
warum diese Arbeit, mit der doch immer die Gefahr ver- 
bunden ist, das eigene Leben und die eigenen Kamele 
zu verlieren, geleistet wird. Seine Antwort kann nicht 
genügen. Kr meint, das sei das Leben, das den lauten 
behagt, an solchen Unternehmungen wünschen sie teil- 
zunehmen, weil sie ihrem Sinn entsprechen. Und sollten 
sie das Ziel (die Kamele) nicht erreichen , so hätten sie 
doch reichlich Gelegenheit gehabt, anderes Vieh zu rauhen, 
und könnten vou seinem Floisch ihren Hunger stillen"). 
Aber wenn sie bei ihren Zügen an Nahrungsmittel dach- 
ten, worden sie sie doch gleich auf diese richten. Das 
ist indessen nicht der Fall, der Zweck der Rhazzias ist 
in ihrer überwiegenden Zahl der Kamelraub, und das 
treibende Motiv ist wie beim Neger die Vergrößerung 
ihres Schat stets. Wie viele Menschen unterwerfen sich 
in Kulturstaaten den größten Mühen und Gefahren, ja 
setzen ihre Existenz und die ihrer Familie aufs Spiel, 
wenn ihnen eine Vergrößerung ihres Besitzes in Aus- 
sicht steht. Ganz analog verfahrt der Saharabewohner 
bei seinen Kamelräuhereien. Di« Natur des Besitzes ist 
allerdings, wie ich schon ausgeführt habe, bei beiden 
sehr verschieden, da bei Kulturvölkarn aus einem größeren 
Besitz sich ein größeres Hinkommen ergibt, das Leben 
also fester fundiert wird, während ein größerer Kamel- 
besitz iu der Wüste das Leben nur unsicherer macht, 
da er die Räuber kräftiger anzieht. Man sollte meinen, 
daß diese Rauhpolitik die Wüatenstämme zu erbitterten 
Feinden macheu müßte; wie wenig aber Stamuiesuiotive 
als solche mitwirken, und wie ausschließlich es sich um 
die Kamele handelt, kann man daraus ersehen, daß, 
wenn kein Widerstand geleistet wird, auch kein Blut 
vergossen wird, und daß man niemals Gefangeue macht- 4 ). 
Von diesem Staudpunkt begreift sich auch die Ehrlich- 
keit oder richtiger Gleichgültigkeit der Wüstenstflmme 
manchen anderen Waren gegenüber. Ks ist wiederholt 
von Reisenden, die die Sahara durchquert haben, bc- 

") Barth, a. a. O.. S. 3*7 f. 

") Documenta scientitiiiue«, K. 841. D'Alger au Vimgo par 
h- TYhad, s*. im. 

") Uapperton und D.-nlmm, n. n. <>., IUI. I. S. f", 



richtet worden, daß Karawanen Waren unter freiem 
Himmel niedergelegt hatten, ohne zu befürchten, daß sie 
weggenommen werden, und daß sie sie tatsächlich bei 
der Rückkehr unversehrt wiederfanden Si ). Bei der 
räuberischen Gesinnung aller Saharabewohner ist das 
nur so zu erklären, daß die zurückgelassenen Waren 
keinen Reiz für sie haben. Kamele würden, wenn man 
sie zurückließe, ganz selbstverständlich weggeführt werden. 

Daher können die Imrhad auch kein Kamel halten. 
Foureau hatte die Gewohnheit, dem Palmenwächter von 
Timassinine ein Kamel zum Geschenk zu machen. Als 
er im Johre 1893 wieder so verfahren wollt«, bat der 
Mann um Geld, denn dies könne er verstecken, ein Kamel 
aber werde gesehen, und wenn nun eine Tuaregkarawane 
oder einige Edle vorbeikämen, so würden sie ihm das 
Tier ohne weiteres fortnehmen. Er könne sich dem nicht 
widersetzen, denn er sei Imrhad ,6 ). Damit steht im 
Widerspruch, wenn Foureau sagt, daß die Imrhad die 
alleinigen Besitzer alles Vermögens im Lande wären, zu 
dem er auch die Kamele zählt ,; ). Richtig ist, daß sie 
allein den Boden (außer den Weiden) innehaben, denn 
dieser ist für den Nomaden wertlos. Die Herren legen 
auch keiuen Wert auf die Beherrschung zahlreicher 
Imrhad, im Gegenteil, es läßt sich nachweisen, daß viele 
Untertanen als Last empfunden werden *»). Wenn 
Foureau dagegen Kamelherden bei den Imrhad sab, so 
kann es sich nur um Hütetiere gehandelt haben, nicht 
nui eigene. Zum Hüten des Viehes sind die Imrhad ver- 
pflichtet, sie tragen davon den Namen Herdenleute 2 *). 
Sie können es sogar benutzen, aber niemals sind sie die 
Eigentümer 30 ). Foureaus Irrtum erklärt sich wahr- 
scheinlich daraus, daß die Edlen in der Regel kein Vieh 
bei sich haben, sondern es unter der Aufsicht der Imrhad 
lassen"). Allerdings sind die Imrhad zur jährlichen 
Lieferung eines Kamels neben den bereits genannten 
I<ebensmilteln bei den Asgern verpflichtet, aber woher 
sie es nehmen, ist ihre Sache, sie mögen es rauben — 
die Imrhad geben den Edlen etwas, aber nicht viel in 
der Raublust nach 11 ) — oder kaufen, zu eigen können 
sie keins halten. Alle Reiseberichte stimmen darin über- 
ein, daß die Tuaregedlen ein ruheloses Wandorieben 
führen, während die Imrhad viel seßhafter sind. Ks 
wäre unter diesen Umständen nicht zu verstehen, wie 
die letzteren die Eigentümer der Kamele sein sollten. Bei 
den Rinderzüchtern haben wir ganz analoge Verteilung 
des Eigentums. Stanley nannte in Uganda die Lage des 
Kopi, also des Menschen, der dem Imrhad des Tuareg 
entspricht, recht erträglich, aber Rinder besaß er nicht, 
denn die herrschenden Wahuma waren die Hinderbesitzer, 
zu denen der verachtete Kopi nicht gehörte, und das ist 
die Norm bei allen afrikanischen Stämmen, die von anderen 
afrikanischen Stämmen unterjocht werden : die Erobarer 
nehmen das Vieh, die Unterjochten mögen Ackerbau 
treiben oder ein Handwerk beginnen, sobald sie des 
Viehes beraubt sind, haben die Herren nur gelegentlich 
Interesse an ihnen, wenn sie etwa« erpressen wollen. 
Man pflegt zu sagen, die Tuareg treiben Karawanen- 



ü ) Duveyrier, a. a. O.. 8. 2ifl. Bicliardson, Travels in 
the üreat De?ert of Sahara, Bd. II, B. 148. 

") Hauport sur ms miasion au Sahara et chez les Touareg 
Azdjer, S. rtl. 

") Mission chez les Touareg, 8. 74. Documenta acienti- 

lliiue», 8. 837. 

, ") Köhler, Verfassung u»w. der Tuareg, ti. 4». 
") Duveyrier, a. a. O-, S. 3U.S. 

*"> Hourst, Sur le Niger, B. 2o:> en principe le Ahag- 

gar «tt proprit-taire des paiurage* et des Iroupeuux, l'Atnrid 
le» exploit«, mais n'a rien ä lui. 

M ) Hourst, a. a. (>., S. 21«. 

'') r'i.ureau, l>.K-uments seientifiques, S. 837. 



uig 



Ferdinand (ioldstuin: Dio Tbesaurierungspolitik der Saharabevnlkorung. 



handel mit ihren Kamelen und vermieten sie auch dazu * } ). 
Aber nach Caillie vermieten nur die Ärmsten ihre Kamele, 
die Reichen halten solche Arbeit für unwürdig"). Das 
■timint mit ihrer sonstigen Bewertung der Arbeit, die 
für diese echten Stegreifritter gleichbedeutend mit Schande 
ist' 1 ). Um die Karawanen aus fremden Landern auf 
ihrem Wege in das Land der Agger vor Raubereien zu 
schützen, muß ihnen ein Asgeredler als Geleitsmann 
mitgegeben werden. Zu Barth« und Richardsons Zeit 
wurden die Engländer von Hatita eskortiert, der sich 
daher Freund oder Konaul der Engländer nannte. Hatita 
aber war ein Scheich zweiten Grades und besaß koineu 
politischen Einfluß 8 '). Die Kel-owi Aira treiben be- 
deutenden Karawanenhandel, ein großer Teil des Salz- 
handels von Bilma ruht in ihren Händen, aber der rein- 
blutige, hoch angesehene Adelsstamm der Kel-fade, mit 
denen die K-fade verbündet waren, blickte mit denselben 
Verachtung auf sie herab wie einst unsere Krippenreiter 
auf die Pfeffersäcke und hielt ein Räuber- und Nomaden- 
leben für standesgemäß, und daß auch andere Leute jener 
Gegenden diesen „Beruf für einen höchst vornehmen 
hielten, geht daraus hervor, dali Harths vertrauter, hoch- 
gebildeter Freund und Beschützer in Timbuktu Scheich 
Ssidi Ahmed el Backay eine Zeitlang unter ihnen gelebt 
und »ich seine Frau bei ihnen gewählt hatte"). Im Süden 
Tibestia wohnt der Stamm der Boele, die neben Ziegen, 
Schafen und Rindern Kamelherden besitzen, aber weite 
Reisen können sie überhaupt nicht unternehmen, weil die 
Unsicherheit der Wege, eine Folge des Umherschweifens 
des Ueled Sliman, sie verbietet * B ). Der Ort Sella in der Oase 
Kufra bat größere Kamelherden als irgond eine andere 
afrikanische Oase, aber Handel treiben die Einwohner fast 
gar nicht sä ). Um Karawanunhandel zu treiben, halten also 
die Herrenstftmme der Sahara ihre Kamele nicht. — Es 
ist ja leicht zu erklären, wie der Irrtum entstanden ist: 
Der Europäer legt auf den Nutzen der Arbeit den größten 
Wert, er siebt, daß die Wüstenstämme Reisen unter- 
nehmen, und ist daher geneigt, ihnen Verständnis für 
diese Arbeit zuzuschreiben, zumal sie in so kümmerlichen 
Verhältnissen leben. Aber davon ist keine Rede. Foureau 
nennt olles, was nomadisiert, minderwertig und das 
wahre Unglück Afrikas* 0 ), die Saharaatämine solber aber 
sind gerade entgegengesetzter Ansicht, der nomadisierende 
Räuber ist der Herr, wer nützliche Arbeit verrichtet, gehört 
zum Hob, und würde letzterem Gelegenheit geboten, 
Nomade zu werden, kein Zweifel, daß er sie auf der 
Stelle ergriffe. 

Da das Kamel der Inbegriff alles Wertes für die 
Wüstenbewohner ist, ao repräsentiert es aueb das kost- 
barste Geschenk, das sie machen können. Als Richardson 
den Asgeraultan aufforderte, der Königin Viktoria ein 
kleines Geschenk zu machon, antwortete er, daß die Tuareg 
nur Kamele besäßen, und beabsichtigte, ihr ein Mehari 
zu schicken"). Foureau erhielt von den Aggern ein 
herrliches, weißes Kamel zum Geschenk, wie es die Sitte 
bei ihnen einem hohen Gast gegenüber verlangt; man 
sagte ihm, das sei das höchste Geschenk, das die Asgcr 



M ) 2. B. Mohammed ben Otsniaue El-llacbaichi, VoyaRe 
au pays de Senoussia, 8. 175. 
■") a. a. 0., Bd. II, S. 326. 

") Clapperton und Uenham, a. a. O., Bd. I, K. 9<J. Du- 
veyrier, a. a. 0., K. 331 f., 358. Nacbtigal, a. ». O., Bd. II, 
8. 97 f. 

**) Kichardsoo, Travels etc., Bd. II, S. 102. 
") Barth, a. a. O., Bd. I, 8. 383—385. 
**) Xachtigal, a. a. O., Bd. II, H. 17» f. 
") Rohlfa, Kufra, K. 184. 

") Hon neuvieme voyage au Sahara et au povi des 
Tottareg, K. SW. 

") Travels etc., Bd. II, B. 19 f. 



machen könnten' 2 ). Will man Tiere kaufen, so muß 
man einen ganz exorbitanten Preis zahlen. Die Asger 
verlangten von Foureau für Tiere 200 bis 250 Fr., die in 
Algier die Hälfte gekostet hätten«'). Auf dem Marsche 
nach dem Tsade wurden ihm Kamele zum Kauf angeboten, 
aber zu so hohem Preise, daß sich der Handel fast zer- 
schlug' 4 ). Die Begriffe Besitz, Reichtum und Kamele 
werden zu Synonymen. Eine Tuareg wollte Houret nach 
seinem Vermögen fragen, und er fragte ihn: Wieviel 
Kamele bat dein Vater?«) Als Barth in Timbuktu war, 
drohte seinem Hause ein Angriff. Eine Dienerin forderte 
ihn daher auf, sein „haiwan" (Vieh) zu entfernen. Man 
antwortete ihr, daß sich nur ein Pferd dort befinde. Ea 
dauerte einige Zeit, ehe Barth erfuhr, daß in Timbuktu, 
welches zum größten Teil von solchen Arabern bewohnt 
ist, die in früherer Zeit Bewohner der Wüste waren, 
und deren Eigentum fast ausschließlich in Kamelen und 
Rindvieh bestand, das Wort „haiwan" alle Arten beweg- 
lichen Eigentums bezeichnet' 6 ). 

Die Zahl der Kamele in Einzolbesitz ist nicht sehr 
groß. Hoch angesehene Leute besitzen bei den Ueled 
Sliman selten mebr als 30 Stück. Abd el-Dachlil, ihr 
Häuptling zu Nachligaht Zeit, hatte 50 — 60 Tiere, und 
der reichste vou allen sollte 100 haben 47 ). Bei den 
Asgern besaß zur Zeit Duveyriera der reichste Mann 
gegen 60 Kamele, doch hatte die lange dauernde Trocken- 
heit ihre Zahl sehr vermindert 4 ''). Richardson nannte 
Aunur, den Häuptling der Kel-owi Airs, einen Geizhals, 
weil er immer neue Schätze in Geld, Waren und Kamelen 
anhäufte 49 ). Dies Urteil zeigt recht deutlich, wie ge- 
fährlich es ist, an die Naturstämmo einen europäischen 
Maßstab anzulegen. Richardson hatte vom Standpunkt 
des Kulturmenschen ganz recht, aber vom Standpunkte 
des Tuareg hatte Aunur recht, denn Schätzesammeln, 
besonders Vermehrung dos Kamelschatzes, ist sein Lebens- 
ziel, und da man die Menschen nur richtig verstehen 
kann, wenn mau sich auf den Boden ihrer Sitten stellt, 
so kann^aB Urteil Richardson« nicht gebilligt werden. 
Aber insofern ist es wertvoll für uns, als es uns das 
Wesen des Geizes onthüllt: Der Geizige lebt in einem 
Kulturstaate, verfolgt aber persönlich die Politik des 
Naturmenschen. Bei dieser Gelegenheit fei mir gestattet, 
ein anderes, sehr exquisites Beispiel von Thesaurierung 
anzuführen, das zwar nicht von den Kamelzüchtern 
stammt, aber sehr geeignet ist, uns die Denkweise des 
Schätzefsammlers klar zu machen. DuChaillu wurde bei 
seinen Reisen in das Innere Afrikas fortwährend von 
Leuten des Kammustammes um Schlösser gebeten, die 
sie für ihre Truhen gebrauchten. In diesen speichern 
■ie ihre Schätze auf, und möglichst viele gefüllte Kästen 
neben Weibern und Sklaven zu besitzen, ist für sie der 
Inbegriff von Reichtum und Ansehen. Wer aber keine 
Schätze hat, stellt sich dennoch seine Truhen auf, um 
seine Mitmenschen zu täuschen 1 »). Diu Hamsternatur 
des unzivüiBierten Menschen kann nicht deutlicher 
illustriert werden. 

Es ist bekannt, welch große Rolle in den Gesprächen 
der Neger das Rind spielt; analog bildet das Kamel das 

") Rapport sur ma miuion au Sahara etc., S. li!3. 

") Documenta scientiflque». S. 1134. Ich darf hierbei aber 
nicht unerwähnt huron, daß Foureau der Vermutung Baum 
gibt, der I'rei» mochte der für Kuropller sein. 

") D'Alger »u Congo, S. 74. 

*») Sur le Niger. 8.215. 

**> Barth, a. a. 0., Bd. IV, S. 454, Ann). 1. 

") Nachtigal, a. a. O., Bd. II, S. 6». 

*") a. a. ü., 8. 220. 

•») Narrativc, Bd. 1, S.313. Auch Barth erklärte ih» für 
einen abscheulichen GeizhalB. Bd I, S. 395. 

") Reisen in Zentraiafrika. Kletko» Afrika, IW. 2, S. 291 f. 



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384 



A.: Die Khasi in Aimm. 



Hauptgespräohsthema in der Wüst«. Nachtigal hat die 
Reden seiner Hegleiter belauscht und uns einen Bericht 
über sie hinterlassen. Ich will ihn daher sprechen lassen : 
»Pas ganze Leben der Leute geht in dienen Tieren auf. 
Hie kennen die Tiere ganz genau, alle Individuen ihrer 
Herde, sie erkennen sie sogar an den Fußspuren. Sie 
erkennen nn der Fußspur, ob das Tier leer oder beladen 
war, ob schwer oder leicht belastet usw. Endlos sind 
die Gespräche über die Kamele, bald über eine Stute, 
die gefohlt hatte und so nnd so viel Milch gab, bald über 
ein vielversprechendes Füllen, hier Uber einen schnell- 
füßigen Hengst nnd dort über einen starken Wallach. 
Jedes Lebensjahr bis zur vollen Ausbildung gibt dem 
Tiere einen besonderen Namen, und die verschiedenen 
Farbennuancen rufen endlose Bezeichnungen hervor. 
Hatte jemand das Glück gehabt, einmal ein Runnkamel 
tu kaufen oder zu rauben, so erzählt er Geschichten über 
seine Schnelligkeit, Zncht, Klugheit, wie sie die Araber 
Arabiens nicht poetischer und phantasievnller von ihren 
edlen Pferden erzählen können *')". Man steht, die 
Kamelbesttzer der Wüste werden von ihren Kamelen 
ebenso besessen wie unsere Geschäftsbesitzer von ihrem 
Geschäft. Fohlt eine Kamelstute unterwegs, so wird das 
Jnnge entweder in einem Frauenkäfig (Karmut) auf dem 
Rücken eines Kamels untergebracht, oder es werden 
Sklaven beritten gemacht, die es in ihre Arme nehmen. 

Endlich ist die Vorzüglichkeit des Kamels von der 
Dichtkunst benutzt worden, um die Nomadenheldcn zu 
verherrlichen. Ich entnehme einen solchen Sang Duveyriers 
Roieuwerk*'): I>ie Söhne (hinaus sind stark und tapfer . . . 
Ihre Rassekamele kommen nicht von Adner, nicht von Air, 
nicht von den Arabern, und wenn eins von ihnen sich ver- 
irrt, so glaube man nicht, daß sie entfliehen und in ihre 
Heimat zurückkehren wollen. Ihre Lastkamele haben ihren 
Fuß breit wie eine Trommel, und die Lasten, die sie tragen, 
sind wie die Spitzen der Berge. Sie haben Tiere mit 
schönem Haar, deren Hanken breit sind wie Steinplatten, 
Tag und Nacht sind sie gesattelt. Gott hat^ln ihren 
Meharis die notwendigen Eigenschaften für Schnelligkeit 
nnd Karawanenschritt vereinigt Nicht seit heute glänzen 
die Söhne Omans durch diese Pracht. Jeder A haggar 
nnd Asger weiß es. 

") a. a. O., Md. II, 8. 71. 

") S. 351 f. — Osman, von dem hier die Hede ist, war 
der Vater lkanukhens, des priisumptiven Sultans nach dem 
Tode seine» Oukels Schafo, da bei den Tuareg nicht der leib- 
liche Röhn, sondern <U-r älteste Bohu der ältesten 
den Thron erbt 



Schwester 



Hiermit ist meiu Beweismaterial erschöpft. Der haupt- 
sachliche Grund, warum der Charakter der Kamelzucht 
in der Wüste bisher verkannt worden ist, dürfte in der 
so weit verbreiteten Vorstellung liegen, der Naturmensch 
verführe wie der Kulturmensch immer zweckmäßig. Ein 
großer Irrtum! Nichtiger Tand, Spiel, Tanz, bunte Farben, 
der Glanz der Metalle, Tiere als Spielzeug sind die Freude 
des Naturmenschen wie die des Kindes M ); an den nächsten 
Tag, an dem er vielleicht Frosche und Schlangen ossen 
muß, denkt er niemals. Aus dieser kindiacheu Freude 
an Äußerlichkeiten und am Besitz ist sowohl die Rinder- 
wie die Kamelzucht erwachsen. Man bat den Manschen 
im Naturznstando Sammler genannt; das ist er auch, 
aber er sammelt nicht nützliche Nahrungsmittel und 
Gebrauchsgegenstände, sondern irgendwelche Dinge, die 
als Schatze gelten. Letzteren kann gleichzeitig ein 
wirtschaftlicher Wert innewohnen, aber dieser ist niemals 
der Grund für das Sammeln; es werden auch Dinge an- 
gesammelt, die für den Besitzer keinen Gebrauchswert 
haben. Man wird schwerlich einen wirtschaftlichen Grund 
dafür angeben können, daß der Bongo möglichst viele 
eisorno Ringe oder der Fidschünsulaner möglichst viel 
Tapastoff aufspeichert Aber neben den Sammlern oder 
— wir sind ja in der Sahara — • unter den stolzen Vieh- 
züchtern lobt das verachtete arbeitende Volk, und nur 
da, wo es diesem gelungen ist die zwecklose Sammel- 
politik zu durchbrechen und die nützliche Arbeit an 
ihrer Stelle zur Staatsgrundlage zu machen, waren die 
Vorbedingungen zur Entstehung der Volkswirtschaft und 
damit der Kultur gegeben. Natürlich erforderte diese 
Umwälzung Gewalt und Blut, ein geradliniger Fortschritt 
vom Nat urzustand zur Kultur existiert nicht. Unsere Zeit 
aber, in der die Wissenschalt in zielbewußter Weise 
bemüht ist, durch Ausnutzung der Naturkräfte uns das 
Leben zu erleichtern, und die den Luxus nur als höchste 
Spitze einer gesicherten Existenz kennt ist von derThe- 
saurierungspolitik um Siriusweiten entfernt. Freilich 
der Geist der Masse hat mit der Veränderung ihrer 
materiellen Basis nicht Schritt gehalten, und so linden 
wir, daß sie trotz der radikalen Veränderung ihrer wirt- 
schaftlichen Grundlagen von demselben Aberglauben und 
denselben Torheiten beherrscht wird wie die Naturstämme. 
Dadurch wird das ohnehin schon schwierige VerstAndni» 
der letzteren 



u ) Um Irrtümern zu begegnen, bemerke ich, daß der 
Mensch noch unter diesem Zustande und unter die Thesau- 
riernngspolitik bin abgestuften werden kann. Da» ist z. B. bei 
den Buschmännern der Kall. 



Die Khasi 

In Assam (nordöstliches Vorderindien) wohnt in ge- 
birgiger Gegend das durch Beine anziehenden Sitten und 
Gebräuche merkwürdige Volk der Khasi. Mit seiner 
Stellung in der Ethnographie wußte man bisher nichts 
Rechtes anzufangen, wir sind aber darüber jetzt auf 
Grundlage sprachlicher Forschungen sicher; denn die 
Khasi gehören zu der großen Grup|ie der Mon Khmer- 
Völker, wie sie P. W. Schmidt in seinem gleichnamigen 
Werke (Braunschweig 190«) betitelt hat, zu einer Vülkcr- 
groppe, die als Bindeglied zwischen den Bewohnern 
Zentralasiens und den Südsee-Insulanern dasteht Zwar 
haben sich mit den Khasi, deren Zahl auf 176000 an- 
gegeben wird, schon viele Engländer beschäftigt, allein 
ein tieferes und eingehendere* Studium hut dem Völkchen 
erst kürzlich der „Superintendent der Ethnographie in 



in Assara. 

Assam" Major P. R. T.Gurdon gewidmet, in dem Werke, 
das wir hier würdigen wollen '). 

Wiewohl die Engländer schon in der Mitte des acht- 
zehnten Jahrhunderts mit den Khasi in Berührung kamen, 
haben sie doch erst seit 1835 dort festen Boden gefaßt 
und zunächst den Distrikt der Jaintaberge einverleibt. 
Klug in ihrer Kolonialpolitik, beließen sie dem Volke 
seine einheimische Art der Verwaltung unter ziemlich 
selbständigen Beamten, und während sie so sich selbst 
politisch entlasteten, gewannen sie das Vertrauen der 
Khasi, bei denen Ruhe und Friede einkehrten, so daß 
seit 40 Jahren dort keine kriegerischen Operationen nötig 

') The Khasi«. With an lntroducti.m by Vir Ch. tyall. 
XXVII und S., mit Abbildungen. London , David Nun, 

1907. 7.». 

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A.: Dil- Kuasi in Asuam. 



wurden und die Kultur ansehnliche Fortschritte machte. 
Hand in Hand damit ging die Forschung, deren geo- 
graphische F.rgebnisse hier nicht in Frage kommen; doch 
wollen wir bemerken, daß Cherrapunji in den Khasibnrgen 
den größten gemessenen Keganfall der Erde hat. Be- 
sonders zog die Sprache die Forscher an, die von den 
zwischen tibeto-birmanischen Völkern isoliert wohnenden 
Khasi geredet wurde, die schon 1883 Ernst Kuhu in 
seiner Abhandlung „Über Herkunft und Sprache der trans- 
gangetischen Völker" würdigte, und der F. W. Schmidt 
jetzt ihre richtige 
Stellung anwies. 
Auch da» vor- 
liegende Work 
(S. 198 bis 215) 
enthält einen Ab- 
schnitt über die 
Sprache, mit wel- 
cher der Ver- 
fasser nach lang- 
jährigem Aufunt- 
halte im Lande 
völlig vertraut 
ist Zwar ist da 
noch viel zu tun, 
aber, da Schul- 
bildung und Er- 
ziehung unter 
dem Volke große 
Fortschritte ma- 
chon, so besteht 
die Hoffnung, daß 
in Europa lin- " 
guistisch ausge- 
bildete Khasi 
dereinst das 
Werk vollenden 
werden. 

Neben seiner 
alten Sprache hat 
das lebenskraf- 
tige Volk durch 
die Jahrhunderte 
hindurch seine 
uralten Institu- 
tionen bewahrt, 
ohne viel von 
den umgebenden 
fremden Kul- 
turen angenom- 
men zu haben. 
Die soziale Or- 
ganisation zeigt 
uns die besten 
Beispiele des 
Matriarchats 
and zwar so folgerichtig und scharf durchgeführt, daß 
darüber jene, die den Vater als Schöpfer der (tesell- 
schaft ansehen, erstaunen müssen. Die Mutter ist bei 
den Khasi nicht allein Haupt und Quelle, da« feste Band 
der Familie, sondern im urwüchsigsten Teile des Landes, 
in Synteng, sogar die einzige Eigentümerin alles Besitzes, 
und nur durch sie werden Erbschaften übertragen. Der 
Vater steht in keiner Verwandtschaft zu den Kindern, 
die zum Clan der Mutter gehören; was er erarbeitet, geht 
auf seinen eigenen matriarchalen Stamm über, nnd wenn 
er stirbt, wird er bei »einer mütterlichen Verwandtschuft 
begraben. In Jowai lebt und ißt er nicht im Hause seines 
Weibes, sondern busucht dieses nur bei Dunkelwerden. 




Der große Monolith von Nartlang Im Khasllande. 

Nach einer Photographie von Major Curdon, 



In der Verehrung der Ahnen worden nur die ernte Stamm - 
mutter und deren Bruder beachtet. Die flachen Gedenk- 
steine, für die Toten errichtet, werden nach der Frau be- 
nannt, die den (Inn repräsentiert, während die hohen 
Monolithe, die hinter jenen flachen Steinen sich erheben 
und auf die wir zurückkommen, den männlichen Ver- 
wandten mütterlicherseits gewidmet sind. Wie weit die 
vorherrschende Stellung des Weibes bei den Khasi gebt, 
erkennt man auch daraus, daß die freister, denen man 
versöhnende Opfer bringt, gewöhnlich weiblicher Natur 

sind. Die Damo- 
■ nen der Krank- 
heit und des 
Todes, die man 
am meisten ver- 
ehrt, sind Frauen. 
Die zwei Schutz- 
göttinnen des 
Haushaltes sind 
weiblich, wiewohl 
neben ihnen auch 
der Stammvater 
des t'lanB verehrt 
wird. Bei allen 
Opfern spielen 
l'riesterinnen die 
Hauptrolle, wäh- 
rend die Männer 
dabei untergeord- 
net tittig sind. 
Die Priesterin 
(soh-blei) war ur- 
sprünglich , zur 
Zeit als dus Ma- 
triarchat noch 
mehr in Geltung 
als heute war, 
die AuBüberin 
aller religiösen 
Zeremonien. In 
einem der kleinen 
KhasistAaten , in 
Khvrim, ist jetzt 
noch die Ober- 
priesterin das po- 
litische und reli- 
giöse Oberhaupt 
in einer Person. 
Selbst auf die 
Sprache erstreckt 
sich das Vorherr- 
schen des Weib- 
lichen; sie besitzt, 
als einziges Glied 
der Mon Khmor- 
Sprachen , gram- 
matisches Geschlecht, unterscheidet minnliche und weib- 
liche Nomina. Und hier überwiegen in ungeheurer An- 
zahl die weiblichen, was auch an anderen Eigentümlich- 
keiten der Sprache sich zeigt 

Möglich, daß auch die Überzahl der Frauen bei den 
Khusi gegenüber den Männern (im Jahre 1901 kamen 
nach dem Zensus 1118 Frauen auf 1000 Männer) mit 
dem Matriarchat zusammenhängt (V). Wie das matri- 
archale System auf die Reproduktion einwirkt , ob es 
von Einfluß auf diese ist, muß noch untersucht werden; 
jetzt ist die Bevölkerung ziemlich stationär, was wohl 
mit der Unabhängigkeit der Frau und der leichten Ehe- 
scheidung im Zusammouhange stehen mag. 



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N:in«cu über Nurdpolarproblemo. 



Von besonderem Interesse ist ein Wahrsageverfahren 
der Khasi, um die Ursache eines Unglückes und Mittel 
zu erforschen, wie diesem abgeholfen werden kann. Im 
Anhang (' beschreibt, unter Beigabe eines Diagramms, 
Major Ourdon das Wahrsagen aus einem zer- 
brochenen Ei, aus den Trümmern der Schale, die je 
nach GrÖOe oder Lage auf dem Tische ihre besondere 
Bedeutung haben. Dabei werden die Götter angerufen. 
Dieses an und für sich ist noch nichts Besonderes, aber 
auffallend ist, worauf Lyall in der Vorrede hinweist, 
daß die identische Metbode als extispicium bei den 
Römern bekannt war und in Hellas als OoöxoJTl'a. Sach- 
kundige mögon da Torgleichen. 

Endlich wollen wir noch auf den höchst interessanten 
Abschnitt über die Megalithen des Khasilandes (S. 1 4*1 
bis 154) hinweisen, deren Mächtigkeit aus der Abbildung 
des großen Monolithen von Nartiang hervorgeht. Schon 
lange haben die Steindenkmäler des abgeschiedenen 
Berglandes wegen ihrer großen Übereinstimmung mit 
den europäischen Megalithen die Aufmerksamkeit erregt; 
vortreffliche Abbildungen brachte Godwin Austen schon 
1876 (im Journ. Anthropol. Institute, Bd. V, S. 37, im 
Literaturverzeichnis vonGurdon nicht erwähnt) mit über 
24 engL Fuß hohen Monolithen. Aber ihre verschiedenen 
Arten, die Weise, wie sie errichtet wurden, und der Zweck 
werden uns erst durch Gurdon klar. Seine Mitteilungen 
mögen zur Aufhellung der gleichen oder ähnlichen prä- 
historischen Denkmäler Kuropas, Westasiens und Nord- 
afrikas hier noch kurz erwähnt werden. 

In der Khasisprache heißen diese stehenden Mono- 
lithe Kynmaw, Erinnerungssteine; sie sind Denkmäler 
für die Toten, die aber nicht unter ihnen begraben liegen, 
wie bei unseren Grabmalen, sind also Kenotaphe. Ihro 
Höhe ist sehr wechselnd, gewöhnlich zwischen 2 und 
14 engl. Fuß; doch gibt es auch, wiewohl weniger häutig, 
größere, und der hier abgebildet* von Nartiang in den 
Jainabergen mißt 27 Fuß bei 2 '/„ Fuß Dicke. Diese 
Menhirs werden reihenweise nebeneinander aufgestellt, 
stetB in ungerader Anzahl, meistens drei oder fünf, doch 
kommen auch Reihen von neun Steinen vor. Sie sind 
roh bebauen, gewöhnlieh aus Granit, Gneis oder Sandstein, 
nach oben hin leicht verjüngt und zuweilen etwas orna- 
mentiert, oben abgesetzt, als sollte ein menschlicher 
Kopf da gebildet werden. Vor diesen Menhirs stehen 
immer die tischförmigeu Dolmen, 2— 2 '/j Fuß hoch, auf 



Steinträgern mit großen, flachen Tafelsteinen, die zu- 
weilen die Maße von 28 V 13 Fuß erreichen; sie erheben 
sich immer in der Mitte der Menhirreihe vor dem 
größten Monolith. Alle diese Steindenkmäler sind nie- 
mals gleichmäßig orientiert, schauen nach allen Himmels- 
richtungen, haben daher mit der Sonne, deren Auf- und 
Untergang, nichts zu tun. In der Nähe der Monolith- 
roiheu findet man stets die Steinkistengräber (cromlechs, 
cinernria), die eigentlichen Begräbnisstätten. Übrigens 
sind alle derartigen megalithischen Denkmäler in jenen 
Gegenden keineswegs auf die Khasi beschränkt, da wir 
sie auch bei den Mikir- und Nagastämmen, in Manipur 
usw. im nordöstlichen Indien linden. 

Nur sehr schwer kam Gurdon dazu, die Bedeutung 
der Megalithen aufzuhellen, wahrscheinlich, weil die 
Khasi einem Fremden gegenüber nicht ihre religiösen 
Geheimnisse gern enthüllen wollten. Danach liegen ver- 
schiedene Bedeutungen der Steine vor. 1. Sie dienen 
als Sitze für die Geister der Verstorbenen, wenn deren 
l'berreste in die Steinkisten gebracht werden. 2. Steine 
zur Erinnerung an einen Verwandten. 3. Steine, um 
den Ort zu bezeichnen, wo die Zisternen sich befinden, 
mit deren Wasser die Gebeine und die Asche der eines 
unnatürlichen Todes Verstorbenen gereinigt werden. 
4. Flache Tafelsteine an Marktplätzen, auf denen die 
Müden ausruhen. 5. IHe Mawbynna, jene oben ge- 
schilderten in Reihen stehenden Monolithe. Dio flachen 
Steine vor diesen sind den Abnfrauen, Großmüttern des 
Clans geweiht und wurden früher mit Nahrungsopfern 
für diese versehen; auch liegen Gründe vor, anzunehmen, 
daß sie einst Opferstätten waren, auf denen selbst 
Menschenopfer stattfanden. 

Was die Errichtung der mächtigen Steine betrifft, 
ho wurden sie zum Teil aus weiter Entfernung herbei- 
geschleppt. Nachdem sie behauen waren, legt« mau sie 
auf eine große hölzerne Karre, zog sie mit Rohrseilen 
fort und richtete sie mit Hebebäumen und Seilen auf. 
Näheres über den wichtigen Vorgang erfahren wir leider 
nicht, doch fügt Gurdon hinzu, es sei wunderbar, daß 
man mit so einfachen Mitteln die Riesensteine, die oft 
mehrere Tonnen wogen, in senkrechte Lage bringen 
konnte. Heute errichtet man nur verhältnismäßig kleine 
Steine, zu denen das Material an Ort und Stolle ge- 
wonnen wird. A. 



Nansen Uber Nordpolarproblemcs. 

In der Sitzung der Londoner geographischen Gesellschaft 
vom S«. April d. J. hielt Professor Nan«en. jetzt norwegischer 
Gesandter in London , einen Vortrag über dieses Thema. 
Seine Ausführungen sind auch im Hinblick auf einige der 
draulian befindlichen Polarexpediliouen und die in der Vor- 
bereitung begriffenen Unternehmungen Wcllmans und Pearys 
von Intereese und besagen nach einem kurzen Berieht der 
..Natura " (Bd. 76, 8. 18) folgendes: 

Das tiefe nordpolare Becken bildet die Nordgrenze einer 
Reihe von Einseukungen der Erdkruste, die sich durch das 
norwegischo Meer von der Oatseite des Atlantic her er- 
strecken und die Scheide zwischen den KontinentalmasBen 
der Alten und Neuen Welt darstellen. Das Hervordringen 
der jurassischen Basalto von Kranz Josef-Land und Spitzbergen 
kann mit dem Herabsinken des Nord polar- Meeresbodens Be- 
ziehungen haben, aber da» Becken war wahrscheinlich in 
groller Ausdi-hnuug schon vor jener Zeit vorhanden. Jüngere 
vulkanische Gesteine sind bisher von den Rändern de* tmrd- 
polaren Beckens uicht bekannt. Von der Bennettinsel be- 
richtet He Long das Vorkommen von Lava (oder Basalt), 
aber wir wissen nichts über das Alter. 

Es ist höchst unwahrscheinlich, daß inmitten eine* 
solchen Becken* ein Landblock, ein H^rst, isoliert zurück- 
geblieben sein sollte, umgeben von tiefem Wasser auf allen 



Seiten und ohne Verbindung mit den Ländermassen ringsum 
oder den kontinentalen unterseeischen Platten (shelvea). Die 
Bestimmung des Itandes dieser kontinentalen Platten vor den 
bekannten Küsten ist daher von tiesondorer Wichtigkeit. 
Genau bekannt ist sie nur an zwei Stellen, im Nordwesten 
der Neusibirisehen Inselu und im Nordcu von Spitzbergen, 
während wir zwischen diesen beiden Punkten nur die Tiefsae 
im Norden kennen. Im übrigen Teil des Nordpolarmceres 
wissen wir bisher uur »ehr wenig über den Rand der kon- 
tinentalen Platte. 

Die Regel , daß die kontinentalen Platten vor hohen und 
gebirgigen Kästen viel schmäler sind als vor flachem und 
niedrigem Lande, trifft nur dort zu, wo die Gebirgsformation 
der Küste in enger Beziehung z.u deren Streichrichtung und 
zum Kontiuontalabfall davor steht, und wo die gebirgige 
Küste aus primärem Gestein sich aufliaut. Das wird kaum 
der Fall »ein nn den Nordkimten dos uordainerikanischen 
Polararchipels und Grönland», obgleich es dort an manchen 
Stellen ziemlich hohe Vorgebirge gibt. Ks läßt sich deshalb 
über die Ausdehnung der dortigen kontinentalen Platte 
schwer viel sagen. Vielleicht mehr über die Verhältnisse 
an der Nordküst« von Alaska, und so mag die kontinentale 
Platte dort möglicherweise schmäler sein ; aber auch da§ 
ist ungewiß. Hie tieferen Lot ungs werte in der Nähe 
der angenommenen Kante der Platte können einfach 
liefen in submarinen Tälern andeuten, die dort zahlreich 



Kleine Nachrichten. 



387 



•ein können, und es bedarf zahlreicherer und tieferer 
Lotungen, bevor wir etwa« Sichere« zu sagen vermögen. 

l)r. J. W. Spenocrs Schlüsse bezüglich der Breite der 
kontinentalen Platte, die auf den großen Tiefen der «ub- 
marinen r'jorde de» amerikanischen Polararchipel* beruhen, 
sind kaum gut begründet. Beträchtliche Tiefen in sub- 
marinen Tillern oder Kanälen (Fjorden) deuten nicht auf 
eine verhältnismäßig schmale Platte in (legenden, wo 
glaziale Erosion stattgefunden hat. Ka sollte auch beachtet 
werden, daß daa Gebiet de« amerikanischen Polararchipel» 
im ganzen außergewöhnliche geomorphologiache Gestalt zeigt. 
Diesei Gebiet tag dem U erzen der grollen nordaraerikanischen 
Kisbedeckung wahrscheinlich nahe, und daa Land ist in 
In»eln und Halbinseln zersplittert worden, was auch die 
t'rsachc dieser Zcrspaltung gowescu sein mag. 

Man kann daher nicht sagen , daß die geomorphologische 
Gestaltung des bekanuteu Teiles der Polarzone die Möglichkeit 
einer breiten Ausdehnung der kontinentalen Platte, vielleicht 
mit Land darauf, in manchen Teilen des unbekannten Nordens 
ausschließt. 

Die Meeresströmungen und die Eisdrift acheinen an- 
zuzeigen, daß ein ausgedehntes Meeresgebiet im Norden der 
. Fram'-Koute vorhanden ist. Auch Pesrys Erfahrungen 
während seiner letzten Expedition weiaen auf ein aus- 
gedehntes Meer im Norden von Grönland hin. Die Kisdrift 
konvergiert gegen die Öffnung zwischen Grönland und Spitz- 
bergen. Ebeua© zeigt Peary» Beobachtung einer schnellen 
östlichen Eisdrift, daß östlich von seiner nordwärts gerichteten 
Route nicht viel Land gewesen seiu kann. Da wir aber 
nicht die Tiefen kennen, nlier die Pearys Route verläuft, so 
können wir auch nicht viel aagen über die Möglichkeit der 
Existenz von Land oder einer kontinentalen Platte weiter 
nördlich oder östlich. 

Die Drift der „Jeannette" kann kaum für ein Zeichen 
dafür, daß im Norden Laud Hegt, angesprochen werden; 
denn sie war hauptsächlich von den Winden beeinflußt- 

Meiue Folgerung bezuglich einer Strömung in den oberen 
Waaserschicliten des nordpolaren Beckens gegen Franz Josef- 
Land (im wissenschaftlichen .Fram'-Werk , Bd. 3) könnte 
andeuten, daß dort Land im Norden war, und daß das 
Recken eine lange und tiefe Einsenkuug ist. Denn infolge 
der Erdrotation müßten wir erwarten , daß eine Oberflächen- 



Strömung jener Art gegen die Küste rechts, d. h. nach der 
grönländischen und amerikanischen Seite abgelenkt wird. 
Ks ist jedoch wahrscheinlich , daß die Winde und die Eisdrift 
in den unbekannten Teilen des Meeres die Richtung unaerer 
Drift beeinflußt haben mögen , und daß daher die Ergebnis»» 
bezüglich der Strömungarichtung nicht ganz richtig sind. 

R. A. Harris' Behauptung, daß der Unterschied in der 
Größe der Gezeiten an der Rennettinsel und an der Küste 
von Alaska daa Vorhandensein eines ausgedehnten Landes 
im Norden erweist, beruht auf viel zu dürftigem Beobachtunga- 
malerial. An den Nordküsten von Franz Josef-Land fand ich 
geringere Gezeiten ala die Leute der .Jeannette" an der 
Bennettinsel. 

Die möglichen Verschiedenheiten, die das Eis im 
Beaufortmeer, an der Küste der Prince Patrick -Insel, nördlich 
von Klle*mereland und Grönland und in dem vou dor,Fram* 
gekreuzten Meeresteilen hat, können nicht als Anzeichen der 
Existenz von Land in dem unbekannten Norden Angesehen 
werden. 

Das Vorkommen von Treibholz an den nördlichen Küsten 
und sogar von Scholleueis selbst (Nordwest-Grönland) be- 
weist, daß dieses Eis durch das unbekannte Meer von Sibirien 
oder Amerika hergetriebeu seiu muß. Die große Menge „poat- 
glazialen* Treibholzes, das sogar in größerer Höhe an den 
jetzt vom Eis umschlossenen Küsten im Norden gefunden 
worden iat, verweist auf eiue mildere Periode in postglazialer 
Zeit mit einem offenen Nordpolarmeer. 

Ine Forschungsmethode mit Rchlittenreisen über das 
Polareis gibt nicht viel Gelegenheit für Lotungen und nzeauo- 
graphische Arbeiten; aber etwas könnte bei praktischer 
Ausrüstung getan werden. Die Bestimmung der Kante der 
Kontinentalplalle würde sehr wichtig sein, ebenso aber 
würden einige Beobachtungen über Temperatur und Salz- 
gehalt der untereu Wasserschicbteu der Tiefsee jenseits jener 
Kante Wert haben. 

Eine Drift mit einem Schiffe über den unbekannten 
Nordeu von dem Meere im Norden der Beringstraße oder 
von Westalaska gegen Grönland würde wichtige Resultate 
ergeben und könnte wahrscheinlich in fünf Jahren aus- , 
geführt werden , obwohl die Treibtonne von Bryant und 
Melville beinahe sechs Jahre von Alaska bis Island brauchte 
(die Zeit vom 13. September IH9» Iris zum 7, Juni 1905). 



Kleine Nachrichten. 



«r mit 

— .Über die Entwickeluug des Kartenbildes 
vou Böhmen* ist der Titel einer dankenswerten und inter- 
essanten Arbeit von Dr. Kar 1 8c b neid er in Prag (49 8., 
mit 3 Karten , Prag , Verlag des Vereins für die Geschichte 
der Deutschen in Böhmen, 1907). Die erste Originalkarte 
Böhmens hat der Arzt und Ruchdrucker Nicolaua Klandianus 
in Jungbunzlau 1518 herausgegeben, doch wissen wir nicht, 
wer der Zeichner ist. Sie ist völlig ohne Vorläufer und 
steht doch in Darstellung und Klarheit sehr hoch. Sie ist 
nur in einem Original, in der bischöflichen Bibliothek in 
Leitmeritx, vorhanden, hat aber in kurzer Zeit manche 
Kopien und Umarbeitungen, o. a. durch Sebastian Münster, 
gezeitigt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts treffen 
wir auf eine neue selbständig entworfene Karte von Böhmen, 
die des Theologen und Dichters C. Criginger (1121 bis 1&71). 
Sie hat bei den Zeitgenossen viel Beachtung und Ver- 
wendung gefuuden, trotzdem aber iat es bisher nicht ge- 
lungen, ein Original von ihr zu entdecken. Glücklicherweise 
hat sie Ortelius für »einen Atlas (1570) kopiert. Sie ist .ein 
Fortschritt im Vergleich zu der Klaudiunischen und spiegelt 
den Stand des geographischen Wissens über Höhnten deutlich 
genug wider; die abfälligen Kritiken, welche Rieger und 
dessen Nachfolger gerade Criginger zuteil werden ließen, 
sind vielfach unberechtigt". Ala Quellen nennt Schneider: Die 
Klaudianischc Karte , zum mindesten in der Münaterscben 
Kopie, Münsters Kostnograpbie und eigene Erfahrungen 
Criginger* auf aeinen Reisen in Böhmen. Die Crigingersche 
Karte von Böhmen erhielt sich bis weit in das 17. Jahr- 
hundert hinein. Im weiteren bespricht Schneider die 1619 
In Prag erschienene Karte des böhmischen Laudesgeometers 
Paul Aretin von Ehrenfeld. Dies ist keine private Arbeit 
mehr, sondern eine Art offizielle, in behördlichem Auftrage 
ausgearbeitete Karte, die auch bei den Heerführern dea 
30jährigen Kriegea Verwendung gefunden hau 1>)32 erschien 
eine neue Auflage. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde 
dann das Bedürfnis nach guten Karten zu militärischen 
Zwecken überall fühlbar, und daraus leitete sich die große 



Umwandlung in der Kartographie her: der Staat wurde der 
unternehmende und ausführende Faktor. 8o " auch für 
Böhmen. Hier begann 1*13 eine Landesaufnahme durch den 
Hauptmann Jobann Chriatoph Müller, der seine Aufgabe in 
6 Jahren beendete. 1720 erschien die Müllersche Karte in 
Kupferstich. Sie diente im Siebenjährigen Kriege und erwies 
sich dort als mit vielen Mängeln behaftet, weshalb sofort 
nach dessen Beendigung Maria Theresia eiue Neuaufnahme 
anordnete. Aber auch deren Ergebui», das 1769 als Karte 
in 1 : 110772 herauskam, taugte nicht viel, weshalb 1807 eine 
Aufnahme mit Triangulation begann. Hiermit schließt 
Schneider «eine Untersuchung ab. 

— Klimatologische Probleme im Lichte moder- 
ner See n f or aohun g, erster Teil, nennt Prof. Dr. W. 
U albfaß (XXXU. Jahresbor. d. Gymnasiums zu Neu- 
haldenaleben) eine allgemein verständlich gehaltene und aich 
flüssig leaende Programmabhandlung, in der er sich mit den 
sog. Brücknerachen Klimaperioden und ihren Einwirkungen 
auf die Seen, sowie andereu damit im Zusammenhang stehenden 
Fragen befaßt. Er kommt zum Resultat, daß unaerer jetzigen 
Zeit eine feuchtere vorausgesangen sei, die sich in höher 
liegenden Straudlinien der Seen anzeigt, daß eine allgemeine 
Austrocknung der Erde im letzten Jahrhundert sehr 
unwahrscheinlich sei und das berichtete Kleinerwerden und 
Kritischen von Seen sich auf andere Ursachen zurückführen 
lasse, sowie daß das Auf- und Abschwanken des Wasser- 
standes der Seen während größerer Zeilräume auch in 
Gegenden sehr wahrscheinlich sei, von denen man sonst an- 
zunehmen geneigt war, daß sie in allmählicher Austrocknuug 
begriffeu wären. Gr. 

— Die Arbeiten der Ostkam erun-Grenzexpedilion 
aind abgeschlossen und die deutschen und die französischen 
Mitglieder entweder bereits in Europa eingetroffen oder auf 
dem Heimweg". Die ersten Berichte sind wohl von franzö- 
sischer Seite zu erwarten. Itie französische Abteilung unter 



r 



t-ziyiti^c 



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3H* 



Kleine Naohrichton. 



Kommandant Moll hatte einen zahlreicheren Stab als die 
deutsche unter Hauptmann Ohr. v. Seefried, auch war aie 
begleitet Ton einem llenufira^teu der Pariser geographischen 
Gesellschaft, Brunaux, dem ethnographische und geologische 
Beobachtungen oblagen, während die deutsche Abteilung 
leider nur aus den Topographen bestand, wie das nun einmal 
bei uns so üblich ist trotz unserer „landeskundlichen Kom- 
mission*. Die Arbeiten der Franzosen, über die allein wir 
bi* Ende Mai einigermaßen unterrichtet waren, umfaßten u. a. 
auagedehnte Aufnahmen im Gebiete des oberen Sangba 
und der westlichen Quellt) üsse des Logone, die heute alte als 
fiistfeiegt gelten können. Nachdem die Mecsungs- und 
Aufnahmearbeiten am 10. Breitengrad, dem deutach-franzö- 
sichen Grenzparallel , beendet waren , begaben sich die Teil- 
nehmer nach Kort Lamy und stellten der Kontrolle wegen 
eine Verbindung mit Kuka her; das Ergebnis war eiu« gute 
Übereinstimmung mit den Resultaten der deutsch-englischen 
und der euglisch-französtschen Triangulationen, die dort ge- 
endet hatten. Moll ging auf dem Logone— Tnburi— Benue- 
Wege nach Hause. 

— Die Schiffahrt auf dem Genfer See. Auf dem 
Genfer See aoll ein neuer Peraonendampfar, die „Italie*, in 
Dienst gestellt werden. Aus diesem Anlaß wird in „A tra- 
vers le Monde* (IWJ7, 8. 151) ein Vergleich zwisebeu der 
Dampferflotte des genannten Sees und denen dos Boden«ee« 
und des Vierwaldstätter See» gezogen. Während der Genfer 
See (57(1 <|krn)nur 18 Personendampfer hat, zählt der kleinere 
Bodenaee deren 37, obwohl hier der Touristenverkehr bei 
weitem nicht so groß ist als auf dem Geufer See. Der 
Vierwaldstätter See ist noch viel kleiner (113 qkm), hat aber 
eine Flotte von 19 Dampfern. Demnach entfällt beim Boden- 
see 1 Dampfer auf I» qkm, beim Vierwaldstätter See auf 
6 qkm und beim Genfer See auf 32 qkm. Das ist der Fall, 
obwohl die Ufereisenbahnen des Geufer Sees in den letzten 
15 Jahren die Zahl der Züge verdoppelt halten, obwohl im 
selben Zeitraum die Zahl der 8chiffspassagiere auf dem Geufer 
See von 845 000 auf 1332 000 nnd die Kinnahme der Dampfer- 
geaellacbaft vou 1 Million Fr. auf über )', , Millionen Fr. ge- 
stiegen ist. Die jährliche Kilometerzahl der Genfer See- 
Dampfer ist dieselbe geblieben: etwa 500 000. Daher sind 
die Verkehrsverhältnisse auf diesem See als rückständig zu 
bezeichnen. — Die „Italie* soll 58 m lang und 7 m breit 
nd in der Stunde 27 km " 



— Französische Saharazüge im Jahre 1906. Einer 
im .Bulletin du Comite de l'Afrique francjtfse" (Mai lt>07) 
veröffentlichte» Zusammenstellung des Oberstleutnant« I<a- 
molle, des früheren Kommandanten des Territoire. militaire 
du Niger, ist zu entnehmen, daß im Bereich dieses ausgedehn- 
ten Bezirks im Jahre 1906 zahlreiche Kifieditionen zur Be- 
festigung der französischen Herrschaft ausgeführt worden 
sind. Die Zöge haben zum Teil durch weite, bisher un- 
bekannte Strecken geführt, und da erfahrungsgemäß die fran- 
zösischen Offiziere auch stets ihre Route aufnehmen und 
Interesse für wissenschaftliche Beobachtungen bekunden, »o 
darf man rieh davon wieder eine dankenswerte Erweiterung 
der Kenntnis der Sahara versprechen. Karten uud nähere 
Berichte werden nicht lange auf »ich warten lassen; vorläufig 
sei die interessante Liste dieser Expeditionen gegebeu. 

Die zunächst erwähnten Züge Laperrines, Cauvius und 
Cortiers im Westen sind hier schon besprochen worden. Am 
7. Juli wurde Agades, der Hauptort der Oase Air, dauernd 
besetzt. Zu diesem Zwecke begegneten sich dort zwei De- 
tachemvnts, von denen das eine unter Leutnant Garnier de 
Laroche von Tnhua (halbwegs der Route Sinder— Niger), das 
andere unter Leutnant Mass« von Dschadacbiduna (100 km 
nördlich von Sinder) gekommen war; beide waren gleich- 
zeitig, am 20. Juni aufgebrochen. Am 18. Juli wurdo — 
was hier auch schon erwähnt ist — der Ort Rilma in der 
Oase Kauar dauernd besetzt, und zwar durch den Leutnant 
Crepin, der am 13. Juni von Gure (150km östlich Sinder) 
abmarschiert war; in Bilm» wurde ein Militärposten errich- 
tet. Am 13. Juli brach der Kommandant von Sinder, Gadel, 
von Dschadschiduna nach Bilma auf und erreichte es nach 
einem Marsch durch bisher unbekanntes Gebiet am 15. August. 
Von Bilma aus besuchte Gadel am 12. September die im 
fernen Norden liegeude Oase vou Dschebalo. Es kamen da- 
mit dorthin zum erstenmal französische Truppen. Bei Orida 
trafen si.j am 13. September auf eine Hand* Asger-Tuareg, 
die einen Raubzug unternommen hatten, und hatten mit 
ihnen ein Gefecht- Auch das Gebiet /wischen Gao am Niger 
und A gadei ist zum erstenmal durchquert worden, und zwar 
auf der alten Songhaistraße. Kapitän I'asquier brach am 



1. September von Gao auf, besuchte da* Land der Auilli- 
minden-Taareg und kam über Menaka (260 km östlich Gao) 
bis Tenekar, worauf er zurückging. Am 20. August verließ 
Kapitän Laforgue Tauua, erreichte Menaka am 1. September 
und zog dann nach Agades (580 km östlich von Menaka), 
wo er am 3. Oktober eintraf. Am 12. Oktober fand in Ife- 
ruaue an der Straße Agades — Ghat «in Zi 
zweier Truppenabteilungen statt. Die eine, unter 
Clor, kam von Insalah, die andere, unter Leutnant Mass«, war 
am 4. Oktober vou Agade« aufgebrochen. Zwischen Agades 
nnd lferuane hatte Masse die Talakebene erkundet. 



ist zu erwähnen, daß Gadel, nachdem er von seinem 
berührten Zuge nach Norden nach Bilma zurückgekehrt war, 
diesen Ort am 5. November verließ und am 3. Dezember in 
Ngigrai am Tsadsee anlangte. Die einzelnen Züge wurden 
mit Kamelreiterabteilungen von mäßiger Stärke (30 bis 60 
Manu) durchgeführt. 

— Im Jahresbericht der Qeogr.-Ethnogr. Gesellschaft in 
Zürich für IBO.yoa findet sich eine umfangreiche Arbeit von 
Dr. Hans J. Wehrli über die Wirtschaft*,- und Siudelungsgeo- 
graphie von Ober- Burma und den nördlichen Shan-Staaten. Sie 
beruht auf eigenen Reisen im Lande und enthält eine Fülle 
nützlicher Angaben, die durch Karten und Abbildungen unter- 
stützt werden. Gegen den Schluß bespricht Wehrli die bur- 
manischen Siedelungen und berührt die häufige Errich- 
tung neuer Hauptstädte in Burma. Er sagt: Die 
zahlreichen Ruinen ehemaliger großer Hauptstädte hängen 
zusammen mit den Kämpfen zwischen Burmanen, Shan und 
Tataing (Mon) um die Herrschaft über das Irawaddytal, vor 
allem aber mit der in Südasicn weit verbreiteten Sitte, nach 
der Fürsten und Könige bei Übernahme der Regierung, be 
«onders aber beim Wechsel der Dynastie, eine neue König- 
stadt anlegten. So hat in dem Jahrhundert, da* der letzten 
Verlegung der Hauptstadt von Amarapura nach Maudalay 
(1852) vorherging, der Sitz der Residenz siebenmal gewechselt. 
Mannigfaltige Gründe veranlaßten die Herrscher zur Ver- 
legung und Neuanlage ihrer Hauptstädte. In Ober-Burma 
z. B. verlegt« man die Königstadt beim Wechsel der Dynastie, 
ferner nach blutigen Thronstreitigkeiten der oft zahlreich 
auftretenden Prätendenten, infolge deren sich unheilvolle Er- 
innerungen an dio alten Königstädtc hefteten. Auch der 
Aberglaube führte zur Verlegung der Hauptstadt; 1852 wurde 
wegen einer für das Herrscherhaus ungünstigen Wahrsagung 
Aniarapura als Köulgstadt aufgegeben und die Stadt Manda- 
lay gebaut, deren Lag« Wahrsager und Astrologen bestimmten 
und als für das Geschick der Dynastie besonders günstig be- 
zeichneten. In der Regel zwang man die Bevölkerung, sich 
in den neuen Städten anzusiedeln- Hin und wieder ließen 
die Könige die alte Residenzstadt zerstören, wie dies bei Ava 
geschah. 

— Moderner Druidenschwindel in Wales. Man 
weiß, wie die noch Keltisch redenden Waliser stolz auf ihre 
Sprache, ihre mit allerlei Phantasien ausgeschmückte Ge- 
schichte sind und auf ihren Kisteddfod- Versammlungen den 
Gegensatz zu den Engländern betonen, wiewohl sie diesen 
so viel verdanken. Um ihre herrliche d ruidische Vergangen- 
heit recht verständlich zu niacheu, greifen sie zu allerlei 
nicht einwandfreien Mitteln, und so haben sie auch die me- 
galithischen Denkmäler ihres Landes gefälscht, wie jetzt 
A. L. Lewis (Man, Mai 1907) nachweist; denn bei diesen 
Steindenkmälern halten sie ihre propagandistischen Versamm- 
lungen ab, erfüllt vom Geiste der Väter. Bei dem walisischen 
Städtchen Pontypridd befindet sich einer der bekannten großen 
Wackelsteine-, um diesen ein Kreis von 27 Monolithen, und 
zu dem Kreise führt ein aus Steinen gesetzter krummer Gang 
in Gcxtalt einer Schlange, auf den all«n .Schlangenkultus* 
deutend. Lewin ist der Sache nun nachgegangen und hat 
gefunden, daß diese Schlange und der Kreis, welche die Wa- 
liser für uralt erklären, ziemlich modern sind und von dem 
„Archidruiden" Myfyr Morgan wy, einem Uhrmacher, her- 
rühren, der 1888 im Alter von 88 Jahren starb, und der das 
Schlangensymbol zur höheren Ehre des Keltentums fälschte. 
Er kopierte und verbreitete alte „bardische Dokumente*, in 
denen die .Drachenkreis- Ära" eine Rolle spielte, sammelte 
Schüler um sich, mit deren Hilfe er die Schlange und deu 
Kreis erbaute, und grub das „bardische Alphabet* in die 
Steiue ein. l>ort wurden zur Zeit der Solstitien und Äqui- 
noktien Versammlungen abgehalten und die Verse und Melo- 
dien xu dem heute gesungenen „ welschen Nalionalgeeang* ge- 
schmiedet. Da* alle* glauben echt keltische Gemüter heute 
fest, und alljährlich geht das nationale Schauspiel seinen 
Weg. 



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