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Full text of "Auf alten wegen in Mexiko und Guatemala. Reiseerinnerungen und eindrücke aus den jahren 1895-1897"

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TOZZER LIBRARY 

Alfred Marston Tozzer 
1877 - 1954 



PEABODY MUSEUM OF 
ARCHAEOLOGY AND ETHNOLOGY 
HARVARD UNIVERSITY 



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FROM THE LIBRARY OF 

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Auf alten Wegen in l[exiko und Guatemala. 


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Tu rasen- Indianer von I g n . 1 1 i o 


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Auf alten Wegen in 
Mexiko und Guatemala 


Reiseerinnerungen und Eindrücke 
aus den Jahren 1895 — 1807 


von 


Ceeeilie Selen. 


MIT r>5 I.ICIITDRUCKTABKLN, 260 IN DEN TliXT 
GEDRUCKTEN ABBILDUNGEN UND EINER KARTE. 



BERLIN 1900 . 

DIETRICH REIMER (ERNST VOI ISEN). 


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Das Recht der Uebersetzung und Vervielfältigung Vorbehalten. 


Druck von Otto EUncr, IVcrlin S. 


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An Seine Durchlaucht, 


Herzog Joseph Florimond de Loubat. 


Herr Herzog! 


In den folgenden Blättern habe ich versucht, von dem äusseren 
Verlauf unserer in den Jahren 1895 — 97 unternommenen Reise durch 
Mexiko und Mittelamerika, von den Eindrücken, die wir daselbst gewonnen, 
von unserer Thätigkeit und unsern Erlebnissen eine Schilderung zu geben 
und gleichzeitig dem Leser vorzuführen, was mir von Land und Leuten, 
von Altem und Neuem im Bilde festzuhalten gelungen ist. 

Ihnen, Herr Herzog, der Sie uns durch Gewährung ansehnlicher 
Mittel und durch vielerlei persönliche Bemühungen es ermöglicht haben, 
unsern Weg viel weiter auszudehnen, unsere Arbeiten und Sammlungen 
in viel grösserem Massstabe auszuführen, als wir ohne diese Hilfe je 
hätten planen dürfen, fühlen wir uns zu aufrichtigem Danke verpflichtet. 
Ich erlaube mir deshalb, ihnen dieses Buch als ersten Bericht über unsere 
Reise in Dankbarkeit zu widmen. 

Sollten diese Blätter es vermögen, Ihr Interesse zu erwecken und 
Ihnen einige müssige Stunden verkürzen zu helfen, so werde ich glauben, 
dadurch einen, wenn auch kleinen Teil unserer Schuld abgetragen 
zu haben. 

. Caecilie Seler. 


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EINLEITUNG. 


Mexiko und Guatemala sind keine neuen Länder, keine Gebiete, 
die man aufsucht, um unbetretene Strecken zu erforschen oder unbekannte 
Naturvölker zu entdecken. Wer die nicht ganz unbedeutenden Beschwerden 
einer Reise durch diese Gegenden auf sich nimmt, thut das nicht, um 
Neues zu finden, sondern um Altes zu suchen. — So lockte auch uns 
nicht der Ehrgeiz des Pfadfinders hinaus, sondern der Wunsch, den Spuren 
alter Kulturen nachzugehen. Nicht neue Wege wollten w-ir wandeln, 
sondern den alten folgen, die schon seit vielen hundert Jahren die Ver- 
kehrstrassen eines handelsfreudigcn Volkes bildeten. Denn nicht kriegerischer 
Geist allein hat dem alten Aztekenreich zu seiner Machtstellung verholfen, 
sondern ebensowohl weit ausgedehnter Handel. Dieser fand die Wege 
bis an ferne Küsten, und der Staat schützte die Züge der Händler und 
Kaufleute durch Anlage von Militärstationen. Die grossen Strassen, die 
das Land heute durchziehen, sind fast ausschliesslich die gleichen, von 
alters her begangenen. Denn wo der Dampf sich noch nicht des Verkehrs 
bemächtigt hat, folgt dieser naturgemäss den Bahnen, die ihm die Gestaltung 
des Landes weist. 

Mexiko und Guatemala sind keine wilden Länder. Der Reisende, 
der sich dorthin begiebt, um Völker und Ruinen, Tier- und Pflanzenwelt 

— oder was sonst das Gebiet seiner Forschungen sein mag — zu studieren, 
wird eine grosse Fülle von Wissenschätzen einheimsen, aber Abenteuer 

— was man so eigentlich unter Abenteuer versteht — wird er kaum zu 
erzählen haben. Wie oft habe ich beschämt gestehen müssen, keine erlebt 
zu haben. Keine Kämpfe mit bösen Menschen oder wilden Tieren, keine 
Feuersgefahr oder Wassersnot, kein Verschmachten im Sonnenbrand, kein 
Verhungern in dunkeln Höhlen. 

Aber wer monatelang in den amerikanischen Tropen durch fremde 
Landschaft und fremdes Kulturgebiet reitet, der sollte doch mancherlei 

VII 


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zu erzählen haben, auch wenn es ihm niemals an Kopf und Kragen ging. 
Und weiter haben die folgenden Blätter keinen Zweck. Ihr Inhalt ist 
kein wissenschaftlicher, er ist vielmehr ein ganz persönlicher, insofern er 
nichts anderes wiedergiebt, als meine Erlebnisse und Eindrücke während 
einer längeren Reise durch Mexiko und Guatemala, auf der ich meinen 
Mann begleitete, und die zum Zwecke archäologischer und ethnographischer 
Studien unternommen wurde. Es sind zum Teil Briefe, die ich während 
dieser YVanderzeit an die Freunde daheim geschrieben habe, jedoch immer 
bedacht darauf, was von dem Geschauten für sie Wert haben könne, nicht 
sowohl weil ich es schaute und erlebte, sondern weil es überhaupt 
interessant sein könne für alle, denen die Verhältnisse der durchreisten 
Länder fremd sind. — Manche Lücke habe ich aus dem Gedächtnis ergänzt; 
für die naturwissenschaftlichen Gebiete, für Flora, Bodenreformation und 
Aehnliches, zum Teil auch für die Wegbeschreibung habe ich meines Mannes 
Aufzeichnungen benutzen dürfen. Aber trotzdem ist die Vollständigkeit 
einer Reisebeschreibung weder erreicht, noch erstrebt. Ist es mir doch 
oft schwer geworden zu entscheiden, was erzählenswert sei, was nicht. 

Ich war ja nicht zum erstenmal in diesen Gegenden und mit vielen 
der Lebensverhältnisse vertraut. Die Anschauungen vertieften sich zwar, 
aber es fehlte ihnen die Frische des ersten Eindrucks, und ich fand mich 
in manches bald so eingewöhnt, dass ich oftmals überlegte, ob denn dies 
und das zu Hause so ganz anders sei; ob es wirklich lohne, von alledem 
zu berichten? So mag hier zu viel, dort zu wenig gesagt sein. Zudem 
sind die auf unserer ersten Reise geschriebenen Briefe veröffentlicht worden, 
und ich mochte nicht dort ausführlich behandelte Dinge wiederholen. 

Viel ist im Verlaufe der letzten Jahre über Mexiko geschrieben 
worden. Seit das Land durch Eisenbahnen leichter zugänglich geworden 
und durch seine politische Entwickelung die erste Stelle unter den Staaten 
des lateinischen Amerika beanspruchen darf, ist es ein immer häufigere- 
Reiseziel geworden. Wer aber heute reist, der schreibt auch; und so haben 
sich die Reisewerke über dieses Land in deutscher, englischer, französischer 
Sprache in kurzer Zeit erheblich vermehrt. Es ist mir jedoch unter allen 
diesen neueren Büchern keines bekannt, dessen Verfasser sich weiter als 
einige Tagereisen von der Eisenbahnlinie entfernt hätte; und die meisten 
von ihnen behandeln nur das Hochland eingehender. Deshalb glaube ich 
mich berechtigt auch mitzusprechen. Wer ein Land monatelang vom 
Rücken des Pferdes aus betrachtet, fern jeder Eisenbahn-Kultur, sieht doch 
anderes, als wer auf den Flügeln des Dampfes reist. Ueber Gegenden 
wie z. B. die Mixteca Alta, erzählt kein modernes Buch etwas. Und 
der Weg von Oaxaca über Tehuantepec und von dort weiter durch 
Chiapas nach Guatemala ist meines Wissens in neuerer Zeit von keinem 
Reisenden im Zusammenhänge beschrieben worden. Freilich hat der 

VIII 


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englische Mönch Thomas Gage zum grössten Teil denselben Weg ge- 
macht und all seine Erlebnisse und Beobachtungen getreulich und ergötzlich 
geschildert; aber das ist zweihundert Jahre her. 

Die Reiselitteratur über Guatemala ist lange nicht so reichhaltig. 
Dagegen weist sie ein Buch wie das von Stoll auf, dem die in jahrelangem 
Aufenthalt gesammelten Erfahrungen zu gute kommen, und das daher ein 
Bild von Zuständen und Verhältnissen zu entwerfen vermag, wie es die 
Erzählung flüchtiger Reiseeindrücke niemals geben kann. 

Eines aber habe ich meinem Buche mitgegeben, was es vor andern 
über Mexiko und Guatemala voraus hat, was manch trockene Schilderung 
wirksam unterstützen wird: das ist sein reicher Bilderschmuck. Die 
meisten Abbildungen sind nach meinen eigenen fotografischen Aufnahmen 
gemacht. Wo die von andern mir freundlich zur Verfügung gestellten 
oder käuflich erworbene benutzt worden sind, ist es ausdrücklich angemerkt. 
Alle Zeichnungen sind von Herrn Wilhelm von den Steinen mit 
der ihm eigenen Treue und Sachkenntnis angefertigt. 

Ich hätte gern in einem Anhang ein Verzeichnis der von uns auf beiden 
Reisen (1887 — 88 und 1895 — 97) gesammelten Pflanzen mitgegeben, 
doch ist ihre Bestimmung, die das botanische Museum in Berlin über- 
nommen hat, noch immer nicht vollendet. Im Bulletin de l'Herbier 
Boissier, Tome II (Aoüt 1894) und III (Decembre 1895) hat Herr 
Dr. Th. Loesener eine Bearbeitung der auf der ersten Reise gesammelten 
Pflanzen begonnen. Sie sind dort familienweise mit ihren Standorten auf- 
gezählt und die neuen Arten beschrieben. In diese Bearbeitung sind 
jetzt die Ergebnisse der zweiten, in diesem Buche beschriebenen Reise 
mit aufgenommen und auf Grund des vollständigeren Materials eine 
weitere Mitteilung in Tome VII der genannten Zeitschrift (juillet, 
Aoüt 1899) veröffentlicht worden. Einige wenige Charakterpflanzen hat 
Herr W. v. d. Steinen nach Herbariumexemplaren für uns gezeichnet, 
die teils als Kopfleisten Verwendung gefunden haben, teils im Text ver- 
streut sind. 

Die dem Büche beigegebene Karte ist von Herrn P. Boschann 
gezeichnet. Für die Republik Mexiko wurden die in dem Atlas von 
Garcia y Cubas enthaltenen Karten der einzelnen Staaten zu Grunde 
gelegt, da sich herausstellte, dass die neuerdings vom Ministerio de 
Fomento herausgegebene Karte von Mexiko in drei Blatt im Gelände 
wenig zuverlässig ist. Für die Republik Guatemala dienten die von 
Dr. C. Sapper entworfenen Karten, die im Jahre 1894 in Petermanns 
Geographischen Mittheilungen veröffentlicht sind. Die neue, im Ergänzungs- 
heft 1899 erschienene geologische Karte Dr. Sappers konnte leider nicht 
mehr berücksichtigt werden. — Einige kleine Verbesserungen sind nach 
mündlichen Angaben meines Mannes angebracht worden. 

IX 


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tQuien sabe? und jmaftana! sind die beiden Leitworte jeder Reise 
in spanisch-indianischen Ländern, und Geduld ist, was man am not- 
wendigsten braucht. Wie selten sind die Tage, da alle Reittiere gesund, 
der Bursche völlig nüchtern, am Sattelzeuge nichts zerrissen, die Packträger 
rechtzeitig zur Stelle und mit der Verteilung der I.ast einverstanden 
sind, da der Aufbruch früh genug erfolgt und das Nachtlager vor Sonnen- 
untergang erreicht wird. Irgendwo hapert's immer. Aber die glücklichen 
Stunden prägen sich dem Gedächtnisse fester ein als die trübseligen, und 
wenn die Mühe von Erfolg gekrönt wird, ist sie bald vergessen. So mag 
es manchem scheinen, dass meine Schilderung allzu rosig gefärbt ist, ein 
gar zu freundliches Gesicht zeigt. Ich kann es nicht ändern. Wenn ich 
heute auf diese Wanderjahre zurückschaue, so kann ich es nur mit Ereudc, 
die allein getrübt wird von der Sehnsucht, noch einmal Aehnliches durch- 
leben zu dürfen. 

Steglitz, im Sommer 1900. 


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Inhalts -Verzeichnis. 


Seite 

Krster Abschnitt: Ein Ausflug an die Lagune von Piitzcuaro l — 16 

Acambar«». - Kisenhahm'alirt. — Patzcuaro. - Ritt nach Tzintznntzan. — 

L’eber den See nach Iguätio. — Markt. — Abschic«!. 

Zweiter Abschnitt: Oaxaca 17 — 34 

Eisenbahnfähre. — Gastfreunde. — Di»’ Wasserleitung von S. Fcjige. 

M;trkthaUe. — Cuilapa »n«l Zoacltila. — Hausindustrie. — Musik. — Import 
und Eisenbahn. — 1 >on Portirio l)iaz’ Empfehlungsbriefe. — Bei Monsignore 
Clillow. — l)r. Sologurens Sammlung. — Keiscvorbcreitungcn. — Spazier - 
gänge un«l Erholungen. — Weihnachten. — Veladas. — Xuestra Senora 
de la Solcdad. — Eine Landpartie auf den Monte Alban. - Sylvestcrabend. 

Dritter Abschnitt: Ein Ritt in die Mixtcca Alta 33 — 62 

El Tren de Cuatro Patag. — • Ktla, Huitzo, El Parian. ■— Landschaftliches. — 

Nach Nochistlan. — Archäologisches. — Ucber Tillo nach Vanhuitlan. — 

VW Kirih «: vo n V iu ilmitDu , - ILmdcl m it Ahcrtümcrnr - Landschaft. - 

Maisernte. — Teposcolula. — Temazcal. — Das Pueblo viojo. — Mixtlan. 

— Tlaxiaco. — Politisches. — Achiutla und seine Leute. — Scharfe Speise, 

— IndianiKhe Führer, — Yucüani — L>ic lltfttt?, — Um da Hemd. — 

Schwerer Weg. — Entlaubte Palmen- — Im Pfarrhof von Tilantongo. — 

Dona Lupe. — Der Kreis wird geschlossen. — Cuauhtlilla. — Abend im 
Corral. — Trennung. 

Vierter Abschnitt: Zum Stillen Ozean 63 — 97 

Reisezeit. — Landschaftliches. — Briefpost. — Unser Keisetempo. — 

Erinnerungen. — Nach Totolapam. — Flussabwärts. — Die grauen Hügel. 

— Agua Escondida. — S. Carlos Borromeo Corral de Piedra. — Das 
schönste Stück des Weges. Erbende Bilder. Tracht. Purpur - 

färberei. — Die Indios von S. Bartolo, — Muy poquito falta. — Der Fluss 
von Tcquiziztlan. — Eine Sprachinsel. — Auf frischem Pfade. ■ Jalapa. 

- Eintritt in die Ebene. — La Mixtetiuilla. — Tehuantepec. Geistliche 
Empfehlungsbriefe. — Die Frauen. 1 >i<- Deutschen. — - Klima. Alter- 


XI 


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Seite 


ttimer. -- Die grossen Ollas und die Tortilla Juchiteca. - Zum Quie-ngola. 

— Das südliche Kreuz. Auf dem Quie-ngola. — Am Feuer. — Die 
Skulptur. — Wasserfragen. — Die Huave. — Der Weg zum Ozean. — 

Das Lienzo von Huilotepec. — Quatzontlan. — Ein köstliches Mittagsmahl. 

— ln S. Mateo de! Mar. — Der Name von Tehoantepec. Neue Mozo». 

= Mark t . - l l erbar. Kümmernisse. 

Fünfter Abschnitt: Im Südosten des Isthmus qS — 1 1 8 

Aufbruch von Teliuantepec. Tlacoteprc und das 9 Bad der Königin«. — 

Warmes um! kaltes Wasser. — S. Pablo. - Piedra Pinta* la von Iztaltepec. 

— Juchitan. — Nach Ishuatan. — Fiesta. — N;ich Tapana. — Mischehen. 

— N achrrnis c . — Toiul.i. — H ohe Preise — D er Stein auf der Plaza. - 

Auf dem Cerro de Tonalä. — Harter Verlust — Per Fluss von Tonalä. 

— Plagen der Ticrra c:diente. — Die Lagune von El Paredon. — Gen 
Tapnchula und zurück. — Soldatenlagrr. — Jejencs. — .Schicksalswink. 


Sechster Abschnitt: Quer durch Cliiapas .119 — 156 

Chiapas. — Der alte und der neue Weg. • — Valle de Cintalapa. — Die 
Familie Moguel. — Die Altertümer in der Hacienda El Rosario. 

Ocozuquauhtla. — Tuxtla Gutierrez. — Schokolade. — Chiapa de los Indios. 

— Im Gebiet der Zotzil. £. Criatobal de Las Casus, -- Düs buch 

Pinedas. Träger. Indianerdörfer. Ococingo und Toninä. — Bei 

Dona Hcrmina Geringe Erfolge. Kiefernwald. — Der Saconija. 

Der Ameisenbaum. Veriel. — Comitan. 1-Vmando Vasnuc* und »1er 

Ilun Chavin. 


Siebenter Abschnitt: Von Comitan bis Guatemala . . . .157 — 

Palmsonntag. — Zapalutn. — Tepancuapam. — Belebte Hoffnungen — 
Zacchanä und Gräcias ä Dios. Die Trinidad- --- Ein Spazierritt. — Karst. 

— Chanilä. — Patern — 1 aimlsti wissen Ein ürrnzml — Im Thal de» 

Rio Dolore». — >. Andres. — S. Marcos. — lacaltenango. Db» CuebU 
de la Conccpclon. — Cbuh und Mam. — Todos los Santos. • Leber die 
Sierra Madrr. — Chiantla. — Vampyre. - Wegbcschn-ihung. >oldaien 
und Gefangene. — Rio Chlxoy. — Sta. Maria. - Wasser in trockener Zeit. 

— l'tatlan. — Sta. Cruz Quiche. — Die fruchtbare Eltern- und Kolon i- 
sationsgedanken. — I.a Garruche. — Poaquil. — Schulgedanken. — 
t-onialapa. — Die Ebene. — Chimalteaango. — Barrancas und kein Ende. 

— Letzte R:ist — Mixco. — Die Miradores. — Am Ziel. 


Achter Abschnitt: Die alte und die neue Hauptstadt . . 194 — 220 

Santiago de los Caballeros. — Dona Beatrix de la Cueva. — Di Antigua 

Capital de Guatemala. — Li Ennita. — Ankunft in Guatemala. — Pension 
Berger. — Krina Barrios. — Militärisches. — Neues Pflaster und Stiefel - 
zwang. Paseo. — Die Bäder von Jocotenango. — Carmen. — peutsch - 
tura. — Markt und Indios. — Weibertracht. — Museum. — Krankenhaus. 

— Betrachtungen. — Nach Antigua. — Eindruck. — Kaffee. — Bäder. 

— Altertümer. — Finca Pompcyn. Dir S.unmlung Alvar.ulo. 


XII 


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Seite 


Neunter Abschnitt: Am Fusse der Vulkane . , . . . . 221 —247 

l>it* St:». I-iicia-Steine i»»» Museum *u Berlin. — An» Sinl.,1 lii.uin'i' ,lcs Fucgo. 

— Will- Vt rhiiiininsi. . — l)j|. Wniilsohlui-ht. — Kl i-ktrisrWs Lieht. — Div 
R.m.luis uml ihr»» Insnsst-n. — Inn Diimmms. — l'rau Müller mnl ilire 
.\:n,unl.i ^_..l J in»l.-.i.lulÜn.iua 

nntl i' iin Wnk-. . - Ahstriiii-.i »on nn^.-i n i'l. r.li-Ii. — Pniitnieon. - S. Inall 
Prr.h.lo- — Mi. 1 .tit'i.i » '■i/'imilliii.t|i.i — Din liuln-n Kailnc preis,' - 

Küi-ninl] ■ — \mntitl.in — Wi ili.-i lr:n-hl »-»in Pnlin. Hk- Stlnn.- von 1‘ulo 

Wi-.if - Hoch «■inin.il s»;<. l.u.i.i — Tnrii.io limi Cornelia. — Mein 

l^licn un.l imim- Arln-it in SU. I.ucin. 

Zehnter Abschnitt: Chacula . , . . ^ ; • • • : : • - 4 * — 302 

Aufbruch, Untere Tier«. — Pnncho. — Regenzeit. - Der Atitlnnsec. 

Kin schlimmes \acht<|uartirr. Maskentün/e. Ouezaltenango. 

Reise. ■ Iluehuetcnango. ■ — Die alte Fegte Zac»ulcu. • Hu:txac kanal. 
l'nsere Wohnung. l>on Antonio Komero. Unsere Nahrung- - 

LllS ITC Arbeiter» Iki vl«T Arbeit, Die Hohlen. Die alte sta.it, 

Kin Tagewerk. — Der Weg nach Quen- Santo. * — Die Cueva de los Pajaros. 

Seltsame Lektüre. Vtm Schlangen uiul Pferden. Von Wunden 
lu d«T Hacienda. — — Freie und Hörige. - YalombQhoch 

> TLdi Co m it an, - C hiucglli c- K ein Fort kommen. L>qi> Afliontoa 

Streich. Ktnllich! Kiickreise. Der Xvpte.sse nwahl. St.t. Kjt na. 

Kin Aussichtspunkt. - Tecpam ( iuatemala. Herrn Thoms Sammlung. 

1 Die Muhle. Kill Bit ck auf r.uatein:»l:i. 

Elfter Abschnitt: Im Norden und Osten von Guatemala . 303 — 343 

Krwartungcn. — Chin.iuhtla. — Töpferei. — Kl Sol y la Luna, -- Im 
Motagua-Thal. — Llano Grande. — Das Thal von Salama. — Der Wog 
in tlic Alta Verapaz. — Tactic- — Nach Coban. — Die Stadt. — Zur 
l'mhätigkrit ec/wungt-n. Klima. — Landsleute von allerlei Art -- 

KekeUj, - Vutcrkuntt. — Wc|»f. — Tracht. — IVtct uml Xamac, — 

Weihnachtszeit Aufbruch. - Panchos Kausch. Des Archäologen 

Sehnsucht. — - Heiligabend in Salama. — Tocoy-Moraxan. — Acazaguustan. 

- Wieder im Motagua-Thal Ferroearil »lei Norte. — Zacaga. — Plot/- 

lidur Vegetationswechsel. — Los Ainates. Quirigu.v — Der Winkel 

bei den Grenzen Revolutionsgeriichtr. Nach Copan. — Krlüllter 

Wunsch. — Ksquipulas. — Die grosse Fiesta. — Quczaltepcque. — Jpula. 

— Vom Schicksal ereilt. — Krankentransport. — Oihpiiinula. — Zurück 
nach Guatemala. 

Zwölfter Abschnitt: Zurück nach Mexiko 344 — 363 

Wahl des Rückweges. — S. Jose. I >jr Kinschiflung — An Bord der 

— - Manzaniliij. - CuÜull Kl Term >liriiu.it:*UK>- Kill 

nach Zapotlan Krankl Wagentahrt nach T.ua lalajar.i, — Kisetibahn. 

— - Wieder in Mexiko. - Der aca entdeckte Stein. 


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Verzeichnis der Lichtdrucktafeln. 


Tafel I Tarasca- Indianer von IfruAtio. Titelbild, 
v II Die Lagune von Pdtzcnaro. 

v III Hastionarti^e Aufmaueruntren in den Ruinen von Tzintzuntzan. 

3 IV Steinfiffur in Phtzcuaro. 

Tarasca-Indianer von Cuanajo. 

3 V Holzidol «ier Mixe- Indianer. Im Kcsitz de# Lrzbischofs Gillow 
in Oaxaca. 

3 VI Bei der Wasserleitung von S. Felipe. 

VII Eine Landpartie auf dem Monte Alban. 

3 VIII Grabplatten von Ktla im Museuip von OflMtCS. 

3 IX Luis Ramirez und die Pferde. 

•j X Tlaxiaco. 

Xochisdan. 

•> XI Klosterruine von Teposcolula. 

» XII Kaktuszäuue bei S. Martin. 

Bei Yanhuitlan. 

> XIII Itn Pueblo viejo von Teposcolula. 

Am Bache bei Achiutla. 

3 XIV Markt in Tlaxiaco. 

3 XV In der Kirchenruine von Achiutla. 

Sabinos bei Achiutla. 

3 XVI I „andschaften in der Mixteca Alta. 

3 XVII Sta. Maria gegenüber Tehuantepec. 

Bei Tehuantepec. 

V XVIII Der Quie-ugola vom Cerro «lei Tigte aus gesehen. 

» XIX Bei «len Ruinen auf dem ( < Hiic-ogola. 

Skulptur aus Stuck auf dem Quie-ngola. 

3 XX Maugohain bei I-ao-yaga. 

Lao-yaga. 

3 XXI Teil der Piedra Pintada bei Itzaltepec. 

3 XXII Am Flusse von Ishuatan. 


XV 


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Tafel Will 

» XXIV 

v XXV 
» XXVI 

V XXVII 

* XXVIII 

* XXIX 

V XXX 

V XXX* 

> XXXI 
•> XXXII 

» XXXIII 
» XXXIV 
■> XXXV 

» XXXVI 
» XXXVII 

» xxxvm 

» XXXIX 
•> XL 

V XU 

v XLII 
v XUII 
s XL1V 

V XLV 

v XL VI 

? xlvii 

v XLVIII 

> IL 


> u 

UI 

V Llll 

> UV 

» LV 


Am Flusse von Tonaln. 

Wäscherinnen hei Tonalä. 

Seitenansicht | einer Thonfigur aus einem Höhlen (und in der 
Vorderansicht I Hacienda El Rosario bei Cintalapa. 

Lehm wände am Wege zwischen Tuxtla und Chiapa. 

Am Flusse von Chiapas. 

Marktplatz in Chiapa de los Indios. 

Blick auf S. Cristobal L;is Casas. 

Marktscene in S. Cristobal Las Casas. 

Wald bei S. Cristobal. 

In der Schlucht zwischen S. Cristobal und Ococingo. 

Brücke bei El Verjel. 

Strasse in Comitan. 

Gehöft in Comitan. 

Chacuid. 

Felswand bei den Höhlen | 

Höhleneingang mit einem Idol j ^ Q uen "Sant<». 

Totlos los Santo*. 

In der Sierra Madre zwischen Todos los Santos und Chiantla. 
Barranca bei Chimaltenango. 

Volcan del Agua vom Wege zwischen Chimaltenango und Mixco. 
Blick auf Guatemala vom Cerro del Carmen. 

Die Steine von El Portal. 

Gartenhof mit Steinköpfen im Hause Alvarado. 

Im Cafetal bei S. Andres Üsuna. 

In der Schlucht bei Los Diamantes. 

Aussicht von der Veranda in Los Diamantes. 

Ruhestündchen auf der Veranda. 

Gruppe von Steinfiguren in Pantaleon. 

Cafetal bei Sta. Lucia Cozumalhuapa. 

Der grosse Stein von Sta. Lucia. 

Der Sta. Maria und der Cerro Qucmado von tler Höhe hinter 
Olintepec aus gesehen. 

Huaxac kanal. 

I>ie Piedra Parada. 

Aussicht von der Ventana auf den Cerro Ixbul. 

Die Ventana. 

Blick aus Höhle III ins Freie. 

Inneres der Höhle 1 mit Steinfiguren. 

Altarähnlicher Aufbau in Höhle 111. 

Das Idol am Eingang zu Höhle III. 

SteUabsturz des Plateaus der alten Stadt. 

Barranca- Wand bei der alten Stadt. 

Teil der Casa del Sol. 

Mauer im Patio der alten Stadt. 

Aufgegrabener Hügel mit Grabkammer in der alten Stadt. 

Die Piedra Mesn in der alten Stadt. 

Stein auf der Pyramide von Chincoltic. 

Strasse in Coban. Richtung nach Chimax. 


XVI 


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Tafel LVI Coban« 

» LYII Blick auf Acazaguastun. 

Aufgegrabener Hügel mit Kammer bei Acazagu.tstan. 
» LVI11 Sumpfiger Waldrand bei Loa Amatea. 

> LIX Qulrlgud — Stela I) — Ostseite. 

> LX Quirigud — Kröte B. 

» LXI Quirigud — Keptilkopf mit Hieroglyphen M. 

Quirigud — Runder Stein L. 
v LXII Palastthor in den Ruinen von Copan. 

» LXIII Weg nach Esquipulas. 

Die Kirche in Esquipulas. 
s LXIV Die Bucht von Manzanillo. 

Iin Hafen von Acapulco. 


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Verzeichnis der Textbilder. 


Erster Abschnitt. 

Aller Brückenbogen in Acämbaro 
Neue Brücke bei Acämbaro . 

Hunte HolzschÜssel aus Acämbaro. 
Weg-Karte zuin ersten Abschnitt . . . . 

Pflanzenbild : Paräcua, Montuuou grundiflora 
Marktplatz von Pätzcuaro 


Zeichnung 


Zeichnung 


bette 
1 

1 

4 

5 

6 

7 


Blick auf Pätzcuaro 


Hieroglyphe von Michoacan 


Alte Steinschüssel vom Pueblo de la Vuelta. Zeichnuug 


Die Nachkommen der Könige von Tzintzuntzan 


Strasse in Tzintzuntzan 


Yäcata bei Iguätio 



Kuder vom Pätzcuaro-See. Zeichnung 
Spindelschälchen. Zeichnung . . . 


*5 

16 


Zweiter Abschnitt. 


Zapotckische Altertümer. Zeichnung 

Anfangsbuchstabe: Weihnuchtspfeiien. Zeichnung . 

Pflanzenbild : Arctostaphvlus Caeciliuna. Zeichnung 

Hieroglyphe von Oaxaca 

Im Patio 

Vorstadtstrasse bei der Wasserleitung 

Vorstndtstrassc 

Aussicht vom Kloster Carmen auf Sto. Domingo 

Aussicht vom Kloster Carmen 

Kleine Thonkbpfe von Cuilapa-Zaachila. Zeichnuug 

Monte Alban 

Reliefs auf dem Monte Alban 
Hingang zu einer unterirdischen Kammer 

auf dem Monte Alban. | ■ ),lX Ka — = — : — : — 1 — & — — 

Fajas. Zeichnung 


Nach Aufnahmen eines Herrn aus 


*7 

12 

12 

21 

22 

23 

24 

25 

26 
28 
29 

Al 

Al 


XIX 


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Sei te 


. Dritter Abschnitt. 

Kleine Thonkrügchen aus Nochistlan. Zeichnung 35 

Hieroglyphe von Huitzo 36 

Gebirgsweg in der Mixteca Alfa 39 

Hieroglyphe von Nochisllan 40 

Bunte Gefässe aus Nochistlan 41 

Bunte Schale aus Xochistlan 42 

Weg-Karte zum dritten Abschnitt 43 

Kirchenportal von Yanhuitlan . 45 

Im Hause des Don Agostin Sanchez 46 

Piscador. Zeichnung 47 

Gehöft in Yanhuitlan 49 

Hieroglyphe von Teposcolula 50 

Markt in Yanhuitlan 51 

Hieroglyphe von Tlaxiaco S» 

Hieroglyphe von Achiutla 54 

Pueblo viejo von Achiutla 55 

Kleine Steingötzen aus der Mixteca. Zeichnung 62 


Vierter Abschnitt. 

Die Ebene von Tehuantcpcc vom Quie-ngola aus gesehen 63 

Hieroglyphe von Totolapum 65 

Weg-Karte zum vierten Abschnitt 67 

Hieroglyphe von Yauhtcpec . 68 

Tehuancriiu Nach einer ln Tchuantepec erworbenen Fotografie ..... 71 

Pflanzenbilder: Jaquinia macrocarpa; Jaquinia Seleriana. Zeichnung 73 

Weg-Karte zum vierten und fünften Abschnitt 7 S 

Hieroglyphe von Jalapa 77 

Hieroglyphe von Tehuantepec 79 

Strasse in Tehuantepec So 

Drcibeinlge Schale mit Schlangenköpfen. Zeichnung 82 

Hieroglyphe von Huilotepec 88 

Kindergruppe aus Huilotepec . . . . . So 

Huave-Gruppe 91 

Hieroglyphe von Quazontlan 91 

Hemd einer Huavc-Frau 92 

Goldschinuck von Tehuantepec. Zeichnung 97 

Fünfter Abschnitt. 

Pflanzenbild : Rankendes Combretum. Zeichnung 98 

Furt am Flusse von Iztaltepec 99 

Iztaltepec vorn Flusse aus IOO 

Zeichnungen vom bemalten Stein bei Iztaltepec. Zeichnung 101 u. 102 

Hieroglyphe von Juchitan 103 

Hieroglyphe von Ishuatan to6 

Am Muss von Ishuatan .107 

Hieroglyphe von Tonald ■ 1 IO 

Der Stein auf der Plaza von Tonala. Zeichnung »11 

Stufenpyramidc auf dem Ccito de Tonald 112 


XX 


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Seite 


Untere Tempelanlage a«( dem Cerro de Tonalä 113 

Runder Stein mit Tierköpfen am Kusse einer Stufenpyratnide 114 

Gepflasterter Weg auf dem Cerro de TonaU 115 

Die I,agune \on Kl Paredon ... - , . 1 1 6 

Pflanzenhild : »Tamarindillof.. Zeichnung . . . . . 1 18 


Sechster Abschnitt. 

Hieroglyphenstein von Ococingo. Zeichnung 1 19 

We^- Kurte tum sechsten Abschnitt 1 121 

Figur von Kl Rotario . 12s 

Figur von Kl Rosario 126 

Hauptplatz in Ocozuquauhtla 127 

Thonfigur aus Ocozuquauhtla 128 

Hieroglyphe von Tuxtla 129 

Jadeit-Köpfchen. Zeichnung 129 

Geschnitzte Schokoladen-Holzer. Zeichnung . . 1 30 

Hieroglyphe von Uhiapa 131 

Steinmaske ans Uhiapa 132 

Kl Hurrero . . 133 

Alte Brücke zwischen Chiapa und Iztapa . . . . . . 1 ^4 

Weg-Kurte zum sechsten Abschnitt 11 I jg 

Unsere Träger; drei Leute von S. Felipe, zwei von Huiztan HQ 

Gemeinderertreter von Huiztan 140 

Unsere Träger von Oxchuc 141 

Wasserfall bei S. Martin 142 

Hieroglyphe von Ococingo 144 

Badeplat* in Ococingo 14.S 

Rückseite einer Stela in Ococingo 146 

Viereckige Steine mit l,och und Köpfen im Rancho Toninä 147 

Umgestürzte Stela als Trittstein 148 

Ococingo , 150 

Schlucht des Rio Saconijn 152 

Hacienda Verjel 153 

Hieroglyphe von Comitan ... 1 54 

Steinfigur von Cotnitan . 155 

< '»lasiertes Thongefäss aus ( »cocingo. Zeichnung I>6 

Siehenter Abschnitt 

Der Sonnenstein von Gracids a Dios. Zeichnung 157 

Thongefäss von Zapaluta 1^7 

Hieroglyphensteine von Zacchanxi. Zeichnung i$8 

Steinfiguri-11 in der Trinidad 160 

Sonnenstein im vUimarron*.. Zeichnung 161 

v Piedra Redomla'. 162 

Dreiteilige Pyramide in C'haculä 163 

Steinfigur aus Quen-S.tnto 164 

Zwischen Chaculä und Huaxac kanal 16$ 

Räuchergefäss aus Ouen-Santo l66 

We gkarte zum sieben ten U O<J lehnten Abschnitt J . . 

XXI 


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S«iie 


San Andres . i?o 

Pflanzenbild : Viola I Iookcriania. Zeichnung 172 

Todo« los Santos (Cuchumatlan) . . 17; 

Schullehrerfamilie vou Todos los Santos 174 

Weiher und Mädchen von Todos los Santo« 175 

Vegetationsbild In der Sierra Madie 177 

Passhdhe in der Sierra Madre 17S 

p e r Flugs V tfB 1. hiantla ! . . . , t . i 4 * , . = , = * s , . . LÜ12 

Wegkarte zum siebenten und zehnten Abschnitt II . . . 1S2 

Der Rio Motagua bei I,a Garruche 187 

Brücke und Arrterodach bei La Garruche 1S9 

Strassenbild aus Guatemala. Nach einer in Guatemala erworbenem Fotografie 193 

Achter Abschnitt. 

Vor der Markthalle in Guatemala. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 194 
Strasse in Guatemala. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie . . . 196 

Im Patio der Pension Berger 197 

Kine Hauptstrasse in Guatemala. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 199 

Plan von Guatemala. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie .... 201 

Bananen im Norden Guatemalas. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 202 
Marktscene in Jocotenaugo. Nach einer iu Guatemala erworbenen Fotografie . 204 

Ceno del Carmen . . 205 

Oaaiemaliekkiihe DknsuiusRhcu . = . , . , , , , . » ; , , . . 

Indianerweiber. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 208 

Marktscene. Nach einer iu Guatemala erwortxmcu Fotografie .... . 209 

Der Volcan del Agua von Antigua aus ... 2 1 1 

Der Volcan del Atrua vom Wege nach Antigua 212 

Kirchenruine in Antigua. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie . , 21 A 

Kirchenruine in Antigua. Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie . . 216 

Steinkopf einer Kule in Los Pastores 2t7 

Steiukopf von «1er Finca Pomprya . 2 1 S 

Becherförmige Thongefässe der Sammlung Alvarado . 219 

Der Fuego und Acatenango von Antigua aus . . ■ 220 

Jicaras von Antigua. Zeichnung .... 220 

Neunter Abschnitt 

Stein von Stq, Lucia Cozumalhuapa im Museum zu Berlin. /,* k hmiiig . 22 1 

Wegkarte zum neunten Abschnitt 224 

Kanchem von 8. Andres Osuna 225 

Wohnhaus in Loa Uimbtutua . . . , , , , , . * , . * 1 : 226 

Der Fuego von Los Diamantes aus 227 

Drelbeinigcr Steinsessel. Zeichnung 229 

W <Khenmarkt Ip LfrS D emantes . . . * . . ; ; * . - ; : , i : : 2i2 

Kirchenruine von S. Juan Perdido 231 

Schale aus dem See von Amatitlan. Zeichnung 235 

Jaguarkopf am Wege zwischen Palo Verde und Los 'Furios 236 

Stein von Palo Verde 237 

Stein von Palo Verde 23S 

Stein von Palo Verde ^9 

XXII 


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Seile 

Steinerne Krablu* bei Palo Verde 240 

Steinerner Reptilkopf bei Palo Verde 241 

Steinrelief bei Sta. Lucia 245 

Pflanzenbild: Dorstenia contrajerva. Zeichnung 247 

Zehnter Abschnitt. 

Pflanzenbild; Pachvrhizus palmalilobus. Zeichnung 24S 

Pancho 249 

Der Atitlan-See mit dem Vulkan S. Pedro 250 

Blick auf den Atitlan-See 252 

Indianerin aus der Umgegend von Quez;ütenango. Nach einer in Quezaltenango 

erworbenen Fotografie 253 

Ccito Quemado vom Wege nach Almolonga 254 

Der eingestürzte Krater des Cerro Quemado ..255 

Cerro Quemado von Quezaltenango aus 256 

Indianer mit Trag band aus der Gegend von Quezaltenango. Nach einer in 

Quezaltenango erworbenen Fotografie 258 

Brücke bei Huehuetenango 259 

Pflanzenbild: Scutellaria Seleriana. Zeichnung 261 

Don Antonio Komcro 263 

Bei der Arbeit in Huaxac kanal 265 

Künstlicher Hügel mit Bäumen im Uano von Huaxac kanal 267 

Kleine l*yrainlde bei Huaxac kanal 268 

Das Thongelass ans dem I.och in der Felswand. Zeichnung 270 

Bewaldete Barranca bei Quen- Santo 27 1 

Cy presse 272 

Terrassierung zwischen Huaxac kanal und Quen-Santo 274 

Vegetationsbild bei Qucn-Santo 276 

Längliche Terrasse in der Mitte des Tempelhofes der alten Stadt 277 

Hügel 23 in der alten Stadt 27S 

Hinterseite der C'asa del Sol 279 

Steinkopf au» » 280 

I , .andsehaft bei Volombohoch . » . * ; ■ 4 . ! = , . s s . * 1 , 

Die Pyramide von Yalombohoch 2S7 

Pflanzenbild: Myrcia Seleriana. Zeichnung 293 

Alcalde eines ludiaiierdoi fes aus der Gegend von «Jucz. Jtcnango, Nach einer in 

Quezaltenango erworbenen Fotografie 294 

Ein Gleicher. Nach einer in Quezaltenango erworbenen Fotografie 2QS 

Pflanzenbild: Myrtus Friedrichsthalii. Zeichnung 29S 

Aussicht bei Sta. Elena 299 

Thonbruchstück von Chacula m 

Klfter Abschnitt. 

Organes, Säulenkaktus. Zeichnung 303 

Thonrclicf von Chajcar 304 

Wegkarte zum elften Abschnitt 1 306 

Pflanzenbild: Eugenia ^.datnensis, Zeichnung .... 308 

Salamä. Nach einer Aufnahme von Herrn A. llelmerich 3*0 

PflanzenbiM: Aphelandra acutifolia. Zeichnung 31 1 

xxin 


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Seite 

Coban 314 

Thongefäss im Besitz von Herrn E. Dicseldorft 11^ 

Ein gleiches 315 

Indianer (rauen aus Coban. Nach einer Aufnahme des Herrn Schilling . . 316 

Strasse in ( »bau p8 

Wegkarte «um elften Abschnitt II 320 

Pflanzeablkl: Scutellaria lutea. Zeichnung 321 

Bewässertes (»elände bei S. Agostin Aca/aguastan ^22 

El Man «anal im Motagua-Thal 3^3 

Thongefässe aus >ler Sammlung Castafieda in Zacapa . 3 a 5 

Steinrelief aus derselben . . ... 32b 

Stela E. von Quiriguä 327 

Stela 1). Nordseite 329 

Stela A. 3 30 

Pflanzenbild : Beloperone. Zeichnung 33» 

!>er Stein im Cabildo von Copan 333 

Stein auf dem Dorf platz von Copan 334 

Liegender Stein von Copan 335 

Pflanzenbild.- Eugenia Jainbos Linn. Zeichnung . . . . . . . . . 3.V» 

Die Feststrasse in Esguipulas 337 

Der Hombre Tigre aut »l«-r Bt ticke von Ks-pnpul.ts 33S 

Die Oiba ton Ipala 340 

ln Jilotfpec 34 t 


Darstellung einer Hochzeit auf einer Jicara von Cajabon. Alta Verapaz. Zeichnung 34.3 


Zwölfter Abschnitt. 

Der Colitna von der Stadtseite 344 

Badende in S. Jose 345 

Steg in S. Jose . 34b 

Acapulco 347 

Mauzanillo 34 8 

Bucht von Manzanillo 340 

Thooftgiit chen. Colima 330 

Hund von rotein Thon. Colitna 352 

Hunde von Thon. Colima 333 

Akrobaten-Flgur aus rotem Thon. Colima 354 

Der Colima und der Xevado vom Wege nach Zapotlan 355 

Wegkarte zum zwölften Abschnitt 1 356 

Wegkarte zum zwölften Abschnitt II 358 

Hotel Janlin 360 

Kuppel von S. Francisco in Mexiko . 362 

Der neu entdeckte Stein. Zeichnung 3 (l 3 


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Auf alten Wegen. 


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Alter Brückenbogen bei A cdm bar o 


ERSTER ABSCHNITT. 

Ein Ausflug an die Lagune von Pätzeuaro. 

27. Oktober bis 3. November 1895. 

Aedmbaro. — Eisenbahnfahrt. — Pätzeuaro. — Ritt nach Tziutzuntzun. — Ueber den See 
nach Igudtio. — Markt. — Abschied. 

Der ausserordentliche Amerikanisten-Kongress in der Stadt Mexiko 
hatte sein offizielles Ende erreicht. Einige Ausflüge waren noch geplant, 
aber da man bei einem Massenbesuch selten viel, niemals aber die Dinge 
zu sehen bekommt, die einen besonders interessieren, und uns von unsrer 
ersten Reise her die Heiligtümer von Teotihuacan flüchtig, die Paläste 
von Mitla aber recht genau bekannt waren, beschlossen wir, einige Tage 
zu einem lang geplanten und ersehnten Abstecher nach Michoacan zu 
benutzen, einerseits, um uns nach den Kongresstagen ein wenig an Natur 
zu erfrischen, andrerseits, weil wir den Wunsch hegten, dieses vom alten 
Aztekenreich stets unabhängig gebliebene Land mit seiner den Mexikanern 
stammfremden Bevölkerung wenigstens flüchtig kennen zu lernen. 

Als wir im Jahre 1888 in Mexiko weilten, war uns die Zeit knapp 
geworden, und wir hatten verzichten müssen. Inzwischen ist eine Bahn 
gebaut w'orden, die in Acämbaro von der Hauptlinie abzweigt und über 
Morelia nach Pätzeuaro fuhrt. Hier, mitten im Lande endigt sie, und es 
wird noch gute Wege haben, bis sie einmal in die Kaffeegegend von 
Uruapam und bis zum Stillen Ozean fortgeführt wird. Aber unsere 
Wünsche reichten für diesmal garnicht weiter. Gerade hier, in dem 
schönen, durch gleichmässiges Klima ausgezeichneten Seengebiete von 

Seler, Ahe Wege. 1 

I 


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Michoacan ist ohne Zweifel ein Mittelpunkt der alten Tarasca- Kultur 
gewesen. Und eine sehr hübsche Sammlung von antiken Kleinigkeiten, die 
wir im Hause des Paters Plancarte, jetzigen Bischofs von Campcche, der 
in dieser Gegend heimisch und begütert ist, gesehen hatten, bestärkte 
uns noch in unserm Wunsche, dorthin zu gehen. Ganz besonders war 
uns in dieser Sammlung eine Reihe kleiner zierlicher Schälchen aufgefallen, 
die vermutlich dazu dienten, die Spindel darin laufen zu lassen, wie wir 
das in den alten Bilderschriften dargestellt finden. Sie zeigen in ihren 
Zierraten ähnliche Motive wie die Spinnwirtel: Vögel, Affen, Wirbel- 
ornamente und Blumen. (Siehe Schlussbild dieses Abschnitts.) 

So verliessen wir am 27. Oktober die Stadt Mexiko, während die 
beiden Schneegipfel in wundervoller Abendglut erglänzten, und fuhren in 
die vom halben Mond schwach erleuchtete Nacht hinein. Um */*4 Uhr 
morgens wurde Acambaro erreicht, wo wir bis gegen 8 Uhr warten mussten. 
Da keine Möglichkeit war, sich auszuruhen, und in dem Warteraum, dessen 
festverschlossene Fenster sich gegen alle Oeffnungsversuche sträubten, 
eine erstickende Luft herrschte, gingen wir spazieren. Der Mond war 
untergegangen und die Sterne erglänzten am klaren Himmel: hoch oben 
der Orion und nicht weit von ihm die Plejaden ; ziemlich tief im Norden 
der grosse Bär. Drüben unter einem Baume brannte ein Feuer, und 
verheissungsvoll tönte das Klatschen der Tortilla-Bereitung zu uns herüber. 
Wir versuchten in der Dunkelheit vergebens, das dichte Gestrüpp zu 
durchdringen, das uns von dem Ausgangspunkt dieser verlockenden Töne 
trennte. 

Die Stadt lag in tiefem Schlummer. Nur eine Tienda, in der es 
vermutlich Schnaps gab, war hell, und einige fragwürdige Gestalten taumelten 
aus der geöffneten Thür hervor. Auf der Mitte der Strasse erglänzte zur 
Beruhigung für friedliche Staatsbürger das kleine Laternchen eines Sereno 
(Nachtwächters). Das ist alter spanischer Brauch, der noch heute in allen 
mexikanischen Städten, sogar in der durch elektrisches Licht genügend 
erleuchteten Hauptstadt befolgt wird. 

Inzwischen stieg der Morgenstern gross und herrlich leuchtend am 
Himmel empor, und wir entdeckten bei der zunehmenden Helle, dass 
bei jenem lockenden nächtlichen Feuer eine Bande Vogelhändlcr unter 
einer Gruppe schöner Pfefferbäume ihr Lager aufgeschlagen hatte. Sie 
kamen aus Zacapu in Michoacan und zogen viele Tagereisen weit nach 
Mexiko zu Markte. Denn die Mexikanerinnen lieben es, in den offenen 
Gangen, die den Hof umgeben, Käfige mit Singvögeln aller Art auf- 
zuhangen. Eine Unzahl aus Bambusstäben gefertigter Gebauer beher- 
bergten munter umherhüpfende Jilgueros, Clarines und den schönen 
blauen Mulato Real. Die Leute führten zwei Mahlsteine mit sich, auf 
denen die Frauen das Futter für die Tiere zubereiteten: gekochte Garbanzos 


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(Kichererbsen), die zu einer Paste zerquetscht wurden, in derselben Art 
wie der Mais zu den Tortillas. Wie schade, dass diese Entdeckung zu 
spät kam, dass wir in der Nacht nicht bis hierher vorzudringen gewagt 
hatten, wo wir ein Feuer, lustig schwatzende Menschen und frische Mais- 
fladen gefunden hätten! — Im Bahnhofsgebäude gab es ein Frühstück 
nach amerikanischer Art, und allmählich rückte die Abfahrtszeit heran. 

Acambaro liegt am Rande einer schönen Ebene, die von Kanälen 
durchzogen und wohl zu bewässern ist, am Rio de Lerma, der, vom 
Hochthal von Toluca kommend, dem grossen See von Chapala zufliesst. 



Neue Brücke bei Acdmbaro 


Seine trüben Fluten bespülen ein hohes, lehmiges Ufer, das die letzten 
Häuser der Stadt trägt, während das gegenüberliegende von einer dichten 
Reihe hoher Weidenbäume eingefasst wird. Mitten im Flussbett steht 
der Bogen einer zerstörten alten Steinbrücke, und nicht weit davon 
überspannt in ziemlicher Höhe die neue, feste, im vorigen Jahrhundert 
erbaute Brücke den Fluss. Unmittelbar über der Stadt erheben sich 
hohe Hügel, mit Agaven, Nopalen und allerlei Gesträuch bewachsen, 
und in der Ferne sieht man hohe, bis zum Scheitel mit Buschwald 
bedeckte Berge. Die Stadt hat — wie alle grösseren mexikanischen 
Städte — eine stattliche Kathedrale und eine geräumige, von schönen 
grossen Bäumen — hier waren es Eschen — beschattete Plaza, auf der 


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wir bei unserer Rückkehr einen lebhaften Sonntagsmarkt fanden, der uns 
Gelegenheit bot, von den eigentümlichen, grell bemalten Holzschüsseln 
und Thongefässen einige zu erwerben. 

All das aber sahen wir erst bei unserer Rückkehr, denn jetzt fuhren wir 
unscrm Ziele entgegen. Der Personenwagen lief am Ende des Zuges; so 
konnten wir, auf der hinteren Plattform stehend, ein gutes Bild der Gegend 
in uns aufnehmen. Zudem fanden wir an dem Inspektor der Strecke — 
Mr. Thomas Purcell — der als Goldgräber schon die halbe Welt durch- 
wandert hatte, obgleich er noch ein ziemlich junger Mann war, einen an- 
genehmen Gesellschafter, der uns gute Auskunft zu geben wusste. Schon in 


der Ebene von Acambaro sahen wir, dass wir vulkanischcfi Boden betreten 
hatten; in der That kamen wir auch bald auf einen richtigen Lavastrom, in den 
ein Bach sein Bett hinein genagt hatte, und der von Nopalcn und Akazien 
überwachsen war. Der Morgen war herrlich, und wenngleich die Vegetation 
schon erkennen liess, dass die Regenzeit vorüber war, und die Sonne seit 
kurzem ihre volle Wirkung that, so blühten doch noch eine Fülle von Stauden 
und andern Gewächsen. Besonders erfreut begrüssten wir die mit grossen 
weissen Windenblüten bedeckten Cazahuate-Bäume als alte Bekannte aus der 
Tierra teniplada von Cuauhtla und Vauhtcpec. Die langen Aufenthalte des 
bummeligen Zuges benutzten w'ir eifrig zum Botanisieren, wodurch wir wieder 
einmal die Neugier und freundliche Teilnahme unsrer Mitreisenden erregten. 
— Da der Bau dieser Strecke nach der Zahl der durchlaufenen Kilometer bc- 



Bunte Hol zs ch üb Sri aus Acambaro 


4 


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zahlt wurde, so hat man mit grosser Kunst Brücken und Tunnels zu vermeiden 
gesucht, und die Bahn umzieht in unendlichen Windungen alle Thäler und 
Schluchten. Bald erreichten wir die Ufer des schönen, abflusslosen, salzigen 



Cuitzeo-Sees, an dessenOstrand sich hoheBerge erheben, während von seinem 
Sudufer eine schöne, von Bächen durchschnittene Ebene sich bis nach Morelia 
hin erstreckt. Die Bahn erreicht den See an seinem Ostende, zieht sich längs 

5 


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des Ufers hin und bietet entzückende Blicke über die Wasserfläche mit 
malerischen Inselchen, vorspringenden Uferbergen und der Kette höherer 
Berge im Hintergründe. Die steinigen Hügel zur Linken sind mit Busch- 
werk und Gesträuch üppig überwachsen. Es folgt ein breiter Streifen 
flachen, mit kurzer Grasnarbe bedeckten Uferlandes. Hier wird seit alter 
Zeit das Salz durch Auslaugen gewonnen, in der primitiven und mühsamen 
Art, wie sie von den alten Azteken auf dem Hochland von Mexiko be- 
trieben wurde. Der salzhaltige Boden wird künstlich berieselt und dadurch 

das Salz an die Oberfläche 
gezogen. Nach Verdunsten 
des Wassers wird die dünne 
Kruste, die auf dem Boden 
sich niedergeschlagen, abge- 
schabt, durch verschiedene 
Schlemmprozesse das anhaf- 
tende Erdreich abgeschieden 
und die übrig bleibende Soole 
in irdenen Töpfen einge- 
dampft. — Vor einiger Zeit 
hatte ein Franzose hier eine 
Fabrik zur Salzgewinnung an- 
gelegt. Die Indianer jedoch, 
die sich in ihrem mühsamen 
und kümmerlichen Erwerb be- 
droht sahen, zerstörten die 
Fabrik und erschlugen die 
Insassen. Trübselig ragen die 
Ruinen der Gebäude und ein 
Schornstein empor. — Jen- 
seits Querendaro biegt die 
Bahn vom See ab, durchzieht 
ParÄcua (Montanoa jerandiflon) eine Ebene mit schwerem 

schwarzen Erdreich und wei- 
terhin welliges Gelände zur Seite eines Baches, der die Wurzeln prächtiger 
Sabinos (Taxodium distichum) bespült, auf deren Wipfeln sich eine 
schöne Loranthacee in grossen, orange schimmernden Büscheln ange- 
siedelt hat. Auf der Höhe eines Hügels liegen die Gebäude der male- 
rischen Hacienda Quirio; weisses Mauerwerk von Veranden umgeben, von 
hohen Bäumen überragt und am Fusse des Hügels wieder das lichte Grün 
der Sabinos, aufgehellt von den warmen rötlichen Farben der Loranthacee. 

Morelia, die Hauptstadt des Staates Michoacan, auf einem flachen, 
schildförmigen Hügel gebaut, macht mit ihren Kirchen einen stattlichen 

i, 



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Kindruck. In einer elenden Bretterbude, nahe beim Bahnhof, die von 
einem schönen Pfefferbaum beschattet war, gab es für billiges Geld eine 
gute Mahlzeit. — Die Hügelrücken, die von der Bahn aus sichtbar werden, 
waren alle noch vor kurzem dicht bewaldet. Die Waldverwüstung ist aber 
eine beklagenswerte Begleiterscheinung der Eisenbahnen. Bau und Betrieb 
der Bahnen verschlingen die herrlichen Waldbestände auf Meilen. Man 
heizt mit Holz, da die Kohlen zu teuer sind, und die Waldbesitzer schlagen 
ihr Holz gern zu guten Preisen los. An Aufforstung denkt niemand, und 
so lässt sich die betrübende Aussicht auf allmähliche Entwaldung weiter 



Marktplatz von Pdtzcuaro 


Strecken nicht abweisen. Schon heute machen sich stellenweise die 
schlimmen Folgen durch unregelmässige Regenfälle bemerkbar. 

Die Bahn durchschneidet die Ländereien der Hacienda Huerta, die 
sich über ein Gebiet erstrecken, das manchem europäischen Fürstentum 
überlegen sein dürfte. Am Fusse eines niedrigen Plateau-Absturzes lagen 
die nicht sehr stattlichen Baulichkeiten im Grün versteckt. Hier begegneten 
uns zum ersten Mal die mächtigen Büsche der I’aräcua (Montanoa grandi- 
flora), die über und über mit grossen weissen, unsern Margueriten ähnlichen 
Blüten bedeckt sind und in dieser Jahreszeit einen hervorstechenden Zug 
in den Landschaftsbildern des Sees von I’ätzcuaro bilden. 


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Durch einen Einschnitt im Porphyrgestein gelangt man in eine 
kleine Klamm, vom Flusse durchströmt, der hier einen kleinen Wasser- 
fall bildet. Wieder geht es in eine Thalerweiterung, deren Grund gut 
bestellte Aecker einnchmen, von bewaldeten Hügeln überragt. Diese 
Ländereien gehörten einst den Indios von Tiripitio. Die Aufteilung des 
Gemeindelandes und die Verkaufserlaubnis haben das Land in die Hände 
der Fremden gebracht, und die ehemaligen Besitzer sind heute Arbeiter 
im Solde fremder Herren. Jenseits des nächsten Hügels stieg die Bahn 
in die von Bergen umstandene Einsenkung des Pätzcuaro-Sees hinab. Sein 
Spiegel erglänzte im Licht der Abendsonne, an seinem Ufer standen 
ein paar hölzerne Fischerhütten, von einer Reihe der charakteristischen 
Chupiri-Bäume (einer baumartigen Wolfsmilch) beschattet. Noch einen 
allerletzten Hügel umfuhr der Zug, dessen rötliches, vulkanisches Gestein von 
Barrancas zerrissen, von Grün bedeckt, im Schein der Abendsonne eine 
prächtige Farbenstimmung gab — und das Ziel war erreicht. Reittiere 
und Wagen standen bereit, die Ankömmlinge zur Stadt zu befördern. 
Nach halbstündiger Fahrt über schlechten Weg und noch schlechteres 
Pflaster gelangten wir glücklich zum Marktplatz von Pätzcuaro, wo wir im 
Hotel Concordia freundliche Wirte und gutes Unterkommen fanden. 

* * 

* 

Pätzcuaro ist eine hübsche Stadt auf einer Terrasse über dem See 
gelegen, etwa eine halbe Stunde von ihm entfernt. Sie hat zwei schöne 
Plätze, die Alameda mit der Kathedrale und den Kaufläden, den Tiendas, 
unter den steinernen Lauben und den grossen Marktplatz mit schattenden 
Bäumen und der Pila, dem laufenden Brunnen. Wunderhübsch war das 
Bild von unserm Fenster auf den Abendmarkt. Es werden da bei Fackel- 
schein an kleinen niedrigen Tischen Esswaren feilgehalten: Kaffee, Schoko- 
lade, erfrischende Getränke, Tortillas, süsses Gebäck, Chile-Sauce und was 
dergleichen Herrlichkeiten mehr sind. Das Gelände bringt es mit sich, 
dass die Strassen sich nicht durchweg dem sonst beliebten Schachbrett- 
System anschliessen, was höchst erfreulich wirkt. Die niedrigen Häuser 
sind fast durchgängig mit Lauben — Portales — versehen, deren Dächer 
auf leichten, manchmal hübsch geschnitzten Säulen ruhen. Es wird be- 
richtet, dass schon die alten Tarasca- Indianer den Holzbau pflegten, im 
Gegensatz zu andern Stämmen. Ob sich diese Vorliebe auf ihre späteren 
Nachkommen vererbt hat?. Jedenfalls macht Pätzcuaro durch diesen Baustil 
einen ganz andern Kündruck als andere mexikanische Städte, in denen man 
zu beiden Seiten der Strassen nur glatte Hauswände zu sehen gewohnt ist. 
— Unweit der Stadt bot ein mässiger Hügel eine wundervolle Aussicht 
über den See mit seinen Buchten und Inseln und das hügelige Gelände, 
alles umbuscht von der prächtigen, weissblühenden Paracua. Hier war 

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herrliche Gelegenheit zum Botanisieren. Wir mussten aber die unangenehme 
Wahrnehmung machen, dass auch Klapperschlangen den stillen, sonnigen 
Ort zu schätzen wussten. 

Im Hotel wurde mir die seltene Gelegenheit eine ganze Gesellschaft 
Tarasca-Indianer fotografieren zu können. Die Männer der Gemeinde von 
Cuanajo waren zur Stadt gekommen, um ihre Ländereien ins Grundbuch 
eintragen zu lassen, damit nicht ein Fremder das unregistrierte Land von 
der Regierung erwerben könne. Ob der Advokat und der Hacendado, 
die mit ihnen verhandelten, ihnen die Sache in dem für die Indios oder 



Blick auf Patzcuuro 


in dem für sie selbst günstigen Sinne auslegten, wurde mir nicht klar. 
Der Staat hat ja eben so wohl ein Interesse daran, den Eingeborenen ihren 
alten Besitz zu erhalten, als auch möglichst viel Land nutzbar zu machen; 
das geschieht natürlich durch die Fremden viel intensiver. Die alten Fa- 
milien, die ziemlich stark gemischten Nachkommen der spanischen Eroberer, 
haben oft grossen Landbesitz, den sie nur zum kleinsten Teile durch 
Bebauung oder zur Viehwirtschaft nutzbar machen. Damit es nun 
den Leuten, die das Land auszunutzen gewillt sind, ermöglicht werde, 
Terrains zu erhalten, verlangt die Regierung eine genaue Angabe aller 
Ländereien, auf die der Besitzer Anspruch zu haben sich berechtigt glaubt. 
Indem für die ungenützten Flächen die gleiche Steuer erhoben wird, wie 


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für die angebauten, glaubt man die Leute williger zur Hergabe von Land 
zu machen. — Es ist mir nicht gelungen, zu erfahren, ob dies Gesetz nur 
auf dem Papier steht oder auch thatsächlich in Kraft ist. 

* * 

* 

Am andern Ufer des Sees, an seinem Ostende, liegt Tzintzuntzan, 
die alte Königstadt von Michoacan. Wie im Führer der Mexican 
Central R. R. und dem Appelton, dem Handbuch für amerikanische Ver- 
gnügungsreisende, zu lesen steht, ist dort in 
der Kirche des alten Franziskanerklosters ein 
Bild von Tizian zu sehen. Es konnte uns aus 
irgend einem Grunde, der mir entfallen ist, 
nicht gezeigt werden, was uns — wie ich zu 
unserer Schande gestehen muss — nur ge- 
ringen Kummer machte, obgleich wir später 
öfter in die peinliche Lage gerieten, Leuten, 
die ihren Appelton gut studiert hatten, und 
nicht verfehlten, uns einem Examen zu unter- 
werfen, beschämt gestehen zu müssen, dass wir 
es nicht gesehen. Was uns tröstete, war der 
Gedanke, dass cs Tizians in Europa genug gäbe, 
wahrscheinlich schönere, sicher echtere, Tarasca- 
Ruinen aber nur in Michoacan zu sehen sind. 

Michoacan — das Land der Leute, die Fische haben — war dem 
grossen, mächtigen Aztekenreich nie unterworfen, sondern bewahrte seine 
Selbständigkeit bis zur Conquista. Die Bewohner des Landes sprechen 
noch heute ihre alte Sprache; die wenigen Altertümer, die man in 
Museen und Privatsammlungen findet, zeigen eigentümlichen Stil. Da die 
Lagune von Pätzcuaro mit der Eisenbahn zu erreichen ist, so wundert 
man sich nicht, allerorts hören zu müssen, dass die meisten Altertümer 
fortgegeben sind. Nun finden die Leute zwar fortwährend neue Dinge, 
sind aber trotz der wachsenden Nachfrage zu sorglos zum Sammeln und 
zerbrechen vieles oder werfen es fort. Ein längerer Aufenthalt, sorgfältiges 
Fragen, eigenes Nachgraben könnten Ergebnisse liefern, obgleich mir 
scheint, dass diese Gegend überhaupt nicht so reich an Altertümern ist 
als andere Gebiete, da man in den Sammlungen so wenig findet. Auch 
auf der Historischen Ausstellung in Madrid im Jahre 1892, wo die Alter- 
tümer von Mexiko durch Schönheit und Menge einen ausgezeichneten Platz 
einnahmen, war von Michoacan nicht allzuviel vorhanden, obgleich die 
Regierung auch hier, wie in allen Winkeln des Landes, für die Ausstellung 
hatte sammeln lassen. 



Hieroglyphe Michoacan 


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TAFlil, II 



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Die Lagune von Pätzeuaro 


In Tzintzuntzan aber wollten wir die »Yacata« in Augenschein 
nehmen, wie hier die Reste alter Bauten aus vorspanischer Zeit bezeichnet 
werden, die man in Oaxaca «Mogote«, in der Huaxteca «Cu» nennt. 

Wie schon erwähnt, liegt Tzintzuntzan am andern Seeufer, d. h. 
eigentlich am jenseitigen Abhange eines Vorgebirges, das sich weit in 
den See vorschiebt. So kommt es, dass man zu Wasser eben so lange 
braucht, es zu erreichen, als zu Lande. Da wir uns so vor die Wahl 
gestellt sahen: Boot oder Gaul, entschieden wir uns für diesen, weil cs 
unbedingt unterhaltlicher ist, drei Stunden zu reiten, als sich im engen, 
unbequemen Einbaum langsam vorwärts rudern zu lassen, während einem 
die Sonne unbarmherzig auf den Schädel brennt. Zudem steht die Lagune 
in dem Ruf, gegen Abend oft recht unangenehm zu werden. 


Alte 



Steinachüssel vom Pueblo t!e ki Yuelta bei Tzintzuntzan 

Va der natürlichen Grüne 


Also unser erster Ritt nach sieben Jahren ! Wir waren gespannt, 
wie er ausfallen würde und was unsere ungeübten und so viel älter ge 
wordenen Knochen dazu sagen würden. Ich will gleich vorweg nehmen, 
dass es merkwürdig gut ging. Zwar waren die Steigbügel des Herren- 
sattels zu kurz, und der Sattel, den ich benutzte, zu eng, so dass mein 
Mann lahm und ich wund wurde, aber wir konnten doch mit Sicherheit 
annehmen, dass wir auf eigenen, passenden Sätteln und leidlichen Reit 
tieren die für die geplante Reise notwendigen, oft recht langen und müh- 
seligen Ritte uns würden Zutrauen können. 

Der Weg führt zuerst ein Stück auf der alten I.andstrasse nach 
Morelia entlang, die jetzt, seitdem es die Eisenbahn giebt, und zumal so 
kurz nach der Regenzeit, in vollständig verwahrlostem Zustande war. Wo 
die Landstrasse rechts um den Berg biegt, ging unser Weg geradeaus 
zum See herunter. Dort, an dem seichten, östlichen Ende desselben, ist 


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ein breiter Damm durch das Wasser geführt, dessen erste Anlage vielleicht 
in vorspanische Zeiten zuriickreicht. Die alten Indios waren sehr geschickt 
in Damm -Bauten, das wissen wir aus den Berichten der Kroberer. Sie 
schnitten sicherlich schon den grossen Umweg ab, den ein Umgehen 
dieses sumpfigen See-Zipfels bedeutet. Jenseits dieser Calzada reitet man 
eine Weile auf ziemlich steinigem Wege am Ufer des Sees entlang, rechts 
den mit blühendem und duftendem Gestrüpp überwucherten Berghang. 
Dann folgt ein zweiter, ziemlich langer Damm durch einen tief ein- 
schneidenden Zipfel dieser viclarmigen Lagune — und das Vorgebirge, 



Die Nachkommen der Könige von Tzintzuntzan 


an dessen nördlichem Abhange Tzintzuntzan liegt, war erreicht. Noch 
eine gute Stunde, noch ein recht unangenehmes Stück steinigen und arg 
zerrissenen Weges — und wir waren am Ziel. 

Dass der Glanz alter Königstädte verblasst, dass sie verfallen und 
dem Untergange geweiht sind, ist ja nichts seltenes, und zumal in diesem 
Lande, wo hohe alte Kulturen vernichtet und ausgerottet wurden, ohne 
dass die Kroberer vermocht hätten, etwas anderes an die Stelle des 
Zerstörten zu setzen. Alles sah schmutzig und verkommen aus: Menschen, 
Häuser, Gärten; nur die Pracht des blühenden Gesträuches, das alle Hügel 
und Thäler überzog, war die alte. — Hin wenig ausserhalb des Dorfes, auf 
der 1 lohe, lagen die alten Ruinen. Gerade in der Mittagsstunde, als cs die 


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TAFEL III 




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Hastionartige Aufmauerungen in den Ruinen von Tzintzuntzan 


Sonne am besten meinte, kletterten wir, zwischen Maisfcldcrn und Gestrüpp 
hindurch, dort hinauf. Wir suchten uns — ziemlich vergeblich — einen Ueber- 
blick über die ausgedehnte Anlage zu verschaffen; es war alles gar zu sehr 
übersponnen von Vegetation, und nicht flüchtige Stunden, sondern tagelange, 
angestrengte Arbeit würde erforderlich sein, genaue Aufnahmen zu machen. 
An einer Stelle, wo das bastionartig vorspringende, in schmalen Stufen auf- 
steigende Mauerwerk ein wenig freier lag, gelang es mir, einige fotografische 
Aufnahmen zu machen. Aber nur der fest zugreifenden Hand meines in- 
dianischen Hegleiters und den eisernen Spitzen des Stativs verdanke ich, dass 
ich nicht mitsamt der Mauer, auf der ich mich aufgestellt hatte, und die 
noch ganz fest und vertrauenerweckend aussah. in die Tiefe stürzte. 



Strasse in Tzintzuntzan 


Wieder ins Dorf zurückgekehrt, versuchten wir mit den spärlichen 
mitgebrachten Vorräten unsern Hunger zu stillen; im Orte war nichts als 
Schnaps zu haben. Auf einem Gange durchs Dorf aber konnten wir noch 
einige kleine Altertümer erhandeln und mussten dann an den Heimweg 
denken, denn es war mittlerweile vier Uhr geworden, wir hatten gute drei 
Stunden zu reiten, und um sechs Uhr bricht die Nacht an. Wir trösteten 
uns damit, dass der fast volle Mond die Nächte herrlich erleuchte und 
ritten ab. 

Die Regenzeit war zwar seit etwa drei Wochen vorüber, aber man 
macht in dieser Hinsicht stets neue Erfahrungen, da das Klima nach 
Höhenlage, Bewaldung, Windfall grosse Verschiedenheiten zeigt. In der 


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nahen Sierra schien es noch viel zu regnen, und offenbar üben auch die 
vielen Seen dieser Gegend einen nicht unerheblichen Einfluss auf die 
Feuchtigkeit der Atmosphäre aus. Fiel es uns doch schon auf der Herreise 
auf, dass der kleine Hügelrücken, der das Thal von Tiripitio vom Seen- 
becken von Patzcuaro trennt, eine klimatische und vegetative Scheide 
bildet. Kurz und gut, um halb sechs, kurz ehe die Nacht hereinbrach, 
bedeckte sich der Himmel mit schwerem Gewölk, im Gebirge begann es 
zu regnen, dumpfer Donner grollte hinter uns, und starkes Wetterleuchten 
zuckte über den dunklen Himmel. Die Lagune war bewegt und schlug 



Ydcnta hei Igudtio 


mit heftigen Wellen gegen das felsige Ufer. Wir waren froh, nicht in 
dem schwanken Einbaum, sondern auf dem Rücken sicher dahinschreiten- 
der Gäule zu sitzen. Aber die Aussicht auf Regen war recht ungemütlich. 
Das dunkle Gewölk blieb jedoch hinter uns in den Bergen zurück, der Mond 
brach langsam durch, die Luft w'ar frisch, und als wir das abscheuliche 
Pflaster der alten Landstrasse erreichten, stiegen wir ab und gingen die 
letzte halbe Stunde neben unsern Pferden her, vergnügt, unsere — durch 
zu kurze Steigbügel und zu engen Sattel — steif gewordenen Glieder 
wieder strecken zu können. Ich will gestehen, dass es mir auch später 
stets unbehaglich war, wenn es uns nicht gelang, zur rechten Zeit das Nacht- 


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TAFEL IV 



Steinfigur in Pätzcuaro 



Tarasca-Indianer von Cuanajo 


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quartier zu erreichen, sondern die Dunkelheit uns 
überraschte. Wenn es dann der Weg nur irgend 
erlaubte, stieg ich lieber ab und ging zu Fuss und 
liess mich darob ruhig von jedem Mexikaner aus- 
lachen. 

Von den vielen Ruinen, die an den Ufern 
und auf den Inseln der Lagune verstreut liegen, 
wollten wir bei unserer kurz bemessenen Zeit nur 
noch die beim Dorfe Iguatio besuchen. Am Morgen 
des I. November Hessen wir uns über den See dort- 
hin rudern. Da Allerheiligen war und grosser Markt 
in Pätzcuaro, wimmelte der See von grossen und 
kleinen Einbäumen mit Menschen angefiillt, die 
von allen Ufern her der Stadt zustrebten — ein 
malerischer Anblick. 

Iguatio ist ein hübsches grosses Dorf, war 
aber heut wie ausgestorben, da alles zum Markte 
war. Wir gingen durch den Ort hindurch zu den 
Yäcata, die hier weit klarer sich darstellen und eine 
ausgedehnte Anlage von Pyramiden mit umgeben- 
den und verbindenden Mauern besser erkennen 
lassen, als in Tzintzuntzan. 

Um die Mittagstunde dachten wir an die 
Rückkehr; der leichte Wind, der jeden Tag um 
diese Zeit sich aufmacht, brachte Kühlung, so dass 
es eine angenehme Fahrt gab. Von unsern beiden 
Ruderern zeigt das Titelbild den, der in Iguatio 
den Führer machte, im Feiertagsstaat, nämlich im 
frisch gewaschenen Hemd, mit dem grossen, mit 
reicher Silbertresse verzierten, mexikanischen Hut. 
Beide versprachen, am nächsten Tage alten Scherben- 
kram zu bringen, aber natürlich Hessen sie sich 
vergeblich erwarten. — Als wir vom Seeufer zur 
Stadt hinauf gingen, begegneten uns schon viele 
der vom Markte zurückkehrenden Leute, die vor 
dem Abend ihre Heimat erreichen wollten; viele 
zurückrudernde Bote hatten wir schon getroffen. 
Es sieht ganz sonderbar aus, dass Männer und 
Frauen stets mit ihren seltsam geformten Rudern 
vom See heraufkommen, die sie nie im Boote liegen 
lassen. Diese Ruder werden in der nahen Sierra 
aus einem bestimmten Holze gefertigt und kommen 



Riuler vorn 
P:itzcuaro-See 


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als Handelsware in die Seengebiete herunter. Ich hatte Gelegenheit, unten 
am See eins zu erhandeln. — In der Stadt war noch lebhaftes Treiben 
von Indios, Ladinos und feinen Leuten; Hacendados zu Pferde, ja sogar 
eine Familie im Wagen waren im Hotel eingetroffen. 

Die Röcke der Indianerweiber, die ja in ganz Mexiko und Mittelamcrika 
nur aus einem um die Hüften gelegten Tuche bestehen, waren hier von 
festem dunkelblauem Stoff und in eine Menge kleiner Falten gelegt, die ich 
für genäht hielt. Da die Frauen aber kein Wort spanisch verstanden und zu 
misstrauisch waren, sich von einer Fremden berühren zu lassen, gelang es 
mir erst durch die freundlichen Dolmetscherdienste einer Ladeninhaberin, 
mich davon zu überzeugen, dass auch dieses mühsame Faltenwerk nur 
gelegt und von der schmalen Binde zusammengehalten wird. Die 
Gebcrdcnsprachc, die mir sonst in solchen Fällen oft gute Dienste ge- 
leistet, versagte hier völlig. 

Gegen Abend gingen wir noch einmal den schönen Hügel hinan, um 
von dem herrlichen Landschaftsbilde mit seiner Fülle blühender Paracua- 
Sträucher Abschied zu nehmen. Der nächste Tag führte uns wieder nach 
der Hauptstadt zurück. 




Spindeluäpfchc n 


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Zapotekische Altertümer. 


ZWEITKR ABSCHNITT. 


Oaxaca. 

1 3. November 1 895 bis zum Jahresschluss. 

Eiaonbuhnfahrt. — Gaatfreuude. — Die Wasserleitung von S. Felipe. — Markthalle. — 
Cuilapa und Zaachila. — Hausindustrie. — Musik. — Import und Klseubahn. — Don 
Porfirio Diaz' Empfehlungsbriefe. — llci Monsignore Gillow. — Dr. Sologureus Sammlung. — 
ReiacvorbcreitunRcn. — Spaziergänge und Erholungen. — Weihnachten. — Velado». — 
Nuestra Senora de la Solei) ad. — Eine Landpartie auf den Monte Alban. — Sylvester. 



nter den vielen Bildern, die an meiner Erinnerung vorüber- 
ziehen, gehört der Aufenthalt in Oaxaca und der 
Ritt durch die Mixteca zu den hellsten, freundlichsten 
der ganzen Reise. Kein Wunder! Wir waren frisch 
und thatendurstig, die Jahreszeit war für diesen Winkel die 
günstigste; warme Gastfreundschaft und freundliche Hilfe 
ward uns in Oaxaca von allen Seiten zu teil. Die Mixteca 
bot verhältnismässig geringe Mühseligkeiten und belohnte 
uns durch unerwartet günstige Erfolge. 

Als wir vor sieben Jahren von der Hauptstadt nach 
Oaxaca reisten, konnten wir die Eisenbahn bis Esperanza 
benutzen, von dort gings mit einer Pferdebahn, die damals — es war im 
Mai — einigemal im Schmutz stecken blieb, bis Tchuacan; dann in einer 
kleinen Postkutsche — Goayin — bis Tecomavaca, und schliesslich waren 
noch zwei Tagereisen zu Pferde oder in Sänften, für die ein regelmassig 
organisierter Postdienst bestand, zurückzulegen. Jetzt führt von Puebla 
eine Bahn in einem Tage nach Oaxaca und hat somit diese Stadt der 


Selcr ( Alte Wcje 


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Aussenwelt ein gut Stück näher gerückt. Die Bedeutung einer Eisenbahn 
liegt hier nicht nur in der Zeitersparnis, sondern eben so sehr in der 
Möglichkeit, zu jeder Zeit Waren und Menschen befördern zu können, 
während es früher keine Seltenheit war, dass Reisende zur Regenzeit 
tagelang zwischen den reissend angeschwollenen Flüssen wie in einer 
Mausefalle sassen, aus der kein Entrinnen war. Und erst die schweren 
zweirädrigen Ochsenkarren, die im unergründlichen Schmutz stecken blieben 
und oft neue Wege in den Wald hauen mussten, um vorwärts zu 
kommen! 

Diesmal bestiegen wir am frühen Morgen des 13. November den 
Zug. Herrlich und gross erhoben sich vor uns die beiden Schneeberge, 
ohne vorgelagerte Ketten, unmittelbar, und daher weit mächtiger als im 
Thal von Mexiko über der Hochebene aufragend. Die Bahn folgt der 
Strasse, die seit uralten Zeiten von den reisenden Kaufleuten begangen 
wurde, und die von dem alten Emporium Cholula über Tepeyacac und 
Tecamachalco in das grosse, durch den Zusammenfluss zweier Ströme 
gebildete Flussthal führt, durch das der Weg nach Oaxaca läuft, und von 
dem links die alte Handclsstrasse nach Tabasco abzweigte. 

Zur Linken hat man den schönen Berg, der in alter Zeit der Wasser- 
und Erdgöttin heilig war und den Namen Matlalcueye trug, d. h. die 
Frau mit dem blauen Rock. Ein lebendiges Beispiel der fantasiereichen 
und bezeichnenden Namengebung der alten Indianer, denn wahrlich, wie 
ein dunkelblaues Gewand schmiegt sich der Wald an die Seiten des 
Berges, während darüber, nackt und kahl, das vulkanische Gestein aufragt. 
Heut trägt der Berg den Namen der Malinche, der Geliebten des Cortös, 
ein Name, der nicht selten an die Stelle altheidnischer Bezeichnungen ge- 
treten ist. — Ehe man Tepeyacac erreicht, treten die Berge zurück, eine 
weite Fläche öffnet sich, und für wenige Minuten umfasst das Auge mit 
einem Blicke die drei mächtigsten, mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel 
Mexikos: den Popocatepetl, die breit hingelagerte Iztaccihuatl und die 
schöne Pyramide des Poyauhtecatl oder Citlaltepctl, der heute Pico de 
Orizaba genannt wird. 

Tepeyacac liegt an einem der Ausläufer der kahlen Kalkbergc, die 
zur Rechten der Strasse sich hinziehen, das besagt auch der Name des 
Ortes, der »vorn am Berge«, an der Bergnase, bedeutet. Bald über 
lehmige, fruchtbare Felder, bald über trockene, kalkige, staubige Flächen 
geht die Bahn in grossen Schleifen abwärts nach Tecamachalco. Diese 
Gegend ist das alte Wohngebiet eines besonderen, vielleicht den Mixtcken 
verwandten Stammes, der Popoluca. Hier ist man den Bergen, die den 
östlichen Rand der Hochebene bilden, schon nahe, und schon sieht man, 
wie sich die Canada bildet, indem auch die Ketten zur Rechten schärfer 
abbrcchen und höher aufragen. Die Bahn w’endet sich nach Süden immer 


iS 


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abwärts, abwechselnd zwischen bestellten Feldern und aus Akazien be- 
stehender Buschsteppe hin. Neben den Dörfern und Gehöften erheben 
sich von Busch und Bäumen umstandene, breite, viereckige Hügel: Wasser- 
behälter zur Versorgung von Haus und Hof. Denn es mangelt hier an 
Quellen und fliessendem Wasser. Das auf allmählich abfallender, blenden- 
der Kalkplatte gelegene Tehuacan ist bald erreicht. Vor sieben Jahren 
hatten wir das alte Pueblo besucht, das weit entfernt vom heutigen Ort, 
am andern Ufer des Flusses, näher dem Fusse der östlichen Berge liegt. 
Die Bahn führte uns in grossen Windungen über die weite, vom Camino 
real durchschnittene Fläche auf dem 
rechten Flussufer. Lange Zeit bildete 
die rote, nach Süden schauende Fels- 
wand, die hoch über der Stelle des 
alten Pueblo von Tehuacan aufragt, 
eine weithin sichtbare Landmarke. 

Dann kommen wir dem Flusse und 
der Strasse näjier. Die niedrigen 
Hügel am jenseitigen Ufer sehen in 
der Ferne wie behaart aus, so dicht 
sind sie mit senkrecht aufragenden 
Säulenkaktus besetzt. Bestellte Fel- 
der und grüne Flächen ziehen sich 
in den Schluchten in die Höhe. 

Die weissen Häuschen drüben sind 
das Dorf Cozcatlan. Endlich wird 
der Fluss erreicht und überschritten. 

In dem Geröll seines Bettes erkennen 
wir die hohen Bäume mit weiden- 
artigen Blättern und trichterförmigen 
goldgelben Blüten, die A-xochitl — 

Wasserblume — genannt werden. 

Auf den Feldern zu seiten des Flusses aber begrüssen wir zum ersten 
Male die lichtgrünen Büschel des Zuckerrohres. — Bei Venta salada — 
dem Wirtshaus am Salzfluss — waren wir in die tiefe und heisse Schlucht 
gelangt und die Sonne stand hoch am Himmel. Die alte Strasse, die 
wir von früher kannten, führt Hügel auf und Hügel ab durch die Gesteins- 
massen, die den ursprünglichen Boden der Canada bildeten; die Eisen- 
bahn folgt dem Flusse, der in diesen Boden noch ein tieferes Bett 
gegraben hat. Kahl und steil ragen die Abhange auf, von trockenem, 
stachlichem Gebüsch — Akazien, Kaktus und andern Steppengewächsen 
— überzogen. Der Fluss selbst ist jetzt nur eine dünne Ader in breitem, 
sandigem Bett von hohen Bäumen umsäumt, über die eine rankende 

!* 



Are tostaphy I us Caeciliana. Loes. n. ap. 

Strauch au* «lern Hcrgwald oberhalb Deining uillo 


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Winde mit grossen weissen Blüten dicke grüne Teppiche spinnt. Die 
Station Tecomavaca ist weit vom Ort entfernt, der an der alten Karren- 
strasse liegt, von der Bahn aus aber unsichtbar bleibt. Dickes Gewölk 
lagerte über den östlichen Bergen, insbesondere über dem schmalen Spalt, 
in dem der Fluss von Quiotepec nach der atlantischen Seite durchbricht; 
dort regnete es augenscheinlich stark, auch wir bekamen einige Tropfen. — 
Weiter durch ein Gewirr niedriger, trockener Hügel. Bei Quiotepec wird 
der Rio Salado überschritten und nach kurzer Fahrt auch der südliche 
Arm, der Rio de Cuicatlan. Die alte Strasse zieht an seinem linken, 
westlichen Ufer, steigt stellenweise stark in die Höhe und senkt sich 
wieder, die ins Flussbett sich vorschiebenden Riegel zu überschreiten. 
Die Bahn bleibt in der tief zwischen hohen Bergen eingesenkten Schlucht 
am rechten Flussufer. Noch führt der F'luss reichlich Wasser, aber 
schon umsäumen Sandstreifen seine Ufer. Jenseits derselben breiten 
sich mit Bäumen bestandene Flächen, über denen allerhand Schling- 
gewächs eine üppige Vegetation bildet. Wasserlachen und Hinter- 
wässer zeigen an, dass in der Regenzeit auch diese Flächen überflutet 
werden. Ja, häufig wird der Bahndamm auf weite Strecken unterspült 
und weggeschwemmt. 

Die Ansiedlungen bleiben unsichtbar; sie liegen teils hinter den 
Hügelketten, die die Wand der Caiiada bilden, teils hoch oben in 
den Schluchten versteckt, die die Ketten durchbrechen. Nur hin und 
wieder sieht man auf dem schmalen Thalboden lichtgrüne Zucker- 
rohrfelder und ein paar Hütten von Palmen überragt. Die nahen Ab- 
hänge sind trocken und mit Stachelgewächsen bestanden. Oben aber 
sind die Wände mit dunklem Grün bekleidet: dem aus Eichen und 
Krikaceen gebildeten lichten Bergwald, der hier überall in einer gewissen 
Höhe auftritt. 

Die Haltestelle Cuicatlan liegt wieder weit ab von dem Ort, der 
alten Hauptstadt eines kleinen, den Zapoteken verwandten Stammes. — 
Eine kurze Strecke weiter, in Tomellin, war Mittagsstation. Chinesen 
machten hier, wie häufig an den Bahnlinien, Köche und Kellner. Sie 
kommen — wie andere Bedürfnisse des Bahnbetriebes — wie Wellblech- 
dacher, Eisenbahnschwellen, Lokomotiven u. dergl. m. mit den ameri- 
kanischen Bahnen, aber zum Glück auch nur für diese, ins Land. — 
Während die alte Karrenstrasse der Schlucht bis ans Ende, bei Domin- 
guillo, folgt und dann in steilem Anstieg die Höhe erklimmt, verlässt 
die Bahn das Hauptthal und steigt in einem von links herabzichenden 
Nebenthal hinan, einer endlos langen, schmalen, engen Schlucht, auf deren 
Grund ein Wässerlein lustig über F'elsen springt, während die Abhänge 
mit lichtem Baumwuchs bestanden sind. Die Fahrt durch diese Enge 
dauert fast fünf Stunden, ohne doch ermüdend zu werden, da die Hange 


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und die kulissenartig sich verschiebenden Bergriegel stets neue und fesselnde 
Bilder bieten, ln der Abenddämmerung erreichten wir El Parian, wo 
rechts der Weg nach der Mixteca abzweigt. Um 8 Uhr endlich fuhren 
wir in Oaxaca ein. 

• • 

* 

Wir waren nicht fremd in Oaxaca, und da wir diesmal kein Wirts- 
haus aufzusuchen brauchten, sondern im gastlichen Hause unseres Konsuls, 
des Herrn Gustav Stein, als gern gesehene Freunde weilten, fühlten wir uns 
bald ganz heimisch in der hübschen Stadt. Die Familie Stein hatte ihre 
eigentliche Wohnung mitten in der Stadt für eine 
Weile verlassen müssen, da das ohnehin ein wenig 
altersschwache Haus vom letzten Erdbeben so 
heftig gelitten hatte, dass es einer gründlichen 
Reparatur dringend bedurfte. Die Familie hatte 
inzwischen ein Haus in dem neuen Stadtteil be- 
zogen, der in der Nähe der Klöster Carmen und 
Santo Domingo entstanden ist; in der Richtung 
nach S. Felipe en Agua, einem beliebten Ziel 
für Ausflüge zu Pferde und zu Wagen. Wenn 
wir aus der Hausthür traten, so sahen wir am 
Ende der Strasse den mächtigen, waldreichen 
Berg von S. Felipe aufragen, dem Oaxaca eine 
grosse Wohlthat verdankt, nämlich sein herr- 
liches Wasser, das schon in spanischer Zeit 
durch eine grosse gemauerte Wasserleitung der Stadt zugeführt wurde, und 
das heute in jedem Hofe in die steinernen Brunnenbecken rinnt. Nur hat 
man leider nicht daran gedacht Staubecken anzulegen und den Röhren ver- 
schliessbare Hähne zu geben. So ist es denn keine Seltenheit, dass der 
köstliche Reichtum während der heissen Frühlingsmonde versiegt, gerade 
wenn er am nötigsten wäre. Dem Hause gegenüber lag eine gut ein- 
gerichtete Badeanstalt inmitten eines blumenreichen Gartens. Sie besass zwei 
mit kaltem Wasser gefüllte Becken, sogenannte Tanques, deren Temperatur 
aber so kalt war, dass ich nach dem ersten Bade verzichtete und mich 
den einfach, aber gut und sauber eingerichteten Wannenbädern zuwandte, 
die überhaupt viel begehrt waren. Als wir aber im April des folgenden 
Jahres wiederkamen und bei der grossen Hitze nach Erfrischung lechzten, 
gab es weder hier, noch in einer der anderen Badeanstalten der Stadt 
Bäder, wegen Wassermangels. 

Wir hatten mancherlei in Oaxaca zu thun. Bis hierher hatte uns die 
Fjsenbahn gebracht, jetzt aber galt cs, Pferde und Sattelzeug zu kaufen, 
einen Burschen zu mieten, die notwendigen amtlichen und persönlichen 



Hieroglyphe Oaxaca 


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Empfehlungsschreiben für die Weiterreise zu beschaffen; es waren 
Sammlungen zu besichtigen, zu erwerben, zu verpacken. So kam es, dass 
wir uns mehrere Wochen aufhalten mussten, denn so freundliche Hilfe 
wir auch hatten, besonders durch unsern lieben Gastfreund, so will doch 
gut Ding Weile haben, und im spanischen Amerika noch mehr als anderswo. 
So blieb uns denn reichlich Zeit, uns umzuschauen, und das thaten 



Im Patio 


wir denn auch mit besonderer Vorliebe in der schönen und stattlichen 
Markthalle, nach der wir fast täglich unsere Schritte richteten, um täglich 
etwas neues zu sehen und zu lernen. 

In unmittelbarer Nähe Oaxacas, am Kusse des Monte Alban liegen 
die grossen Indianerdörfer von Cuilapa und Zaachila.*) In alter Zeit 
drängte sich hier eine dichte Bevölkerung, denn hier lag die zapotekische 
Königstadt. Sicher trug die ragende Höhe des Monte Alban das Heiligtum 


•) Sich«» Keigcbricfr aus Mexiko. 


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und zugleich die Zitadelle, und die alten Baureste dort oben sind die 
Grundmauern von Tempeln und Befestigungen. Auf den Abhängen des 
Berges und auf den Feldern der Gemarkungen von Cuilapa und Zaachila 
werden Altertümer in grosser Zahl gefunden: grosse Thonfiguren und 
Bruchstücke von solchen; kleinere Püppchen, Pfeifen, Thonköpfe, die in 
Formen hergestellt zu sein scheinen und einen eigenen, ganz bestimmten 
Stil zeigen. Die Indianer dieser Dörfer sowohl als anderer, in weiterer 
Entfernung liegender, sind die Verkäufer in der Markthalle. Neben 



Vorstadt strasse bei der Wasserleitung 


Lebensmitteln aller Art, werden da auch Arm- und Halsbänder aus kleinen 
Früchten, denen besonders wohlthätige Wirkungen innewohnen sollen, 
feilgeboten; alle Arten von Heilkräutern gegen jegliches Gebresten von 
Mensch und Tier. Die Bewohner der entlegenen Dörfer des Gebirges 
kamen an bestimmten Tagen zur Stadt und brachten ihre kleinen Erzeug- 
nisse zu Markte; unter anderm auch die bunten Binden, mit denen die 
Frauen ihre Röcke, die Männer ihre Hosen über den Hüften festhalten. 
Diese schmalen I'ajas werden in Breiten von etwa 2 — 5 cm gefertigt, ihre 
Grundfarben sind schwarz und weiss, oder rot und weiss, die Kettfaden 
oft grün und violett. Tanzende Figuren, Tiere, Blumen sind hineingewebt, 


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die manchmal fast an alten Stil erinnern. Ferner findet man da die 
hübschen bunten Hangmatten aus I’itafaser, die ohne Knoten geflochten 
sind; zierliche Täschchen aus gefärbtem Palmstroh; Pichanchas, d. h. Siebe 
aus Kalabasse, deren Ränder mit hübschen eingeätzten und braungemalten 
Blattornamenten versehen sind. Kurz, mancherlei Dinge, an denen die 
Geschicklichkeit der eingeborenen Bevölkerung immer noch deutlich zu 
Tage tritt. Bei der grossen Kinderfreundlichkeit aller Mexikaner — wes 



V o r s t u (I t s t r a s s c 


Stammes und Blutes sie auch sein mögen — kann die Fülle des Spiel- 
zeuges kaum überraschen, die nicht nur hier, sondern auf allen grösseren 
Märkten, z. B. auch unter den Portales in Mexiko, einen breiten Raum 
cinnimmt. Alle nur denkbaren Formen der gebräuchlichen Haus- und 
Küchengeräte findet man da in kleinstem Massstabe. 

Die Indianer, die zu Markte in die Stadt kommen, bilden auch einen 
grossen Teil des kaufenden Publikums der kleinen, um die Markthalle herum 
liegenden Läden und der grossen Mcrccrias, d. h. der Importgeschäfte, in 


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denen man vorn einfachsten Handwerkzeug bis zur eleganten Salonlampe 
ungefähr alles haben kann, was in der Hütte des Armen und im Hause 
des Reichen gebraucht wird. Ausser Handwerkzeug und andern unentbehr- 
lichen Dingen sind die Indianer Käufer von Musikinstrumenten, da manche 
der wohlhabenden Gemeinden ein ganzes Orchester besitzen. Die Musi- 
kanten kommen hin und wieder abends zur Musik in die Stadt, um 
zuzuhören. Da sie natürlich keine Noten kennen, ist dies ihre ganze 



Aussicht vom Kloster Car inen auf die Kirche von S. Domingo 


musikalische Ausbildung. Man hört viel deutsche Musikstücke auf der 
Abendpromenade, da die deutschen Handelshauser mit den Instrumenten 
auch zugleich die Noten einführen. 

Die grossen Importgeschäfte aller Art waren übrigens nicht sehr 
begeistert von der Eisenbahnverbindung, die Oaxaca der Aussenwelt so 
viel näher gebracht hat. Die Art des Geschäfts muss sich naturgemäss 
ändern mit der Art der Verkehrswege. Der reisende Kaufmann tritt jetzt 
unmittelbar mit dem Abnehmer in Verbindung und sendet ihm die be- 


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stellten Waren direkt ins Haus, was bei dem früheren umständlichen 
Verkehr durch Ochsenkarren und auf Maultierrücken seine Schwierig- 
keiten hatte. Nun, solche Klagen sind nicht neu, sondern nur die 
Bestätigung des alten Spruches: Wat den Eenen sin Uhl, is den Annem 
sin Nachtigall. 

* • 



Aussicht vom Kloster Carmen 

Kurz ehe wir die Hauptstadt verlassen hatten, waren wir bei dem 
Präsidenten der Republik, Porfirio Diaz gewesen, um ihn persönlich um 
die nötigen Empfehlungsschreiben für die Reise zu bitten. Seine Liebens- 
würdigkeit, sein lebhaftes Interesse für alles, was seinem Lande in irgend 
einer Beziehung von Nutzen sein kann, also auch für die Erforschung 
der Vergangenheit, seine Eörderung rein ideeller Bestrebungen auf wissen- 
schaftlichem Gebiete sind bekannt. So war dieser Besuch für uns nicht 
nur durch die persönliche Beziehung zu einem so hervorragenden Manne 


2b 


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TAI'iil. V 




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Holzidol der M ixe- 1 ndi aner, im Besitz des Erzbischofs Gillow in Oaxaca 


erfreulich, sondern auch im höchsten Grade nützlich, denn Don l’orfirio 
gab uns nicht nur amtliche Empfehlungsbriefe, sondern auch solche an 
persönliche Freunde. 

Unter diesen befand sich einer an den Erzbischof von Oaxaca, 
Monsignore Gillow, den wir gleich in den ersten Tagen unseres Aufent- 
haltes abgaben. Der Erzbischof wohnte im Kloster Carmen. Im Mittel- 
punkte der Stadt war ein neuer erzbischöflicher Palast im Bau, der sehr 
kostbar und prächtig zu werden versprach. Er wird dort wahrscheinlich 
bequemer wohnen, als in dem alten Kloster, aber die herrliche Aussicht 
von der Gallerie, die freie Lage und der schöne Garten sind Reize, die 
dem neuen Palaste mangeln. Monsignore Gillow ist von Geburt Engländer 
(die Mexikaner sprechen den Namen spanisch — Jilo — aus), in Rom 
erzogen und viel gereist ; er spricht natürlich englisch, französisch, spanisch 
und italienisch. Aus dem reichen, gesunden Gesicht des hochgewachsenen 
Mannes spricht Klugheit und die Freude an den Genüssen dieser Welt. 
Er war sehr liebenswürdig und führte eine lebhafte Unterhaltung, in deren 
Verlauf er uns manche beachtenswerte Mitteilung über den heutigen 
Götzendienst der Indianer machte, der überall als Unterströmung ihres 
Christentumes noch vorhanden ist. In seinem Besitze befand sich ein 
hölzernes Gefäss, das ein visitierender Priester im Jahre 1898 in einem 
Gebirgsdorfe der Mixe vom Altäre genommen hatte, wo es friedlich neben 
einem Kruzifix und einem Muttergottesbilde gestanden hatte.*) Dieses 
sonderbare — wahrscheinlich alte — Gelass wurde fotografiert, ebenso wie 
die schöne Aussicht. Ausser diesen nützlichen Aufschlüssen aber erhielten 
wir auch wertvolle Empfehlungen, denn oft genug thun die geistlichen 
Briefe bessere Dienste als die der weltlichen Behörde. 

* * 

* 

Der Staat Oaxaca war in alter Zeit und ist noch heute in seinem 
Hauptteil von verschiedenen Stämmen der zapotekisch-mixtekischen Sprach- 
familie bewohnt, die es, gleich den Mexikanern, zu einem hohen Grade 
von Kultur gebracht hatten. Er ist daher reich an Altertümern, und in 
seiner Hauptstadt giebt es genug Leute, die sich für dergleichen inter- 
essieren. Ausser dem Museum, dessen Bestand sich seit unserm letzten 
Besuche vor sieben Jahren nicht wesentlich vermehrt hatte, waren einige 
Privatsammlungen zu besichtigen. Unter diesen an erster Stelle die 
des Doktor Sologuren, eines ebenso tüchtigen Arztes als Altertums- 
kenners. Wir hatten seine und seiner Sammlung Bekanntschaft schon 
bei unserm ersten Aufenthalte in Oaxaca gemacht; er besass damals 

•) GotzenUienerci unter tlen heutigen Indianern Mexikos von I)r. KU. Seler. Globus l.XIX 
Xo. 23. 


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schon wundervolle Sachen, aber wir waren nicht wenig erstaunt, als 
wir sahen, in welchem Masse sein Museum angewachsen war. Dr. Solo- 
guren kommt als Arzt weit im Lande umher und alle seine dankbaren 
Patienten, deren er unter Ladinos und Indios zahlt, wissen sehr wohl, 
womit sie ihm eine Freude machen können. Mancher arme Teufel, der 
nicht bezahlen kann, tragt seine Schuld durch eine schön bemalte Schale 
ab, auf die sein primitiver Pflug beim Ackern stiess. Zudem besitzt 
Dr. Sologuren eine ausgebreitete Vetterschaft, die im Lande zerstreut 
wohnt und für ihn sammelt. Kein Wunder, dass seine Sammlung nicht 
nur gross, sondern auch ausgesucht schön ist und neben den allgemein 
bekannten Formen auch ganz absonderlich geformte Stücke enthalt. Auch 
kleine Kostbarkeiten aus Grünstein und andern geschätzten Steinen und 
manches alte Schmuckstück aus Gold ist da zu sehen. Da wurde nun 
gezeichnet und fotografiert und erzählt und debattiert. So sehr der 
Doktor an seinen Schätzen hing, verkaufen wollte er sie doch. Aber er 
verlangte einen Preis, der ganz fabelhaft schien. 

Andere Sammlungen waren da, die zum Verkauf standen zu er. 
schwinglichen Preisen, und von denen konnten auch wir einiges erwerben. 
Aber soviel auch verkauft werden mag, nach kurzer Zeit sind wieder 
neue Schätze angehäuft, denn das Land steckt voll von Altertümern. 
An allen Kcken und Enden kommen sic zu Tage. 



Kleiue Thonköpfe von Cuilapa-Za&chila 


Inzwischen waren unsere Reisevorbereitungen mit Hilfe unseres 
Wirtes gut gediehen: es standen Tiere bereit, es war ein Bursche ge- 
mietet. Luis war nicht mehr ganz jung, als zuverlässig bekannt und 
wusste gut mit Pferden umzugehen. Da er ein Mixteke war, so war 
er für den vorerst geplanten kurzen Ausflug in die Mixteca doppelt 
schätzenswert. Für diesen Abstecher, der nur für acht Tage berechnet war, 


iS 


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genügte auch ein Packtier, ein braver, alter Schimmel, der auch später 
getreulich bis Tonalä aushielt, wo er erkrankte und wir ihn zu unserm 
Kummer zurücklassen mussten. 

Bei der Art in jenen Ländern zu reisen, bei den besonderen Zielen, 
die wir auf unsern Wegen verfolgten, kann man nie genau vorher wissen, 
wie lange ein Ausflug wirklich dauern wird. Statt der acht Tage waren 
drei Wochen ins Land gegangen, ehe wir von dem Ritt in die Mixteca, von 
dem im nächsten Abschnitt genaueres erzählt wird, nach Oaxaca zurück- 
kehrten. Und es wurde allmählich Zeit, ernsthaft an den Aufbruch zu denken. 
Khe wir aber fortgingen, mussten unsere Sammlungen verpackt werden, 





Monte Alban 


sowohl die am Orte erworbenen, als die aus der Mixteca mitgebrachten. 
Diese Arbeit nahm eine volle Woche in Anspruch, und schon hier, in der 
grossen Stadt, machte die Beschaffung von Kisten und Packmaterial einige 
Mühe und gab uns einen Vorgeschmack von dem, was unser später harrte. 

Hier und da blieb auch eine Stunde zum Spazierengehen frei, und da 
erinnere ich mich mit besonderem Vergnügen der abendlichen Promenade 
über den Berg, der die Vorstadt Xochimilco vom Marquesado trennt. 
Marqucsado heisst die nördliche Vorstadt von Oaxaca. Sie heisst so 
nach dem Kroberer Cortes, der als Lohn für seine Verdienste den Titel 
■ Marques del Vallc« erhielt, nach dem Thale von Oaxaca, das er zum 


»9 


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grossen Teile, nebst andern guten Ländereien als Erb- und Eigentum 
erhielt. Dieser niedrige Berg, der die beiden Vorstädte trennt, bot hübsche 
Blicke und botanisch reiche Ausbeute. 

Auch an abendlichen Vergnügen hatte es während unseres Aufent- 
haltes nicht gefehlt. Der Zirkus Orrin gab Vorstellungen, die recht gut 
waren, und eine Truppe Schauspieler gab welche, die recht schlecht waren. 
Das Theater war stets gefüllt mit der besten Gesellschaft, darunter 
manche Leute, die in der Hauptstadt, ja in Europa schon wirkliche Kunst- 
genüsse kennen gelernt hatten; und doch wohnten sie hier jeder Vor- 
stellung bei. 

Nicht nur ein Vergnügen, sondern eine wahre Erfrischung waren die 
abendlichen Spaziergänge unter den Orangenbäumen des Platzes vor dem 
Regierungspalast. Hier traf man Bekannte, plauderte, sass, promenierte 
und sog mit Behagen die kühlere Abendluft nach der Arbeit und Hitze 
des Tages ein. 

* » 

• 

Inzwischen war Weihnachten herangekommen; zwar keine deutschen 
Weihnachten, aber ein deutscher Weihnachtsbaum. Die deutschen Familien 
geben ihren indianischen Holz- und Kohlen-Lieferanten schon wochenlang 
vorher den Auftrag, ihnen einen Nadelholzbaum zu besorgen, und aus 
den Wäldern des Cerro de San Felipe wird <*r pünktlich zur Stelle ge- 
schafft, wird geputzt und mit Lichtern besteckt. Und am Abend des 
24. Dezember brannten etwa ein halbes Dutzend Weihnachtsbäume in 
Oaxaca. Aber trotz alledem, trotz der reichbeschenkten Kinderschar — 
die rechte Weihnachtsstimmung war doch nicht vorhanden. Draussen war 
Sommer und eine Menge, die nichts von dem wusste, was der Weihnachts- 
baum in Deutschland bedeutet. Der Baum allein aber thut es nicht, das 
habe ich erfahren, so oft ich auch dies F’est im Auslande gefeiert habe. 

Die Mexikaner feiern ihre Weihnachten durch die Veladas*), die 
schon während der Adventszeit beginnen. Es vereinigen sich mehrere 
Familien zu dieser Feier, in der kindliche Andacht und weltliches Ver- 
gnügen aufs seltsamste verknüpft sind. Man kommt die letzten Wochen 
vor Weihnachten am Abend zusammen, in der Sala ist eine Art Altar 
errichtet, auf dem eine Darstellung der Jungfrau auf dem Esel zu sehen 
ist, von Kerzen und Blumen umgeben. Frauen und Kinder knieen davor 
mit Kerzen in den Händen und singen seltsam kindliche Melodien, eine 
Art Litanei; dann wird von aussen an die Thür geklopft und die auf 
der Reise Obdach suchende Jungfrau gebeten, herein zu treten. Manchmal 
auch zieht die singende, Kerzen tragende Schar durchs ganze Haus. Es 

*) Auch unter »lern Namen Postulat bekannt. 


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TAI-' KI. VI 



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handelt sich also um die Ueberbleibsel einer dramatischen Darstellung der 
Geschehnisse, die der Geburt des Heilandes vorausgehen. Die Musik- 
instrumente, die den Gesang begleiten, sind kleine Pfeifen aus Blech, an 
deren einem Ende ein löffelförmiges hohles Blechstück sitzt, das einen 
Resonnanzboden abgiebt. Die Töne, die auf diese Weise hervorgebracht 
werden, sind durchdringend, aber nicht unangenehm. Es gehört aber eine 
gewisse Uebung dazu, das Pfeifchen, das eigentlich einem Kinderspielzeug 
gleicht, richtig zu gebrauchen. Den Anfangsbuchstaben dieses Abschnittes 
zieren drei solcher Pfeifchen. — 

Den Abend beschliesst jedesmal 
eine Tertulla, eine harmlose ge- 
sellige Zusammenkunft, bei der 
Zuckerwerk herumgereicht wird. 

Am heiligen Abend ist die Dar- 
stellung der reisenden Jungfrau 
durch die Krippe verdrängt und 
an Stelle der Tertulla findet ein 
Ball statt. 

Heiligabend ist grosser Ra- 
dieschen-Markt in der Halle. Alles 
strömt dorthin, um Rabanos zu 
kaufen, zu essen, sich gegenseitig 
anzubieten. Den Grund dieser 
sonderbaren Sitte vermag ich 
nicht anzugeben. 

Aber auch die Indios feiern 
um diese Zeit ein grosses Fest, 
das der Seiiora de la Soledad, 
die eine stattliche Kirche am Ein- 
gänge zur Stadt besitzt. An der 
Mauer der Kirche sprudelt eine 
Quelle, und neben der kirchlichen Feier besteht der Gebrauch bei den 
Indianern, die im Laufe des letzten Jahres geborenen Kinder in dieses 
kalte, heilsame Wasser zu tauchen. Natürlich überstehen nur die kräftigen 
und gesunden -Kinder diese Kur. 

Für den zweiten Feiertag hatte Dr. Sologuren eine Landpartie aut 
den Monte Alban vorbereitet mit archäologischem Hintergrund, denn 
es sollten Aufgrabungen an einer Stelle vorgenommen werden, wo man 
auf Rcliefdarstellungen gestossen war. Der Monte Alban ist eine »great 
attraction« für alle Archäologen Oaxacas. Mit Recht; denn obgleich man 
seit langem weiss, dass er mancherlei Reste verschiedenster Art trägt, 
dass er eine Befestigung von Bedeutung vorstellte, wozu er durch seine 



Kingang zu einer unterirdischen 
Kammer auf dem Monte Alban 


3 * 


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Lage in hohem Masse geeignet erscheint, sind doch seine Ruinen noch 
wenig erforscht; erst nach und nach beginnt sich einige Klarheit über 
ihre Lage zueinander und die Bedeutung der einzelnen Teile zu verbreiten. 
Jede Unternehmung dort oben fördert neues ans Licht. Schon Mühlenpfordt 
hat die Ruinen untersucht, und sein Atlas von Mitla, der in der Bibliothek 
von Oaxaca aufbewahrt wird, enthält auch einen l’lan der Ruinen des 
Monte Alban.*) Auch wir waren im Sommer des Jahres 1888 hinauf- 
geritten, um wenigstens flüchtig Umschau zu halten. Oben sind Mais- 



Reliefs auf dem Monte Alban 


fclder und Buschwerk, so dass eine Uebersicht sehr erschwert ist. Um 
diese zu erhalten, müsste einmal der ganze Berg abgebrannt werden. 

Morgens — d. h. nach landesüblicher Art eine Stunde später 
als angesagt — versammelten sich etwa zwanzig Reiter, und in heiterer 
Stimmung ritten wir zuerst durch den breiten, aber jetzt schon ziemlich 
wasserarmen Fluss, und dann den Berg hinauf. Oben besichtigten wir 
gruppenweis die verschiedenen Gebaudeanlagen, es wurde botanisiert, foto- 
grafiert, geschwatzt, bis uns ein mitgebrachtes Frühstück unter dem spär- 
lichen Schatten eines Bäumchens auf der Plaza vereinigte, da wo mehrere 
grössere Mauerrestc und Pyramiden sich um einen weiten Raum ziemlich 
regelmässig gruppieren; eine Anlage, die sich bei allen bedeutenderen 

*) Veröffentlicht in Pcnafiel, Monumentos üel Arte Antijruo Mcxicano. 


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TAFEL VII 



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Eine Landpartie auf dem Monte Alban 


Ruinenkomplexen wiederholt. Nachdem wir diesem wichtigen Abschnitt 
des Tages die nötige Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet hatten, wobei 
es gerade so heiter und ungezwungen herging wie bei einem deutschen 
Piknik, wurde die Aufgrabung in Angriff genommen. Es zeigte sich, dass 
die Reliefplatten einen sich neigenden und verjüngenden Gang bildeten, der 
zu einem unterirdischen Raume führte. Leider fehlte die Zeit zu genaueren 
Untersuchungen und Messungen, die vielleicht inzwischen von Oaxaquenos 
ausgeführt worden sind, obgleich ich bisher nichts darüber erfahren habe. 
Meine fotografischen Aufnahmen waren leider ganz unbrauchbar, da das 
Paket Platten verschleiert war. (Bekanntlich geraten ja wichtige Aufnahmen 
meist auf schlechte Platten.) Um so dankbarer sind wir dem Teilnehmer 
des Ausfluges, der glücklicher war, und uns seine Aufnahmen liebens- 
würdig zur Verfügung stellte. 

An dem Ausfluge, der zu allseitiger Befriedigung verlief, nahmen 
ausser uns noch zwei Deutsche teil: der inzwischen leider verstorbene 
jugendliche Sohn der Familie Hinrichs und ein bayerischer Brauer, der 
sich in Oaxaca aufhielt, um die dortige Brauerei nach neuestem Muster 
einzurichten und zu betreiben. Denn es giebt dort eine Brauerei, sowie 
an vielen andern Orten der Republik. Wenn ich nicht irre, waren es zur 
Zeit vierzehn, natürlich allein Tierra fria oder templada. Aber das einheimische 
Bier wurde in langen Maultierzügen nach allen Teilen des Landes ver- 
schickt und machte dem Importbier eine erfolgreiche Konkurrenz, da cs 
schmackhaft und viel leichter ist als das eingefuhrte echte. 

Es war ein sehr merkwürdiges Bild, das der der Brauerei gehörige, 
draussen neben der Alameda gelegene Biergarten an den Nachmittagen 
bot. an denen die Musik spielte. Wie auf einem bescheidenen Münchener 
Keller in früheren Jahren, standen lange hölzerne Tische und Bänke dort, 
die meist von durstigen Seelen der Gesellschaft besetzt waren. Die Reiter 
aber, die an solchen Promenaden- Nachmittagen ihre schönen Pferde und 
Anzüge spazieren führten, um vor den Damen zu glänzen, kamen in den 
Garten hercingeritten, um ein Stegreifseidel zu trinken. Die malerische 
mexikanische Reitertracht, der grosse, spitze, von Silbertressen strotzende 
Hut, die prächtig aufgezäumten, lebhaften Pferde und dazu Bier! Einer 
jener Anachronismen, an denen dieses Land so reich ist. 

Inzwischen war auch das Weihnachtsfest vorüber, aber nun wollte 
man uns nicht vor Jahresschluss ziehen lassen. Und so verbrachten wir 
noch einen sehr vergnügten Sylvesterabend in der liebenswürdigen, an 
frischer Jugend so reichen Familie Hinrichs. Lebende Bilder aus deutschen 
Märchen, ein brennender Baum, Tanz, Bowle und Volkslieder von allen 
gegenwärtigen Deutschen — es waren etwa fünfzehn — aus voller Kehle 
angestimmt. Die Mexikaner, welche zugegen waren, staunten ob der 
überschäumenden Lust. — Es war ziemlich früh am Morgen, als wir 

Sei er, Alte Wege. 3 

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auseinander gingen, und da ein kalter Nordwind durch die Gassen blies, 
wufde uns ganz heimatlich zu Mute. 

Am 2. Januar nahmen wir endlich von unsern lieben Gastfreunden 
Abschied, und das eigentliche Reiseleben begann. Die meisten Leute, 
die von Mexico oder Oaxaca nach Guatemala wollen, benutzen die Bahn 
nach Veracruz, schiffen sich dort nach Coatzacoalcos ein, fahren mit der 
Isthmusbahn nach Tehuantepec und Salina Cruz, um sich mit einem 
Küstendampfer nach S. Jose zu begeben, von wo die Eisenbahn sie bis 
zur Stadt Guatemala befördert. Klappt auf diesem Wege alles — was 
natürlich niemals der Fall ist — so kann man in vierzehn Tagen Guate- 
mala erreichen. Auf dem Wege, den wir wählten, und den in seiner 
ganzen Ausdehnung zu machen heute nur noch wenige Veranlassung 
haben, braucht man zum mindesten vierzig Tage. Wir waren aber über 
drei Monate unterwegs, da wir uns oft aufhielten und manchen Kreuz- und 
Querzug unternahmen. 



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Kleino Thonk rügchen :ius Xochistluu 


DRITTER ABSCHNITT. 


Ein Ritt in die Mixteca Alta. 

26. November bis 16. Dezember 1895. 

El Tren de cuatro patns. — Ktla, iiuitzo, El Parian. — landschaftliches. — Nach 
Nochistlan. — Archäologisches. — Leber Tillo nach Yanhuitlan. — Die Kirche von 
Yanhuitlan. — Handel mit Altertümern. — I^andschafl. — Maisernte. — Teposcolulu. — 
TemazcaL — Das Pueblo viejo. — Mixt! an. — Tlaxiaco. — Politisches. — Achuitla und 
seine Ixiute. — Scharfe Speise. — Indianische Führer. — Yucuafii. — Die Hütte. — Um 
ein Hemd. — Schwerer Weg. — Entlaubte Palmen. — Im Pfarrliof von Tilantongo. — 
Dona Lupe. — Der Kreis wird geschlossen. — Cuauhdillu. — Abend im Corral. — 

Trennung. 

Endlich waren wir soweit reisefertig, um den kleinen Abstecher nach 
der Mixteca antreten zu können. Im Jahre 1888 war unser Wunsch, 
dieses Bergland zu besuchen, durch die heftig einsetzende Regenzeit 
vereitelt worden. Jetzt durften wir wohl vor Antritt der grossen Reise 
nach Guatemala noch eine kurze Zeit der Erfüllung desselben opfern. 
Es war gleich eine kleine Probe für die Pferde und den Burschen Luis. 
Die einen und der andere bewährten sich, und die drei Reittiere hielten 
später die Reise bis Guatemala aus, wo sie reisemüde, aber gesund ein- 
trafen, so dass wir sie ohne Verlust verkaufen konnten. Dies hatte aller- 
dings seinen Grund darin, dass im Staate Oaxaca die Pferdezucht blüht 
und man sehr billig Tiere kaufen kann, während in Guatemala ziemlich 
hohe Preise gezahlt werden. Luis, der uns später leider nur bis Tehuantepec 
begleiten konnte, war aus der Mixteca gebürtig, also doppelt brauchbar 
für diese kleine Reise, die eigentlich auf etwa acht Tage berechnet war, 
aber natürlich sich über drei Wochen ausdehnte. Wir haben auch später 

3 * 


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noch häufig genug die Erfahrung machen müssen, dass wir zu allem 
mehr Zeit brauchten, als wir vorhersehen konnten. Das »maiiana« spielt 
neben den vielen nicht vorherzusehenden Zwischenfällen eine gar zu 
grosse Rolle. 

So verliessen wir denn Oaxaca am 26. November »en el tren de 
cuatro patas« — in dem vierbeinigen Eisenbahnzuge — wie man scherzhaft 
sagt. Für die erste Strecke bis El Parian hätten wir auch den wirklichen, 
rollenden benutzen können, aber verschiedene praktische Erwägungen 
Hessen uns davon abstehen. Die erste Tagereise führte uns auf demselben 
Wege aus dem breiten und langen Thal heraus, den wir vor sieben 
Jahren, als es noch keine Eisenbahn gab, entlang geritten waren. Soweit 
sich dieses Thal erstreckt, d. h. von Etla bis Mitla, stellt er eine breite 
fahrbare Strasse dar. Damals hatte die beginnende Regenzeit über die 
grauen Berge einen grünen Schleier gezaubert; dies- 
mal waren Staub und glühende Sonne unsere Be- 
gleiter. Der Weg ist einförmig genug. Auch die 
Stadt Etla — mit ihrem zapotekischen Namen 
Loo-huana, d. i. Ort der Lebensmittel — bietet 
nichts. Auf dem Felsriegel, der sich quer ins Thal 
vorschiebt, bezeichnen einige Hügel, zwischen denen 
ein Kirchlein sich erhebt, die Stelle der alten Nieder- 
lassung. Aus der Gegend von Etla stammen viele 
der zapotekischen Altertümer in den Sammlungen. 
Eine Reihe herrlich gearbeiteter Grabplatten ist im 
Hofe des Museums von Oaxaca aufgestellt. 

Ein Stück weiterhin fällt ein langgestreckter 
Berg auf, der sich von der nördlich das Thal be- 
grenzenden Kette ablöst. Schon von weitem heben sich die künstlichen 
Hügel, die Ueberreste von Tempelbauten, Gräbern, Häusern ab — im 
Zapoteken- Lande als Mogotes oder Teteles bekannt — , die den Ort der 
alten Stadt Uiya-zoo, Kriegswacht, bezeichnen, der Grenzfeste, die die 
aus der grossen Caiiada von Dominguillo und Tecomavaca heraufführen- 
den Wege bewachte. Als Quauhxilotitlan — Ort der Quauhxilotes (einer 
essbaren Baumfrucht) — ist die Stadt in der Tributliste der mexikanischen 
Könige aufgeführt, was von den Spaniern in Guajolotitlan — Ort der Trut- 
hähne — verwelscht worden ist. Der von den Mönchen in’s Thal ver- 
legte Ort besteht heute aus drei zusammenhängenden Dorfgemeinden, die 
gemeinsam den Namen Huitzo (aus Uiya-zoo) führen, und den Heiligen 
San Jago. Pablo und Francisco zugehören. Dies war als Ziel unserer 
ersten Tagereise vorgesehen. Wir hatten noch den grossen Meson in 
angenehmer Erinnerung, in dem wir damals übernachtet hatten, ohne zu 
bedenken, dass der inzwischen eröffnete Eisenbahnbetrieb die Verhältnisse 



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TAKKI. VIII 




Grabplatten von Etla im Museum von Oaxaca 


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geändert hatte. Die grossen Wirtshäuser an der alten, von Reisenden 
nicht mehr belebten Strasse, die früher mit staatlicher Unterstützung 
erhalten wurden — eine Art Posthalterei vorstellend, — sind eingegangen. 
Aber zwei der landesüblichen Holzpritschcn waren doch zu erlangen und 
auch ein gutes Nachtessen. 

Unser Weg am nächsten Tage durchlief zwei Schluchten, in deren 
einer wir hinaufstiegen, während wir in der andern abwärts zogen. 
Dazwischen hatten wir die Wasserscheide zu überschreiten, auf deren 
Höhe der Ort Las Sedas gelegen ist. Auf- und Abstiege waren steil, 
und wir hatten Not, auf den schmalen Wegen an den bepackten Maultier- 
karawanen vorüberzukommen, die uns in langen Zügen begegneten. Die 
grossen, in Matten eingenähten Bündel enthielten Baumwolle, die von 
Jamiltepec und Juquila an der pazifischen Küste auf dem Wege durch 
die Mixteca nach Oaxaca geschafft wird. — Der Abhang, der in die 
Schlucht hinabführte, war schön bewaldet. Das dichte schattende Laub- 
dach unserer heimischen Wälder sucht man freilich ebenso vergeblich in 
diesen Bergwäldern, wie hochaufragende Stämme. Dagegen hat in dem 
lockeren Bestände jeder Baum die Möglichkeit, sich frei und individuell 
auszuwachsen. Und das Auge erfreut sich an der Mannigfaltigkeit der 
Formen und des Laubwerks. Zum ersten Male begegnete uns hier eine 
Thuya, zusammenhängenden Bestand bildend, die wir freilich später in 
der Mixteca noch oft antrafen. — Die Schluchtbilder waren typische: 
wo es der Raum zwischen Bach und Berg gestattete, waren kleine Acker- 
stückchen — mit dem mexikanischen Worte »milpa« ganz allgemein 
bezeichnet — zu sehen und primitive von Bäumen beschattete Hütten, 
und davor in friedlicher Eintracht Schweine, Hunde und nackte Kinder. 
Die abwärts ziehende Schlucht war lang, und wo sie sich fast klammartig 
verengte, mussten wir noch einmal die Höhe erklimmen, wofür wir durch 
einen herrlichen Blick belohnt wurden: in die tiefe Schlucht hinab und 
vorwärts auf hohe Gebirgsmassen, auf deren uns zugewandtem Abhange 
unser Weg in die Mixteca als schmaler weisser Streif zwischen dunklen 
Wäldern und weiter hinan die Kirche von S. Pedro Adeque sichtbar ward. 
— Noch war eine abscheuliche Wegstrecke, die durch den Bahnbau nicht 
verbessert worden — , im Bachbett entlang über Felsblöcke und Geröll zu 
überwinden, ehe wir die elenden, unordentlichen Hütten von El Parian 
erreichten. Wir konnten im Stationsgebäude nächtigen, die Pferde wurden 
in einem Corral an der jenseitigen Berglehne untergebracht. 


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Briefe aus der Mixteca. 


3. Dezember 1895. 

Wer da denkt, dass es unter den Tropen immer heiss sei und 
während der trockenen Jahreszeit ein ewig blauer Himmel lache, der 
möge hierher, in das mixtekische Bergland reisen, um eines Bessern 
belehrt zu werden. Diese Hochthäler haben einen ziemlich kalten Winter; 
im Januar und Februar soll Frost nicht selten sein, und jetzt wickeln wir 
uns morgens und abends fröstelnd in unsere Zarapes und decken uns 
nachts mit allen unsern wärmenden Hüllen zu. Da auch der Himmel 
oft von Wolken umzogen ist, leiden wir auch tagsüber selten von der 
Hitze. Aber wenn der Himmel blau und klar ist, brennt freilich die 
Sonne gehörig. Trotzdem hat man den Eindruck eines Tropenlandes 
gar nicht, sondern glaubt sich bald in europäisches Karstgebiet, bald nach 
Italien, ja zuweilen fast ins deutsche Mittelgebirge versetzt; zumal da 
hier viel Gerste und Weizen, ja sogar Hafer neben dem Mais gebaut 
wird. ' Aber während jetzt im Norden alles im Schnee vergraben ist, 
sind hier die Felder grün, die Bäche rieseln und im Bergwald blüht es 
trotz der trockenen Jahreszeit. Dieser Bergwald bildet eine unaufhörliche 
Quelle des Entzückens für uns. Da sein Bestand nur locker ist, zeigt er 
die herrlichsten, zu vollster Individualität entwickelten Bäume, meist von 
dem knorrigen Charakter, der den Bäumen eines rauhen Gebirgslandes 
unter allen Breiten eigen zu sein pflegt; weitästige Eichen von zweierlei 
Art: der »Encino amarillo« — hier Encino de Agua genannt — eine der 
Qu. purpurea ähnliche Art mit fallendem Laub, und der immergrüne 
»Encino blanco« mit graugrünen, auf der Unterseite weissfilzigen Blättern; 
baumartige Erikaceen (Arbutus) mit rötlichen Stämmen und weissen und 
rosa Blüten zwischen dem dunklen Laube, und Lebensbäume. Alle 
Kronen hängen voll mit Tillandsien, Orchideen und anderm blühenden 
Zeug in bunten Farben und sonderbaren Formen. Ja freilich, diesen Wald 
kann man in Europa nirgends finden. 

In diesem Landstriche, der so lange schon eine Lockung für uns 
war, reiten wir nun seit acht Tagen umher, Altertümer und Pflanzen 
sammelnd, begleitet von einer wunderschönen schwarzen Hündin, deren 
Freundschaft wir uns in EI Parian in so hohem Grade erwarben, dass sie, 
als wir in aller Morgenfrühe abritten, mit uns lief und uns nicht wieder 
verlassen hat. Nachts liegt sie vor unserer Lagerstatt und am Tage als 
Hüter vor unsern Sachen. Wenn wir nach El Parian zurückkehren, wird 
der Trennungsschmerz beiderseits nicht gering sein. 

Es war noch dunkel, als wir von El Parian aufbrachen und auch in 
dieser tiefen heissen Schlucht frisch und kühl; über der dunklen Wand 


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TAFEL IX 



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Luis Kamircz und die Pferde 



der Canada leuchtete der Morgenstern gross und schön und unsere Gäule 
gingen munter vorwärts. Hin Stückchen abwärts im Geröll des Fluss- 
bettes, dann in eine Seitenschlucht hinein und auf gutem Wege in halber 
Höhe entlang; durch eine andere Schlucht und drüben in die Höhe. 
Ein kleiner Vorsprung schob sich vor, auf dem ein Rancho lag; dann im 
Zickzack weiter hinan über einen Bergrücken mit Cazahuatcs, Akazien und 



<I«*l»ircrswcir in «l«*r Mixtrca alta 


einem Baume bestanden, dessen gelappte Fiederblätter schirmförmige Kronen 
bilden. Lauter Kalkfels. Von einem schmalen Sattel bot sich ein schöner 
Blick auf eine weite Gebirgswelt und in die Schlucht, aus der soeben der 
Pfiff der Lokomotive ertönte. — Die Eisenbahn scheint mir in diesen 
Gegenden immer wie ein Anachronismus, wie etwas, das ohne Berechtigung 
in eine stille Welt dringt und deren Ruhe brutal und gewaltsam stört. 
Sie bringt Bedürfnisse ins Land, die man bisher nicht kannte; sie bringt 
die ganze, allermodernste Kultur. Aber ob das ein Glück bedeutet? 


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Der Weg zog sich weiter durch Wald, allmählich ward es ebener 
und kahler; endlich waren wir auf der Hochebene: frisch gepflügtes, aber 
steiniges Feld, eine Schar langsam dahinwandelnder Rinder; vor uns 
die ersten Hütten von Cuauhtlilla. Der erste Ort der Mixtcca war 
erreicht. Wir hielten kurze Rast und setzten dann unsern Weg nach 
Nochistlan fort. Er führte durch wechselnde Landschaften: kahles Kalk- 
gestein, Felder, vereinzelte Ranchos, mit blühenden Büschen und Stau- 
den bewachsene Hügel, schönen lichten Wald; an der hohen weissen 
Kirche von S. Pedro Adeque vorbei, die schon gestern von ferne zu 
uns herübergeleuchtet hatte, und neben der die strohgedeckten Häuser 
wie Sandkörner sich ausnahmen, über eine mit spärlichem Buschwerk- 
bestandene Hügelkette, an deren Fuss die beiden Nachbardörfer S. Miguel 
und S. Pedro Quilitongo sich lehnten, zu einer Höhe, die mit einem 
Kreuz bezeichnet war und von der wir unser nächstes Ziel — die Distrikts- 
hauptstadt Nochistlan — vor uns liegen sahen. 

Nochistlan sieht gerade so aus wie die 
meisten mexikanischen Städte: die eben- 
erdigen, flach gedeckten Häuser schachbrett- 
artig angeordnet, an der weiten, mit Ar- 
kaden umgebenen Plaza eine grosse Kirche 
mit hellblau und rot angemalter Kuppel. 
Es ist ein lebhafter Ort, da hier die ver- 
schiedenen Strassen der Mixteca sich treffen. 
Die Karawanen erreichen von hier in einem 
Tage die Eisenbahn in El Parian, oder ziehen über Las Sedas weiter ins 
Zapotekenland hinein. Fortwährend waren wir auf dem Wege von 
El Parian herauf langen Lasttierzügen begegnet. Wir fanden in dem 
grossen reinlichen Meson de la Soledad des Don Luis Fernandez gute 
Unterkunft und Nahrung für Mensch und Vieh, oder wie hier die stehende 
Redensart heisst: >para cristianos y bestias*. Die gutmütige indianische 
Köchin kochte sogar regelmässig einen Brei von Abfällen für unsere schwarze 
Hündin Estacion. Wir blieben zwei volle Tage in Nochistlan, da sich die 
Ernte an allerlei Kleinkram von Altertümern, die im Lande überall kurzweg 
als «trastos- bezeichnet werden, reich genug gestaltete. Trasto ist das 
spanische Wort für alten Hausrat, altes Gerümpel. Als »trastos de los 
antiguos« wird daher alles verstanden — Steine, Gefässscherben, Spinn- 
wirtel, Obsidianmesser, Steinperlen, kleine Figürchen — , was von den 
Alten stammt. — Der Handel mit den Leuten, die uns Sachen brachten, 
liess sich meist heiter an. 

Am ersten Tage gingen wir früh die Hügel hinan, auf denen in 
alter Zeit das grosse Indianerdori lag. bis die Mönche die Bewohner veran- 
lassten, ins Thal hinunter zu ziehen. Der alte Ort muss gross gewesen sein. 



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denn die ganze Reihe niedriger Hügel, die die Stadt im Nordwesten wallartig 
umziehen, ist an Scherben, Obsidianmessern, kleinen Krügchen — deren 
es hier in der ganzen Gegend überall eine unbegreifliche Menge giebt — 
sehr reich. Aber kein Monument, keine Steinwand, keine Pyramide ragt 
dort auf. Ob der kleine, aus Erdreich und Steinen bestehende Hügel 
am östlichen Ende des Walles von Menschenhand aufgeschüttet war, blieb 
unentschieden. Ausgrabungen, teils von ungefähr, teils mit Vorbedacht 
unternommen, haben Gräber aufgedeckt, aus denen eine Anzahl prächtig 
bemalter feiner Thongefasse ans Licht gezogen wurden, in Stil und Mache 
den schönen bunten Cholula-Gefässen ähnlich und von den bekannten 
zapotekischen Grabgefässen vollständig abweichend. 



Bunte Cie füg sc aus Xochistlan 


An den Jefe politico, den Landrat, hatten wir zwar Briefe abzu- 
geben, aber er war beschäftigt und machte auch kaum den Eindruck 
eines Mannes, der uns behilflich sein könne. Dagegen fanden wir sehr 
wirksame Unterstützung bei dem freundlichen und verständigen Regidor, 
d. i. Gemeindevertreter, Don Timon, der mit uns gemeinsam den ganzen 
Barrio Chocan, den am Russe des Hügels gelegenen Ausscnstadtteil, nach 
Altertümern absuchtc. Es war wie gewöhnlich: auf die erste Frage nach 
Altertümern zuerst ein verwundertes Kopfschütteln, dann die stehende 
Antwort: so was haben wir nicht. Auf wiederholte, dringendere Nach- 
frage: ja, dergleichen finden wir wohl, aber die Kinder spielen damit, 
werfen es fort, zerbrechen es. Darauf besinnt sich irgend ein Familien 
mitglied, dass in dieser oder jener Ecke noch dies und jenes liegen 
müsse; schliesslich kommt einiges zum Vorschein, man erwirbt es für 
wenige Centavos und erlangt das Versprechen: wir werden suchen und es 


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Am dritten Tage brachen wir auf, um nach Yanhuitlan zu gehen. 
Ein freundlicher NochUteke, Don Antonio Alejandrez, hatte uns dorthin 


bringen. Das ist mit geringen Variationen der Verlauf in allen Hütten. 
Es gehört schon ein wenig Uebung und Geduld zu diesem Geschäft. 
Aber die Leute hielten Wort, und an diesem Abend und dem folgenden 
Tage war unser Zimmer belagert von Frauen, Männern, Kindern, die 
Sachen brachten, gute und schlechte, ganze und zerbrochene, feine und 
grobe. Von den schon erwähnten schön bemalten Prunkgefassen wurde 
nichts gebracht, sie sind selten, und für so ein Prachtstück giebt es immer 
Liebhaber in Oaxaca. In dem Hause des Dr. Sologurcn in Oaxaca hatten 
wir eine herrliche Sammlung solcher Gefasse und anderer derartiger Kostbar- 
keiten bewundern können, die ihm zum Teil von dankbaren Patienten 
verehrt worden sind. Eines dieser Gefässe, Metallschmuck und einige 
andere interessante Stücke konnten wir vom Pfarrer des Ortes erwerben. 

Und auch dem Don Jose 
Casas, dem Sekretär des 
Jefe politico, kauften wir 
eine ganze Anzahl ein- 
facher Schalen und Krü- 
ge und ein merkwürdi- 
ges Schmuckstück aus 
Kupfer ab. Kurz und 
gut, wir hatten eine ganz 
stattliche kleine Samm- 
lung zusammengebracht, 
die noch durch die ganz 
ungewöhnliche Höflich- 
keit eines Amerikaners 
vermehrt wurde. Wir 
Bunte Schale von N'ochistlan hatten ihn in seinem 

kleinen Laden, in dem 

er ein Wechsel- und Agentur- Geschäft betrieb, aufgesucht, um ihm 
einige Stücke, die er besass, abzukaufen, was er ablchnte mit der He- 
grundung, er gedächte die Sachen einem Freunde in l’uebla zu schenken, 
der sich für dergleichen interessiere. Einige Stunden später schickte er 
eine Anzahl Stücke ins Gasthaus mit einem höflichen Hricf, worin er mich 
ersuchte, sie als ein Geschenk anzunehmen, als eine Art Huldigung für 
eine deutsche Dame, die eine solche Reise im Interesse der Wissenschaft 
unternähme; augenscheinlich hatte er dergleichen bisher nur seinen Lands- 
männinnen zugetraut. 


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TAFEL X 




Nochistlan 


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einen Briel mitgegeben und uns zugleich geraten, den kleinen Umweg über 
Tillo nicht zu scheuen, wo wir gewiss manches finden würden. — Der Weg 
dorthin ist der »Camino real», d. h. die grosse Strasse, die ihrem stolzen 
Namen in den seltensten Fallen Ehre macht. Sie umzieht in der jetzigen 
Jahreszeit den Südwestfuss der Hügel des alten Ortes, ln der Regenzeit 
ist der feste rötliche Thon dieser Hügelränder derart aufgeweicht, dass 
die Reisenden dann einen weiten Umweg durch die Ebene zur Linken 
machen müssen. Auf einem schon von weitem sichtbaren isolierten Hügel 
erhebt sich der Grenzstein der Gemarkungen Nochistlan und Silacastla, 



dessen zerstreute Hütten auf einem kahlen Kalksteinrücken vor uns liegen, 
wiederum überragt von einer hohen, weiss getünchten Kirche. Der Ort hat, 
wie viele der auf den Höhen gelegenen Orte der Mixteca, kein Wasser. 
Hart an der Strasse, am Kusse des Hügels liegt sein einziger Brunnen. 
Durch ein von Schluchten zerfressenes Gelände steigt man in ein schönes, 
weites Thal hinab, das von hohen bewaldeten Ketten begrenzt wird. 
Vor uns liegt S. Jago Tillo, am andern Ende des Thaies wird das hohe 
Kirchenschiff von Yanhuitlan sichtbar. 

Tillo muss in alter Zeit Bedeutung gehabt haben; der Hügel, der es 
überragt, ist von Menschenhand erhöht und einige Pyramiden auf ihm 


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deutlich erkennbar. Man erzählte uns, dass frühere Ausgrabungen einen 
unterirdischen Raum aufgedeckt hätten, aus dem man neben andern Dingen 
skulpierte Kalksteinplatten hervorgezogen habe. Sie sollen nach Mexiko 
oder Oaxaca geschickt worden sein. Genaues über ihren Verbleib war , 

leider nicht zu ermitteln, aber im Gehöfte des D. Antonio Viascan waren 
noch einige Bruchstücke zu sehen, auf denen wir eine Adlerklaue, die ein 
Steinmesser hielt, und ein Stück eines Vogelschwanzes erkennen konnten. 

Vielleicht waren hier die Gräber alter heimischer Könige. — Wir waren 
wohl beraten, als man uns nach Tillo wies: zwei Alabastergefässe, einige 
schöne Grünstein-Sachen, ein merkwürdig geformtes Thongefäss und eine 
ganze Anzahl Kleinigkeiten bildeten einen willkommenen Zuwachs unserer 
Sammlung. 

Am Nachmittag verliessen wir den Ort mit seinen strohgedeckten, 
von Pfeflerbäumen beschatteten Hütten, die von einer gelben Flachsseide 
— - Zacatlaxcalli, Grasfladen — dicht übersponnen waren, und zogen tlial- 
aufwärts nach Yanhuitlan. Der Himmel war blau und die Sonne brannte 
heiss, aber die grünen Saaten von Weizen und Gerste, das rote thonige 
Erdreich und die Waldberge darüber gemahnten uns wieder an einen 
Sommertag im deutschen Mittelgebirge. Die alte, stattliche, aber Hünen- 
hafte Kirche — eine Berühmtheit und ein Stolz der Mixteca — beherrscht 
das ganze Thal. Sie ist ein deutlicher Beweis von der ehemaligen Be- 
deutung des Ortes. Hier war der Mittelpunkt eines reichen, dicht bevölkerten « 

Gebietes: 12000 indianische Familien sollen zur Zeit der Conquista hier 
gelebt haben; vermutlich nicht in einer geschlossenen Ortschaft, sondern 
— wie das auch heute noch vielfach bei den Indianern Sitte ist — in 
verstreuten Ranchos. Denn Spuren einer alten Niederlassung — eines 
Pueblo viejo — sind nirgends in der Nähe. Dagegen bekamen wir auf 
die Frage, wo dies oder jenes Stück gefunden sei, stets die Antwort: 

»dort drüben in den Bergen«, und dazu die übliche unbestimmte Hand- 
bewegung, die einen zur Verzweiflung bringen kann, wenn sie eine Weg- 
angabe begleitet, da sie stets ungefähr den ganzen Gesichtskreis umfasst. 

* * 

• 

Das Thal von Yanhuitlan war eine Encomienda, d. h. es war mitsamt 
seinen Einwohnern einem Spanier geschenkt worden. Etwa ein halbes 
Jahrhundert nach der Eroberung des Landes war Don Francisco de las 
Casas, Caballero de Trujillo, ein Verwandter des Marques del Valle. ( 

Encomcndero des Thaies von Yanhuitlan geworden, das seiner Frucht- 
barkeit, seines herrlichen Klimas, seines Wasserreichtums wegen von 
den Zeitgenossen nicht weniger gepriesen wird, als die Gewandtheit, Ge 
Schicklichkeit, die Wohlhabenheit und der gute Charakter seiner Bewohner. 


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Als Don Francisco nach seinem neuen Besitze kam, schien es ihm un- 
würdig eines so grossen und reichen Ortes, dass ihm eine enge Hütte 
als Kirche diene, und unwürdig der Dominikanermönche, die das Land 
christianisierten, in einer ärmlichen Rancherie zu leben. Er beschloss, 
ein Kloster zu bauen und einen prächtigen Tempel. Baumeister und 
Werkleute verschrieb er aus Spanien, und man schickte ihm von denen, 
die beim Escurial gearbeitet hatten. Sechstausend arme Indianer wurden 
zur Arbeit gepresst, die in wechselnden Schichten von je 600 die Steine 



Kirchenportal von Yanhuitlnn 


vom Bruch zur Baustelle schleppen mussten. Der Grundstein wurde mit 
grosser Feierlichkeit und Pracht gelegt, und da Don Francisco aus 
diesem Leben abberufen wurde, ehe er sein gottgefälliges Werk vollendet, 
führte sein Sohn Gonzales es zu Ende. Zur Ausmalung des Innern kam 
ein Maler aus dem Mutterlande herüber, der als der »Apeles de esta 
Nueva Espana« gerühmt wird, Andres de Concha mit Namen. Fray 
Francisco de Burgoa rühmt am Ende des 18. Jahrhunderts noch die un- 
verminderte Pracht und Schönheit des Gotteshauses. Erdbeben und die 
zunehmende Verarmung und damit verbundene Vernachlässigung haben 
den heutigen Stand der Zerstörung zuwege gebracht. 

* * 

* 


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Heute sind Kirche, Kloster und Ort Ruinen. Nur am Hauptplatz 
finden sich einige gut gehaltene Häuser und die üblichen Kramläden — 
die Tiendas — weiter hinaus Verfall und Armut; auch auf dem Markte 
kamen nur die notwendigsten Lebensmittel zum Verkauf. 

Im Hause des Don Augostin Sanchez fanden wir gute und billige 
Unterkunft, und da wir am Abend noch fleissig Umfrage gehalten hatten, 
entwickelte sich am nächsten Tage ein schwunghafter Antiquitätcnhandel. 
Unser Zimmer war von früh bis spät umlagert, so dass wir zeitweise 
genötigt waren, die Thür zu schliessen. Die Leute unterhielten sich 



Im Hause des Don Augostin Sanchez 


köstlich, und wir konnten die Uebcrzcugung mit uns nehmen, ihnen einen 
ungewöhnlich vergnügten Tag bereitet zu haben. Die Verhandlungen 
wurden unter guten und schlechten Scherzen und Ischen geführt, und 
manche von den Leuten bewiesen ein unleugbares Handelstalent. Wir 
machten unsere Preise, und wenn auch manchmal ganz unvernünftige 
Forderungen gestellt wurden, so wurden wir schliesslich immer handels- 
einig, mussten freilich auch allen Schund nehmen. Aber es waren gute 
Sachen darunter und ganz auffallend die Menge der aus mehr oder weniger 
kostbarem Stein geschnittenen kleinen Figürchen, die, zu Halsketten auf- 
gereiht, augenscheinlich ein beliebtes und geschätztes Schmuckstück der 


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Alten bildeten. Hier erwarben wir auch eine wundervolle Tlaloc-Maske 
von grünem, schön glänzendem Stein, der leider ein kleines Stückchen 
Nase fehlt. 

Bezeichnend für die Art, in der die Leute hier Handelsgeschäfte 
auffassen, ist folgendes Gespräch, das ich mit einer Frau in Tillo führte. 
Sie fragte mich: »Was hat Don Sisto für die beiden Gefasse gefordert?« 
»Zehn Pesos.« »Was haben Sie ihm gegeben?« »Sechs Pesos.« »Und 
was sind sie wert?!« 

* » 

* 

Alle Strassen, die von Yanhuitlan aus weiter führen, 
ziehen über den Berg: nordöstlich nach S. Bartolo und 
Chachuapam; nordwestlich nach Tamazulapam ; südwestlich 
nach Teposcolula. Dies war unser Weg. Bald nachdem 
wir den Ort verlassen, begannen wir den von Schluchten 
arg zerrissenen Fuss des Gebirges zu erklimmen. Als die 
erste Stufe erreicht war, hob sich ein aus grünfarbigem 
Gestein bestehender Hang scharf von der hellroten und 
weissen Farbe des übrigen Gesteins ab. Von hier ging 
es in halber Höhe in lichtem Bergwald weiter. In dem 
klaren Bergwasser, das unter dem Schatten der Bäume 
munter dahinfloss, tränkten wir unsere Pferde. Noch floss 
der Bach dem Rio verde zu, der die gesamten Bäche der 
südlichen und östlichen Mixteca und des Valle de Oaxaca 
sammelt. Zwischen Wald und Feld ging es dahin, in eine 
bewaldete Schlucht, in ein offenes Thal. Wir hatten eine 
Wasserscheide überschritten, denn hier hat der Bach einen 
westlichen Lauf; er gehört zum Stromgebiet des Rio 
Mixteco, der, mit dem Atoyac von Puebla vereinigt, seine IMscaäor 
Wasser dem grossen Rio de las Balsas zuführt. Der Wald 
tritt zurück; drüben auf kahlem Hang liegen die zerstreuten Häuser von 
S. Juan; hinter uns werden die bewaldeten Kamme der hohen Sierra sichtbar, 
die die Thälcr von Nochistlan und Yanhuitlan von dem Gebiet von 
Teposcolula trennt, und die wir eben überschritten haben. Jetzt breiten 
sich überall Maisfelder, wo man gerade mit der Ernte, »pisca«, beschäftigt 
ist. Das einfache und praktische Werkzeug, das dazu benutzt wird, der 
»piscador«, ist eine Art Messer aus Knochen oder Hirschhorn, dessen 
Spitze und Schneide gerundet und bei dem von uns erstandenen Exemplar 
durch den Gebrauch blank poliert sind. Mit einem kleinen Riemen wird 
dieses Werkzeug an den beiden letzten Fingern der rechten Hand befestigt, 
die den Kolben umhüllenden Scheideblätter werden oben aufgeschnitten, 
die freien Finger der Rechten fassen den Kolben und brechen ihn heraus. 



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Einen fernen Hügel am Ende des freundlichen, bewässerten Thaies 
bezeichnete unser Mozo, der hier heimisch ist, als Pueblo viejo von 
Teposcolula. Es war noch eine gute Strecke Wegs, den Bach entlang 
und über felsige Hügel, die mit ihrem Gewirr von zerfressenen Kalkstein- 
blöcken, dem roten, verwitterten Erdreich dazwischen und ihrer niedrigen 
Gestrüppvegetation lebhaft an den europäischen Karst erinnern, bis wir 
dem Hügel der alten Niederlassung uns gegenüber befanden. Ein steiler 
Abstieg über Steine und Geröll brachte uns auf den Boden des Thaies, 
in dem der direkte Weg von Tillo über Tliltepcc herüberkommt. Noch 
aber war von dem heutigen Teposcolula nichts zu sehen, das die Mönche 
an der gegenüberliegenden Seite des Thaies neu gegründet hatten, erst 
als wir um einen Hügelvorsprung bogen, lagen Häuser und Kirche 
unmittelbar vor uns. 

In dem an der Plaza gelegenen Hause des Don Abram Castillo y 
Caramillo fanden wir sehr freundliche Aufnahme. Es ist eine Verkaufstelle 
des Zuckerbranntweins, der in der Hacienda de la Concepcion (im Distrikt 
Tlaxiaco, am Kusse der Cuesta de Chicahuastla gelegen) hergestellt 
wird, und Konsul Stein hatte uns aufs angelegentlichste empfohlen. Wir 
fanden aber nicht nur gute Aufnahme, sondern auch eine liebenswürdige 
und angenehme Familie. 

Der Ort ist nicht gross, aber ordentlich und sauber. Der geräumige 
Hauptplatz liegt noch im Thal, die Häuser ziehen sich am Hang in die 
Höhe. Auch hier ein grosses Kloster, das auf eine ehemals dichte 
Bevölkerung, und eine mit reizender Steinmetzarbeit gezierte Kapellen- 
ruine, die auf Wohlhabenheit schliessen lässt. Erdbeben haben leider das 
schöne Gewölbe zerstört. Eine spätere Zeit hat eine plumpe, weiss 
getünchte Kirche daneben gesetzt, von deren Dach sich eine schöne 
Aussicht und eine gute Orientierung über die Lage des alten und des 
neuen Teposcolula gewinnen liess. Von einer besseren früheren Zeit 
zeugen auch die Reste gepflasterter Strassen, die von der Stadt aus am 
Kusse der Höhen entlang ziehen. Sonst giebt es nichts bemerkenswertes. 
Die Häuser in den Aussenstrassen sind auch hier einfache »Jacales«: ein 
auf vier Pfosten ruhendes Dach, die Wände aus Reisern und Stangen- 
holz an Querhölzer gebunden. Die einfache Hausform, die wohl schon 
in den alten Zeiten die allgemein übliche war. Als Dachbekleidung 
fanden wir hier vielfach Ocote- (Kiefer-)Zweige verwendet. Die hellbraun- 
rote Karbe der welken Nadeln gab den Dächern von weitem das Ansehen 
von Ziegeldächern. 

An einigen Häusern fanden wir das altindianische Schwitzbad, den 
Temazcal. Es ist das eine Art Backofen aus Adobe aufgemauert, der an 
die eine Wand der Hütte stösst. Mit deren Innern steht er durch ein 
enges Loch in Verbindung, das gerade gross genug ist, um einen Menschen 


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TAFEL XI 



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Kloster-Ruine in Teposcolula 



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hindurch schlupfen zu lassen. Die im Temazcal ausgesparte Feuerstelle 
hat ihre Oeflhung ebenfalls nach der Hütte gekehrt. Hier wird nun ein 
offenes Feuer gemacht oder Glut vom Herdfeuer hineingebracht. Nachdem 
man noch Schalen mit Wasser hineingestellt hat, kriecht der Mensch in 
den Backofen und die Oeffnung wird hinter ihm mit Steinen oder Ziegeln 
geschlossen. Er benutzt das Wasser entweder zum Abspülen des schwitzenden 
Körpers oder erzeugt ein Dampfbad, indem er es auf die heissen Steine 
giesst. Von dieser Art zu baden erzählen uns schon die alten Schrift- 



Gehöft in V a n h u i 1 1 a n 


steiler. Sie wird nicht nur zur Reinigung benutzt, sondern vorwiegend 
als Heilmittel — und wahrscheinlich mit Erfolg — bei den verschiedensten 
Krankheiten. In alter Zeit gingen die Frauen vor der Niederkunft in den 
Temazcal, wodurch diese erleichtert werden sollte. Im alten Mexiko 
war vor den Schwitzbädern, die gegen Entgelt zur öffentlichen Benutzung 
gehalten wurden, das Bild der F-rdgöttin, Toci, der Mutter aller Götter, 
der Beschützerin der Weiblichkeit, aufgestellt Daher einer ihrer vielen 
Namen: «Temazcalteci«, Grossmutter der Schwitzbäder. 

Das I’ueblo viejo des Ortes, dessen mixtekischer Name Yucundaa, 
«Bergarm«, lautet, wahrend der mexikanische Name Teposcolula »am Ort 

Sclcr, Alte Weife. , 4 

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des gekrümmten Beiles« heisst, liegt auf einem Berge, der nach drei 
Seiten ziemlich steil abfallt und nur durch einen schmalen Kücken mit den 
dahinter liegenden Bergketten zusammenhängt. Ost- und Nordfuss des 
Berges bespült ein Bach, der die von der hohen östlichen Kette hernieder- 
rinnenden Wasser sammelt. Er durchströmt einen schönen, von Höhen 
umsetzten, kreisförmigen Thalboden, der durch eine enge Schlucht mit 
andern, schmäleren, kultivierten Thälern zusammenhängt. Der Ort war 
für eine Ansiedlung sehr gut gewählt: der breite Rücken des Berges, das 
Thal und die angrenzenden Höhen boten Platz für ausgedehnte Kulturen, 
die von hier aus beherrscht werden konnten. An Wasser ist kein Mangel, 
da ausser dem Bache am Abhang des Berges verschiedene Quellen 
sprudeln. An einer Stelle wurden uns drei dicht bei einander gezeigt, 
deren Wässer verschiedenen Geschmackes sind. 

Der Jefe politico und der Presidente municipal — sagen wir Eandrat 
und Bürgermeister — hatten uns schon am Abend unserer Ankunft ihre Auf- 
wartung gemacht, sich entschuldigt, dass sic am 
nächsten Morgen nicht mit uns reiten könnten, das alte 
Pueblo zu besichtigen, und einige andere Bürger mit 
ihrer Vertretung beauftragt. Da unser freundlicher Wirt 
leider von heftigem Reissen geplagt zu Bette lag, 
konnte er sich unserer Expedition nicht anschliessen. 
— Um den kurzen, für die Pferde zu steilen Aufstieg 
zu vermeiden, zogen wir um den schön bewaldeten 
Hügel herum und begannen ihn auf der Südseite zu er- 
klimmen. Hier ist der Hang terrassiert, um für die Mais- 
felder Halt zu gewinnen. So mussten wir immer die 
steilen, schrägen Terrassenwändc hinauf: eine harte Arbeit für die Pferde, 
so dass wir schliesslich lieber zu Fuss hinaufgingen. Wir fanden oben 
ausgedehnte Anlagen und beträchtliche Mauerreste, aber so zerstört und 
durcheinander geworfen, dass es nicht gelang, sich ein Bild von dem 
Plane derselben zu machen. Ueberall zwischen den Mauerresten waren 
Felder angelegt und der Boden cingeebnet, Mauerwerk niedergerissen und 
Schutthaufen aufgeschüttet, auf denen Mais und Weizen wuchs. An einer 
Stelle fanden wir noch die vier Umfassungsmauern eines Hauses. Sie 
waren von dem massiven Kalkstein des Berges — Adique genannt 
solide aufgemauert. Das Innere war durch eine Wand in einen schmalen 
und einen breiten Raum geteilt. Von einer ganzen Anzahl paralleler 
Räume fanden sich nur noch die Fundamente. Von Scherben, Steinmessern 
u. dergl. war nichts zu finden als ein paar sehr grobe Topfscherben. Wohl 
aber stossen die Leute beim Ackern mitunter auf unterirdische, mit Steinen 
verschlossene Räume, die man uns als viereckig und in den Fels gehauen 
schilderte; Grabkammern, in denen man neben dem hockenden Toten 



H i t* r o £ I y |» h e 
Teposcolulu 


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TAFEI. XII 



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Beigaben gefunden hat. Aehnüche Kammern sollen auch auf den Bergen 
oberhalb der heutigen Stadt gefunden werden. Von den Bunden selbst 
war nichts mehr vorhanden; verkauft, meist aber achtlos beiseite geworfen. 
Nur das ungefüge Steinbild eines Tlaloc (Regengottes), das man uns 
brachte, stammte angeblich von einem solchen. 

* Jft 

* 



Markt in Ynnhuitlan 


7. Dezember 1895. 

Mixtlan, Wolkenland, nannten die alten Mexikaner das Bergland, das 
sich vom Hochthal von Puebla nach der Küste des Stillen Ozeans hin- 
zicht. Und keinen treffenderen Namen wüsste ich für diesen Landstrich 
zu finden. Fast jeden Nachmittag bedeckt sich der Himmel mit Gewölk, 
das sich am Abend zu dichten und drohenden Massen zusammenballt, 
von prächtigen, schier unheimlichen Farben durchglüht. 

Als wir nach herzlichem Abschied von der gastfreundlichen Familie 
Castillo in Teposcolula aufbrachen, war der Himmel grau, und ein leichter 
feiner Sprühregen versprach einen staubfreien Reisetag. Wir hatten bis 
Tlaxiaco eine Entfernung von ungefähr 10 Leguas (1 Legua etwa 5 km) 
zurückzulegen, eine normale Tagereise. Aber wir reiten nicht flott vor- 


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wärts, da wir Pflanzen sammeln, die Dörfer nicht passieren, ohne nach 
Altertümern zu fragen, ja absteigen, um die Pflanzen einzulegen und auch 
mal ein Stückchen gehen. Wir durchritten einige Dörfer: Tizä, S. Felipe, 
Yolomccal, S. Martin, das zwischen Kaktushügeln liegt. Hier machten 
wir kurze Mittagsrast. Mit Mühe konnten wir ein paar Eier, schwarze 
Bohnen und Tortillas auftreiben und für die Gäule ein wenig Mais. — War 
bisher der Weg kahl und sonnig gewesen — es hatte sich gegen Mittag auf- 
geklärt — , so kamen wir jetzt in eine romantische, bewaldete Gebirgs- 
gegend. Aber wieder zogen sich dichte Wolken zusammen, in den Bergen 
zu unserer Rechten regnete es stark, und auch wir kamen nicht ohne einen 
warmen Regenschauer davon. Als es sich zu dunkeln anschickte, ritten 
wir gerade in eine prachtvolle Waldschlucht hinein, so dass uns bald 
Nacht umflng. Aus dem Walde hervor blinkten die Feuer einsamer 
Ranchos, rechts neben uns erhob sich eine bewaldete Berglehne, links hörten 
wir ein Wässerlein rauschen. Als wir endlich aus der Schlucht heraus 
waren, hatten wir einen breiten Weg unter uns, in 
den Wolkenlücken blinkten ein paar verlorene Sterne, 
vor uns, in der Richtung, wo unser Ziel lag, erhob 
sich eine di.cke Wolkenwand, in der es fortwährend 
blitzte, lauter Feuer schien der Himmel dort, und 
von Zeit zu Zeit hörte man fernen Donner rollen. 
Tlaxiaco: der Ballspiel -Platz des Regengottes! 
Wieder einmal eine Illustration zu dem alten Namen. 
Fän F'lüsschen war noch zu durchreiten, ein Hügel- 
rücken zu überschreiten, und wir fühlten das Pflaster 
einer der vielen, zerstreut um Tlaxiaco herumliegenden Vorstädte unter uns. 
Rechts und links, aus Schluchten und Höhen blitzten Lichter auf, und 
nach wenigen Minuten war die Stadt erreicht. 

Das grosse und stattliche Haus, in dem wir erwartet wurden, gehört 
— ähnlich wie das des Don Abram in Teposcolula — zur Hacienda de 
la Concepcion, die von hier nur fünfzehn Leguas entfernt ist. Der junge 
Verwalter des Hauses, Don Ranulfo Bravo, war erst seit wenigen Wochen 
verheiratet, daher wohl die für ein mexikanisches Provinzhaus merkwürdig 
reichliche Einrichtung. In der Sala — dem Fimpfangszimmer — prangten 
neben den üblichen Wiener Möbeln, die in kanonischer Ordnung standen, 
ein paar sehr elegante Lampen, einige Gestelle mit allen möglichen Nippes 
besetzt. Obgleich genug andere Räume vorhanden sind, hat man uns das 
eheliche Schlafgemach mit zwei sehr guten amerikanischen Betten und 
einem üppigen Toilettentisch eingeräumt. Das ist nun einmal Sitte, wenn 
gut empfohlene F'remde kommen; da nützt kein Widerspruch. 

Tlaxiaco ist der grösste, lebhafteste Ort der Mixteca. Wir hatten 
das Glück, gerade einen Markttag zu treffen, und das bunte Gewimmel 



5 * 


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TAFEL Xfll 



Im Pueblo viejo von Teposcolula 



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fesselte mich derart, dass ich meinen Mann allein nach einer benachbarten 
Höhle reiten Hess, hinter deren fest vermauerter Oeffnung die Fantasie 
Königsgräber und Schätze vermuten darf. Von allen Dörfern und Höfen 
strömt es herein, grösstenteils Indianer, die die Erträgnisse ihres Bodens: 
Mais, schwarze Bohnen, spanischen Pfeffer, allerhand Gemüse; und die Er- 
zeugnisse ihrer Hände: Körbe, Matten u. a. zu Markte bringen und die 
Gelegenheit benutzen, ihre geringen Bedürfnisse an Handwerkszeug, Salz und 
was sie eben nicht selbst verfertigen, in den Tiendas der Stadt einzukaufen. 
Die Männer bieten nichts besonderes, unter den Weibern aber — zumal 
den alten — sind prachtvolle Charakterköpfe. Es war leider nicht möglich, 
sie auf die fotografische Platte zu bannen. Die Scheu und das Misstrauen 
vor dem Apparat sind zu gross. Nur vom flachen Dache des Hauses 
aus gelang es mir, eine Aufnahme von dem bunten Gewühle zu erhaschen. 
Uebrigens verstanden die meisten kein Wort spanisch. 

Der Jefe politico war ein gebildeter Mann und machte einen 
energischen und intelligenten Eindruck. Don Porfirio ist bemüht, im ganzen 
Lande diese wichtigen und einflussreichen Stellen allmählich mit ordent- 
lichen Leuten zu besetzen. Und es kann nur anerkannt werden, was auf 
diesen Posten geleistet wird. Dass treilich, um Ordnung zu schaffen und 
zu erhalten, manche Ungesetzlichkeit mit unterläuft, wird man beklagen, 
darf sich aber unter den obwaltenden Verhältnissen nicht allzu sehr darüber 
wundern. Es mag keine Kleinigkeit sein, einen Bezirk, in dem die 
indianische Bevölkerung überall in einzelnen im Walde liegenden Ranchos 
und in verstreuten Dörfern wohnt und nur zum kleinsten Teile spanisch 
spricht, in leidlicher Ordnung zu halten. Aus unserm Gespräch, dem wir 
manchen nützlichen Fingerzeig verdanken, will ich eines anführen, was 
uns Senor Cordoba erzählte. Vor einiger Zeit habe er mit Mühe und 
Kosten Ausgrabungen in der Nähe von Etla veranstaltet und eine ganze 
Anzahl guter und wertvoller Stücke an das Museum von Oaxaca geschickt, 
auch von dort eine Empfangsbescheinigung erhalten. Als er wenige 
Monate später das Museum besucht habe, sei nicht ein einziges der Stücke 
dort gewesen! Solche Fälle stehen nicht vereinzelt da. Als wir nach 
Tapana kamen, erzählte uns unsere freundliche Wirtin, dass sie Altertümer 
sammle, um sie dem Museum in Oaxaca zu schenken. Sie beschrieb uns 
ein Prachtstück, das sie vor einiger Zeit dorthin gesandt hatte; und dieses 
hervorragende Stück hatten wir in Privatbesitz gefunden und erworben! 
Kann man es unter solchen Umstanden den Leuten verdenken, wenn sie 
ohne Skrupel dem Fremden Altertümer verkaufen, die Beamten selbst 
zur Erwerbung behilflich sind, und sich niemand an ein Ausfuhrverbot 
kehrt, mit Ausnahme der Zollbeamten, die Vorteil davon haben ? Kann 
man sich wundern, dass die Sammlungen nicht wachsen, sondern seit 
Jahren auf demselben Punkte stehen bleiben? 


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Unsere Sammlung hat sich hier nicht sehr vergrössert; ein kleines 
Goldfigürchen konnte erworben werden und einige hübsche Ver- 
steinerungen. 

* * 

* 

S. Miguel Achiutla, 9. Dezember 1895. 

Wir hatten früh von Tlaxiaco aufbrechen wollen, aber wieder einmal 
nicht damit gerechnet, dass alle Mexikaner Langschläfer sind. So waren 
wir längst marschfertig, ehe sich jemand blicken Hess, und schliesslich 
musste sogar noch der Führer geholt werden, den uns der Jefe schickte, 
denn wir wollten nun nicht weiter dem Camino real folgen, der zur Küste 
hinunter zieht, sondern östlich in die Sierra hinein, nach Achiutla, an das 
sich die Sage von einem alten Idol knüpft — einem mächtigen Smaragden, 
das Herz der Welt genannt. Auch von Opfern und Festen wird erzählt, 
die hier gefeiert wurden, ja das ganze Kulturleben der Mixteca soll hier 
seinen Brennpunkt gehabt haben. Von alledem ist nichts mehr vorhanden, 
kaum Ruinen, nur ein Hügel wird als Pueblo 
viejo bezeichnet, auf dem kümmerliche Ueber- 
bleibsel alter Steinsetzungen zu sehen sind, und 
an dessen Abhang die zerfallenden Reste einer 
Kirche sich befinden, allerdings ein sicheres 
Zeichen dafür, dass dies die Stätte des alten 
Tempels ist Denn die christianisierenden 
Mönche folgten überall dem klugen Grundsatz, 
die neue Kultus-Stätte auf den Trümmern der alten zu errichten. 

Der Weg ging bergauf und bergab, war aber nicht schlecht. Hin 
paarmal allerdings ging es recht unangenehm über Steinplatten und Geröll 
scharf bergab, dass wir absteigen und die Pferde führen mussten. Den 
grössten Teil des Weges begleiteten uns die Ocotes, die immer heimatliche 
Gefühle wecken, weil sie unsern märkischen Kiefern gar so ähnlich sind. 

— Gegen Mittag hielten wir in dem ärmlichen, auf kahlem Bergrücken 
gelegenen Dorfe S. Cristobal Amoltepec kurze Rast. Da wir in den 
Bezirk, der hier jedes Gotteshaus umfriedet, ahnungslos hineingeritten waren 

— wir konnten dem Blockhaus wirklich nicht ansehen, dass es eine Kirche 
war — kamen alsbald ein paar Leute, um uns zu büssen: ein Real fürs 
Pferd. Sie waren im Recht, und die Strafe, die sie forderten, nicht zu 
hoch, aber die Leute waren stumpf und so unfreundlich, dass wir eilten, aus 
ihrem Bereiche zu kommen. — Noch ein paarmal hinauf und hinab, bis sich 
der Blick in ein breites Thal und auf einen dasselbe längs durchziehenden 
Höhenrücken senkte. Auf diesem Hügel liegt das Pueblo viejo und die 
Kirche, das Thal weithin beherrschend. Wir stiegen steil ins Thal hinab, 
das von einem klaren, schnell dahineilenden Wasser durchflossen wird, 



Hieroglyphe Achiutla 


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TAFEL XIV 



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Markt in Tlaxiaco 


an dessen Ufer die herrlichsten Sabinos standen. Jenseits desselben ging 
es über einen flachen Sattel, der in den Hügelrücken zwischen alter und 
neuer Kirche einschncidet, und vor uns breitete sich das hübsche Dorl 
S. Miguel Achiutla. Im weiten, fruchtbaren Thale liegen die einzelnen 
Gehöfte zerstreut, von dunkellaubigen Bäumen umgeben. 

Mit unserm Brief vom Jefe von Tlaxiaco ritten wir beim Dorf- 
schulzen vor, der Weisung hatte, uns in einem bestimmten Hause — 
vermutlich dem geräumigsten — unterzubringen. Die gute Eierspeise, 
die wir vorgesetzt erhielten, war leider nach landesüblichem Gebrauch 



Pueblo viejo von Achiutla 


und ohne jegliche Berücksichtigung europäischer Gaumen, d. h. mit so 
scharfer Chile-Beize zubereitet, dass uns die Augen übergingen und die 
ganze Mundhöhle wie verbrannt war. Wir hielten uns an die schwarzen 
Bohnen, die ausser ihren vielen andern angenehmen Eigenschaften auch die 
haben, den vom Chile hervorgerufenen Brand zu lindern. Als Lager diente 
uns das übliche Brettergestcll mit einem darüber gebreiteten Leder. — Wir 
sind hier in ziemlich warmer Gegend: lichtgrüne, mit Zuckerrohr bepflanzte 
Stückchen leuchten überall zwischen den trockenen Maisfcldern hervor; Ba- 
nanen stehen in den Gehöften und die Granadita gedeiht. Aber der eisige 
Nordwind, der am Abend vom Gebirge ins Thal herunter fiel, liess uns das fest 
gebaute Haus mit gut verwahrtem Innenraum sehr angenehm empfinden. 


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Heiite Vormittag wurde dem Ruincnhügel ein Besuch abgestattet, 
und dann stiegen wir auf der andern Seite noch einmal zu dem Flüss- 
chen mit den schönen Sabinos hinab. Das untere Bild auf Tafel XIII 
zeigt unter den herrlichen Baumen einige von den Leuten, die uns be- 
gleiteten und deren Gesellschaft wir uns den ganzen Tag über zu erfreuen 
hatten. Es war der Schulze und ein paar Gemeindevertreter, denn infolge 
der behördlichen Empfehlung waren wir die Gäste des Dorfes, und dessen 
Vertreter verpflichtet, uns auf alle Weise behilflich zu sein. Zugleich aber 
empfanden die Leute ein lebhaftes Vergnügen, ein paar so seltene Vögel 
einmal ordentlich ausfragen zu können, was sie ernsthaft und verständig 
besorgten, so dass wir gern Auskunft gaben. 

• * 

* 

II. Dezember 1S95. 

Zu unsern reichen Erfahrungen in Bezug auf schlechte Wege, fügte 
gestern unser Ritt nach Tilantongo eine neue hinzu. Wenn ich daran 
zurückdenke, wundere ich mich nur, dass wir alle vier Pferde mit heilen 
Gliedern hierher gebracht haben. — Von Achiutla aus ging es zuerst auf 
gutem Wege nach Yucuaiii. Beide Dörfer, deren Gemarkungen aneinander 
stossen, liegen seit langem in Grenzstreitigkeiten miteinander, hier gerade 
keine Seltenheit. Yucuaiii ist ein sehr grosses, reiches Indianerdorf. Die 
Gehöfte, die nicht verstreut liegen, sondern in Strassen aufgereiht sind, 
sahen stattlich aus, obwohl die Hütten nur aus Holz- und Flechtwerk 
bestanden. Um den Ort breiteten sich wohlbestelltc und gut bewässerte 
Aecker und Gemüsepflanzungen aus. Wir mussten hier Halt machen, 
obgleich wir noch nicht lange unterwegs waren, denn die Führer, die uns 
in Achiutla mitgegeben worden waren, gingen nicht weiter mit und sollten 
hier von andern abgelöst werden. Die Leute wollten nur zu zweien 
gehen, weil sie sich fürchten, den Rückweg allein zu machen. Wovor? 
Vor irgend etwas Unheimlichem, das ausserhalb der Wohnstätten lauert. 
Es sind alte, heidnische Vorstellungen, die auf dem Grunde jeder Indianer- 
seele ruhen. — Wir mussten also den Gemeindevorsteher, den »Presidentee 
haben, denn ohne ihn waren natürlich keine Leute zu beschaffen. Da 
der nun erst aufgesucht werden musste, wollten wir die Zeit benutzen, eine 
kleine Mahlzeit zu nehmen, denn unser Weg war noch weit. Aber in einem 
Indianerdorf ist für den Fremden nur schwer etwas zu haben. Endlich 
machten wir ein Haus ausfindig, in dem die Frau einige spanische Wörter 
verstand und auch bereit war, uns etwas zu essen zu geben. Wir kauften ihr 
für 3 Medios 9 Eier, für 1 Real 10 Tortillas und für 1 Centavo Salz ab.*) 

•) Der mexikanische Peso wird offiziell in 100 Centavos geteilt, daneben aber geht 
die alte Rechnung nach Real. Medio und Tlaco. und zwar ist: l Peso = 8 Real; i R.= 2 Medios; 
i M. = 2 Quartillos; i Qunrtillo = 2 Tlaco. Tlaco ist ein aztekiaches Wort und bedeutet ‘jhalb*. 


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TAFEI. XV 




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In der Kirchenruine Sabinoß 

bei Achiulla 


Wahrend sie mit Mühe das Wasser für die Hier zum Sieden brachte 
— es ist das eine langweilige Sache mit den offenen Töpfen am Reisig- 
feucr — hatte ich vollauf Zeit, die Hütte zu mustern. Es war augen- 
scheinlich das Besitztum einer wohlhabenden Familie, denn es mangelte 
nicht an Vorräten aller Art, aber es sah aus, als ob die Leute noch in 
der Zeit lebten, da man hier im Lande das Kisen noch nicht kannte, das 
die Spanier erst mit herüber gebracht haben. Die Wände der Hütte 
bestanden aus Rohrstäben, die an querlaufendcn Holzstangen mit Weiden 
festgebunden waren. Den Fussbodcn bildete die fest gestampfte Erde. 
Das Dach war sehr sauber aus Palmblättern geflochten und hatte vom 
Rauch das schöne glänzende Schwarz angenommen, das schon häuflg 
unsere Bewunderung erregt hat. Die Form des ganzen Raumes war ein 
längliches Viereck. In der Querachse lief oben unter dem Dache ein 
breiter Balken, auf dem Töpfe, Vorräte, Matten aufgestapelt waren; diesem 
parallel liefen ein paar runde Holzstangen, die als Dachspreizen dienten, 
und an denen an Riemen wiederum allerlei Bündel, leere und volle Körbe, 
Töpfe, Felle hingen. Desgleichen waren an den Wänden noch mancherlei 
Dinge aufgehängt, aber in dem ganzen Raum war nirgends ein Nagel zu 
sehen. Vor der Hinterwand hing eine Matte, vor dieser einige grell- 
bunte Heiligenbilder, darunter ein roh aus Stangen zusammengebundener 
Tisch; in einer Ecke ein Schlafgestell und über den ganzen Fussboden 
verstreut Matten, Körbe, Tompiates, Guajes, Jicaras und Thongcfässe. 
Mitten dazwischen am Boden das Feuer und seitwärts der Metate, der 
Mahlstein. So hat es wohl vor vierhundert Jahren auch hier ausgesehen. 
Statt der bunten Heiligenbilder zierten damals ein paar bemalte Thon- 
figürchen den Hausaltar. 

Am F'euer hockte ein Weib, um es zu unterhalten. Ein zweites 

brachte mir eine Matte zum Niederkauern. Die Indianerweiber sitzen nie- 
mals, sondern kauern oder hocken in einer für uns unerträglichen Stellung, 
genau so, wie sie in den alten Bilderschriften dargestellt sind. Ich begann 
wegen eines ebenso hübschen als schmutzigen Hemdes zu unterhandeln. 
Die Frau am F'euer verstand zwar kein spanisch, begriff aber, was ich 
wollte und lachte verneinend. Darauf holte die andere ein frisch ge- 
waschenes aus einem Korb und forderte einen unverschämten Preis, 
denn diese konnte die Zahlwörter und die Nahrungsmittel auf spanisch 
sagen. Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf das hübsch ge- 
stickte eines kleinen Mädchens. Man suchte mir begreiflich zu machen, 
dass man nach einer F'rau schicken wolle, die ein solches habe. Als 
diese erschien, entspann sich ein Handel in der Fingersprache, der 
schliesslich zu beiderseitiger Zufriedenheit abgeschlossen wurde. Ich 
gab zwar nicht soviel als sie verlangte, aber immer noch reichlich soviel 
als es wert war. 


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Nachdem wir unsere Eier verzehrt, noch einen steinernen Götzen 
erhandelt und vom Schulzen unsere Führer erhalten hatten, zogen 
wir ab. 

Eine mächtige und hohe Sierra liegt zwischen diesem Thal und dem, 
welchem wir zustrebten. Mit ihrer starken Bewaldung und den ziemlich 
ungebrochenen Linien, gleicht sie von weitem einer dunklen Mauer, die 
unheimlich und erdrückend vor uns steht. Es ging gleich steil und steinig 
hinan durch Palmenwald, der aber recht traurig aussah, denn die Bäume 
waren ihrer Blätter beraubt, die zum Eindecken der Hütten und als 
Sonnenschutz für die jungen Gemüsepflanzungen verwendet werden. Weiter 
hinauf aber kamen wir wieder in den Bergwald und es eröflfneten sich 
immer herrlichere Blicke auf unendliche, in der Ferne verblauende Berg- 
ketten. — Der Weg war inzwischen immer schlechter geworden: breite, 
glatte Steinplatten, hohe Stufen, Geröll, Wurzeln, umgestürzte Stämme. 
Dabei immer streng bergauf. Mein Mann war längst abgestiegen, um 
seinen etwas schwerfälligen Gaul zu entlasten. Mein kleines, braves 
Pferdchen aber kletterte sehr geschickt und ausdauernd. Endlich hatten 
wir eine Höhe erreicht, auf der der Weg ein Stück eben dahinging, so 
dass wir uns des herrlichen Waldes freuen konnten, dessen Wipfel mit 
roten Tillandsien, gelben und lila Orchideen üppig behängen waren. Aber 
schon fing ein heftiger, kalter Wind zu wehen an, der sich im Laufe des 
Nachmittags fortwährend steigerte und dem wir gerade entgegen reiten 
mussten. Ja es wurde allmählich so kalt, dass mir Hände und Füsse 
froren, trotz des hellen Sonnenscheines. Auf der weiten Fläche jenseits 
des Waldes, die wieder mit entlaubten Palmen bestanden war, dehnten 
sich weite Felder, die teils abgeerntet waren, teils neu bestellt wurden. 
Ein einsames Gehöft beherbergte den Besitzer derselben und grosser 
Viehbestände. Der Ranchero war ein alter, struppiger Kerl, sein Sohn 
noch struppiger, das Haus eine jämmerliche Holzhütte. 

Lange durften wir uns des ebenen Weges nicht erfreuen; bald ging 
es auf schauderhaftem Abstieg hinunter, wieder hinauf, herunter, herauf 
und endlich zum letztenmal tief hinunter. Unter uns ein tiefes, gewundenes 
Thal, dahinter in der Ferne blaue Bergketten . und über diesen die weisse 
Schncespitze des Pico de Orizaba in den wolkenlosen Himmel emporragend. 
Ins Thal hinabsteigend, gingen wir links an dem Dorfe S. Juan Diuxi 
vorüber, ein Stück im Thal entlang. Noch eine letzte Anhöhe übersteigend, 
gelangten wir zu den ersten Häusern von Tilantongo und noch einen 
allerletzten Hügel hinanreitend zum Pfarrhaus, wo wir freundlich aufge- 
nommen wurden. 

Das Dorf ist zwar gross, besteht aber aus lauter weit verstreuten 
Ranchos. Kirche und Pfarrhaus liegen wunderschön auf einem hohen 
Hügel, der in alter Zeit den Tempel trug, der ja häufig zugleich Festung 


5 * 


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war, rings von tiefen, an Wasser reichen Schluchten umgeben. Ueber 
die Hügel hinan und in die Schluchten hinunter ziehen sich die Hütten 
des Ortes, von reichen Feldern umgeben. 

Der Pfarrer war augenscheinlich erfreut, einen Abend mit Leuten 
von »draussen« verplaudern zu können. Er ist ein noch junger Mann, dem 
man seine Geistlichkeit nicht anmerkte. Seine Mutter, die das Haus führt, 
ist eine richtige alte Indianerin — natürlich hispanisiert in Tracht und 
Sprache — , mit der keine grosse Unterhaltung zu führen war, die aber 
gar löblich für unser und unserer Tiere leibliches Wohl sorgte. Nicht 
nur wir und unser Mozo bekamen reichlich aufgetischt, auch unsere brave 
schwarze Hündin, die den ganzen Tag gehungert hatte, da das verwöhnte 
Vieh keine Tortillas frisst, wurde gesättigt. Die Pferde aber kamen in 
einen gut gedeckten Stall, was bei der kalten Nacht nach dem strammen 
Marsch nicht zu unterschätzen war. Zeigte doch das Thermometer kurz 
vor Sonnenuntergang die nichts weniger als tropische Temperatur von 
knapp 9° R. 

* * 

* 


12. Dezember 1895. 

Warum auch musste die brave Frau Guadalupe heissen? Der 
12. Dezember ist nämlich der Tag der Mutter Gottes von Guadalupe, 
jener mexikanischen Nationalheiligen und ganz besonderen Schutzheiligen 
der Indianer, deren Heiligtum in der Nähe der Hauptstadt, im Laufe 
dieses Jahres auf’s kostbarste erneuert, mit grossen Festlichkeiten neu ge- 
weiht wurde, die in der feierlichen Krönung der Maria ihren Höhepunkt 
erreichten. Von der »Coronacion de la Virgen de Guadalupe« war alles 
voll, als wir im Herbste nach Mexiko gekommen waren. Nun also, der 
12. Dezember ist der Tag dieser Madonna und daher auch der Geburts- 
tag aller Leute, die ihren Namen tragen, denn hier zu Lande trägt eben jeder- 
mann den Namen des Tages, an dem er geboren wird, wie das ja in vielen 
katholischen Gegenden Sitte ist; so deckt sich Geburtstag und Namenstag. 
Sonderbar ist, dass diese Art der Namengebung auch schon vor der 
Conquista landesüblich war. Dona Lupe feierte also heute ihren Ge- 
burtstag, und man brachte ihr gestern Abend ein Ständchen, und der 
Lärm und Spektakel dauerte bis tief in die Nacht hinein, so dass von 
Schlafen nicht viel die Rede war, obgleich man uns zwei richtige mit 
Wolle gestopfte Matratzen auf die Erde gelegt hatte. 

Tagsüber hatten wir im Dorfe fleissig Umfrage nach Altertümern 
gehalten, die auch recht erfolgreich gewesen war. Begleitet hatte uns als 
ortskundig ein flinker Indianerbursche, der genau so aussah wie Kainz 
als Küchenjunge in Grillparzers »Weh dem der lügt!« — Spät abends 
hatte uns noch der Presidente mit feierlichem Gefolge — 6 Topiles — und 


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angethan mit einem reinen Hemde, aufgesucht, um uns zwei kleine Thon- 
köpfchen zu verhandeln, die wir ihm zu einem seiner Würde entsprechen- 
den Preise abkaufen mussten. Er versprach dann am andern Morgen noch 
mehr und hielt auch Wort. Als wir heute schon zu Pferde sassen, 
wurden noch Sachen gebracht, die wir nur mit Mühe und Not noch 
unterbringen konnten. 

Trotz der musikalischen Nacht waren wir schon früh marschfertig, um 
nach Nochistlan zu reiten, wo wir den Kreis schliessen wollten. Man hatte 
uns geraten, den weiteren Weg über S. Pedro Tida und S'*- Madalena 
Yodocomo zu nehmen, weil der nähere über Tecomatlan gar zu schlecht 
sei. Der Mann jedoch, der uns die neu erhandelten Sachen trug, die wir 
unserm braven alten Schimmel nicht mehr zu seiner gewohnten Last 
hatten hinzufügen wollen, redete uns natürlich eifrig zu, den kürzeren zu 
nehmen, und wir haben nicht bereut, ihm gefolgt zu sein. Der Weg ist 
von seltenem landschaftlichen Reiz, da er sich eine lange Strecke auf 
einem mit Eichen bestandenen schmalen Rücken hinzieht, mit freiem 
Blick in die Thäler zu beiden Seiten. Als ich unterwegs meinen foto- 
grafischen Kasten aufgestellt hatte, um ein Vegetationsbild aufzunehmen, 
kamen einige Leute, die fragten, ob wir damit sehen könnten, wo 
Schätze verborgen lägen! Was dem klugen Europäer hier alles zu- 
getraut wird! 

Der Abstieg in die breite Thalebene von Nochistlan ist wieder un- 
beschreiblich schlecht und muss zu Fuss zurückgelegt werden. Eine 
Stunde etwa vor der Stadt ritten wir durch die Hacienda »El Molino«, 
die denselben Besitzer hat wie der Kramladen am Bahnhof von El Paria n, 
Don Egidio Sanchez Gavita, und wo die Heimat unserer schönen schwarzen 
Hündin ist. Sie fand hier auch ihre ganze Familie, Geschwister und Kinder, 
mit denen sie sich freudig begrüsste, aber sie blieb nicht, sondern folgte 
uns. Wie wird die Trennung werden? 

Mit dem behaglichen Gefühl, das einen stets überkommt, u r enn man 
an einen Ort zurückkehrt, an dem man sich wohl befunden hat, ritten wir 
am frühen Nachmittag in den Meson de la Soledad ein, wo auch 
wir freudig als gute Bekannte, als »amigos« begriisst wurden. Nicht ohne 
Grund hat dies Haus in der ganzen Mixteca einen guten Ruf. 

* * 


14. Dezember 1895. 

ln Nochistlan waren keine Esel aufzutreiben; alle waren unterwegs, 
und selbst den Bemühungen des Jefe politico gelang es nicht, welche 
herbeizuschatfen. Wir verbrachten noch einen ganzen Tag mit Sammeln, 


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TAFEL XVI 




Landschaften in der Mixtcca Alta 


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Verpacken und Eselsuchen; kamen auch heute Vormittag erst so spät 
fort, dass wir den Zug in El Parian nicht mehr erreichen konnten, und 
entschlossen uns, bis morgen hier in Cuauhtlilla zu bleiben, um auch hier 
noch Umschau zu halten. 

Das Wirtshaus ist ganz auf den Arriero-Verkehr eingerichtet, der, 
wie ich schon kürzlich erwähnte, auf dieser Strasse sehr bedeutend ist, 
da sowohl die Lasten, die zur Eisenbahn befördert werden, als auch die 
nach Oaxaca bestimmten, alle hier durch müssen und hier Nachtquartier 
machen. Von 3 Uhr nachmittags an beginnt sich der Corral, der um- 
friedigte, zum Aufenthalt der Tiere bestimmte Hof, mit Tieren, Packsätteln, 
Lasten aller Art zu füllen. Es ist vergnüglich und lehrreich, dem 
Treiben zuzuschauen. Die Tiere werden zuerst entlastet und die 

l’äcke aufgestapelt, dann wird der Trupp zum Wasser geführt. Erst 
wenn die Tiere von der Tränke zurückkommen, werden ihnen die 
Packsättel abgenommen und sie dürfen sich auf dem Boden wälzen, 
was besonders die Maultiere mit dem grössten Behagen thun. Es wird 
behauptet, das wäre den Tieren nicht nur angenehm, sondern auch zu- 
träglich. Danach werden sie abgerieben und wundgedrückte Stellen 
gewaschen und kuriert. Der hiesige Hof hat ringsumlaufend ein Schutz- 
dach; unter dieses werden die Tiere gebracht, die zusammengehörigen 
durch einen Strick von den fremden getrennt, und sie erhalten Futter für 
die Nacht: in jetziger Jahreszeit trockenes Maisstroh, Zacate seco. Die 
Maultiere, als die wertvolleren und leistungsfähigeren, werden viel sorg- 
fältiger behandelt als die Esel, aber diese sind nicht nur anspruchsloser, 
sondern auch viel liebenswürdiger und gutmütiger als ihre hinterhältigen 
Bastarde. Pferde kommen bei grossen Lastzügen nur wenig zur Ver- 
wendung. — Abends brennen dann in allen Ecken des Hofes die Feuerchen, 
an denen die Treiber ihre bescheidene Mahlzeit bereiten. 

Da es in der Nähe von Cuauhtlilla auch noch alte Mauerreste giebt, 
so hielt sich Don Antonio Alejandrez — der Sohn unserer Wirtin — 
verpflichtet, uns dorthin zu führen. Es war ein etwas mühseliger, aber 
schöner Waldspaziergang, der mehr botanische als archäologische Aus- 
beute brachte: zu sehen war nichts, ausser ein paar zerbröckelnder, über- 
wachsener Mauern. Aber da Don Antonio auch hin und wieder 
Zeitungsartikel schreibt, so hatte er einen herrlichen Stoff, wenn er über 
die Expedition der gelehrten Forschungsreisenden nach dem Pueblo viejo 
von Cuauhtlilla berichten konnte. 


e- 


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Als wir am nächsten Tage in die heisse Schlucht von El Parian 
herniederstiegen, lag die Mixteca hinter uns. — Unsere treue Be- 
gleiterin, die schöne, schwarze Hündin Estacion, begrüsste ihre Freunde 
mit lebhaften Umarmungen und wurde vom Freudcngebell ihres Sohnes 
empfangen. Die Trennung aber war schwer, und erst als sich der 
Eisenbahnzug in Bewegung setzte, begriff sie, dass die Scheidungsstunde 
geschlagen hatte. 

In dieser Nacht legten wir uns wieder unter dem gastlichen Dach 
des Steinschen Hauses zur Ruhe. 



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Die Ebene von Tehuantepec vom (Jule-ngola aus gesehen 


VIERTER ABSCHNITT. 

Zum Stillen Ozean. 

2. Januar 1896 — 26. Januar. 

Reisezeit. — Landschaftliches. — Briefpost. — Unser Reisetempo. — Erinnerungen. — Xach 
Totolapam. — Flussabwärts. — Die grauen Hügel. — Agua Kscomlida. — S. Carlos Borromeo 
Corral de Piedra. — Das schönste Stück des Weges. — Lebende Bilder. — Tracht. — 
Purpurfärberei. — Die Indios von S. Bartolo. — Muy poquito falta. — I>er Fluss von Tequi- 
ziztlan. — Fine Sprachinsel. — Auf falschem Pfade. — Jalapa. — Eintritt in die Ebene. — 
La Mixtequilla. — Tehuantepec. — Geistliche Empfehlungsbriefe. — Die Frauen. — Die 
Deutschen. — Klima. — Altertümer. — Die grossen Ollas und die Tortilla Juchiteca. — Zum 
Ouie-ngola. — Das südliche Kreuz. — Auf dem Ouie-ngola. — Am Feuer. — Die Skulptur. — 
Wasserfragen. — Die lluavc. — Der Weg zum Ozean. — Das Lienzo von Huilotepec. — 
Ouatzontli. — Ein köstliches Mittagsmahl. — In S. Mateo del Mar. — Der Name von 
Tehuantepec. — Neue Mozos. — Markt. — Herbar. — Kümmernisse. 

Wir hatten ohne Frage die beste Reisezeit gewählt, um zur Küste 
hinunter zu reiten, aber die schönste war es nicht. In meiner Erinnerung 
malt sich ein Gewirr von Hügeln in grauen Farben, unterbrochen von 
wenigen freundlichen und farbigen Noten. Trotz des Staubes und der 
heissen Sonnenstrahlen ein herbstliches Bild, denn was bei uns die Kälte 
thut, bringt hier die Trockenheit zuwege: laublose Wälder. Freilich wirft 
hier und da eine Schlingpflanze ihre leuchtenden Blüten über eine ent- 
blätterte Baumkrone und buntfarbige Vögel beleben das Bild; aber der 
Gegensatz des Abfalles nach dieser Küste, zu dem nach der Golfküste, 
kann gar nicht gross genug gedacht werden. In meiner Erinnerung lebten 
noch die berauschend schönen Gegenden, die wir vor etlichen Jahren 
durchritten hatten, als wir von Ciudad del Mais aus durch die Huaxteca 
nach Tampico zogen und zurück über die Sierra Madre. Wie gross war 


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meine Enttäuschung, als dieser Weg nichts ähnliches bot: keine rauschenden 
Wasserfälle, keine Baumfarnc, keine blühende Wildnis, keine dunklen, 
schattigen Wälder. Nur hier und da in einer etwas tieferen Schlucht ein 
klares Wasser, das auch der Pflanzenwelt in seiner Nähe Leben gab. 
Dann wieder eine leider nur zu kurze Strecke, wo wir schönen Eichen- 
wald durchritten, der an den Wald der Mixteca erinnerte. — Einen 
unvergesslichen Eindruck hinterliess mir der erste Blick auf den breiten, 
silberschimmernden Fluss von Tequiziztlan mit seinen steilen Ufern von 
der bewaldeten Höhe herab. — Auch die Bevölkerung dieser Gegenden 
ist nicht angenehm, sondern unfreundlich und misstrauisch, und die Indianer 
ganz unzugänglich und verschlossen, im auffallenden Gegensatz zu der 
heiteren und freundlichen Bevölkerung der Ebene von Tehuantepec. 

Die Briefpost legt den ganzen langen Weg zwischen Oaxaca und 
Tehuantepec in zweimal vierundzwanzig Stunden zurück, was natürlich 
nur durch wiederholtes Wechseln von Mann und Maultieren ermöglicht 
werden kann. Ein gut berittener Reisender ohne Packtier braucht etwa 
fünf bis sechs Tage, und wir ritten acht Tage. Wir konnten eben auf 
der ganzen Reise niemals so schnell vorwärts kommen, als landesüblich 
ist, da wir Gepäck hatten und nicht nur schnell von Ort zu Ort gelangen 
wollten, sondern durch die Zwecke, die wir verfolgten, oft genug auf- 
gehalten wurden. Besonders das Sammeln und Einlegen von Pflanzen 
hielt uns auf dem Wege selbst auf. Späterhin hatten wir auch mit 
der zunehmenden Faulheit — oder ich will gerechter Weise sagen Reise- 
müdigkeit — unserer Pferde zu kämpfen. Denn es ist ein Unterschied, 
oh der Hacendado sein gutes und gut ausgeruhtes Pferd sattelt, um eine 
Reise von etlichen Tagen zu unternehmen, oder ob dasselbe Tier monate- 
lang Dienst thun muss, allen Unbilden der wechselnden Temperaturen 
ausgesetzt und ungleichmässig genährt. Trotzdem sind gerade die Tiere, 
zu denen man sehr bald in ein persönliches Verhältniss tritt, eine fort- 
währende Quelle der Freude und freilich auch oft der Sorge. Wenn sie 
behaglich ihren Mais knabbern, freudig wiehern, sobald sie das Rauschen 
des Maisstrohes hören, das unterwegs ihre Hauptnahrung bildet, wenn 
man sie bei strömendem Regen oder eisigem Höhenwind unter einem 
Dach oder wenigstens einem schützenden Baum geborgen weiss, so erfüllt 
einen das mit ebenso grosser Zufriedenheit, als wenn man selbst ein 
sicheres Unterkommen und ausreichende Nahrung findet. 

Sj» * 

* 

Das erste Stück des Weges war uns von früher her bekannt. Auch 
vor sieben Jahren hatte uns der erste Tag bis Tlacolula geführt, an dem 
weltberühmten Baum von S“- Catarina Tute vorüber. Damals hatten wir 


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von Tlacolula aus in Begleitung des Richters Don Fausto Moguel einen 
Kitt nach dem Pueblo viejo unternommen und in seinem Hause, in dem 
eine junge Frau, die Schwägerin des Dr. S. in Oaxaca. schaltete, einige 
angenehme Stunden verplaudert. Dona Lupe erzählte von einer Reise, die 
sie kürzlich mit ihrem Manne über Tehuantepec nach Chiapas unternommen 
hatte, um dessen Familie zu besuchen. Und obgleich sie noch voller 
Entsetzen über die Beschwerden war, beneidete ich sie doch und 
wäre gern an ihrer Stelle gewesen. Diesmal nun sollte mein Wunsch von 
damals in Erfüllung gehen, und auch die Familie Moguel sollten wir 
im Verlaufe dieser Reise, freilich unter sehr veränderten Verhältnissen, 
Wiedersehen. 

Während wir damals bei S. Lucas die grosse Strasse verlassen 
hatten, um uns nach Mitla zu wenden*) und erst nach längerem Aufent- 
halte daselbst über S. Dionisio nach Totolapam weiter zu gehen, gelangten 
wir diesmal am Abend des zweiten Reisetages nach Totolapam. Ziemlich 
spät, denn es war ein Ritt von 13 Leguas, d. h. ungetähr 10 deutschen 


Meilen. Der Weg, der von der Höhe in die 
tiefe Schlucht hinabführt, über deren Oeflnung 
sich in südlicher Richtung eine ganze Welt 
ferner, blauer, sich übereinanderschiebender 
Ketten auf baut, schien, seitdem wir ihn ge- 
ritten waren, verbreitert und verbessert. Was 
damals im Dufte der Regenzeit verschwamm, 
hob sich heut scharf und klar an dem vom 



Hieroglyphe Totolapam 


Nordwind blank gefegten Himmel ab. Die Hänge, damals im frischen Blatt- 
schmuck prangend, waren heute grau und kahl, und der Wind raschelte in 
dem dürren Laub, das den Boden bedeckte. Da wo ein paar ärmliche Rohr- 
hütten am Flüsschen stehen, erfreuten uns einige mit weissen Blüten über- 
schüttete Lao-zaa-Bäume, das erste Zeichen eines neuen Floragebiets. 
Spät am Abend langten wir in Totolapam an, und am nächsten Morgen 
ging der Ritt stromabwärts weiter. Wie sehnsüchtig hatte ich vor sieben 
Jahren dem damals mächtig dahinfliessenden Wasser nachgeblickt; ging 
doch sein Lauf dem Stillen Ozean zu, führte in jene märchenhaften Gegenden, 
aus denen die alten Azteken die Schätze geholt hatten, um ihre Tempel 
und Paläste zu schmücken, und die Genussmittel, die die Tafeln und 
Gewänder ihrer Fürsten verschönten: Gold und Schmuckfedern, Kakao, 
Vanille und Baumwolle. Diesmal durfte ich seinem Laufe folgen. Es war 
der Beginn so mancher Enttäuschung. 


* 






# ) Siehe »Reitebriefe aus Mexiko«, und vDie Wandmalereien von Miüa«. von Kd. Seler. 
Se ler, Alte Wege. 5 

6 5 


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Bald hinter Totolapam, da wo der schmale Weg in halber Höhe am 
linken Flussufer entlang führt, trafen wir die Post: zwei mit gefüllten 
Briefbeuteln beladene Maultiere und einen berittenen Treiber. Die bei 
der schnellen Gangart lebhaft klingenden Schellenbehänge der Tiere mahnten 
schon von weitem, auf Ausweichen Bedacht zu nehmen, damit ja kein 
Aufenthalt entstehe. Was auf dieser Strecke meine Aufmerksamkeit er- 
regte, war die Menge der langen, bcutelförmigen Nester der Webervögel, 
die wie sonderbare Früchte von den kahlen Baumasten herniederhingen. 
Als der Weg sich zum Flusse hinabgesenkt hatte, ging es im Bette selbst 
entlang, was natürlich nur in der trockenen Zeit möglich ist, denn wenn 
die Regen niedergehen, ist schon das Ueberschreiten nicht ungefährlich. 
Die Landschaft hatte ganz denselben Charakter, wie flussaufwärts nach 
Zoquitlan zu: hohe, felsige Ufer mit Bäumen, Gestrüpp und Organos 
(Säulenkaktus) bewachsen. Wo eine Biegung des Flusses zwischen Bett 
und Hang ein Fleckchen freilässt: kleine Ranchos zwischen Pflanzungen 
von Zuckerrohr, Bananen und dunkellaubigen Fruchtbäumen. Eine weisse 
rankende Asclepiadee und eine schöne blaue Passiflore waren zur Zeit in 
Blüte. Ein Stückchen unterhalb des Ranchos San Juanico bog der Weg 
rechts vom Flusse ab, im trockenen, sandigen Bette eines Regenbaches in 
die Höhe. 

Bisher hatte der F'luss die Landschaft belebt, die Bilder hatten 
gewechselt: jetzt wurde es ganz trostlos zwischen den niedrigen grauen 
Hügeln, die doch hoch genug sind, um dem freien Blick zu wehren. Nur 
die Lao-zaa- Bäume hatten Blüten und Blätter und eine F.rythrina (?) hatte 
grünes Laub und schöne bläulich -weisse Blütentrauben. Auch trafen wir 
hier zum ersten Male einen Baum, der uns bis nach Tchuantepec hinunter 
begleitete, mit dornigen Zweigen, einem mit korkartigen Stacheln be 
setzten Stamme und grossen, weissen, fünfteiligen Blüten, aber vollkommen 
blattlos. 

So ging es stundenlang in gleicher, ermüdender Einförmigkeit 
weiter; von der Höhe manchmal ein Blick auf die hohen blauen Ketten. 
Der Rancho de los Pichones wurde passiert, aber erst ein Stück weiter 
fand sich im sonst trockenen Bachbett ein sogenannter Pozo (Brunnen), eine 
Stelle, wo sich in einer Vertiefung zwischen Felsstücken Wasser sammelt, (ur 
unsere durstigen Pferde. Von hier galt es, eine steile Cuesta zuersteigen; 
oben belohnte uns die frische Höhenluft, der schöne Blick und schönes 
Grün der Fachen. Obgleich unser vorgesetztes Ziel noch nicht erreicht 
war, beschlossen wir doch, an der schönen Stelle heute zu rasten. Unter 
den auf breiter Fläche zerstreuten Hütten des Ranchos Agua Escondida 
fand sich eine leere 1 lütte, die uns für die Nacht Schutz bot, sogar eine 
Catre, ein Schlafgestcll, konnten wir erlangen, und Bohnen und Tortillas 
gab es auch, Mais, Zacate und eine schützende Baumkrone für die Pferde. 

<>0 


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Seinen Namen führt der Rancho von einer klaren, nie versiegenden Quelle, 
die verborgen zwischen Felsen hervordringt. Leider erst am nächsten 
Morgen erfuhren wir, dass in einer nicht entfernten Höhle Altertümer 



gefunden wurden; wie gewöhnlich war alles zerbrochen und fortgeworfen, 
aber es erhellte doch aus dem Bericht, dass dieser hübsche Platz auch 
schon in alter Zeit besiedelt war. 


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Am nächsten Tage ging es vorerst im grünen Walde von immer 
grünen Eichen, deren Hlatt dem der europäischen Arten ähnlich war, und 
Ocotes, den mexikanischen Kiefern, die dem Laienauge ganz wie märkische 
erscheinen, auf der Höhe weiter, dann abwärts über laubbeschattete Bäche 
die idyllische Rastplätze boten, am Rancho Quemado vorbei und noch 
weiter abwärts bis auf den Boden einer breiten, flach eingeschnittenen 
Schlucht, wo wir wieder südlichere Pflanzenformen trafen: den Stachelbaum 
mit den grossen weissen Blüten, daneben ein anderer, zur Zeit ebenfalls 
blattloser Baum mit grossen gelben Blüten, den man Huirambo nannte, 
und eine Erythrina(?) mit schönen rosafarbenen Blütentrauben. Endlich ge- 
langten wir in das breite Bett eines Wasser führenden Baches und erreichten 
den Distriktsort S. Cärlos, mit seinem vollen Namen: San Carlos Borro- 
meo Corral de Piedra, auch fälschlich S. Cärlos Yauhtepec genannt, 
welcher Name eigentlich dem Orte S. Bartolo gebührt, der früher Distrikts- 
ort war. Der Ort besteht nur aus wenigen Häusern, hat nicht einmal eine 
fertige Kirche, aber einen neu angelegten, sehr stattlichen öffentlichen 
Garten, mit dem unumgänglich notwendigen Musiktempelchen, dem 
Zöcalo, der dem Mexikaner so wichtig scheint, dass er sogar den grössten 
Platz der Hauptstadt — einen der schönsten Plätze der Welt — kurzweg 
El Zöcalo nennt. 

In einem Hause, das um einen grossen Patio herumgebaut war, 
erhielten wir bei einer unwirschen Wirtin Quartier: ein grosses Zimmer 
und zwei Feldbetten, und in einer kleinen Garküche an der Strasse gab 
es für nicht gerade mässigen Preis zu essen. Auf dem mit Büschen und 
Blumen bestandenen Hof des Hauses trieben sich mancherlei Menschen 
herum, aus deren Zusammengehörigkeit ich hier so wenig wie ander- 
wärts klug werden konnte. Ein junger Mann tobte mit einer geladenen 
Pistole umher, die er von Zeit zu Zeit in einem Wutanfalle abschoss, bis 
ihn die Wirtin kurzer Hand in sein Zimmer einschloss. 

Der nächste Tag brachte zuerst dieselbe einförmige, trockene Hügel- 
landschaft, die wir nun schon zur Genüge kannten. Jenseits des 
Rancho La Candelaria, der mit seinen Bananenpflanzungen einer Oase 
glich, ging cs steil an wasserzerrissenen Kalksteinfelsen in die Höhe und 
oben in prachtvollem Eichenwald weiter. Es war das schönste und zu- 
gleich das einzige wirklich schlechte Wegstück der ganzen Strecke. Von 
einem Sattel aus fiel wieder der Blick auf kahles Gesträuch und Organos, 
von schmalen, lichtgrünen Zuckcrrohrfcldern unterbrochen, aber die fernen 
Berge blauten in der wunderbaren Beleuchtung der Steppenländer, die uns 
bisher nur von Neu-Mexiko und Arizona und dem Hochland der pyrenäischen 
Halbinsel bekannt war. Wo auf recht steinigem Wege die untere Grenze 
des Eichenwaldes erreicht war, konnten wir in dem blühenden Gesträuch 
am Rande eines Baches neue Pflanzentypen begrüssen. 


.,s 


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Plötzlich, wie wir am Fussc einer steilen Lehmwand entlang ritten, bot 
sich ein sonderbares Bild. Zwei junge Indianerweiber druckten sich in Angst 
vor unsern Pferden dicht an die Wand; wie sie dort standen mit tiefblauen 
Hüfttüchern, leuchtend roten Hemden, mit goldschimmernden Perlen um 
Hals und Nacken, grosse Wachskerzen in den Händen, die sie wohl 
einem Heiligen darbringen wollten, unbeweglich in der klaren, leuchten- 
den Luft, schienen sie ein Abglanz aus längst versunkenen Tagen. — 
Da wir bald am hohen Ufer eines Flüsschens standen, gegenüber dem 
auf ansehnlicher Fläche sich ausbreitenden Ort S. Bartolo Yauhtepec, 
entrollte sich vor unsern Augen ein eigentümliches, ungewohnt buntes Bild; 
ebenso lebhaft bewegt wie das vorige stumm. In dem von der brennen- 
den Nachmittagssonne beschienenen Wasser standen Frauen und wuschen 
sich und ihre Kleider. In dem flimmernden Sonnenschein erglänzten die 
grellen Farben der Hemden und Röcke, die 
goldigen Perlen auf der sammtenen, bräunlichen 
Haut der entblössten Oberkörper so fremdartig 
bunt und schimmernd, dass man meinte, in 
Indien sein. 

• • 

• 

Hier trat uns zuerst die eigentümlich male- 
rische Frauentracht von Tehuantepec entgegen, 
die von der Weibertracht des Hochlandes nicht 
unwesentlich abweicht. Der Rock — wie in ganz 
Mexiko und Mittelamerika die Manta enrollada, 
d. h. das meist bis an die Knöchel reichende, 
von bunter Binde um die Hüften festgehaltene 
Hüfttuch — ist hier von leichterem Stoff als im 
Thal von Oaxaca. Er war in S. Bartolo und auch weiterhin in 
den Dörfern überall dunkelblau, mit dem im Lande gebauten Indigo 
gefärbt. Die Schönen von Tehuantepec und Juchitan bevorzugen 
die rote Farbe. Die mit importiertem türkischem Rot gefärbten Hüft- 
tücher sind teuerer; am teuersten aber die mit echtem Purpur gefärbten. 
Denn an der Küste von Tehuantepec dient heute noch der Saft der 
Purpurschnecke zum Färben. Ob die Alten diese Sitte schon kannten, 
oder ob erst die Spanier sie eingeführt haben, ist nicht mit Sicherheit zu 
entscheiden. In den alten Berichten ist keine Stelle bekannt, die davon 
erzählt. Da die Schnecke nicht sehr häufig ist, oft bis nach Huatulco hinauf 
gesucht werden muss, und nur wenig Farbe liefert, zahlte ich für einen 
purpurnen Rock 18 Pesos. Sorgfältig wird die Schnecke von der Felswand 
abgehoben, angeblasen oder angespieen. Sie giebt dann einen wasser- 
hellen Saft von sich, durch den man den weissen Faden zieht, der sich 



Hieroglyphe Vauli- 
tepec 


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beim Trocknen an der Luft rotviolett färbt. Die Schnecke wird wieder 
ins Wasser gesetzt, nachdem sie gethan, was man von ihr verlangt. So 
viel mir bekannt, wird sonst nirgends in der Welt dieser echte Purpur des 
Altertums zum Farben verwendet, als an den Küsten des Stillen Ozeans. 
Thomas Gage, der im Jahre 1624 schrieb, berichtet, dass in ähnlicher 
Weise die Indianer von Xicoya an der pazifischen Küste von Costa Rica 
die Schnecken am Meeresufer sammeln und die daselbst gesponnene Pita 
(Agavefaser) damit färben, wodurch sic einen besonderen Handelswert 
erhalte. Diese Industrie hat sich dort bis heutigen Tages erhalten. Von 
daher hat Professor v. Martens mit dem Safte der Purpurschnecke gefärbtes 
Baumwollgarn und einige Exemplare der Schnecke selbst erhalten. Es 
ist die Purpura patula, die zu den wenigen Arten gehört, die in ganz 
ähnlichen Formen an beiden Küsten Mittelamerikas Vorkommen. Da 
auch in alten Gräbern der Küstengegend von Peru purpurgefärbte Gewebe 
gefunden werden, so nimmt Professor v. Martens an, dass diese Färberei 
nicht erst von den Spaniern eingeführt sein könne.*) 

Das Huipilito, das Weiberhemd, wird nicht aus selbstgewebtem und 
gesponnenem Baumwollzeug hergestellt, wie sonst fast überall im Lande, 
sondern von eingeführtem, schlechtem bunten Kattun. Es ist meist rot, 
in der Stadt aber von allen möglichen Farben, oft auch noch mit Börtchen 
und Säumchen benäht, ist manchmal auch von Seide. Es reicht nicht 
wie die Hemden des Hochlandes weit herunter, sondern ist so kurz, dass 
es den oberen Rand des Hüfttuches gerade erreicht, so dass bei jeder 
lebhaften Bewegung die braune Haut zum Vorschein kommt. Der Hals- 
ausschnitt ist tief, die Arme nackt, so dass also nur die Brüste bedeckt sind. 

Zur Tracht gehört der Goldschmuck, an dessen Stelle auf den 
Dörfern häufig nur goldschimmernde Glasperlen treten. Dieser Schmuck 
besteht aus zwei Ketten: die eine, aus grossen facettierten Perlen, um 
schliesst eng die Kehle; die andere hängt weit über die Brust herab und 
besteht aus kleineren Goldperlen. Sie trägt einen zierlich gearbeiteten, 
oft mit bunten Glassteincn gezierten Anhänger, der seiner Form wegen 
»Palomita«,**) genannt wird. Bei grossem Reichtum erreichen die Perlen 
manchmal die Grösse der kleinen Marmorkugeln, mit denen unsere Kinder 
spielen. Die Kette reicht oft mehrmals um den Hals und ausser der 
Palomita hängt wohl auch noch ein Goldpeso daran. Auch grosse, lange 
Ohrgehänge sind beliebt. 

Zu alle dem gesellt sich in Tehuantepec noch eines der merk- 
würdigsten Kleidungsstücke, das ist der Kopfschmuck. Ursprünglich 

•) Siche «lie Mitteilung «les Broi. v. Murtens in «len Verhainllungen «1er Berliner Anthro- 
pologisch«^ < Gesellschaft 1898, S. 482 — 486. 

••) I'alomita heisst eigentlich Täubchen, wir«l aber häufig für Schmetterling — eig«*ntlich 
inariposu — gebraucht. 


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war es ein Hemd, wird daher auch Huipil genannt. Es ist meist von 
europäischem, kunstvoll besticktem Tüll gearbeitet und hat am kreis- 
runden Halsausschnitt und um den unteren Rand eine breite, in Falten 
gelegte, steif gestärkte Spitze, eine gleiche um den unteren Aermelrand. 
Dieses Kleidungsstück dient als Sonnenschutz. Für gewöhnlich wird es 
über den Kopf gehängt, so dass die breite Spitze des unteren Randes 
das Gesicht schützt und der runde Halsausschnitt mitten auf dem Rücken 
sitzt. Bei festlichen Gelegenheiten wird der Kopf durch das Loch gesteckt, 
und zwar wird bei Kirchgängen 
die gesteifte Spitze so um das 
Gesicht gelegt, dass dieses wie 
von einer Aureole umrahmt er- 
scheint. Beim Tanze umgiebt 
die Spitze den Hals. Immer 
aber hängen die Aermel, die 
sogar oft am unteren Rande 
zugenäht sind, als unnütze An- 
hängsel über Rücken und Brust 
herunter. So unsinnig diese Be- 
nutzung eines Stückes, das seine 
ursprüngliche Bedeutung einge- 
biisst hat, auch sein mag, es 
lasst sich nicht leugnen, dass 
die Anwendung, die es ge- 
funden, im höchsten Masse 
malerisch ist. 

Die tehuanischen * Damen« 
die etwas vorstellen wollen, 
ersetzen ausserdem die kleid- 
same, schmiegsame Enagua Tehuanerin 

durch einen runden steifen Rock, Xac, ‘ 'i" 1 ' in Tahuanrepee erworbenen Fotografie 
der ungefähr den Schnitt eines 

spanischen Hofkleides aus dem 17. Jahrhundert zeigt. Er ist aus bunter 
Seide reich mit Goldstickerei verziert und bis zum Knie abgesteift, 
ebenso wie die weissen Unterröcke. Das Geräusch, das diese ge- 
stärkten Rocksäume auf den steinernen Treppenstufen der Kirche 
verursachen, wenn die so angethanen Frauen aus der Messe kommen, 
ist sprichwörtlich geworden. Es sieht aus und hört sich an, als ob die 
hölzernen Heiligenfiguren ihre Postamente verlassen hätten, obzwar die 
Frauen von Tehuantepec keineswegs im Gerüche der Heiligkeit stehen. 

• • 

* 



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S. Bartolo ist berüchtigt wegen der ablehnenden und unfreund- 
lichen Haltung seiner Indianerbevölkerung den durchreisenden Fremden 
gegenüber. So hatten wir uns denn vom Jefe politico in S. Carlos einen 
Brief an die Behörden geben lassen und ritten am Gemeindehause vor 
und fragten nach dem Presidente, dem Vorsteher. Der war natürlich 
nicht da, aber es fand sich ein Regidor, der lesen konnte, oder doch so 
that, bedächtig den Brief prüfte und nach unsern Wünschen fragte. 
»Quartier, Futter für die Pferde, Speise für die Menschen«, »Comida para 
cristianos y bestias«. Das würden wir wohl bekommen, aber der Presidente 
müsste darüber befinden. Es wurde zwar einer der Topiles, das heisst, ein 
mit dem Autoritätsstock bewaffneter Gemeindediener, nach ihm geschickt, 
aber der Herr kam nicht, wollte vermutlich nicht kommen und liess uns und 
unsere müden Lasttiere ruhig in der brennenden Sonne warten. Der Platz 
vor dem Gemeindehaus, dem Cabildo, war zwar sehr hübsch, aber das 
konnte unsere ungemütliche Lage nicht verbessern. Die geräumige Laube, 
das Portal, vor dem Hause war von einer Schar reisender indianischer 
Händler besetzt — wir waren ratlos. Da sah ein Arriero, dessen Bekannt- 
schaft wir unterwegs gemacht unsere Not und wies uns in das einzige 
von Ladinos bewohnte Haus, das natürlich eine Ticnda — Kramladen mit 
den notwendigsten Lebensbedürfnissen — war, und dessen Besitzerin uns 
wohl aufnehmen werde. Die Wirtin war eine freundliche Frau aus Oaxaca, 
von der wir mancherlei dienliche Auskunft erhielten; es fand sich ein 
Raum zum Schlafen, Futter für Mensch und Tier. Leider war es durch 
diese Verzögerungen zu spät geworden, um noch fotografische Aufnahmen 
zu machen. 

Später erschien der Presidente, wozu er sich wohl des behördlichen 
Schreibens wegen verpflichtet fühlte. Er kam, wie üblich, in Begleitung 
einiger Regidores und Topiles; bei allen waren Hemd und Hose mit ge- 
stickter roter Borte versehen. Es war aber von keinem irgend eine 
Nachricht über Ruinen und Altertümer zu erhalten. Obgleich wir ziemlich 
sichere Angaben hatten, dass dergleichen hier nahebei bestehen müsse, 
gab es doch auf alle eindringlichen Fragen nur die Antwort: dergleichen 
hätten sie noch nie gesehen. Das war offenbar gelogen. Entweder war 
es einfache Unfreundlichkeit und Uebelwollen gegen die Fremden, oder 
Misstrauen und Aberglauben spielten uns, wie schon so oft, wieder mal 
einen Streich. Ich neige dem letzteren Grunde zu und würde im übrigen 
den Indianern auch den ersteren nicht übelnehmen, in Anbetracht der üblen 
Erfahrungen, die sic Jahrhunderte lang in ihrem Verkehr mit Europäern 
gemacht haben. Dem passiven Widerstande eines Indianers gegenüber 
richtet aber auch eine amtliche Empfehlung nichts aus. Dass die Indios 
von S. Bartolo an alten heiligen Stätten Wachskerzen und Speisen opfern, 
wird überall mit Bestimmtheit versichert, aber es ist noch niemals Weissen 


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Jacquinla macrocarpa Cov. 
vpuie-zee«.. »flor Jcl nino- 


Jacquinia Selerianu Urban et Ia>esener n. ap. 
Fischet 


Stelle stehen sollte, während der heissen Stunden rasten zu können, aber 
der Rancho war abgebrannt, seine Stätte leer. So trieb uns der Hunger 
von dem schönen Platz mit seinen hohen Schattenbäumen bald wieder 
fort, auf die trockene Höhe hinauf. Hier trafen wir unsern Freund, 
den Arriero, der ermüdet am Wege rastete, und als wir fragten, wie weit 


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es noch nach Las Vacas sei, die tröstliche Antwort gab: imuy poquitito 
faltac. Aber dies poquitito bedeutete wieder einmal eine Stunde. Wir 
haben später einmal auf einer kurzen Strecke vier verschiedene Leute gefragt, 
wie weit es noch bis zum Ziele sei, und vier vollkommen unvereinbare 
Antworten erhalten, die zwischen zwei und acht Stunden schwankten. Die 
einzig verlässlichen Angaben sind solche wie: zu Ave Maria werdet Ihr 
dort sein; oder: mit dem letzten Tageslicht werdet Ihr ankommen. Der 
Rancho Las Vacas ist ärmlich, aber wir konnten in einer leeren Reisig- 
hüttc Quartier machen und es gab ein Schlafgestell, bei dem eine aus 
Bambusstäben gefertigte Matte die Stelle des üblichen Brettes vertrat. 

Wir brachen am nächsten Morgen auf, noch ehe es zu dämmern 
begann. Als es tagte, befanden wir uns in einer Schlucht, die die Berg- 
kette im Norden des Flusses von Tequiziztlan durchbricht und gerade 
auf das Flussthal zuführt. Zur Seite hatten wir hübschen , von der 
Feuchtigkeit des Baches genährten Baumwuchs, jenseits hohe Hänge mit 
trockenem Grase. 

Unter den Bäumen fanden sich als Unterholz in Fülle zwei Arten von 
Jacquinia, einem dunkelgrünen Strauche mit stachelspitzigen Blättern. Die 
eine Art, die »Flor del Ni0o« genannt wurde und zum Teil in Blüte stand, 
war uns schon in der Huaxteca unter dem Namen »Corpus« begegnet. Die 
andere Art erwies sich als neu. Zweige und Blatter der letzteren werden hier 
und in einem grossen Teil von Chiapas zum Fischfang benutzt, indem man 
sie ins Wasser streut. Die Fische werden davon betäubt und kommen in 
Scharen an die Oberfläche, wo sie dann ohne Mühe gefangen werden. 

Immer mehr verbreiterte sich die Schlucht und führte auf eine 
bewaldete Terrasse, auf der der Weg breit und sandig, aber eben dahin 
lief. Bald schimmerte durch die Bäume ein breiter grüner Streif und 
plötzlich standen wir an dem hohen Ufer des F'lusses, der glitzernd 
und rauschend zu unsern Füssen dahin schoss; ein unvergleichlicher 
Anblick! — Aber steil fiel die Lehmwand zum Flusse ab, und es war 
keine Möglichkeit, an das Wasser hinunter zu gelangen. Unsere durstigen 
Gäule mussten noch über einen Hügel und ein gutes Stück sandigen 
Weges durchmessen, ehe die Strasse zum F'lusse abbog, um ihn zu kreuzen. 
Jenseits ging es noch eine Weile zwischen sandigen Hügeln weiter, dann 
war Tequiziztlan erreicht. 

Am Eingang zum Orte waren Reisighütten und Corrales für Arrieros. 
Aber aller verfügbare Platz war besetzt, teils von Treibern und ihren 
Tieren, teils von einer wandernden Schauspielertruppe. Im Orte selbst 
giebt es recht stattliche, aus Adobe und Stein erbaute Häuser, aber kein 
Gasthaus. Nach vielem vergeblichen Hin- und Herfragen fanden wir 
endlich Unterkunft in einem stattlichen neuen Hause, das von einem 
halben Dutzend höchst fideler Frauenzimmer, einer Anzahl nackter Kinder, 


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Hunden und kleinen Papageien bevölkert war. Wir wurden in der Sala 
untergebracht und erhielten Nahrung Pur uns und unsere Tiere. Auch an 
Unterhaltung fehlte es nicht. Beim Umlegen der Pflanzen sahen unsere 
Wirtinnen zu und wussten manches zu erzählen. Die eine kannte auch 
die Sprache des Ortes, der das Zentrum einer kleinen Sprachinsel ist, 
mitten in zapotekischem Sprachgebiet gelegen. Welchem Stamme das 
Idiom von Tequiziztlan zugehört, ist noch nicht ermittelt. 

Der Ort liegt auf dem hohen rechten Ufer des Flusses. Rings 
umher die sandigen, mit laublosem Wald bedeckten Hügel, nur nahe dem 
Flusse bewässerte Gärten und Milpas (Aecker). Wir machten noch einen 
Abendspaziergang und badeten in einem der Bewässerungsgräben; ein 
lange entbehrter Genuss. 

Von hier aus kann man Tehuantepec in einem Tage erreichen, aber 
es ist ein sehr langer, heisser Tagemarsch, der keinen Ort berührt. Wir 
zogen es daher vor, mit einem kleinen Umwege über Jalapa zu gehen 
und dort noch ein letztes Nachtquartier zu machen. Leider hatte man 
uns höchst unvollkommene Nachricht über den einzuschlagenden Weg 
gegeben. So kamen wir an den Fluss weit oberhalb der Stelle, wo er 
durchritten werden muss. Wir stiessen auf eine Felswand und einen 
Viehrancho, fanden aber keinen Weg, der weiter führte. Wohl oder übel 
mussten wir, um die richtige Uebergangsstelle zu erreichen, im Flussbett 
abwärts reiten; ein hartes Stück Arbeit für die Tiere, über weite Geröll- 
flächen, durch dichtes Buschwerk, bald über einen Flussarm und bald 
über den andern. Da sich aber zu beiden Seiten dichter, trockener Wald 
hinzog, blieb kein anderer Ausweg. Beim Durchreiten des Flusses sahen 
wir an den Stellen, wo das Wasser ruhig, klar und durchsichtig war, selt- 
same Fische sich lustig tummeln. Sie waren etwa von der Grösse einer 
P'orelle, mit stark vortretenden Augen, wie die der Teleskopfische und 
huschten wie die Schwimmkäfer dicht unter der Oberfläche hin und her. 
Endlich, beim Rancho S. Cristobal, erreichten wir die richtige Furt, Bis 
hierher können in jetziger trockener Jahreszeit die grossen, schweren Ochsen- 
karren gehen, für die es in der ganzen Pübene von Tehuantepec bis nach 
Tonalä und ein Stück landeinwärts bis nach Tuxtla Gutierrez brauchbare, 
breite, sandige Strassen giebt. Der Weg führte durch belaubten Wald 
angenehm weiter, bog kurz vor Jalapa vom F'lusse ab, um über sandige 
Hügel das Thal des Hauptflusses zu erreichen. 

Jalapa heisst Sandfluss, und an Sand war kein Mangel, nur die 
Terrassen der beiden F'lüsse bestehen aus fruchtbarem Erdreich, sind leicht 
zu bewässern und geben reiche Ernten. Daher denn dies Gebiet in alter 
Zeit dicht bevölkert war und von den Mönchen als ein Paradiesesgarten 
gepriesen wurde. Altertümer aber werden nur in der Regenzeit gefunden, 
wenn die heftigen Regengüsse das Erdreich am Ufer abspiilen. Aehnliche 


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Verhältnisse waren uns schon von früher her vom Rio Panuco bekannt. 
Dort aber waren die Leute »mas curiosos« gewesen und hatten nicht alles 
fortgeworfen und zerbrochen. 

Nachdem der Fluss von Tequiziztlan noch einmal überschritten war, 
ging es im Thale des Flusses von Tehuantepcc 
weiter, der hier in breitem, sandigem Bett 
zwischen bewaldeten Bergen mit spärlichem 
Wasser dahinfliesst, während er in der Regen- 
zeit sein Bett ganz ausfüllt und den Reisenden 
zwingt, einen andern mühseligeren Weg über 
die Berge einzuschlagen. Zur Zeit verkehrten 
viele Ochsenkarren auf dem Wege, den das Hieroglyphe Jalapa 

Flussbett selbst bildet. Sie brachten Mais und 

Zacate*) nach Tehuantepec hinunter. Die im Januar häufigen Nordwinde 
machten die Luft frisch und rein. Auf den Sandbänken wuchsen Akazien und 
eine unserer Weide ähnlich sehende Composite; die kleine blaue Passiflore 
mit roten essbaren Fruchtkapseln und die Asclepiadee von Totolapam um- 
rankten die Bäume. Auf den sich deltaartig ins F'lussbett vorschiebenden 
kleinen Terrassen sind Ranchos, kleine mit Mais und Baumwolle bestandene 
Felder von hohen Bäumen eingefasst, die eine prächtige, violettrote 
Bignonie mit buntem Teppich bedeckt. 

Noch einmal, bei der Bananenplantage La Pila, biegt der Weg 
links vom Flusse ab, steigt in die Höhe und fuhrt über die bewaldeten 
Hügel hin. Der Blick schweift über die breite grüne Ebene, die der 
Fluss in zwei Armen durchströmt, nachdem er die Gebirge, die zu beiden 
Seiten umbiegen, endgiltig verlassen hat. Zur Rechten sieht man gezackte 
Kämme, unter denen der Quie-ngola wie ein mächtiger Eckturm sich 
heraushebt; vorn tauchen isolierte Felskuppen aus dem flachen Lande 
auf — einzelne Brocken, die Ueberreste der aufgelösten äussersten Kette 
der Küstengebirge: der Cerro del Tigre, von dem Tehuantepec seinen 
Namen hat, der Berg von Huilotepec, der von Quazontlan und weiterhin 
die ansehnlichere Masse der Berge von Salina Cruz. 

Bei La Mixtequilla treten auch die Berge zur Linken zurück — 
wir sind in der Ebene. Zum ersten Male fanden wir hier Kokospalmen, 
die überall in der Nahe der südlichen Meeresküste angepflanzt sind, sich 
hier ebenso eingebürgert haben wie Zuckerrohr, Bananen, Mango, Kaffee 
und noch manche aus andern Tropenländern eingeführte Nutzpflanzen, und 
die uns immer eine willkommene Morgenerfrischung waren. 



•) Zacate ist das mexikanische Wort für Gras, wirtf aber auch für das trockene Mais- 
stroh gebraucht, das den Pferden zur Nahrung dient. 


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Da es sehr heiss war, rasteten wir ein paar Stunden in dem statt- 
lichen und sauberen Hause des Don Andres Reyes, das wenige Tage spater 
den Ausgangspunkt für unsern Ausflug auf den Quie-ngola bilden sollte 
und an dessen Bewohnern wir angenehme und brauchbare Gehilfen für 
unsere Unternehmungen fanden. 

Die letzte kurze Wegstrecke führte durch Pflanzungen von Zuckerrohr, 
Baumwolle, Bananen. In den buschigen Hecken, die den Weg einfassten, 
war blühendes Rankenwerk, unter andern) die reizende I’anuquera (Paullinia 
fuscenceus Ktth.), die wir in der Ebene des Pänuco zuerst getroffen hatten. 
Der Weg selbst zeigte die unangenehme Schwellenbildung, die man auf 
lehmigem Erdreich, das von Reit- und Lasttieren viel begangen wird, so 
häufig findet, und die dadurch entsteht, dass ein Tier immer in die Stapfen 
des andern tritt. Dadurch giebt es in der nassen Zeit, wenn der Boden 
weich ist, Hügel und Thäler, die dann, wenn es trocken und die Erde aus- 
gedörrt ist, quer über den Weg verlaufende Schwellen bilden. Mehrfach stand 
Wasser in den Vertiefungen: der Ueberfluss dessen, was zur Bewässerung 
der Pflanzungen gedient hat; und mitten im Weg lag ein toter Esel, an 
dem die kleinen schwarzen Geier, die Zopilotes, ihre Arbeit tliaten, und 
vor dem unsere Pferde einen scheuen Seitensprung machten. Kurz vor 
dem Ort führte der Weg noch einmal auf den breiten sandigen Strand 
am Flusse, und zwischen Kokoshainen, Rohrhütten und den Schienen 
der Isthmusbahn erreichten wir endlich die von Sand erfüllten, von 
erhöhten Bürgersteigen eingefassten Strassen der Stadt. Im Hotel 
Europa, beim Gascogner Tocaven, gab es leidliche Unterkunft für Mensch 
und Tier. 


» 




Das also war Tehuantepec! Ich kann nicht sagen, warum sich 
meine Fantasie so viel mit diesem Orte beschäftigt hatte, nicht nur während 
der letzten acht Tage, da es als nächstes, erstrebenswertes Ziel nach einer 
heissen, unbequemen Reise vor uns lag, sondern schon seit Jahren. Viel- 
leicht haftete dem Namen noch von der Schulzeit her ein besonderer 
Glanz an. Nun, jedenfalls war Tehuantepec etwas ganz anderes, als ich 
mir vorgestellt hatte, und der erste Eindruck war eine lebhafte Enttäuschung. 

Es ist ein sauberer, verschlafener Platz; ich hatte mir eingebildet, 
eine lebhafte kleine Hafenstadt zu finden. Der eigentliche Kern der 
Stadt, der um die Hauptkirche S'°- Domingo herum und dicht am linken 
Ufer des Flusses liegt, ist wenig umfangreich. Die übrigen Barrios jedoch 
mit ihrer hübschen und heiteren Indianerbevölkerung sind weit ausge- 
dehnter. Die am weitesten vom Flussufer entfernten Häuser von 
S to - Domingo klettern am Cerro del Tigre hinan, der der Stadt den Namen 


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gegeben. Ebenfalls zwischen Fluss und Hügel liegt S. Pedro Pixana; 
am entgegengesetzten Fusse des Berges und landeinwärts S. Blas. Am 
rechten Ufer S u - Maria. Da keine Brücke über den Fluss führt — nur 
weit unterhalb der Stadt überspannt ihn die Eisenbahn nach Salina Cruz — 
so ist die Verbindung mit diesem Ortsteil in der nassen Jahreszeit oft 
wochenlang unterbrochen. Jetzt freilich befand sich so wenig Wasser 
im Flussbett, dass er mit Leichtigkeit zu durchwaten und der Verkehr 
ziemlich lebhaft war. So flach war das Wasser, dass es uns nicht geringe 
Mühe kostete, ausserhalb der Stadt einen Badeplatz ausfindig zu machen, 
und auch hier bedeckte das erfrischende Nass den lang im feinen Fluss- 
sand ausgestreckten Körper nicht vollständig. 

Hügel und Fluss bieten gewiss zur Regenzeit manch hübsches Bild, 
das Anmutigste aber sind doch die schlanken, kräftigen Frauengestalten 
mit ihrer malerischen Kopftracht und dem auf- 
rechten leichten Gang, der überall eine Folge 
der Gewohnheit ist, leichte Lasten auf dem 
Kopfe zu tragen. Die grossen, bunt bemalten 
Schalen, in denen Früchte und Mais getragen 
werden, machen den Anblick der Gestalten 
noch bunter und heiterer. Diese Schalen — 

Jicapeztle genannt, mexikanisch: xicalli petztic 
— werden in Chiapas gefertigt und kommen 
nur bei den beiden grossen Jahresmärkten zum 
Verkauf. Ich konnte eine sehr schöne, ge- 
brauchte erwerben. In Chiapas werden auch 
ganz schmucke Jicaras, Trinkschalen aus der 
Frucht der Crescentia cujetc, gefertigt. Eine 
solche, sehr zierlich mit Gold- und Silber- 
streifen und Vögeln bemalte erhielt ich vom 
Bischof Mora zum Geschenk. Wir hatten an diesen eine Empfehlung 
von Monsignore Gillow und freuten uns gegenseitig, eine alte Bekannt 
schaft zu erneuern. Die Briefe, die wir von hier aus an einige Dorf- 
vorstände erhielten, erwiesen sich wirksamer als die Regierungsschreiben, 
da es sich um Indianerdörfer handelte. Gegen alles, was von der Regierung 
kommt, ist aber der Indianer misstrauisch, gegen das, was von der Kirche 
kommt, ist er freundlich gesinnt. Die Kirche hat ihm nur seine alten Götter 
genommen, und die hat er längst vergessen. Der Racker von Staat will fort- 
während etwas von ihm : Geld, Soldaten und oft sogar Land für andere Leute. 

Die I'rauen von Tehuantepec geniessen aber nicht nur im ganzen 
Lande — und sicher mit Recht — den Ruf der Schönheit, sondern auch 
Klugheit, Thatkraft und politischer Sinn wird ihnen nachgerühmt. Ich 
weiss nicht, mit welchem Rechte, aber man behauptet, dass es nie eine 



Hieroglyphe Tehuao- 
tepec 


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Revolution gegeben hätte — und es hat deren in dieser Gegend eine 
ganze Reihe gegeben — , ohne dass die Tehuanerinnen und die Juchite- 
kinnen in erster Linie daran beteiligt gewesen seien. Frauen, die ihre 
grossen Besitztümer selbst und hervorragend gut verwalten, sind hier nicht 
selten. Als Typus einer solchen Frau wurde uns Doha N. N. genannt, 
eine energische Parteigängerin von Don Porfirio. Sie war der Tyrann von 
Tehuantepec: jeder kannte sie, jeder hatte mit ihr zu thun; wenn wir etwas 
wissen wollten, hiess es: da müssen Sie Doha N. N. fragen. Sie war eine 



Strasse in Tehuantepec 


freundliche, fette Mexikanerin, der man bei flüchtiger Bekanntschaft weder 
ihre einstige Schönheit, noch ihre Herrschsucht anmerkte. 

Zu unserm Erstaunen trafen wir fünf Deutsche hier. Wo überhaupt 
Europäer leben, sind sicher Deutsche darunter. Der deutsche Kaufmann 
erobert die Erde langsam und sicher. Auf unserer Reise haben wir Engländer 
gar nicht getroffen, Amerikaner nur, wo Eisenbahnen gebaut werden, in 
Minendistrikten und in den grossen Städten. Häufiger Franzosen, aber 
am häufigsten Deutsche. Man macht den Deutschen oft den ungerechten 
Vorwurf, dass sie allzu leicht sich fremdem Wesen anbequemtcn, aber gerade 
diese Leichtigkeit, sich in der Andern Art hineinzufinden, ihre Sprache 


So 


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TAFEI. XVII 



S 1 »- Maria gegenüber Tehuantepcc 



Bei Tehuantepec 


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schnell zu erlernen, ermöglicht ihre Erfolge. Im Herzen bleiben sie doch 
deutsch, werden es vielleicht noch mehr. Dass sie hier draussen manches 
anders ansehen als daheim, wird ihnen niemand verargen. — Unter unsern 
Landsleuten in Tehuantepec fanden wir auch einen jungen Arzt, der sich 
schon über Jahr und Tag hier aufhielb Da er alle Leute in weitem 
Umkreis von ihren Augen- und Ohrenleidcn — wofür er Spezialist war — 
bereits befreit hatte, so wollte er den Wanderstab ergreifen und weiter 
ziehen. Wir trafen ihn später noch einmal in Quezaltenango, wo er im 
Begriff war, ein medizinisches Examen in spanischer Sprache abzulegen, 
was von den Aerzten, die sich im Gebiet von Guatemala niederlassen, ver- 
langt wird. 

Dann war da der deutsche Konsul Langner, dessen liebliche Gattin 
eine Enkelin des böhmischen Naturforschers Sumichrast ist, der sich 
hier auf dem Isthmus heimisch gemacht und mit einer Mexikanerin ver- 
heiratet hatte. Herr Wingartz, der Chef der Firma Larraiiaga, lebt seit vielen 
Jahren hier und war uns nach allen Richtungen behilflich. In der luftigen 
Galerie seines Geschäftshauses haben wir manche heisse Stunde verträumt 
und verplaudert, auf dem geräumigen Hofe mit Hilfe seines Faktotums all 
unsere Kisten gepackt. Herr Löschmann aber stellte seine während mehr- 
jährigen Aufenthaltes erworbene gründliche Kenntnis von Land und Leuten 
in freundlichster Weise in unsern Dienst. Drei von den Herren führten 
den Namen Friedrich und da alle Leute nur beim Vornamen genannt 
werden, kann man sich einen Begriff von den Verwechslungen machen. 

Obgleich das Klima uns sehr angenehm schien — es ist verhält- 
nismässig trocken und den frischen Winden aus dem oberen Flussthal 
zugänglich — klagten doch alle Ausländer über dasselbe. Die an- 
dauernde Hitze, weit mehr als ihre Grade, erschlafft den Kälte gewohnten 
und bedürftigen Körper des Europäers auf die Dauer, so dass er seine 
Widerstandsfähigkeit verliert. Wiederholte Fieberanfälle, chronische Ver- 
dauungsstörungen, Herzschwäche sind Dinge, denen alle mehr oder weniger 
bei dauerndem Aufenthalte unterworfen sind. Die häufig eintretende Herz- 
schwäche veranlasst zum Alcoholgenuss, der im heissen Klima noch bösere 
Folgen hat, als im Norden. Man warnte uns auch vor zu häufigem kalten 
Baden, da es ermatte und erschlaffe. Wir haben an uns selbst die gegen- 
teilige Erfahrung gemacht. So oft Zeit und Umstände es erlaubten, haben 
wir in Seen, Bächen, Flüssen oder in laufenden Brunnen unser Bad ge- 
nommen und stets wohlthätige Erfrischung verspürt. 

• * 

• 

Altertümer aus der Gegend von Tehuantepec sind nicht allzu zahlreich 
in den Sammlungen vertreten, und auch unsere Ernte war an grossen und 
schönen Stücken nicht sehr ergiebig. Figürliches gab es gar nicht, aber viel 

Sclcr. Ahe Wege. 6 

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Scherben, teils aus grobem, mit Sand vermengtem, rot gebranntem, teils 
aus fein geschlemmtem, schwarzem Thon; ganz gleich dem, der noch heute 
von Oaxaca bis zur Küste zur Anfertigung von Wasserkrügen und andern 
Gerässen dient. Selten findet man feinere, bemalte Scherben. In grosser 
Menge dagegen trafen wir die sehr charakteristischen Küsse dreibeiniger 
Schalen, sogenannter Cazuelas, die meist in Schlangen- oder Vogelköpfe, 
manchmal auch in Jaguar- oder andere Tierköpfe auslaufen. Wir haben 
sie zu Dutzenden erhalten und gefunden. 

Eine Besonderheit sind bauchige, dickwandige, krugähnliche Gefasse 
von über einem Meter Höhe, die in der ganzen Umgegend gefunden 
werden, mit der Mündung nach oben in die Erde eingegraben. Eine 
flache Schale dient als Deckel. In La Mixtequilla haben wir selbst ein paar 
aufgegraben; manche enthalten Asche und Kohlenreste, andere Knochen, 



Dreibcinige Schale mit Schl ang eoköpf cn aus Tehuantepec 


und in einigen werden menschliche Skelette gefunden. Etliche von ihnen 
mögen Bestattungszwecken gedient haben; Bestattung in grossen Töpfen 
kommt auch anderwärts vor. In der Hauptsache haben sie wohl die 
gleichen Dienste geleistet, zu denen auch heute noch in diesem Ge- 
biete ganz gleiche Gefasse verwendet w'erden : nämlich als Backofen für die 
»Tortillas Juchitecas« — die Maisfladen auf Juchiteken-Art. Diese werden 
auf folgende Weise zu bereitet: der neben dem Hause in die Erde gegrabene 
Topf wird geheizt wie ein richtiger Backofen durch ein Feuer, das man 
darin anmacht; dann werden die Kohlen herausgenommen und die rohen, 
flachen Maisfladen um die geheizte Innenwand des Topfes gelegt, dieser mit 
einer Schüssel zugedeckt und Erde darüber geschüttet. Wie langer Zeit es 
bedarf, bis der Backprozess vollendet ist, tveiss ich nicht anzugeben. Sein 
Ergebnis sind die Totopostles, ein wohlschmeckender, hart gebackener Mais- 
kuchen, der vor der sonst üblichen, auf dem Comal gebackenen Tortilla 


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TAl'KL XVIII 



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Der Quie-ngola vom Ccrro del Tigre aus gesehen 




den Vorzug hat, längere Zeit aufbewahrt werden zu können, während jene, 
sobald sie kalt geworden, zäh wie Leder ist. — Wie das Schwitzbad, der 
Mahlstein, der flache Thontiegel, kurz die meisten Geräte und Einrichtungen 
des täglichen Lebens, hat sich dieser thönerne Backofen trotz Eroberung 
und Zerstörung durch die Jahrhunderte hindurch gerettet. An den prak- 
tischen Dingen halten die Völker zäher fest als an ihren Göttern. 

Es steht nicht im Widerspruch mit diesem Gebrauch der grossen 
Thongefässe, dass sie auch als Totenurnen dienten; war es doch vielfach 
Brauch, den Toten, wenn nicht unter dem Boden des Hauses selbst, so 
doch in unmittelbarer Nähe des Gehöftes mit Hab und Gut zu begraben. 
Es scheint ein Rest dieser Sitte zu sein, dass in Chiapas und Guatemala 
die Verstorbenen häufig nicht auf den gemeinsamen Friedhöfen, sondern 
auf eigenem Grund und Boden beerdigt werden. Oft genug tauchen am 
Wegrand die weiss getünchten, gemauerten, sarkophagähnlich gestalteten 
Gräber plötzlich, fast gespenstisch leuchtend aus dem Waldesgrün auf. 
Auch das Bestatten der Toten in den sogenannten Hermitas in manchen 
Gegenden von Guatemala, in kleinen Kapellen im oder beim Dorfe, die 
dann zugleich dem Fremden als Unterkunftshaus dienen, scheint mir auf 
diese alte Sitte zurückzugehen. 

Wir erhielten hauptsächlich Altertümer in dem Stadtteil S. Pedro, 
wo der Lehm zur Anfertigung der Adobes gegraben wird, wobei natürlich 
manches Stück zum Vorschein kommt. Mitten in der Stadt findet man 
die vorerwähnten grossen Töpfe und die zum Brennen des Geschirrs im 
Boden .ausgehöhlten Oefen. Bei Hausbauten sind früher wiederholt Gold- 
sachen gefunden worden. Sie sind teils eingeschmolzen worden, teils in 
alle Winde zerstreut. 

* * 

• * 

Da wo das breite Thal des Flusses von Tehuantepec zur Ebene sich 
erweitert, ragt die dunkle Masse des sagenumwobenen Quie-ngola, des 
-grossen Steines« am rechten Flussufer empor. Wir hätten sicherlich die 
Gegend von Tehuantepec nicht verlassen, ohne seinen Ruinen einen Be- 
such abgestattet zu haben, auch wenn der Präsident, Porfirio Diaz, uns 
bei dem Empfang, den er uns gewährte, nicht einen dahingehenden Wunsch 
geäussert hätte. Don Porfirio ist Oaxaqueiio mit einer starken Beimischung 
von indianischem Blute, und so war sein Interesse nicht nur archäologischer, 
sondern lokal -patriotischer Art. Der Quie-ngola spielt eine grosse Rolle 
in den Erzählungen, die an das Vordringen der Azteken nach den Küsten- 
gegenden und den siegreichen Widerstand der Zapoteken und der ihnen 
stammverwandten und zu Hilfe geeilten Mixteken anknüpfen. Diese Er- 
zählungen darf man wohl in das Gebiet der historischen Sagen verweisen, 
aber es dürfte nicht mit Sicherheit festzustellen sein, wie weit sich in ihnen 


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Wahrheit und Dichtung mischen. Jedenfalls werden noch heute die Namen 
des Cocijoeza und seines Sohnes Cocijopij und der schönen mexikanischen 
Königstochter >BaumwoIlflocke< genannt. Aber wie uns der Padre Burgoa 
diese Geschichten erzählt, scheinen sie doch stark hispanisiert. Auch die 
Kämpfe mit den Huave spielen hinein, und so ist allgemach ein schier 
unentwirrbares Durcheinander entstanden. 

Nur das unterliegt keinem Zweifel, dass die Spanier auch hier auf 
ihrem Eroberungszuge sich unmenschliche Behandlung der Fürsten haben 
zu schulden kommen lassen. 

So ritten wir denn eines Tages gegen Abend nach La Mixtequilla 
hinaus, von wo am andern Morgen der Aufstieg unternommen werden 
sollte. Das freundliche Dorf soll seinen Namen — die kleine Mixteca — 
daher erhalten haben, dass ein Teil der den Zapoteken verbündeten 
Mixteken nach beendigtem Kampfe sich hier dauernd niederliess. Derselbe 
Name kommt aber auch an andern Stellen vor, z. B. im Staate Veracruz. 
Wir hatten schon einige Tage vorher in der Nähe dieses Ortes ein paar 
Hügel aufgegraben, die zwar keine reiche, aber ganz interessante Ausbeute 
geliefert hatten, unter anderm eine mächtig grosse Urne von über zwei 
Meter Höhe und eine ganze Anzahl der schon vorhin erwähnten schlanken 
Füsse dreibeiniger Schalen. Bei der Gelegenheit wurde mit Don Andres 
Reyes alles nötige verabredet. In der luftigen Veranda seines Hauses 
verbrachten wir die Nacht; er beschaffte die Mozos, die wir zur Arbeit 
brauchten und sorgte für die Verpflegung. Die Reyes sind eine wohl- 
habende und ansehnliche Familie, die F'rau und die Töchter richtige 
Tehuanerinnen, schön und stattlich. Das Haus war gross und sauber und 
mit weissem Putz versehen. Es gehörte eine Tienda dazu und ein Corral, 
der hinter dem Hause lag. Die Rückseite des Hauses w'urde von einer 
geräumigen Veranda gebildet, die bei der Hitze als Schlafraum diente. 
Sie öffnete sich auf einen grossen, sauber gepflasterten Hof, an dessen Seite 
sich der Küchenraum befand. 

Lange vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg und hier 
sah ich zum ersten Male das südliche Kreuz erstrahlen, das ich so lange ver- 
geblich gesucht hatte. Jedem bereitet dieses berühmte Sternbild wohl zuerst 
eine Enttäuschung, aber ich gewann es bald von Herzen gern. Es war 
meine Uhr auf nächtlichen Ritten, es war ein freundlicher Anblick, dieses 
scharf und deutlich aus einem sternenarmen Himmel hcrniederlcuchtende 
Sternbild, und ich begriff sehr wohl, dass es den Conquistadorcn 
ein Zeichen war. Für unsere unbefangenen Augen ist es freilich kein 
Kreuz, sondern ein etwas verschobenes Trapez. Für jene Männer aber, 
die gekommen waren, das Kreuz zu predigen, konnte cs sehr wohl die 
Gestalt eines solchen annehmen, dessen Enden sie gewohnt waren mit 
Edelsteinen geschmückt zu sehen. Sehr bald gewöhnt sich das Auge 


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daran, die verbindenden Linien zwischen den vier leuchtenden Punkten 
zu ziehen. 

Wir ritten den Weg zurück, den wir vor wenigen Tagen von Jalapa 
her gekommen waren, etwa eine Legua weit bis zu der Stelle, wo wir 
den Fluss zum letzten Male durchschritten hatten. Jenseits aber ging es 
sogleich im Walde bergan. Hier wurden die Pferde zurückgeschickt und wir 
mussten zu Fuss weiter. In dichtem, trockenem Walde stiegen wir in einer 
Rinne über Steinplatten leidlich bequem in die Höhe. Halbwegs trafen 
wir auf eine Mauer, aus den Kalksteinplatten des Berges ohne Bindemittel 
geschichtet. Quer über die Schlucht laufend, sperrte sie einst den Zugang, 
so wie andere, längere Mauern an der Schluchtseite eine Umgehung 
hinderten. Heute ist sie zerstört, und wir mussten mühsam über ihre 
Trümmer hinwegklettern. Weniger steil ging es immer in der Schlucht 
weiter, hier und da zwischen Resten von Haus- und Hofmauern hindurch. 
Schliesslich kommen wir auf eine ganz ebene, freilich dicht mit Wald 
bestandene Fläche, die künstlich durch Steinschichtungen hergestellt ist, 
und sind nun zur Stelle. Zu unserer Rechten erheben sich die geschwärzten, 
mit Stuck belegten Wände einer Stufenpyramide mit den Resten einer 
breiten Freitreppe an ihrer Vorderseite, die wir alsogleich erklimmen, um 
oben durch einen herrlichen Blick belohnt zu werden: unmittelbar unter 
uns das Gewirr der Baumkronen, das den ganzen Berg bedeckt und alle 
seine Schluchten erfüllt. Ueber ihnen erhebt sich eine zweite Pyramide 
und andere Mauerreste. Durch einen Feinschnitt zwischen den Bergen aber 
schweift das Auge hinaus auf die Flbene mit ihren Felseninseln, hinter 
ihr die Lagunen und noch weiter ein hell schimmernder Streif: der 
Stille Ozean. 

Der eingeebnete Platz, an dessen Westseite wir uns befanden, war 
wohl der Mittelpunkt der ausgedehnten Anlage. Auf seiner andern Seite 
erhob sich eine zweite Pyramide, die dritte Seite war von einem Ballspiel- 
platz — einem Tlachco — begrenzt. Ausserdem fanden wir noch viele 
Reste von mancherlei Art, Einfriedigungen, Häusermauern, ein verwickeltes 
Durcheinander von Räumen, die vermutlich zu einem Palast gehörten. 
Von ihm führen io Stufen zu einem Hofe von elliptischer F'orm hinunter 
— die einzige Stelle auf dem ganzen Berge, wo eine Anlage zur Wasser- 
sammlung, eine Art Zisterne, sich vorfand. Am entgegengesetzten Ende 
führen 20 Stufen aufwärts auf den äussersten, nach Süden gerichteten F'elsvor- 
sprung, der, von einer kleinen Pyramide gekrönt, eine natürliche Warte dar- 
stellt. Aber die F'ürsten, die hier hausten, sei es in Kriegszeiten, sei es 
während der heissen Monate des Jahres — denn alle diese Tempel und 
Paläste wurden gewiss nicht nur im Kriegsfälle benutzt — werden auch die 
Schönheit dieses Ortes empfunden haben. Der Blick ist fast der gleiche 
wie von der Pyramide, aber freier, weiter, unmittelbarer, da man wie 


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auf hohem Altane über der Kbene steht.*) Statt der wirren, trockenen 
Baumkronen bildet welkes, goldig schimmerndes Gras den Vordergrund, 
rotes Schlinggewächs und gelbe Huirambo-Blüten leuchten aus dem grauen 
Astgewirr, und hinter der vom Silberband des Flusses durchzogenen Kbene 
schimmert in der Abendbeleuchtung der Ozean. 

Abends am Feuer erzählte Don Andres den Leuten Geschichten. 
Ich lag in der Hangmatte und lauschte mit Erstaunen, denn was er 
vortrug, waren Geschichten des Neuen Testamentes. Den übrigen aber 
waren sie fremd, und doch waren alle fromme Katholiken. Sie nahmen 
lebhaft Partei für und wider die Personen der Erzählung, besonders gegen 
Petrus, wie er den Herrn verleugnet und gaben ihm wenig schmeichel- 
hafte Namen. — Gewiegt von den Stösscn des einherbrausenden Nord- 
windes verfiel ich allmählich in einen leichten Schlaf. 

Zwei Tage verbrachten wir hier, zeichnend, fotografierend, messend, 
bei schmaler Kost und geplagt von Ameisen und Insekten aller Art. 
Besonders unangenehm war eine kleine schwarze Fliege, die mit Vorliebe 
in Augen, Ohren und Nase flog und das Arbeiten manchmal zu einer 
Qual machte, und die Wanderameise, die sich durch empfindliches Brennen 
rächte, wenn man unvorsichtiger Weise mit dem nackten F'uss aus der 
Hangmatte auf den Boden glitt. 

Leider sind die Ruinen auf dem Quie-ngola von den vandalischen 
Händen der Schatzgräber arg zerstört. Noch vor wenigen Jahren ist von 
einem Deutschen der Versuch gemacht worden, sie mit Dynamit zu sprengen. 
Ein älterer Mann, der mit uns heraufgekommen war, wusste von ver- 
schiedenen merkwürdigen P'unden zu berichten, deren Ergebnisse leider 
verschollen sind. Wir trafen auf ein sonderbares Bildwerk, ein pfeiler- 
artiges Gebilde in Gestalt eines doppelköpfigen Reptils. Der Kopf an 
dem einen Ende zeigte die Merkmale, die in den alten Bilderhandschriften 
der Schlange zugehören; der am andern war als der eines Krokodils 
gekennzeichnet. Die Schuppung auf der Schlangenseite erklärten unsere 
Leute für Schriftzeichen, die sie nicht lesen könnten. Eine Auffassung 
unverständlicher Ornamente, die uns öfter begegnet ist und uns früher 
oft irre geführt hat. (So erinnere ich mich einer höchst mühseligen 
Wanderung in dem dichten Wald der Huaxteca, den wir zur Auffindung 
eines angeblich mit Schriftzeichen bedeckten Steines unternahmen. Was 
wir fanden, waren ganz belanglose Ornamente.) Das Bildwerk war aus 
einem Kunststein gefertigt und in zwei Stücke auseinandergebrochen. Es 
hatte ursprünglich aufrecht gestanden, mit dem Schlangenkopf nach unten, 
war aber von Schatzgräbern umgestürzt. Um es vor gänzlicher Zerstörung 
zu retten, Hessen wir es nach Tehuantepec schaffen und schickten es 


•) Siehe die Kopfleiste dieses Abschnittes. 


S6 


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TAFEL XIX 




Skulptur aus Stuck auf dem Quie-ngola 


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von dort nach der Hauptstadt, in deren Museum es jetzt auf- 
bewahrt wird. 

Auch Scherben fanden wir, feine und grobe, von Schalen und 
Krügen, und die oft erwähnten Gefässfüsse. Was wir aber vergebens 
suchten, war Wasser. Es ist ja klar, dass hier keine Stadt, keine dauernde 
Niederlassung vieler Menschen gewesen sein kann, sondern dass wir 
einen Tempelbezirk und eine Fürstenresidenz vor uns haben. Aber auch 
die Priester und Fürsten und ihre Bediensteten können nicht ohne Wasser 
gelebt haben. Und wie wurde es, wenn im Kriegsfall Besatzung und die 
Einwohnerschaft bedrängter Städte hier oben hausten? Und wie verhält 
es sich mit der Ueberlieferung, dass hier grosse Teiche bestanden haben, 
die zur Zeit der Belagerung mit Fischen aus dem Flusse besetzt wurden? 
Diese Frage hat sich uns oft aufgedrängt; nicht nur auf dem Quie- ngola 
auch an vielen andern Stätten alter Niederlassungen. War hier Wasser 
in alten Zeiten und ist durch Naturereignisse verschwunden? im Kalkboden 
versickert? Haben die Indianer, wenn sie ihre Heimstätten, ihre Heilig- 
tümer verliessen das Wasser abgegraben, damit nicht andere nach ihnen 
sich hier niedcrliessen? 

Als wir am Abend des zweiten Tages nach Tehuantepec zurück 
ritten, sahen wit vor uns im Süden einen weissen Schein am Himmel. 
Wir nahmen an, dass es das Zodiakal-Licht wäre, was dort so fahl 
leuchtete, da wir keine andere Erklärung fanden. Noch einige Male nahmen 
wir es wahr, während nächtlicher Ritte, aber nicht wieder, nachdem wir 
den Isthmus verlassen hatten. Spät am Abend trafen wir in Tehuantepec 
wieder ein. Den Schatz des Cocijoeza hatten wir freilich nicht gefunden, 
aber manches, das auch seinen Wert hatte.*) 

* * 

* 

Nahe dem Meere, an der grossen Lagune und auf einigen ihrer 
Inseln wohnen die Huave, stammfremde Leute, deren Sprache nach Süden 
hinweist. Der Pater Burgoa erzählt, dass ein Priester, der etliche Jahre 
in Nicaragua gelebt hatte, alles verstehen konnte, was er einen Huave- 
knaben in der Kirche von Tehuantepec sprechen hörte. Den Sagen nach 
scheinen sie als Eroberer ins Land gekommen zu sein, das sie bis nach 
Jalapa hinauf in Besitz nahmen und bis an die von Mixe -Indianern 
bewohnten Gebirge hin besetzten. Heute sind sie auf wenige Dörfer — 
man nennt sechs oder sieben — beschränkt und sollen mehr und mehr 
zurückgehen. Aus alten F'lurkarten aber scheint mit einiger Gewissheit 


*) Näheres in dem Aufsatz von Ed. Scler: vDic Ruinen des tjuic-ngola'.; ln der Bastian - 
Festschrift 1896. » 


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hervorzugehen, dass sie früher noch in vielen andern Orten ansässig 
waren. Sie sind wohlhabende Herdenbesitzer; auf den ausgedehnten 
Flächen dünenartigen Charakters ist gutes Weideland für zahlreiche 
Rinder- und Schafherden. Die Huaves aber essen kein Fleisch, sondern 
neben pflanzlicher Nahrung nur F'ische, die ihnen die Lagune und das 
nahe Meer in Fülle liefert. Sie bringen jedoch niemals ihren F'ang in die 
Stadt, sondern warten, bis die Tehuaner mit ihren grossen, zweirädrigen 
Ochsenkarren kommen, Fische zu holen. Da das nicht eben häufig ge- 
schieht, ist Fisch in Tehuantcpec ein seltener Leckerbissen. 

Diese gedachten wir in ihrem DorfeS. Mateo del Mar aufzusuchen, und 
Herr Friedrich Löschmann aus Thorn, der seit sieben Jahren in Tehuantcpec 
lebte und auch schon etliche Male bei den Huaves gewesen war, wollte 
uns begleiten. Am 21. Januar machten wir uns auf den Weg nach Süden. 

ln der Nacht hatte uns ein heftiger Erdstoss ge- 
weckt, da aber kein zweiter folgte, schliefen wir 
wieder ein. Was könnte auch Schlimmes entstehen? 
Die aus leichtem Material bestehenden Häuser sind 
ebenerdig, schweren Hausrat giebt es nicht. Nur die 
hochaufragenden, massiven Kirchenbauten sind ge- 
fährdet und zeigen auch oft nicht unbedenkliche 
Risse. — Durch den weit «ausgedehnten Barrio S. Blas 
ging unser Weg in die Ebene hinaus. Sic besteht 
aus feinem sandigem Erdreich, das der Absatz aus 
dem ruhigen Wasser von Seenbecken oder Strand- 
lagunen zu sein scheint. Soweit bewässert werden kann, 
Huilotepec herrscht üppige Fruchtbarkeit: Zuckerrohr und Baum- 

wolle gedeihen herrlich, der Mais giebt dreifache 
Ernte im Jahr, Bananen, Kokospalmen, Mangobäume tragen reiche Frucht 
Die Bewässerung umfasst aber nur einen ziemlich schmalen Streifen längs 
des Flusses: jenseits dehnt sich der weite Buschwald. In alten Zeiten 
wurden vermutlich weitere Flächen mit Mais bestellt, die dann nur auf die 
sommerlichen Regen angewiesen waren. Aber das Klima von Tehuantcpec 
ist trocken und die Regen fallen in manchen Jahren spärlich: da werden 
Hungersnöte nicht ausgeblieben sein. Auch diesmal wurde über un- 
zulängliche Regenmengen geklagt — ein Lied, das man schon oben im 
Valle de Oaxaca gesungen hatte — und dass der Ertrag der Maisernte 
erheblich hinter dem anderer Jahre zurückbleibc. Ob sich schon die 
F'olgen der zunehmenden F'ntwaldung des Hochlandes geltend zu machen 
beginnen? 

Der Weg geht langweilig zwischen abgeernteten Maisfeldern und 
trockenem Buschwerk hin. Hier und da bedeckt eine üppige Schling- 
pflanze die graue Kahlheit mitleidig mit bunten Blüten, und eine nie 



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gesehene Fülle buntfarbigen Gevögels zwitschert in der Krone einer Ceiba 
— Yaga-zee nennen ihn die Zapoteken und Yax-che die Maya, was 
beides »grüner Baum« bedeutet — , die vor einem kleinen Rancho steht. 
Die Hecken werden schier undurchdringlich, die Blütenfülle nimmt zu, 
und die Bewässerung scheint reichlich. Nach wenigen Stunden ist 
Huilotepec erreicht, ein freundliches Tierra-calicntc- Dörfchen, dessen 
luftige, mit Palmstroh gedeckte Hütten, zwischen denen schattende Bäume 
stehen, über eine Lichtung verstreut sind, am Busse eines hohen, be- 



Kintlcrcruppe aus Huilotepec 

waldeten Berges, der als eine Insel aus der flachen Ebene aufragt. Jenseits 
des Buschwaldes der in breitem Bette dahinfliessende Strom. 

Wir präsentierten dem Dorfschulzen unser bischöfliches Empfehlungs- 
schreiben, worauf er uns vorerst höflich in sein Haus führte, das — wie 
die Häuser hier häufig — mit einer Vorhalle versehen war, deren Wände 
und Bedachung aus Reisig bestanden und deren Eingang an der Haus- 
seite lag. Zwei Hangmatten und ein Mahlstein, einige Töpfe und Netze 
bildeten die Ausstattung dieses Raumes, der in den trockenen Monaten 
den bevorzugten Aufenthaltsort der Familie darstellt. Wir fanden freund- 


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lichstes Entgegenkommen. Das völlig leere, nie benutzte Schulhaus — 
eine landesübliche luftige Reisighütte, in der wir unsere Hangmatten auf- 
hängen konnten — wurde uns zum Nachtquartier angewiesen, und eine 
Frau verkaufte uns Pferdefutter und versprach, für Essen zu sorgen. Wir 
begannen unsere Umfrage nach Altertümern, »cosas de benni-golaza«, wie 
der landesübliche Ausdruck lautet. Die Hauptausbeute bestand wieder in 
etlichen der oft erwähnten, schlangenköpfigen Gefässfüsse. 

Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass Huilotepec, wie manche 
andere Orte, im Besitze eines sogenannten »Lienzo« sei, d. h. einer 
auf Baumwollzeug gemalten Bilderschrift, wie solche in der allerersten 
Zeit nach der spanischen Eroberung vielfach angefertigt wurden, um alte 
Besitztitel festzulegen. Diese Lienzos sind ganz im Stile der vorspanischen 
Bilderschriften, aber häufig mit erläuterndem Text versehen, was sie für 
das Studium ungemein wertvoll macht. Solche Dinge sind selten zu 
erwerben, ja oft schwer zu Gesicht zu bekommen, denn mit all dergleichen 
treiben die Indianer gern Geheimniskrämerei, und besonders diese Lienzos 
zeigen sic ungern, da sich ihre Besitztitel noch heute darauf gründen und 
sie in den unzähligen Streitigkeiten um Ländereien immer noch als 
Dokumente dienen.*) Nun hegen sie aber — und leider oft mit Recht — 
gegen jeden Fremden, gegen jeden »Gente de Razon« — wie sich die Spanier 
in höchst unchristlicher Ueberhebung den Eingeborenen gegenüber bezeich- 
neten — das Misstrauen, dass er ihnen mit oder ohne Berechtigung Land 
wegnehmen will, weshalb sie ihm nur widerwillig Einsicht in ihre Urkunden 
gewähren. Hier nun war uns die geistliche Empfehlung von weit grösserem 
Nutzen als eine behördliche hätte sein können: Der zusammenberufene 
Gemeinderat beschloss, uns das Lienzo in feierlicher Sitzung zu zeigen, 
was noch in später Abendstunde beim glänzenden Scheine zweier Kerzen 
geschah, von denen die Stearinkerze uns gehörte. Es war wieder einmal 
eines der vielen Bilder, die man leider nur im Gedächtnis festhalten 
kann; dort aber bleiben sie unauslöschlich cingeprägt: Die ernsten, feier 
liehen Charakterköpfe der Dorfältesten um den langen Tisch herumgruppirt 
auf dem die Bilderschrift lag, davor als Mittelpunkt der Dorfschulze und 
wir drei Europäer. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten sie den Worten 
meines Mannes und gaben auch ihrerseits Erklärungen. Dazu der ungewisse 
Schein der beiden ärmlichen Kerzen, der die eindrucksvolle Feierlichkeit 
des Augenblicks erhöhte. Das Lienzo ist im besten Stile gemalt und 
sehr gut erhalten. Es zeigt eine Anzahl Ortshieroglyphen mit den in 
zapotekischer Sprache beigefügten Namen; die letzten Zapotekenkönige 
mit Hieroglyphe und Namen; die Häuptlinge der betreffenden Ortschaften 

*) Durch einen efinstleen Zufall konnten wir eine solche bemalte Ixunwaml von 
4 m im Quadrat erwerben, die aus dein Dorfe Coaixtluhuaca stammt. 


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ebenfalls mit Namen in Wort und Bild. Eine ähnliche 
Mapa soll auch der auf einer Laguneninsel gelegene 
Ort S. Dionisio besitzen. 

Am nächsten Morgen machten wir den kleinen Um- 
weg über den Rancho Quazontlan,dcram Orte der alten 
Ansiedlung gleichen Namens liegt. Obgleich heute alles 
umher vom Buschwalde bedeckt ist, geht doch aus 
alten Berichten und der Unzahl von Topfscherben her- 
vor, dass hier einst ein volkreicher Ort lag, wahr- 
scheinlich von Huaves bewohnt, während Huilotepec , . 

1 Hieroglyphe 

von jeher zapotekisch gewesen zu sein scheint. Der yuaioniian 

Name, der »Haupthaar« bedeutet, ist wahrscheinlich, 
wie so häufig, von einer eigentümlichen Felsbildung genommen, die an 
einem benachbarten Berge hervorragt. Die Ländereien gehören heute zu 
einem grossen Viehrancho. 




Huare-Gruppi* 

Die letzte Strecke vor S. Mateo führt über Weideland. Der tiefe 
weissc Sand des Weges deutet die Nähe des Meeres an, dessen 


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Rauschen wir schon während der Nachtstillc in Huilotepec vernommen 
hatten. Es war ein heisses Stück Wegs. Löschmann, der sich mit 
Mordgedanken trug, schoss ein Kaninchen, das nachher ein leckeres 
Mahl gab. Dazu konnten wir im Dorfe noch frisch gesalzene Fische, 
Schildkröteneier, Bananen und Tortillas erhandeln und fanden eine Ladina, 
die das alles zubereitetc: es war ein Fürstenmahl; ein Diner, zu dem man 
um 8 Uhr abends im Gescllschaftsanzuge erscheinen muss, kann gar nicht 



Hemd einer IIuavc-Krau von erfipeartigera Gewebe mit Purpurstreifen 


so munden! Diese sandigen Flächen wimmeln übrigens von solchen grossen, 
braun und weiss gefärbten Kaninchen, die man rudelweis sich tummeln 
sieht. Schon die ersten spanischen Berichterstatter zählen unter den 
mannigfachen Reichtümern der Ebene von Tehuantepec die Fülle der 
Kaninchen auf, die nahe der Küste ihr Wesen treiben. 

Das Dorf S. Mateo führ'’ ein abgeschlossenes Dasein; die Einwohner 
schlichten, wenn es irgend angeht, auch ihre Streitigkeiten am liebsten 


9 * 


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untereinander und kommen gern aus, ohne die staatliche Obrigkeit anzu- 
rufen: eine kleine Republik in der grossen. Sic kommen auch nur nach 
Tehuantepec, wenn sie etwas von der Kirche wollen, mit der sie — wie 
alle Indios — auf sehr gutem Fusse stehen, d. h. wenn sie eine Taufe, 
Hochzeit oder sonst ein Fest feiern wollen, zu dem sie einen Priester als 
Beistand wünschen. Trotz dieses guten Verhältnisses zu ihren geistlichen 
Hirten, sollen die Einwohner sämtlicher Huave- oder, wie sie auch genannt 
werden, Mareiio-Dörfer noch eifrig Götzendienst treiben. Es wird behauptet, 
dass auf einer schwer zugänglichen Lagunen-Insel alte Heiligtümer verehrt 
würden. Gewisses weiss keiner darüber. Um zu erfahren, wie die Dinge 
stehen, müsste man Jahre lang mit ihnen leben, ihre Sprache sprechen, 
ihr höchstes Vertrauen erwerben, und selbst dann bliebe es zweifelhaft, ob 
man eingeweiht würde. 

Sie waren freundlich, und wir konnten mancherlei erhandeln: Spindeln, 
mit denen die Baumwolle für die Fischnetze gezwirnt wird — eine Arbeit, 
die von den Männern während des Gehens auf dem nackten rechten 
Schenkel ausgefiihrt wird, weshalb bei den meisten das rechte Hosenbein 
hochgestreift ist; angefangene Netzstrickereien und Webereien von erstaun- 
licher Feinheit, die Muster zum Teil in purpurfarbenen Fäden eingewirkt. 
Diese feinen Weiberhemden waren das einzige der Tracht eigentümliche. 
Sonst unterscheidet sie sich in nichts von der anderer Eingeborener. — Von 
Altertümern gab es gar nichts, und bei der knapp bemessenen Zeit konnte 
nur ein kleines Wörterverzeichnis aufgenommen werden. 

Ein etwa halbstündiger Spaziergang führte uns durch zur Zeit völlig 
ausgetrocknete salzhaltige Hinterwässer, über tiefen Sand zum Strande, 
und zum ersten Male rauschten uns die mächtigen, langen Wellen des 
Stillen Ozeans entgegen. Das Eindrucksvolle solcher Augenblicke liegt 
in der Idee, nicht in dem Anblick. Was wir vor uns sehen, ist das süd- 
liche Meer, gleich herrlich und wundervoll an jedweder Küste; was wir 
vor uns sehen, ist das grossartige Farbenspiel von Luft und Wellen, von 
Wasser und Sonne erzeugt; es sind die langen Brandungswogen, die in 
ewig ununterbrochener Reihe heranrauschen. Aber sobald der Gedanke 
in uns lebendig wird: es ist der Grosse Ozean, an dem wir zum ersten 
Male stehen, es sind Wellen, die nicht von der Heimat kommen und 
nicht zur Heimat gehen, sondern Küsten bespülen, die durch unendliche 
Weite von ihr getrennt sind; es ist das Meer der neuen Zeit, das die 
griechisch-römische Welt nicht kannte — da rauschen die Wogen ge- 
heimnisvoller, da glitzern die Sonnenlichter bunter, da wird das grosse 
Schauspiel überwältigend. 

Spät abends ritten wir zurück. Bei Mondschein ritt sich’s besser 
über die kahle Fläche, denn während der Nachtkühle schreiten die Pferde 
munter aus. Das Rauschen des Meeres begleitete uns: ein Zeichen, dass 

93 


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noch der Wind aus Süden wehte. Er trieb dichte Wolken zusammen, 
und als wir in Huilotepec eintrafen, gab es einen leichten Regenschauer. 
Auch die nächste Nacht regnete es stark, in jetziger Jahreszeit eine 
Seltenheit, über die die Besitzer von Baumwollpflanzungen nicht sehr 
erbaut waren. 

V • 

* 

Die Sage erzählt, dass auf dem Berge von Tehuantepec *) einst viele 
Jaguare gehaust hätten, die die umherwohnenden Menschen arg bedrängten. 
In ihrer Not wandten sich diese an die Huave. Die Huavc sandten einen 
Zauberer und ihm gelang es, die Jaguare zu bannen und in Stein zu ver- 
wandeln. Er selbst aber wurde zu einer Schildkröte, und sowohl Schild- 
kröte als Tiger, seien noch heutigen Tages auf dem Berge zu sehen. 
Diese Sage lebt noch heute im Volke, aber ihr Ursprung scheint ziemlich 
spät zu sein. Ich möchte sie in die Rubrik der sogenannten Wappen- 
sagen verweisen, die, von einem bereits vorhandenen Namen und Wappen 
ausgehend, deren Entstehung nachträglich zu erklären suchen. Das Wappen 
aber ist da, nicht künstlich für den Namen Tehuantepec erfunden, sondern 
von der Natur gebildet. Denn als wir am Morgen von Süden kommend 
auf die Stadt zuritten, sahen wir deutlich auf dem Berge einen laufenden 
Jaguar, ganz wie er in den alten Bilderschriften gezeichnet wird, mit über dem 
Rücken erhobenen Schwänze. Auf dem Abhange der westlichsten, höchsten 
Erhebung der Hügelgruppe, die den Namen Cerro de Tigrc, »Tigerberg«, 
führt, zeichnet sich das weisse, vegetationslose Gestein eines Quarzganges 
von dem grauen, mit Busch bedeckten Granit des Berges in dieser Form ab. 
An ausgeprägte Formen im Gestein aber knüpfen ja Volkssagen überall 
gern an, man denke nur an Hans Heiling, die Lorelei und viele andere. 
Die Huavc aber waren ein stammfremdes Volk, also nach einer ebenfalls 
häufigen Vorstellung unheimlich, geheimnisvoll; daher der die Jaguare 
bannende Zauberer von ihnen kommt. Nach der Schildkröte habe ich 
vergeblich ausgeschaut. Sonderbar ist, dass die ersten Mönche an Stelle 
des Jaguars eine knieendc, beichtende Frau zu sehen meinten. 

* * 

* 

An einer Seite des grossen Platzes, in dessen Mitte der von dürftigen 
Gartenanlagen umgebene Zöcalo prangt, während seine drei übrigen Seiten 
von niedrigen, mit vorgelagerten Holzlauben versehenen Häusern eingefasst 
sind, in denen sich alle am Orte vorhandenen Laden und Tiendas be- 


Tehuantepec heisst Jaguarberg, auf spanisch Cerro <1cl Tijfrc, da »1er Spanier «len 
Jaguar als Tiger bezeichnet. 


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finden, zieht sich der mit einem Dach versehene Markt hin. Er bot nicht 
viel ausser Lebensmitteln und auch unter denen wenig bemerkenswertes. 
Die einzige Besonderheit bildeten die grossen Eidechsen, die hier einen 
beliebten Leckerbissen abgeben. Die Art, wie sie zu Markte gebracht 
werden, ist eine scheussliche Tierquälerei: man zieht aus zwei Füssen 
die Sehnen heraus, bindet sie zusammen und steckt einen Stock hin- 
durch. Obgleich ich Monsieur Tocaven, unsern Wirt, einigemal bat, 
uns Iguana- Fleisch vorzusetzen und er sonst sehr aufmerksam war, hatte 
er doch jeden Mittag eine andere Ausrede; er hatte augenscheinlich eine 
Abneigung dagegen, und so bin ich leider nicht im stände, eigene Er- 
fahrungen über den Geschmack des Fleisches zum besten zu geben, den 
ich öfter mit dem des Hühnerfleisches habe vergleichen hören. 

Das Interessanteste aber sind die kaufenden und verkaufenden Frauen; 
kein Mann befindet sich darunter; es ist fast, als ob die Männer sich 
scheuten, diesen Boden zu betreten, der ihnen vielleicht zu heiss ist Von 
Waren, wie sic auf dem reichen Markte von Oaxaca zu finden sind: landes- 
üblichem Schmuck, schmalen, bunten Fajas zum Festbinden der rockartigen 
Hüftentücher, bunten Schalen, Spielereien, Hausrat und was dergl. Dinge 
mehr sind, auf die der begierige Fremde sein Hauptaugenmerk richtet, 
war nichts vorhanden. Das musste ich in verschiedenen Häusern zusammen- 
kaufen und eines von den hübschen Tüll-Huipiles musste ich mir an- 
fertigen lassen. 

* * 

* 

Allmählich wurde es Zeit, an den Aufbruch zu denken, was nicht 
ohne Bangen geschah. Wollte uns doch unser Bursche, der uns bisher 
ein treuer und sorglicher Begleiter gewesen war, der unsere Bedürfnisse 
kannte, die Pferde verständnisvoll und wohlwollend behandelte, Luis 
Kamirez aus Teposcolula wollte uns verlassen. AU er zuerst zu uns 
kam und erzählte, er hätte Nachricht erhalten, sein Vater sei schwer 
krank, er müsse nach Hause, glaubten wir, es sei ein Vorwand, um nicht 
weiter reisen zu müssen. Denn die Mexikaner entfernen sich nur ungern 
weit von ihrer Heimat; sie denken an den spanischen Spruch: Quien va 
lejos de su casa, no la halla como la deja.*) Wir überzeugten uns jedoch, 
dass seine Angaben auf Wahrheit beruhten und mussten daran denken, 
Ersatz zu schaffen, und das war nicht leicht. Die Tierra-caliente-Leute 
sind lässig, verstehen nicht mit Pferden umzugehen und eignen sich über- 
haupt nicht sehr zu Reisedienern. Nach langem Suchen fanden sich 
endlich zwei Jungen: Cornelio und Turibio, die uns begleiten wollten, 
bis nach Guatemala und wieder zurück. Cornelio war seines Zeichens ein 

*) Wer weit von seinem Hause geht, findet es nicht, wie er eg verlassen. 


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Maurer, ein hübscher, flinker, anstelliger Bursche von 18 Jahren, der es 
bald lernte, mir beim Fotografieren zu helfen, bei dem Trocknen der 
Pflanzen an die Hand zu gehen. Er wurde uns von seinem Vater noch 
ganz besonders als unverdorbener Bursche ans Herz gelegt, und die 
Verantwortlichkeit, die wir dadurch gewissermassen auf uns nahmen, hat 
uns später noch manche schwere Stunde bereitet. — Turibio war ein 
20 jähriger Bauernsohn; er Hess Frau und Kind bei seinen Eltern daheim, 
um ein Stück Geld zu verdienen und sich in der Welt umzusehen. Er 
war ein echter Zapoteke; nicht so leicht zu behandeln wie Cornelio, schnell 
beleidigt, aber zuverlässig und gutmütig. Ihm fiel die Hauptsorge für 
die Tiere zu, mit denen er allmählich umzugehen lernte. Mit diesen beiden 
zogen wir nach Guatemala. 

* * 

* 

Ein paar Tage vergingen noch mit dem Verpacken von Altertümern 
und Pflanzen, die mehrere Kisten füllten. Ach, die Pflanzen! Oft genug 
haben sie mir unterwegs Kummer bereitet. In der Regenzeit war das 
Papier nie trocken zu bekommen. Wir haben manchmal jedes einzelne 
Blatt Löschpapier am offenen Feuer getrocknet. Und wenn wir müde in 
unser Nachtquartier einrückten, musste doch erst noch das Herbar in 
Ordnung gebracht werden, ehe wir die müden Glieder strecken durften. 
Versäumten wir es ja einmal, so waren gewiss am nächsten Tage so und 
so viele Exemplare verschimmelt Ain schlimmsten aber war es hier in 
Tehuantepec, trotz des trockenen Klimas. Wir hatten hier die mastigen, 
dicken Tropenpflanzen des heissen Landes in den Bündeln, und das Zeug 
ist gar nicht trocken zu kriegen; wenn man denkt: jetzt wird es! so gliedert 
es plötzlich völlig auseinander. Um schneller zum Ziel zu kommen, legten 
wir dünne Bündel auf das Dach in die glühende Sonne, aber da entstand 
im Innern eine förmliche Gährung. Zudem konnten wir doch auf Aus- 
flügen nicht immer das ganze gesammelte Material mitschleppen und 
mussten die Pflanzen tagelang ihrem Schicksal überlassen. Ein Wunder, 
dass doch noch ein grosser Teil zwar keine schönen, aber brauchbare 
Resultate gab. Um so wunderbarer, als eine Kiste mit Isthmus-Pflanzen 
das Missgeschick hatte, erst nach anderthalb Jahren ihren Bestimmungs- 
ort zu erreichen, während von den hier gesammelten Altertümern leider 
ein Teil verschollen ist. 

Wieder einmal waren wir reisefertig und nahmen Abschied. So 
enttäuscht ich bei der Ankunft war, so ungern schied ich, und obgleich 
es uns heftig vorwärts drängte, immer verfolgte uns der Gedanke, was es 
hier (ur Arbeit gäbe, die aber nur bei langem Aufenthalt erledigt werden 
könnte. Aber dieser Gedanke kam uns hier nicht zum ersten und viel 
weniger zum letzten Male. Ueberall ist hier viel zu tliun auf ethnischem 


gb 


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und archäologischem Gebiete, so viel auch schon gethan ist. Sind doch 
selbst — trotzdem Mexiko ein vielbereistes Land ist — noch nicht alle 
seine Sprachen erforscht, nicht einmal seine Pflanzenwelt vollständig be- 
kannt. Aber das ist auch wiederum eine Freude, dass man überall Neues 
findet, dass es überall Arbeit giebt auf diesen alten Wegen, die zwar viel 
begangen, aber doch noch recht unbekannt sind. 



O o 1 «1 schmuck von Tehuantepec 


-Sei er, Ahe Wege. 


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Rankcmlc» Combrctutn 


F Ü N FT ER A BS C H X I TT. 


Im Südosten des Isthmus. 

27. Januar — 12. Februar 1896. 

Aufbruch von Tehuantepec. — Tlacotepcc und das vKad der Kcmi£jitK.. — Warmes und kaltes 
Wasser. — S. Pablo. — Piedra Pintnda von Istaltepec. — Juchitnn. — Nach Ishuatan. — 
Fiesta. — Nach Tapaua. — Mischehen. — Nachtreise. — Tonala. — Hohe Preise. — Her 
Stein auf «1er Plaza. — Auf dem CeiTO de Tonala. — Harter Verlust. — Der Fluss von 
Tonala. — Plagen «1er Tierra caliente. — Die Lagune von Fl Paredon. — ("Jen Tapaehula und 
zurück. — Soldatenlagcr. — Jejencs. — Schicksaiswink. 

Bisher hatte Südwind geweht, aber mit dem starken Regenschauer 
nach unserer Rückkehr von Huilotepec schien seine Kraft gebrochen; der 
Norte hatte die Herrschaft angetreten, zu der er in dieser Jahreszeit voll- 
auf berechtigt ist, und er blies so stark, dass ich Angst hatte, vom Sattel 
geweht zu werden. Vorerst aber sassen wir noch nicht im Sattel, sondern 
auf der Eisenbahn in einem offenen Wagen, der dem Winde und dem 
Staube freien Durchzug gewährte. Von welcher Seite man auch nach 
Tehuantepec hineinkommt, man stolpert zuerst über Eisenbahnschienen, 
und so wird man durch den Augenschein belehrt, dass man einen Ort 
mit Eisenbahnverbindung erreicht hat; sonst aber merkt man nicht viel 
davon. Höchstens die zwei Abende in der Woche, wenn die wenigen 
Reisenden, die der Zug gebracht hat, ins Hotel kommen und an der 
Abendtafel durch ihre Erzählungen die Unterhaltung beleben. Der Zug 


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hat nämlich keinen Anschluss nach dem Hafen Salina Cruz hinunter, ja 
es ist durchaus nicht ganz sicher, dass den nächsten Tag Verbindung ist; 
cs verkehren da nur Züge zu den ankommenden und abfahrenden Schiffen. 
Deshalb unterliessen wir auch eine Fahrt dorthin. Auch einen Ausflug 
über den Isthmus nach Coatzacoalcos mussten wir uns versagen, da er 
uns wenigstens eine Woche gekostet hätte und wir keine Zeit mehr 
übrig hatten. — Wir benutzten die Bahn bis nach Comitancillo, wohin 
wir am Abend vorher unsere Pferde geschickt hatten. Mit uns war wie- 
der Herr Löschmann mit seiner stets schussbereiten Mordwaffe. Da er 
alle Leute in dieser Gegend kennt, war seine Begleitung für uns von 
grossem Nutzen, ebenso wie seine Gabe, alle vorhandenen Altertümer auf- 
zustöbern. 

Nach einer kleinen Stunde verliessen wir den Güterzug und ritten 
nach dem nahen Tlacotepec, wo wir im gastlichen Hause des Licenciado 
Rueda und seiner liebenswürdigen Frau freundlich willkommen geheissen 
wurden. — In der Nähe, ein wenig bergauf im Walde, ist eine Stelle, die den 



Iztaltcpec vom Flusse aus. 


Namen führt: »das Bad der Königin«. Hin nicht langer, aber ziemlich 
heisser Spaziergang führte uns dorthin. Aber wenn hier in alten Zeiten 
ein königliches Bad war, so muss es anders ausgesehen haben als jetzt. 
Vermutlich war durch Stauung und Ausschachtung ein Wasserbecken 
geschaffen, wo heute ein sumpfiger Tümpel steht. Auch kann man aus 
der Gesteinsbildung schliessen, dass hier einstmals heisse Quellen sich 
ergossen, die heute versiegt sind. Von alten Anlagen war keine Spur zu 
sehen — eine trostlose Stelle. 

Als wir zum Hause zurückkamen, fanden wir eine Menge Leute mit 
kleinen Altertümern unser harrend, einen ganz nach europäischer Art ge- 
deckten Tisch und ein vorzügliches Mittagsmahl. Dankbar verabschiedeten 
wir uns von dem Ehepaar Rueda, um schon am Nachmittage unsern Weg 
nach Lao-yaga fortzusetzen. 

In der F'inca des Setior Solana wurden wir gern aufgenommen. Es 
war eine Junggescllcnwirtschaft, die von zwei Chinesen sehr gut besorgt 
wurde. Im Dorfe, durch das ein Bach floss, standen schöne Kokos-Palmen 


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und seitwärts breitete sich eine prachtvolle Mango-Pflanzung aus. Als mir 
Cornelio am frühen Morgen Waschwasser brachte, war dies' so warm, 
dass ich ihn ärgerlich fragte, warum er mir kein frisches brächte. Er 
lachte und meinte, er hätte es soeben aus dem Arroyo geschöpft, aber 
offenes Wasser sei immer morgens warm und am Nachmittage kalt Eine 
neue Erfahrung! aber der Junge hatte recht. Die Verdunstung ist tagsüber, 
wenn die Sonne aufs Wasser scheint, so stark, dass es gegen Abend ganz 
kühl erscheint im Vergleich zur Lufttemperatur. Diese Erfahrung habe 
ich noch weiter bestätigt gefunden. So wurde uns in Chiapa gesagt: 
wenn Sie ein warmes Bad im Flusse nehmen wollen, so müssen sie früh 



Furt im Flusse von Ixtaltcpec 


morgens gehn, gesunde Leute, die kalt baden wollen, gehen am Nach- 
mittag. 

Am nächsten Morgen gings weiter nach Chihuitan, einem schönen 
baumreichen Dorfe, wo wir in einem luftigen Hause einige Stunden 
rasteten und in allen Hütten nach Altertümern herumfragen Hessen. Da 
uns der Gemeindevorstand dabei unterstützte, gelang es, etliches auf- 
zustöbern. Auch dieses Dorf ist gut bewässert und gleicht daher, 
ebenso wie Lao-yaga, in der trockenen Jahreszeit einer Oase in der Wüste. 

Dann weiter nach dem Rancho S. Pablo. Sein Besitzer, Senor Jivez, 
ist französischer Abkunft und mehrere Jahre in Europa gewesen. Man 
merkt dies sofort dem hübschen neuen Hause an, das er gebaut hatte. Ein 
Holzhaus, aber mit Sorgfalt und Geschmack gefügt. Man behielt uns 


tco 


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TAFEL XX 



Mangohain bei Lao-yaga 



Lao-yaga 


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über Mittag in S. I’3blo, wo wir ein paar Stunden angenehm verplauderten; 
auch gab es Meiado, das ist der frisch ausgepresste, eingedickte, dunkel- 
braune Syrup des Zuckerrohrs, der mir noch von der ersten Reise her als 
ein Leckerbissen ini Gedächtnis war, und der auf den Zucker-Haciendien ein 
stehendes Gericht bildet. Abends waren wir in S. Geronimo und hatten 
also auf einem Umwege wieder die Bahn erreicht. Hier mussten wir 
übernachten. In dem Hause einer alten Frau fanden wir Quartier und 
gute Lonas. Es ging uns überhaupt in diesen Tagen in materieller Be- 
ziehung sehr gut. 

Zwei Stunden von S. Geronimo entfernt, im Buschwald, in der 
Richtung nach Tehuantepec liegt die »Piedra pintada«, der bemalte 



Stein. Erzählt hatte uns der und jener davon, dagewesen war natür- 
lich keiner. Man beschrieb uns den Weg, zeigte uns von weitem den 
Fels und nach manchen Umwegen gelangten wir an seinen Fuss, wo wir 
die Pferde anbanden, um hinaufzuklettern. Wir standen bald an einem 
Punkte, wo eine schräg überhängende Felswand ein natürliches Schutz- 
dach bildete, und diese ziemlich glatte Wand war allerdings über und 
über mit Bemalungen in roter Farbe und im Stile alter Bilderschriften 
bedeckt. Mein Mann zeichnete sie getreulich ab, ich versuchte sie zu 
fotografieren. Von drei Platten habe ich aber nur eine gerettet, die nur 
einen ganz kleinen Bruchteil der Malereien enthalt. Bisher ist es nicht 
geglückt, Sinn und Zusammenhang in die Zeichen zu bringen, obgleich 
jedes einzelne sehr klar gezeichnet und gut erhalten war. Es macht fast 
den Eindruck, als ob sich hier jemand längere Zeit aufgehalten hatte, 


■ Ol 


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der aus Langeweile alles, was von ungereimter Weisheit in ihm war, hier 
niederlcgte. — Es war schattig und hübsch dort oben; über das Busch- 
werk hinweg ein freier Blick. Am Nachmittag ritten wir nach Iztaltepec 
hinunter. Wir fanden einen kleinen Meson mit landesüblicher Kost, 
konnten einige Altertümer einhandeln und am nächsten Morgen ein 
erfrischendes Bad im Flusse nehmen, der jetzt in verhältnismässig schmaler 
Rinne in dem breiten, sandigen Bette dahinfliesst. 



Zeichnungen von iler Pietlra Pintatla 


Gegen Mittag wurde abgeritten, in der ziemlich trostlosen Rancheria 
von Espinal, wo angeblich viel Altertümer gefunden werden, hatten wir 
vergeblich Nachfrage gehalten, und am Nachmittage waren wir in Juchitan. 


Juchitan (Xochitlan, Blumenort) ist eine grosse, blühende Distrikts- 
stadt. Sie war die Hauptstadt der alten indianischen Bevölkerung, 
während in Tehuantepec die mit Encomiendas bedachten Nachkommen 


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TAFKL XXI 



Teil der Piedra Pintada bei Iztaltcpec 


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der spanischen Eroberer ihre Häuser hatten. Nachdem in den Unab- 
hängigkeitskriegen und durch die ewigen Revolutionen die Macht der 
lokalen Autoritäten vernichtet war, führte der alte Hass der Indios gegen 
die Spanier in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer förmlichen Schild- 
erhebung Juchitans im Verein mit andern Indianerdörfern gegen Tehuan- 
tepec, wobei Tehuantepec erobert und geplündert wurde und ein ganzes 
Jahr in den Händen der Aufständischen blieb. — In späteren Jahren 
war die einfache Thatsache, dass die Ladinobevölkerung von Tehuantepec 
der von General Miramon geführten, sogenannten konservativen (kirch- 
lichen) Partei zuneigte, ausreichende Veranlassung, dass die Juchitccos be- 
geisterte Anhänger der Liberalen und des Präsidenten Juarez wurden, 
wie sie denn auch den Kern der Truppenmacht des damals in Te- 
huantepec kommandierenden Generals, des heutigen Präsidenten Porfirio 
Diaz bildeten. Aber selbst die Regierung hatte 
Mühe genug, Ruhe und geordnete Zustände zu 
schaffen. Noch vor gar nicht langer Zeit genoss 
die Einwohnerschaft von Juchitan eines keines- 
wegs glänzenden Rufes. Don Pancho Leon, der 
hier den schwierigen Posten des Jefc politico 
(etwa unserm Landrat entsprechend; inne hatte, 
ehe er Gouverneur von Chiapas wurde, hat sich 
grosse Verdienste um die Wiederherstellung der 
Sicherheit erworben. Ihm verdankt die Stadt 
manche Verbesserung, unter anderm ein auffallend 
stattliches Regierungsgebäude, das seine Entstehung 
nur den Bussen und der Arbeit von Sträflingen 
verdanken soll. Wer wegen Trunkenheit, Prügelei 
oder ähnlicher kleiner Vergehen eingeliefert wurde, musste eine Anzahl 
Steine als Strafe liefern; die zu Gefängnis Verurteilten mussten die Mauer- 
arbeit ausführen. — Das Gesetz verpflichtet jeden mexikanischen Staats- 
bürger, jedes Jahr eine bestimmte Menge Wegearbeiten auszuführen oder 
für sein Geld ausführen zu lassen. Mit Hilfe dieser Massregel hat es Don 
Pancho verstanden, einen breiten, fast geradlinigen Karrenweg von Tehuan- 
tepec über Juchitan nach Niltepec zu bauen und überhaupt die Wege 
seines Distrikts zu verbessern. Man könnte ihm wohl den Beinamen des 
Wegebauers geben, denn auch in seinem neuen Wirkungskreis baut er 
rüstig weiter, in der richtigen Erkenntnis, dass nur die Verbindung mit 
der Aussenwelt dem Innern des Landes zu dem Emporblühen verhelfen 
kann, zu dem es durch seine herrliche Natur berechtigt ist. — Don Porfirio 
versteht es, sich seine Leute auszusuchen und sie an die rechte Stelle zu 
setzen, und nirgends kann der einzelne Mann solchen Einfluss auf die 
Gestaltung der Verhältnisse gewinnen, als hier zu Lande. 



Hieroglyphe Juchitan 
(Xochitlan) 


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Die Juchitccos widmen sich vielfach dem Arrierohandwerk und sind als 
Maultiertreiber weit umher bekannt. Auch werden hier die Stühle gefertigt, 
die eine besondere Eigentümlichkeit der Gegend bilden: eine Art kleinen 
Lehnstuhles — butaca genannt — mit Haut oder Tigerfell bespannt. — 
Noch Brasseur de Bourbourg erwähnt die Verschiedenartigkeit der Bevöl- 
kerung von Tehuantepec und Juchitan, den Gegensatz von Ladino- und 
Mischlingsfamilien zu reinem Indianerblut, der ein Hauptgrund für die Feind- 
seligkeiten war. Heute ist von diesem Unterschiede nichts zu merken; in bei- 
den Orten findet man alle Klassen vertreten: Indios, Ladinos und Mischlinge. 

Der Jefe war ein Vetter von dem schon früher erwähnten Dr. Solo- 
guren in Oaxaca, einem der eifrigsten und kenntnisreichsten Sammler im 
Lande; natürlich wanderten auch von hier aus viele Altertümer in seine 
Sammlung und wir konnten unter diesen Umständen an Erwerbungen 
gar nicht denken. Doch überreichte uns der höfliche Herr mit den von 
uns erbetenen Empfehlungsbriefen zugleich einige hübsche Sachen, ge- 
wissermassen als Gastgeschenk. 

Nachdem wir in dem sauberen Gasthause der Dona Rosalia Gomez 
genächtigt hatten — geschlafen kaum, denn es war unerträglich heiss, seit 
der Wind wieder nach Süden umgesprungen war — brachen wir morgens 
auf, um unsern Weg nach Ishuatan fortzusetzen. — Ishuatan hat am 
2. Februar seine Fiesta, Candelaria, Mariä Lichtmess. In seiner statt- 
lichen Kirche wird an diesem Tage ein grosser Ablass gewährt, und wie 
überall, so ist auch hier mit dem Kirchenfest ein mehrtägiger Markt ver- 
bunden. Schon in S. Mateo hatte man uns gefragt, ob wir nicht die 
Fiesta in Ishuatan mitmachen würden, da dieser Tag von der ganzen 
Mareno- Bevölkerung besonders hochgehalten wird. Da wir den 29. Januar 
schrieben, hatten wir Aussicht, einiges von dem Festestreiben mitanzusehen. 

Man darf vielleicht annehmen, dass die Huave auch vor der Christia- 
nisierung um diese Jahreszeit ein grosses Fest feierten, da die klugen 
Missionare womöglich Zeit und Ort bedeutender Kultushandlungen bei- 
behielten, auf den Tempeltrümmern eine Kirche bauten und an Stelle des 
heimischen Gottes einen Kalendcrheiligen schoben. Als ich aber in S. Mateo 
fragte, warum man gerade diesen Tag besonders feierlich begehe, erhielt 
ich die verblüffende Antwort: die Candelaria sei die Mutter ihres Schutz- 
patrons, des hl. Matthäus, gewesen! — Ich kann mir diese sonderbare Auf- 
fassung nur dadurch erklären, dass im ganzen spanischen Amerika die Sitte 
herrscht, die Kinder auf den Namen ihres Geburtstages zu taufen. So kommt 
es, dass alle am 2. Februar Geborenen Candelaria heissen. Also war es 
den Leuten zum Namen geworden, seiner Endung wegen zu einem weib- 
lichen, und sie wussten gar nicht, dass es sich um ein Marienfest handelte. 

* * 

* 


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Es sind 15 leguas von Juchitan bis nach Ishuatan, und unterwegs 
muss ein Lagunenarm übersetzt werden, was immer geraume Zeit er- 
fordert, so dass wir die Strecke nicht in einem Tage zurücklegen konnten. 
Wir ritten ein langes, langweiliges Stuck auf der oben erwähnten breiten 
Fahrstrasse dahin, die von Tehuantepec über Juchitan nach Niltepec 
fuhrt. Zerfahren, sandig, von grauem Buschwald eingefasst, aber, wie hier 
überall, eine Fülle buntester Vögel: Guacamayos, grüne Papageien, ein 
schlanker weisser Vogel, ganz blaue, ganz rote, ganz grüne; einer mit 
einem sonderbaren Schopf und schönem langen Schweif, grosse und 
kleine, singende und kreischende. — Bei Union Hidalgo bogen wir nach 
Süden ab, um auf kürzerem Wege Chicapa zu erreichen. Es ging durch 
einen Palmenwald, der zwar nicht zu den schönsten seiner Art gehörte, 
aber immerhin anmutiger war, als der bisher verfolgte Weg, sich aber 
bis vor wenigen Jahren noch eines recht üblen Rufes erfreute. Hinter 
dem öden Chicapa wird der Estero überschritten, der den erfreulichen 
Namen »Espanta Perros« — Hundeschrecken — führt, weil er von Kro- 
kodilen wimmelt, die jeden Hund, der durch das Wasser will, unweigerlich 
verspeisen. Wir und die Last wurden in Booten befördert, die Pferde 
wurden nachgezogen. Uebrigens war so wenig Wasser darin, dass wir 
getrost hätten hindurchreiten können. Von Krokodilen bekamen wir nichts 
zu sehen. Die Leute erzählen, dass sie hauptsächlich in der Dämmerung 
ihr Wesen treiben und kein Fährmann würde — selbst für hohen Lohn 
— nach vier Uhr nachmittags hinüberfahren. Ochsenkarren wurden über 
das Boot geschoben und die Tiere wateten hindurch. Es war heute sehr leb- 
haft an der Furt und auf dem ganzen Wege; alles strömte nach Ishuatan. 
Schon von Iztaltepec ab war uns, wenn wir im Vorüberreiten nach dem 
und jenem fragten, der Bescheid geworden: »estä en viaje para la fiestal* 

Wir ritten vorwärts bis kurz vor Eintritt der Dunkelheit und machten 
dann auf freiem Felde, in unmittelbarer Nähe der Landstrasse Halt zur 
Rast Wasser hatten wir in Guajes mitgeführt, auch war nicht allzu weit 
entfernt hinter einer Baumgruppe ein Vieh -Rancho, wo am Morgen mehr 
geholt werden konnte. Bald loderte ein Lagerfeuer, wir kochten Schoko- 
lade; die Pferde weideten behaglich und wir legten uns zur Ruhe auf 
einer Stelle, wo der Boden hart und eben war wie eine Tenne; über 
unsern Köpfen spannten wir unsere Sonnenschirme auf, um uns vor dem 
starken Nachttau zu schützen, und schliefen so gut es eben ging. Als wir 
aufbrachen, stand noch der Mond am Himmel, dessen Licht in diesen 
heissen Landstrichen lieber zum Reisen benutzt wird, als der Sonnen- 
schein. Waren doch morgens um 10 Uhr nahezu 30° R., denn es war 
wieder Südwind aufgesprungen. 

Der Weg wurde immer belebter von Ochsenwagen, Reitern und 
Fussgängern, je mehr wir uns Ishuatan näherten, das wir gegen Mittag 


ios 


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erreichten. Nur mit grosser Mühe und mit Hilfe des Gemeindevorstehers 
eroberten wir soviel Platz, dass wir unser Gepäck unterbringen und unsere 
Hangmatten aufhängen konnten, unter einem Vordach, dessen Schutz 
wir noch mit etwa einem Dutzend anderer Menschen teilten. 

Meine Feder erlahmt bei dem Versuche, ein Bild dessen zu geben, 
was sich unsern Augen bot. Es ist mir nicht möglich, die vielgestaltige 
Buntheit der mannigfachen Bilder in einem Gesichtspunkte zu sammeln, 
alles zerflattert in eine unendliche Fülle von Einzelheiten. Es war ein 
buntes Treiben: Ochsenkarren waren zu einer Wagenburg zusammen- 
geschoben und dienten den Familien, die darin gekommen, zur Wohn- 
stätte; Frau und Kinder schliefen unter dem von Matten gebildeten 
Schutzdach, der Mann, in seinen Zarape gewickelt, daneben auf der Erde. 

Unter jedem Vordach hingen soviel Hangmatten, als irgend Platz finden 
konnten. Auf vier Pfählen ruhende Palmblattdächer waren neben den 
Häusern errichtet, um Gäste aufzunehmen. Ueberall 
waren Pferde angebunden, weideten die von den 
Karren losgeschirrten, paarweis zusammengckoppelten 
Ochsen. Eine Strasse von Buden mit Ess- und Trink- 
waren zog sich neben der Kirche hin. Eine zweite 
stiess im rechten Winkel darauf. Hier gab es Waren 
aller Art, sowohl minderwertige europäische, wie auch 
einheimische: Sattelzeug und Blechwaren, Handtücher, 
bunte Kattune, leichte Seidenstoffe, Eisengeräte und 
was es sonst für einheimische Herzen begehrenswertes 
, , gab. — Die Buden, von leichten Holzstangen auf- 

Hieroelvphi- b " 

ishuatan gerichtet, ebenso wie die Vordächer der Häuser und 

die ad hoc aufgeschlagenen Hütten zur Beherbergung 
von Fremden, nahmen sich mit den von frisch grünen Palmblättern ge- 
bildeten Dächern und Wänden gar lustig aus. Dazu die wimmelnde 
heitere Menge, noch nicht ganz betrunken, Kunstreiter, ohrbetäubende 
Musik an allen Ecken und Enden. 

Bis an das Ufer des selbst in dieser Jahreszeit reichlich Wasser führen- 
den Flusses wogte das bunte Treiben. Hier bot sich ein heiteres und bewegtes 
Bild. Vor dem Festtag wollten alle am Orte versammelten Weiber augen- 
scheinlich ihre Wäsche waschen. Die weissen und bunten Lappen hingen 
über allen Büschen, und im Wasser selbst trieb sich alt und jung, Männer, 

Frauen und Kinder umher. Dazu die Menge der Zugtiere, die zur Tränke 
geführt wurden. Und wo die Furt durch den Fluss führt, ein fortwährendes 
Herzuströmen von Reitern, Karren und Wanderern. — Das Bad im Flusse 
war erquickend nach des Tages Müh und Hitze, denn ein wenig oberhalb 
fanden sich stillere Stellen, wo das Wasser tief genug zum Schwimmen 
war und der Ufersand so fein und rein wie Meeressand. — Abends wohnten 

106 

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TAFEL XXII 



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Am Flusse von Ishuatan 


wir noch einem »Baile« bei, der in einem grossen, aus Stangen und Reisig 
zusammengefügten Raume abgehalten wurde, in dem eine erstickende Hitze 
herrschte. Ich hatte so oft von dem »Zapatero«, dem Tanz der Tehuaner 
sprechen hören, dass ich lebhaft enttäuscht war, denselben langweiligen Tanz 
zu finden, den ich schon aus der Huaxteka unter dem Namen Huapango kannte, 
den ich überall in Mexiko fand, wo ich tanzen sah, abgesehen von den zere- 
moniellen Tänzen der Indios. Augenscheinlich ein verdorbener Fandango, 
meist steif und ernsthaft wie eine Arbeit und, wenn er lebhaft wird, ziemlich 
gemein. Aber es war mir lieb, einmal die tehuanischen Huipiles als 
Tanztracht zu sehen, wobei der Kopf zwar durch den Halsausschnitt 



Am Fluss von Ishu:it;in 


gesteckt wurde, die Aermel aber nutzlos herabhingen. In dem mit bunten 
Laternen und Lichtern erhellten Raume herrschte eine erstickende Hitze. 

Für unsere Zwecke war das Fest nicht sehr günstig, denn kein 
Mensch hatte Zeit oder Lust, in allen Winkeln nach Altertümern zu suchen. 
»Nach der Fiesta* war denn auch der schlechte Trost, der uns überall 
auf unsere Anfrage wurde. Trotzdem erhielten wir einige ganz interessante 
Stucke. So war denn zwar die Sammlung von Tehuantepcc nach Ishuatan 
nicht gerade bedeutend, aber doch ausreichend, ein Bild der hier vor- 
handenen Typen zu geben. — Vor einigen Jahren hat die Regierung im 
ganzen Lande sammeln lassen, um die Ausstellungen von Madrid (1892) und 
von Chicago (1893) würdig beschicken zu können; ein halbes Jahr vor 
uns hat ein sammelnder Amerikaner den Isthmus bereist; Curas und Jefes 


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sammeln zu eigener Freude, für ihre Freunde oder zu gelegentlichem Verkauf. 
Wenn man noch bedenkt, dass vieles von dem Gefundenen fortgeworfen 
oder den Kindern als Spielzeug gegeben wird, so ist es wunderbar genug, 
dass man doch immer noch Sachen bekommen kann, und ein Beweis 
für die Menge des Vorhandenen. Die Erzählungen von Höhlen, in denen 
Altertümer gefunden werden, von Bergen mit Ruinen, voller Figuren und 
Töpfereien nehmen kein Ende. Man könnte aber all diesen Weisungen 
nur folgen, wenn man Jahre zur Verfügung hätte, und würde wahr- 
scheinlich auch dann viele Enttäuschungen erleben. 

* ajj 

• 

Am Nachmittage des i. Februar brachen wir mit sinkender Sonne 
auf, rasteten ein paar Stunden in dem kleinen Rancho Las Anonas und 
ritten vor Tau und Tag wieder ab. Zwischen Las Anonas und Tapana 
führt der Weg durch schönen, hohen Wald. Seit langer Zeit hatten wir 
zum ersten Male wieder den Eindruck voller Tropen-Schönheit. Woran es 
liegen mag, dass es hier auf einmal frisch ist — auch die Berghänge 
leuchteten grün, die bisher ein winterliches Grau gezeigt — vermag ich 
mir nicht zu erklären, denn die Wasserläufe waren alle trocken. Vermutlich 
sammelt sich versickerndes Wasser nicht allzu tief unter der Oberfläche, 
denn es sind viele Vieh-Ranchos in der Gegend, die gegrabene Brunnen 
haben. — In heisser Sonnenglut langten wir in Tapana an, wo wir in einem 
reinlichen und freundlichen Hause Unterkunft fanden, dessen Wirtin einen 
französischen Namen trägt. Ihr Vater war Franzose, eine Schwester ist 
mit einem Schweden, eine andere mit einem Schweizer verheiratet. Es 
ist hier eine Gegend der Mischfamilien. Der Isthmus scheint seit langer 
Zeit eine Anziehungskraft für Europäer besessen zu haben. Viele von 
ihnen mögen mit der Absicht gekommen sein, nur etliche Jahre hier zu 
bleiben, dann nach der Heimat zurück zu kehren. Unter den mancherlei 
Gründen, die sie festgehaltcn haben, mag der Reiz der Frauen nicht der 
geringste gewesen sein. Fast alle leben mit eingeborenen F'rauen, teils in 
wilder, teils in legitimer Ehe. Das eine wird für ebenso berechtigt und 
natürlich angesehen, wie das andere. Als ich in Ishuatan vor dem Hause 
sass, gesellte sich eine Frau zu mir: »Sie kommen aus Tehuantepec? 
Kennen Sie dort Don Fulano de Tal?« Es war ein Europäer, nach dem 
sie mich fragte; natürlich kannte ich ihn. »Oh, dann kennen Sie auch 
meine Schwester, mit der lebt er ja zusammen.« Das sagte sie als etwas 
vollkommen Selbstverständliches. — Aehnliche Verhältnisse habe ich 
späterhin vielfach zu beobachten Gelegenheit gehabt. Am häufigsten in 
Guatemala, und unsere Landsleute machen keine Ausnahme von dieser 
Regel. Viele der deutschen F'inqueros lebten mit einheimischen F'rauen, 


loS 


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hatten Kinder mit ihnen. Dagegen ist kaum etwas einzuwenden, denn 
sic leben in richtiger Ehe, die sie wahrscheinlich vor manchem Schlimmen 
bewahrt, und führen ein meist gutes Familienleben. Was mich aber stets 
peinlich berührt hat war, dass sie ihre Frauen vor uns verleugneten und 
versteckten. Wenn sie mit ihnen Kinder haben und ihnen die Behaglichkeit 
ihres einsamen Lebens verdanken, so dürfen sie sich auch ihrer nicht schämen. 
Diesen Mangel an Mut habe ich den Herren stets übel genommen. Mancher 
erzählte mir, er habe Kinder und was er für diese zu thun gedenke, aber nicht 
einer erwähnte die Mutter dieser Kinder. Bei allen ist der Gedanke an 
die einstige Rückkehr ins Vaterland lebendig. Dahin aber wollen und 
können sie die Frauen nicht mitnehmen, wollen auch die Möglichkeit 
behalten, in Fluropa eine anerkannte Ehe zu schliessen. Als gesunde 
Verhältnisse vermag ich das nicht anzusehen. 

* * 

* 

Aus der grauen Ebene von Tehuantepec waren wir heraus; Tapana 
liegt schon wieder zwischen Bergen, an einem Fluss mit vielen tiefen 
Pozos, so dass an Wasser kein Mangel ist. Auch der alte Thomas Gage 
lobt Tapana — oder, wie er es nennt, Tapanatepeque — als einen reichen, 
heiteren Ort, wo kein Mangel sei an Nahrung und an Wasser, und er 
dachte noch oft in kommenden mühseligen Tagen an die Fleischtöpfe 
von Tapana zurück. Auch uns blieb der hier verbrachte erfrischende 
Ruhetag noch lange der «lichte Regenbogen der Erinnerung auf den 
trubeq Wolken der Gegenwart«. 

* * 

* 

Unzweifelhaft hat eine Mondscheinnacht ihre Reize unter jedem 
Himmelsstriche. Wenn man aber einige hintereinander zu Pferde verbracht 
hat, ist man doch ganz zufrieden, trotz des herrlichsten Mondscheinglanzcs, 
sich auf irgend einem landesüblichen Lager ausstrecken zu können und 
den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Es war aber so heiss, dass wir 
doch das hier allgemein übliche Nachtreisen vorzogen, zumal die Wege 
eben, breit und meistens offen sind, so dass sie bis nach Tonalä von 
den schwerfälligen Ochsenkarren befahren werden können. So bestiegen 
wir denn beim Mondaufgang unsere Pferde, begleitet von einem ortskundigen 
Manne, der uns den etwas kürzeren Weg über die Hacienda La Guadalupe 
fuhren sollte, und einem jungen Dorfköter, genannt Bravo, den einer 
unserer Burschen geschenkt erhalten hatte und der uns getreulich bis nach 
Guatemala begleitete, wo er sich im städtischen Treiben verlor, wie so 
manches Landkind. Da die Pferde in der frischeren Nachtluft lustig 
vorwärts gingen, erreichten wir um io Uhr morgens La Junta — ziem- 


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lieh müde, zumal es während der letzten Stunden schon wieder sehr 
heiss gewesen war. Der Weg hatte streckenweise durch schönen Wald 
geführt, aber von einem schweigenden Walde, von einer stillen Nacht 
kann man hier nicht sprechen; unendliche fremde Stimmen sind wach, 
und selbst die Vögel scheinen die Nachtkühle der Tageshitze vorzuziehen. 
— Von dem Orte ist nichts zu berichten. Auf einer bebuschten Höhe 
wurde uns das weiss schimmernde Grabmal eines Mannes gezeigt, über 
dessen Bedeutung ich nicht recht ins klare kam. Jedenfalls galt die 
Stelle den Leuten als eine Merkwürdigkeit. Wir verschliefen den Tag, 
badeten, ordneten unsere Pflanzen und sassen um I Uhr nachts wieder 
im Sattel, um zu leidlich früher Morgenstunde, noch ehe es die Sonne 
zu gut meinte, in Tonalä einzureiten. 


* * 

• 

Tonalä ist Distriktshauptstadt, einziger Ilafenplatz des grossen Staates 
Chiapas — d. h. es liegt ebenso wie alle Plätze dieses Küstenstriches 
einige Meilen vom Meere entfernt und besitzt überhaupt keinen Hafen, 
sondern nur eine Reede. Es ist Durchgangsstation für viele Maultierkara- 
wanen, hat eine nette, mit Gartenanlagen versehene Plaza, 
um die ein paar hübsche saubere Häuser stehen, aber 
kein Wirtshaus. In einem geräumigen, aber schmutzigen 
und schlecht gehaltenen Hause, dessen Besitzverhältnisse 
nicht ganz klar waren, kamen wir unter. Bald spielte sich 
ein Schneider als Eigentümer auf, bald Dona Carmen. Zwar 
bot uns Don Samuel Ordonez, an den wir empfohlen waren, 
in seinem hübschen Hause am Platz Wohnung an, aber dann 
hätten wir uns von den Pferden trennen müssen, und so 
brav sich Cornelio und Turibio bisher gezeigt hatten, die 
alleinige Sorge für die Tiere konnten wir ihnen leider nicht überlassen. 
So blieb keine Wahl: wir zahlten dem Schneider ziemlich hohe Miete für 
ein grosses Zimmer mit zwei Catres und der Doiia Carmen einen eben- 
falls ansehnlichen Preis für Verpflegung, die allerdings — die Gerechtigkeit 
muss ich ihr angedeihen lassen — vorzüglich war. Im Gegensatz zum Hoch- 
land, von dem wir kamen, war alles teuer, und man bereitete uns darauf 
vor, dass wir es nirgends in Chiapas anders finden würden, ja dass weiter- 
hin an der Küste, nach Tapachula zu und darüber hinaus, alles noch 
bei weitem teurer bezahlt würde. Es schien, als ob die hohen Preise von 
Guatemala ihre Wirkung bis hierher verspüren liessen. Diese aber waren 
entstanden durch das Emporschnellen der Kaficeprcise, das die Plantagen- 
besitzer zu vermehrten Ausgaben find ziemlichem Luxus veranlasste, und 
die zur gleichen Zeit sich stetig verschlechternden Silberverhältnisse, 



Hierogly phe 
Tonalä 


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wodurch der Wert aller eingefuhrten Waren ganz unnatürlich gesteigert 
wurde. Der Staat Chiapas aber hat lebhafte Fühlung mit Guatemala; 
kein Wunder, da er lange genug mit Guatemala politisch verbunden 
war und erst in den Kämpfen am Anfänge dieses Jahrhunderts sich mit 
Mexiko vereinigte, eingedenk des spanischen Sprichwortes: >Mejor cola 
de leon, que cabeza de raton«. 

Im Orte selbst war von Altertümern nichts zu sehen, ausser einem 
grossen skulpierten Stein, der umgestürzt in den Gartenanlagen des Platzes 



Der Stein auf der Plaza von Tonnld 


lag. Seiner Lage wegen konnten wir ihn nicht fotografieren, sondern 
mussten uns mit einer Zeichnung begnügen. Da seine beiden Seiten 
bearbeitet waren, wurde er von ein paar Soldaten umgedreht, wobei zum 
Entzücken der versammelten Strassenjugend eine ganze Schar von Kröten 
aus ihrer beschaulichen Ruhe autgestört wurden. 

Aber unser Sinn stand nach dem alten Orte, und der liegt auf einem, 
die heutige Stadt im Norden überragenden Bergrücken. Ein alter Mann 
sollte uns hinaufführen. Leider glaubte er uns einen ganz besonderen 
Gefallen erweisen zu müssen, indem er behauptete, wir könnten hinauf- 


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reiten. So bestiegen wir denn in der That die Tiere und hatten das 
Vergnügen, sie fast den ganzen Berg hinan fuhren zu müssen, da wir uns 
ziemlich steil durch eng verwachsenes Buschwerk einen Weg suchen 
mussten. Zuletzt ging es ein langes Stück auf dem Plateau entlang mit 
einem herrlichen Blick über die Lagune hinweg auf den Ozean; draussen 
auf der Reede lag der Dampfer, dessen Ankunft von Tehuantepec am ver- 
gangenen Tage erwartet worden war. Der ganze Berg ist Weidegrund, 
von vielen Pferde-, Rinder- und Schafherden belebt. Zwischen dem 
hohen, jetzt gelben Grase blühte es so reich und bunt, dass botanisieren 
eine Lust war; überall führten die Bergbäche reichlich Wasser und waren 
üppig von Bambusdickichten, von Baum- und Strauchwerk umgrünt. Ein 
leichter Wind mässigte die Hitze und machte den Mangel an Schatten 
bei den Ruinen weniger fühlbar. 



S t u f c d p y r a m i «I c auf il e in C e r r o <1 e Toual.'l 


Die alten Ueberreste sind ausgedehnt und die nicht allzu hohen, aber 
breiten Stufenpyramiden zum Teil wohlerhalten. Weithin über das Plateau 
und über die Abhange zerstreut finden sich Fundamente. Es lässt sich 
wohl vermuten, dass hier eine volkreiche Ansiedlung gelegen war. Die 
günstigen Wasserverhältnisse, die gegen Angriffe leicht zu verteidigende 
Lage, der frische Hauch, all das machte den Platz wohl geeignet zu einer 
Stadtanlage, die sicher weder vom Fieber noch von Insekten so zu leiden 
hatte wie das heutige Tonalä, das als ziemlich ungesund gilt. Ein weiter 
Platz am Rande des Plateaus ist von grösseren und kleineren Pyramiden 
und Bastionen umgeben. Ein wenig seitwärts liegt ein einzelner, hoher, 
gut erhaltener Stufenbau, an seinem Fusse ein mächtiger runder Stein 
(runde Steine deuten auf Sonnendienst und Tonallan heisst »Land der 
Sonne«), der an vier Seiten ausgehauene Tierköpfe trägt. Dies war das 
einzige Stück, das figürlichen Schmuck zeigte, und auch von Scherben 
war nichts zu sehen. Weiter unten soll cs in der Nähe eines Ranchos 
noch einen gemeisselten Stein geben, doch bekamen wir ihn nicht zu 


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Gesicht, da wir den dorthin führenden Weg verfehlten und nur mühsam 
durch dichtes Gebüsch den Abstieg fanden. Bemerkenswert war eine 
breite gepflasterte Strasse, die von der Höhe eines Hügels in das tiefe, 
Wasser führende Bett eines grün umbuschten Baches hinabführt. 

Trotz des unbequemen Rückweges kehrten wir befriedigt heim mit 
neuen Eindrücken, wohlgefülltem Herbar und etlichen fotografischen 
Aufnahmen. Aber ein bitterer Tropfen fiel in unsern Freudenkelch, als 
wir die Endeckung machten, dass Turibio das Stativ-Dreieck zum foto- 
grafischen Apparat verloren hatte. Was nun? Wir schrieben zwar sofort 



Untere Tempelanlage auf dem Cerro de TonulA 


an Stegemann nach Berlin, aber auf zwei dreiecklose Monate mussten 
wir uns gefasst machen. Und so lange keine Aufnahme? Unmöglich. 
Wir setzten uns also mit einem Schmied und einem Tischler in Ver- 
bindung. Der Schmied erwies sich als ein intelligenter Mensch. Aber 
seine Schrauben passten nicht und es machte Schwierigkeiten an dem 
hölzernen Dreieck die zur Aufnahme der Stativbeine nötigen Zapfen 
anzubringen. Schliesslich kam ein leidlich brauchbares Ding zu stände, 
aber leider erwies sich seine Stabilität schon nach wenigen Tagen als 
höchst unzulänglich, und bis Tuxtla-Gutierrez konnte ich meine Aufnahmen 
immer nur mit dem Vorbehalt machen: wenn das Stativ nicht rutscht; 

Seiet Alte Wege. S 

1 *3 


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und es rutschte leider sehr oft! So ist denn die Ausbeute dieses Reise- 
abschnittes gering genug ausgefallen. Dies war der Höhepunkt meiner 
fotografischen Leiden, die auf dem Quie-ngola begonnen hatten und 
während der ganzen Reise nicht mehr auf den Nullpunkt zurückgingen. 

* * 

* 

Eine Idylle ist der Fluss von Tonalä! Sein klares Wasser kommt 
vom Gebirge herunter und rinnt und rieselt über Felsbrocken und zwischen 
grünen und blühenden Gesträuchen dahin. Kleine Arme laufen unter 



Runder Stein mit Tierköpfen am Kuss einer Stufenpyrainide 


schattigem Laubdach einher und bieten den Frauen kühle Waschplätze. 
Ein Arm läuft durch den Ort, er trennt die eigentliche Stadt von einem 
Barrio, und eine Brücke führt hinüber. Dieser Arm war zur Zeit trocken 
und eine Sammelstellc jeglichen Unrats. Bis an diese Brücke reichen die 
städtischen Häuser, jenseits kommen leichtere, hüttenartige Wohnungen 
und grosse Schutzdächer für die Arrieros, daneben weite, eingezäunte 
Höfe für die Lasttiere. Jeden Abend vor Sonnenuntergang lenkten wir 
unsere Schritte hierher. Wo die Häuser zu Ende waren, ging es noch 
ein Stückchen durch Busch und Sand, dann waren wir bei den Wäsche- 
rinnen. Seife ist ein seltener und teurer Artikel, sie benutzen daher in 


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altgewohnter Art eine Frucht, die die Seife vollständig ersetzt. Leider 
habe ich nicht mit Sicherheit in Erfahrung bringen können, welcher 
Pflanze sie zugehört. Noch ein Stück weiter und wir waren am Fluss- 
ufer und konnten unsere von Insektenstichen, vom roten Hund, von 
Zeckenbeulen gequälten Glieder in die erfrischende Flut tauchen. Nirgends 
und niemals haben wir in gleichem Masse gelitten unter dem unerträg- 
lichen Jucken und Brennen, das die Hitze erzeugt, vermehrt durch die 

Stiche unzähliger Tierchen. An ruhigen 
Schlaf war nicht zu denken, oft sprang 
ich mitten in der Nacht auf, um mich 
mit Wasser oder Spiritus zu waschen, 
was natürlich nur eine Linderung von 
kurzer Dauer bedeutete. Manchmal 
hatte ich die Empfindung, als wäre 
am ganzen Körper kein heiler Fleck. 
Die Zecken oder Holzböcke, Garrapatas, 
haben sich vermutlich durch das mit 
den Spaniern ins Land gekommene 
Rindvieh stark vermehrt. Sie scheinen 
sich jedenfalls in dem warmen Klima 
weit wohler zu fühlen als in Europa, 
wenigstens ist mir dort keine Gegend 
bekannt, wo sie so gedeihen. 

• * 

* 

Auf vielfaches Fragen erfahren 
wir, dass der Stein auf der Plaza aus 
dem Walde bei Kl Paredon stamme, 
einem ärmlichen Fischerdorf an der 
Lagune. Es sollten noch mehr derart 
dort liegen, auch klang der Name — 
El Paredon heisst »die grosse Mauere — 
recht verheissungsvoll. Im leichten 
amerikanischen Buggy fuhr uns ein 
alter Chicagomann, der seit Jahren in 
der Gegend lebt, ein Gasthaus am Hafen hat und ausserdem Kutscher, 
Arzt, kurz alles, was gerade verlangt wird, vor allen Dingen aber Ge- 
schäftsmann ist, nach El Paredon ein paar Leguas durch den Busch. 
Natürlich war nichts dort von dem, was wir zu finden gehofft hatten. 
Spuren einer alten Ansiedlung waren wohl auf einer erhöhten Stelle 
im Walde, die in der Regenzeit wie eine Insel aus den Fluten ragt, 
aber keine Spur von Skulptur, nur einige grosse, behauene, aber glatte 

S* 



Gepflasterter Weg auf dem Cerro 
de To na ln 


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Steine waren zu sehen. Manche Kleinigkeiten werden gefunden — aber 
immer wieder derselbe trostlose Bescheid: »das heben wir nicht auf; das 
haben die Kinder zerbrochen.« Hübsch war es an der Lagune, aber 
wenn man die Reisighütten nicht sah, so konnte man sich an das Ufer 
eines norddeutschen Landsecs versetzt glauben. Als wir aus dem Walde 
herauskamen, bemerkte ich mit Schrecken, dass mein weisses Kleid mit 
rötlichen und schwarzen, winzig kleinen Punkten ganz besät war. Das 
waren Zecken von der kleinsten Art, l’inolillos, die ich vermutlich beim 
Vorübergehen von einer Pflanze abgestreift hatte. Die Pinolillos sind die 
schlimmsten, denn ihrer Kleinheit wegen kann man sie nicht entfernen, 
und der Gedanke, diese Scharen demnächst in meiner Haut zu beherbergen, 



Die Lagune von Kl Paredon 


war wohl dazu angethan, mich mit Schauder zu erfüllen. Ich zog das 
Kleid aus und hing cs in die Sonne, denn die können sie nicht ver- 
tragen. Aber da zeigten auch die Unterkleider das unheimliche Punkt- 
muster. So fiel eine Hülle nach der andern, und mir blieb keine Rettung, 
als im Wasser Schutz zu suchen. Das war ein köstliches Bad in den 
weichen, warmen Fluten, und als ich ihnen nach einer halben Stunde 
entstieg, hatte die liebe Sonne ihre Schuldigkeit gethan: das Teufelszeug 
war matt und liess sich abschütteln. 

Da auch dieser Ausflug ergebnislos verlief, kam es, dass wir 
Tonalä verliessen, ohne unsere Sammlung auch nur um ein einziges 
Stück bereichert zu haben. Möglich, dass umfassende Grabungen Alter- 


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TAFEL Will 



Am Flusse von Tonalä 



Wäscherinnen bei Tonalä 


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tümer zu Tage fördern würden; sicher ist nicht einmal das, denn es wird 
merkwürdig wenig gefunden und das ist um so auffallender, als auch an 
dem Wege, den wir zunächst einschlugen, vielfache Ueberreste alter Be- 
festigungen, Wegsperren, Siedelungen zu finden sind. 

* * 

• 

Wir hatten hin und her überlegt, welchen Weg wir von hier aus 
einschlagen sollten, um nach Guatemala zu gelangen; übers Gebirge, 
quer durch Chiapas, oder an der Küste entlang über Tapachula. Dieser 
war der kürzere, und da wir schon viel mehr Zeit auf der Reise zugebracht 
hatten, als im ursprünglichen Plane lag, entschlossen wir uns, ihn ein- 
zuschlagen. Aber »second thoughts are best«, und nachdem wir einen 
kurzen Vorstoss in dieser Richtung gemacht hatten, kehrten wir um 
und führten doch den zweiten Plan aus, was wir nicht bereut haben. 

Eine Tagereise war es bis zur reichen und schönen Hacienda von 
S. Pedro; guter Weg durch parkartige Landschaft; zur Rechten offen, zur 
Linken von buschbewachsenen Höhenzügen begleitet. Unterwegs schlossen 
sich uns einige Reiter an, im Hochlande von Chiapas ansässige, einheimische 
Hacendados, die auch hier an der Küste einige Ranchos besassen, die 
sie besichtigen wollten. Die Unterhaltung mit ihnen machte uns schon 
in unserm Beschlüsse wankend. Der ältere meinte, so viel ihm bekannt, 
wäre für unsere Zwecke auf dem eingeschlagenen Wege nicht viel zu er- 
warten, dagegen verspräche der andere um so mehr, und ganz gleiche 
Auskunft erhielten wir in S. Pedro selbst. — Es war eine stattliche Zucker- 
Hacienda, in der Nähe des Hauses Arbeiterhütten und regelmässig ange- 
pflanzte Kokos-Alleen. Aber das behagliche Nachtquartier, auf das wir hier 
zu hoffen berechtigt waren, wurde uns nicht, denn kurz vor uns waren 
von der andern Seite her Soldaten eingetroffen, die den ganzen weiten 
Hofraum in ein Lager umgewandelt und deren Offiziere jeden verfügbaren 
Raum im Hause belegt hatten. Es waren die Truppen, die von der 
guatemaltekischen Grenze zurückkehrten, wo man während der letzten 
Monate ziemlich bedeutende Massen zusammengezogen hatte, da Grenz- 
streitigkeiten — durch das Vordringen mexikanischer Holzfäller am Usu- 
tnacinta hervorgerufen — eine Kriegsmöglichkeit hatte auftauchen lassen. 
Natürlich hatte Guatemala schliesslich die Ansprüche Mexikos auf die 
herrlichen Wälder anerkannt, da es sich in das Abenteuer eines Krieges 
mit dem mächtigen Nachbarn verständigerweise nicht stürzen wollte. 

Man wies uns in ein Nebengebäude, wo wir in einem Winkel unterm 
Vordach ein Plätzchen für unsere Hangmatten fanden. An Schlafen 
war freilich nicht zu denken. Ununterbrochen tönte der Ruf der Wachen, 
mit denen das 1-ager so dicht umstellt war, als gälte es einen Gefangenen- 
transport zu bewachen. Ausserhalb dieses umzingelten Bezirks lagerte 


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der Tross der Weiber und Kinder in wüstem Durcheinander mitgeführten 
Hausrats von allerlei Art: ein Lagerbild vergangener Zeiten. Wenn 
aber auch die Wachen nicht gewesen wären, so hätte uns doch die 
entsetzliche Plage dieser Küsten nicht schlafen lassen, die Jejenes. Das 
sind kleine schwarze Insekten, so klein, dass man das einzelne Tierchen 
kaum bemerken würde, aber sie kommen in schwarzen Wolken heran 
und erfüllen die ganze Luft; selbst ein Mosquito-Netz schützt nicht vor 
ihnen, da die Maschen des dünnen Gewebes sie hindurchlassen. 

Diese widrigen Umstände erleichterten uns die Umkehr nach Tonalä. 
Ob man uns richtige Auskunft gegeben hatte, vermag ich nicht zu sagen, 
da ich ja den Küstenweg nicht kenne. Gewiss ist auch in der Küsten- 
gegend gar mancherlei für den Altertumsforscher zu finden, aber in den 
dichten Wäldern jedenfalls nur bei langdauernder Arbeit, nicht auf flüchtiger 
Reise. Wie dem auch sei: für uns war der Rat ein Schicksalswink, ohne 
ihn wären wir nie nach Chaculä gekommen, und Chaculä wurde der Höhe- 
punkt unserer archäologischen Reiseergebnisse. 



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Hieroglyphe ns telo von Ococingo (*/• d. natttrl. Grösse'i 


SECHSTER ABSCHNITT. 

Quer durch Ghiapas. 

12. Februar — 29. März 1896. 

Chiapus. — Her alte und <ler neue Weg. — Valle de Cintalapa. — Die Familie Moguel, — 
Die Altertümer in der Hacienda Fl Kosario, — Ocozuquauhlla. — Tuxtla Gutierrez. — Schokolade. 
— Chiapa de los Indios. — lm Gebiet der Zozll. — S. Cristohal de I^is Casus. — Das Buch 
Pincdas. — Träger. — Indianerdürfer. — < »eocingo und Tonind. — Bei Doüa Hertnlnu. — 
Geringe Krfolge. — Kiefernwald, Der Saconijd. — Der Aineisenhuum. — Verjel. — Comitan. 
— Fernando Vasquez und «1er Ilun Chavin. 


Länder, auf deren Boden sich Nationen begegnen, Kulturen ver- 
mischen, Gegensätze aufeinander stossen, haben stets und überall einen 
grossen Reiz: weil sie Rätsel aufgeben, aber oft auch Rätsel lösen. Ein 
solches Land war Chiapas von alters her. Hier sass das kriegerische Volk 
der Chiapaneken, den übrigen Nationen rings umher stammfremd. Das 
ganze Gebirgsland war ihm eine natürliche Festung; selbst der überall 
machtvoll vordringenden mexikanischen Herrschaft gegenüber bewahrte 
es seine Unabhängigkeit, und ‘es kostete die Spanier gar harte Kämpfe 
ehe sie Sieger blieben. — Zu der Chiapaneken-Bevölkerung aber gesellten 
sich von allen Seiten her andere Stämme mit andern Kulturen: Maya, 


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Mixe, Zoque, Mexikaner, so dass eine grosse Mannigfaltigkeit an 
Sprachen und Kulturen in diesem Gebiete vereinigt ist. Noch vor fünfzig 
Jahren konnte Mühlenpfordt schreiben: »Von diesem Staate ist bis jetzt 
wenig Genaues bekannt.« Das lässt sich freilich heut nicht mehr sagen, 
denn auch hier zieht der zunehmende Verkehr immer weitere Kreise, 
wenn auch langsam genug. Von der pazifischen Küste führt sogar ein 
fahrbarer Weg bis zur Hauptstadt. Aber die übrigen chiapanekischen 
Wege sind sprichwörtlich geworden wegen ihrer Beschwerlichkeit, und 
von allen Seiten muss man den Zugang durch die Ersteigung rauher 
Gebirge erkämpfen. Es kommt noch hinzu, dass die Bevölkerung über- 
wiegend indianisch ist, dass in dem gebirgigen Lande mancherlei Sagen 
und Erzählungen an Höhlen sich knüpfen, dass weite Gebiete von dichten 
Urwäldern bedeckt sind, um den geheimnisvollen Reiz des Landes zu er- 
höhen; um es auch dem Forscher wünschenswert erscheinen zu lassen, 
hier näher einzudringen. — Zur Zeit der spanischen Herrschaft war 
Chiapas mit Guatemala vereinigt. Nach der Losreissung schloss es sich 
den Vereinigten Staaten von Mexiko an, eingedenk des Sprichwortes: 
Mejor cola de leon, que cabeza de raton. (Besser des Löwen Schwanz, 
als der Ratte Kopf.) Noch heutigen Tages sind die Verbindungen von 
Chiapas mit Guatemala sehr lebhaft, und mancher kleine Zug im modernen 
Leben weisst auf die frühere Vereinigung hin. 

Wir freilich mussten auf dem grossen Wege bleiben, um unsere An- 
kunft in Guatemala nicht über Gebühr zu verzögern. Sogar den Abstecher 
zu den Ruinen von Palenque mussten wir, durch widrige Umstände ge- 
zwungen, aufgeben. Und so enthüllte sich uns wenig genug von den 
Geheimnissen des Landes. Trotzdem bot die Reise gar viel des Inter- 
essanten. 

Wir hatten die Wahl zwischen zwei Wegen, um von Tonalä aus ins 
Innere von Chiapas zu gelangen: dem alten, bis vor wenigen Jahren ein- 
zigen, schlechten über Calera, und der neuen Strasse über Cintalapa. 
Der alte Weg ist der kürzere, aber von je her wegen einer sehr schlechten, 
bei dem hier häufigen, starken Winde geradezu gefährlichen Stelle be- 
rüchtigt. Alle, die dieses Weges gezogen sind, brechen in die gleichen 
Klagen aus, die alten Berichterstatter ebensowohl als die heutigen Arrieros. 
Ja. es ist nichts Ungewöhnliches, dass die Maultierzüge am Fusse des 
Gebirges tagelang warten, da sie den Aufstieg zur Sierra de Macuilapa 
bei heftigem Winde mit den beladenen Tieren nicht wagen. Schaudernd 
erzählt der Mönch Thomas Gage in seinem Reiseberichte, wie er mit 
seinen Begleitern drei Tage hungernd am F'usse des Aufstieges harrte, 
dass der Wind sich legen sollte. Da sie vergeblich warteten, wagten sie 
endlich hinaufzugehen, krochen aber über die böse Stelle auf allen Vieren 
hinüber, aus Angst, vom Schwindel erfasst oder vom heftigen Winde 


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hinabgeweht zu werden. Ihre Maultiere aber liessen sie von ihren in- 
dianischen Führern am Zügel hinüberführen, denen sie somit ein leuchtendes 
Beispiel von Mut und Gottvertrauen gaben! Schon dieser alte Reise- 



bericht gicbt der Verwunderung Ausdruck, dass man das Gebirge nicht 
aut einem geringen Umwege überschreite, anstatt Mensch und Tier solch 
drohender Gefahr auszusetzen. Aber erst vor wenigen Jahren hat sich 
diese Erkenntnis so weit Bahn gebrochen, dass man statt des alten 


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Indianerweges eine neue fahrbare Strasse angelegt hat, die den bösen 
Uebergang in weitem, nach Westen gerichteten Bogen umgeht und den Rand 
des Gebirges an einer verhältnismässig niedrigen Stelle, der Cuesta de 
S. Fernando, überschreitet. Sie hat ausserdem noch den Vorzug, das weite, 
fruchtbare Vailc de Cintalapa und die grossen Hacienden dieses Gebietes mit 
der Aussenwelt durch eine Fahrstrasse zu verbinden, ihnen die Einführung 
von Verbesserungen und die Ausführung ihrer Erzeugnisse zu erleichtern. 
Natürlich fehlte es auch nicht an Klagen über die Verkehrserleichterung. 
Die letzten Jahre hatten der grossen Trockenheit wegen schlechte Mais- 
ernten gebracht, und man jammerte, dass nunmehr fremdes, amerikanisches 
Korn billiger ins Land käme als das einheimische. Man sieht, dass es 
überall in der Welt die gleichen agrarischen Klagen giebt. Bessere Ver- 
kehrsbedingungen werden im Anfänge stets und überall Klagen derjenigen 
hervorrufen, die dadurch geschädigt werden, ob nun der Saumpfad durch 
eine Landstrasse oder diese durch eine Eisenbahn ersetzt wird. 

Wir wählten den neuen Weg, denn es hatte ein heftiger, sturmartiger 
Nordwind sich erhoben, und schwere, dunkle Nebel hingen über dem 
Gebirge. Vor einigen Jahren hatte eine Gesellschaft einen Eisenbahnbau 
unternommen, der ins Innere zu fuhren bestimmt war. Er ist jedoch nur 
wenige Leguas weit gediehen. Ob das Geld ausging, ob die entgegen- 
stehenden Schwierigkeiten sich als zu gross erwiesen, ist mir nicht bekannt. 
Bei der Hacienda Aurora endigen die Schienen, die schon jetzt zum Teil 
vom Sande bedeckt sind, und eine halb versunkene Lokomotive zeugte 
von verschwundener Pracht. Wir kamen nur langsam vorwärts. Der 
grossen Hitze wegen machten wir am ersten Tage in dem Dorfe Jalisco 
Halt, wo wir zu unserm nicht geringen Erstaunen während des Bades 
im Arroyo von einem richtigen Gewitter überrascht wurden. Am zweiten 
Tage mussten wir des heftigen Windes wegen in der Hacienda Las Marias, 
am Fusse des Aufstieges übernachten. Das Haus sah ganz stattlich aus, 
aber in dem grossen Raum, in dem wir mit etlichen andern Personen 
gemeinsam schliefen, war das Dach halb abgedeckt und der Wind hatte 
freien Zutritt. Drausscn lagerten verschiedene Lasttier-Karawanen, aber 
als wir am nächsten Morgen aufbrachen, meinten die Führer, sie könnten 
bei dem Winde mit ihren beladenen Tieren nicht hinüber. Der Ritt war 
trotz des ziemlich guten Weges beschwerlich genug, da er dem stürmischen 
Nortc stracks entgegen ging. Als wir höher hinauf kamen, blieb nichts 
übrig als abzusteigen, wie es auch die uns entgegenkommenden Reiter, 
die doch der Wind im Rücken fasste, gethan hatten. Die Pferde hatten 
fiir sich selbst Arbeit genug, wir aber konnten uns nicht auf dem Sattel 
halten. Auch zu Fuss kostete es mich Mühe, vorwärts zu kommen, stellen- 
weise musste ich mich Schritt für Schritt am Felsen entlang ziehen, und 
um eine Ecke konnte ich nur mit Hilfe des Burschen gelangen. 


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In der grossen Hacienda von S. Miguel, jenseits des Passüberganges, 
machten wir schon früh Quartier. Auf dem mit einigen breitkronigen Baumen 
bestandenen Platz vor dem Hause lagerte ein Trupp Soldaten, der von 
der Grenze her auf dem Rückmarsch war und einen malerischen Anblick 
gewährte. Die Leute machten einen besseren Eindruck als die, die wir an 
der Küste getroffen hatten. Sie hatten auch nicht den aufreibenden Marsch 
von Tapachula her hinter sich und waren nicht so erschöpft von Hitze, 
Insektenstichen und schlechtem Klima. Trotzdem trafen wir am nächsten 
Tage etliche marode Nachzügler, unter andern einen Fieberkanken, der 
sich nur von einem daneben gehenden Manne gestützt auf dem Pferde 
halten konnte. — Trotz der vielen Gäste war das Haus gross genug, 
auch uns noch unter seinem gastlichen Dach zu beherbergen. Die töchter- 
reiche Familie rückte zusammen, man räumte uns das Zimmer von zwei 
Schwestern ein. Es waren sieben oder acht erwachsene Geschwister an- 
wesend, alle lebhaft und zum Plaudern aufgelegt. Der Verkehr zwischen 
den jungen Mädchen und Offizieren war etwa der gleiche wie er sich bei 
uns zu entwickeln pflegt, wenn es auf dem Lande Einquartierung giebt. 


Der nächste Tag sollte uns eine sonderbare Begegnung bringen. Auf 
dem ganzen Wege sind keine Dörfer, die meist stattlichen Hacienden sind 
daher darauf eingerichtet, Reisende zu beherbergen; man reitet ungescheut 
heran und fragt am nächsten Morgen, was man schuldig sei*); manchmal 
steht angeschrieben, dass Herberge und Essen zu haben sei. So gelangten 
wir, nachdem wir durch Macuilapa, wo der alte Weg über Calera einmündet, 
geritten waren, zur Hacienda La Razon, die uns schon vorher als eine der 
grössten und schönsten gepriesen worden war. Wir wussten, dass sie einer 
Familie Esponda, einer Witwe mit mehreren Kindern zugehöre. Man wies 
uns einen hübschen Raum an, in dem wir bald den Besuch einer Tochter 
des Hauses erhielten, die solche Gelegenheit zum Plaudern mit so sonder- 
baren Vögeln nicht ungenutzt wollte vorübergehen lassen. Es war eine 
junge Dame, die schon in der Stadt Mexiko gewesen war, den Gebrauch 
des Puders sehr wohl kannte und überhaupt einen ganz grossstädtischen 
Eindruck machte. Während wir unsere Pflanzen ordneten und plauderten, 
öffnete sich noch einmal die Thür. Eine zierliche Frau kam mit aus- 
gebreiteten Armen auf mich zu, küsste mich auf beide Wangen und rief 
aufgeregt: »So sind Sie es doch, Dona Cecilia, kennen Sic mich nicht 

mehr?« Ich habe zum Glück ein gutes Personengedächtnis und wusste 
sofort, dass ich Dona Lupe Rosas, die Gattin von Don Fausto Moguel 


•) In der Gegend um Comitan, wo die Verhältnisse ähnlich liegen« haben viele der 
grossen Hacienden sogar besondere Unterkunftshäuser eingerichtet. 


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vor mir hatte, den wir auf unserer ersten Reise, fast acht Jahre früher, 
als Richter in Tlacolula getroffen hatten. Damals hatte mir die jung ver- 
heiratete Frau mit Schauder von den Unbequemlichkeiten und Gefahren 
einer Reise nach Chiapas erzählt, wohin ihr Mann sie zum Besuche seiner 
Familie geführt hatte, und hier waren wir nun bei dieser Familie: La Razon 
gehörte einem ihrer weit verbreiteten Zweige an. Es ist keine Seltenheit, 
dass man in einem Dorfe, in einem Landstrich allen Besitz in den Händen 
einer einzigen, weit verzweigten Familie findet. So waren die Moguels und 
ihre Sippe hier angesessen. In weitem Umkreise waren ihre Angehörigen 
Besitzer der Hacienden. Seit einigen Monaten schon weilte Don Fausto 
mit seiner Familie in der Razon, die seiner Schwester gehört, nach 
seinem Rückzuge vom Gouverneurposten in Tuxtla Gutierrez, zu dem er 
vor einigen Jahren berufen worden, für den er aber nicht wieder ge- 
wählt worden war, wie man euphemistisch sagte. Man hatte von unserer 
Ankunft erzählt und Dona Lupe hatte bei der Beschreibung sofort ge- 
meint, das müsse Don Eduardo mit seiner Frau sein. Wir waren 
beide herzlich erfreut über die Begegnung, und ich wünschte nur, 
ich hätte der sehr sympathischen, sanften Frau ihren augenscheinlichen 
Kummer erleichtern können; ihre grossen, schwarzen Augen schwammen 
fortwährend in Thränen; Don Fausto aber war düster und übellaunig. 
Man hatte ihn für irgend einen Posten in Mexiko bestimmt und 
am nächsten Tage sollte die Abreise stattfinden. So hatte sich denn 
zum Abschied die Freundschaft von den Ranchos und Haciendas aus 
weiter Runde eingefunden ; es war viel Leben im Hause. Die meisten 
waren mit hübschen Fuhrwerken gekommen. Trotzdem fand der eine Sohn 
des Hauses noch Zeit, uns gegen Abend Haus und Garten und Einrichtungen 
der grossen Wirtschaft zu zeigen. Der verstorbene Esponda hatte einem 
französischen Baumeister die Ausführung des Wohnhauses übertragen, und 
nun erhob sich hier ein Bau von vornehmen Formen, dabei den Bedürf- 
nissen des Klimas und einer einheimischen Familie aufs vollkommenste 
angepasst. Leider war das Haus unvollendet geblieben, wie so vieles 
hier im Lande, das mit hochfliegenden Gedanken begonnen worden. Der 
Grossvater w'ar ein Rationalist gewesen; er hatte den alten Namen des 
Besitztums, Los Amates, in La Razon verwandelt und wollte sein Leben 
und Streben auf Vernunft gründen. Wie weit ihm das gelungen, weiss 
ich nicht, jedenfalls scheint es seiner Nachkommenschaft gut bekommen 
zu sein. 

Noch ein Zweiglein der Familie Moguel lernten wir kennen. Das 
waren die zwei freundlichen und neugierigen alten Jungfern, in deren 
Hause wir am nächsten Tage in Cintalapa Unterkommen fanden. Das 
Haus war klein, aber sauber, dahinter lag ein Hof, der aber keinen Thor- 
weg hatte; so blieb nichts übrig, als die Pferde durch die Stube und den 


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Gang hindurch zu führen. Die beiden alten Damen, die eine bescheidene 
Tienda hielten und anständigen Reisenden Unterkunft gewährten, waren 
nicht gut auf die reichen Verwandten zu sprechen, die sie wohl ein wenig 
links liegen Hessen. 

Cintalapa ist Kreisstadt; saubere, freundlich gemalte Häuser mit 
Ziegeldächern konnten von weitem ein grosses mitteleuropäisches Dorf 
vorgaukeln, zumal der grau verhangene Himmel und der kalte Wind 
wahrhaftig keine Tropen-Gefühle in uns aufkommen Hessen. Jenseits der 
Häuser freilich erstreckte sich das breite, sandige, völlig wasserlose Fluss- 
bett des «Maisstromes« (Cintalapan heisst: am Maiswasser), von prächtigen 
Mangobäumen und grünen Bananen- 
pflanzungen umsäumt und mit einer 
Fülle blühenden Gerankes in dem 
Buschwerk, so dass unser Herbar 
sich mächtig füllte. 

Cintalapa liegt nicht an der 
Strasse nach Tuxtla, sondern etwa 
eine Meile abseits, doch führt auch 
dorthin ein fahrbarer Weg, wie über- 
haupt in dieser Gegend grossen 
und reichen Grundbesitzes deren 
viele sind, die die Hacienden unter 
einander und mit den wenigen Ort- 
schaften verbinden. Von Alter- 
tümern war im Orte nichts zu 
finden, doch erzählte man uns von 
merkwürdigen Stücken, die Don 
Jacinto Tirado in einer Höhle ge- Figur in .Irr Hacienda lil Kosario. 
funden habe. So ritten wir nach von l)on Jacinto Tirado in einer Höhle gefunden 
seiner Hacienda, El Rosario, hin- 
aus, die eine halbe Stunde von dem Städtchen entfernt hübsch und 

etwas hoch gelegen ist und ein sehr stattliches Haus besitzt. Don Jacinto 
war fortgeritten. Seine Frau aber war zu Hause und konnte sich wohl 
den fremden, ungewohnten Besuch nicht recht erklären. Sic führte 

uns höflich in die ganz neu und sehr korrekt mit Wiener Möbeln 

eingerichtete Sala: eine Bank, ein Tisch davor, zwei Schaukelstühle 
zur Seite und ein bis zwei Dutzend Stühle an den Wänden umher. 

Hier gab es ausserdem noch zwei Eckgestelle mit unmöglichen Nippes 
gefüllt, zwei kleine Tischchen, einen grossen Spiegel; es war also der 
Gipfelpunkt der Eleganz, Wohlhabenheit und moderner Kultur, was uns 
umgab. Da es für ungebildet und unhöflich gegolten hätte, mit der 
Thür ins Haus zu fallen, quälte sich eine ärmliche Unterhaltung hin, bis 

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wir endlich bei den Altertümern anlangten, die uns auch gezeigt wurden. 
Dass wir sie aber fotografieren wollten, schien der Dame vollkommen 
wunderlich. Sie Hess es aber nach einigen Einwänden doch geschehen 
und zum Glück brach mein Stativ nicht zusammen, obgleich es nahe 
daran war, denn noch hatte ich für das verlorene Dreieck keinen Ersatz. 
So konnten wir die ganz ungewöhnlichen und seltsamen Stücke wenigstens 
im Bilde heimbringen. Man sah ihnen den langen Aufenthalt in einer 
Höhle wohl an, da sich reichlich Tropfstein auf ihnen abgelagert hatte. 
Don Jacinto war bei Entdeckung und Durchsuchung der Höhle nur mit 
knapper Not dem Hungertode entgangen, so waren ihm die Stücke eine 
Erinnerung, von der er sich nicht trennen wollte und ihre Erwerbung 

war ausgeschlossen. Die Stelle 
aber, wo sie gefunden worden, 
lag ziemlich entfernt im Gebirge 
und war nach Angabe der Ein- 
geweihten völlig ausgeräumt. So 
mussten wir uns mit Fotografien 
begnügen. 

Am Aschermittwoch ver- 
licssen wir unsere freundlichen 
alten Wirtinnen, um über Jiqui- 
pilas — ein Städtchen, das Cin- 
talapa so ähnlich sieht wie ein 
Ei dem andern — Petapa zu 
erreichen. Nachdem wir den 
trockenen Fluss verlassen hatten, 
ging es auf guter Strasse bergan. 
An einer Wegbiegung, wo der 
Blick über eine tiefe, walderfüllte 
Schlucht schweift, sprang aus einer 
überhängenden Felswand ein klarer, frischer Quell, den ein guter 
Mensch zum Wohle der vorüberzichendcn Wanderer und ihrer Tiere 
hatte fassen lassen. Die Felswand, von der hervordringenden Feuchte 
benetzt, war von Farren wie von einem zarten, dichten Teppiche ganz 
übersponnen. Ein entzückender Platz. 

Petapa war uns als ein grosser Rancho geschildert worden, man hatte 
noch hinzugefügt: »hai de todo« (es ist alles zu haben). Und ausserdem sollte 
eine Höhle in der Nähe voller Altertümer stecken. Hünen grossen Viehrancho 
fanden wir in der That in wunderschöner Gegend, aber in dem sehr primi- 
tiven Hause, das der Verwalter mit seiner F'rau bewohnte, waren nur ein paar 
Tortillas und ein wenig Mais zu haben. Da ich mich wahrscheinlich bei 
der andauernd kühlen, windigen Witterung erkältet hatte und mich elend 



Figur in der Hacienda Kl Kosario. 
in einer Höhle gefunden. 


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TAFKI. XXIV 




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Seitenansicht Vorderansicht 

einer Thonfigur aus einem Höhlenfund in der Hacienda El Rosario bei Cintalapa 


fühlte, war die Enttäuschung nicht gering, als ich meine schmerzenden 
Glieder auf die Erde strecken musste. — Die Höhle aber, um derentwillen 
wir hier Rast machten, war weit weg und vor einigen Monaten von einem 
General ausgeräumt worden. Es war eben Aschermittwoch. 

* * 

• 

Durch schöne, parkartige und anmutige Hügellandschaft ging unser 
Weg am nächsten Morgen weiter, auf Tuxtla zu. Als wir an einer Weg- 
kreuzung einige Reiter trafen, die wir nach der Richtung fragten, entspann 
sich ein Gespräch, denn hier zu Lande hält sich ein jeder für berechtigt, 
den Begegnenden nach woher, wohin, weshalb zu fragen. Da sie nun 
über den Zweck unserer Reise unterrichtet waren, meinten sie, wir sollten 
doch den kleinen Abstecher nicht scheuen und, anstatt nach Tuxtla weiter 



Ilnuptplatz in Ocozuquauhtla 


zu gehen, den andern Weg verfolgen, der uns nach Ocozuquauhtla 
führen würde. Wir erinnerten uns, diesen Namen auch von den Leuten 
gehört zu haben, mit denen wir zwischen Tonalä und S. Pedro eine 
Strecke geritten waren, und die uns von der Verfolgung des Küstenweges 
abgeraten hatten. So folgten wir denn der Weisung und haben es nicht 
zu bereuen gehabt. 

Besonderes ist von Ocozuquauhtla nicht zu erzählen: es ist ein 
freundlicher, von Ladinos bewohnter Ort. Diese kleinen Städtchen gleichen 
sich, mit wenigen Ausnahmen, völlig. Die Altertümer, die einen eigen- 
tümlichen Stil zeigen, waren angeblich alle in Höhlen gefunden worden, 
aus denen die Leute Salpeter holten. Als sich erst die Nachricht verbreitet 
hatte, dass wir dergleichen kaufen wollten, wurde uns eine ganze Anzahl ins 
Haus gebracht. Da uns für einige Tage später noch mehr versprochen 
wurde, verpackten wir vorläufig unsere Beute in grossen Körben und 


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Hessen alles stehen, um es später abzuholen. Da mieteten wir dann 
einen Ochsenwagen, und ich lernte auch dieses Reise- und Transport- 
mittel kennen. Die ganze Nacht brachte ich auf dem Wege zu, den 
man zu Pferde in wenigen Stunden zuriicklegt. Die Strasse, die man, so- 
lange man auf dem Sattel sitzt, bewundernd als breiten Kahrweg preist, 
ist ausgefahren und holperig. Leider war der Kutscher musikalisch. Er 
sang in einem schläfrigen Tone etwa zehn Minuten lang die »Paloma<- 
und die nächsten zehn Minuten eine andere Melodie. Nachdem ich mich 
diesem Genuss etwa eine Stunde lang hingegeben hatte, wollte ich durch 

Unterhaltung eine kleine Ab- 
wechslung in das Programm brin- 
gen. Alles aber, wozu ich den 
Mann bewegen konnte, war ein: 
»si Seiiora, no Seiiora«, worauf er 
sofort wieder zu singen begann. 
Er hatte einen Jungen mit sich, 
dessen einziger Wortschatz in dem 
üblichen ; Quicn sabe! zu be- 
stehen schien. Wie alt bist Du? 
j Quien sabe! Gehst Du in die 
Schule? j Quien sabe! Schliesslich 
ergab ich mich in mein Schick- 
sal, habe aber dem Reisen in 
Ochsenwagen keinen Geschmack 
abgewinnen können. 

* m 

* 

Tuxtla Gutierrez ist seit eini- 
gen Jahren Sitz der Regierung. 
Wenn man S. Cristoba),*) die 
frühere Hauptstadt des Staates, 
kennt, so scheint die Verlegung 
ganz unbegreiflich. Tuxtla ist heiss und hat ein erschlaffendes Klima, 
die Umgebung ist ziemlich öde und trocken; alle Nahrungsmittel müssen 
von weit her zur Stadt gebracht werden. Ein Reperungsgebäude war 
erst im Hau begriffen. Die einzige Annehmlichkeit ist die hübsche, 
schattige, mit Trucno-Bäumen bestandene Alameda. Wir trafen in Tuxtla, 
wo wir einige Tage blieben, zwei Landsleute, Bekannte von einem früheren 
Aufenthalte in Oaxaca her, jetzt Inhaber einer Kerreteria. Das heisst 
wörtlich Eisenkramladen, bedeutet aber ein Importgeschäft, in dem es 



Thonfigur aus Ocozuquuuhtla 
*/• der natiirl. Grösse 


•) Mühlcnptordt nennt es S. Cristohal de los Llanos. 


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Hieroglyphe 
von Tuxtla 


so ziemlich alles giebt, was zum Haushalt, Feldbau 
und zum Schmuck des Lebens notwendig ist. In 
allen grossen Städten des Landes sind sie zu 
finden und zum weitaus grössten Teil sind Deutsche 
die Besitzer. Dagegen sind die Geschäfte, in denen 
Stoffe, Gewebe, Kleider feilgehalten werden, meist 
in französischen Händen, die Tiendas de Albor- 
rotes, die Wein- und Schnapsläden, gehören Spaniern 
und die kleinen Kramläden — kurzweg Tienda 
(d. h. eigentlich Zelt) genannt — Einheimischen. 

Von Altertümern war merkwürdigerweise gar 
nichts zu erfragen, mit Ausnahme eines kleinen Jadeitkopfes von 
wundervoller Arbeit. Das Stück war ins Besitze eines Mechanikers, 
eines Mannes, der sich mit vielerlei Dingen beschäftigte. Sein Vater 
hatte es aus irgend einem Kriege aus Tabasco mitgebracht, der Sohn 
hatte es als Andenken behalten und schliff seit einer Reihe von Jahren 
seine Instrumente an dem Stein, der aber so hart ist, dass er von dieser 
Misshandlung kaum Spuren zeigt. Es ist ein Kopf von ausgeprägtem 
Indianertypus, mit deformiertem Schädel und deutlicher Tätowierung. 
Wir konnten ihn glücklicherweise retten und er ist heute im Berliner 
Museum für Völkerkunde. Ein paar 
vereinzelte Stücke, die sich im Privat- 
besitze reicher Leute befanden, waren 
nicht zu erwerben. 

Ob nun gleich Tuxtla für unsere 
eigentlichen Zwecke wenig bot, muss- 
ten wir doch einige Tage dort bleiben, 
da es Regierungssitz ist und wir vom 
Gouverneur weitere Gelcitbriefe er- 
bitten mussten. Auch unsere Samm- 
lungen mussten verpackt und fortge- 
schickt werden, da sie eine, wenn auch 
langsam, so doch stetig wachsende 
Last darstellten, von der wir uns auf 
dem Marsche so bald als möglich zu 
befreien suchten. Solche Verpackung 
war immer mit allerlei Schwierigkeiten 
verknüpft, weil es oft an Kisten und 
Packmaterial fehlte. Besonders die 
Pflanzen waren stets eine Quelle des 
Kummers, denn wenn wir sie nicht 

dem sicheren Verderben durch ein- Jailcit-Köpfchen — Natürliche Grösse 



Seler, Alte Wege. 


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Altes. Geschnitz- 
tes Schokoladen- 
hol* — In Üaxaca 
erworben 


dringendes See- oder Regenwasser preisgeben wollten, 
mussten sie in Blech eingelötet werden. Blech aber 
ist ein kostbarer und oft gar nicht zu beschaffender 
Artikel. Hier nun halfen unsere beiden 


Landsleute, die Herren von der Ferre- 
teria del Globo, aufs freundlichste und 
liebenswürdigste. Ja, der eine spielte 
selbst den Klempner und lötete unsere 
Pflanzenkiste eigenhändig zu. Und er 
hat seine Sache gut gemacht, denn ob- 
gleich die Sendung durch widrige Schick- 
sale erst nach anderthalb Jahren ins 
botanische Museum gelangte, war alles 
in tadelloser Verfassung. 

Da meine Schokolade zu Ende 
ging, benutzte ich den Aufenthalt, mir 
neue machen zu lassen, denn hier sass 
ich an der Quelle. Sind doch Tabasco, 
Chiapas und Soconusco die eigentlichen 
Kakao-Länder. Thomas Gage widmet 
bei Gelegenheit der Beschreibung seiner 
Reise durch Chiapas diesem Getränk ein 
ganzes Kapitel, das sehr ergötzlich zu 
lesen und aus dem manche medizinische 
und kulinarische Weisheit vergangener 
Tage zu entnehmen ist. Obgleich heut- 
zutage die Schokolade in Europa fast 
jedermann bekannt sein dürfte, so ist es 
doch vielleicht manchem nicht uner- 
wünscht, zu erfahren, wie man sie in 
ihrer Heimat zubereitet, wo sie seit 
alters her ein beliebtes und kostbares 
Genussmittel vorstellte, das selbst auf 
der Tafel der mexikanischen Fürsten 
nicht fehlte. 

Nachdem die Kakaobohnen (caca- 
huate, daher chocolate) geröstet sind, 
aber nicht zu scharf und dunkel, werden 
sie auf einem Mahlstein — ganz wie der 
Mais, aus dem Tortillas gemacht werden 



Schokolailen- 
holz — In 
Oaxaca erworben 


— zerquetscht. Dann wird Zucker und Gewürz da- 


zwischen gemengt und alles zusammen durcheinander 




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TAFEL XXV 



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Lehmwände am Wege zwischen Tuxtla und Chiapa 


geknetet, wahrend ein gelindes Feuer unter dem Mahlsteine unterhalten 
wird, bis es eine gleichmässige, zähflüssige Masse bildet. Diese wird 
zu Tafeln oder Kugeln geformt, von denen je eine die zu einer 
Tasse nötige Menge darstellt und die an der Luft langsam getrocknet 
werden. Das Gewürz wechselt nach Geschmack; vorwiegend werden 
Mandeln und Zimmet verwendet. Zucker muss aber wenigstens bis 
zu einem Drittel beigemischt werden, da die Masse sonst keinen Halt 
hat. Es ist eine eigene Kunst, diese Schokoladenbereitung, und nicht 
jede Frau ist eine gute Chocolatera. Ich kann versichern, dass keine 
noch so teure europäische Schokolade das Aroma dieser auf so pri- 
mitive Art zubereiteten besitzt. Es setzte mich in einiges Erstaunen, dass 
die Frau, die mir in Tuxtla als Chocolatera empfohlen war, nicht wusste, 
was Vanille war. Denn ob diese gleich überall unter denselben Bedin- 
gungen wächst wie der Kakao und mit ihm die Heimat gemein hat, so ist 
sie doch von den ausländischen Gewürzen leider vielfach verdrängt und 
wird in dieser Gegend gar nicht und überhaupt verhältnismässig wenig 
angebaut, weil ihr Anbau mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpft ist. 
Nur im Gebiete von Veracruz giebt es grössere Vanille-Pflanzungen. 

* * 

* 

In Tuxtla Gutierrez endigt vorderhand die neue Strasse, und wir 
sollten bald vollauf Gelegenheit haben, die berüchtigten Wege von Chiapas 
kennen zu lernen. Ein kurzer, aber schlechter Weg führte uns in wenigen 
Stunden nach Chiapa de los Indios, dem Orte, der dem grossen Staate 
den Namen gegeben. Zur Zeit als hier der Mittelpunkt der Chiapaneken war, 
war Chiapa eine Bergfestung, flussabwärts 
vom heutigen Orte in einer Schlucht ge- 
legen. Erst die Mönche verlegten ihn 
an die Stelle, wo er jetzt sich befindet. 

Von der Grösse und dem Reichtum dieses 
Indianerortes wissen die alten Berichte 
viel Rühmens zu machen. Heute ist es 
eine ansehnliche Ladino-Stadt. Indianer 
findet man nur auf dem weiten, mit 
schönen Ceibas und einem aus spanischer 
Zeit stammenden maurischen Brunnen geschmückten Marktplatze, wo sie 
Lebensmittel feilhalten, und in den Barrios. Die chiapanekische Sprache 
hat sich nur in dem einzigen Dorfe Su chiapa erhalten. 

Ehe man von Tuxtla aus in die Stadt gelangt, muss der breite, wasser- 
reiche und schnell strömende Fluss überschritten werden, der schon einen ziem- 
lich langen Lauf hinter sich hat, da er jenseits der Grenze von Guatemala, 
nicht allzu weit von Huehuetenango entspringt. Grosse Fährboote vermitteln 

9 * 



> 3 ' 


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den Verkehr zwischen den beiden Ufern. Es wird abgeladen, abgesattelt, 
Lasten und Sättel kommen ins Boot, die Pferde schwimmen daneben. 
Die grosse, quer durch den Staat von Chiapas ziehende, nach Tabasco 
einerseits, nach Guatemala andererseits führende Strasse, auf der viel 
Last- und Reiseverkehr ist, überschreitet hier den Fluss; so herrscht 
stets ein lebhaftes Treiben, und an beiden Ufern fehlt es nicht an male- 
rischen und heiteren Bildern. Da das schöne klare Flusswasser auch will- 
kommene Badegelegenheit bietet, so leuchten überall die braunen, glän- 
zenden Rücken der Jungen aus dem Wasser auf. Oberhalb und unterhalb 
vom Orte sollen viele Krokodile hausen. Auch von Stromschnellen, 
Wirbeln und Höhlen wurde in der ungewissen Art erzählt, die im Lande 
allgemein üblich ist. Es sind Ausnahmen, dass man Leute trifft, die 
klare und sichere Auskunft geben. 

Trotzdem wir hier auf dem Boden alter Kultur standen, war sehr 
wenig von Altertümern zu erhalten. Die Gründe 
sind immer die gleichen: es wird nichts aufbewahrt, 
oder man will sich nicht von einzelnen Stücken 
trennen (doch ist dies der seltenere Fall, der nur 
bei reichen Familien in Frage kommt). Man 
müsste selber graben, oder in den einsamen 
Ranchos der Indianer Umfragen, wobei es immer 
noch zweifelhaft bliebe, ob man ihr Misstrauen 
und ihren Aberglauben zu überwinden vermöchte, 
was ohne Kenntnis ihrer Sprache stets ein fast 
aussichtsloses Unternehmen ist. 

Chiapa liegt tief und ist sehr heiss, in zwei 
Tagemärschen steigt man bis zur kühlen, klaren 
Höhe von S. Cristobal hinan. Die erste Tage- 
reise führte uns nach Iztapa. Wir brachen schon in der Nacht auf und 
hatten eine beträchtliche Höhe zu ersteigen. Aber auch auf dem Plateau 
ging es nicht eben weiter. Der ziemlich schlechte Weg steigt in tiefe 
Schluchten hinab und wieder zur Höhe hinan und entbehrt daher nicht 
des malerischen Reizes. Das von überwiegend indianischer, freundlicher 
Bevölkerung bewohnte Dorf liegt auf einer von tiefen Schluchten um- 
gebenen Platte. In ähnlichen Lagen, die eine von Natur feste Stellung 
bilden, findet man häufig die alten Indianersiedelungen. Die Einwohner 
von Iztapa gehören dem Sprachstamme der Zotzil oder Cinacanteca, 
d. h. der »Fledermausleute« an. Am Abend fanden sich einige ältere 
Indianer, die sich von meinem Manne ein wenig ausfragen liessen. Die 
Tracht der Weiber war uns schon seit Tuxtla als etwas abweichend von 
der bisher gesehenen aufgefallen: das Huftentuch war kurz, von grobem, 
dunkelblauem Baumwollstoff und nicht von der sonst durchweg üblichen 



Steinmaske aus Chiapa 
— Privatbcsitr 


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TAFEL XXVI 



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Binde festgehalten, sondern die Enden zusammengeknüpft. Das ganz 
weisse Hemd fiel blusig darüber. 

Wir freuten uns der leichten, anmutigen Gestalten, als wir am Spät- 
nachmittage aus einer Schlucht heraufstiegen, in deren Grund wir schönes 
Badewasser gefunden hatten. Den steilen, spärlich bewachsenen Berg- 
hang kamen die jungen Mädchen herab, mit den hübsch geformten Krügen 
auf den Köpfen, um Wasser zu holen. Wir riefen sie an und erhielten 
indianische Antworten. 

Hügel auf und Hügel ab ritten wir am nächsten Tage einige Leguas, 
um in der herrlich im Gebirge gelegenen Hacienda, El Burrero (das Esel- 



Kl Burrero 


nest), kurze Rast zu machen. Tief unter uns rauschte das Wasser des 
Rio Hondo — des »tiefen Flusses« — , eines der unzähligen Flüsse dieses 
Namens, zu dessen Ufer wir hinunter mussten, um auf einem schauder- 
haften, aber an den herrlichsten Scenerien reichen Wege jenseits steil 
wieder zur Höhe hinaufzusteigen. 

Der Hofraum und die Vorhallen der Hacienda wimmelten von In- 
dianern, die verhüllte Heiligenbilder und Musikinstrumente mit sich führten. 
Schon unterwegs waren uns kleine Gruppen musizierender Indianer be- 
gegnet, und wir entsannen uns, von einer Fiesta gehört zu haben, die an 
einem der nächsten Tage in Iztapa gefeiert werden sollte. Dieser F'eier 


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L 



zogen sie zu. Die Santos sollten den Glanz des Festes erhöhen helfen, 
und es war rührend, zu sehen, mit welcher Ehrfurcht die sorgsam ver- 
hüllten Puppen behandelt wurden, und wie man ihnen mit Musik das 
Geleit gab. Leider sind alle hier gemachten fotografischen Aufnahmen 
missraten. 

Hinterm Burrero ist wieder ein Stuck des neuen Camino carretero 
fertig, der von Tuxtla-Gutierrez durch den ganzen Staat bis an die guate- 
maltekische Grenze fortgeführt werden soll. Er macht hier viele Win- 
dungen und steigt mählich in die Höhe, immer mit schönem Blick auf 
die mit Nadelholz reich bewaldeten Berge, durch deren tief eingerissene 
Schluchten schäumende Wässerlein sich zwängten. 



Alte Brücke auf dem Wege zwischen Chiapn und Iztapa 


Da wir nicht wieder ins Dunkel hineinreiten wollten und uns im 
Burrero zu lange verweilt hatten, um S. Cristobal noch bei Tageslicht zu 
erreichen, blieben wir in Cinacantan. Das stattliche Indianerdorf hat 
eine Lage und eine Luft, die ihm in Europa sicherlich einen Ruf als 
Sommerfrische einbringen würden. Es war hundekalt, wie wir überhaupt, 
seitdem wir Tonalä verlassen, weit mehr von den kalten Nächten als 
von den heissen Tagen gelitten hatten. 

Man bot uns das Schulzimmer, das vermutlich seinem eigentlichen 
Zweck recht selten dient, zum Uebernachten an, und wir schlugen unser 
Lager auf einem grossen Tische auf. — Beim Einreiten ins Dorf war uns 


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der bekränzte Eingang des Cabildo aufgefallen, qnd davor zwei Indianer, 
die, in weite rote Mäntel gehüllt, einen wahrhaft monumentalen Eindruck 
machten. Auf unsere Frage erhielten wir die seltsame Antwort: die In- 
dianer hätten einen Feiertag. Also haben sie andere Feste als die Ladinos, 



ihre eigenen Feste, denen die andern fernstehen. Wie schade, dass wir 
der Sache nicht näher treten und Klarheit darüber erlangen konnten, 
was es mit dieser »Fiesta de los Indios« für eine Bewandtnis habe. Die 
roten Mäntel aber und die sonderbare Kopfbedeckung habe ich nirgends 

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wieder gesehen und kann auch nicht sagen, ob es die hierorts übliche Tracht 
der Gemeindediener, der Topiles, oder eine Festtracht vorstellt. 

Der nächste Morgen war herrlich, kalt und klar wie in unsern Ge- 
birgen, und nach einem kurzen Ritt waren wir in S. Cristobal. 

Die ansehnliche, an Kirchen und Klöstern reiche Stadt liegt in einem 
weiten, fruchtbaren Thalboden, der von dicht bewaldeten Höhen um- 
schlossen ist. Ungefähr in gleicher Höhe wie die Stadt Mexiko und auch 
in ähnlicher Lage, hat sie doch nicht unter der Schwierigkeit der Ent- 
wässerung zu leiden wie jene. Denn da das Hochthal von Mexiko ab- 
flusslos ist, und die Stadt an seiner tiefsten Stelle liegt, so sind die 
üblen Folgen, die daraus am Ende der Regenzeit entstehen müssen, 
klar. Dagegen ist der Thalboden von S. Cristobal von einem Flusse 
durchzogen, und in der Mähe der Stadt befinden sich verschiedene 
herrliche Quellen, deren eine in ein reinliches, rundes Steinbecken gefasst 
und zum kühlen Bade hergerichtet ist. Zudem hat hier noch nicht die 
heillose Entwaldung begonnen, der der Schmuck der Berge in der Um- 
gebung der Hauptstadt schon vielfach zum Opfer gefallen ist. 

Im Thal wächst Mais und Weizen, und zur Zeit standen die massen- 
haft angepflanzten Pfirsichbäume in Blüte, was, von der Höhe gesehen, 
einen reizvollen Anblick gewährte. Rund umher im Waldgebirge liegen 
dicht bevölkerte Dörfer und verstreute Ranchos der Indianer, die täglich 
alle möglichen Lebensmittel, als da sind: Gemüse, Federvieh, Eier, Käse, 
Früchte, Mais und Maisstroh, in reicher Fülle zu Markte bringen, so dass 
an Nahrung für Mensch und Vieh kein Mangel ist. — (Das hinderte aller- 
dings nicht, dass wir in dem für hiesige Verhältnisse ganz leidlichen 
Hotel recht schlechtes Essen erhielten und so wieder einmal unsere alte 
Reisebcobachtung bestätigt fanden: je grösser der Ort, um so schlechter 
das Essen.) — Das Leben auf dem grossen Platze ist ein buntes und be- 
wegtes. Er wird auf einer Seite von dem stattlichen Regierungspalaste 
begrenzt, auf zwei Seiten ziehen sich Läden hin und auf der vierten erhebt 
sich die mächtige Kathedrale, auf deren Stufen sich ein lebhafter Markt- 
verkehr breit macht. Jedes Indianerdorf hat Verschiedenheiten in der 
Tracht aufzuweisen. Bei den Bewohnern des einen sind die Schulter- 
decken weiss, bei andern braun, schwarz und weiss gemustert; bei diesen 
glatt, bei jenen zottig. Einige tragen die übliche mexikanische Hutform, 
andere ein winzig kleines Strohhütchen. Mir fiel auf, dass die Männer 
verschiedener Dorfschaften keine Hosen tragen, die doch die Indianer 
der meisten andern Gegenden angezogen haben. (Vergl. die Bilder 
der Leute von Huiztan und Oxchuc.) Sogar die Hemden sind nicht 
gleich. Die Leute von Huiztan z. B. ziehen sie zwischen den nackten 
Schenkeln hindurch, dass sie fast wie eine Art Schambinde erscheinen. 
Ja, von einer Dorfschaft wurde uns erzählt, dass ihre männlichen Bewohner 


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noch die alt-indianische Schambinde trügen und im übrigen ganz nackt 
gingen. Wenn sie nach der Stadt kommen, müssen sie jedoch auf obrig- 
keitlichen Befehl Hemden anziehen, um keinen Anstoss zu erregen. Selbst 
die Körbe und Säcke sind mannigfach gestaltet. 

Es ist schwer verständlich, dass man den Regierungssitz von hier 
nach Tuxtla verlegt hat. Hier eine dichte Bevölkerung, gesundes Klima, 
schöne Lage, Ueberfluss an Lebensmitteln; dort von allem das Gegenteil. 
Und wen ich auch nach dem Grunde fragte: niemand vermochte mir einen 
stichhaltigen anzugeben. Noch unbegreiflicher aber ist, dass es fast drei- 
hundert Jahre gedauert hat, ehe man die Notwendigkeit einsah, diese 
beiden Hauptorte des Staates untereinander und mit der Aussenwelt durch 
eine Fahrstrasse zu verbinden. 

* * 

• 

Auch in anderer Beziehung ist S. Cristobal ein Zentrum: es besitzt 
eine höhere Schule, die sogar von jenseits der guatemaltekischen Grenze 
besucht wird. Und auch sonst regt sich manches Streben, allerdings 
stärker von der Geistlichkeit beeinflusst als anderwärts. 

Früher besass die Stadt ein bedeutendes Archiv, an das von ruch- 
loser Hand Feuer gelegt wurde. Was mag da alles in Rauch aufgegangen 
sein! Sicher manches Dokument aus der ersten spanischen Zeit; wahr- 
scheinlich manche, von eifrigen Missionaren fleissig zusammengestellte 
Grammatik, mancher Beichtspiegel und Katechismus in indianischer Sprache; 
vielleicht eine oder die andere Bilderschrift aus alten Zeiten, — unwieder- 
bringlich verloren! 

Ein Buch des Licenciado Vicente I’ineda möchte ich hier erwähnen, 
das uns sein Bruder, Don Manuel, verehrte, und das den Titel fuhrt: 
Historia de las Sublevaciones Indigenas habidas en el Estado de Chiapas 
y Gramatica de la Lengua Tzel-tal; Chiapas 1888. Der geschichtliche 
Abriss ist kurz. Als erste »Auflehnung* gilt sonderbarerweise die Er- 
oberung des Landes durch die Spanier, die er dem Bcrnal Diaz nach- 
erzählt. Die Darstellung des Aufstandes von 1712 ist andern Quellen ent- 
lehnt; die letzte Erhebung von 1867 hat der Verfasser miterlebt. Die Gram- 
matik ist wahrscheinlich die Wiedergabe einer alten aus der Zeit der Mönche 
stammenden und das angefügte Wörterverzeichnis aus eigener Kenntnis 
vermehrt, denn er hatte Landbesitz im Gebiete der Tzeltal-Indiancr, die 
den weitaus grössten Teil der Bevölkerung des Staates ausmachen, lebte 
jahrelang unter ihnen und beherrschte ihre Sprache. Interessant und 
beachtenswert an diesem Buche ist die kurze, nur wenige Seiten um- 
fassende Vorrede, in der er aufs Bitterste beklagt, dass es bisher nicht 
gelungen sei, die Eingeborenen der Zivilisation zuzuführen. Sei dies nicht 
einmal den mit allen Machtbefugnissen ausgerüsteten spanischen Vize- 
königen gelungen, v wie viel weniger der überall durch konstitutionelle 


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Schranken eingeengten gegenwärtigen Regierung. Er sieht in dem mäch- 
tigen Anwachsen der indianischen Bevölkerung, in der es kein erwachsenes 
unverheiratetes Individuum gäbe, keine kinderlose Frau zu Grabe ge- 
tragen würde, eine Gefahr für die Zivilisation und glaubt dieser Feind- 
seligkeit gegen europäische Gesittung nur dadurch wirksam entgegentreten 
zu können, dass Lehrer, Beamte und Geistliche sich im Verkehr mit 
den Indianern auch deren Sprache bedienen. 

Dieser sicherlich richtige Gedanke ist auch der Regierung schon ge- 
kommen: man hat begonnen, die Gesetze in verschiedene, im Gebiete der 
Republik gesprochene Sprachen zu übersetzen und hofft dies Werk all 
mählich immer weiter ausdehnen zu können. Vorläufig aber wird es wohl 
noch an Leuten fehlen, die die Sprachen genügend beherrschen, da die 
Zahl derselben eine ganz beträchtliche ist. Um nur ein Beispiel 
anzuführen: wir berührten auf unserer Reise von der Hauptstadt bis zur 
Landesgrenzc etwa fünfzehn verschiedene Sprachgebiete! 

* * 

• 

Wir trafen auch in S. Cristobal Landsleute, und zwar waren es drei 
Schuster. Herr Vizenz Kramsky aus Warmbrunn hat sich zum Leiter 
einer Schuhwarenfabrik emporgearbeitet, die den ganzen Staat Chiapas 
mit Schuhwerk versieht. Er ist ein wohlhabender, angesehener Mann, der 
auch uns in manchen Dingen behilflich war. In seinem schmucken Heim 
wehte uns europäische Luft entgegen, obgleich er mit einer in Mexiko 
geborenen Frau französischer Abkunft verheiratet ist. Die beiden andern 
Deutschen sind seine Mitarbeiter. Der eine hatte sich vor ganz kurzer 
Zeit eine Frau aus Deutschland geholt, die sich vorläufig in den völlig 
fremden Verhältnissen nicht zurechtfinden konnte und — da sie auch noch 
nicht spanisch sprach — sich vorerst recht unglücklich fühlte. Ich hoffe, 
dass auch sie inzwischen heimisch geworden ist. 

Wir mussten etliche Tage in S. Cristobal verweilen, um die Träger- 
frage zu ordnen. Da wir von Tonalä aus nur mit einem Lasttier weiter- 
gezogen waren, das unser unentbehrlichstes Gepäck trug, und die übrigen 
Sachen mit einem Arriero zunächst nach Tuxtla und dann weiter nach 
S. Cristobal geschickt hatten, musste hier Rat geschafft werden, wie die 
Lasten weiter befördert werden sollten. Die Arriero-Züge gehen nicht 
mehr so häufig und regelmässig von hier weiter. Zudem hatten wir 
gar nicht die Absicht, auf geradem Wege Comitan zu erreichen, wir planten 
vielmehr einen Umweg über Ococingo, ja wir hofften sogar, von dort aus 
nach Palenque reiten zu können. (Der zweite Teil dieses Planes wurde leider 
zu Wasser.) Pferde sind im Hochland von Chiapas schwer zu bekommen, 
dagegen sind die Indianer hier wieder gute Träger, während die von der 
pacifischen Küste zu dieser Arbeit nicht zu haben sind, sie vielleicht auch 

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TAFEL XXVII 



Blick aul S. Cristobal Las Casas 



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gar nicht zu leisten im Stande wären. Wir mussten uns natürlich an die 
Obrigkeit wenden, die auf Grund unserer Regierungsbriefe uns Träger 
verschaffen sollte, denn eine direkte Unterhandlung mit den Indianern 
fruchtet nichts. Da nun erst ein Bote in das Dorf geschickt werden 
musste, das die Leute stellen sollte, zog sich der Aufbruch einige Tage hin. 

Während dieser Zeit bot sich Abwechslung durch eine Truppe von 
Puppen- und Taschenspielern, die in dem zum Theatersaal umgewandelten 
grossen Hofe des Hotels ihre Vorstellungen abhielt, bei denen sich die ganze 
Gesellschaft von S. Cristobal ein Stelldichein gab, und wobei es an Toiletten 



Unsere Träger: drei I ,eute von S. Felipe, zwei von Huiztnn 


und Geschmeide nicht fehlte. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten wusste 
die Frau des Direktors lebhaft und amüsant von ihren Fahrten zu erzählen. 

Das grösste Vergnügen aber machte es uns, auf die Brücke am Hin 
gang der Stadt zu gehen, zu den Stunden, wo die Indianer vom Markte 
nach Hause gingen, oder vielmehr in ihrem üblichen Trabe liefen, und die 
Vielgestaltigkeit ihrer Trachten und Geräte zu betrachten. Freilich mischte 
sich ein leises Bedauern in dieses Vergügen: nicht lange Zeit zu ein 
gehenden Studien zu haben; mit den Leuten nicht in ihrer Sprache ver- 
kehren zu können, um ihnen auf diesem einzig möglichen Wege ein wenig 
näher zu kommen. 


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Unsere Leute von S. Felipe traten an, verteilten die Lasten und 
vorwärts gings. Sie sollten uns nicht nur als Träger, sondern auch als 
Führer dienen, denn die grosse Strasse geht nach Comitan, wir aber 
bogen bald, nachdem wir S. Cristobal verlassen hatten, nach Norden ab, 
um in vier Tagereisen Ococingo zu erreichen. Die trotz ihrer Lasten 
schnellfüssigen Indianer konnten oft kürzere Richtwege einschlagen, auf 
denen wir mit unsern Tieren nicht hätten folgen können. Aber wo immer 
ein solcher Weg abzweigte: nie versäumten sie, uns darauf aufmerksam 
zu machen. Sie schienen sich geradezu verantwortlich für uns zu fühlen. 



Die Gern cinde Vertreter von Huiztan 


Wir ritten zuerst durch die herrlichen Wälder, die die Höhen um 
S. Cristobal schmücken: gemischter Bestand von prächtigen Nadel- und Laub- 
hölzern, auf ziemlich ebenem und gutem Wege dahin. Als wir aber von der 
grossen Verkehrsstrasse abbogen, dauerte es nicht gar lange, bis wir die 
berüchtigten Wege von Chiapas kennen lernten. Immerhin war der erste 
Tag, der uns bis Huiztan führte, ganz erträglich, nur der letzte Abstieg war 
steil und lang. In Huiztan, einem Indianerdorf, fanden wir ein wetterfestes, 
stattliches Gemeindehaus mit zwei für Reisende bestimmten Räumen, deren 
einer von einer Hacendado-Familie bereits besetzt war, während man uns 
den zweiten anwies. Auch eine F'rau, die uns Essen bereitete, wurde uns 


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von Gemeinde wegen besorgt, und selbst um die Beschaffung des Pferde- 
futters bemühte sich die hohe Obrigkeit. Wir mussten den Leuten wohl 
Vertrauen einflössen, denn unsere drei Cargadores und zwei von Huiztan, 
ebenso wie einige Gemeindevertreter Hessen sich fotografieren. 

Am nächsten Morgen trabten unsere Träger heim und wurden von 
Leuten aus Huiztan abgelöst. Die Indianer — sofern sie nicht als Händler 
lange Reisen unternehmen — entfernen sich nicht gern weit von ihrem 
Dorfe. Selten, dass sie sich zu mehrtägiger Begleitung entschliessen ; 



Unsere Träger von Oxchuc 


meist kehren sie nach einem Tagemarsch zurück. Alles was die Dauer 
ihrer Dienste und den Lohn dafür betrifft, muss mit dem Alcaldcn ihres Dorfes 
vereinbart werden, und dieser Vereinbarung bleiben sie unfehlbar treu 
und kommen ihren übernommenen Pflichten gewissenhaft nach. Auch die 
Leute von Huiztan, ebenso wie die von Oxchuc und S. Martin bewiesen 
sich als verlässlich und auf unser Wohl bedacht. 

Der Weg, den wir am nächsten Tage zurücklegten, unterschied sich 
wenig vom vorigen. Nur wurden die Wege schlechter, je weiter wir vor- 
wärts kamen, wenn auch an Schönheit und Abwechslung reicher. Auf 




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den Höhen überall der schöne gemischte Wald mit seinen mächtig empor- 
strebenden Stämmen, in den tiefen Schluchten der üppige Formenreich- 
tum einer tropischen Vegetation. 

An solchen Stellen, wo die klaren Bäche rinnen, machten unsere Indios 
gern Halt, um ihre einfache Mahlzeit einzunehmen, die aus Tortillas und 
Pozol bestand. Das ist Speise und Trank des wandernden Indianers. Die 
Tortilla isst er kalt, oder — wenn er Zeit hat, ein Feuer zu machen, röstet 
er sie. Der Pozol — von den dortigen Indianern »matz« genannt — ist 

nichts weiter als die zur Tortilla be- 
nutzte Maismasse, mit Wasser ver- 
mischt; ein für unsern Geschmack 
ziemlich fades, aber erfrischendes Ge- 
tränk, das ich zum ersten Male auf 
dem Quie-ngola kennen gelernt hatte. 

Oxchuc, das Ziel unseres zweiten 
Tagemarsches, liegt auf einer Ein- 
sattelung zwischen hohen Bergen 
und selbst ziemlich hoch. Vicentc 
Pineda, in seinem oben erwähnten 
Buche, beschreibt es nicht sehr an- 
mutig, aber ziemlich richtig: »eine 
zerfallene Pfarrkirche, ein kleines Ge- 
meindehaus, in dem die Schweine 
und die umherstreifenden Hunde Ob- 
dach suchen, und ungefähr hundert 
auf den Höhen und im Busch ver- 
streute Häuser, deren Wände bei den 
meisten nur aus Reisern bestehen.« 
— Die Bewohner gehören den Tzel- 
tal an, den Zotzil von Iztapa, Cha- 
mula und Huiztan zwar verwandt, aber 
doch von ihnen unterschieden. Sie tragen eine Schambinde — kach — 
und ein bis zur Mitte des Beines reichendes, gegürtetes Hemd — cü' 
— und gelten als die unzugänglichsten und verstocktesten Indianer im 
ganzen Staat.*) Von den beiden Räumen im Cabildo war der eine von 
einem Gefangenen besetzt, der andere hatte keine Thür und war sehr 
schmutzig. Aber die verstocktesten Indianer von ganz Chiapas erwiesen 
sich uns freundlich: im Hause des Alcalden wurde uns ein Lager bereitet, 
und wir mussten das schützende Dach um so höher schätzen, als bald 



•) „De lo mas tettarmlo y salraje que hay en Chiapas." (Vicentc Pineda.) 


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TAKKI. XXVIII 



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Wald bei S. Cristobal 



nach unserm Eintreffen ein feiner Regen begann, der unsern Wanderungen 
im Dorfe schnell ein Ende machte. 

Am andern Morgen zog der Nebel um die Bergspitzen und alles 
triefte von Feuchtigkeit. Aber die Sonne begann siegreich durchzudringen. 
Unmittelbar hinter dem Dorfe stiegen wir in die Höhe, und als wir auf 
einer kleinen Wiese hielten, um ein paar Pflanzen auszugraben, blickten 
wir entzückt um uns: die Bergwiese, die zerzausten Wipfel der Bäume, 
um die der Nebel zog — das gab es auch in den heimischen Bergen; 
aber hier war alles üppiger, sonniger, farbiger und formenreicher. Hier 
ist auch das vorstehende Bild unserer Träger aufgenommen. Und dass 
sie sich ruhig fotografieren Hessen, war wahrlich kein Zeichen von Ver- 
stocktheit. — Den ganzen Tag zogen wir auf schmalen Pfaden über 
hohes, steiniges, mit schöner Vegetation bedecktes Gebirge. Unser Herbar 
konnte die Fülle des Eingesammelten kaum fassen, denn überall überraschten 
uns fremde Formen und farbige Blüten. Und nach wenigen Tagen war diese 
duftige Pracht in der Presse schwarz und unansehnlich und nur noch dem 
Botaniker ein Wohlgefallen. 

Dies schöne Gebirge ist der Ical-ajab, der »schwarze Berg«, in alter Zeit 
ohne Zweifel ein heiliger Berg, denn er ist wohl identisch mit dem Ical-ahau, 
dem »schwarzen P'ürsten«, von dem der Bischof Nunez de la Vega erzählt, 
dass er von den Leuten von Oxchuc und andern Dörfern der Hochebene ver- 
ehrt worden sei. Bei dem grossen Aufstand im Jahre 1712 hatten sich hier die 
Indianer verschanzt, und es geht die Sage, dass die geraubten Kirchenschätze 
in einer Höhle dieses Berges vergraben worden seien, dass aber die Häupter 
der Indianer von Oxchuc und Cancuc diese Höhle hätten vermauern lassen. 

Als wir nach langem Ritt vom Gebirge herabstiegen, kamen wir 
in das Thal des Quellflusses des Rio Jatate. An einer Seite der Thal- 
lehne führte der Weg durch hohes Gras, zwischen einzelnen, hoch auf- 
ragenden Bäumen hindurch. Die gegenüberliegende, steilere Seite war dicht 
bewaldet und zu vielen schönen Bildern gesellte sich, kurz ehe wir S. Martin 
erreichten, der Anblick eines prächtigen Wasserfalls, der sich von dem be- 
waldeten Abhang als langer, weiss schäumender Streifen abhob und in der 
dunklen, grünen Tiefe sich verlor. 

S. Martin Teukepec liegt frei und hoch auf einer runden Kuppe, 
die in das Thal des Jatate vorspringt. Der Platz war schön, aber um 
Unterkunft und Atzung war es kläglich bestellt. Der Gemeindeschreiber 
räumte uns in seiner ärmlichen Hütte einen Platz zum Schlafen ein, da 
das Cabildo in ganz verwahrlostem Zustande war. Mit Mühe wurde das 
Futter für die Pferde beschafft, und wir bereiteten uns mit einigen Eiern 
eine kärgliche Mahlzeit. 

Der letzte Tagesmarsch führte uns wieder vom Jatate fort über 
Berge und Höhen. Der Weg war wunderbar schön, aber zumal 


M3 


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das letzte Stück vor Ococingo sehr schlecht: ein schauderhafter Abstieg 
zog sich fast eine deutsche Meile entlang, denn stets, wenn wir meinten, 
den Ort schon erreicht zu haben, schob sich immer wieder ein Hügel da- 
zwischen, der überschritten werden musste. Aber auch das nahm ein 
Ende, und am Freitag, den 13. (wie konnten wir da auf Erfolge rechnen !), 
ritten wir in Ococingo ein. 


Was uns hauptsächlich nach Ococingo geführt hatte, war die Nähe 
der Ruinen von Toninä, die Stephens vor etwa 50 Jahren gesehen hatte, 
deren damals noch stattliche Reste er beschreibt, voll Bedauern, dass er 
nicht Arbeiter und Zeit hatte, um sie näher zu untersuchen. Seitdem 
sind sie meines Wissens niemals genauer erforscht worden. Was Wunder, 
dass es uns reizte, einmal näher zuzuschen. Wir hatten für den Aufent- 
halt etwa drei Tage bestimmt, dann gedachten 
wir auf Stephens' Spuren weiter über Tumbalä 
I’alenque zu erreichen. Aber der Mensch denkt 
und Gott lenkt. 

Im Hause der Dofia Hermina fanden wir 
landesübliche und verhältnismässig angenehme 
Unterkunft. Es darf niemanden in Erstaunen setzen, 
dass ich die Leute immer nur bei ihren Vornamen 
nenne; die Nachnamen erfahrt man nur auf 
direkte Fragen, angeredet wird jedermann mit 
.dem Taufnamen. Das geht so weit, dass wir 
allen Ernstes öfter als einmal gefragt wurden, 
ob wir nicht einen Landsmann Don Guillermo oder 
Don Federico kennten, der vor so und so langer 
Zeit einmal da vorbeigeritten sei. Man denke, einen Herrn Wilhelm oder 
Friedrich! Von den fünf Deutschen in Tehuantcpec hiessen drei Friedrich 1 
In der städtischen Gesellschaft hört man öfter die Zunamen, da es aber 
Sitte ist, dass die verheirateten Frauen ihren Mädchennamen beibchalten, 
ist es nicht immer leicht, sich zurechtzufinden. Wenn ich auf die Fragen 
nach meinem Namen in der ersten Zeit diesen ganz harmlos wie in 
Deutschland üblich angab, folgte stets der erstaunte Ausruf: wie sonder- 
bar, Sie heissen ebenso wie Ihr Mann! Uebrigens ist auch hier die An- 
rede stets mit dem Vornamen. 

Dona Hcrminas Haus war ein länglicher, mit Ziegeln gedeckter Adobe 
Bau. Sein Inneres enthielt zwei Räume, von denen der kleinere das 
Zimmer der Wirtin vorstellte. Eine saubere Lagerstatt, ein mit bunten 
Heiligcnbildchen und verschiedenen andern Dingen bedeckter Tisch, ein 
Stuhl und die Truhe mit Wäsche und Kleidern bildeten die Einrichtung. 



H ieroglyphe 
von Ococingo 


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TAKIil. XXIX 




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In der Schlucht zwischen S. Cristobal und Ococingo 


Schränke kennt man im ganzen Lande nicht. Der zweite, grössere Raum 
stellte das »Hotel« vor. Es stand ein langer Tisch darin mit einer Bank 
an jeder Langseite. Ferner drei Bettgestelle mit Wollmatratzen auf den 
Brettern und einige Stühle, von denen ich zwei für mich erobert hatte. 
Die eine Thür dieses Raumes führte auf die Strasse, eine Thüröffnung in 
Dona Herminas Zimmer, eine dritte in die hinter dem Hause liegende 
Vorhalle. Im rechten Winkel dazu stand die Hütte für die Küche. Auf 



Unser Badeplatz bei Ococlngo 


dem grossen Hof, der mit einigen Büschen und Bäumen bestanden war, 
hielten sich unsere Tiere auf. 

Der Ort ist still, fast öde; er liegt weit ab vom Verkehr, und nur 
alle zehn Tage verbindet ihn der Postbote mit der Welt. Seine Lage 
aber, inmitten massig hoher, quellcnreicher Berge, ist reizend. Ein wenig 
vom Orte aufwärts rieselt und sprudelt es an allen Ecken und Enden 
vom klarsten Wasser, das im Gegensatz zur Luft — Ococingo liegt nicht 
allzu hoch und ist warm — eiskalt erscheint. Wir hatten bald einen 

Sclcr, Alte Wege. IO 

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idealen Badeplatz ausfindig gemacht, unterhalb eines Wasscrfallchens, wo 
das Wasser einen ruhigen und klaren Pozo bildete, von dem aus es über 
eine zweite Felsstufe lustig weiter rann; ringsumher waren glatte Steine 
wie Bänke geordnet und die Stelle war von zierlichen Pflanzen dicht um- 
wachsen. Aber leider wurde uns auch hier keine ungemischte Freude 
zu Teil, da die Kleider, die wir vertrauensvoll auf die Steine gelegt hatten, 
von Garrapatas (Zecken) wimmelten! 

Am ersten Tage begannen wir den Ort nach Altertümern zu durch- 
forschen, und wenn wir auch von Thonwaren oder kleinem Steinzeug 

nichts fanden, so waren doch ein paar ausser- 
ordentlich interessante Steine da, über deren 
genaue Herkunft man uns allerdings nichts 
sagen konnte, da sie schon sehr lange am 
Orte waren, vermutlich entstammen sic den 
Ruinen von Tonina. Und überdies waren es 
die ersten Reste von Mayakultur, auf die wir 
stiessen. Die an der Kirchenmauer aufgestell- 
ten Steinfiguren erwähnt auch Stephens. Sie 
sind aber sehr mitgenommen. Gut erhalten 
dagegen fanden wir eine Stela, die in der Um- 
friedigung eines Gehöftes als Mauerstein ver- 
wendet war. Mit Bewilligung des Besitzers 
brachen wir sie heraus. Er stellte natürlich 
die Bedingung, dass die niedrige Umfassung, 
die aus geschichteten, unbehauenen Steinen 
ohne Mörtelverband bestand, wieder hergestellt 
werde. Da unser Bursche Cornelio ja von 
Beruf eigentlich Maurer war, gingen wir leich- 
ten Herzens darauf ein und Cornelio ging 
frisch an die Arbeit. Aber es gelang ihm nicht, 
Rückseite einer stela das mctergrossc Loch wieder zuzumachen, 

m Ococingo Cyklopenmauern haben ihre Tücke. Von 

der Hieroglyphenseite dieser Stela nahmen wir einen Papierabklatsch und 
ebenso von den vier mit Hieroglyphen bedeckten Seiten eines flachen, 
fast quadratischen Steines mit einem runden Loch in der Mitte. (Siehe 
Kopfleiste dieses Abschnitts.) 

Bei Dona Hermina sprachen viele Menschen vor. Unter andern 
auch ein alter Ranchero, der in der Gegend von Tonina sein Besitztum 
hatte. Er erbot sich, mit uns nach seinem Rancho zu reiten, wo wir 
übernachten könnten; er und sein Sohn würden uns zu den Ruinen führen. 
Wir nahmen das an und ritten am nächsten Tage fort. Es sind nur 
wenige Lcguas bis zu dem Anwesen, das heute den Namen Toninä führt. 



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Dort machten wir einen kleinen Halt, um ein paar merkwürdige, mit 
Tier- und Menschenköpfen geschmückte Steine von quadratischer Form, 
mit rundem Loch in der Mitte, zu fotografieren. Weiterhin trafen wir 
einen prachtvollen Hieroglyphenstein als Stufe vor einer Tranca, das ist 
eine Stelle, an der der Viehzaun überschritten werden kann. Die nach 
oben gerichtete Seite ist mit dem Hochrelief geschmückt, das diese Stelen 
alle auf der den Schriftzeichen abgekehrten Seite zeigen. 

Der Rancho, in dem wir übernachteten, war äusserst ärmlich, aber ziem- 
lich nahe bei den Ruinen, zu denen wir uns am nächsten Morgen durch dichtes 



Viereckige Steine mit rundem Loch, im Rancho ToninA 


Gestrüpp einen mühsamen Weg bahnten. Ach, welch eine Enttäuschung harrte 
unser! Fünfzig Jahre hatten mehr zu zerstören vermocht als einige vorherge- 
gangene Jahrhunderte. Zwar waren die Zimmer noch vorhanden, aber die 
Mauern zerbröckelten, durch das Dach waren Haumwurzeln gewachsen: 
Schlinggewächs und Gesträuch wucherte überall. Die in Stuck hergestellte 
Wandbekleidung, deren Reliefs und Malereien Stephens noch bewundert 
hatte, war bis auf kümmerliche Reste abgefallen. Fotografieren war unmög- 
lich, da die Plattform des künstlichen Hügels zu klein war, um einen 
noch so geringen Abstand zu gestatten. Betrübt zogen wir wieder ab 
und ritten, um eine herbe Enttäuschung reicher, nach Ococingo zurück, 

io* 


>47 


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aber doch mit der Ueberzeugung, dass lange und gründliche Arbeiten hier 
wohl noch manchen Schatz zu Tage fördern könnten, der von der üppigen 
Vegetation verdeckt ist. 

Kaum waren wir zu Hause cingetroffen, als sich der Himmel bezog 
und es zu regnen begann. Da uns ein Zeitraum von fast zwei Monaten 
noch von der Regenzeit trennte und der Regen ohne Gewitter eintrat, 
glaubten wir, es sei nur eine der im Gebirge nicht seltenen »lloviznas«, 
der leichten Nebelregen, die nicht lange anzuhaltcn pflegen. Statt dessen 
regnete es unaufhörlich, regnete Tage lang, und wir waren zum unthätigen 



l’in^cstürite Stela als Trittstein benutzt 


Stillsitzen gezwungen, da für die schauderhaften Wege kein Träger bei 
nassem Wetter zu haben war. Jeden Gedanken an Palenque mussten 
wir fahren lassen, da wir nicht warten konnten, bis sich der Himmel über 
der Sierra wieder geklärt haben würde. Auch war es mittlerweile Ende 
März geworden. Wir mussten endlich einmal Guatemala erreichen, das 
immer ferner zu rücken schien, je mehr wir uns ihm näherten. 

Die regnerischen Tage wurden benutzt zur Ordnung des Herbars, 
zur Fertigstellung unserer Papierabdrücke. Aber um diese zu härten, müssen 
sie mit einem Gemisch von Spiritus und Kopallack überzogen werden, 
und dieser war nicht aufzutreiben, da die Kirche gerade frisch gestrichen 


14S 


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wurde und der Herr Pfarrer zu dem Zwecke den letzten Rest davon 
gekauft hatte. 

Wir wurden wenigstens gut verpflegt und hielten mit Doha Hermina 
gute Freundschaft. Zur Belohnung erhielten wir von ihr als Gastgeschenk 
ein sehr schönes altes Gefäss mit einem Deckel in Fischgestalt und 
mit Hieroglyphen geschmückt, von schwärzlicher Farbe und mit einer 
feinen Glasur überzogen, wie ähnliche aus Tabasco, Yucatan und Guate- 
mala bekannt sind. Sie scheinen Handelsware gewesen zu sein, ebenso 
wie die schönen bunten Töpierwaren von Cholula. (Siehe Schlussbild 
dieses Abschnitts.) 

Dieses hübsche Gefäss entstammte einer Schatzgräberei und war 
durch Erbschaft in Dofia Herminas Besitz gelangt. Seit dem Indianer- 
aufstand von 1712 ist nämlich unter den Ladinos der Gegend von Ococingo 
der Glaube verbreitet, dass ein Teil der aus den geplünderten Städten 
geraubten Kirchenschätze in dem Cerro de S“- Teresa, den die Indianer 
Caanä nennen, einem Hügel im Norden von Ococingo, vergraben worden 
sei; gerade wie in dem heiligen »schwarzen Berge« von Oxchuc. Um 
diesen Schatz zu heben, verbanden sich etliche Bürger von Ococingo und 
gruben unter Aufwendung nicht unerheblicher Mittel nach. Schätze fanden 
sie nicht, aber ein altes Grab und darin Gefässe und etliche andere Gegen 
stände. Die schönsten davon — man beschrieb uns z. B. eine Eidechse aus 
Nephrit — wurden an den bereits mehrfach erwähnten Licenciado Vicentc 
l’incda geschickt. Der ist inzwischen gestorben, und niemand wusste uns zu 
sagen, wo die Stücke geblieben seien. Ein zweites kleineres Gefäss von 
gleicher Mache, dem leider der Deckel fehlt, ein Stückchen Nephrit und ein 
hübscher Spinnwirtel, die wir im Dorfe auftreiben konnten, waren die 
einzigen Ueberbleibsel dieses Fundes. 

Schlimmer als wir waren unsere Pferde daran. Da trockenes Maisstroh 
nur wenig zur Stadt herein gebracht wurde, und zumal bei diesem Regen- 
wetter kein Indio sich mit Zacate sehen Hess, schickten wir einen Jungen 
aus, um Gras zu schneiden. Er kam stundenlang nicht wieder und endlich 
mit leeren Händen. Ja, meinte er, es regne ja, da könne man doch nicht 
arbeiten. Thatsächlich ruht alle Arbeit im Freien, während es regnet, 
weil sich die Leute vor dem Nasswerden fürchten. 

Inzwischen hatte die Gaststube einen neuen Einwohner bekommen, 
einen Comiteco, der hier herum Geschäfte zu erledigen hatte; Vieh- und 
Landkäufe und ähnliches. Er sass auch fest und richtete sich in der 
entgegengesetzten Ecke des Raumes ein. Er war ein lebhafter, kluger 
Mann, so recht was der Spanier mit »muy formal« bezeichnet, und seine 
Bekanntschaft war für uns sehr angenehm und nützlich, auch für unsern 
späteren Aufenthalt in Comitan, wo er eine geachtete Stellung einnahm. — 
Als ich einmal bei einer Unterhaltung zugegen war, die er mit einem 

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Manne aus Ococingo führte, wobei sich beide in landesüblicher Weise 
nach ihren Familienbeziehungen ausfragten, meinte er: »Sie müssen doch 
Don Fulano de Tal gekannt haben? Nun, der war mein Vater, ich bin 
sein natürlicher Sohn.« Fine Aeusserung, die mein an europäische Heuchelei 
gewöhntes Herz durch ihren F'reimut in Erstaunen setzte, durch die Selbst- 
verständlichkeit, mit der sie gethan wurde, erfreute. 

Endlich schien der Himmel Erbarmen zu fühlen. Ist es schon kein 
Vergnügen, im heimischen Gebirge einzuregnen, um wie viel schlimmer in 
den Tropen! Es wurde unter dem Regen empfindlich kühl, das Thermo- 



Ococingo 


meter zeigte 14 0 . Da die Häuser keine Fenster haben, müssen tags über 
alle Thüren offen stehen; das Dach hat stets schadhafte Stellen, durch 
die es hereinregnet Und da auch nirgends Einrichtungen bestehen, die 
wir uns gewöhnt haben für unentbehrlich zu halten, werden Schmutz und 
Nässe oft recht empfindlich. 

* * 

• 

Nun trat die Trägerfrage wieder einmal gebieterisch an uns heran. 
Der Jefe, der uns sonst überall half, war in Amtsgeschäften abwesend. 
Es blieb nichts übrig, als uns an einen Mann zu wenden, der auf seinem 


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ausgedehnten Besitz indianische Arbeiter verwendete, mit der Bitte, uns 
einige davon als Träger zu überlassen. Man wird fast an Leibeigenschaft 
gemahnt bei solchen Verhältnissen. Alle Verhandlungen hatten wir mit 
dem Arbeitgeber zu fuhren, dieser bekam das Geld und stellte die Be- 
dingungen. Der Preis, den er verlangte, war unverschämt. Zudem wollte 
er nur Leute schicken, wenn es nicht regnete. Und obgleich alle unsere 
Freunde im Ort über die Forderung entrüstet waren, so blieb uns doch 
nichts übrig, als darauf einzugehen, da niemand andern Rat wusste. 

Glücklicherweise regnete es am nächsten Morgen nicht und wir 
konnten aufbrechen. Eine volle Woche waren wir in Ococingo gewesen, 
und was hatten wir erreicht? Wir hatten uns davon überzeugt, dass die 
Spuren von Toninä im Verschwinden sind, dass hier bald gearbeitet 
werden muss, wenn überhaupt noch auf Ergebnisse gehofft werden darf; 
wir brachten ein paar Papierabklatsche mit, einige Fotografien, einige Thon- 
gefasse! Eine recht ärmliche Ausbeute. Aber die Reise durch Chiapas 
hatte uns Bescheidenheit gelehrt und unsere Ansprüche stark herab- 
gemindert. Es war oft schwer, gutes Muts die Mühseligkeiten des Reise- 
lebens zu ertragen, die durch keinerlei oder gar zu geringe Erfolge 
wettgemacht wurden. Wie leicht trägt sich alles, wenn etwas erreicht wird. 
Wie lastet alles auf einem, wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt 

Da auch Don Mariano Armendarez, unser Stubengenosse, das auf- 
klärende Wetter zur Abreise benutzen wollte, gedachten wir zusammen 
zu reiten, aber unsere Träger liessen warten, und so kamen wir, wie ge- 
wöhnlich, später fort, als beabsichtigt. Der Weg führte zuerst durch den 
Busch im warmen Thale entlang, dann über das schöne, klare Wasser des 
Jatate. Danach war während einiger Stunden sehr langweiliger Ocote- 
Wald zu durchreiten, der der märkischen Kiefernhaide nur allzu ähnlich 
war. Am Nachmittage war S. Carlos erreicht, jetzt ein Ladino-Dorf. 
Die Indios haben sich, als die Ladino-Bevölkerung sich vermehrte, einige 
I.eguas entfernt in Laguna, angesiedclt, weil sie für sich bleiben wollen. 
— Es gab einen bescheidenen kleinen Meson, dessen Preise recht 
unbescheiden waren. 

Abermals wurde am nächsten Morgen unser Aufbruch verzögert, weil 
die Lasttiere erst von der Weide geholt werden mussten, deren Besitzer, 
Pablo Vasquez, ein spanisch redender Indio, und sein kleines, niedliches 
Mädchen — Indianerkinder sind immer hübsch — uns bis nach Comitan 
begleiteten. Wieder begann der Tagemarsch mit einem Ritt durch 
Kiefernwald, aber bald ging es hinunter in die vom Rio Saconijä durch- 
strömte, malerische Schlucht, die auf guter Brücke überschritten wurde. 
Nachdem wir am jenseitigen Ufer steil bergan geritten waren, kamen wir 
in schönen, hochstämmigen Wald, in dem der Weg stetig sanft aufwärts 
führte. Auf der Höhe trat wieder Kalkgestein auf mit Eichen bestanden. 


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auf denen eine Fülle von Orchideen blühte. Der Weg wand sich um 
eine Berglehne herum und führte in ein enges, mit üppiger Vegetation 
erfülltes Thal. Hier fiel uns ein schlanker Baum mit Fiederblättern auf, 
und da er gerade in Blüte stand, wollten wir einen Zweig davon in unsere 
Pflanzenpresse legen. Als aber mein Mann ein Stück davon abschnitt, 
brachen Scharen von Ameisen aus der Schnittfläche hervor, deren er sich 
nur mit Mühe erwehren konnte. Die mit Ameisen gefüllten, langen, dicken 
Dornen einer Akazienart waren uns wohl von früher her bekannt. Hier 
aber schien das Holz selbst den Tieren als Wohnung zu dienen. Sicher 
besteht auch in diesem Falle ein gegenseitiges Schutz- und Trutz-Bündnis 



Schlucht «leg Rio Saconijd 

zwischen der Pflanze und dem Tier. Wir trafen diesen schönen Baum 
später noch einigemal, hüteten uns aber von jetzt ab wohlweislich, ihm 
zu nahe zu kommen oder ihn gar zu verletzen. 

Aber diese Pracht und Schönheit währte nicht allzu lange. Bald 
kamen wir wieder in den weithin sich dehnenden Ocote-Wald, dessen 
Fintönigkeit durch viele stattliche Ranchos und Hacienden, von ver- 
schiedenartigen Pflanzungen umgeben, unterbrochen wurde. Bei Vergel 
durchströmt ein Flüsschen einen Wiesengrund und wühlt sich dann in 
tiefer, enger Schlucht durch weiches Kalkgestein. Eine überdachte Brücke 
iiberspannt den Spalt und jenseits liegt das zur Hacienda gehörige, ein- 


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TAFEL XX\ 



Brücke bei El Verjcl 


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fache Unterkunftshaus. Nahebei liegen ausgedehnte Ruinen von Häuser- 
fundamenten, in breiten Terrassen übereinander geordnet. Es scheint, dass 
hier eine grosse Siedelung war. Der nächste Reisetag brachte kaum Ab- 
wechslung. Auf langen, wieder mit Kiefern bestandenen Bodenschwellen 
ritten wir hin, den Abhang des hohen Gebirges in weiter Ferne zur 
Linken. Nur die ausnehmend schöne und stattliche Hacienda von 
Bajucuc war erfreulich zu sehen. Dann gab es hier und da einen 
Blick in hübsche Waldschluchten, und Nachtquartier machten wir im 
Unterkunftshause der grossen Hacienda von Yaxjä, inmitten prächtiger 
Weidegründe. Nach Comitan blieben nur noch wenige Leguas auf gutem 



Hacienda Vergel 


Wege. Nur der Abstieg ins breite Thal hinunter, mit dem Blick auf die 
hübsch auf dem Berge gegenüber gelegene Stadt, war steinig. Eine Strecke 
gings im Thal und schliesslich auf schauderhaftem Pflaster den Berg hinan, 
in die Stadt hinein. Der letzte Ort vor der Grenze war erreicht. 

* * 

* 

Das freundliche Comitan (in der Indianersprache der Gegend heisst 
es Balun kana I, d.i. »Neun Sterne«) macht fast einen italienischen Eindruck: 
überall hangen Rosen und andere mit bunten Blüten bedeckte Ranken und 
Büsche über Mauern und Vordächer. Die rechtwinkelig angeordneten 

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Strassen sind nicht überall geebnet, sondern laufen über den Felsboden 
hin; die Häuser sind fast alle sauber getüncht, in weisser, blauer, rosa 
Farbe. Im Innern der Stadt, dessen Kern das alte Dominikanerkloster 
und die Kirche bilden, giebt es manch stattliches Steinhaus. Comitan 
besitzt drei Dinge, die man weithin rühmt: seinen Schnaps, seine Frauen 
und seine Dulces. Der Comiteco ist ein Zuckerbranntwein, der einen 
ausgezeichneten Ruf geniesst. Die Frauen sind als energisch und handels- 
kundig bekannt. Sie besorgen die Geschäfte, während die Männer auf 
den Ranchos nach dem Rechten sehen. Und jeder Geschäftsreisende, der 
in Comitan war, wird erzählen können, dass er meist mit der weiblichen 
Bevölkerung zu thun hatte. Die Dulces bestehen aus Fruchtpasten, die in 
kleinen, runden Holzschachteln verkauft werden. Solche Leckereien werden 
überall im Lande verfertigt und hauptsächlich eignet sich die heimische Gua- 
jave und der Pfirsich dazu. 

Die Einwohner sind heiter und liebenswürdig, das Leben nicht teuer, 
da viele Indianer umher wohnen und alle wünschenswerten Esswaren zur Stadt 

bringen. Zacate, d. i. das trockene Maisstroh, 
das den Pferden als Futter dient, kam in 
Mengen zur Stadt, so dass unsere Tiere sich 
reichlich sattfressen konnten. Auch das Gast- 
haus war gut, und alle Leute, mit denen wir 
zu thun hatten, kamen uns freundlich ent- 
gegen. Don Mariano, unser Zimmergenossc 
von Ococingo, führte uns eines Nachmittags 
sogar in den Klub, der sehr hübsche Räume 
und auch ein Klavier besass. Er hatte auch schleunig etliche Klubmit- 
glieder von dem bevorstehenden Besuche unterrichtet, die ebenfalls dorthin 
kamen. Und so lernten wir gleich einige der feinsten Leute kennen — 
natürlich nur Herren, die leider nicht recht wussten, was sie mit mir an- 
fangen sollten, da ich nicht einmal Klavier spielen konnte! 

Altertümer? Ja, damit war wieder nicht viel. Eine kleine Steinfigur 
besass der Pfarrer, sie stellte eine etwas rätselhafte Tiergestalt vor, 
die den Kopf mit den beiden, menschlich geformten Händen stützte. 
Eine andere stand im Hofe eines sehr sauberen, stattlichen Hauses. 
— Nachdem wir schon zwei Tage lang Umfrage gehalten hatten, wies 
man uns an Fernando Vasquez, einen spanisch redenden Indianer, der 
so eine Art Häuptling — natürlich kein Cooperscher Mahega — 
und mit den Altertümern der Gegend vertraut war. Er erzählte uns von 
dem Hügel ganz nahe bei der Stadt, Hun Chavin, d. h. »Ein Adler«, 
genannt, auf dem man, als vor etwa zwanzig Jahren dort Maisfelder an- 
gelegt wurden, mancherlei gefunden habe. Von dem Verbleib der Sachen 
wusste er nichts; es sei wahrscheinlich das meiste zerschlagen. So geht 



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TAFEL XXX a 




Strasse in Comitan 


Gehöft in Comitan 


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es heute noch. Wenige Wochen, bevor wir angelangt waren, war man bei 
den Arb eiten zur Herstellung der neuen Fahrstrasse nach S. Cristobal auf 
einen^unterirdischen Raum gestossen, der mehrere gemalte Gefasse enthielt; 



Stein fi^ur von Comitan — Im Hofe eines Privathausea 


man kümmerte sich nicht darum, schüttete das Loch wieder zu und baute 
ruhig weiter. Diese Altertümer sind also der Mitwelt verloren. Und dabei 
hatte die Regierung vor wenigen Jahren im ganzen Lande solche Dinge 
sammeln lassen, um die Columbus- Ausstellung zu beschicken. Wussten 


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denn die Ingenieure, die den Strassenbau leiten, gar nichts von der Ver- 
gangenheit, oder liegt ihnen nichts daran? Wir waren sehr ärgerlich, aber 
ändern liess sich leider nichts mehr. 

Natürlich stiegen wir auf den »Hun Chavin«. Oben standen zwei 
künstliche Hügel, vermutlich die Fundamente alter Heiligtümer. Alles 
umher war mit Mais bestellt, am Abhang des Berges war eine Quelle. 

Nachdem wir uns ungern überzeugt hatten, dass nichts zu finden 
war, brachen wir nach drei Tagen auf. Aber trotz aller bisherigen Ent- 
täuschungen, trotz des vielen vergeblichen Hin- und Herreitens, gedachten 
wir doch, den Umweg über Chaculä nicht zu scheuen, den uns unsere 
Freunde in Comitan anrieten. Wir würden dort sicher finden, was wir 
suchten, da ständen die alten Steingötzen schon auf der Treppe zum Hause. 
Nun, unser Glaube war gering. Aber schon um einen deutschen Lands- 
mann in so weltferner Gegend zu begrüssen, sollten die wenigen Leguas 
nicht gescheut werden. 



Glasiertes Thoneciäss aus Ocoeinsjo \i ,1er nat. Grösse) 


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Der Sonncostcin von Gracht* d Dio» 


SIEBENTER ABSCHNITT. 


Von Comitan bis Guatemala. 

29. März bis 17. April 1896. 

Palmsonntag. — Zapaluta. — Tepancuapam. — Belebte Hoffnungen. — Zacchand und Gr&ciaa 
A Dios. — Die Trinidad. — Ein Spazierritt — Karst. — Chacula. — Ostern. — I,an«l- 
straasen. — Ein Grenzort. — Im Thal des Rio Dolores. — S. Andres. — S. Marcos. — 
Jucaltcnango. — Die Cuesta de la Concepcion. — Chuli und Mam. — Todos los Suntos. — 
Ueber die Sierra Madre. — Chiantla. — Vampyre. — Wegbeschreibung. — Soldaten und 
Gefangene. — Rio Chixov. — Sta. Maria. — Wasser in trockener Zeit — Utatlan. — 
Sta. Cruz Quiche. — Die fruchtbare Ebene und Kolonisationsgedanken. — La Garruche. — 
Poaquil. — Schulgedanken. — Comalapa. — Die Ebene. — Chiinaltenango. — Barrancas und 
kein Ende. — Leiste Rast. — Mixco. — Die Miradores. — Am Ziel. 


>Maiiana< hiess es auch in Comitan, wie schon so oft auf dieser 
Reise. »Mafiana« hat uns so manchen Tag gekostet, aber dagegen ist 
noch kein Kraut gewachsen. Die Leute leben hier zeitlos, und der Spruch, 
dass Zeit Geld ist, ist für das spanische Amerika noch 
nicht gesprochen. 

Trotzdem ritten wir am 29. März ab. Es war 
Palmsonntag und es begegneten uns zahlreiche Indios 
mit den schnörkelhaft verzierten Palmengebinden, die 
sie zur Kirche trugen. In allen Gehöften und an den 
Wegen waren die steinernen und hölzernen Kreuze mit 
Palmen und schönen rosenroten Tillandsien-Blüten ge- 
schmückt. 

Wir ritten nicht auf dem direkten Wege nach 
Chacula, sondern zuerst auf der Strasse nach Zapaluta. ,\ltc# Thonjjctäss 
Ach, wie oft hatten wir uns schon durch falsche Nach- von Zapaluta 



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richten über Altertümer vom geraden Wege ablocken lassen! Aber 
immer wieder folgten wir der Versuchung, immer wieder voll neuer 
Hoffnung. War doch unser Weg durch Chiapas in archäologischer 
Hinsicht eine Kette von Enttäuschungen gewesen. — Ausser einigen 
unbedeutenden Stücken in einem benachbarten Rancho war auch in Zapa- 
luta nichts zu finden. Aber beim Schulmeister, der den erstaunlichen 



i ^ansiääiniii! 


II i«TO£lypbenstcinc von Zacchand (’/a der nut. Grosse) 

Namen Don Polycromio führte, wurden wir dank einem Empfehlungsbriefe 
freundlich aufgenommen und schliefen recht gut auf den sauberen Stein- 
fliesen seiner Sala. 

Früh am Morgen brachen wir auf, bei dickem, feuchtem Nebel. 
Durch hübschen, lichten, nicht hohen Wald ging zuerst der Weg, später 
durch Felder: eine ziemlich reizlose Gegend. Hun kanal (Ein Stern) ist 

>5ü 


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eine grosse Hacienda, zu der ein grosses, unordentliches Dorf gehört; 
in der Nähe sahen wir ein paar künstliche Hügel. Aber unsere Frage 
nach Altertümern war vergeblich. Ich hätte mich nachgerade schon ge- 
wundert, wenn es anders gewesen wäre. Es wurde uns sogar gesagt, 
dass die Besitzer es nicht liebten, wenn die Hügel durchforscht würden. 
Diese Abneigung hat wohl ihren Grund in der Schatzgräberei, die die 
Leute zum Durchstöbern der Tumuli veranlasst und der natürlich ein ver- 
nünftiger Mensch nicht gerne Vorschub leistet. 

Je mehr wir uns der grossen Lagune von Tepancuapam näherten, 
um so dichter wurden die künstlichen Hügel; stundenlang ritten wir zwischen 
solch grasbewachsenen alten Häuserfundamenten hindurch: es muss eine 
stark besiedelte Gegend gewesen sein. Aber alle Fragen in Dörfern und 
Ranchos waren vergeblich; alles war zerbrochen oder fortgeworfen in aber- 
gläubischer Furcht. Denn hier wussten die Leute noch nicht, wie in der 
vielbereisten Gegend von Oaxaca oder auf dem Isthmus, dass solche Dinge 
von den närrischen Fremden begehrt und sogar bezahlt werden. Der 
grosse See blieb links liegen, ohne dass wir ihn zu Gesicht bekamen. 
Aber die Hacienda, in der wir um Nachtlager baten, führt den gleichen 
Namen, der wahrscheinlich der alten, weit ausgedehnten Ansiedlung zu- 
kommt. Tepancuapam ist Besitztum der Familie Roman, deren verschiedene 
Zweige in der Gegend umher begütert sind, und denen die stattlichen 
Hacienden gehören, deren schlossartige, weiss schimmernde Gebäude wir 
auf dem Wege überall aus dem Grün hatten hervorleuchtcn sehen. Wir 
wurden sehr gastlich aufgenommen und verplauderten einen angenehmen 
Abend. Zumal die älteste Tochter verriet für dortige Ansprüche nich 1 
gewöhnliche Bildung, sie war lebhaft und unternehmungslustig, ja sie plante 
eine Europareise gemeinsam mit einer Freundin, und nur der Mangel an 
Sprachkenntnissen liess ihr das Unternehmen in noch etwas ungewissem 
Lichte erscheinen. 

Am nächsten Tage begann uns das Schicksal ein freundlicheres Ge- 
sicht zu zeigen. Wir kamen nach Zacchanä, wo wir unter dem Portal 
im Pflaster des Fussbodens einen gut erhaltenen Hieroglyphenstein fanden 
und ein Stückchen weiterhin einen zweiten. Der Besitzer liess mit sich 
reden: er verkaufte uns die Steine, die wir sofort ausbrachen, um sie 
später durch Maultiere abholen zu lassen. 

Weiter gings nach Gräcias ä Dios, wo im Hoie auf dem steinernen 
Unterbau, der ein grosses hölzernes Kreuz trug, ein Altertum stand, das 
unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war ein viereckiger Stein von 
massiger Grösse, auf dessen Oberseite sich ein kreuzförmiges Loch befand. 
Die vier Seiten waren mit Relief verziert. Die beiden langen Seiten zeigten 
ein Sonnengesicht in der Vorderansicht, die beiden kurzen im Profil. Der 
übrige Raum war von Rankenwerk ausgefüllt, dazwischen waren die runden 


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l’erlen zu sehen, die in den mexikanischen Bilderschriften Zahlen bedeuten. 
(Siehe Kopfleiste.) Zwischen Zacchana und Gracias ä Dios waren wir an 
den schlichten, weissen Grenzsteinen vorbeigeritten, die Mexiko von 
Guatemala trennen. 

Wir durchritten wundervolle Gegend; eine wahre l’arklandschaft; 
kleine Wiesenthäler, von buschbewachsenen Hügeln umgeben, wechselten mit 
malerischen Hohlwegen. Trotz der vorgerückten Jahreszeit war alles grün, 
und auch manch seltsame Blüte fand den Weg in unser Pflanzenbündel. 
Das erste Mal in meinem Leben fand ich hier eine wirklich schwarze 
Blüte an einer Berglehne im Walde. 



Steinliguren in tler Vorhalle »1er Trinidad 


Wir hatten in Zacchana und in Gräcias d Dios Aufenthalt gehabt. 
Ls war spät, und da der Himmel sich bewölkte und ferner Donner sich 
hören Hess, beschlossen wir, heute nicht mehr bis Chacula zu gehen, 
sondern in der Trinidad um Nachtquartier zu bitten. Hier waren wir im 
Hause des liebenswürdigen Don Eduardo, eines Sohnes des Besitzers von 
Chacula. Die Besitztümer bilden einen grossen zusammenhängenden 
Komplex, zu dem noch verschiedene Ranchos gehören. Sie liegen in 
jener Gebirgsregion, die nicht den scharfen Gegensatz der Jahreszeiten 
kennt, wie die der Küste näheren Gebiete. Freilich regnet es im Sommer 
auch hier mehr und regelmassiger als im Winter, aber von den dicken, 


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schier undurchdringlichen Wäldern im Norden, die sich bis zum Usuma- 
cinta hinunter ziehen, werden fortwährend Nebel herüber geweht und das 
Klima kommt daher dem der gemässigten Zone so nahe, als es unter 
diesen Breiten überhaupt möglich ist. Es war gut, dass wir nicht weiter 
geritten waren, denn bald gabs einen tüchtigen Regen, der sich in eine 
Llovizna (Nebelregen) auflöste. 



SoDDcostein im »Chnurront. 
*/a der naL Grösse 


Wie wir die Vorhalle und das Zimmer betraten, hüpfte unser Herz 
vor Freude, denn eine stattliche Reihe steinerner Figuren grusste uns. Von 
schönen und seltsamen Thongefässen erzählte Don Kduardo, die aus Höhlen 
stammten, aber leider zerbrochen seien. Doch würden wir in Chacula 
mehr dergleichen finden. Wir waren wie erlöst: der Bann der getäuschten 
Hoffnungen und Erwartungen war von uns genommen, der die letzten 
Wochen so schwer auf uns gelastet hatte. Und da unser freundlicher 
junger Wirt uns aufs Liebenswürdigste alle kleinen Bequemlichkeiten 

Seler, Alte Wege. 

1 6 1 


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seines Junggcsellenheims zur Verfügung stellte, streckten wir uns behaglich 
aufs Lager, gehoben durch erwartungsvolle Spannung auf die Dinge, die 
uns die nächsten Tage bringen sollten. 

Am Morgen machten wir mit Don Eduarde einen Spazierritt, der 
unsern froh erwachten Hoffnungen noch grössere Lebenskraft einhauchte. 
Nachdem wir über arg zerklüftetes Gelände — wir befanden uns in karst- 



vFicdra Kedonda'. 


artigem Kalkgebirge — hinabgestiegen waren, gelangten wir in einen sanften, 
weit ausgedehnten Wiesengrund von parkartigem Charakter. Kleine, von 
Huschwerk überwachsene Stufenpyramiden fanden sich verstreut, und vor 
zweien lagen grosse, runde, mit Relief verzierte Steine, von denen wir in 
aller Schnelligkeit Papicrabdriicke machten. — Der Wiesenplan, auf dem 
der eine lag, wurde von den Leuten »El Cimarron« genannt; den andern 
Stein bezeichneten sie kurzweg als die »Piedra Redonda«. Auf dem 


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Rückwege wurde eine Stelle besucht, wo sich ein tiefer, brunnenartiger 
Einsturz zeigte, wie er ja auch in unsern heimischen Kalkgebirgen nicht 
selten ist, aber in solcher Ausdehnung wohl kaum vorkommt. Wir zählten 
bis zwölf, che der hinabgeworfene Stein auf dem Boden des Schachtes 
aufschlug. Diese tiefen Einbrüche, die Höhlen und steil abfallenden, wie 
abgebrochen erscheinenden Schluchten sind sehr charakteristische Merk- 
male dieses zerrissenen Karstgebietes, das aber vor den europäischen 
Gegenden gleicher Formation die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses voraus 
hat, der mit Bäumen und Büschen seine Höhen, mit saftigem Weidegrund 
seine Thälcr und Schluchten, mit Ranken und Blüten seine Abhänge über- 
zieht. — Ausser der anmutigen Landschaft und dem bisher leider nicht 
häufigen Anblick interessanter Altertümer, der wohl geeignet war, unsern 
gesunkenen Mut neu zu beleben, bot mir dieser Morgenritt noch ein ganz 



Pyramide bei Cliucula 


besonderes Vergnügen: Don Eduardo hatte mir ein gutes l’ferd satteln 
lassen. Ein gutes, lebhaftes Pferd unter sich zu fühlen, nachdem man 
wochenlang einen müden und eigensinnigen Gaul hat vorwärts drängen 
müssen, ist eine unbeschreibliche Wonne. Und Dankbarkeit im Herzen 
gegen Don Eduardo, der diesen Morgen so genussreich für uns gestaltet 
hatte, ritten wir am Nachmittage die wenigen I.eguas nach Chaculä. 

Nachdem wir den Fuss eines Hügels umritten hatten, dessen Spitze 
die Reste einer stattlichen Pyramide trägt, sahen wir vor uns die reihen- 
weis geordneten Hütten der Hacienda-Arbeiter, überragt von dem rot und 
weissen Ziegeldach eines stattlichen Herrenhauses. Wie wir näher kamen, 
gewahrten wir allerdings, dass dieses Haus erst im Bau und vorläufig noch 
nicht bewohnbar war. — Da wir von der Trinidad aus schon angemeldet 
waren, wurden wir erwartet; der Fussboden des Raumes, der uns auf- 


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nehmen sollte, war nach dortiger Sitte mit Tannenzweigen bestreut, zwei 
Lagerstätten für uns bereitet, an denen mich nichts so sehr erfreute, als 
die saubere Bettwäsche, die erste seit Tehuantcpec! 

Wir fanden in Herrn Gustav Kanter einen Mann, der mit den Ver- 
hältnissen des Landes genau vertraut war, mit seinen Indianern wohl um- 
zugehen wusste und ein lebhaftes Interesse für die Vergangenheit der 
Scholle besass, die ihm zur zweiten Heimat geworden war; einen Mann, 



Steinfigur aus Quen-Santo 



der den Resten, die sich auf dieser Scholle befanden, schon vielfach nach- 
gespürt hatte. So kam es, dass wir ihm nicht nur als Landsleute will- 
kommen waren, sondern dass auch unsere Zwecke sein Interesse erregten 
und seine thätige Unterstützung und Förderung fanden. 

Ein sonderbares Spiel des Zufalls war es, dass mein Mann und Don 
Gustavo sich äusserlich merkwürdig ähnlich sahen: dieselbe hagere Figur, 
derselbe Bart; die Haltung zu Pferde und der breitrandige Filzhut ver- 


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TAFKI. XXXI 



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Chaculä 


vollständigten die Täuschung, der sogar der junge Kanter in einiger Ent- 
fernung unterlag. Auf der ganzen Strecke zwischen Chacula und Huehue- 
tenango, ja bis nach Quezaltenango hin wünschte man von meinem Manne 
Pferde, Jungvieh, Mais zu kaufen, und es kam oftmals zu recht ergötzlichen 
Auftritten. 

Am nächsten Tage führte uns unser Wirt eine Strecke waldeinwärts, 
wo wir nach kurzer Wanderung auf einer buschbewachsenen, künstlichen 
Plattform vor den Ueberresten einer schön gegliederten, nicht sehr hohen 
Pyramide von ziemlicher Breitenentwicklung standen. Sie zeigte auf ihrer 



/wischen Chaculd und Huaxac kunal 


obersten Stufe drei kleinere Gebäude — eine Form, die uns in dieser 
Gegend noch öfter begegnete. Auch unterwegs gingen wir an etlichen 
kleineren, pyramidenartigen Bauten vorüber, von denen manche die Spuren 
gewaltsamer Zerstörung zeigten, die Spuren der Schatzgräber, der grössten 
Feinde aller alten Baudenkmäler. 

Unsere Absicht war gewesen, am Donnerstag wieder abzureiten, aber 
da es in der Osterwoche war, und die Indios es für eine Entheiligung an- 
sehen, wenn man am Jueves Santo reist, so setzt man sich den grössten 
Unannehmlichkeiten, ja der Gefahr der Steinigung aus und bleibt lieber, 
wo man ist. Zudem sind Gründonnerstag und Charfreitag zwei Tage, an 


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denen die ganze Bevölkerung sich betrinkt, wahrend das an andern 
grossen Feiertagen nur immer die Einwohner des Ortes thun, dessen 
Patron an dem Feste unmittelbar beteiligt ist. 

Da wir nun weder Donnerstag noch Freitag fortgeritten waren, so wurde 
auch am Sonnabend noch nichts daraus, sondern es wurde ein Ausflug 
nach den Höhlen unternommen, nach jenen Höhlen, von denen uns schon 
Don Eduardo in derTrinidad erzählt hatte, nach jenen Höhlen, deren seltsame 



Käuckergcfäss aus Quon-Santo 
*/io der nat. Grösse. 


steinerne Bewohner uns von den Stufen des Holzbaues grössten, der uns 
in der Hacienda zum Aufenthalt diente. 

Nachdem wir etwa zwei Stunden, oder etwas länger, über Wege, 
wie sie das Kalkgebirge leider mit sich bringt, geritten waren, erreichten 
wir die Stelle, wo abgesessen werden musste, weil cs nun über Gestrüpp 
und Wurzeln ohne Pfad zum Eingang der Höhlen zu gelangen galt. Wir 
fanden dort überall umhergestreute Scherben von Gefässcn seltsamster 
Formen, Steinfiguren, Bruchstücke von solchen, aufgerichtete Steine. Kurz, 


lOö 


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TAKlil. XXXII 




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Felswand bei den Höhlen Höhleneingang mit einem Idol 

bei Quen-Santo 




eine lockende Aussicht auf Dinge, die des Archäologen und Ethnographen 
Herz höher schlagen lassen. Herr Kanter erzählte, dass er vor etwa zwei 
Jahren die Höhlen zum ersten Male betreten habe, beschrieb, was er 
damals gefunden, wer die verschiedenen Stücke erhalten habe, von denen 
leider das meiste heute zerbrochen sei. Nur was er selbst in die Hacienda 
habe heraufschaffen lassen, sei wohlerhalten. Die Indios nennen die Lo- 
kalität »Quen-Santo«, worin das indianische Wort »Quen« Höhle be- 
deutet, während der Ausdruck »Santoc ganz allgemein gebräuchlich ist 
für alte Idole. »Santos de los Antiguos« hört man überall als Bezeichnung 
heidnischer Götterbilder. Ein Hauptstück des damaligen Fundes, eine 
sehr seltsame, grosse Thonvase, wahrscheinlich ein Räuchergefäss, befand 
sich wohlerhalten oben in Chaculä und wurde von seinem Besitzer dem 
Museum für Völkerkunde zu Berlin geschenkt, wo es heute eine Zierde 
der mittelamerikanischen Sammlungen bildet. 

Neben dem Raum, den wir auf der Hacienda bewohnten, einem aus 
starken Brettern wohlgefugten Bau, der später, wenn erst das begonnene 
Haus vollendet wäre, einen Vorratsraum abgeben sollte, befand sich ein 
zweiter ähnlicher Raum, aber ohne Vorderwand. In diesem stand ein 
Muttergottesbild; hier war die vorläufige Kirche der Hacienda. Am Oster- 
sonntage kamen die Indianer aus den umliegenden Ranchos, hier ihre 
Andacht zu verrichten. Das Holzkreuz auf dem Platze vor dem Hause 
war mit Blüten umwunden, vor der Madonna brannten Kerzen; Männer 
und Weiber trugen frisch gewaschene Hemden. 

Es war kühles, regnerisches Aprilwetter eingetreten; so kostete es 
keine allzu grosse Ueberredung, uns noch ein paar Tage festzuhalten, 
während welcher die festen Verabredungen für unsere Wiederkehr ge- 
troffen wurden. Was wir in der kurzen Spanne gesehen hatten, liess uns eine 
solche erwünscht erscheinen, und Herr Kanter gewährte uns willig die 
Erlaubnis, auf seinem Grund und Boden Ausgrabungen nach unserm Er- 
messen vorzunehmen. So war denn der Abschied, den wir nach mehr- 
tägigem Aufenthalte nahmen, nur ein vorübergehender. Wir hatten die 
Stätte gefunden, die uns viel Mühe und Arbeit bringen sollte, aber auch 
Erfolg und manche Freude. 

* * 

* 

Bisher war es mir oft erschienen, als ob Guatemala stetig vor uns 
zurückweiche, als ob wir ihm nicht näher kämen, sondern immer noch 
unendlich entfernt wären. Jetzt endlich, da uns höchstens noch eine 
Woche von diesem Ziele trennte, schien es in erreichbare Nähe gerückt. 
Es wurde Zeit. Wir und unsere Pferde waren müde. Ich war nicht mehr 
fähig, voll und frisch alle neuen Eindrücke in mich aufzunehmen und 


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festzuhalten, und nur der Thatsache, dass wir einen Teil des Weges bei 
unserer Rückkehr nach Chacula noch einmal zurücklegten, verdanke ich 
es, dass er sich mir eingeprägt hat. Zumal die letzten Tage wurden durch 
Hitze und Staub doppelt ermüdend. Auch war es die Jahreszeit, in der 
in Wald und Feld die Feuer entzündet werden, um ohne Mühe den Boden 
zur neuen Aussaat, zum neuen Weideland geeignet zu machen. Diese 



Feuer erfüllen mit Rauch und Qualm die Luft, fast wie der Höhenrauch 
die nordwestdeutschen Länder. Es ist eine grosse Verschwendung von 
Bodenkraft, eine Verwüstung von Wald, die auf diese Art getrieben wird. 
Aber die Erde ist hier so reich und ergiebig, Wald ist genug vorhanden; 
an rationelle Wirtschaft denkt niemand. Und so ist es am bequemsten; 
also wird ruhig weiter gebrannt. 


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Oft während der letzten Wochen, wenn wir über die schlechten 
Wege geklagt hatten, tröstete man uns damit, dass wir jenseits der Grenze, 
in Guatemala, vorzügliche Strassen finden würden. Ich will hier gleich 
bemerken, dass es in Guatemala einige gut angelegte Strassen giebt, deren 
Zustand aber je nach der Beschaffenheit ihres Untergrundes und je nach der 
Jahreszeit gerade so gut und so schlecht ist wie der der mexikanischen 
Strassen auch, wie das ja in tropischen Landstrichen kaum anders zu er- 
warten ist. Man bedenke nur, welche Verheerungen ein Gewitterregen, 
ein Schneewinter auf unsern Alpenstrassen anrichtet, und stelle sich dann 
die Schwierigkeiten vor, die durch Monate lang täglich wiederholte Regen- 
güsse entstehen müssen; man bedenke, welche Arbeitskräfte jährlich zur 
Instandhaltung unserer Verkehrswege notwendig sind, und vergesse nicht, 
dass Mexiko und Guatemala dünn bevölkert sind. Man wird bescheiden 
und freut sich schon, wenn man überhaupt eine befestigte und leidlich 
angelegte Strasse findet, anstatt des alten Indianerpfades, der, unbekümmert 
um alle Schwierigkeiten, am liebsten die kürzeste Linie zwischen zwei 
Punkten wählt. 

Vorerst hatten wir für die nächsten Tage einen echten, rechten 
Gebirgsweg vor uns. Von Chaculä aus geht es ein Stück durch Wald- 
und Kalkgebirge, ähnlich oder sogar noch ein wenig schlechter, als wir 
von den letzten Tagen her gewöhnt waren. Bald gelangt man an einen 
klaren Bach, der die Ländereien des ärmlichen Viehranchos Chaquial 
durchfliesst. Das schöne Wasser, das zur Bewässerung grosser Pflanzungen 
ausreichen würde, endet in einer trüben Lache, deren Ufer von Vieh zer- 
stampft und von modrigem Strauchwerk umgeben sind. Noch ein Stück 
weiter erreichten wir die grosse Strasse, die von Comitan direkt zum 
Grenzort Nenton führt, aber sie rechtfertigte durchaus nicht den guten 
Ruf, dessen sie sich erfreut. Durch Hügelgewirr hindurch erreichten 
wir das in tiefer, heisser Thalspalte gelegene Nenton, am Ufer eines der 
wasserreichen Flüsse, die, aus der Cordillere hervorbrechend, den grossen 
Rio de Chiapas bilden. Wegen seiner tiefen und eingeschlossenen Lage 
— nur 960 Meter über dem Meeresspiegel — ist es hier zu allen Jahres- 
zeiten heiss und ziemlich ungesund. Es ist ein ganz neuer Ort, nur durch 
die Notwendigkeit entstanden, nahe der Grenze Zollhäuser und einen 
Militärposten zu unterhalten. Die Garita, das Zollhaus, auf dem Gebiete 
von Chaculä ist nur ein seitwärts vorgeschobener Posten für den Lokal- 
verkehr. In Nenton aber findet die Grenzbehandlung der Arriero-Züge 
statt, die unter anderm auch den Comiteco, den berühmten Zuckerbrannt- 
wein von Comitan, bringen, der — wie aller Alkohol — in Guatemala 
einen hohen Einfuhrzoll zahlt. 

Nahe dem Ufer des Flusses, abseits von den Hütten des Ortes, steht 
eine prächtige Ceiba, und flussabwärts sieht man Bananenhainc und das lichte 


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Grün von Zuckerrohrpflanzungen, wie im Thal des Flusses von Tehuantepec, 
in der Gegend von Totolapan. Wir schlugen unser Nachtlager in der Vor- 
halle des Gemeindehauses auf, was bei der grossen Hitze sehr angenehm 
war. Welcher Gegensatz zu den kühlen und regnerischen Nächten in 
Chaculä, wo wir uns trotz des geschützten Raumes fröstelnd in unsere 
Decken gewickelt hatten, wo wir aber auch vor Schlangen und Skorpionen 
keine Angst zu haben brauchten. 

* * 

* 



1 



San Andres 


Aus der Schlucht von Nenton emporsteigend, kommt man auf eine 
wellige, noch aus Kalk bestehende Fläche, wo viel gebrannt und gerodet 
worden, und wo infolge davon die Abhänge der Hügel mit niedrigem 
Strauchwerk bedeckt sind. Es folgt ein zweites Thal, von einem klaren 
F'lüsschen durchströmt, das von schönen hohen Bäumen beschattet ist. 
Jenseits ist der Kalk zu Ende; rote kompakte Schiefer und Sandsteine 
treten auf, und mit dem Gestein ändert sich auch die Vegetation. Die 
F'ichen verschwinden, die Nadelhölzer kommen wieder zur Herrschaft. 
Ein schöner Weg durch lichten Wald, immer ansteigend, durch busch- 
erfüllte Schluchten, fuhrt nach mehrstündigem Ritt zum Dorfe S. Andres. 
1500 Meter über dem Meeresspiegel liegt es, auf einem Grate roten 


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Felsgesteins, der in die tiefe Thalspalte des Rio Dolores vorspringt. 
Ein prächtiger Blick von hier oben, von dem haushohen Kreuz, das auf 
dem Platz vor der Kirche, auf der höchsten Stelle des Grates, steht. 
Nicht weit davon sind die Fundamente einer alten Pyramide, darauf 
ein ärmliches Gehöft Nach links hin blickt man in die tiefe Spalte 
des Flusses, jenseits auf schroffe Wände und hohe gezackte Kämme. 
Nach vorn aber übersieht man die weite Ebene des Flusses von 
Chiapas bis zu dem Felskegcl von S. Bartolome, dessen eigentümliche 
Gestalt sich scharf vom Horizonte abhebt. Das ganze weite Gebirgsland, 
das wir während der letzten Wochen durchstreift, und dessen recht an- 
sehnliche Höhen und Tiefen uns aus eigenster Anschauung wohlbekannt 
waren, lag wie eine leicht gewellte, graugrüne Ebene vor uns. — Un- 
mittelbar hinter den Hütten des Ortes steigt der Hang höher hinan, mit 
Kiefern bestanden, deren Grün sich von der warmen roten Farbe des 
Erdreiches prächtig abhebt. Die zum Dorf gehörigen Aecker sind tief 
unten im Thale, wo herrliche süsse Ananas gedeihen. Grosse Früchte 
wurden uns überall für einen Medio (etwa 1 2 '/« Pfennig) angeboten. 

Der Weg geht auf der rechten Thalseite des Flusses weiter, Vor- 
sprünge überschreitend, Seitenschluchten umkreisend. Gehölze wechseln 
mit Rodungen. Von hier bis nach Jacaltcnango, dem Ziel des ersten 
Tagemarsches von Ncnton aus, hat der Reisende eine starke Geduldprobe 
abzulegen: fast drei Stunden, bevor er erreicht wird, liegt der Ort in 
voller Deutlichkeit vor den Augen des müden Reiters. Nicht sehr lange, 
nachdem man S, Andres verlassen, wird er sichtbar, aber der Weg zieht 
hoch oben über dem Flusse an dessen rechter Seite hin, steigt dann in 
die tiefe Thalspaltc hinunter, um jenseits zu noch grösserer Höhe wieder 
hinauf zu klettern. 

Es kommt viel Wasser den Berg herunter, und ehe es zum Flusse 
gelangt, bildet es auf der oberen Terrasse, auf der der Weg entlang geht, 
feuchte Wiesen, auf denen Pferdeherden weiden. Sie gehören zum Orte 
S. Marcos, der hart an der Berglehne, im Grün der Bananenpflanzen und 
Laubbäume versteckt liegt. Gerade San Marcos gegenüber, auf einer 
nach zwei Seiten steil zum Flusse abfallenden Felsterrasse, in der Luft- 
linie kaum IO Minuten entfernt, liegt Jacaltenango. Nun aber kam ein 
langer steiler Abstieg, bis der schmale, aber augenscheinlich tiefe Fluss, 
der sein dunkelblaues Wasser vielfach zwischen hohem Rohr und dichtem 
Gesträuch verbirgt, auf einem Holzbrückchen überschritten wird. Hier 
und da sah man durch eine Oeffnung im Röhricht einen Seitenbach mit 
kleinem Fall einmünden. Es war eine anmutige Scenerie. 

Beim Aufstieg erreicht man zuerst einen von mächtiger Felsplatte 
gebildeten Platz im unteren Teile des Dorfes, wo täglich ein kleiner 
Markt abgehalten wird. Lebensmittel werden feil gehalten — Mais, Bohnen, 

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Chile, Salz, roher Kaffee — aber auch Tabakblätter, Zigaretten in Stroh- 
papier, hölzerne Haarkämme. Der Verkehr ist nicht sehr lebhaft, doch bildet 
das Ganze ein hübsches, bewegtes, farbiges Bild, denn die Indianerweiber 
tragen alle Röcke aus leuchtend rot und gelb gestreiftem Kattun, die den 
Eindruck von Fabrikware machten. Doch könnte es auch Erzeugnis 
einer Hausindustrie sein, die importiertes, mit Anilin gefärbtes Garn 
verarbeitet. Weiter hinauf befindet sich der Hauptplatz; er ist wüst und 
grasbewachsen; wie üblich steht eine grosse, ziemlich baufällige Kirche 
an seiner Seite, ferner das Gemeindehaus, das Schulhaus und noch ein 
drittes langgestrecktes Gebäude mit Vordach. In der Mädchenschule 
fanden wir Unterkunft, die stattliche Lehrerin und ihre wunderhübsche 
junge Tochter sorgten für Essen. Mais für die Pferde konnten wir zwar 
auf der Plaza kaufen, aber Zacate, das weit nötiger ist, war schwer zu 
beschaffen und musste teuer bezahlt werden. Denn nicht genug, dass die 
Preise an und für sich ziemlich hoch sind, musste es erst noch geschnitten 
werden. 

* » 

* 

Um von Jacaltcnango aus den Ort S. Martin zu erreichen, der in 
einem andern, parallellaufenden Flussthal liegt, muss der Rücken der 
Cuesta de la Concepcion überschritten werden, der die beiden tief 
eingesenkten Thalspalten trennt. Landschaft und Vegetation sind auf 
beiden Hängen gleichartig, aber während man von Jacaltenango aus über 
lehmiges Erdreich auf breitem Wege zur Höhe gelangt, führt auf der 
andern Seite ein fürchterlicher Felsenpfad berg- 
ab, in kurzen Schleifen über Steinbrocken und 
schräge Kanten der Gesteinschichten. Zum Glück 
dauert die Pein nicht länger als eine kleine 
halbe Stunde. 

Jacaltenango gehört noch zum gleichen 
Sprachgebiet wie Chaculä, zu dem des Chuh' 
(sprich: Tschuch), das dem Tzeltal und Zotzil des 
Staates Chiapas verwandt ist. In S. Martin be- 
ginnt das M a m , zu dem auch Todos los Santos 
gehört, eine dem Quiche und Cakchiquel ver- 
wandte Mayasprache. Herrliche Aguacates gaben 
im Verein mit gerösteten Tortillas ein köstliches 
Mahl. 

Der Weg geht auch in diesem Thal auf der 
rechten Seite aufwärts. Steil ragen die Berge 
auf, zum Teil mit dichter Waldbekleidung. Auf 
den Feldern treten Büschel hohen Grases auf, 



(Jacaltenango) 

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die wir später als charakteristische Vegetationsform auf der Hochebene 
zwischen Quezaltenango und Huehuetenango wiedersahen. Die Luft war 
merklich kühler geworden. An allen Hängen waren Maisfelder, denn fast 
aller Mais, der in Chiantla, in Huehuetenango und Umgegend verbraucht wird, 
kommt von hier, d. h. wird auf Indianerrücken über den hohen, mehrere 
Stunden breiten Kamm der Hauptkette der Sierra Madre hinübergeschafft, 
weshalb denn auch der Ort Todos los Santos ansehnlich, seine Einwohner 
wohlhabend sind. Es drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf an die schier 
unerschöpfliche Kraft dieses Bodens, auf dem seit mehreren hundert Jahren 
Mais gebaut wird, ohne dass man an Düngung denkt. Soweit die Nach- 
richten auch rückwärts reichen: überall wird der Maisreichtum der Leute 



Totlos los Santos (Cuchumatlan) 


von Cuchumatlan gerühmt. Und wenn der Ort auch seinen Namen 
geändert hat, so scheint doch der Charakter seiner Bewohner derselbe 
geblieben zu sein, der er zur Zeit des Thomas Gage war: misstrauisch 
und den Fremden fast feindlich gesinnt. Beides freilich sind Zuge, die 
man bei den meisten Gebirgs-Indianern anzutreffen pflegt. 

Nachdem u'ir mehrere Seitenschluchten gekreuzt und die schmale 
Rinne des Hauptthaies übersetzt hatten, gelangten wir in das Dorf. Es 
liegt 2700 Meter hoch, rings eingeschlossen von noch höher aufragenden 
Bergen. Der Gegensatz des Klimas zu den tiefer gelegenen Ortschaften 
ist in dieser Jahreszeit sehr merkbar. Unten die brennende Sonne der 
trockenen Monate, hier oben feuchte neblige Kühle. 

* * 


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Da wir nach einigen Monaten desselben Weges gezogen kamen, um 
nach Chaculä zu gehen, und nach beendigter Kampagne noch einmal zurück- 
kehrten, fügte es sich, dass wir dreimal in Todos los Santos verweilten. 
Es sind mir die Eindrücke dieser drei Male in einander geflossen zu einem 
Bilde, und ich wüsste sie kaum im einzelnen an die richtige Stelle zu 
setzen. Daher möchte ich alles, was sich in meinem Gedächtnis unter 
dem Namen Todos los Santos sammelt, ' hier in eins zusammenfassen. 

Todos los Santos ist ein Alpendorf, und wie in einem solchen 
liegen seine vielen Hütten ziemlich unregelmässig durcheinander. In der 
Nähe der Kirche drängen sich die Hauptgebäude zusammen, aber nicht um 

die übliche Plaza, sondern 
um zwei kleinere Plätz- 
chen, die nicht in gleicher 
Höhe liegen. Ein langes 
steinernes Gebäude stellte 
ein Pfarrhaus vor, das 
uns als Nachtquartier 
diente. Einmal aber war 
gerade der Pfarrer aut 
der Visitationsreise dort, 
so dass wir im Schul- 
hausc übernachten muss- 
ten, in dem aber nicht all- 
zu regelmässig Schule ge- 
halten zu werden schien. 
Auf dem Platz zwischen 
Schule und Pfarrhaus 
waren Arrierodächer, wie 
um einen Corral. Dort 
kamen auch unsere Pferde 
unter, was bei der Kälte 
sehr gut war; denn so oft 
wir auch dort nächtig- 
ten — immer waren die Nächte kühl und frisch. In einer ärmlichen 
Tienda bekamen wir notdürftig zu essen. Maisstroh für die Pferde wurde 
uns das Bündel zu 4 Realen (etwa I Mark) angeboten — ein unerhörter 
Preis; schliesslich bekamen wir es für zwei. 

Die Indianer des Dorfes haben ihre eigene Tracht. Die Frauen 
spinnen und weben einen sehr derben, weissen Baumwollstoff mit roten 
Streifen und Quadraten. Davon werden die Männerhosen und Weiber- 
hemden verfertigt. Die Männer tragen dazu den braunen Wollkittel, unten 
ausgefranst, von einem lodenartigen Stoff, der, soviel ich erfahren konnte. 



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in der Gegend von Comitan gewebt wird. Die Frauen tragen den in 
Guatemala vielfach üblichen dunkelblauen Rock mit schmalen weissen 
Streifen oder Karos, der in Quezaltenango auf den Markt kommt. Das 



Weiber und Mädchen von Totlos los Suntos 


Hemd ist sehr lang und weit und hat um den Halsausschnitt eine Fraise 
von weissem Shirting und violettem Seidenband, beides spanische Zuthat 
zum alten Stil. Das schwere schwarze Haar wird in zwei Teile geteilt, 


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jeder einzeln mit roten und gelben Wollbändern umwunden und dann 
kranzartig um den Kopf geschlungen. Diese Bänder sind nur auf dem 
grossen Jahrmarkt in Comitan zu haben, und der Mann, der seine Frau 
lieb hat, bringt ihr von dort solche mit. Die reiche Fülle von Kopf- 
bändern lässt auf die Wohlhabenheit einer Familie, aber auch auf ein gutes 
Verhältnis zwischen den Eheleuten schliessen. Wenn die Frau weite Wege 
zu machen hat, so setzt sie auf ihre hochgetürmtc Haartracht einen 
kleinen Männerhut, was einen lächerlichen Anblick gewährt. Dazu sind 
alle zehn Finger mit rohen Messingringen besteckt, dass die Hand fast 
wie gepanzert aussieht. 

Da wir wieder und wieder kamen, kannten uns die Leute schon 
und legten ihre Scheu ein wenig ab. Als sogar die Schulmeister-Familie 
sich willig von mir fotografieren liess, liefen auch die andern nicht mehr 
weg, so dass ich zwei Frauengruppen einfing, während früher beim Anblick 
des Apparates alles auseinanderstob. Ich ging auch mit unserm Regierungs- 
brief zum Alkaiden und sagte ihm, dass ich ein Hemd und Kopfbänder kaufen 
wolle (denn meine Privatbemühungen waren natürlich fruchtlos verlaufen) und 
dass er verpflichtet sei, mir dabei behilflich zu sein, was er auch einsah. Als 
eine Frau gefunden war, die beides neu besass — gebrauchte Kleidungsstücke 
hätte mir auch auf behördlichen Befehl keine verkauft, denn die hätten mir 
Macht verliehen, sie zu behexen — , fand eine feierliche Uebergabe der 
Stücke vor den versammelten Gemeindevorstehern im Cabildo statt. Ich 
bezahlte den festgesetzten Preis dem Alkaiden, der vielleicht dabei noch ein 
Geschäft machte. Nun wollte aber die Frau, dass ich das Hemd anziehen 
sollte, und siehe da, es ergab sich, dass das nicht möglich war, da mein Kopf 
durchaus nicht durch das enge Halsloch zu stecken ging. Dies ist übrigens 
bei den meisten Indianerhemden, die in meinem Besitze sind, der Fall, 
da die Weiber merkwürdig kleine Köpfe haben. Ebenso sind die Arm- 
löcher, wo solche vorhanden, so eng, dass man meint, sie wären für ein 
zehnjähriges Mädchen berechnet. Es gab eine sehr ergötzliche Scene, als 
sie mir’s mit Gewalt über den Kopf gezogen hatte und ich es nun nicht 
wieder abstreifen konnte. Wir hatten wieder einmal den Beweis, dass es 
ganz falsch ist, zu glauben, der Indianer lache nicht, nur taut er dem 
Fremden gegenüber selten auf. Hier wirkte jedenfalls der Humor der 
Lage ganz lebhaft aui die Lachmuskeln. 

Als mein Mann einmal ein paar Jungen aufgegriflen hatte, die ihm 
gegen Belohnung mit einigen Centavos Wörter ihrer Sprache sagten, kam 
ein älterer Mann daher, rief ihnen etwas zu und fortan war kein Wort 
mehr von ihnen zu erfahren. Auf unsere Frage, was ihnen denn jener 
Alte gesagt habe, berichteten sie, er habe sie gewarnt, ihre Sprache 
einem Fremden mitzuteilen, denn mit der Sprache nähme er ja auch ihre 
Seele mit fort und dann müssten sie sterben. 


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TAKHI. XXXIII 



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Todos los Santos 


Das sind meine Erinnerungen an das Dorf der Mam-Indianer, Todos 
los Santos, das Thomas Gage noch Cuchumatlan nennt. Schade, dass 
wir stets nur wenige Stunden dort verweilten: welch reiches Feld für den 
Ethnographen thut sich hier auf. Und wer länger liier bliebe, der würde 
vielleicht nicht immer als Fremdling betrachtet werden, der würde die 
Sprache, die Seele der Indianer verstehen lernen. 

* * 

* 



Ve etationsbil d in der Sierra Madre. 


Hinter Todos los Santos beginnt der Aufstieg zur prachtvollen, be- 
waldeten, wasserreichen Sierra Madre. Wir brachen am frühen Morgen aut 
und zogen immer dem murmelnden Bache entgegen, der häufig von kleinen, 
primitiven Holzbrückchen gekreuzt wird. Zuerst durch ein Thälchen mit 
Feldern und vereinzelten Hütten, dann in prächtiger Felsschlucht, wo wir 
Veilchen antrafen. An einer Stelle des Weges stand ein mit rötlich blühen- 
den Orchideen ganz überpolsterter hoher F'elsblock; auch eine zierliche 
kleinblütige Fuchsie stand hier, so oft wir auch die Stelle passierten, in 
Blüte. Weiter ging es einen mit Kiefern bestandenen Hang hinan, dann 
aber kamen mächtige Edeltannen und dunkle Cypressen, zu denen sich 
weiterhin ein Baum gesellte mit gelben Compositen-Blüten und graugrünen, 

Sei er. Ahe Wege. *2 

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weissfilzigen Blättern. Herrliche Wald- und Vegetationsbilder, die in dem 
trüben Schwarz der Fotografie ihren Hauptreiz, die Farbe, das mannigfach 
schattierte Grün, leider einbüssen. Endlich sahen wir vor uns am Wege 
ein Holzkreuz stehen: die Passhöhe war erreicht. Die Meereshöhe von 
3540 Meter bedeutet für Europa ewigen Schnee, während hier die Grenze 
des Baumwuchses noch weit über uns lag. 

Uebcr eine lang sich hinziehende muldenartige Fläche, deren Boden 
aus steil aufgerichteten roten Thonschiefern bestand, zu deren beiden Seiten 
die Hänge höher emporstiegen und die stellenweis zu Wiesenflachen sich 



Passhöhe in der Sierra Madre 


weitete, zog der Weg mehrere Leguas in ziemlich gleicher Höhe hin. Die 
Landschaft ist von eigentümlichem Reiz: dichtes Nadelholzgebüsch, klare 
Quellen und Bäche, eine dichte Grasnarbe. Dazu die reine, klare Luft, 
die die heissen Sonnenstrahlen milderte. Auch in der wärmsten Jahreszeit 
sollen Nachtfröste nichts Seltenes sein, weshalb auch keine Ansiedlungen 
hier oben sind, wiewohl doch alles dazu einzuladen scheint. Früher gab 
es hier ein Anwesen, das unter dem Namen La Ventosa auch auf älteren 
Karten verzeichnet steht, aber da nichts gedieh und selbst das Vieh diese 
Höhe auf die Dauer nicht vertrug, wurde es verlassen und nur einige 
verfallene Mauerrcste stehen noch. Es war durchaus nicht einsam hier 


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T.VFKI. XXXIV 




ln der Sierra Madre zwischen Todos los Santos und Chiantla 


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oben: zahlreiche Indios, die nach den Arbeitsplätzen zogen, wohin sie 
sich für eine längere Zeit verdingt hatten, und viele Maultierzüge begegneten 
uns. Stundenlang zogen wir auf der Hochfläche dahin, bogen dann, während 
die flache Mulde sich noch endlos weiter zu erstrecken schien, rechts 
ab. Nahe bei diesem Punkte muss ein Rancho stehen; ältere Reisende 
erwähnen ihn und auch uns war gesagt worden, dass man im Notfälle 
dort übernachten könne; wir bekamen ihn nicht zu Gesicht, vermutlich 
verbarg ihn ein Gehölz. Wir stiegen ein paar Thalstufen hinan, zu einer 
zweiten, etwas niedrigeren Passhöhe. Weit ausgebreitet lag das Land 
vor uns. Tief unter uns das Häuserschachbrett von Huehuetenango in 
breiter, welliger Thalfläche, die von den Kiesbetten ausgetrockneter Flüsse 
wie von weissen Bändern durchzogen war. Dahinter eine weite Ebene, 
dann Hügel, Bergketten und am Horizonte eine Reihe von Vulkanen: die 
von Guatemala, von Quezaltenango, von Tapachula. Bis zu jenen hohen 
Kegeln zu unserer Linken mussten wir das Land durchziehen, das wie 
eine Landkarte zu unsern Füssen aufgerollt war. Aber vorerst mussten 
wir von unserer luftigen Höhe zum Thal hemiedersteigen. Eine harte Arbeit! 

Der Weg von Todos los Santos herauf war zwar recht steil, aber 
nicht schlecht gewesen, auf der ebenen Höhe war er sogar sehr gut. 
Aber der lange Abstieg, der nun folgte, war entsetzlich. Zuerst hatten 
wir ein Stück über grosse Steine ziemlich steil hinunter zu klettern, 
dann wechselnd über Fels-, Lehm-, Kieshänge hinab, bei einer einsamen 
Hütte vorüber, die inmitten von Kartoffelfeldern lag. Lange schon sahen 
wir Chiantla, aber immer tief unter uns, denn länger als zwei deutsche 
Meilen zieht sich der Abstieg hin. Auch der reisende Priester, Thomas 
Gage, macht keine erfreuliche Schilderung von diesem Wege, auf dem 
er mit dem Maultier stürzte und von den begleitenden Indianern als Heiliger 
verehrt wurde, weil er sich dabei nicht Hals und Beine gebrochen hatte. 

Wir kamen an eine Schneide, die den Abhang, an dem wir soeben 
herabgeklettert waren, mit vorgeschobenen Klippen verband. Von beiden 
Seiten haben sich Barrancas so tief hineingefressen, dass in kurzer Zeit 
die Schneide ganz durchgerissen sein wird. Längs dieses schmalen Rückens 
ziehen sich die sauberen Häuser der Rancheria Las Calaveras hin. 
Reihen von Agaven umsäumen die Gehöfte, mit Staunen blickten wir in 
die tiefen Schluchten hinab, wo unter der Lehmdecke mächtige Schiefer- 
schichten zu Tage kamen. Und überall an den Hängen auf beiden Seiten, 
die schier unzugänglich schienen: kleine Ranchos, Ansiedlungen, Pflanzungen. 
Hier war der Weg recht gut, und schon glaubten wir, unserm Ziel nahe 
zu sein. Aber noch lag das letzte, das schlimmste Stück vor uns; über 
eine Stunde ging es steil hinunter über Geröll, das aus lauter spitzen 
Steinen bestand. Natürlich stieg ich ab und verwünschte dieses greuliche 
Kalkgebirge, das für Pferdehufe und Menschenfüsse gleich entsetzlich ist. 

12 * 


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Wir dankten Gott, als wir endlich die stattliche, gemauerte, von einem 
Holzdach geschützte Brücke erreichten, die das breite Bett des Flusses 
iiberspannt, an der Stelle, wo er sich seinen Weg durch eine Felsschlucht 
sucht. Er bestand jetzt nur in einem dünnen Wasserfaden. 

Chiantla ist ein sauberes, verschlafenes Nest. Früher war es Distrikts- 
ort, welche Würde jetzt auf das benachbarte Huehuetenango übergegangen 
ist. Seitdem wächst in Chiantlas Strassen Gras. Seine Bedeutung liegt 
in einem wunderthätigen Marienbilde, dessen Fest am 8. September 
(Mariä Geburt) mit einem jener grossen Jahrmärkte verbunden ist, zu denen 
von weit und breit die Besucher herbeiströmen, teils der Muttergottes, 



l)cr Fluss von Chiantla 


teils des Marktes wegen. Natürlich war früher auch ein Kloster am Orte, 
und Thomas Gage erzählt, dass es den Mönchen nur durch die Gaben, 
so man der Madonna darbrachte, möglich wurde, ihr Dasein zu fristen, 
und wie der Pater nicht litt, dass er, den man dir einen Heiligen hielt, 
die Geschenke zurückwies, die man ihm brachte, weil sie einen gar so 
willkommenen Beitrag zum Lebensunterhalt lieferten. 

^ Die Indianer, die den Mais und andere Lebensmittel von der Sierra 

herabbringen, halten hier ein paar Stunden ihre Waren feil und ziehen 
dann weiter nach Huehuetenango, so dass am Nachmittage nur zu haben 
ist, was die Reihe ärmlicher Tienden an dem von einem stattlichen Re- 


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gierungspalast und der grossen Kirche begrenzten Platze bietet. Ucbrigens 
erwies sich der Lebensunterhalt für Mensch und Tier als recht teuer. 
Der Arriero, der uns von Comitan aus mit zwei Tieren begleitet hatte, ging 
von hier zurück. Wir mussten Ersatz suchen; Hufeisen waren verloren 
gegangen, kurz, mancherlei veranlasste uns, einen Rasttag einzuschieben, 
der für uns und unsere Tiere ganz wohlthuend war. Nur ein Pferd hatte 
von den Bissen der blutgierigen Vampyre arg zu leiden, die hier so häufig 
Vorkommen, dass Chiantla deswegen berüchtigt ist. Diese Fledermäuse 
beissen sich mit Vorliebe in dem weichen Fleisch des Pferdehalses fest, 
während das Tier schläft, und entziehen ihm oft so viel Blut, dass es vor 
Schwäche unfähig zu voller Arbeitsleistung wird. 

* • 

* 

Sonntag, den 12 . April, ritten wir von Chiantla weg aui der guten, 
tief in das weiche, weisse, mergelige Gestein eingeschnittenen Fahrstrasse, 
die uns zuerst in das Bett eines Baches führte, der die Stadt im Süd- 
westen umgiebt, ehe er in den Fluss mündet. Dann über eine massige 
Höhe, auf der zur Linken der Weg über Chalchitan und Aguacatan nach 
Nebaj und Chajul abzweigte. Wieder hinunter und hinauf, um den Rand 
einer tief eingerissenen, steilwandigen Barranca, in das Bett eines andern 
Baches, der auch dem F'lusse von Chiantla zulief, unter dessen steil über- 
hängendem Felsufer aber jetzt nur vereinzelte Wasserlachen standen. Auf 
dem weiten, ebenen Thalboden, den wir sodann erreichten und dessen 
harter Lehmboden von kurzer Grasnarbe bedeckt war, mündete von rechts 
die Strasse von Huehuetenango ein. Zur Seite waren Felder und auf den 
Höhen Eichengestrüpp. Als wir am Ende des Thalbodens eine kleine 
Höhe erreichten, blickten wir in einen schönen Kessel hinab, der mit 
Feldern bedeckt und von Wasseradern durchzogen war, an denen dunkel- 
laubige Fruchtbäume und kleine Farmhäuschen sich reihten. Diese Höhe 
bildet die Wasserscheide zwischen dem Gebiet des Flusses von Chiapas, 
der als Rio Grijalva sich ins Meer ergiesst, und dem des Rio Chixoy, 
dem Oberlauf des Usumacinta, denn der Bach, den wir bald nachher er- 
reichten, der zwischen mässig steilen, wieder von lichtem Eichwald be- 
standenen Höhen fliesst, hatte nordöstlichen Lauf. 

Die Eichen begannen soeben ihre Blatttriebe zu entwickeln, hier und 
da prangte ein Baum schon in frischem Laubschmuck, zwischen dem die 
langen, lockeren Blütenkätzchen herunterhingen. Der Boden war trocken 
und kahl, mit abgefallenem Laube bedeckt. Nur am Bachrand und wo 
eine Quelle das Erdreich berieselte, spross Gras und Kraut hervor. Das 
alles gab uns den Eindruck eines warmen, sonnigen Frühlingstages im 
deutschen Mittelgebirge. Der Weg stieg an der rechten Thalseite in die 
Höhe, auf schmalem Grat, bald steigend, bald fallend, mit wechselnden 


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Blicken auf Wald und Feld und welliges Hügelland, aber alle Ferne war 
verhüllt durch den Dunst der zahlreichen Wald- und Weidebrände. Bald 
erreichten wir die von Ladinos bewohnte Rancheria S, Lorenzo, deren 
verstreute Hütten im Halbkreis um eine mächtige Ceiba stehen, diesem 
prächtigen, breitkronigcn Baume, der hier die Rolle unserer Dorflinde spielt. 

Die Sonne, die in dieser Jahreszeit nahezu den Zenith erreicht, war 
hoch gestiegen und brannte heiss, als wir nach kurzer Rast wieder auf- 
brachen. Mit uns zugleich zog ein Trupp Soldaten, die ein paar arme 
Gefangene geleiteten: zwei Ladinos und zwei Indios. Während jene frei 
und unbeladen daherzogen, trugen die Indianer Last und wurden von 



einem Soldaten am Strick geführt. Die bewaffnete Macht sah nicht 
schlecht aus: Hosen und Jacken von hellblauem Kattun mit weissen Streifen, 
Strohhut mit gerolltem weissen Nackentuch, eine grosse lederne Patronen- 
tasche hinten am Gürtel, die zusammengerollte Schlafmatte auf dem 
Rücken. Das Bajonnett war vom Gewehr abgenommen und ohne Scheide 
an der linken Seite in den Gürtel gesteckt. Korporalabzeichen aus rotem 
Zitz waren, mit Sicherheitsnadeln am Jackenärmei befestigt. 

Anders als in Mexiko wird in Guatemala bei der Aushebung fürs 
Militär verfahren. Dort müssen die Gemeinden eine Anzahl Mannschaften 
stellen und schicken natürlich nicht ihre besten Leute, sondern solche, 
die sie gern abschieben. Manchmal wird auch eine Anzahl nichtsnutziger 

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Kerle, zu Polizeistrafen verurteilte Subjekte, aufgegriffen und auf sieben 
Jahre in irgend ein Bataillon gesteckt. Daher auch die Gepflogenheit, ein 
Lager dicht mit Doppelwachen zu umstellen, die alle fünf Minuten sich 
anrufen müssen, da man stets darauf gefasst sein muss, dass eine Anzahl 
bei der ersten besten Gelegenheit davonläuft. In Guatemala besteht eine 
Art Milizsystem, die Dienstzeit dauert nur sechs Monate und es sind auch 
bessere Elemente vertreten. 

Hinter S. Lorenzo auf der Höhe erreichten wir wieder den bekannten 
Föhrenwald, der Boden bestand aus vulkanischem Gestein: Asche und 
Tuff bildeten feste Bänke mit rauher Oberfläche. Nachdem wir eine 
Strecke auf der waldigen Höhe entlang geritten waren, näherten wir uns 
einer tiefen, schmalen Thalspalte, zu der ein steiler Abstieg über Geröll 
und Steine, über schmale, von Schluchten zernagte Rippen, über weiches, 
weisses Erdreich hinab führte zu dem Bett des Rio Negro oder Chixoy, 
der zwischen grossen Felsblöcken schnell dahinströmt. An einem klaren 
Seitenbächlein konnten wir unsern und unserer Tiere brennenden Durst 
löschen und überschritten dann den Fluss auf einer Brücke, die — wie überall 
in Chiapas und Guatemala — nach Art der Brücken in unsern Alpen- 
ländern mit hölzernem Schutzdach versehen war. Dort muss man dem 
Schnee und hier den Regengüssen wehren. Jenseits ging es über felsigen 
Boden steil bergan, dann etwas sanfter im Walde, in den hier wieder 
Eichen eingesprengt sind. Von oben sahen wir in das gewundene Thal 
des Flusses hinab, mit seinen vielen grossen und kleinen, tiefgrünen, klaren 
Pozos, und Wald, soweit das Auge reicht. Auf der Höhe des Thal- 
randes zog der Weg entlang. Ueber den waldigen Hängen erhob sich 
der hohe Kamm der Sierra Madre, leider verschleiert durch den Dunst, 
der ein Produkt der trockenen Hitze und der schon erwähnten Wald- und 
Weidebrände ist. 

Ein letzter Abstieg brachte uns zur Rancheria S“- Maria, deren Häuser 
und Aecker längs dem Ufer eines kleinen Waldbaches zerstreut sind. Hier 
ist ein Unterkunftshaus für Reisende von der Gemeinde S ta - Cruz Quich6 
errichtet. Ein luftiger Bau aus Stangen und Reisig und einem Palmblatt- 
dach, in zwei Räume geteilt. Wir benutzten das letzte Tageslicht zu 
einem erquickenden Bade in dem klaren Bache. Inzwischen hatte man 
Mais und Zacate für unsere Pferde, schwarze Bohnen und Tortillas für 
uns und die Burschen gebracht. Draussen loderte ein Feuer, um Kaffee 
und Schokolade zu kochen. Wie oft hatten wir über die Carga geseufzt, 
die so mühselig vorwärts gebracht wurde und sich gar manches Mal als 
Hemmschuh erwiesen hatte, aber in Nachtquartieren wie dieses lernt man 
die Segnungen eines mit Küchengeräten und einigen Vorräten gefüllten 
Tompiates wohl schätzen, freut man sich der Decken, die das Lager er- 
träglicher machen. Mit dem frohen Gedanken, dass uns nunmehr nur noch 


• f<3 


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wenige Tagereisen von unserm vorläufigen Ziele, der Stadt Guatemala, 
trennten, legten wir uns auf dem Rasen, der den Boden der Hütte bildete, 
zur wohlverdienten Ruhe. 

* * 

* 

Der nächste Reisetag bot wenig Abwechslung, die Landschaft wies 
keine neuen Züge auf. Allmählich führte uns der Weg in die Höhe, auf 
eine durchaus von Aeckern und Weiden eingenommene Ebene, den An- 
fang der grossen zentralen Hochfläche, seit alter Zeit das Land der 
Quich6-Indianer. Die zerstreuten Häuser, die wir hierantrafen, gehörten 
zur Rancheria Pasojon. Hier rasteten die Soldaten, die wir schon am 
vergangenen Tage getroffen hatten, und so zogen wir weiter bis zu dem 
sauberen Gehöft Los Pozuelos, das seinen Namen ein paar Wasserlöchern 
verdankt, die nahebei im Grunde einer Schlucht sich befinden. Wie selten 
und kostbar hier auf dem Hochlande in der trockenen Zeit oft das Wasser 
ist, wurde uns sehr deutlich, als wir in Sonnenbrand und Staub auf 
schattenloser Strasse eine Stunde nach der andern dahinzogen und alle 
Rinnsale ausgetrocknet fanden. Nur in einer Felsverticfung standen ein 
paar Tümpel einer braunen, von Larven und Insekten wimmelnden Flüssig- 
keit, die unsere Tiere nicht verschmähten, sondern gierig soffen. Wir 
aber fanden erst kurz vor unserm Ziel in einem Bachbett einen dünnen, 
klaren Wasserfaden und unter den spärlichen Bäumen an seinem Ufer ein 
wenig Schatten. Das Wässerlein floss südwärts und also wohl schon dem 
Rio Grande Motagua zu. 

Drüben ragte auf weitem, ebenem Plan die hohe, weiss getünchte 
Kirche von S. Pedro Jocopilas empor und zu den Seiten des Weges be- 
gannen sich die Zeichen zu mehren, dass wir einem grösseren Zentrum uns 
näherten: Häuser, Gehöfte, die überall an den belebten Verkehrswegen 
aufgeschlagenen, primitiven Buden, in denen Flaschen jeder Form und Grösse 
den durstigen Reisenden locken. Oft findet man hier sogar bayerisch 
Bier, das freilich kaum mehr ein erfrischender Trunk zu nennen ist, aber 
doch gern getrunken wird. Nachdem der letzte Hügel überwunden war, 
lag in weiter fruchtbarer Ebene die Stadt Santa Cruz Quichö vor uns. 

* * 

* 

Wenige Leguas von S u - Cruz entfernt liegen die Ruinen von Utatlan, 
der alten F'este der Quichö, über deren Eroberung durch Pedro de Alvarado 
dieser selbst und Bemal Diaz, der ihn begleitete, ausführliche Berichte 
geschrieben haben. Hier spielte sich dasselbe blutige Drama ab. das 
Cortes in Mexiko aufgefuhrt hatte: Kampf und Niederlage, Verrat, P'lucht 
und schliesslicher Sieg der Spanier, der mit Taufe der Häuptlinge, Zer- 
störung des festen Platzes sein Ende fand. Wir haben die Ruinen von 


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Utatlan nicht gesehen. Wir hofften wiederzukommen. Und da wir jetzt 
müde und abgespannt waren, dachten wir dann mit frischeren Sinnen und 
wacheren Augen der alten Stadt unsern Besuch zu machen. Aber leider 
führte uns der Verlauf unsrer Reise nicht wieder hier vorüber. 

Utatlan war ein hervorragend fester Platz, auf allen Seiten durch 
steilwandige Schluchten geschützt, nur auf Felspfaden mühsam zu erreichen. 
Die Bevölkerung wohnte auf der weiten fruchtbaren Fläche zerstreut. 
S“- Cruz ist eine spanische Gründung, eine neue Stadt, die nach dem alten, 
von den Conquistadoren überall befolgten Grundsatz, bestimmt war, die 
Indianer zu sammeln, was sowohl ihre Christianisierung als auch ihre 
Niedcrhaltung erleichterte, ja eigentlich erst ermöglichte. Heute ist es 
von Ladinos bewohnt, die Indianer wohnen in dem wenige Leguas ent- 
fernten Dorf Quiche, das daher mit mehr Recht seinen Namen führt. 

S“- Cruz ist ein freundliches Städtchen: in hellen, bunten Farben an- 
gemalte oder weiss getünchte Häuser, die Einzäunung der Gehöfte aus 
grossen Lehmzicgeln sauber hergestellt. Die übliche Plaza mit der üblichen 
Umgebung. Und — last not least — ein richtiges Hotel, Gran Hotel 
Vera Paz. Natürlich kein internationales Schweizergasthaus, sondern ein 
landesübliches, in dem den veränderten Verhältnissen angepassten spani- 
schen Stil. Aber es gab gute Betten und gutes Essen. Ja, man wird 
ganz abscheulich materiell und schätzt den Komfort um so höher, je 
weniger man davon hat. 

Hier zweigt die Strasse nach Coban, dem Hauptort der Provinz 
Vera Paz, ab. So war denn auch das Hotel voll von Reisenden und schon 
lange vor Sonnenaufgang wurde es lebendig. Die Tiere wurden aus den 
Ställen gezogen, um ihren Mais zu erhalten, dann wurde bei Fackelschein 
gesattelt und geladen: ein lebhaft bewegtes, eigentümliches Bild. 

Von der Stadt aus, musste zuerst die im Osten sie umgebende 
Barranca passiert werden, dann ging es auf ebenem Wege weiter über 
die gut angebaute Fläche, vielfach an Weilern und Gehöften vorbei. 
Vor ihnen fielen uns mehrfach die reihenweis aufgepflanzten Blütenschäfte 
der Agave auf, über deren Bedeutung wir im Unklaren blieben. Waren 
es Ueberreste eines österlichen Festschmuckes, oder vielleicht Wirtshaus- 
zeichen, ähnlich unserm grünen Kranz? 

* » 

• 

Zeitig erreichten wir das Indianerdori Quiche, das nur eine Legua 
vom Orte der alten Königstadt K'umarcaah entfernt liegt. Pis schien 
irgend ein Fest gefeiert zu werden, denn Trommel und Chirimiya, die uralte 
indianische Rohrflöte, tönten ununterbrochen aus den Häusern, und Gruppen 
festlich gekeideter Indianer zogen auf der Gasse vorüber. Die Tracht ist 
eigenartig und farbenprächtig. Die der Weiber in dem überall noch ge- 


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bräuchlichen alten Schnitt, aber die Farben des über und über rot und 
gelb gestickten Hemdes stechen prächtig ab von der bräunlichen Haut 
und dem indigoblauen Rock, der von breitem Gürtel oberhalb der Hüften 
festgehalten wird. Vielleicht sind die eingestickten Muster der Huipiles 
noch alt, denn im Gegensatz zu Blumen, Vögeln und andern Verzierungen 
spanisch - europäischen Stils, die in vielen Gegenden den Indianerinnen 
ausschliesslich als Vorbilder dienen, bestanden sie hier in Zackenbinden. 
Die Männertracht dagegen erinnert im Schnitt lebhaft an Spanien. An 
Stelle des sonst von den Indianern getragenen weissen, langen, weiten 
Beinkleides ist eine an den Seiten offene Kniehose aus dunklem Wollstoff 
getreten, die von breitem Gürtel gehalten wird. Dazu kommt ein kurzes 
andalusisches Jäckchen. Als Verzierung, die vorn auf der Brust in bunter 
Wollstickerei ausgeführt wird, fiel uns häufig eine Sonne oder ein Wirbel- 
kreis auf. Vielleicht spielen auch hier indianische Motive mit. Wieder 
ein Beispiel, wie verschiedenartig die Volkstracht beeinflusst wird, bald 
unterliegt die Form, bald nur der Zierrat den Veränderungen, die von aussen 
eindringen. Leider stoben alle Indianer beim Anblick meines Apparates 
davon, und sie witterten ihn, obgleich ich ihn hinter einem Pfeiler genügend 
geborgen glaubte. Sowie sie in die Nähe kamen, setzten sie sich in einen 
Trab, dem auch mit dem Momentverschluss nicht beizukommen war. 

Der Festtag hatte für uns die Annehmlichkeit, dass es frisches Fleisch 
gab. Als wir über den hohen Preis, den uns die Frau für ein Frühstück 
abverlangte, unser Befremden ausdrückten, meinte sie: es seien die gleichen 
Preise wie im Hotel Vera Paz in S u - Cruz. O schnöder Einfluss europäischer 
Kultur! 


Ackerflächen, Wiesentäler zwischen sanft geneigten Höhen, Weide- 
land. Der Boden bestand aus dem fruchtbaren, sandig- lehmigen, augen- 
scheinlich durch Verwitterung vulkanischen Materials entstandenen Erdreich, 
das für diese Hochebene typisch ist. Zwar kann das Land nicht be- 
wässert werden, doch fallt im Sommer Regen genug, um den Mais zur 
Reife zu bringen und auch Weizenbreiten geben Ernte. 

Uns kam hier, wie auch anderwärts in ähnlichen Höhenlagen, die 
ein gesundes, nicht erschlaffendes Klima haben, wieder und immer wieder 
der Gedanke, wie viele Bauernfamilien wohl hier mühelos vom Ertrag des 
Feldes leben könnten. So oft wir aber dergleichen äusserten, versicherte 
man uns, dass eine europäische Kolonisation aussichtslos sei. Als Grund 
wurde einerseits die Geringwertigkeit der Produkte der kalten Lagen, 
andererseits die Bedürfnislosigkeit des eingeborenen Arbeiters, mit der 
kein Europäer wetteifern könne, angegeben. Beide Gründe haben mich 
nie überzeugt. Erstens giebt es nicht genug eingeborene Arbeiter, um 


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alles Ackerland in Arbeit zu nehmen. Sodann müsste doch das im Lande 
gebaute Getreide und andere Erzeugnisse der Landwirtschaft den Wett- 
bewerb mit den von Nordamerika eingeführten Produkten aufnehmen 
können. Und schliesslich denke ich mir den hier angesiedelten Bauer 
nicht als Handelsmann, der, zu Wohlstand gelangt, nach Europa zurück- 
kehrt, sondern als einen Menschen, der die Scholle, die ihn nährt, lieb- 



Der Rio Motagua bei La Garruche 


gewinnt und zufrieden ist, dass sie ihn gut und reichlich nährt. Vielleicht 
aber giebt es solche Leute nicht, die um dieses Zieles willen auswandern. 
Sollte es nicht der Mühe lohnen, hier einmal Versuche in dieser Richtung 
zu machen? 

Nachdem wir eine Weile in dieser Senke entlang geritten waren, 
hob der Weg sich wieder bis zum Kamm eines Höhenzuges, der mit 


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lichtem Wald bedeckt war. Der Pfad war hart und eben wie ein Park- 
weg. Zu beiden Seiten schweifte der Blick über welliges Waldland. Aber 
die l-erne war verhüllt, denn auf den P'eldern im Thal war man überall 
dabei, die trockenen Maisstengel und das wuchernde Unkraut umzubrechen, 
in Haufen zu sammeln und zu verbrennen, um die Aecker zur neuen 
Aussaat vorzubereiten. Rauch und Dunst lagerte über der Landschaft. 
Nur zur Rechten hob sich die mächtige, bewaldete Sierra, die das jenseitige 
Ufer des Rio Grande bildet, dem wir uns näherten. Bald erreichten wir 
die stattliche Hacienda S. Francisco. Jenseits derselben kamen wir in ge- 
schlossenen Kiefernwald, stiegen aut dem linken Flussufer allmählich hin- 
unter und erreichten die in tiefer Thalspalte, unmittelbar am Flusse ge- 
legene Rancheria La Garruche, unser für heute vorgesehenes Nachtlager. 

Nach dem heissen, staubigen Tagesmarsch freuten wir uns des herr- 
lichen Rastplatzes, wenngleich er durchaus keine Bequemlichkeiten bot. 
Wir mussten unter einem sogenannten Arrierodach, einem auf vier in den 
Boden gerammten Pfählen ruhenden Palmblattdach, das notdürftigen Schutz 
gegen Tau und Regen gewährte, unser Lager aufschlagen. Für die Pferde 
war ausser Mais nur etwas Gras zu haben, das unsere Jungen aber erst 
schneiden gehen mussten. Ein Potrero, in den wir die Pferde während 
der Nacht stellen konnten, war auch mager, das trockene Maisstroh, das 
sie so gern fressen (hier »rastrojo« genannt), war auf dem Felde schon 
alles verbrannt. So gaben wir schon am Abend Mais, was eigentlich 
gegen alle Reisercgeln ist, weil Mais, wie die Leute sagen, »heiss ist*; 
eine Ausdrucks- und Anschauungsweise, die aus der Arzneikunde des 
16. Jahrhunderts stammt. Auch die Menschen mussten sich an spärlichem 
Nachtmahl genügen lassen. 

Ein paar Hütten, ein paar Ackerstückchen liegen in dem von hohen 
bewaldeten Hängen eingeschlossenen engen Thal, durch das der schnelle, 
rauschende Fluss mit prächtig grünem Wasser zwischen hohen Granit- 
blöcken dahinfloss; bald kleine Kaskaden bildend, bald hinter mächtigen 
Steinen zu tiefen, klaren Pozos sich stauend. Am Ufer die schirmförmigen 
Kronen des Baumes San (einer Caesalpiniacee), die überschüttet waren 
mit den aus einem Bündel weisser Staubfäden gebildeten Blüten. Ein 
erfrischendes Bad in dem wirbelnden, schäumenden Wasser und die roman- 
tische Schönheit des Platzes entschädigte uns für manche Entbehrung. 
Ein paar lasttragende Indios zündeten nicht weit von uns in einem Busch 
ihr Feuer an, jenseits der Brücke nächtigten andere, nach uns gekommene 
Reisende unter einem zweiten Schutzdach. 

* * 

* 

Der nächste Morgen sah uns zeitig über die Brücke reiten und dann 
am rechten Ufer den steilen Weg aus dem tief eingesenkten P'Iussbett 


ISS 


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hinaufziehen. Häufig nötigten uns die von Seitenbachen tief eingerissenen 
Schluchten zu Ab- und Anstiegen. Hier, unter überhängenden Felsen, 
sprosste viel frisches Grün, Farren und Bignonien, sonst ringsumher der 
lichte Wald von Kiefern und Eichen, der uns schon tagelang begleitete. 
Auf den ebenen Terrassen leuchteten Zuckerrohr-Pflanzungen, an den 
steilen Hängen zogen sich windbewegte Bananenstauden in die Höhe, 
überall da, wo in einem Riss ein wenig Wasser herniederrinnt. Diese 
Kulturen gehören zur Hacienda Vieja, deren Gebäude und Felder noch 
höher hinauf gelegen sind. Von hier aus gelangt man nach Ueberschreitung 



Brücke und Arrierodach bei La Gnrruchc 


eines Höhenzuges in ein Parallcltal des Rio Grande. Auf der Höhe des 
jenseitigen Ufers, auf schöner ebener Terrasse, erreichten wir die regel- 
mässig angeordneten Häuser des neuen Ortes Poaquil. Dieses Dorf 
wurde erst vor zehn Jahren an der Stelle der Hacienda Nueva angelegt. 
Es herrschte reges Leben auf der weiten Plaza, da am Ausbau des Ge- 
meindehauses eifrig gearbeitet wurde. Die Mitte des Platzes nahm ein 
grosses Brunnenbecken ein, an seinen vier Ecken standen kleine stroh- 
gedeckte Häuschen, die Kapellen vorstellten, in denen der Ortsheilige an 
bestimmten Festen aufgestellt und verehrt wird. Eine Sitte, der wir häufig 
begegneten. Selbst in Dörfern, die keine Kirche besitzen, findet man 


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manchmal einen Platz, auf dem ein Kreuz steht und eine Glocke unter 
einem Schutzdach aufgehängt ist und dessen vier Ecken durch kleine Ka- 
pellen bezeichnet sind. Hier diente die eine noch als Schuppen für die zum 
Bau nötigen Luftziegel. Die Aufseher liefen eifrig hin und her und schienen 
es, gegen alle Landessitte, mit der Förderung der Arbeit eilig zu haben. 

Die Frauen trugen zu ihrem dunkelblauen Rock ein dunkelbraunes 
Huipil mit verschieden farbigen Streifen, die Achseln aber und die über 
die Arme fallenden Teile mit gelber und roter Stickerei bedeckt, so dass 
eine malerische, reizvolle Wirkung erzielt wurde, die uns lebhaft an die 
Farbengebung altperuanischer Mumiengewänder erinnerte. Die Zusammen- 
stellung war ähnlich der in Quichd, nur noch leuchtender. 

Seit wir den Boden von Guatemala betreten hatten, waren wir da- 
durch überrascht worden, dass wir in jedem grösseren Dorfe eine Schule, 
meist einen Schulmeister für die Knaben und eine Lehrerin für die Mädchen 
antrafen, ja häufig war auch ein reger Schulbesuch vorhanden, was von 
den viel spärlicher vorhandenen Schulen Mexikos nicht behauptet werden 
kann. Trotzdem haben wir uns nicht davon überzeugen können, dass die 
allgemeine Volksbildung in Guatemala auf einer höheren Stufe stehe als 
in Mexiko. Es mag vielleicht sein Gutes haben, die jüngere Generation 
an regelmässigen Schulbesuch zu gewöhnen, ob aber noch nennenswerte 
weitere Ergebnisse zu verzeichnen sind, scheint zweifelhaft, ln Chiantla 
hatten wir die Erfahrung gemacht, dass nach einem vierjährigen Unterricht 
die Knaben Gedrucktes unvollkommen lesen und die Drucklettern mühselig 
nachzumalen gelernt hatten. Die sehr Begabten kamen dann nach einiger 
Zeit soweit, ihren Namen schreiben zu .können. — In Poaquil hatten wir 
— während die Frau Schulmeisterin uns ein Frühstück zubereitete — 
Gelegenheit, etwas vom Unterricht mit anzuhören. Eine Schar schwarz- 
äugiger hübscher Kinder sassen in der Klasse ziemlich artig beisammen; 
der Lehrer ging ab und zu und dozierte dabei gelegentlich ein Viertel- 
stündchen, d. h. er mühte sich mit der grammatischen Analyse eines 
Satzes ab, unter Anwendung gelehrter Bezeichnungen seiner Teile, und 
das vor Kindern, die in der Schule erst Spanisch lernen sollen, da sie 
von Hause aus nur indianisch sprechen! Wie schade um den Aufwand 
von Zeit und Geld, der doch bei richtiger Anwendung so viel Nutzen 
stiften könnte. Das heisst, was das Geld anbetrifit, so ist das so eine 
Sache, denn sobald es knapp wird, sind die Schulmeister die ersten, denen 
das Gehalt nicht gezahlt wird. Die Mädchen habe ich immer nur in Hand- 
arbeiten unterrichten sehen. Und obgleich man über den Nutzen feiner Perl- 
und Seidenstickereien in Indianerdörfern auch seine eigene Ansicht haben 
kann, so sind sie immer noch verwendbarer als grammatikalische Analyse. 

* * 

♦ 


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Ein ziemlich langweiliger Weg durch Busch und Wald brachte uns 
auf eine neue, gut angelegte Fahrstrasse und auf ein Plateau, auf dem, 
von Barrancas umgeben, der Ort Comalapa liegt. Das ansehnliche 
Städtchen besitzt eine stattliche Kirche mit alten, geschnitzten und be- 
malten Holzaltären und lebensgrossen Figuren, sowie eine Anzahl Gemälde 
aus alter und neuer Zeit. Der Platz davor mit den vier Eckkapellen 
ist von Mauern umgeben; nord- und südwärts davon ziehen die Strassen. 
Der grösste Teil der Einwohner ist indianisch, die Tracht der Frauen 
ähnlich wie in Poaquil. Die jungen Mädchen tragen das Haar lang herab- 
fallend, von einem roten Bande gehalten, was besonders anmutig aussieht. 
Wir fanden einen ganz hübchen kleinen Meson mit leidlicher Unterkunft 
und gutem Essen, aber in der dazugehörigen Tienda war ein Branntwein- 
ausschank, und betrunkene Männer und Weiber lärmten die ganze Nacht 
hindurch. Später hörten wir, dass die Leute von Comalapa sich überhaupt 
keines sonderlichen Rufes erfreuen. 

Nachdem das tiefe Thal des Rio Pisoya, eines Nebenflusses des 
Rio Grande, durchschritten war, öffnete sich von den Höhen seines rechten 
Ufers endlich der Blick auf die Ebene von Guatemala. Wäre es weniger 
dunstig gewesen, so hätten wir von hier aus die Stadt erblicken können. 
Im Südosten erhoben sich die beiden mächtigen Vulkankegel des Fuego 
und des Agua. 

Zwar scheint es, als ob man nun schnurstracks auf ebenem Wege 
bis zur Hauptstadt reiten könnte, aber welcher Irrtum! Die ganze Fläche 
ist von Barrancas durchsetzt und zerrissen, die bald durchquert, bald um- 
gangen werden müssen. Man hat an verschiedenen Stellen versucht, durch 
Anpflanzung von Agaven den Rutschungen und Abspülungen der Barranca- 
Wande Einhalt zu thun, aber mit geringem Erfolg, Eine Weile nützt es 
wohl, aber bald stürzen die Pflanzen mitsamt dem Erdreich in die Tiefe 
und der Spalt frisst weiter. Tumuli treten zur Seite des Weges auf und 
Scherbenhaufen bezeugen, dass hier schon in alter Zeit Siedelungen waren. 
Plötzlich wird eine mächtige Barranca sichtbar mit steilen Wänden und 
weit vorragender, scharf ausgenagter Rippe. Nachdem sie umgangen war, 
ritten wir auf die Stadt Chimaltenango zu, auf entsetzlich staubiger 
Strasse, der grossen Poststrasse von Guatemala nach Quezaltenango. Die 
grosse, saftreiche Wassermelone, die wir einem uns begegnenden Indio ab- 
kauften, bot herrliche Labe. In Chimaltenango gab es ein neu gebautes, 
hübsches, von einem Deutschen gehaltenes Hotel mit einem sauber und 
ganz europäisch gedeckten Tisch. 

Auf unsern müden Pferden, selber müde, auf breiter, schattenloser 
P'ahrstrasse zur Mittagszeit langsam sich fortbewegen zu müssen, gehört 
nicht gerade zu den Freuden des Daseins. Aber nachdem der Ort Las 
Tejas passiert ist, bei dem die Strasse nach Antigua abzweigt, giebt ein 


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Obelisk dem Wanderer die frohe Kunde, dass er nur noch neun Leguas 
bis zur Hauptstadt zurückzulegen hat. 

Jenseits einer Barranca kamen wir zu dem ziemlich schmutzigen 
Indianerdorf Zumpango, wo es von Arriero-Herbergen wimmelte; auch 
einige Posadas gab es, aber alles sah so wenig einladend aus, dass wir 
trotz unserer Müdigkeit weiter ritten. Links öffnete sich ein weites Thal 
mit den Gebäuden und Aeckern einer grossen Hacienda. Wir zogen 
zwischen Maisfeldern weiter und sahen vor uns zu beiden Seiten eines 
tiefen Risses die beiden freundlichen Ortschaften S 1 *- Maria und Santiago. 
Im erstercn fanden wir ein sauberes kleines Unterkunftshaus, wo wir uns 
mit dem angenehmen Bewusstsein zur Ruhe legten, morgen bei guter Zeit 
in Guatemala zu sein. 

Erfreulicherweise konnten wir am nächsten Tage bei dem schon ge- 
nannten Dorfe Santiago die staubige, sonnige Fahrstrasse verlassen und 
bis Mixco den alten Reitweg benutzen, der viel kürzer und viel hübscher 
ist. Er ist zu beiden Seiten mit hohen Hecken eingefasst, durch deren 
Lücken zur Rechten der Kegel des Volcan del Agua sichtbar wird. Man 
kommt in eine anmutige Waldschlucht, die den Höhenzug im Westen des 
Valle de las Vacas — des Thaies von Guatemala — durchbricht. Tritt man 
aus ihr heraus, so hat man dieses ganze Thal vor sich und in ihm, auf 
sanft gewellter Fläche weit hingebreitet, die weissen Häuser der Stadt, 
Kuppeln und Türme. Die Ränder der tiefen Schluchten, die sie von 
allen Seiten umgeben, sind von grünem Buschwerk umzogen, dass sie dem 
Auge verbirgt, bis man dicht vor ihren Abstürzen steht. 

Unmittelbar zu Füssen aber hatten wir das reizende Dörfchen Mixco: 
die Kirche mit hohem Turm, die Plaza, die Häuser wie aus einer Spiel- 
zeugschachtel. Es ist ein Indianerdorf, dessen Eiinwohner Pokomam sprechen, 
und beherrschte vielleicht einst das ganze Thal, wozu es seiner Lage nach 
trefflich geeignet scheint. Der von mir so oft erwähnte Thomas Gage 
war hier am Ende des 17. Jahrhunderts Pfarrer. 

Der Ort liegt malerisch am Bergabhang, von dem herab eine Schlucht 
zum Thal sich zieht. Auf ihren hohen Rändern liegen überall Häuschen 
und Gehöfte, von deren Umzäunungen und Mauern blühendes Zeug her- 
niederhängt. Diese Barranca mussten wir in ihrer ganzen Länge durch- 
reiten, jetzt wieder auf der Poststrasse, und auf ihr blieben wir, bis die 
Stadt erreicht war. In der Fibene ziehen sich zu beiden Seiten des Weges 
Landhäuser und Weideplätze hin, von hohen Mauern umgeben und hinter 
diesen tauchen eine Anzahl grosser und kleiner Hügel auf — Grabstätten 
oder Hausfundamente der alten Thalbewohner, die heute als »Miradores« 
(Aussichtspunkte) bezeichnet werden. Die hohen Mauern verwehren es, 
diese interessanten alten Stätten näher zu besichtigen. 


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TAKEI . XXXV 



Barranca bei Chimaltenango 



Volcan dcl Agua vom Wege zwischen Chimaltenango und Mixco 


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Endlich mehren sich die Häuser und der Verkehr; das obere Ende 
der Barranca, die die Stadt im Westen umzieht, ist erreicht, der Weg 
biegt um. Noch eine Strecke geht es auf breiter, staubiger Landstrasse 
weiter durch die südliche Vorstadt, an dem Fort vorüber, das mit seinen 
angemalten Quadern einem Spielzeug vom Weihnachtsmarkt gleicht und 
sicher keinem von aussen anstürmenden Feinde gefährlich werden kann. 
Aber wie manchen Unglücklichen hat hinter diesen kindischen Mauern 
der Hass und die Furcht der Machthaber von der Art eines Rufino Barrios 
erschiessen oder zu Tode prügeln lassen. 

Doch die düsteren Gedanken konnten nicht aufkommen in dem 
Gewühl und Getriebe, das uns umflutete, als wir in die Strassen ein- 
ritten, das uns fast grossstädtisch erschien, die wir uns seit länger als drei 
Monaten des Strassenlärms entwöhnt hatten. Es war endlich Wahrheit 
geworden: wir waren in Guatemala. 



Strassenbilil aus Guatemala 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


Sei er, Alte Wege. 


*3 


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Vor der Markthalle in Guatemala 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


ACHTER ABSCHNITT. 

Die alte und die neue Hauptstadt. 

Santiago de loa Caballeros. — Dona Beatrix de la (Jueva. — I«u Antigua Capital de Guatemala. 

— La Ermita. — Ankunft in Guatemala. — Pension Berger. — Reina Barrios. Militärisches. 

— Neues Pflaster und Stiefelzwang. — Paseo. — Die Bäder von Jocotenango. — Carmen. — 
Deutschtum. — Markt und Indios. — Weibertracht. — Museum. — Krankenhaus. — Be- 
trachtungen. — Nach Antigua. — Eindruck. — Kaffee. — Bäder. — Altertümer. — Flnca 

Pompejra. — Die Sammlung Alvnrado. 

Als die Spanier in das schöne Thal am Abhange des Volcan del 
Agua kamen, fanden sie dort eine starke Quelle; nach ihr nannten die 
mexikanischen Soldaten die Stätte Almolonga — wo das Wasser sich 
bewegt — nach ihr gaben die Spanier dem Berge den Namen, im Gegen- 
satz zu dem andern, benachbarten, den sie Volcan del Fuego nannten, 
weil eine Rauchwolke über seiner Spitze stand. Bei Almolonga wurde 
eine Stadt gegründet mit dem Namen Santiago de los Caballeros: das 
war die Ahne des heutigen Guatemala und entstand im Jahre 1524. Sie 
schien unter keinem glücklichen Sterne geboren, denn es wird von 
mancherlei Missgeschick berichtet, das ihre Bewohner und deren Herden 
traf. Nicht das geringste Uebel scheint ein schlechter Arzt gewesen zu 
sein, der in einem Jahre mehr Leute unter die Erde brachte, als die 
Eroberung der Provinz Guatemala gekostet hatte. Das grösste Unglück 
aber traf die Stadt, als nach dem Tode des Pedro de Alvarado seine 
Gattin, Beatrix de la Cucva, sich die Würde des Statthalters anmasste. 
Ueber den Stolz und die Hoffart dieser Dame, darüber, dass man einer 


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Frau ein solches Amt überliess, das zu verwalten doch so viele würdige 
Männer gern bereit gewesen wären, zürnte der Himmel. Kr öffnete seine 
Schleusen und schüttete drei Tage und drei Nächte das Wasser wie mit 
Kannen herunter, dass alle Häuser unterspült wurden. Doch nicht genug 
damit. Es folgte ein Erdbeben, wodurch der Berg derart erschüttert wurde, 
dass seine Spitze abbrach und sich ein Wasserstrom von oben her ergoss 
und die unglückliche Stadt unter Felsgestein und Wasserfluten in einen 
Trümmerhaufen, in ein Lcichenfeld verwandelt wurde. Das war im Jahre 
1541 am 11. September.*) 

Aber den Spaniern gefiel es in dem herrlichen Thal am Fuss des 
Vulkanes, das die Indianer Panchoy nennen. Sie bauten eine neue Stadt, 
einige Leguas thalabwärts, wo man sich vor den Tücken des Berges sicher 
wähnte. Aber was dort durch Wasser zu Grunde gegangen war, das erlag 
hier dem Feuer, das im Vulkan sein unheimliches Wesen trieb. Zwar 
widerstand die Stadt an dieser Stelle länger als zwei Jahrhunderte den 
Erdbeben, endlich aber wurde sie durch einen heftigen Stoss so arg zer- 
stört, dass man sich zu einer Verlegung entschliessen musste. Während 
ihres zweihundertjährigen Daseins hatte die Stadt, die heute unter dem 
Namen La Antigua — d. i. La Antigua Capital de Guatemala — bekannt 
ist, ein sehr eigentümliches Aussehen gewonnen. Jedesmal, wenn ein be- 
drohliches Schwanken die Gemüter erzittern liess, begann man die Heiligen 
anzurufen, und dem Heiligen, bei dessen Namen die Erschütterungen auf- 
hörten, wurde eine neue Kultusstätte geweiht. So kommt es, dass Antigua 
an Klöstern, Kirchen und Kapellen reicher war, als irgend eine andere 
Stadt, und durch die Ruinen dieser teilweise mit feinem Kunstsinn aus- 
geführten Bauten ein ganz besonderes Gepräge erhielt. 

Es mag den Bewohnern nicht leicht geworden sein, das reizende 
Thal zu verlassen, von dem man' sehr wohl begreift, dass es die Spaniec 
zur Ansiedlung lockte: die fruchtbare vulkanische Erde; verschiedene, 
reichlich Wasser führende Bäche, eine gesunde und geschützte Lage und 
der herrliche Kranz von Bergen ringsumher — das alles fordert auf, hier 
Hütten zu bauen. Wo jetzt Kaffeepflanzungen ein kümmerliches Dasein 
fristen — denn Antigua liegt für erspriesslichen Kaffeebau viel zu hoch 
und zu trocken — wogten zur Zeit, als die Spanier zum ersten Mal ihren 
Fuss ins Thal setzten, reiche Maisfelder. Denn an Siedelungen fehlte es 
nicht, da auch die Eingeborenen sehr wohl die Vorzüge der Gegend zu 
schätzen wussten. Und die gefahrdrohende Nähe feuerspeiender Berge 
hat noch nie und nirgends die Ansiedler abgeschreckt, die Vorteile aus- 
zunutzen, die ihnen die üppige Fruchtbarkeit des vulkanischen Bodens 
bietet. 


•) Kemesal, lüstoria de la Prorlncla de S. Vicente de Chyapu y Guatemala. Madrid 1619. 

> 3 * 


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Wie die Indianer heute noch das Thal von Antigua Panchoy, d. i. 
im See, nennen, obgleich kein See dort ist und in historischer Zeit 
auch nicht dort war, so sprechen sie auch heute nie von der jetzigen 
Stadt Guatemala, sondern von derErmita. Eine Ermita stand hier auf 
der massigen Anhöhe im Nordwesten der heutigen Stadt, von wo man 
einen schönen Blick ins Land geniesst. 

Hierher wurde im Jahre 1775 die Stadt verlegt und hier hat sie 
sich gut entwickelt und darf heute einen stattlichen Platz unter den Städten 
des spanischen Amerika beanspruchen. Mit Schönheit ist sie nicht ge- 
segnet; sie entbehrt des intimen Reizes der Kleinstadt, ohne sich doch 
zu einer Grossstadt entwickelt zu haben; sie ist nüchtern und langweilig. 

* * 

* 



Strasse in Guatemala 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


Staub und Sonne waren tagelang unsere steten Begleiter gewesen, 
und staubig und sonnig war auch die lange, breite Vorstadtstrasse, durch 
die wir bei unserer Ankunft nach Guatemala hinein reiten mussten. Erst 
bei dem kleinen Fort, das so aussicht, als wäre es aus Pappe für den 
Weihnachtstisch gemacht, beginnt die eigentliche Stadt. An dieser Stelle 


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ist ein grosser Markt und wir mussten erst durch sein Gewühl hindurch 
unsern Weg finden. Auf Fragen nach dem Hotel Espaiiol, das man uns 
empfohlen hatte, wusste natürlich niemand Auskunft zu geben. Was war 
uns in Oaxaca und auch unterwegs nicht fiir Rühmens gemacht worden von 
der eleganten Stadt! Vor der Hand schauten wir vergeblich nach irgend 
etwas aus, was nicht in jeder grösseren mexikanischen Provinzstadt ebenso 
gewesen wäre, ja bedeutend schöner und besser, z. B. das Pflaster. Die 
Leute auf den Strassen machten einen merkwürdig europäisch langweiligen 
Eindruck. Keine Reiter in der kleidsamen mexikanischen Tracht, auf 



Im Patio der Pension Berger 


reichen Sätteln, mit hohen breitkrämpigen Hüten, sondern englische Sättel, 
europäisch korrekte Kleidung. 

Durch lange gerade Strassen, von einstöckigen Häusern eingefasst, 
ging es dem Mittelpunkte einer jeden spanisch-amerikanischen Stadt, der 
Plaza, zu. Ein paar Herren, die wir deutsch sprechen hörten und um 
Auskunft baten, musterten uns misstrauisch und fertigten uns sehr kurz ab. 
Das war uns auch noch nicht begegnet. Aber wir sahen freilich herunter- 
gekommen und fremdartig genug aus auf unsern müden Gäulen, mit grossen 
mexikanischen Hüten, mein Mann mit verwildertem Haar und Bart. Einen 
vertrauenerweckenden Eindruck werden wir kaum gemacht haben, denn 

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als wir endlich das Hotel erreicht hatten, verweigerte man uns die Aufnahme, 
zuerst unter dem Vorwände, dass man den uns begleitenden Hund nicht 
im Hause dulden könne. Und als wir versicherten, dass er bei den 
Pferden bleiben würde, hiess es kurzweg, man habe kein Zimmer frei. 
Also zogen wir vor ein deutsches Haus, wo unser Aeusseres nicht solchen 
Anstoss erregte, als bei dem stolzen Spanier. Aber ich empfand eine 
lebhafte Schadenfreude, als ich diesen nach einigen Tagen auf der Strasse 
traf, nachdem ich mich wieder ein wenig zivilisiert hatte, und er mich ebenso 
erstaunt als höflich griisste. — Das waren unsere ersten Eindrücke in 
Guatemala. 

Wir empfanden bald den Wunsch, die laute Ungemütlichkeit und 
das schlechte Essen des teuren Hotels mit behaglicheren Verhältnissen zu 
vertauschen und fanden, was wir suchten, in einer französischen Familie, 
die aus Mann, Frau und deren Schwester bestand. 

Sie hatten ein hübsches neues Haus, nicht weit von der Plaza de Armas, 
gerade gegenüber dem im Bau begriffenen neuen Regierungspalast gemietet 
und eine Pension darin eingerichtet. Das Haus war in dem üblichen Stil, 
der für warmes Klima der bewährteste ist: es gruppierte sich um zwei 
Höfe. Um den vorderen, der mit Büschen und Blumen geschmückt war, 
zogen sich offene Säulengänge, auf die sich die Thüren der Zimmer öffneten 
— es waren fünf — , die an Fremde vermietet wurden. Im Querfliigel 
befand sich die »Sala«, die hier als Speisesaal diente, und um den hinteren 
Hof, in dem der laufende Brunnen das nötige Wasser spendete, lagen die 
Wirtschaftsräume und die beiden Zimmer der Wirtsleute. 

Keine Hausform kann sich wohl einer solchen Verbreitung und Lang- 
lebigkeit rühmen, als diese. Nachdem sie sich das ganze Mittelmeergebiet 
erobert hatte, begleitete sie die Spanier auch in die neue Welt. Und 
wenn man versuchen wollte, für städtisch-europäische Bedürfnisse in warmen 
Ländern eine Hausform zu finden, so müsste es gerade diese sein. Es 
ist ganz unbegreiflich, dass die Nordamerikaner, in völliger Verkennung 
der gegebenen Verhältnisse und in ihrem Streben nach Gleichartigkeit, 
auch nach tropischen Städten ihre Bauart, die auf möglichste Raumausnutzung 
berechnet ist, zu übertragen versuchen. 

Monsieur Berger machte Geschäfte — manchmal machte er auch 
keine — die Frauen besorgten die Wirtschaft so gut oder schlecht sie 
konnten. Es war auch noch ein Dienstmädchen vorhanden, die manchmal 
sogar Zeit fand, unser Zimmer aufzuräumen. Aber es war entschieden 
besser, sich darauf nicht zu verlassen. Im ganzen war es ein behaglicher 
Aufenthalt, zu dem wir nach grösseren Unternehmungen gern wieder 
zurückkehrten, und wohin wir, wenn es uns unterwegs schlecht ging, sogar 
mit gewissen Heimatsgefühlen zurückdachten, trotz der Legionen von 
Flöhen, die einem das Leben schwer machten und trotz der Gerüche nach 


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Kacalao (Stockfisch), mit dem unsere Wirte und ein Teil ihrer Gäste einmal 
die Woche ihre südfranzösischen Gaumen erlabten. 

Da wir zu verschiedenen Malen, und stets einige Wochen, in Guatemala 
weilten, bekamen wir ein Bild von der Stadt und lernten das Leben kennen, 
das die Fremden dort zu führen pflegen, während wir mit den Einheimischen 
wenig in Berührung kamen. Das pflegt ja auf Reisen häufig so zu sein, 
in den Städten ist der Fremde auf Gasthausleben angewiesen, wo er eben 
auch wieder F'remde trifft. Ganz anders ausserhalb der Städte, wo die 



Kine Haupts t ras se in Guatemala 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


Gastfreundschaft den Reisenden in nahe Berührung bringt mit den Landes- 
bewohnern und ihren Sitten, ja wo das bezahlte Nachtquartier doch oft 
noch den Stempel der Gastfreundschaft trägt, besonders in einfachen 
Kulturzuständen. Dazu kommt, dass man in Ländern mit Halbkultur in 
vieler Beziehung ausserhalb der Städte sich materiell besser befindet. Nur 
zu häufig trifft man in den grossen Städten das Bestreben, Landesübliches, 
Erprobtes und daher Gutes hintenan zu setzen und statt dessen europäische 
Sitten und Gebrauche einzuführen, für die oft alle Vorbedingungen fehlen. 
All das tragt nicht dazu bei, den Aufenthalt an solchen Orten zu einem 


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angenehmen zu gestalten. Ich liebe die grossen Städte nicht und verweile 
nicht gern in ihnen, und Guatemala bietet dem Fremden wenig. Ich will 
mich also mit einigen kurzen Bemerkungen begnügen. 

* * 

* 

Wie schon erwähnt, lag unsere Wohnung nur wenige Schritte von der 
Plaza de Armas, dem grossen, schönen Hauptplatze der Stadt entfernt. 
Das grosse Rechteck ist mit geschmackvollen Gartenanlagen geschmückt, 
unter deren Schatten es sich hübsch ruhen lässt. Die eine Seite des Platzes 
ist — wie üblich — von der stattlichen Kathedrale eingenommen. Vor 
den Fronten der anstossenden Seiten ziehen sich Lauben hin; der Kirche 
gegenüber liegt — wie ebenfalls üblich — das Regierungsgebäude, ein 
langes, völlig schmuckloses, ebenerdiges Haus. Aber dahinter, mit der 
Vorderseite der Seitenstrasse zugewendet, erhob sich, fast vollendet, ein 
stattlicher neuer Regierungspalast, den der junge Rcina Barrios, der damals 
Präsident der Republik war, errichtete. Ich weiss nicht, ob er die Voll- 
endung des Unternehmens noch gesehen hat, denn wenige Jahre später 
fiel er durch ruchlose Mörderhand, nachdem er aus einem Bürgerkrieg 
als Sieger hervorgegangen war. Es war schade um ihn, denn er war 
keiner der Schlechtesten, die auf einem mittelamerikanischen Präsidenten- 
stuhl gesessen haben. Dachte er auch an seinen eigenen Vorteil, so war 
er doch auch bestrebt, seinem Lande zu nützen, und hatte für mancherlei 
Interesse. Sein Steckenpferd war die Verschönerung seiner Hauptstadt 
und das Militär. Täglich um die Mittagstunde wurde auf der Plaza Wacht- 
parade abgehalten, bei der er niemals fehlte. Wie überrascht waren wir, 
hier plötzlich deutsche Uniformen anzutreffen, nur trugen die Infanteristen 
Artilleriehelme und umgekehrt. Fraglich scheint mir allerdings, ob diese 
für ganz andere klimatische Verhältnisse berechnete Ausstattung für Guate- 
mala gerade die passendste war. Vermutlich hatte ein spekulativer Kopf 
ausgemusterte preussische Uniformen aufgekauft und in Mittelamerika an 
den Mann gebracht. Ich nehme aber ah, dass die armen Kerle nur in 
der Garnison in den dicken Tuchhüllen schwitzen mussten, da wir unter- 
wegs Soldaten in leichter, heller Kattunjacke und Strohhut angetroffen 
hatten. 

Seine Verschönerungsgelüste bethätigte der Präsident zur Zeit als 
wir nach seiner Residenz kamen dadurch, dass in allen Strassen das 
Pflaster der Bürgersteige erneuert werden musste, auch wo es noch ganz 
gut und dienlich war. Es sollte aber durchweg gleichmässig aus einem 
Kunststein hergestellt werden, den eine Aktiengesellschaft verfertigte, zu 
der er gehörte, und deren Gedeihen ihm in landesväterlicher Sorge am 
Herzen lag. Ebenso wie das Aufblühen einer unter seinem Protektorate 
erst kürzlich gegründeten Schuhfabrik, der zuliebe eine Verordnung er- 


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gangen war, dass jeder Mann der Republik Stiefel tragen müsste, wofern er 
als vollgiltiger Staatsbürger gelten wollte. Ich weiss nicht, wie sich die 
Indios zu dieser Verordnung verhielten, nur kann ich versichern, dass es 
immer noch barfüssige giebt. 



Aber ohne Einfluss bleibt solch zivilisatorischer Eifer nicht auf ein- 
fache Gemüter. Schon nach wenigen Tagen waren unsere beiden braunen 
Jungen, Turibio und Cornelio, nicht wiederzuerkennen: die hübschen, breit- 
randigen, mexikanischen Hüte waren ebenso verschwunden, wie die be- 


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quemen Sandalen und die losen Blusenhemden. Statt dessen steckten sie 
in schlecht sitzenden europäischen Kleidern und verlangten gar noch, dass 
ich sic bewundere, während mir doch ganz traurig zu Sinne war, weil ich 
wieder einmal vor der Frage stand, warum Kultur und Hässlichkeit oft gar 
so eng verschwistert sind. 


**a 



Barrancu im Norden Guatemalas 


Nach Süden zu ist die einzige Stelle, wo das Stadtgebiet von keiner Bar- 
ranca begrenzt wird, sondern mit dem umliegenden Lande in breiter Fläche 
zusammenhängt, wie auch der beigefügte Plan leicht erkennen lässt. Nach 
dieser Seite ist daher auch die einzige Möglichkeit einer Ausdehnung ge- 
geben, da die Landbrücke bei derParroquia vieja im Nordosten zu schmal ist. 

Lenkt man die Schritte nach Süden — man kann sich dazu der 
Pferdebahn bedienen — so kommt man am Bahnhofe vorüber, durch 
wüstes Vorstadtgelände zum Paseo, dem Nachmittagskorso der eleganten 
Welt. Dieser Spaziergang ist wirklich hübsch. Seine breiten Fahrstrassen 
ziehen sich zu beiden Seiten eines mit Gartenanlagen geschmückten Mittel- 
streifens in ziemlicher Ausdehnung hin. Freilich hätten in diese Anlagen 
— wenn sie nun einmal bildhauerischen Schmuck erhalten sollten — nur 


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grosse, wuchtige Figuren gepasst, statt der niedlichen und süsslichen 
kleinen Nippes, die man dazwischen aufgestellt hat: die vier Jahreszeiten 
(was denkt sich wohl der Guatemalteke bei der Darstellung des Winters?), 
allerliebste Bauernmädchen u. a. m. Wäldchen und vereinzelte Villen 
bilden den seitlichen Rahmen des Paseo ; ein grosser dekorativer Bau, 
dessen Bedeutung unklar ist, seinen Abschluss. 

Was aber das Herrlichste ist, wenn man nach Süden hin aus der 
Stadt hinausgeht, das ist der Blick auf die drei Vulkane: links der breite, 
niedrige Pacaya, rechts die schön geformten Kegel des Agua und des Fuego. 
Freilich muss man nicht an die Majestät der Schneegipfel zurückdenken, 
die das Thal von Mexiko beherrschen und einen unvergleichlichen Anblick 
gewähren. Aber es ist doch reizvoll genug, aus der verblauenden Ferne 
diese charaktervollen Formen herübergrüssen zu sehen, die man für würdig 
befunden, das Stadtwappen zu bilden. 

Am Paseo hatte man auch das Gelände für die Ausstellung bestimmt; 
dieser Ausstellung, die damals eine brennende Tagesfrage war, von der 
überall gesprochen wurde, die dann aber so ziemlich ins Wasser fiel und 
statt des gehofften Gewinnes so manchen Verlust brachte. Die Präsident- 
schaftswahl stand vor der Thür; Reina Barrios wollte wieder gewählt werden 
und die »Exposicion« sollte ihm Freunde werben. Mir ist die Geschichte 
dieser Ausstellung, mir sind all die politischen Fragen, die dabei mitspielten, 
nur ungenügend bekannt, ich kann daher nichts darüber erzählen. Aber 
ich w-eiss, dass man allerlei phantastische Erwartungen daran knüpfte; 
dass man von einem starken Fremdenstrom fabelte, ohne sich klar zu 
machen, woher er wohl kommen sollte. Und ich weiss auch, dass diese 
Fabeln im Lande überall nur zu gern geglaubt wurden. Man änderte 
sogar der »Exposicion« zuliebe die Zollsätze für eingeführte Waren, sehr 
zum Schaden der grossen Importhäuser, die empört darüber waren. Die 
Eröffnung geschah mit grossem Gepränge unter Teilnahme aller Behörden 
und fremden Diplomaten. Die Offiziere eines deutschen und eines amerika- 
nischen Kriegsschiffes, die auf der Reede vor S. Jose ankerten, waren 
heraufgekommen und halfen zur Verherrlichung des Festes. Wir kamen 
am Abend des Eröffnungstages gerade nach einer längeren Abwesenheit 
zurück und wurden noch Zeugen der lebhaften Aufregung, in der sich die 
Stadt befand. Gesehen habe ich die Ausstellung nicht. Die Zeit bis zu 
unserer Abreise war von längeren Ausflügen, Krankheit, Arbeit vollauf 
ausgefüllt. Auch hörte man kaum noch davon sprechen. Nur auf dem 
Dampfer, der uns nach Norden führte, machte eine fesche, temperamentvolle 
Amerikanerin ihrer Entrüstung über die »Hixposicion« Luft, der zuliebe 
sie die vierzehntägige Seereise von S. Francisco unternommen hatte. Ich 
glaube, kein zweiter Mensch hatte diesen Leichtsinn besessen. 

* * 

★ 

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In entgegengesetzter Richtung wie der Paseo und Ciudad Vieja, 
ziemlich genau im Norden der Stadt, liegt das Dorf Jocotenango, nach 
dem ebenfalls Pferdebahn führt. Es ist ein freundlicher Ort, der sich 
unmittelbar der Stadt anschliesst und dessen Häuser sich zum grössten 
Teile an einer langen Strasse aufreihen. Hier haben sich auch einige 
Europäer angebaut, die die Stille und frische Luft dem Geräusch und 
dem Strassenstaub der grossen Stadt vorziehen. Das Land ragt hier wie 
eine Art Halbinsel in die rings umgebenden Schluchten vor, die überall 
von Quellen und Flüsschen belebt sind. Steigt man auf steilem Pfade 
in die Barranca hinab, so kommt man zu einer Stelle, wo man eine schöne, 



Marktscene in Jocotenango 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


kühle und frische Quelle nutzbar gemacht und in eine Badeanstalt geleitet 
hat. Grosse ausgemauertc Becken lehnen sich unmittelbar an den bewaldeten 
Berghang und sind mit dem erquickenden Wasser gefüllt, und es ist nur 
zu beklagen, dass diese Bäder von Guatemala aus schwierig zu erreichen sind 
und daher nicht ihrem Werte entsprechend benutzt werden können. 

Ueberschreitet man die zweite der vorher erwähnten Landbrücken im 
Nordosten, so kommt man nach der Parroquia vieja, dem ältesten Teile 
der Stadt, der sich an den Hügel des Klosters Carmen lehnt, der alten 
Ermita, nach der die Landbevölkerung noch heute die Stadt benennt. 
An Sonntagnachmittagen sieht man überall auf der kurzen Grasnarbe, 


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TAFEL XXXVI 



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Blick auf Guatemala vom Ccrro dcl Carmen 



die den Hügel bedeckt, Gruppen von heiteren Menschen gelagert. Aber 
auch an andern Tagen lenkt man gern die Schritte zur kleinen Anhöhe, 
die eine alte Kapelle und die Ruinen eines befestigten Klosters trägt. 
Nach einer Seite schweift der Blick von hier aus weit über welliges, grünes 
Land, nach der andern über die niedrigen Dächer der Stadt, über die sich 
die Türme der Kathedrale mächtig emporstrecken; weit dahinter aber 
heben sich wieder die Gipfel der Vulkane in verdämmernder Ferne, am 
nächsten, am deutlichsten der des Agua. Kein grossartiger Blick ist es, 
den man von hier geniesst: keine wilden Gebirge, keine tropische Ueppigkeit, 
nicht die überwältigende Weite des Meeres, noch die Majestät schnee- 



(Jerro d er 1 Carmen 


bedeckter Berge — aber die anspruchslose Einfachheit des Bildes verleitet 
zum Träumen und beruhigt die Seele. Ich glaube, es war kein Zufall, dass 
ich stets, wenn ich mich des lieblichen Anblickes erfreute, Deutsche dort 
oben traf. 

Nach all dem mag es fast scheinen, als ob ich mich meist in der 
Umgebung der Stadt bewegt hätte, aber dem ist nicht so. Wenngleich 
es uns immer wieder ins Freie hinauszog, in die Barrancas hinunter, auf 
die Hügel hinauf, wenngleich ich zu Pferd, zu Fuss und im Wagen einen 
Teil der Umgebung Guatemalas kennen lernte, so verbrachte ich doch 
den grössten Teil der Zeit zwischen den Häusern. Da fällt einem dann 

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die Menge der mit allen europäischen Bedürfnissen versehenen Läden 
auf, und dass sie zum weitaus grössten Teil in deutschen Händen sind. 
In allen besseren Geschäften, auch sofern sie Franzosen oder Spaniern 
gehören, findet man deutsche Angestellte, oder solche, die deutsch sprechen. 
Freilich sind das nicht alles Reichsdeutsche, sondern es leben viele 
Schweizer im Lande, die aber zur deutschen Kolonie halten. Ein anderes 
deutsch sprechendes Element sind die Deutsch- Amerikaner, die weder 
ordentlich deutsch, noch gut englisch sprechen und nicht recht wissen, ob 



Guatemaltekische I > i e n s t in ä il c h e n 


es vorteilhafter ist, sich als Deutscher oder als Amerikaner aufzuspielen. 
Unter ihnen sind viele süddeutsche Juden. 

Die kleinen Geschäfte, die Tiendas, sind durchaus in Händen von 
Ladinas, denen auch fast alle Dienstmädchen, Näherinnen, Plätterinnen und 
mit sonstigen weiblichen Arbeiten beschäfligte Personen zugehören, und 
ich habe in diesen Frauen und Mädchen einen sehr arbeitsamen Teil der 
städtischen Bevölkerung kennen gelernt. Natürlich kann man fast ganz 
europäisch in Guatemala leben, wenn man nur das nötige Geld dafür 
ausgeben will, denn das Leben dort ist sehr teuer — viel teurer als in Mexiko. 


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Zur Zeit als wir in Guatemala waren, mögen die ungünstigen Silberverhalt- 
nisse dazu mitgewirkt haben, die Preise in die Höhe zu treiben, denn das 
Ausland berechnete alle Waren zum Goldwert, Silber wurde von Tag zu 
Tag wertloser, der »Cambio« bildete ein stehendes Gesprächsthema in allen 
Kreisen und ebenso die bevorstehende Präsidentenwahl in den Vereingten 
Staaten, zwei Angelegenheiten, die ja in ursächlichem Zusammenhang 
standen. 

Trotzdem entfalteten die deutschen Kaufmannsfamilien grossen Luxus 
in ihrer Häuslichkeit, der uns vielleicht nach der langen Zeit der Entbeh- 
rungen noch bedeutender erschien. Wie es in den grossen einheimischen 
Familien in dieser Beziehung aussah, weiss ich nicht. Nur dass ihre Damen 
grossen Toilettenaufwand trieben und den französischen Modistinnen ordent- 
lich zu verdienen gaben, habe ich gesehen. Allen voran ging die Frau 
des Präsidenten, eine Amerikanerin aus den Südstaaten, die grosse Ver- 
schwendung in Kleidern, Schminken und Haarfärbemitteln trieb, und sich 
weder beim Publikum, noch — wie man sich erzählte — bei ihrem Manne 
grosser Beliebtheit erfreute. 

Wir fanden freundliche Aufnahme unter den Deutschen, ln der 
Familie des deutschen Gesandten, Herrn von Bergen, kam man uns liebens- 
würdig entgegen. Herr von Bergen verschaffte uns auch die Regierungs- 
briefe, die für unsere späteren Unternehmungen notwendig waren. Der 
deutsche Klub öffnete uns seine Pforten, und sein reichlich ausgestattetes 
Lesezimmer hat mir über so manche trübselige Stunde hinweggeholfen. 
Auch von den Altertümern, die sich einer und der andere unserer Lands- 
leute von ihrer Finca mitgebracht, fanden einige Stücke den Weg in unsere 
Sammlung. Aber wie heitere und freundliche Stunden wir auch in deutschen 
Familien erlebten, so muss ich doch an dieser Stelle vor allem des 
Schcuerschen Hauses gedenken. Es wurde von drei Geschwistern bewohnt: 
ein Bruder war Arzt, ein anderer Kaufmann, die Schwester war Lehrerin 
und machte die Hausfrau, Gemeinsame Beziehungen von der Heimat her 
brachten uns schnell einander näher. Wie manchen tieferen Einblick in 
die fremden Verhältnisse, wie manchen guten Rat, wie viel in heimischer 
Fröhlichkeit verlebte Stunden verdankten wir den Geschwistern! Wie treu 
nahmen sie sich unser an mit Rat und That, als mein Mann krank lag! 

* * 

* 

Nicht weit von der Plaza de Armas, gleich hinter der grossen 
Kathedrale, liegt der Nuevo Mercado, die grosse neue Markthalle. Was 
Guatemala von eigenartigem Leben besitzt, was ihm überhaupt eine eigene 
Physiognomie giebt, das drängt sich auf diesem engen Raum, fast dem 
einzigen, wo man Eingeborene in grösserer Zahl sieht. Obgleich sie aus 
verschiedenen Dörfern kommen, so ist doch eine gewisse Uebereinstimmung 


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in der Weibertracht zu bemerken. Entschieden vorherrschend sind die 
dunkelblauen Röcke, die aber gewiss zum kleinsten Teile selbstgewebt 
sind; da sie auf den Märkten, vor allem in Quezaltenango zum Verkam 
kommen, werden sie wohl Fabrikware sein. Auch ist die ursprüngliche 
Form des Hüftentuches schon rockähnlich geworden, da der Stoff mit 
seinen beiden Schmalseiten zusammengenäht und nur von mässiger Weite 
ist. Darüber wird häufig eine grellbunte Schürze von schlechtem, 



Indianerweiber 

Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


europäischem dünnen Baumwollzeug getragen. Oft zeigt auch der Rock 
statt der dunkelblauen, von weissen, quadratisch geordneten Streifen durch- 
zogenen Farbe die grellbunten Streifen. Diese bunten Stoffe kauft man 
abgepasst in der Markthalle. Nie habe ich in Guatemala oder Chiapas 
die Frauen mit der Spindel gesehen, die doch für die Frauen anderer 
Stämme so charakteristisch ist, und als sonderbares Zusammentreffen 
erscheint es mir, dass auch unter den Altertümern sehr selten Spinnwirtel 


2oS 


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angetrofifen werden. Die Hemden sind oft reich gestickt, der rote Gürtel 
ist von beträchtlicher Breite, das Haar von rotem oder buntem Wollband 
durchzogen. Die Rasse ist klein und unschön. 

Was in der Markthalle feil geboten wird, ist das gleiche wie auf so 
vielen andern Märkten Mexikos und Guatemalas. Nur vermisst man die 
Fülle kleiner Erzeugnisse einer formen- und farbenfrohen Hausindustrie, 
wie sie z. B. den Markt von Oaxaca so anmutig beleben. Früchte und 
Gemüse kommen massenhaft zum Verkam und sind das Einzige, was in 



Marktscene in Jocotenan^o 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


Guatemala billig ist. Andere landwirtschaftliche Erzeugnisse, wie z. B. 
Butter, werden bestimmten Abnehmern in die Häuser gebracht oder unter 
der Hand verkauft. Ja, man kann gute frische Butter in Guatemala haben, 
aber sie ist sehr teuer und wird auch nicht regelmässig zur Stadt gebracht. 

Ueberhaupt war mir der Mangel all der kleinen brauchbaren Dinge, 
die der Mexikaner so hübsch zu verfertigen weiss, schon seit längerer Zeit 
aufgefallen. Der Markt in S. Cristobal in Chiapas war der letzte, wo ich 
noch mancherlei davon gesehen hatte. Aber hier gab es nichts dergleichen : 

Sclcr, Alte Wege. 14 

209 


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keine Tompiates, keine Ayates, keine Morales, kein Iztle. (Tompiates sind 
weiche, runde Körbe, aus Palmstroh geflochten; Ayatc ein grobes, gitter- 
artiges Gewebe aus Agavefaser; Morales heissen grosse und kleine, 
flache, aus Stroh geflochtene Taschen, die zu allem möglichen dienen, 
die grossen z. B. dazu, den Pferden den Mais zu geben. Iztle ist der 
sehr dauerhafte Bindfaden aus Agavefaser.) Besonders bei der Ausrüstung 
zur Reise entbehrten wir all diese Dinge sehr, da sie ungemein praktisch 
und zu vielerlei Zwecken dienlich sind. In Guatemala sind sie alle von 
teurer europäischer Ware verdrängt. Nicht einmal anständigen einheimi- 
schen Tabak gab es zu rauchen. Man erzählte uns, dass durch eine 
unzweckmässige Steuer der Tabakbau gänzlich zu Grunde gerichtet sei. 
Was man im Lande bekam, war ungleichmässig, meist schlecht. In der 
Hauptstadt gab es überall aus Europa importierte Zigaretten. 

• * 

• 

Guatemala hat viele Kirchen, Schulen, öffentliche Gebäude, die so- 
wohl gemeinnützigen, als auch wissenschaftlichen Zwecken dienen. Ich 
lernte das Krankenhaus kennen, als ich einen jungen Deutschen dort 
besuchte, der sich im Getriebe der Zuckerpresse arg verletzt hatte. Freilich 
bekam ich bei diesen flüchtigen Besuchen keinen intimen Einblick in die 
Einrichtungen, doch war der Eindruck, den ich empfing, ein durchaus 
freundlicher. Alle Säle und Zimmer öffnen sich auf grosse Höfe mit 
laufenden Brunnen, so dass für Luft überall gesorgt ist Auch unser 
junger Freund war durchaus zufrieden. Ueber die Kunst der einheimischen 
Aerzte kann ich nicht urteilen. Sie wird wohl nicht gleichwertig sein; 
manche haben im Auslande studiert und man rühmte mir ihr Wissen. 

Im Erdgeschoss des Universitätsgebäudes ist die öffentliche Bibliothek 
untergebracht, mit hübschen behaglichen Arbcilsrüumcn. Wir hatten eigent- 
lich gehofft, von den verschwundenen Archiven aus Chiapas hier etwas 
zu entdecken, da sich Nachrichten finden, dass man vieles von S. Cristobal 
hierher gebracht habe. Doch fand sich nichts dergleichen; dagegen einige 
beachtenswerte sprachliche Sachen. 

Ein umfangreiches Bauwerk ist das »Instituto«, das ehemalige Jesuiten- 
kolleg, das Hörsäle, zurUniversität gehörigeSchulen und Sammlungen enthält. 
Hier sollte angeblich auch die Altertumssammlung zu finden sein. Im Jahre 
1892 war Guatemala auf der Historischen Ausstellung in Madrid ganz stattlich 
vertreten gewesen. Von dort war die ganze Sammlung nach Chicago gegangen 
und wir hofften, sie hier wiederzufinden und — da wir nun im Lande so 
mancherlei gesehen hatten — sie mit doppeltem Vergnügen zu studieren. 
Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen gelang es uns, den Direktor 
der Sammlungen anzutreffen, einen liebenswürdigen Herrn, der in seinem 
naturwissenschaftlichen Gebiet trefflich Bescheid wusste und uns auch be- 


2 10 


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reitwilligst durch die betreffenden Abteilungen führte. Auf unsere Frage 
nach Altertümern meinte er, da wäre der Degen des Alvarado vorhanden. 
Und nachdem wir ihm endlich begreiflich gemacht, was wir zu sehen 
wünschten, wurde uns der verblüffende Bescheid: >jColeccion de antiguedadesr 
ya no hai; se acabö!«*) Es ergab sich, dass die Sachen aus Chicago nicht 
wieder zurückgekommen waren, vermutlich dort verkauft worden sind. Es 
fanden sich noch ein paar defekte Skulpturen aus Coban, einige der eigen- 
tümlichen, mit Zacken besetzten Schalen, wie sie im Amatitlansee gefunden 
werden und etlicher wertloser Kram. Das war die Altertumssammlung 
des Nationalmuseums von Guatemala. 

# * 

* 



Der Volcan del Agua von Antigua aus 


So habe ich mancherlei gesehen und kennen gelernt, aber doch 
lange nicht genug, um ein abschliessendes Urteil über Guatemala fallen 
zu dürfen. Ich mag das schon nicht, weil ich fürchten müsste, ungerecht 
zu werden, denn behaglich habe ich mich dort eigentlich niemals gefühlt. 
Ich bin nie recht warm und heimisch geworden, während mich in Mexiko 
stets so ein wohliges Gefühl erfasste, als ob ich nach Hause käme. Worin 
dieser Unterschied begründet sein mag, habe ich mir vergeblich klar zu 
machen versucht. Vielleicht liegt es daran, dass Mexiko alter Kultur- 


*) ^Sammlung von Altertümern? die giebt es nicht mehr; sie ist alle!« 


14 * 


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boden ist; es hat dort alles viel mehr Physiognomie und Charakter; es 
hat eine Fülle intimer Reize, die selbst vom allermodernsten Leben noch 
nicht völlig verwischt sind, während Guatemala nüchtern und langweilig 
ist Vielleicht wäre das alles anders, wenn es nicht ein widriges Geschick 
aus dem schönen Thale von Panchoy vertrieben hätte! Was nützt es, 
darüber zu grübeln, was hätte werden können, wir müssen es nehmen, 
wie es geworden ist. Und in dem herrlichen Thale am Fusse des Agua 
liegt heute La Antigua, die romantische Vergangenheit des modernen 
Guatemala. 

* * 

* 



Der Volcan «lei Agua vom Wege nach Antigua 


Dorthin führte uns zunächst der Weg. Dort, jenseits der Vulkane, 
in dem heissen Küstenstrich des Stillen Ozeans, lag ja das Gebiet, das 
uns nach Guatemala gezogen hatte: S 1 “- Lucia Cozumalhuapa. Vorerst 
allerdings hatten unsere Pläne dadurch eine wesentliche Aenderung er- 
fahren, dass wir noch einmal zur mexikanischen Grenze zurückzukehren 
gedachten, um das Gebiet von Chaculä näher zu erforschen, und das 
musste so bald als möglich geschehen, damit wir die in jenem Gebirgs- 
strich verhältnismässig trockenen Sommermonate noch zur Arbeit benutzen 
konnten. Da aber die zu diesem Unternehmen nötigen Vorbereitungen, 
vor allem die unentbehrlichen Regierungsbriefe, nicht so schnell beschafft 


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werden konnten, benutzten wir die Zeit zu einem orientierenden Ausflug 
in die lockenden Gefilde des Kaffees. Wir hatten von Herrn Keller, dem 
Chef eines grossen Bankhauses und Vertreter einer hamburgischen Plan- 
tagen-Gesellschaft, eine freundliche Empfehlung für eine halbwegs zwischen 
Antigua und S"- Lucia gelegene Besitzung eben jener Gesellschaft erhalten, 
und so sassen wir denn am Sonntag, den 3. Mai, in aller Herrgottsfrühe 
im leichten Wägelchen, das uns nach Antigua bringen sollte, wohin wir 
die Jungen mit den Pferden schon vorausgeschickt hatten. 

Die Regenzeit hatte auf dem Hochlande noch nicht eingesetzt und 
es gab Staub genug zu schlucken; auch das Busch- und Laubwerk am 
Wege sah noch grau aus. Trotzdem war die Fahrt auf meist guter Strasse 
anmutig und an hübschen Blicken reich; zuletzt, da man stracks dem 
mächtigen Kegel des Volcan del Agua entgegenstrebt, wahrhaft gross- 
artig. Nachdem man die endlose und staubige Vorstadt, die den südwest- 
lichen Teil der Hauptstadt bildet, durchfahren hat, führt die Strasse ein 
langes Stück über die Ebene hin. Auf dieser Strecke fiel uns die Menge 
der Obsidiansplitter, Messerchen, Pfeilspitzen auf, die man im Erdreich 
am Wege sieht. Offenbar haben hier ausgedehnte alte Abbildungen be- 
standen. Plötzlich senkt sich der Weg in eine Schlucht, überschreitet 
einen Fluss auf steinerner Brücke, um sich dann in gleichmässiger 
Steigung nach Mixco hinauf zu heben. Von dem Abhang, der zur Thal- 
sohle hinabfuhrt, hat man einen wunderhübschen Blick auf das malerische 
Dorf, das sich an einem Riss im Berge hinanzieht, stufenartig übereinander 
geschoben, um in der alten Kirche und ihren Anbauten zu gipfeln. Leider 
ist man hier zu weit vom Orte entfernt, um eine fotografische Aufnahme 
machen zu können, und von keiner andern Stelle ist der Anblick auch 
nur annähernd so reizvoll, wie von dieser. 

Die Strecke zwischen der Stadt und Mixco ist stets ausserordentlich 
belebt von Indianern, die ihre Ware zu Markte tragen. In der bekannten 
»Indian file«, d. h. im Gänsemarsch, kommen sie hintereinander im kurzen 
Zuckeltrab an. Die Frauen tragen die Last auf dem Kopfe und lassen 
die Arme frei herunterhängen, die bei der trippelnden Bewegung lebhaft 
hin und her pendeln. Mit ihren engen, kurzen, bunten Röcken und den 
lose überfallenden, oft reich gestickten Hemden, nehmen sie sich bei dieser 
schnellen Gangart ungleich anmutiger aus, als wenn sie auf der Strasse 
oder in der Markthalle mit stumpfem Ausdruck neben ihren Körben 
hocken. Es ist kaum glaublich, wie dieser kurze Trab fördert und welch 
lange Strecken ununterbrochen auf diese Weise zurückgelegt werden. 

In Mixco machen die Post und alle Wagen, die des Weges kommen, 
zum ersten Male Halt An der Stelle, wo die Fahrstrasse nach Antigua 
mit scharfer Biegung nach rechts sich von dem kürzeren Reitwege trennt, 
der steil über die Höhe durch den Ort, an der Kirche vorüber führt, liegt 


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eine ärmliche Tienda, die für bescheidene Frühstücksansprüchc genügt. 
Etwa eine Fahrstunde weiter wird S. Rafael erreicht, ein ganz idyllisches 
Plätzchen, eine Art Forsthaus und Gartenwirtschaft. Die Strasse fuhrt hier 
in massiger Höhe über eine waldige Schlucht hin, in deren Grunde sich 
Wasserwerke befinden. An der der Berglehne zugewandten Strasscnseite 
ist ein Garten, in dem lauter europäische Blumen blühen, während sich 
drüben in der Schlucht einheimischer Blütenflor breit macht. Im Gärtchen 
stehen mehrere Gebäude. Heitere Gesellschaften machen Ausflüge hierher, 



Kirchenruine in Antigua 
Nach einer in (fiiateinala erworbenen Fotografie 


wo man gute Bewirtung findet; ja, während der heissen Zeit verbringt 
hier mancher ein paar stille Wochen der Sommerfrische. 

Bald wird die Passhöhe überschritten, und nun geht es ziemlich stark 
bergab auf einer Strasse, deren weicher, vulkanischer Boden von dem 
Wagenverkehr vollständig zermahlen ist. Infolge davon ist es stets unbe- 
schreiblich staubig. Als ich einmal im März dieses Weges fuhr, versetzten 
mich die dichten Staubwolken in nicht geringe Aufregung; ich sass im 
leichten Wägelchen, das weit schneller rollte als die schwerfällige, sechs- 


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spännigc Postkutsche, die leider vor uns fortgefahren war. Ich hörte das 
Ungetüm dicht vor mir, es blieb aber so absolut unsichtbar, dass wir fort- 
%vährend fürchteten, aufzufahren. Wo der Grund härter wird und der Staub 
sich ein wenig verzieht, wird man gewahr, dass man dem Agua ein gut 
Stück näher gerückt ist. Inzwischen ist der auf kahler, sonniger Fläche 
gelegene Ort S. Lucas passiert worden, und kurz vor Antigua macht der 
Wagen noch einmal eine kurze Rast in dem kleinen Orte St“- Lucia. 
Noch ein recht staubiges Stück und die ersten Vorstadthäuser sind erreicht. 

Antigua ist eine der merkwürdigsten Stätten, die ich je betreten 
habe; nirgends liegt die melancholische und romantische Stimmung 
moderner Ruinen so nahe neben dem heiteren, frisch pulsierenden Leben 
der Gegenwart. Wenn man durch die Vorstadt über die Brücke eines 
kleinen Flüsschens kommt, so biegt der Weg in eine Ruinenstrassc ein, 
aber gleich danach fuhrt er durch eine der prächtigen, breiten, von alten, 
schattigen Amate- Bäumen gebildeten Alleen, die den Ort reizvoll durch- 
ziehen und umgeben. Die Raumverhältnisse des Hauptplatzes, der auch 
den Kern der heutigen Stadt bildet, sind gross, aber nichtsdestoweniger 
vergisst man keinen Augenblick, dass Antigua heute eine Kleinstadt ist. 
Das fruchtbare, schöne Thal ist zum grossen Teil — zumal nach der Seite 
der Vulkane hin — von Kaffeekulturen erfüllt, aber das Klima ist wenig 
für solche geeignet. Antigua liegt eigentlich schon über dem Höhen- 
gebiet des Kaffees, das man gewöhnlich zwischen 400 m und 1400 m an- 
geben hört. In Antigua soll es sogar manchmal Nachtfröste geben. Doch 
von solchen hat auch der Kaffee von Coban an weniger geschützten 
Stellen gelegentlich zu leiden, trotzdem sind die dortigen Pflanzungen be- 
rühmt und sehen herrlich aus. Was den Pflanzungen im Thale Panchoy 
wenig zuträglich zu sein scheint, ist die verhältnismässige Trockenheit 
dieses Striches, der durch die hohen Vulkane von den feuchten Winden des 
Weltmeeres abgeschnitten ist. Sicher ist, dass von dem Kaffee von An- 
tigua überall mit einem gewissen geringschätzigen Achselzucken die Rede 
ist, und auch unsere Laienaugen sahen sehr wohl den Unterschied zwischen 
den volllaubigen, dunkelglänzenden Büschen am jenseitigen Fusse des 
F'uego oder in den immer feuchten Geländen Cobans und den trockenen 
Besen von Antigua. 

Antigua ist auch Badeort. Eine halbe Stunde F'ahrt auf guter, 
schattiger Strasse führt zu einer Schwefelquelle, über deren therapeutische 
Eigenschaft ich allerdings kein Urteil habe, die aber, wie alle heissen und 
schwefelhaltigen Quellen, sich grosser Beliebtheit bei den Ladinos erfreut. 
Sie ist Privateigentum; ihr Besitzer hat sie in ein Bassin gefasst, einen 
hübschen Bau darüber errichtet, das Ganze mit anmutigen Gartcnanlagen 
umgeben und erhebt von den Badelustigen einen mässigen Preis für die 
Benutzung. Noch eine halbe Stunde weiter sind kalte Bäder. Hier ist 


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eine schöne, klare, frische Quelle, die am Abhange entspringt, in bedeckte 
Zellen geleitet. Das erfrischende Bad, der liebliche Ausblick ins Thal und 
zu den Bergen hinüber sind Erquickungen für Leib und Seele. Doch 
sind es die Schwefelbäder, die ganze Familien zur »Temporada« — wir 
würden Sommerfrische sagen — nach Antigua fuhren, wo während der 
heissen Monate, März und April, oft nur mit Mühe ein Unterkommen in 
den Gasthäusern zu finden ist. 

Die ersten Male stiegen wir im Hotel Rojas ab, wo sehr gute Unter- 
kunft zu haben ist. Unser einziger Kummer war jedesmal, dass der junge 



Kirchenruine in Antigua 
Nach einer in Guatemala erworbenen Fotografie 


Rojas, der abends den Stall abschloss und den Schlüssel abzog, weil er 
sonst keine Verantwortung für die Pferde übernehmen zu können erklärte, 
zu den landesüblichen Langschläfern gehörte und also an einen frühen 
Aufbruch niemals zu denken war, was einige Male recht unangenehme 
Folgen für uns hatte. Bei meinem letzten Aufenthalt in Antigua bekam 
ich im Hotel Central das letzte leere Zimmer, da teils wegen der Zeit 
der Temporadas, teils wegen eines in dem benachbarten Dorfe S. Felipe 
stattfindenden Kirchenfestes alles überfüllt war. Aber auch hier war 
ich recht gut aufgehoben und traf Bekannte von der Küste und 
vom Hochland. Auffällig war mir, wie wenig die verschiedenen 


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TAFEL XXXVII 




Die Steine von El Portal 


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Familien miteinander verkehrten. Wer sich nicht von früher her kannte, 
liess es bei den üblichen Höflichkeitsformen bewenden. Man denke nur, 
was sich in kleinen europäischen Badeorten für geselliges Leben entwickelt! 

Für uns aber gab es hier noch andere Interessen, die mit dem 
Kaffee, den Bädern und den Kirchen-Ruinen nichts zu schaffeu hatten: es 
gab Altertümer. Uns waren bisher keinerlei vorgeschichtliche Reste aus 
dieser Gegend bekannt, und wir waren begierig, zu erfahren, in welchem 
Stile sie sein möchten. Fs war daher eine Ueberraschung, als wir fanden, 
dass alles, was von grösseren Steinsachen vorhanden war, ganz im Charakter 
der Skulpturen von S'=>- Lucia Cozumalhuapa war; wie überhaupt alle 
Altertümer, die wir späterhin auf dem Wege von hier bis zur Küste hin- 
unter antrafen, diesen Stil zeigten. 



Steinkopf einer Knie in Los Pastores bei Antigua 


Die in der ganzen Gegend reich begüterte Familie der Herreras. eine 
der wohlhabendsten im Lande, hält es für eine Ehrenpflicht, die auf ihren 
Besitztümern zu Tage kommenden Reste der Vorzeit zu sammeln und vor 
Schaden zu behüten. Da sie ausserdem ihre Freude an den Dingen 
haben, veräussern sie auch nichts davon und wir mussten uns mit Ab- 
klatschen und Fotografien begnügen. Sowohl in der dicht bei der Stadt 
gelegenen Finca El Portal, am Fusse der Vorberge des Fuego, als in der 
an der Strasse nach Chimaltenango gelegenen Mühle Los Pastores fanden 
wir grosse, wohlerhaltene Steinköpfe vor. In Los Pastores hatten wir 
ausserdem noch das Vergnügen, einen biederen deutschen Landsmann, 
Herrn Hans Schmidt, zu begrüssen. 


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Sodann aber bildete die grosse Sammlung des Don Manuel Alvarado 
einen starken Anziehungspunkt. Diese gewann noch ein besonderes In- 
teresse dadurch, dass die Stücke alle auf einem eng begrenzten Gebiet, 
auf der am Abhang des Agua gelegenen Finca Pompeya, teils bei den 
Pflanzungsarbeiten, teils durch systematische Ausgrabungen ans Licht ge- 
kommen waren. Diese Finca liegt oberhalb des Städtchens, das heute 
den nichtssagenden Namen Ciudad Vieja (alte Stadt) fuhrt, und das das 
ursprüngliche Guatemala, die unselige Stadt Santiago de los Caballeros, 
jene Niederlassung der Spanier war, die durch das hemiederstürzende 
Wasser zerstört wurde. Von dieser Finca bietet sich ein herrlicher Blick 



Steinkopf aus «ler Sammlung Alvarado von der Finca Pompeya 


über das fruchtbare Thal, und es waren hier alle Vorbedingungen für 
eine grosse Stadt und eine dichte Bevölkerung gegeben. Die hier ge- 
sammelten Dinge sind teils mächtige Steinbilder, die in ihrer Haltung 
fast Sphinxen gleichen; Köpfe jener seltsam charakteristischen Art, die 
ein Menschenantlitz zeigen, das aus dem geöffneten Rachen eines Un- 
geheuers herausschaut; eine bedeutende Anzahl von Steinbeilen, Mahl- 
steinen und verschiedenen Steinwerkzeugen. Teils sind es Thongefässe 
von becherartiger, schlanker Form; meist einfach, manche jedoch schön 
und in seltsamer Weise bemalt; ja, auch Hieroglyphengefasse fanden sich 
darunter. Auch Schalen, kleinere Thonsachen und eine Reihe jener kleinen 
Zierlichkeiten — Schmucksachen, gut erhaltene Messerchen und Pfeil- 


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TAFKl, XXXVI II 



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Gartenhof mit Steinköpfen im Hause Alvarado 


spitzen, Amulette, Spinnxvirtel und dergleichen mehr — die die Freude des 
Sammlers sind. 

Diese Sammlung konnten wir später erwerben, kurz, ehe wir das 
Land verlicssen. Damals war mein Mann krank, er litt noch an den 
Folgen des heftigen F'iebers, das er sich in Copan oder Quiriguä zu- 
gezogen hatte. Da der Abschluss der Verhandlungen wegen des An- 
kaufs drängte und sich dergleichen schriftlich schlecht machen lässt, zu- 
mal wenn Käufer und Verkäufer über den Preis nicht derselben Meinung 
sind, so machte ich mich auf und fuhr allein hinüber. Don Manuel freilich 
glaubte nicht an die Krankheit und meinte, ich wäre gekommen, weil 
Frauen beim Handel zäher seien. Nun, an Zähigkeit fehlte es ihm auch 
nicht, ja er war mir entschieden in dem Punkte über. Aber schliesslich 
kamen wir zu einem befriedigenden Abschluss. Nun gings ans Packen, 



Becherförmige Thongefässc der Sammlung Alvarado 


aber Hilfe gabs nicht, weil alle Leute zum Feste nach S. Felipe zogen; 
Kisten waren nur in ungenügender Zahl aufzutreiben, Packmaterial gar 
nicht zu haben. In dieser Not leistete mir Herr Schumann vom Hause 
Kraus, Schröder & Co., liebenswürdige Hilfe, wofür ich ihm hier meinen herz- 
lichen Dank sage. Aber trotz all dieser Unbequemlichkeiten war es eine 
erfreuliche Zeit. In dem hübschen Gartenhof des Alvaradoschen Geschäfts- 
hauses plätscherte ein kühler Brunnen, eine alte Frau und ihre Tochter kamen 
von Zeit zu Zeit zum Plaudern. Freilich hatte ich mancherlei von Neugier 
und unnützen Ratschlägen zu leiden von all den Leuten, die im Hause aus- 
und eingingen. Aber dagegen wird man in jenen Ländern bald abgestumpft. 
Als einige Tage später mein Mann kam, fuhren wir täglich zu der kühlen 
Quelle hinaus, und diese im Verein mit der reinen und trockenen Luft 
von Antigua (orderten seine Genesung merkwürdig schnell. 


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Der Fuego und Acatenango von Antigua aus 


Mit herzlichem Vergnügen denke ich an die Tage in Antigua zurück, 
an die klaren Morgen, wo die dunkle Masse des Fuego fast drohend in 
die Strassen herniederschautc, an die umwölkten Abende, wenn ich von 
meinem Fenster aus Wolken und Abendlicht auf der Spitze des Agua 
ihr Wesen treiben sah; an die Kitte und Fahrten in der Umgebung; an 
klares Wasser und schattige Räume. 

Wie schade, dass hier nur noch »La Antigua« liegt! 



Jicaras von Antigua 


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NEUNTER ABSCHNITT. 

Am Fusse der Vulkane. 

Die Sta. Lucia- Steine iin Museum zu Berlin. — Am Südabliange des Fuetjo. Neue Ver- 
hältnisse. — Die Waldsclilucht. — Elektrisches Licht. — Die Ranchos und ihre Insassen. — 
Los Diamantes. — Frau Müller und ilire Veranda. — Landschaftliches. — Steinscssel in 
Chuchü. — Los Tarros und Palo Verde. — Abschied von unsern Pferden. — Pantaleon. — 
S. Juan Perdido. — Sta. Lucia Coxuraalhuupa. — Die hohen Kaffeepreise. — Kscuintla. — 
Amatitlan. — Weibertracht von Palin. — Die Steine von Palo Verde. — Noch einmal 
Sta. Lucia. — Turibio und Cornclio. — Mein Leben und meine Arbeit in Sta. Lucia. 


Im Lichthofe des Museums für Völkerkunde zu Berlin liegen mächtige 
Steinplatten, mit herrlichen, rätselvollen Reliefdarstcllungen geschmückt; 
steht ein grosses steinernes Opferbecken und andere sonderbare Stein- 
bilder: sie alle miteinander sind bekannt als .die Santa Lucia-Steine., 
und das Museum hat allen Grund, auf diesen Besitz stolz zu sein, dessen 
Erwerbung der Energie seines Leiters, Adolf Bastian, zu danken ist und der 
thatkräftigen Unterstützung, die er seinerzeit in Guatemala bei dem deutschen 
Gesandten von Bergen, dem deutschen Gelehrten Dr. Bercndt und dem 
deutschen Ingenieur Napp fand. 

Diese Steine waren Ende der fünfziger Jahre entdeckt worden. 
Anfang der sechziger Jahre wurden sie zum ersten Male von einem 
Europäer — dem österreichischen Arzte Dr. Habel — gezeichnet, beschrieben 


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und nach Kräften gegen drohende Zerstörung geschützt. Wenige Jahre 
vorher hatte man sie bei Anlegung eines Cafetales bei der noch jungen 
Ansiedlung S u - Lucia Cozumalhuapa, zwischen dem Südfusse des Fuego 
und der Küste des Stillen Ozeans, entdeckt. Etwa fünfzehn Jahre später 
sah sie Adolf Bastian und erwarb sie für das Berliner Museum. 

Nun sind aber nicht alle Steine, die Habel, Bastian und Berendt 
dort bei S u - Lucia gesehen haben, nach Europa gekommen, und auch 
sie haben lange nicht alle gesehen, von denen ihnen erzählt worden ist*). 
Was war natürlicher, als dass uns ein unwiderstehlicher Drang nach 
S“- Lucia zog? Hatten wir doch, ihm folgend, die Reise von Mexiko 
nach Guatemala unternommen. Der Ort ist heute leichter zu erreichen, 
als es vor zwanzig und dreissig Jahren der Fall war: von der Eisenbahn, 
die die Stadt Guatemala mit dem Hafen von S. Jose verbindet, zweigt in 
Escuintla eine Linie ab, die vorläufig in S“- Lucia endet, aber in der 
Richtung über Patulul weiter geführt werden soll, um vielleicht in fernen 
Zeiten sich einmal mit einer mexikanischen Tapachula-Linie zu treffen. 

Wir aber wählten fürs erste den Reitweg, um ein besseres Bild von 
der Gegend zu bekommen; konnte doch auch unterwegs noch manches 
zu finden sein. — Wie Antigua die oberste Grenze des Kaffeebaucs be- 
zeichnet, so S“^ Lucia die unterste. Hier gedeiht schon Cacao und 
Vanille und es ist für einen ergiebigen Kaffeebau zu heiss und zu feucht. 
Der Kaffee liebt am meisten jene herrlichen Gegenden der Tierra 
templada an dem Abfall der Gebirge nach der Küste zu. Und durch 
diese von der Natur so reich bedachte, von den Menschen wohlaus- 
genutzte Region ging unser Weg. In den grossen Besitzungen, durch 
die er führte und die zum grössten Teil in deutschen Händen sind, haben 
wir viel heitere Ruhetage verlebt, aber auch manche Förderung für unsere 
Arbeit und unsere Gesundheit erfahren, und wir denken mit Freude und 
Dank an die dort verlebte Zeit zurück. So wird mir’s niemand verargen, 
wenn ich in dem schönen Landstrich zwischen Antigua und S“- Lucia 
ein wenig verweile. 

Am 6. Mai ritten wir von Antigua fort und dachten bei guter Zeit 
die F'inca S. Andres Osuna zu erreichen, die nur sieben Leguas (etwa 
sechs Meilen) entfernt sein sollte. So schien es uns nicht allzu schlimm, 
dass der junge Rojas wieder einmal die Zeit verschlief und wir erst um 
sieben Uhr aufbrechen konnten. Der Weg führte durch Ciudad vieja 
in der breiten Senke zwischen den beiden Vulkanen hindurch, und bald 
hinter dem Dorfe Alotenango, von wo aus Stoll und Maudsley im Jahre 


•) Eioer ist leider für immer verloren: als er auf der Reede von S. Jose verladen 
werden sollte, riss das Tau und er versank in die Fluten. Diesen keimen wir nur aus einer 
lierendtschen Zeichnung. 


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TAFEL XXXIX 




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Cafctal bei S. Andres Osuna 


i 882 ihre Besteigung des Fuego unternahmen, nahm uns der üppige Pflanzen- 
wuchs einer feuchteren und wärmeren Zone auf. Aber der Weg zog 
sich merklich in die Länge, es ergab sich, dass die Entfernung 12 Lcguas 
betrug, und eine halbe Stunde ehe wir unser Ziel erreichten, kurz nach- 
dem wir die grosse Pflanzung von El Zapote hinter uns gelassen hatten, 
gerade inmitten der herrlichsten Gegend, eines von Mahagonibäumen und 
andern Riesen gebildeten Waldes, entlud sich ein heftiger Gewitterregen, 
der erste des Sommers, der uns gründlich durchnässte. Bananenhaine, 
Kaffeepflanzungen, der gute Zustand der Strasse, die rechts und links 
abzweigenden Wege zeigten, dass wir uns wieder einer grossen Hacienda 
näherten, und bald waren die ersten Häuser von S. Andres Osuna erreicht, 
wo wir von dem Vertreter des Hauses, Herrn Linse, freundlich bewill- 
kommt wurden. 

Alle Verhältnisse hier waren neu für uns. In Mexiko waren wir nie in 
das Gebiet der grossen Kaffee-Hacienden gekommen. Auf unserer ersten 
Reise steckten wir einen grossen Teil der Zeit in den dichten Wäldern 
der Huaxteka, die noch ihrer Umwandlung in Plantagen harren, und ver- 
mutlich — trotz der Rahn nach Tampico — noch ein Weilchen harren 
werden. In Tancanhuitz freilich wurde auch Kaffee gebaut, aber es waren 
kleine Gärten, die den dortigen Ladinos gehörten; von einem plan- 
mässigen Anbau, einer geschäftlichen Ausbeute war gar keine Rede. Die 
grossen Besitzungen, die wir damals kennen lernten — bei Cuernavaca, 
in der Huaxteca, auf dem Wege nach Oaxaca — bauten alle Zuckerrohr, 
und nur bei unserm sehr fluchtigen Aufenthalt in Orizaba sahen wir grosse 
Kaffeegarten. Diesmal aber waren wir nur in Chiapas, zwischen Tonalä 
und Cintalapa, und dann wieder im mexikanisch-guatemaltekischen Grenz- 
gebiet auf grossen Hacienden gewesen. Keine von diesen lag in der 
Kaffeeregion: es wurde Mais gebaut, in etwas tieferen Lagen auch Zucker, 
und Vieh gezüchtet. Auch waren ihre Besitzer durchaus Mexikaner und 
Guatemalteken. Hier nun waren Deutsche die Herren; der Kaffeebau wurde 
rationell betrieben, alle Errungenschaften der Neuzeit zu seiner Verwertung 
benutzt. 

Ein Cafetal gehört zu den malerischsten Anlagen, die die Landwirt- 
schaft aufzuweisen hat. Da die Pflanzen weder zu grosse Sonnenglut, noch 
zu heftigen Regen vertragen, so müssen sie geschützt werden, entsprechend 
der Lage mehr oder weniger dicht. Wo man hochstämmigen Wald zur An- 
lage der Pflanzung roden muss, lässt man einige breitkronige, nicht zu dick- 
laubige Bäume als Beschattung stehen. Vielfach werden Bananen zum Schutze 
verwendet, deren Früchte zugleich als Nahrungsmittel für die indianischen 
Arbeiter dienen. Man hat daher bei Kaffeepflanzungen nie den langweiligen 
Eindruck der Regelmässigkeit, wie ihn etwa eine Baumwollenpflanzung, 
eine Zuckerrohrplantage, ein Agavefeld machen, sondern man meint immer 


“3 


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durch Haine zu reiten, die zwar zum grössten Teil aus dem schönen 
dunkellaubigen Strauch mit weissen Blüten und roten Früchten bestehen, 
aber doch im grossen und ganzen gemischten Bestand zeigen. 

Vom Berge herunter zog sich eine schmale tiefe Schlucht, an deren 
Grunde floss ein klares frisches Wasser, das man halbwegs eingefangen 
und in einen Kanal geleitet hatte, der die beiden benachbarten Hacienden 
S. Andres und Los Diamantcs, die er von einander schied, mit der nötigen 
Wasserkraft für die Maschinen versah. Aber auch die Menschen wurden 
des belebenden Elements froh und hatten sich mitten in dem stark 



strömenden Wasser in der Nähe des Hauses ein erfrischendes Bad ein- 
gerichtet. 

Diese enge, mit üppigstem Pflanzenwuchs erfüllte Schlucht führt uns 
mitten in die wunderbare, sinnberückende Pracht tropischer Vegetation, 
die für diesen Küstenabfall gerade so bezeichnend ist, wie für den nord- 
wärts dem Golf zu gelegenen. Es ist weniger die Farben- als die 
Formenfülle, die das Auge fast verwirrt und berauscht. Zwischen den 
von Schlingern und Schmarotzern vollständig verdeckten mächtigen Stämmen 
drängen sich die zierlichen Wedel der Baumfarne, die breiten Blätter der 


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Coyolli ■ Staude mit ihren roten Blüten. Ueberhaupt ist rot fast die einzige 
Farbe, die neben dem Grün auftritt, so dass die auffallend geringe Blüten- 
menge durch Leuchtkraft ersetzt, was ihr an Buntheit fehlt. 

Die Besitzer dieser Hacienden oder, wie man in Guatemala stets sagt, 
Fincas (ein Ausdruck, der in Mexiko ausschliesslich von kleinen Besitz- 
tümern gebraucht wird) leben sehr europäisch; die maschinellen Einrich- 
tungen, das elektrische Licht, die mit Veranden im Schwcizerstil umgebenen 
Wohnhäuser, die Verpflegung — all das bedeutete in unsern Augen, die 
monatelang nur an landesübliche, einheimische und oft recht ärmliche 



Kancheri;t von S. Andres Osuna 


Verhältnisse gewöhnt worden waren, einen hohen Grad von Wohllebeu. Das 
elektrische Licht, diese neueste Kulturblüte, war übrigens für mich stets 
eine Quelle des Aergers; denn während nach des Altmeisters Vogel Aus- 
spruch sonst die ganze Welt zur Nachtzeit eine Dunkelkammer war, gab 
es hier kaum ein Fleckchen, um fotografische Platten umlegen zu 
können, da die elektrischen Lampen auf den »Patios« — den zum Trocknen 
des Kaffees dienenden zementierten Terrassen — die ganze Nacht hindurch 
ihr strahlendes Licht verbreiten, um den Wächtern ihr Amt zu erleichtern; 
denn die zum Trocknen ausgebreiteten Bohnen sind gar angreifliche Ware. 
Als ich in meiner Not in S. Andres einmal mitsamt meiner roten Laterne 

Sclcr, Ahe \Vc<e. 1 5 

225 


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unter einen auf niedrigen Pfählen ruhenden alten Schuppen kroch, meinte 
der indianische Wächter, es trieben dort unheimliche Geister ihr spukhaftes 
Wesen und es gelang nur schwer, ihn von meiner Leiblichkeit zu überzeugen. 

Wie bei uns zu Lande die Dörfer in der Nähe der Gutshöfe liegen, 
so dort die Rancherien bei der eigentlichen Hacienda. Meist sind es ganz 
neue, nach den augenblicklichen Bedürfnissen entstandene Niederlassungen, 
die dem Ethnologen späterer Zeiten manch harte Nuss zu knacken geben 
werden. Die Arbeiter sind zwar durchweg Indianer, da aber die Plantagen 
häufig in dünn bevölkerten, manchmal in ganz menschenleeren Gegenden 
angelegt werden, so sucht man die Leute von überall herbeizuziehen. Es 
bestehen da Verhältnisse, die an unsere Sachsengängerei erinnern. Doch 



Wohnhaus in Los Diamant es 


ausser diesen Gelegenheitsarbeitern, die zur Zeit der Ernte gemietet 
werden, braucht der Betrieb einen Stamm von Arbeitern, und dieser ist in 
der zur Hacienda gehörigen Rancheria angesiedclt. Auf diese Weise ent- 
stehen neue Dörfer, deren Bewohner oftmals eine Musterkarte verschiedener 
Indianerstämme und Sprachen aufweisen. Diese Indios werden meist durch 
Vorschüsse gewonnen, die sie abarbeiten müssen, wodurch sie in ein sehr 
enges Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Herrn geraten, das häufig zu einem 
lebenslänglichen wird und von Leibeigenschaft nur dem Namen nach ver- 
schieden ist. 


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TAFEL XI, 



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In der Schlucht bei Los Diamantes 



Oft sind die Rancherien gross, gut und regelmässig angelegt. In 
S. Andres war man im Begriff, neue Arbeiterhäuser in regelmässigen Reihen 
in der Nähe der Hacienda zu errichten. Sie waren sauber und wetterfest, 
aber natürlich war die neue Anlage lange nicht so malerisch, als die alten 
Rohrhütten zwischen hohen Palmenbäumen. Ein neues Wohnhaus wurde 
gebaut und der Grundstein zu einer Kirche gelegt. Als wir ein halbes 
Jahr später wiederkamen, wohnte im neuen hübschen Hause bereits Herr 
Keller mit seiner liebenswürdigen jungen Frau und die Kirche war fast 
vollendet. 



Der Fuejjo von Loa Diamant es aus 


In der Luftlinie ist Los Diamantes keine Bogenschussweite von 
S. Andres entfernt, aber der Bach, der beide trennt, hat eine tiefe und 
breite Kluft in das Erdreich gerissen, die in weitem Bogen umgangen 
werden muss. Nirgends führt eine Brücke über den Bach, der in trockener 
Zeit auf flachen Trittsteinen leicht zu überschreiten ist, aber zur Regenzeit 
mächtig und sprudelnd dahin schiesst. 

Als wir die Kaffeepflanzungen von Los Diamantes betraten, schienen 
uns wirklich die weissen Blüten wie Edelsteine aus dem dunklen Laube 
entgegen zu leuchten. Ein gut gehaltener Fahrweg führte in sanfter 
Steigung vom Bache aufwärts bis zur Höhe des Hauses. Es war klein 
und bescheiden, aber die Aussicht von seiner Veranda wundervoll; über 


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sanft gewelltes, grünes Land, aus dem ein einzelner Fels, der Penon von 
Ziqu inalä, wie eine Landmarke hervorragte, reichte der Blick bis zum Stillen 
Ozean, der wie ein breites, silbern leuchtendes Band den westlichen Horizont 
begrenzte. Nach der Landseite hin überragte der Fuego in düsterer Majestät 
den Rancho. Gerade vor dem Hause war ein von mächtigen Bäumen 
beschatteter Platz, auf dem ein grosser VVochenmarkt abgehalten wurde, 
ein Vorrecht, nach dem alle grösseren Dörfer streben, — An der Ecke 
gegenüber befand sich eine grosse, sehr gut eingerichtete Tienda, die bei 
der Nähe von Escuintla — bis wohin während der trockenen Zeit auch 
Ochsenkarren verkehren können — stets mit guten Dingen versehen war, 
die allen möglichen Bedürfnissen genügen konnten: da gab es echtes Bier, 
Kleiderstoffe, Seife, Lichte, Konserven, Brot. 

Auch diese Finca gehörte einer Hamburger Gesellschaft, als deren 
Vertreter Herr Fritz Müller, ein Schweizer, hier wirtschaftete. Seine Frau 
wusste sich mit der eigenen Findigkeit der richtigen Berlinerin in den 
gegebenen Verhältnissen prächtig zurecht zu linden und das denkbar 
beste daraus zu machen. Sie baute Gemüse, hatte ihren Hühnerhof und 
machte ihren Bedarf an Butter selbst. Aber sie war auch eine flotte, 
mutige Reiterin und führte ihr Wägelchen wie eine Amerikanerin sicher 
über die schlechtesten Wege. Dabei stand sie mit allen Leuten im Rancho 
gut. Die Arbeiter, die die Freude der »nina< für Blumen und Tiere 
kannten, brachten ihr mit, was sie Schönes in den Waldschluchten des 
Fuego fanden, und auf der Veranda wuchs es unter freundlicher Pflege 
lustig weiter; es gab dort stets einen Flor der herrlichsten Orchideen zu 
bewundern. Sehr ergötzlich war ein zahmes Wildschwein, ein »pecarii. 
Ein Indio hatte es jung eingefangen, und es hatte sich so an die Köchin 
gewöhnt, dass es ihr überall hin folgte und der klappernde Klang seiner 
feinen, harten Hufe lustig auf der Holztreppe zu hören war. Während 
unserer Anwesenheit brachte einmal ein Mann zwei allerliebste, ganz junge 
Gürteltiere, die wir mit nach Deutschland nehmen sollten, wozu ich jedoch 
keinerlei Neigung verspürte. Seltsamerweise haben wir dort nie den 
hübschen, behenden Nasenbär gesehen, den »tejon«, der in den Wäldern 
der Huaxteca sein lustiges Wesen treibt und dort als zahmes Haustier in 
den Gehöften zu finden ist. 

Manch heitere Stunde haben wir in dem traulichen Winkel dieser 
Veranda verlebt und zu diesen gehörte auch der Abend, an dem durch 
einen glücklichen Zufall sieben I^andsleute sich hier zusammenfanden, um 
bei deutschem Bier und deutschen Liedern der fernen Heimat zu ge- 
denken. Verwundert mag der alte Feuerberg den fremdartigen Melodien 
gelauscht haben, den heiteren und traurigen Weisen, die bis in späte 
Nachtstunde zu ihm emporklangen. 

4t * 

* 


22 $ 


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TAFEI. XI.! 



Aussicht von der Veranda in Los Diamantes 



Ruhestündchen auf der Veranda 


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Wir hatten, seit wir Antigua verlassen, nicht viel von Altertümern 
gesehen. Zwei grosse, ungefüge Steine, die ziemlich roh behauen waren 
und Zapos (Kröten) vorstellten, lagen auf dem Rande eines der grossen l’atios 
in S. Andres, und unter derVeranda des Hauses hatte man einen ebenfalls ziem- 
lich roh gearbeiteten Affenkopf aufgestellt, einen »Mono«, wie dort fast alle 
figürlichen alten Darstellungen genannt werden, auch wenn sie menschliche 
Formen zeigen. Auch in Los Diamantes war ausser einem ziemlich 
schlechten, affenartigen Steinbild, dessen Fundort nicht einmal feststand, 
nichts vorhanden. Herr Keller erinnerte sich aber, in der benachbarten 
kleinen Finca Chuchü früher einige Sachen gesehen zu haben und ritt 
mit uns hinüber. Der Besuch erwies sich immerhin als erfolgreich, da 
wir zwischen allerlei Gerümpel zwei merkwürdige, dreibcinige, sogenannte 
Steinsessel hervorzogen. Die Bedeutung dieser Ge- 
rate als Sessel vermag ich nicht recht anzuerkennen, 
da ich nicht begreife, wie die kleine, leicht nach 
aussen gewölbte obere Fläche als Sitz dienen 
kann. Uebrigens werden solche Steine nicht allzu 
häufig gefunden. Wir erhielten später mit der Samm- 
lung des Herrn Thom noch einen aus Tecpam und 
mehrere mit der Sammlung Alvarado. 

Eines Tages hatte unser Wirt irgend eine 
Veranlassung, nach der Hacienda Los Tarros zu 
reiten und machte uns den Vorschlag, ihn zu be- 
gleiten, den wir gern annahmen, da Los Tarros 
als Fundort von Altertümern mehrfach erwähnt 
wird. Es war ein herrlicher Ritt, ganz geeignet, 
von der Schönheit des Landstriches ein Bild zu 
geben; über umbuschte, blühende Hügel, über kristallklare, rauschende 
Bäche, an deren Ufern die zierlichen Wedel der Baumfarne nickten, 
durch Wald und Kaffeehaine; durch dunkle Hohlwege und lichtgrüne 
Zuckerrohrfelder; über alte Flussbetten und sanfte Abhänge, die von 
einer Schlingpflanze mit grünen Teppichen übersponnen waren. 

Los Tarros ist eine sehr grosse Besitzung und gehört einer ein- 
heimischen Familie. Rancho und Wohnhaus sind in grossem Stile an- 
gelegt. Vor dem Hause haben die Pflanzungen einen parkartigen Anstrich. 
In ihrer Mitte liegt ein kolossales Springbrunnenbecken, an dem die vor- 
überziehenden Herden ihren Durst stillen. Vermutlich sind zu seiner 
Herstellung Steine der alten Konstruktionen verwendet, von denen Habel 
spricht, denn Steine sind hier in der Ebene nicht gerade häufig. 

Von Altertümern gab es nichts mehr; was frühere Reisende hier 
gesehen oder wovon sie gehört hatten, war alles nach Pantaleon gebracht 
worden. Ein hübsches Thongefass wurde uns gezeigt, wovon man sich 



Dreibcinigcr 

Stcinscsscl 


(*/•» der nat. Grösst-’ 


229 


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Wochen markt in Los Diamantes 



t 


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aber nicht trennen wollte. Aehnliche sind in der Sammlung Alvarado 
vorhanden. Aber man wies uns nach Palo verde, wo wir alte Steinidole 
finden würden. Wir folgten dem Winke und nahmen bei der Rückkehr 
nach Los Diamantes den kleinen Umweg über Palo verde. 

Durch Potreros und Wald ging der Ritt zum Rio del Tigre oder 
Sacjahä, einem herrlichen Gebirgswasser, das zwischen der prachtvollen 
Vegetation seine klaren, sprudelnden Wellen ergiesst. Jetzt war er ziemlich 
zahm, als wir aber ein halbes Jahr später, zu Ende der Regenzeit wieder- 
kamen und ihn täglich durchreiten mussten, war er tief und reissend und 
es bedurfte grosser Vorsichtsmassregeln, um unsere Papierabdrücke sicher 
hinüberzubringen. — Der kühle Platz am frischen Wasser, unter einem 
schattenspendenden Baume, war verlockend bei der Hitze des Tages. Wir 
stiegen ab, um zu frühstücken. Bei der Gelegenheit zeigte sich freilich, 
dass Bananenblätter kein genügender Schutz gegen Hitze sind, denn die 
herrliche Butter, die wir von Los Tarros mitgenommen hatten, hatte sich 
in zerlassene verwandelt, für die eine Satteltasche entschieden nicht der 
richtige Behälter war. 

Vom Flüsschen aus ist der Rancho von Palo verde in zehn Minuten 
erreicht. Wir trafen den Besitzer an, einen alten Guatemalteken, der nicht 
recht begriff, was wir suchten. Aber wir fanden gleich im Hofe einige 
skulpierte Steinstücke herumliegen, von denen das eine einen Jaguarkopf 
vorstellte. Nach mancherlei Fragen erfuhren wir, dass auf dem zu Palo 
verde gehörigen Grund und Boden, im Walde, nicht weit von dem 
Wege, den wir soeben gekommen waren, noch mehr Steine liegen sollten, 
aber nur einige Vaqueros könnten mit Sicherheit die Stelle zeigen. So 
wurde das auf ein andermal verschoben. 

Für diesmal aber ging unsere Zeit zu Ende, und wir mussten daran 
denken, nach S^ Lucia hinunter zu reiten. So sassen wir denn eines 
Tages wieder reisefertig auf unsern Pferden — zum letzten Male. Wir 
hatten sie hier verkauft, denn che sie wieder für eine lange, beschwerliche 
Reise tauglich waren, mussten sie sich gründlich erholen, was am besten 
geschieht, wenn man sie eine zeitlang in einem Potrero (eingehegten 
Weideplatz) frei weiden lässt. Obgleich ich mich oft über die zunehmende 
Trägheit und den Eigensinn meines Gaules geärgert hatte, empfand ich 
doch ein wehmütiges Gefühl bei der Trennung; hatten wir doch ein volles 
halbes Jahr hindurch so manches Leid, so manche F'reude miteinander 
geteilt: gutes und schlechtes Nachtquartier — aber meistens schlechtes; 
reichliches und mageres Futter — aber öfter mageres; Hitze und Kälte; 
Ebene und steiles Gebirge — aber häufiger dieses. Es war uns eine 
Beruhigung, zu wissen, dass die Tiere in gute Hände kamen. 

Unterhalb Los Tarros, in der Richtung nach Lucia liegen die 
alten Kirchenruinen von S. Juan Perdido, ein Wahrzeichen, das uns deutlich 


* 3 ! 


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vor Augen führt, wie schnell in diesen tropischen Waldlandern die Ansied- 
lungen verschwinden. Wir dürfen uns nicht wundern, dass wir nicht wissen, 
welches Volk die herrlichen Denkmäler hinterlassen, die wir überall in diesem 
Striche treffen, dass ihre Städte und Niederlassungen gänzlich verschwunden 
sind: wir müssen uns vielmehr freuen, dass wir überhaupt noch Spuren 
ihres Daseins finden, wenn Ortschaften weit jüngerer Zeit bis auf zerfallene 
Kirchenreste dahingegangen sind. In spanischer Zeit muss hier ein volk- 
reicher Ort bestanden haben, der die Anlage einer ziemlich bedeutenden 



Kirchenruine von S. Juan Perdido 


Kirche verlangte, die wir heute in den Ruinen von S. Juan Perdido vor 
uns sehen. Wir wissen aber nichts von diesem Orte als seinen Namen; 
wie dürfen wir erwarten, von einer so fernen Vergangenheit genaueres zu 
erfahren? Wenn der Mensch seiner 1 lande Werk hier nicht ununterbrochen 
gegen die übermächtige Lebenskraft der Natur verteidigt, so sind die 
Spuren seiner Thätigkeit nur zu bald verwischt, verschlungen von der Tropen- 
wildnis, die das Gebild von Menschenhand hasst. 

Unser Weg führte weiter über Pantaleon, die grosse Besitzung der 
Herreras, wo eine beträchtliche Anzahl von Steinidolen angesammelt ist. 


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TAFEL XLII 




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Gruppe von Steinfiguren in Pantaleon 




Alle früheren Reisenden kannten und erwähnten sie und sie sind mehr- 
fach abgebildet und beschrieben worden. Doch ist ihre Zahl im Laufe der 
Jahre beträchtlich gewachsen, da man alle Funde der Nachbarschaft, auch 
die von Los Tarros und von S. Juan hier vereinigt hat. Die Stücke sind 
in einem pyramidenartigen Aufbau zusammengetragen, dazwischen hat 
man Grünes gepflanzt und ein Springbrunnen wirft einen erquicken- 
den Strahl vor der Gruppe hoch empor. Das ist unstreitig sehr 
hübsch und malerisch, leider aber trägt es zur schnelleren Zerstörung 
der Steine bei. Der Springbrunnen machte es unmöglich, die ganze 
Gruppe fotografisch aufzunehmen; ich musste mich mit Teilen be- 
gnügen und auch das erschwerte der Widerschein des Wassers und der 
Stand der Sonne. 

Allgemach schien der Wald sich zum Park zu wandeln. Man baut 
bei S ta - Lucia noch Kaffee, aber der grossen Hitze wegen braucht er viel 
Schutz. So hat man im Walde nur das Unterholz entfernt und statt seiner 
Kaflfeesträucher gepflanzt, aber die malerische Wirkung ist unstreitig ge- 
lungener als die wirtschaftliche. Der Ort selbst liegt vom Walde eng 
umschlossen, was ein erdrückendes Gefühl hervorruft. Es ist sehr heiss 
hier unten und Fieber häufig; Cacao und Vanille wächst wild. 

Ein Gasthof war vorhanden, wie man ihn hier erwarten konnte, nur 
etwas schmutziger als landesüblich. Das Essen war nicht schlecht und es 
war ein fortwährendes Kommen und Gehen: man merkte den Einfluss 
der Eisenbahn. Ingenieure, Hacendados, Kaufleute benutzen bis hierher 
die llahn und besteigen hier die Pferde, um nach den Fincas zu gelangen. 
Kaffee war die Parole; Kaffee stand hoch im Preise, und alles war davon 
durchdrungen, dass er immer weiter steigen würde; niemand schien daran 
zu denken, dass er mit grösserer Wahrscheinlichkeit einmal herunter gehen 
könne. Ueberall waren neue Plantagen entstanden, wurden andere an- 
gelegt. Die Fortsetzung der Hahn wurde vermessen, kleine Schienenstränge, 
die den Anschluss der grossen Hacienden vermitteln, wurden gebaut; 
elektrische Anlagen wurden gemacht, Maschinen aufgestellt. Die Ingenieure 
hatten Arbeit, die Hacendados hatten Geld, und ihre Frauen kauften den 
mit Uhren, Schmuck und andern schönen Dingen im Lande umher- 
ziehenden Kaufleuten nur zu gern ihre blitzenden Waren ab. 

Unser Gasthauszimmer hatte einen kleinen hölzernen Balkon, wenige 
Fuss Uber der Strasse gelegen, wo es nach des Tages Last und Hitze 
ganz angenehm zu sitzen war. In der Nähe war eine Festlichkeit gewesen: 
ein reicher Mann hatte seinen Namenstag gefeiert. Der Santo wurde Uber 
die Strasse getragen, Raketen flogen in die Luft. Ohne Knallen und 
Branntwein giebt es kein Fest im spanischen Amerika. Allmählich wurde 
es ruhig. Da, horch! welch' sonderbare Töne! P'ast klang es wie Trom- 
peten, fast auch wie das Geschrei von einer ungeheuren Schar von Riesen- 

233 


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gänsen. Aber dort, wo es herkam, lagen Sümpfe, und es waren Brüll- 
frösche, die sich des schwülen Frühlingsabends freuten und die beginnende 
Regenzeit mit Gesang willkommen hiessen. 

• • 

* 

Zunächst hatten wir nur negative Erfolge zu verzeichnen. In den 
meisten Berichten über die S ,: >- Lucia-Funde ist nur dieser Name erwähnt, 
als nähere Bezeichnung steht in Dr. Berendts Briefen: Peor-es-nada. Nun 
wechseln die Namen kleiner F'incas häufig; ein neuer Besitzer, dem der 
alte Name nicht gefällt, wählt eben einen andern, und so war es uns 
denn bei der kurz bemessenen Zeit dieses ersten Besuches nicht 
möglich, die gesuchte Oertlichkeit ausfindig zu machen. Eine Empfeh- 
lung an Don Vicente Castellanos, auf dessen Grund und Boden sich 
Altertümer befinden sollten, führte uns nach seiner Finca Adelina. 
Das Haus lag auf einer Lichtung im Walde. Don Vicente war nicht 
anwesend, nur ein alter Mayordomo, ein freundlicher Mann, der uns 
einige kleine Thonsachen, die hier gefunden worden waren und deren 
Don Vicente in seiner Stadtwohnung noch etliche besitzen sollte, schenkte. 
Von Skulpturen wusste er nichts. Ein Stein mit Figuren hätte früher im 
Walde gelegen, wäre aber nicht mehr da. Der Wald war herrlich, Cacao 
und Vanille wuchsen darin, im Schutze des schönen Blütenbaumes, der 
die »Mutter des Cacao« genannt wird, aber wir waren sehr enttäuscht. 

Es blieb nichts übrig, als diesmal unverrichteter Sache nach der 
Hauptstadt zurückzukehren, und zwar mit der Bahn. Durch Wald und 
Busch und weite Strecken, die von Schlingpflanzen mit grüner Decke über- 
zogen sind, führt die Bahn nach Escuintla. Hier und da sieht man Hügel, 
die ganz das Ansehen von künstlichen haben, und es sind auch seiner 
Zeit beim Bahnbau mancherlei hübsche Stücke: Thongefässc und anderes 
gefunden worden. Die amerikanischen Ingenieure aber schenkten sie ihren 
Freunden, behielten sie als Andenken, oder verkauften sie. Und so wurde 
in alle Winde verstreut, was nicht zerschlagen worden. 

Escuintla ist eine hübsche, freundliche Stadt, die sich ihrer Quellen 
wegen früher eines grossen Rufes als Badeort erfreute. Die Temporadas 
sollen sehr vergnügt gewesen sein. Der häufigen Fieberepidemien wegen 
ist der Besuch stark zurückgegangen. Der Ort hat aber auch ohne dies 
Bedeutung als Mittelpunkt eines reichen Haciendagebietes, wovon das 
grosse, luftige Hotel Zeugnis ablegte. Freilich war die Wirtin ein Drache. 
Wir empfanden die Luft als frischer und weniger drückend wie in S Ul - Lucia, 
was seinen Grund in der höheren Lage des Ortes hat und wohl auch darin, 
dass der dicke, feuchte Wald nicht so nahe herantritt. 

Von Besonderheiten F.scuintlas wüsste ich nur die herrlichen, grossen 
Schwimmbassins zu rühmen, die von Quellen gespeist werden, und die 


= 34 


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TAFlil, XI. III 



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Kisfabrik, die ihr köstliches Erzeugnis täglich nach der Hauptstadt hinauf- 
schickt. — Wir besuchten im Krankenhaus unsern Burschen Turibio, der 
unterwegs erkrankt war und von S. Andres aus mit einem Ochsenkarren 
hierher gebracht wurde. Dann aber hielt uns nichts mehr und wir setzten 
unsere Fahrt nach Guatemala fort. Der Glanzpunkt dieser Eisenbahn- 
strecke ist der Amatitlan-Sce, dessen Südufer die Bahn fast in seiner ganzen 
Ausdehnung umzieht. Eine Reihe grossartiger Landschaftsbilder zieht 
an dem Reisenden vorüber. — Mächtige Berge umrahmen den Sec, 
die in dem Vulkan von Amatitlan ihren Höhepunkt erreichen. Heisse 
Quellen entspringen im See, ziemlich nahe der Bahn. Man sieht deutlich 
den Dampf über dem dunklen Wasserspiegel. Das Städtchen Amatitlan 
liegt an der Westspitze des Sees, wo ein klares Flüsschen seinen Abfluss 
bildet. Vom Grunde des Wassers sind verschiedentlich alte Thongefässe 
eines ganz eigentümlichen Stils empor gefördert worden. Es sind ziemlich 
flache, aber dicke, schwere Schalen, an ihrer Aussenseite mit Zacken 
besetzt. Diese Zacken- 
zier kommt freilich auch 
anderwärts vor — beson- 
ders haben wir sie an 
Chaculä-Gcfässen gefun- 
den — , trotzdem sind die 
Schalen von Amatitlan 
durch Form und Material 
so charakteristisch, dass 
man sie sofort unter andern Altertümern herauskennt. — Zwischen 
Escuintla und Amatitlan liegt die Station Palin, wo sich die von 
Deutschen betriebenen Elektrizitätswerke befinden, die sowohl die Haupt- 
stadt als auch die grossen Hacienden, von denen wir soeben zurück- 
kehrten, mit Licht versorgen. Die Frauen von Palin tragen eigenartige 
Hemdchen, deren Schnitt sonst eigentlich nur in der heissesten Küsten- 
gegend gefunden wird : sie haben weiten Halsausschnitt und sind so kurz, 
dass sie nur die Brüste bedecken. Auf ziemlich lockerem Gewebe von 
grobem Baumwollfadcn sind Brust und Rückenteil sehr reich in blau und 
rot bestickt. Das Blau hat einen eigentümlich matten, hellen Ton, der mir 
sonst nirgends begegnet ist, da die Indianerinnen eigentlich die kräftigen, 
grellen Farben bevorzugen. Zu dem dunkelblauen Rock wird ein sehr 
breiter, roter Leibgurt getragen. 

» * 

* 

Nahezu ein halbes Jahr war vergangen, als wir am Sonntag, den 
l. November, wieder unter strömendem Regen in Los Diamantes ein- 
ritten, wo des Feiertags wegen lebhaftes Markt- und Festtreiben herrschte. 



Schale aus <letn See von Amatitlan 
(*/« »1er nat. Grösse) 


*35 


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Wir meinten, es hätte uns noch ein letzter Gruss der abzichcnden Regen- 
zeit getroffen, denn oben in Guatemala regnete es nicht mehr. Aber es 
fiel Tag für Tag gegen Abend oder während der Nacht starker Regen, 
von heftigem Gewitter begleitet, und wir brachten eine ganze Woche 
unthätig zu, weil die Wege noch sehr schlecht, die Bäche stark angeschwollen, 
und an Moldierarbeiten bei dieser Nässe gar nicht zu denken war. Aber 
die kleinen Ausflüge in die Umgegend, die hübschen Bäder in der klaren, 
von Zuckerrohr umrahmten Quelle, die ein halbes Stündchen vom Hause 
entfernt war, die Besuche bei Kellers in S. Andres — all das war nur ge- 
ringer Trost für die erzwungene Ruhe. Kndlich schien es besser zu werden. 



Juguarkopf am Wege zwischen Palo vcrilc un«l Los Tarros 


Ein starkes Erdbeben während der Nacht, das alles vom Lager aufschcuchte, 
wurde als gutes Anzeichen, als eine Art Krisis betrachtet. Und wenn mir 
auch der Zusammenhang zwischen dem Grollen des Vulkans und dem 
Regenwetter nicht recht einleuchten wollte, so muss ich doch bestätigen, 
dass es sich wirklich aufzuklären begann und wir endlich nach Palo verde 
reiten konnten. 

Dort war bald der Vaquero gefunden, der uns zu den Steinen fuhren 
sollte. Es ging wieder über den Rio Sacjahä, in der Richtung auf I.os 
Tarros zu, aber bald bogen wir vom Wege rechts ab, in den Wald hinein, 
ein dichter, ziemlich trockener Wald. Wo wir vom Wege abbogen, lag 


J36 


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ein grosser behauener Stein, der einen vom Alter und allerlei schädlichen Ein- 
flüssen arg mitgenommenen Jaguarkopf vorstellte. Ein paar hundert Schritte 
waldeinwärts bot sich ein Anblick, der unser Herz vor Freude hüpfen machte: 
da lagen drei prachtvolle grosse Monolithen, auf ihrer Oberfläche mit Skulp- 
turen geschmückt, die an künstlerischerVollcndung den S'“- Lucia-Reliefs nicht 
nachstanden. Man erzählte uns, dass zur Zeit, als die grossen Steine nach 
Berlin geschafft wurden, der Ingenieur Napp daran gedacht habe, auch diese 
hier fortzufuhren. Regierungswechsel, Einspruch des Besitzers scheinen ihn 
daran verhindert zu haben. In der That zeigten die Steine Spuren der 



Stein von Palo verde (*/» der nat. Grösse) 

begonnenen Arbeit zum Zwecke der Absägung der behauenen Oberfläche. 
Auffallend scheint nur, dass Rerendt, der gewissenhaft alle Skulpturen, die 
er sah und deren Fortführung in Frage kommen konnte, abzeichnete, diese 
Steine nicht gezeichnet hat. Heut wäre eine Ausfuhr so grosser Denkmäler 
nicht mehr möglich, da sie gesetzlich verboten ist, und wenn auch dies 
Gesetz fortwährend missachtet wird, so dürfte dies doch nicht so öffentlich 
vor sich gehen, wie cs in einem solchen Falle notwendig geschehen müsste. 

Wieder drängten sich die alten, so oft gestellten, nie beantworteten 
Fragen auf: wo kommen die Steine her? wie kommen sie in diese Lage? 
was bedeuten sie? wer hat sie geschaffen? Sie sind bestimmt, aufrecht 


*37 


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zu stehen, das crgiebt erstens die Darstellung und zweitens das unbe- 
arbeitete Stück am Küssende, das zum Eingraben in die Erde bestimmt 
ist. Aber haben sie jemals aufrecht gestanden? Nichts spricht dafür; 
denn wenn sie gewaltsam, sei es durch Menschenhände, sei es durch 
Naturgewalten, gestürzt worden wären, so wären sie kaum unbeschädigt 
geblieben, und doch zeigten sie, nachdem die Moos- und Erdschicht, die 
sie bedeckte, entfernt worden war, tadellose Erhaltung. 

Wir begaben uns sofort an die Arbeit und begannen Papierabdrücke 
zu nehmen. Mit Hilfe eines Feuers, das wir vor der nassen Molde an- 
zündeten, brachten wir das Papier zum Trocknen. Was wahrend unserer 
Anwesenheit nicht trocknen wollte, wurde durch ein Dach aus Stangen 



Stein von Palo vercle ('/** iler mit. Grösse) 


und Bananenblättern vor drohendem Regen geschützt. Was fertig war, 
wurde auf eine aus Hölzern zusammengebundene Bahre gelegt, deren 
vordere und hintere Enden mein Mann und der Bursche fassten, während 
ich im Schritt mit den drei Tieren voranritt. 

Für die Dauer war diese Art des Transportes den etwa anderthalb 
Meilen langen Weg bis Los Diamantes nicht durchzuführen. Und so 
folgten wir einer freundlichen Aufforderung und siedelten nach der Finca 
Morelia über, wo wir unserm Arbeitsfelde bedeutend näher waren. Morelia, 
ebenfalls deutscher Besitz, liegt dem Fuego ganz nahe, hat infolge davon 
ein weit kühleres Klima; die Nächte waren sehr frisch. Wir verlebten 
auch hier einige angenehme Tage mit den deutschen und schweizer Herren, 
die die F'inca bewirtschafteten. Das Haus war ein erst vor kurzem aus 


JJS 


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Chicago fertig bezogenes Holzhaus, geräumig und bequem. Es lag auf 
einem Hügel, an dessen Fuss sich der malerische Rancho hinzog. Abends, 
nach der Arbeit kamen die Kranken, um sich kurieren zu lassen, was 
einer der Herren ganz trefflich besorgte. Es war eine Anzahl Leute 
darunter, die an Elephantiasis oder einer ähnlichen Krankheit zu leiden 
schienen. 

Endlich, nach mehrtägiger Arbeit, waren unsere Abklatsche fertig. 
Aber ausser den drei Stelen waren noch zwei andere Steine am Orte. 
Den einen hatten die Leute stets als »Mcsa« bezeichnet, und in der That 
glich seine grosse, runde, glatte Oberfläche einem Tisch. Da er nur 
wenig über das Erdreich hervorragte, begannen wir ihn auszugraben. Es 



Stein von Palo verde (’/so der nat. Grösse) 


zeigte sich, dass der Stein ziemlich tief im Boden steckte und es kam 
eine grosse steinerne Krabbe zum Vorschein. Schliesslich war noch ein 
mächtig und tief ausgearbeiteter Reptilkopf vorhanden, der aber auch nicht 
aufgerichtet stand, sondern lag. So hatten wir auf engem Raume bei 
einander sechs schöne Stücke gefunden. Wie viele mögen noch in der 
Nähe verborgen liegen! 

Da wir keine Möglichkeit hatten, unsere Papierformen zu verpacken, 
so machte es einige Schwierigkeiten, sie nach Guatemala zu schaffen. 
Bis nach Se>- Lucia trug sie ein Indio auf einer Rückenkraxe. Von dort 
setzten wir uns damit in den Packwagen, wozu uns zum Glück die ameri- 
kanischen Bahnbeamten die Erlaubnis gaben. 

239 


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Diesmal erging es uns in S>". Lucia besser. Wir hatten heraus- 
gebracht, dass Peor-es-nada heute den Namen Bilbao führte und dass 
dort noch skulpierte Steine zu sehen seien. Man zeigte uns drei mächtige 
Felsblöcke, die nur mit ihrem oberen Teil aus der Erde hervorragten. 
An Arbeiten war aber auch diesmal nicht zu denken. Der Kaffee-Ernte 
wegen waren keine Leute zu haben, und es mussten doch die Steine 
ausgegraben und Sträucher und Bäume beseitigt werden, wozu wir auch 
vom Besitzer noch gar nicht die Erlaubnis hatten. Ausserdem regnete 
es immer noch, woran auch ein starkes Erdbeben nichts änderte. So 
hiess es, noch zum dritten Male wiederkommen. 

* • 



Steinerne Krabbe bei Halo vcrric 


Und ich kam zum dritten Male, aber allein. Mein Mann hatte eben 
erst einen heftigen Fieberanfall überstanden, so dass es für ihn nicht 
ratsam schien, sich dem heissen, feuchten Klima von S ta - Lucia auszu- 
setzen; unser Aufenthalt in Guatemala aber neigte sich seinem Ende zu. 
So blieb nichts übrig, als dass ich versuchte, was ich allein fertig bringen 
könne. Die Erlaubnis von Don Sinforoso zu allen Arbeiten, die zur 
Freilegung des grossen Steines notwendig sein würden, war eingeholt; 
auf die freundliche Unterstützung der beiden jungen Deutschen in der 


t 


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P'errateria durfte ich rechnen; unser Mozo war zuverlässig — • kurz, ich 
konnte getrost hinunterfahren. 

In Escuintla ist Wagenwechsel und Mittagsstation. Das landesübliche 
Essen, das in einer luftigen Halle aufgetragen wird, kann vollauf befriedigen 
und es entwickelt sich ein unterhaltendes Treiben. Ich hoffte, eine Nachricht 
aus S*“- Lucia vorzufinden, ob mich ein Pferd am Bahnhof erwarten 
würde. Die Nachricht war natürlich nicht da. Aber ich traf unsern 
früheren Burschen Turibio, der nach dem Hafen wollte, um sich nach der 



Steinerner Kcptilkopf von l*alo verde 


Heimat einzuschiffen. Turibio sowohl als Cornelio , hatten uns, seit wir 
das erste Mal von S* 11 - Lucia nach Guatemala zurückgekehrt waren, auf 
keiner weiteren Reise mehr begleitet. Turibio wegen der Krankheit, die 
ihn ins Krankenhaus nach Escuintla gebracht hatte, und von der er 
später durch Dr. Scheuer vollständig geheilt wurde; Cornelio, weil er an 
Fieber litt und vor einer zweiten längeren Reise Angst hatte. Beide 
waren aber in Guatemala geblieben und hatten Arbeit gefunden. Wir 
hatten sie öfter gesprochen, auch ihre Korrespondenz mit Tehuantepcc 

Seler, Alte Wege. l6 

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besorgt. Man hatte ihnen von dort geschrieben, dass sie doch zurück- 
kommen möchten, da man ihre Arbeit in der Familie nötig habe; denn 
dort sah es schlimm aus: die Regenzeit war wenig ergiebig gewesen, die 
Maisernte missraten und alle Lebensmittel im Preise gestiegen. Turibio 
hatte erst noch mit seinem Meister — einem Tischler — vierzehn Tage 
auf einer Finca in S. Salvador gearbeitet und konnte einige Krsparnisse 
mit nach Hause nehmen, sah wohl aus und hatte arbeiten gelernt; die Fremde 
war ihm gut bekommen. Nicht so dem hübschen, flinken Cornelio. Fr 
verdiente ein gutes Stück Geld, aber alles vertrank er und hängte es 
an Weiber, so dass er uns schon um Unterstützung gebeten hatte. Wir 
gaben ihm Geld zur Heimreise, aber er dachte nicht an die Heimat, ob- 
gleich sein Vater ihm bis Tapachula entgegengekommen war. Dass ich 
nicht weiss. was aus ihm geworden ist, und annehmen muss, er sei gestorben 
oder verdorben, gehört zu den trüben Erinnerungen der Reise. 

* » 

* 

Wie es mir in S (a Lucia erging, mögen Briefe erzählen : 

S 11 *- Lucia Coz., 10. Februar 97, abends. 

.... Da ich in Escuintla keine Nachricht wegen des Pferdes erhalten 
hatte, war meine Ucbcrraschung doppelt angenehm, als es mich am 
Bahnhofe erwartete. Ein Ochsenkarren, der irgend eine Carga gebracht 
hattd und nun leer zurückfuhr, lud für sechs Real mein Gepäck und 
Pancho auf. Zuerst schien mirs etwas unheimlich, mutterseelenallein auf 
einem wildfremden Gaule zu reiten. Er erwies sich aber als ein frommes 
und fleissiges Tierchen, das einen sehr angenehmen Pass geht. Leider 
werd' ich es nicht so oft benutzen können als ich wohl möchte, denn sein 
Herr, dem ich natürlich gleich meinen Dankbesuch abstattete, braucht es 
selbst. Er nahm übrigens nichts bezahlt, sondern war mit der Ehre 
zufrieden. Ich habe ein Zimmer bei Dona Carolina gemietet (ihren weiteren 
Namen weiss ich nicht), die eine Ticnda hat und ein grosses Haus. Das 
Zimmer ist luftig, mit einer Thür nach dem Hofe; es steht eine gute Lona 
darin, ein Stuhl und ein Tisch mit einem Waschbecken. Es ist reinlich 
und ruhig. — Hier ist es dick bewölkt, als ob die Regenzeit bald beginnen 
wollte, also abends und morgens ganz erträglich; in den Mittagsstunden 
aber soll es furchtbar heiss sein. W. (einer der oben erwähnten Deutschen) 
ist fieberkrank, Don Sinforoso auf einer entfernten Finca; hoffentlich hat 
er dem Verwalter Bescheid gesagt. Morgen kann ich ohnehin nicht zu 
arbeiten anfangen, denn da heute Fiesta ist, so sind morgen wahrscheinlich 
alle Arbeitskräfte unbrauchbar, ln Agunä sollen prachtvolle Steine sein. 
Wenn ich hier fertig bin und ein Pferd geliehen bekomme, möchte ich 
hinreiten, es sind nur wenige Leguas. Wie mir scheint, werde ich in 
einer Woche kaum alles schaffen können. Zwischen hier und Pantaleon 


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»■* 


TAFEL XLIV 



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sollen auch noch Steine liegen: man spricht von einem »Potrero del 
Idolot, der zu Pantaleon gehört, und von einer Finca »El Castillo«, die 
unserm Freunde Don Vicente gehört. Aber genaues ist natürlich nicht 
zu erfahren. Ohne Pferd ist man ganz hilflos und kann sich nicht umthun. 

II. Februar. 

.... Heute war ein fauler Tag, der mit Vorbereitungen verging. 
Der Verwalter war verständigt: hier gab es also keine Schwierigkeiten. 
Aber Arbeitskräfte konnte er nicht stellen, da alle Leute weit weg sind 
»para rozar« (d. h. ihre Felder vom Unkraut und frisch aufgeschossenem 
Gestrüpp zu reinigen und zur neuen Saat vorzubereiten). Im Gemeinde- 
haus, wo ich auf meinen Hrief pochte, hat man mir aber zu morgen 
früh drei Indianer versprochen. Da die Sonne jetzt sehr scharf brennt, 
braucht nicht viel heruntergehauen zu werden, um das Papier zum Trocknen 
zu bringen. Aber das untere Stück des Steines muss ausgegraben und 
ein Stück Drahtzaun beseitigt werden. Den Adlerstein habe ich noch 
nicht gefunden. (Es sollte nämlich ein zweiter, dem bei S. Jose 
versunkenen ähnlicher, vorhanden sein.) Wenn ich am Dienstag in Bilbao 
fertig werde, will ich am Mittwoch nach Agunä; auch über Steine bei 
Patulul hat mir ein amerikanischer Ingenieur Notizen versprochen. Diesen 
Herrn hab’ ich neulich bei Tisch im Hotel kennen gelernt, wo mich zwei 
einheimische Damen, mit denen ich zusammen esse, zu seinem Beistand 
aufriefen: der Unselige konnte nämlich trotz mehrjährigen Aufenthaltes im 
Lande so gut wie gar kein Spanisch, und das wenige, was er konnte, 
verstand kein Mensch. So was kann einem Deutschen entschieden nicht 
geschehen. 

Heut traf ich zu meiner Ueberraschung Turibio wieder, den ich unten 
im Hafen wähnte. Die Ueberfahrt sei jetzt so teuer, dass er laufen wolle. 
So will er denn von hier nach Tapachula. Dort wäre er ja schon halb 
zu Hause und würde auch weiter kommen. Er war schlecht auf Cornelio zu 
sprechen. 

Pancho benimmt sich sehr gut. Als ich gestern aus dem Hotel 
kam, wo ich meine Abendschokolade getrunken hatte, wartete er draussen 
auf mich, da der Fiesta wegen so viel Betrunkene auf der Strasse unter- 
wegs seien. 

Als ich heute nachmittag auf der Strasse war, kam ein indianisches 
Leichenbegängnis mit Kerzen tragenden Frauen und einem Klageweibe. 
Zehn Schritte hinterher ein elender Clown auf einem Klepper, der in den 
üblichen jämmerlichen Versen das »publico galan« in den Zirkus locken 
wollte. Kein Mensch schien den schreienden Gegensatz zu empfinden: 
man lachte ebenso über das Geheul des alten Weibes, wie über die 
Mätzchen des Hanswursts. Gerade so gut hätte man über beides weinen 
können. 

iG* 


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12. Februar. 

Heute ganz früh zog ich mit meinen drei Arbeitern aus. Es dauerte 
über vier Stunden, ehe wir das Ungetüm von Stein freigelegt hatten, denn 
er steckte noch eben so tief in der Erde als er darüber hinaus ragte. Natür- 
lich ist die frisch ausgegrabene Hälfte viel besser erhalten als die andere. 
Schade, dass Du ihn nicht siehst; er ist wirklich »muy galan«. Er ist 
ungefähr 3,75 m lang und 3,50 m breit, so dass ich ihn in zehn Teilen 
abzuformen gedenke, die dann immer noch reichlich gross werden. Da 
es am Nachmittage sehr heiss war und sich stark bewölkte, so lohnte es 
nicht mehr anzufangen, da doch nichts fertig geworden wäre. Morgen 
denk' ich früh an die Arbeit zu gehen. Ob es lohnt, die beiden andern 
Steine abzuformen, weiss ich nicht. Von Steinen zwischen hier und 
Pantaleon weiss kein Mensch etwas. Wenn ich nur ein Pferd hätte! 

* • 

* 

Der Brief vom folgenden Tage klingt sehr niedergeschlagen. Die 
Grösse des Steines und seine schräge Lage machten mir, da ich sehr 
klein bin, wirklich Kummer, denn ich konnte beim besten Willen die mittleren 
Teile nicht erreichen. Endlich kam Pancho auf den guten Einfall, eine 
Art Gerüst zu bauen: wir steckten zwei starke, gabelförmige Aeste zu 
beiden Seiten des Steines in die Erde und legten einen andern quer 
darüber. Auf diesem konnte ich hocken, während mir der Bursche die 
eingeweichten Papierblätter zureichte. Auch war das Papier, das man uns 
nachgeschickt hatte, ziemlich hart und arbeitete sich sehr schwer. Ich 
kroch am Abend jenes ersten Arbeitstages recht betrübt auf meine Lona. 
Aber schon am nächsten kehrte mir der Mut zurück. 

• * 

14. Februar. 

Drei Molden sind fertig! Eine habe ich wegen der sonderbaren 
Einknickung, die der Stein links unten hat, in zwei Teilen machen müssen; 
eine andere hat auf dem Transport gelitten, so dass ich ein Stück davon 
noch einmal machen muss. Kurz und gut, ich sehe ein, dass ich zur 
Bewältigung des Ungeheuers sicher sechs Tage gebrauchen werde. 

Da im Hotel sehr spät aufgestanden wird, gehe ich mit Pancho 
zusammen zu einer Frau, wo viele Arrieros frühstücken. Dort bekomme 
ich sehr gute Schokolade und lockeres »Pan de huevos«. Dann wandern 
wir nach Bilbao — eine gute halbe Stunde bis zum Stein — und das 
Klopfen geht los. Pancho ist nur zum Wasser holen und Papier einweichen 
zu gebrauchen, und selbst das gelingt ihm nicht immer. Auch beim 
Lackieren kann er helfen. Nach einem Abschnitt muss ich ausruhen, da 
ich wie aus dem Wasser gezogen bin; der Sch weiss rinnt mir über die 


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Sleiu-Kelief bei Sla. Luclu 


Augen. Nach einer Viertelstunde kann ich weiter arbeiten. Uni 1 1 Uhr 
gehe ich nach Hause: waschen, umziehen, frühstücken, die Abdrücke vom 
Tage vorher nahen und lackieren. Dann Comida (Mittagbrot). Ein Viertel- 
stündchen wird geplaudert. Dann geht’s nochmal nach Bilbao, um das 
abzuholen, was am Vormittag gemacht wurde und inzwischen getrocknet 
ist, denn da der Stein ausserhalb des eingehegten Cafetales liegt, könnte 
doch eine neugierige Kuh oder ein Vogel meine mühsame Arbeit respekt- 
los über Nacht verderben. Wir legen die trockenen Papierformen auf ein 
paar Stangen, Pancho fasst vorn an, ich hinten, und so ziehen wir zum 
Gaudium der Leute nach Hause; erst durch den Wald, dann bei den einzeln 
stehenden Gehöften der Indianer vorbei, zuletzt durch die Strassen. — 
Abends geh' ich noch einmal in den Gasthof, um eine Schokolade zu 
trinken, wobei ich meist noch eine Ansprache finde, und falle schliesslich 
todmüde auf mein Lager. Ich bin froh, dass mir das Klima nichts thut. 
J. und K. (zwei Deutsche) haben auch leichte Fieberanfälle. 

* * 

* 

Da sich die Arbeit in die Länge zog, kam mein Mann herunter, um 
mir zu helfen, bekam aber in der feuchten Schwüle sofort wieder einen 
Fieberanfall und musste schleunigst zurückfahren. Auch unserm braven 
Pancho, meinem bisher getreuen Helfer und Wächter wmrde die Sache 
langweilig. Er hatte schon lange Sehnsucht nach der Heimat — ich 
werde mich im nächsten Kapitel genauer mit ihm zu beschäftigen haben. 
Nach Aguna wollte er nicht mit: da sei F'ieber und der Verwalter sei 
gestern gestorben. Ich glaube, er band mir ein Märchen auf, aber er 
wollte eben nicht. Ausserdem war kein vernünftiges Pferd zu haben. 
Unter diesen Umständen und da auch die Zeit drängte, gab ich alle meine 
weiteren Pläne auf: Patulul, Agunä, Castillo, l’otrero del Idolo sanken 
ins Keich der Träume zurück und harren auf einen andern, der sie erlöst. 

Endlich war mein Stein fertig abgeformt. Ich nahm noch eine 
Fotografie, die leider nicht nach Wunsch geriet; denn da ich durchaus 
keinen Abstand gewinnen konnte, musste ich die Aufnahme auf zwei 
Platten machen, deren eine nicht mehr tadellos arbeitete. Zudem geht 
ein Stachcldraht quer über das Bild, und die linke untere Ecke ist von 
einem Baumstamm verdeckt. Trotzdem gebe ich cs hier wieder, weil 
doch die Hauptsache, die prächtige Reliefdarstellung ziemlich gut zu 
sehen ist. 

Ein zweiter, nicht ganz so grosser Felsblock mit Figuren lag mitten in 
einer Kaffeepflanzung, ein paar hundert Schritt vom ersten entfernt. Er 
zeigte zwei Figuren, aber ich konnte ihn nicht fotografieren und auch 
keinen Papierabdruck davon nehmen, da unmittelbar vor ihm ein Kaffee- 
Strauch stand, den der Verwalter durchaus nicht cntlernen wollte, obgleich 


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ich ihm den Wert einer fünfmaligen Ernte der Pflanze anbot. Don Sinioroso 
aber war immer noch auf seiner entfernten Finca. Ein dritter Stein wurde 
schliesslich noch fotografiert. Er war kleiner, das Relief zierlicher und 
mehr abgerieben. Auch er steckt noch ein gut Stück in der Erde. 

Ohne Arbeiter, mit einem heimwärts strebenden und daher unwilligen 
Diener blieb mir nichts übrig, als am at. Februar meine Thätigkeit einzu- 
stellen und von S'* Lucia Abschied zu nehmen. Man tragt aber immer 
eine stille Liebe im Herzen zu einem Orte, an dem man im Schweisse 
seines Angesichts gearbeitet hat. 


!iorstmi:i con trs i <■ rv u I.. |l.os DUmaut'-s S.hlucht Ciaimv.i 


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Pachyrhizus pal in atil obus Bcnth. (zwischen liuaxuc kanal um! Quen -Santo) 



ZEHNTER ABSCHNITT. 

Chaculä. 

1. Juni bis 1. Oktober 1896. 

Aufbruch. — Unsere Tiere. — Poncho. — Regenzeit. — Der Atitlaasec. — Hin schlimmes 
Nachtquartier. — Maskentäuzc. — Quexaltenango. — Reise. — Huehuetenango. — Die alte 
Feste Zac-uleu. — Huaxac kanal. — Unsere Wohnung. — Don Antonio Rotnero. — Unsere 
Nahrung. — Unsere Arbeiter. — Bei der Arbeit. — Die Höhlen. — Die alte Stadt — Hin 
Tagewerk. — Der Weg nach Quen-Santo. — Die Cueva de los Pajaros. — Seltsame Lektüre. 
— Von Schlangen und Pferden. — Von Wunden. — In der Hacienda. — Andachten. — Freie 
und Hörige. — Yalombohoch. — Nach Comitan. — Chincoltic. — Kein Fortkommen. — Don 
Antonios Streich. — Endlich! — Rückreise. — Der Zypressen wähl. — Sta. Elena. — Ein 
Aussichtspunkt. — Tecpam Guatemala. — Herrn Thoins Sammlung. — Die Mühle. — Ein 

Blick auf Guatemala. 


Die Hinreise. 

Nach langer mühsamer Reise waren wir in Guatemala eingezogen 
und ich will freimütig eingestehen, dass mich der Gedanke nicht mit Be- 
geisterung erfüllte, ein gut Stück des Weges nach verhältnismässig kurzer 
Zeit in umgekehrter Richtung wieder zurückzulegcn, bis nahe zur mexi- 
kanischen Grenze, dorthin, wo uus die alten, heimischen Götter zum ersten 
Male wieder gnädig zugelächelt, nachdem sie so manchen Tag ihr Antlitz 
vor uns verhüllt hatten. 

Viele Wege führen nach Rom und manche nach Chaculä, und wir 
nahmen für den ersten Teil bis Chiantla den Weg über Quezaltenango, 


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der zwar ein wenig weiter, aber viel schöner, ja an landschaftlichen Reizen 
so reich ist, wie wenig andere. 

Unsere Pferde waren verkauft, unsere Mozos waren krank. Wir 
mussten also die Karawane erneuern. Mein Mann hatte für sich ein 
hübsches Maultier erstanden, dem ich an dieser Stelle einige warme Worte 
der Anerkennung zollen muss. Diese Mula war schön, kräftig und ging 
einen gleichmässigen langen Schritt. Dabei war sie gutmütig und durchaus 
nicht störrisch oder eigensinnig, wie Mulas pflegen. Nur ging sie ungern 
durchs Wasser und konnte beladene Indianer nicht leiden, dagegen lernte 
sie sehr bald botanisieren, d. h. sie 
blieb ruhig neben dem Pflanzen- 
bündel stehen, wenn mein Mann 
abstieg, um Pflanzen einzulegen. 

Ich hatte es nicht ganz so gut 
getroffen. Mein Pferdchen war 
ein Kind der Ebene und in dieser 
ging es prächtig auf unbeschla- 
genen Hufen. Sobald wir aber 
ins Gebirge kamen und es be- 
schlagen werden musste, ging es 
stolperig und unsicher, was bei 
den durch Regen schon glatt ge- 
wordenen Wegen und in dem Kalk- 
gebirge eine unbehagliche Sache 
war. Als wir unser Ziel erreicht 
hatten, konnte ich es gegen einen 
starken, sicheren Grauschimmel 
Eduard Kanters von der Trinidad 
eintauschen. Man verzeihe mir, 
dass ich so lange bei den Tieren 
verweile, aber wer da weiss, was 
ein gutes Reittier in jenen Ländern 
bedeutet, wird mirs nicht verargen. 

Die braune Mula, der Grauschimmel und das brave Tier des Mozo sind 
uns treue Gefährten gewesen, bis wir das Land verlassen haben. 

Ein guter Mozo war in der Hauptstadt schlechterdings nicht aufzu- 
treiben. Es giebt in den umliegenden Dörfern genug Leute, die sich 
gut zum Kedienen der Pferde eignen, aber zu persönlichen Dienstleistungen 
sind sie nicht zu gebrauchen. Man vertröstete uns auf Quezaltenango 
und dort fanden wir auch nach langem vergeblichen Suchen Pancho. Er 
war ein Mexikaner aus S. Cristobal. Was ihn veranlasst hatte, über die 
Grenze zu gehen, haben wir niemals mit Sicherheit herausgebracht. Wahr- 



rancho 


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scheinüch war er desertiert, wenn er nicht was Schlimmeres auf dem Ge- 
wissen hatte. Er war anstellig und anhänglich, nur wenn er betrunken 
war — und niemand wird sich darüber wundern, dass er es manchmal 
war, weit eher darüber, dass er es selten war - schimpfte er. Er behandelte 
die Tiere gut, konnte auch ein wenig kochen und war sehr anstellig. Nur den 
Indios gegenüber fühlte er sich, mehr als uns recht war, und behandelte 
sie von oben herab, als ob er ihr Herr wäre und sie ihm unbedingt zu 
gehorchen hätten. Für ihn waren sie »gente sin razon«, wie sie in den 



Der Atitlnn-Sec mit «1 «* m Vulkan S. I* c <1 r o 


Zeiten der spanischen Herrschaft von ihren Herren in kindischer Uebcr- 
hebung genannt wurden. 

So reisten wir denn am I. Juni von Guatemala ab in Begleitung eines 
Arrieros, der uns mit einigen Packtieren und seinem Mozo nach Quezal- 
tenango brachte. Von Antigua nach Quezaltcnango führt eine fahrbare 
Poststrasse ujid es besteht — mit Ausnahme der schlimmsten Regenzeit — 
ein regelmässiger Verkehr. Aber es giebt ausserdem einen Reitweg, der 
zwar nicht näher, aber bei weitem schöner ist, und diesen wählten wir. 
Er zweigt erst in Patzizia, einem grossen Indianerdorf, von der Strasse 
ab, die bis dahin ziemlich eben und langweilig über Chimaltcnango und 
Zaragoza führt. Wir hatten schon von der beginnenden Regenzeit zu 


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leiden und kamen ziemlich nass am Ziele unseres ersten Tagemarsches, 
in l’atzun, an. Die beriihmle tägliche Regelmässigkeit der Regenperiode, 
nach der man angeblich seine Uhr stellen kann, besteht durchaus nicht 
überall. Im allgemeinen kann man sagen, dass cs an der Küste regel- 
mässiger regnet als im Gebirge, und dass die Niederschläge im Beginne 
des Sommers unregelmässiger verlaufen. Es müssen aber auch die Wind- 
verhältnisse in Rechnung gezogen werden. Ja, es tritt mitten in der Regen- 
zeit eine trockene Periode von einigen Wochen ein — die Canicula — 
auf die man aber nicht mit allzu grosser Bestimmtheit rechnen sollte, wenn 
man keine Enttäuschungen erleben will. 

Wohl ist der Wald der Tropen herrlich in der Fülle seiner Formen; 
herrlicher die Gehänge der Berge, wo zur Form auch Farbe und rieselndes 
Wasser sich gesellen. Von wundervoller Herrlichkeit und Grösse aber 
ist die Landschaft, durch die der zweite Reisetag uns führte. Hoch über 
dem Ufer des tief eingesenkten Sees von Atitlan geht der schmale Reit- 
weg. Hin und wieder umfasst das Auge die ganze weite Fläche, ahnt 
die vielen Buchten und Winkel, schwelgt in den machtvollen Linien der 
Berge, der Vulkane Atitlan und S. Pedro, und schweift über die Ein- 
senkungen zwischen ihnen hinüber bis zu dem schimmernden, leuchtenden 
Streifen am Horizont: dem Weltmeer. Manchmal schiebt sich ein Vor- 
sprung zwischen den See und den Weg, und dieser senkt sich ein wenig, 
dann taucht der Blick in waldige Schluchten und zwischen den dunkeln 
Scitenwänden blitzt das Wasser hindurch. Einsam, in stiller Grösse, ruht 
die Landschaft zu unsern Füssen: kein Fahrzeug furcht die metallene 
Fläche, kein freundliches Haus blickt aus dem dichten Ufergrün. Die 
wenigen Ortschaften am See sind teils in Buchten versteckt, teils liegen 
sie eine Strecke landeinwärts, von Wald und Hügel verborgen. Diese 
Einsamkeit, diese Stille erhöhen den Eindruck der Grösse, des Friedens, 
den jede unberührte Natur auf den Menschen macht. Aber dieser Friede 
ist trügerisch. Der See ist tückisch — daher seine Stille; die Berge sind 
thatige Vulkane. Jetzt lagen vereinzelte Sonnenstrahlen über der Fläche 
und zerrissene Wolken wehten über den Gipfel des S. Pedro. Aber 
wunderbar muss auch das Schauspiel sein, wenn der Berg Feuer auswirft 
und der See aufgewühlt zu seinen Füssen schäumt. Diese wundervolle 
Unberührtheit ist es ja, was wir von Kultur überall eingeengten Europäer 
bei uns zu Hause stets vergeblich suchen, was immer mehr und mehr 
Sehnende in die höchsten und gefährlichsten Alpenhöhen und in ferne 
Lander treibt. Hier ist kein Hotel neben dem Krater des Feuerberges 
errichtet, keine Dampfpfeife stört die Ruhe der Luft, keine Touristen be- 
lästigen den andächtig Geniessenden. Höchstens das »Adios Patron« eines 
beladenen Indios, oder der Gruss eines einsamen Reiters schlägt an 
sein Ohr. 


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Wir dankten den Regengöttern, dass sie uns den Genuss dieses 
Reisetages nicht verkümmert hatten. Es begann erst zu regnen, als wir 
schon das schützende Dach des Meson von Sololä erreicht hatten. 

Von Sololä aus kann man in einem allerdings sehr starken Tagemarsch 
Quezaltenango erreichen. Doch als es bereits um 1 «2 Uhr wieder zu regnen 
begann, beschlossen wir, in dem grossen Indianerdorf Nahualä zu bleiben. 
Es ist nicht nur ein grosses, sondern auch ein reiches Dorf, und seine 
Einwohner bilden eine kleine Insel im Staate, wie das bei grossen, ge- 
schlossenen Indianer-Gemeinden nicht selten ist. Sie haben durch Zahlung 



Blick auf den Atltlan-Sec 


einer grossen Summe ihre Militärpflicht abgelöst (ob allerdings bei Bürger- 
kriegen, mit denen ja hier leider immer gerechnet werden muss, der je- 
weilige Machthaber diese Befreiung berücksichtigt, mag billig bezweifelt 
werden); sie zahlen ausserdem jährlich eine Summe für die Vergünstigung, 
keinen Branntwein -Ausschank in ihrem Dorfe zu dulden. Nur einmal im 
Jahre darf dies Gift in unbeschränkter Menge hereingebracht werden, 
denn einmal muss jedermann über die Stränge schlagen, und das ist am 
Tage ihrer Fiesta, dem grossen Tage einer jeden Gemeinde, sie sei gross 
oder klein, Dorf oder Stadt. Für Nahualä ist dieser grosse Tag Corpus 
Christi, und wir hatten das Unglück, gerade an diesem Tage dort ein- 


* 5 * 


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EUtreffen. Es gehört wirklich nicht zu den Annehmlichkeiten des Reise- 
lebens, an einem Festtage in einem Indianerdorfe zu übernachten. Im Pfarr- 
hause waren so viele Gäste, dass kein Winkel frei war, auch im Innenraum 
des Schulhauses war nicht unterzukommen. Nur eine Ecke unterm Dach des 
Gemeindehauses war noch frei, und in der Nähe ein regengeschütztes Plätzchen 
für die Reittiere, die wir bei diesem Zusammenfluss von Menschen natür- 
lich nicht aus den Augen lassen durften. Mit Mühe und Not brachten 
wir die Schulmeistersfrau dazu, etwas für uns zu kochen; ihr Mann war 
betrunken wie das ganze Dorf, die Köchin ebenfalls, die Töchter waren 
in der Kirche. Noch schwieriger war es, Futter für die Pferde zu be- 
schaffen. In den Häusern war entweder niemand, weil alle Insassen den 
Tänzen zuschauen wollten, oder sie waren 
alle so betrunken, dass nichts mit ihnen 
anzufangen war. Der Pfarrer hatte selbst 
alle Hände voll zu thun, der Secretario war 
nicht zu finden, der Schulmeister unzurech- 
nungsfähig, alle andern waren Indianer und 
also gegen die Fremden von vornherein miss- 
trauisch. Dazu goss der Regen in Strömen nie- 
der. — Als Entschädigung für all das Unbe- 
hagen mochte es gelten, dass wir die Fest- 
tänze mit ansehen konnten, die im Patio des 
Pfarrhauses aufgeführt wurden. Es waren 
Maskentänze, wie sie in vielen Indianerdörfern 
zu finden sind. Zweifellos ist die Gewohn- 
heit solcher Tänze in ununterbrochener Folge 
von früheren Zeiten her fortgeführt worden. 

Aber wie es die Mönche so trefflich ver- 
standen haben, an Stelle der alten Gottheiten 
überall die christlichen Götter und Heiligen 
zu setzen, so haben sie auch die alten 
Tänze der neuen Religion dienstbar gemacht, und so dienen heute so- 
wohl wie in alter Zeit die Maskentänze zur Erhöhung der kirchlichen 
Feste. Ueber die Bedeutung und den Inhalt des Tanzes konnte ich nicht 
ins reine kommen; einen Zusammenhang mit dem Frohnleichnamsfeste 
wusste ich nicht herauszufinden. Teufelsmasken, auch andere derbkomische 
Masken spielten eine Hauptrolle beim Tanze, der ernst begann und aui 
burleske Art endigte. Vielleicht würde sich beim genaueren Studium 
dieser modernen indianischen Maskentänze noch mancher Anklang an 
längst vergangene Zeiten auffinden lassen. 

Der Lohn für das ungemütliche Nachtlager blieb aus: am nächsten 
Tage begann es schon am frühen Morgen zu regnen. Es waren nur sechs 

>53 



Indianerin ;»us »1er U ingegend 
von Quezaltenango. 

Nach einer in Qaezaltenango 
erworbenen Fotografie 


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Lcguas bis Quezaltenango, aber »leguas largas«. Kin hohes Gebirge 
war zu- überschreiten, das gewiss herrlich war, aber im dichten Nebel- 
regen sahen wir nur schattenhaft Baume und Büsche an uns vorüber ziehen. 
Unsere Tiere waren müde und hungrig, wir waren nass und kalt, so gingen 
wir, um uns zu warmen, den grössten Teil des Weges zu Fuss und sassen 
erst im Thale wieder auf. Als wir bei den deutschen Gastfreunden abstiegen, 
waren wir wie aus dem Wasser gezogen. 

Wahrend der folgenden Woche, die wir in Quezaltenango zubringen 
mussten, schien die Sonne wie zum Hohne blank und lustig ins Thal. 
Freilich, die dunklen, schweren Wolken, die am Gebirge hingen, liessen 
nichts gutes erwarten; und wirklich — kaum waren wir ein paar Stunden 



Cerro Quemudo vom Wcpc nach Almolougu 


zur Stadt hinaus — so begann es wieder zu regnen. Aber jetzt ver- 
fugten wir über ein paar tüchtige Regenmäntel, die wir in einem der 
grossen Importgeschäfte hatten erwerben können. 

Quezaltenango — die Quiche-Indianer nennen es Xelahuh — steht 
an zweiter Stelle unter den Städten der Republik Guatemala und ist eine 
Rivalin der Hauptstadt, die es gewiss bald überflügeln würde, wenn 
es eine Eisenbahnverbindung zur Küste hätte. Auch hier nehmen unter 
den vielen grossen Importgeschäften die deutschen den ersten Rang ein. 
Aber nicht nur mit europäischen Waren jeglicher Art wird von hier aus 
das Land in weitem Umkreis versorgt, auch für mancherlei indianische 
Bedürfnisse ist Quezaltenango der grosse Markt, z. B. für den derben 
Baumwollstoff, aus dem die dunkelblauen Weiberröcke bestehen, und für 

2 54 


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die Masken, die zu den Festtanzen gebraucht werden. Hier kreuzen und 
treffen sich viele grosse Strassen und Wege, die nach der Küste hinunter, 
nach Champcrico und Rctalhuleu, ins Mexikanische hinein, nach Tapachula 
und Comitan, nach der Hauptstadt und noch in mancher andern Richtung 
laufen, daher ist stets Bewegung und Leben in der Stadt. Ihre Lage auf 
unebenem Boden bringt es mit sich, dass sie nicht unerheblich von dem 
langweiligen Schachbrett-Stil der meisten amerikanischen Städte abweicht. 



Der einpestürzte Krater de* Cerro Qucmado 


Ausserdem besteht der überwiegende Teil ihrer Bevölkerung aus Indios. 
Und so kommt es, dass sie viel mehr charakteristisches Gepräge zeigt 
als die Hauptstadt. Von welcher Seite des Gebirges man sich auch 
nähert, überall sieht man beim Herabsteigen den Ort liegen inmitten eines 
weiten, wohlangebauten Hochthaies. Die Felder sind gegeneinander ab- 
gegrenzt durch Streifen hohen, in Büscheln wachsenden Grases, wodurch 
von weitem die Erinnerung an die holsteinischen Knicks hervorgerufen 


*55 


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wird. Im Westen heben sich unmittelbar hinter der Stadt zwei mächtige 
Vulkane, der S'*- Maria und der Cerro Quemado empor. Der S ,a - Maria 
zeigt die Kegelform eines Vulkanes in seltener Vollendung; der Cerro 
Quemado aber, der »verbrannte Berg«, bietet das Bild wilder Zerrissenheit. 
Sein auf einer Seite abgebrochener Krater ragt als scharfer Grat empor. 
Um seinen Kuss windet sich der Weg nach dem vielbesuchten Schwefel- 
bad von Almolonga, der weiterhin nach S. Felipe und Retalhuleu führt. 
Ausser den Schwefelquellen und dem malerischen Anblick seines ein- 
gestürzten Kraters, haben die Bewohner der Stadt dem Cerro Quemado 



Cerro Huc inailo von Quczaltcnango aus 


auch das vorzügliche Baumaterial zu danken, das für die Häuser 
Quezaltcnangos zur Verwendung gelangt: ein weisses, trachytartigcs 

Gestein, das an vielen Stellen gebrochen wird. 

Infolge seiner hohen Lage, 2500 m über dem Meeresspiegel, herrscht 
im Thale das ganze Jahr hindurch eine ziemlich kühle Witterung, die in 
den trockenen Wintermonaten sogar kalt und rauh ist. Das Klima soll 
sehr gesund und die Stadt von Krankheiten wenig heimgesucht sein. 
Doch sagte man uns, dass die Indianer häufig an Herzerweiterung litten, 
vermutlich eine Folge des Tragens schwerer Lasten in dieser Höhe. — 
Mais und Kartoffeln, Weizen, Gerste und Hafer gedeihen nebeneinander. 


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TAFliL XI.V 



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Der S“>- Maria und der Ccrro Quemado von der Höhe hinter Olintepec aus gesehen 


Auf den unbeackerten Flächen sprosst überall das hohe Kaupengras empor, 
das für die Landschaften zentralamerikanischer Hochebenen charakte- 
ristisch ist. 

Die Thalcbcnc von Quezaltenango ist klassisches Gelände. Hier 
stellten sich dem Pedro de Alvarado die Quiche zum Entscheidungskampfe 
entgegen, im Vertrauen auf ihre Uebermacht und ihre entschlossene 
Tapferkeit. Aber die Reiterei der Spanier entschied die Feldschlacht. 
So viele Indianer wurden erschlagen, dass ihr Blut den F'luss von Olintepec 
rot färbte, und noch heute heisst er bei den Eingeborenen: Kikel-jä, der 
Blutfluss. — Auch im Unabhängigkeitskrieg und in den Bürgerkriegen 
war Quezaltenango der Schauplatz heftiger Kämpfe und erlangte traurige 
Berühmtheit durch so manches Standgericht und vielerlei Gewaltthaten. 

Es war nicht ganz leicht, einen Arriero für unser Gepäck zu finden, 
denn alle sind gegen die Küste oder nach dei Hauptstadt zu unterwegs, 
aber nach der Gegend, in die unser Weg führte, mochte keiner gehen. 
So kam es, dass wir hier länger bleiben mussten als geplant war. Herr 
Sauerbrey, der Vertreter des Hauses Keller & Cie., war uns die Zeit über 
ein freundlicher Wirt und half uns getreulich in unsem Nöten. Nicht nur 
diesmal, sondern auch späterhin, ja noch zur Zeit als wir schon wieder in 
Europa waren, förderte er unsere Ziele und Zwecke umsichtig und bereit- 
willig, wofür wir ihm zu grossem Danke verpflichtet sind. 

• * 

* 

Auf dem Wege, den wir Mitte Juni von Quezaltenango aus antraten, 
kehrten wir Mitte September dahin zurück. Er bot nichts sonderlich 
bemerkenswertes. Die Gegend ist dünn bevölkert und die Natur ziemlich 
einförmig. Ein guter, fahrbarer Weg führt in mässigem Anstieg nach 
dem Dorfe Olintepec, an einem Flusse gelegen, der sein Wasser dem 
Stillen Ozean zuführt. Von Agaven eingefasst, hinter denen Weizen- und 
Maisfclder sich breiteten, von Karren, Packtieren, Indianern und modernen 
Gefährten belebt, rief diese Strecke sizilianischc Erinnerungen wach. 
Oberhalb Olintepec geht es scharf in die Höhe, zum letzten Male öffnet 
sich ein Blick über den Thalkessel von Quezaltenango, prächtig überragt 
von dem langen Zackenkamm des Cerro Quemado und dem spitzen Kegel 
des S' a - Maria, die über den Wolken emporsteigen. Die erste kurze 
Tagereise endete in Zija. Auf dem Wege trafen wir Haferfelder an. Dazu 
kalter Regen und die scharfe Höhenluft, da war uns wenig tropisch zu Mute. 

Von Zija steigt der Weg stetig bis zu einer Höhe von 3300 m. 
Oben stehen prächtige Edeltannen; die Vegetation erinnert in allen Stücken 
an die der Llanos zwischen Todos los Santos und Chiantla. Ein schöner 
Blick öffnet sich in eine hübsche, von hohen bewaldeten Hängen über- 
ragte Thalmulde, in der das stattliche Indianerdorf Calel liegt, und ein 

Sei er. Alle Wege. 17 

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langer Abstieg zwischen Weizenfeldern und unkultivierten Grasflächen fuhrt 
abwärts über einen lehmigen Hang. Dies war eine schlimme Stelle, denn 
der Lehm war infolge des Regens so glatt geworden, als wäre er mit 
Seife eingeschmiert, und die Tiere hatten Mühe, vorwärts zu kommen. 

Nun ging es durch wechselnde Landschaften hinunter; zuerst im 
Zickzack über Grashängc; danach durch ein Thal, das mit seinem über 
Felsen springenden, von Baumen umsaumten Bach, mit seinen waldigen 
Hängen und einzelnen Hütten aufs lebhafteste an die Scenericn der Vor- 
alpen erinnerte; zuletzt durch 
Kiefernwald in das tiefe, von den 
Gewässern in unglaublicher Weise 
zerrissene Thal von Agua Ca- 
lientc. Die Hütten des Ortes 
liegen weit verstreut in dem viel- 
fach verzweigten Thale; das Ge- 
meindehaus und ein primitives 
Badehaus befinden sich bei der 
warmen Quelle. In Europa würde 
dieses klare und heisse Wasser 
wahrscheinlich grossen Ruf haben 
und ein eleganter Badeort die 
Stelle der ärmlichen Rancheria 
einnchmen. 

Nadelgehölz bleibt der vor- 
herrschende Zug im Landschafts- 
bilde, das nicht viel Abwechslung 
bietet: Kiefernwald, hier und da 
ein Rancho, Maisfelder und schöne 
Ausblicke auf ferne Bergketten 
und waldige Hänge. Die Jornada 
bis Malacatan war lang, die Wege 
glatt, die Witterung trübe und 
regnerisch, die Tiere hungrig und 
müde und auch wir waren des 
ewigen Hinauf und Herunter überdrüssig. So stiegen wir bei einem langen 
Abstieg von den Tieren und ich ging in schnellem Schritt bergab, ohne 
mich um die andern zu bekümmern. Ich kam unten an und setzte 
mich wartend am Wegrande nieder. Niemand kam. Ich wartete immer 
noch und schon stand die Sonne bedenklich tief. Da sah ich endlich 
meinen Mann, der trübselig die schwarze Mula des Burschen am Zügel 
führte. Was war geschehen? Der braunen Mula war es eingefallen, dass 
cs gut sei, nach dem langen Tagemarsch ein wenig zu grasen, wobei sie 



Indianer mit Tr ng band 
aus der Gegend von Quczaltenango. 
Nach einer in Ouezaltenango erworbenen 
Fotografie. 


25S 


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abseits ging- Als sie merkte, dass man ihr das verwehren wollte, kratzte 
sie ans, und da ihr eine fremde, grasende Mula in den Weg lief, so fing 
auch die an zu laufen, und das rote Pferdchen konnte natürlich der Ver- 
suchung nicht widerstehen und rannte mit. Und so rasten nun die drei 
den Weg zurück, den wir gekommen waren, und mein Mann und der 
Mozo rasten hinterdrein. Meinem Mann ging bald der Atem aus, er 
kehrte um und schlich in düsterste Gedanken versunken in den beginnenden 
Abend hinein; und so fanden wir uns. Was nun, wenn die Tiere in den 
meilenweit sich erstreckenden Wald liefen? Wenn sie einen Liebhaber 



fanden? Wenn nun Pancho, den wir doch erst seit zwei Tagen kannten, 
unehrlich war und mit den Tieren durchging? Wenn sie sich bei der 
wilden Jagd verletzten? Ganz abgesehen von dem schweren Geldverlust 
- — wie sollten wir weiter kommen? Kurz, die Gedanken wurden immer 
dunkler und der Abend auch. Aber es giebt einen Schutzgeist, der die 
Reisenden beschirmt, und er führte nach langem, bangem Marren Pancho 
mit beiden Tieren wieder zu uns zurück: zwei entgegenkommende Leute 
hatten ihm geholfen, sie einzufangen. Ziemlich spät erreichten wir 
Malacatan, wo wir uns nach der ausgestandenen Angst das Abendbrot 
der freundlichen Wirtin trefflich schmecken Hessen. 


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Wir glaubten uns in die heimatlichen Gefilde der märkischen Heide 
versetzt, als wir am nächsten Tage nach H uehuetenango ritten: Kiefern 
und schöner, weisserSand, in den der Sandsteinschiefer durch die atmo 
sphärischen Einflüsse zerfallen ist. Zwischen Malacatan und Huehuetenango 
scheiden sich die Quellgebiete des Rio Chixoy oder Rio Negro und des 
Flusses von Chiapas. Diese Wasserscheide hatten wir auf der Reise 
nach der Hauptstadt zwischen Chiantla und S“- Maria überschritten. 

Huehuetenango ist eine freundliche Stadt, eine Zwillingsschwester 
von Chiantla. Aber durch Verlegung der Jefatura hat man Chiantla die 
Lebensadern unterbunden, während Huehuetenango sich des Daseins freut. 
Es ist auf einer Terrasse gelegen, die von Flüsschen und Bächen durch- 
zogen ist, die alle dem Fluss von Chiantla Zuströmen, ln alter Zeit war 
es der Hauptort der Mam und nicht weit von der Stadt liegen die Ruinen 
der Indianer- F'este Zac-uleu, wo sich der letzte König der Mam, Caibil- 
balam, fast drei Monate lang gegen die Belagerung des Gonzales de Alvarado 
verteidigte. Und obgleich berichtet wird, dass 18 oo Indios in diesen 
Kämpfen blieben, so zwang doch nur der Hunger die Tapferen, sich den 
Spaniern zu übergeben. Als Erbauer der Festung wird der Häuptling 
Lahuhquieh genannt, der sie gegen etwaige Einfälle derQuichö errichtete. 
1695 sah Francisco de Fuentes noch so stattliche Ueberreste, dass er ein 
genaues Bild ihres ursprünglichen Zustandes entwerfen konnte. Heute ist 
wenig mehr davon erhalten als einige halb zerstörte Pyramiden und wall- 
artige Erhöhungen, deren schräg ansteigende, aus behauenen Steinen auf- 
geführte Wände mit einer glatten, ehemals rot gefärbten Stuckschicht 
belegt sind. Heute wächst Gestrüpp auf den Pyramiden; die glatten und 
die behauenen Steine haben zum grossen Teil willkommenes Material zum 
Bau des stattlichen Turmes der Jefatura geliefert. Was aber heute noch 
ebenso ist wie zur Zeit, als so viele Tapfere ihr Leben für eine verlorene 
Sache dahingaben, das ist die Lage dieser Festung, die sie auch für die 
Spanier uneinnehmbar machte. Mit bewunderungswürdigem Scharfblick 
haben die alten Indianer überall die Stellen zu finden gewusst, die durch 
ihre Lage die Verteidigung erleichterten: vorgeschobene Bergterrassen, 

breite Hugelrücken, durch Schluchten und Wasserläufe aus dem übrigen 
Gelände herausgeschnittene Flächen. Dies trifft bei Zac-uleu zu: es liegt 
am Rande einer von Bächen durchströmten kleinen Ebene, zwischen dem 
Fluss und einer tief eingerissenen Barranca. Schon jetzt, im Beginne der 
Regenzeit, ging der Weg zum grossen Teile im Wasser. Was mochten 
erst die Spanier durchgemacht haben, die Zac-uleu vom Juli bis zum 
Oktober belagerten 1 


2(*0 


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Chacula. 

Ich war sehr froh, als wir in der zweiten Hälfte des Juni Chacula 
erreichten. Die Reise war beschwerlich gewesen. All das, was sich bei 
heiterem Himmel so leicht erträgt, wird vom Regen tausendfach ver- 
schlimmert. Es ist ein Unterschied, ob man nur müde und heiss und 
hungrig in ein schlechtes Quartier einrückt, oder ob man auch noch nass 
dazu ist. Es ist ein Unterschied, ob die Wege nur vermöge ihrer Steilheit 
und Zerrissenheit schlecht sind, oder ob sie durch den zähen Schmutz, 
der die Lücken zwischen den Steinen füllt, ganz jämmerlich werden. Es 
ist ein Unterschied, ob ein 
lehmiger Hang trocken oder 
nass ist, ob die Sonne alle 
Mühsal, allen Hunger hinweg 
lacht, oder ein trüber Regen- 
himmel stets mit neuen Güssen 
droht. Der Gedanke, dass wir 
von unserm Arbeitsfelde eine 
Zeitlang festgehalten würden, 
war so übel nicht, besonders 
da die Regenzeit hier noch 
nicht zu ihrer vollen Entfal- 
tung gelangt war. Zehn volle 
Wochen brachten wir in diesem 
Erdenwinkel zu, und trotz An 
Spannung aller Kräfte haben 
wir erst den Anfang gemacht 
zu der Arbeit, die hier zu thun 
ist und hoffentlich auch einmal 
gethan wird. 

Ueber die Ergebnisse die- 
ser Arbeit zu berichten, ist 
nicht meine Aufgabe; das ist 
wissenschaftliches Gebiet und 
nicht das meine. Ich habe mir nur vorgesetzt, von den ausseren Um- 
ständen unserer Reisezeit zu erzählen. So will ich versuchen, ein Bild 
unserer Leiden und Freuden, unserer Mühen und Erfolge zu entwerfen. 

* * 

* 

Es erwies sich bald als gar zu zeitraubend, täglich den schlechten 
Weg von Chacula nach Huaxac kanal herunter zu machen, und so über- 
siedelten wir nach diesem Rancho mit dem poetischen Namen — Huaxac 
kanal heisst »acht Sterne« — , der am Ende einer flachen, länglichen 



Scutellaria Seleriana. Loesener n. sp. 
Huaxac kanal 


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Thalmulde gelegen ist Der grüne I’lan ist rings von steinigen, mit lichtem 
Wald und Busch bedeckten Hügeln eingeschlossen, über die hinweg höhere 
Ketten ragen. Die kleine Ansiedlung besteht aus einem gut gefügten, 
auf Pfählen ruhenden Bretterhaus, das als Vorratskammer für den hier 
geernteten Mais dient Denn neben dem Weideland waren auch schon 
kleine Anfänge mit Maisbau und Zuckerrohrpflanzungen im fruchtbaren 
Thale gemacht. Ausser diesem Hauptbau standen noch sechs Hutten für 
Arbeiter dort, deren eine uns zum Aufenthalt diente. Die Wände bestanden 
aus zusammengebundenen Stengeln von trockenem Maisstroh und einem 
von Holzstangen getragenen Palmstrohdach. Leider war es nicht das 
berühmte »geflickte*, sondern ein gänzlich ungeflicktes, was in Anbetracht 
der Jahreszeit höchst unerfreulich war. Da das ganze Karstgebiet unter 
starkem Windfall leidet, und besonders in die kleine Ebene von Huaxac 
kanal, über der im N’ordosten die Höhen schnell bis zu tooo' und mehr 
ansteigen, der Wind beständig mit grosser Gewalt stürzt, so hätten wir 
auch nichts gegen etwas festere Wände einzuwenden gehabt. Das Brief- 
blatt wurde uns unter der Hand fortgeweht und das Umlegen der Pflanzen 
wurde zu einer Sisyphus- Arbeit. War diese endlich doch trotz flackernder 
Kerze und Zugluft bewältigt, so mussten wir die Pflanzenpakete sorg- 
fältig in Wachstuch hüllen, da es keine absolut regensichere Stelle im 
Rancho gab. Um trockenes Papier für das Herbar zu haben, hatten wir ein 
Gestell aus Stangen und einer Pflanzenpresse aus Drahtgitter herge- 
richtet, auf dem die Bogen einzeln über dem offenen Feuer getrocknet wurden. 

Den Winkel der Hütte, wo das Dach am dichtesten war, hatten wir 
uns zur Schlafstelle erwählt, ein halbes Dutzend Matten auf die Mutter 
Erde gebreitet und als Betthimmel die grosse Leinwand ausgespannt, 
die dazu dient, die Last auf dem Rücken der Tiere während der Reise 
vor Regen zu schützen. Wenn wir das Licht ausgeblascn hatten und unsere 
müden Glieder zur wohlverdienten Ruhe streckten, so begann auf diesem 
Betthimmel über unsern Häuptern der nächtliche Tanz der Mause und 
in unserer Lagerstatt der Reigen der Flohe und Hühnerläuse und wie 
das Gesindel sonst alles heissen mag. Bei Südwind kamen noch Mos- 
quitos hinzu. — Einen niedrigen, kleinen Tisch, einen Schemel und einige 
Bretter, die zur Aufnahme von Vorräten bestimmt waren und an Stricken 
von den Dachbalken herunter hingen, damit sie für Ameisen unzugänglich 
wären, fanden wir vor. Und als unsere Hangmatte quer durch den Raum hing, 
blieb gerade noch genug Platz vorhanden für eine Feuerstelle und für die 
Steine, Scherben, Schädel, die die Ausbeute unserer Arbeiten waren, ln dem 
kleinen, nach vorn offenen Vorraum, der durch eine einspringende Ecke ge- 
bildet wurde, hatte Pancho sein Lager; dort waren auch Sättel und Arbeits- 
gerät untergebracht. Ein Brett, das an Stricken hing, vertrat die Stelle derThür. 

* * 

* 

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TAFEL XI. VI 



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Huaxac kanal 


In der Hütte, die der unserigen zunächst lag, wohnte Don Antonio 
mit seiner Familie, und Don Antonio war für uns eine wichtige Person, 
darum muss ich einige Worte über ihn sagen. Er war eine Zeitlang 
Mayordomo auf der Trinidad gewesen, und da er, wie man dort zu Lande 
sagt, ein »hombre curioso« war, d. h. einer, der Gefallen an Dingen 
findet, die nicht zur täglichen Notdurft gehören, so hatte er den Resten 
der Alten fleissig nachgespürt und kannte in ziemlichem Umkreise alles, 



I)on Antonio Romcro 


was für uns wertvoll sein konnte. Er war zur Zeit ein selbständiger Mann, 
der vom Besitzer von Chaculä einiges Land gepachtet hatte, ein Haus 
oben bei der Garita (dem Zollhaus) besass und augenblicklich in 
der leeren Hütte in Huaxac kanal hauste, wo er Mais baute. Dieser 
Mann trat für die Zeit unseres Aufenthaltes in der Gegend in unsere 
Dienste und diente uns treu und zuverlässig; zeigte uns die Wege, beauf- 
sichtigte die Arbeiter, wusste für alles Rat. Nur zum Schluss spielte er 




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uns einen üblen Streich, von dem ich später erzählen werde, der ihm aber 
in Anbetracht landesüblicher Sitten verziehen werden muss. 

Da es für uns schwierig war, zu wirtschaften, so half uns Don An- 
tonios Frau insofern aus der Not, dass sie uns die Tortillas bereitete und, 
während wir bei der Arbeit waren, unsern Topf mit Bohnen oder Reis 
an ihrem Feuer gar kochen liess. Die Verpflegung war überhaupt eine 
schwierige, nicht immer leicht zu lösende Aufgabe. Mais und Bohnen 
hatten wir von Herrn Kanter gekauft, und zwar ein Tzontli Mais, d. h. 
400 Kolben. 

Tzontli ist die altmexikanische Bezeichnung für die Zahl 400, und 
es ist eine merkwürdige Thatsache, dass Benennungen und Namen in 
mexikanischer Zunge sich über das ganze, kulturel zwar gleichartige, aber 
nach Stämmen und Sprachen sehr gemischte Gebiet von Mexiko und 
Guatemala mit Zähigkeit erhalten haben und von allen gekannt und ver- 
standen werden. Die Namen Comitan und Quezaltenango kennt jeder; 
Balun kanal dürfte nur im Gebiete der Chiapas- Stämme, Xelahuh nur von 
den Quiche verstanden werden. Es wäre ein leichtes, eine lange Reihe von 
mexikanischen Wörtern aufzuführen, die Werkzeuge, Geräte, Früchte, Tiere, 
vor allem Speisen bezeichnen, die auf dem ganzen, langen Wege von der 
mexikanischen Nordgrenze bis nach Honduras hin verstanden werden und 
gewissermassen in den Wortschatz des dort gesprochenen Spanisch über- 
gegangen sind. 

Nach dieser Abschweifung kehre ich zu Mais und Bohnen zurück. Der 
Mais war für die Pferde und für unsere Tortillas; die Bohnen bildeten den 
Hauptbestand der menschlichen Nahrung. Der Bote, der jede Woche ein- 
mal mit Briefen nach Nenton heruntergeschickt wurde und die inzwischen 
eingelaufene Post mitbrachte, versorgte uns von dort aus mit Kaffee 
und manchmal brachte er auch Pan dulce mit, wenn nämlich die Frau, 
die das verstand, gerade einmal gebacken hatte. Brot kennt man ja in 
jenen Ländern überhaupt nicht. Seine Stelle vertritt die Tortilla, der aus 
zerquetschter Maismasse ohne jegliche weitere Zuthat hergestellte Fladen. 
Aber in dengrösseren Orten kennt man die Kunst des Backens sehr wohl 
und die Frauen stellen ein schmackhaftes sogenanntes süsses Brot oder 
Eierbrot her, das die Mitte hält zwischen Kuchen und Brot. — Sämtliche 
übrigen Lebensbedürfnisse mussten aus Comitan bezogen werden, d. h. 
von jenseits der Grenze. Ein Indianer lief einen Tag hin und einen 
zweiten zurück, bekam einen Zettel an Lisandro Dominguez mit und einen 
Ausweis für zufällig ihm begegnende Grenzsoldaten. — Vorzüglich be- 
währte sich die Erbswurst, die wir aus Quezaltenango mitgenommen hatten, 
und es war ein grosser Kummer, als sie der Feuchte nicht mehr zu 
widerstehen vermochte und der verschimmelte Rest fortgeworfen werden 
musste. Von Zeit zu Zeit ritt Pancho zum Fouragieren auf die im 


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Umkreise von einigen Leguas gelegenen Indianer-Ranchos. Da brachte er 
dann eine Flasche voll Schweineschmalz, Panela (rohen, braunen Zucker), 
manchmal ein Huhn, ein paar Eier, auch Bananen. Einmal schoss der 
junge Romero, Don Antonios Sohn, ein Reh, und ein anderes Mal Don 
F.duardo, da gab es frisches Fleisch; aber Wild ist nicht häufig. Einigemal 
kamen Indios von S. Andres, dem zwischen Nenton und Jacaltenango 
gelegenen Dorfe, um Palmenblätter zum Flechten von Hüten und Matten 
und zum Eindecken ihrer Hütten zu holen. Sie brachten von den süssen 



Bei der Arbeit in lluaxac kanal 


Ananas, den duftenden Mangos, den nahrhaften Aguacates, die in dem 
heissen Thal des Rio Dolores so üppig gedeihen. Das waren Lecker- 
bissen. — Es mag kleinlich erscheinen, dass ich so lange bei diesen 
Dingen verweile: für uns bedeuteten sie viel. 

* * 

* 

Das Land war wüst und leer, als im vorigen Jahrhundert Leute aus 
dem in der Sierra gelegenen Dorfe S. Mateo Iztatan einwanderten und 
sich hier niederzulassen begannen. Deren Nachkommen sind es, die heute 
in den Ranchos wohnen und die Arbeiterbevölkerung der Fincas bilden, 


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cs ist der den Tzeltal und Zotzil von Chiapas verwandte Stamm der Chuh 
(spr. Tschuch). Aber die Bevölkerung ist spärlich, und während der 
ganzen Reise von Guatemala nach Chaculä hatten wir mit Ernst die Frage 
erwogen, wie es möglich sein würde, Arbeiter für unsere Zwecke zu 
bekommen. Die Hacendados verfügen nicht über so viele Hände, dass 
sie etliche davon entbehren könnten, und die freien Leute in den 
Rancherien arbeiten auch gegen Bezahlung nicht mehr, als zu ihrem 
Lebensunterhalt nötig ist. Wir hatten schliesslich dem Kommandanten 
der Garnison von Nenton unser Leid geklagt und dieser hatte uns einen 
Befehl an die Alcalden der Ranchos von Aguacate, Uxquen und 
Subajazon eingehändigt, der ihnen aufgab, uns gegen Bezahlung Arbeiter 
zu stellen. Nun hat der Kommandant von Nenton den Leuten aber 
nichts zu befehlen, und wir waren in Ungewissheit, was wir ausrichten 
würden. Don Antonio ritt nach den drei Ranchos und die Alcalden 
anerkannten die Weisung. So brachte er die frohe Kunde, dass man 
sich bereit erklärt habe, Arbeiter zu stellen. Wir hatten immer fünf Leute 
zur Verfügung, die meistens eine ganze Woche hindurch blieben, manchmal 
nach drei Tagen abgelöst wurden. Ihren Vorrat an Tortillas und I’ozol 
brachten sie mit und davon lebten sie. Das Geld wurde nicht jedem 
einzelnen ausgczahlt, sondern dem ältesten unter ihnen und der lieferte 
es seinem Alcalden ab. Denn die Gemeinden leben in gewisser Weise 
kommunistisch, die Arbeit gehört der Gemeinde und der Alcalde bestimmt, 
welche Leute sie zu thun haben. 

Wir waren mit unsern Indios sehr zufrieden, sie waren willig und 
geschickt. Freilich, ein so anhaltendes Arbeiten, wie wir das bei unsern 
Leuten gewöhnt sind, durften wir nicht verlangen oder erwarten. 

* * 

* 

Die erste Woche gruben wir in dem Thal von Huaxac kanal einige 
Hüge' auf; mit wechselndem Glück. Manche enthielten Hohlräume, andere 
nicht. Manche enthielten Gefässe, andere nicht. Ob wir Gräber oder 
Hausfundamente vor uns hatten, liess sich nicht immer mit Sicherheit 
entscheiden. Auch hatte vielleicht ein und der andere Hügel beiden 
Zwecken gedient, da es bei manchen Indianerstämmen Sitte war, die 
Toten unter dem Fussboden der Hütte zu bestatten. Im ganzen Thal 
waren die künstlichen Hügel verstreut, schon von weitem durch schöne 
Baumgruppen sich anzeigend. Ein Stück abwärts von unserer Hütte fanden 
wir die Umfassungsmauern eines Ballspielplatzes; ein Stück thalaufwärts 
lagen ausgedehnte Ruinen einer hohen Pyramide mit gut erhaltener Treppe 
und in der Nähe mehrere kleinere Stufenpyramiden. In derselben Rich- 
tung noch etwa eine halbe Stunde weiter aufwärts war die »Fledermaus- 
höhle«, in die einzudringen sich unsere Arbeiter anfänglich in abergläubischer 


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TAFEL XI. VU 



13 i c Piedra Parada 


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Furcht weigerten. Da ihnen mein Mann und Don Antonio mit dem 
Beispiel vorangingen, folgten sie und es wurden aus dem übelriechenden 
Schmutz der Fledermäuse eine grosse Anzahl Schädel ans Licht gezogen. 

Eine kleine halbe Stunde an der südlichen Berglehne hinan und 
durch eine mit üppigem Graswuchs bedeckte Doline, gelangten wir zur 
>Piedra parada«, dem aufrechten Stein. Er war, wie ein Denkstein, auf- 
recht eingegraben, unbearbeitet und ohne jegliche Verzierung, aber an 
seinem Fusse gruben wir einen sehr grossen, runden, irdenen Topf aus, 
der Knochen und Asche enthielt. Ein Stückchen oberhalb sprang eine 



Künstlicher Hügel mit Bäumen im Man«» von Iluaxac kannl 


bastionartige Mauerung vor und auf ihr gruben wir eine längliche, recht- 
eckige, ausgemauerte Vertiefung auf, die ganz die Form eines Grabes 
zeigte und in der wir Knochenreste fanden. 

Auf der andern Thalseite brachte uns ein etwa ebenso langer Ritt zur 
»Ventana«, dem Fenster. Da standen wir vor einem in Stufen ansteigenden 
Bau, in dessen vorderer Mauer ein grosses viereckiges Loch ausgespart 
war. Was das bedeutete? Wer vermag diese Frage mit Gewissheit zu 
beantworten? Aber ähnliche Oeffnungen und ein verwickeltes System sehr 
enger unterirdischer Gänge fanden wir auch an anderer Stelle. Vielleicht 
bediente sich die Priesterschaft ihrer, um Orakelsprüche zu spenden, um 


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Räucherwolken aus der Erde aufsteigen zu lassen oder sonst den Gläubigen 
sinnfällige Aeusserungen einer über- oder unterirdischen Macht zu vermitteln. 

Von der obersten Plattform dieser Pyramide aber genossen wir einen 
herrlichen Blick weit über die grünenden Lande bis zu dem Cerro Ixbul, der 
die Grenze bildet zwischen den beiden Republiken und dessen seltsam iso- 
lierte Lage es sehr begreiflich macht, dass er in Mythen und Sagen verwebt ist. 

Aber unsere Hauptarbeit war nicht in der Thalmulde von Huaxac 
kanal und ihrer nächsten Umgebung, sondern bei den Höhlen und auf 



Kleine Pyramide bei Huaxac kanal 

dem Berge unter dem sie lagen. Ein zweistündiger Ritt brachte uns dort 
hin, da wir jetzt aber gut beritten waren und der Weg eine Reihe von 
landschaftlichen Schönheiten bot, so empfanden wir das kaum als Unbehagen 
und beklagten nur den Zeitverlust, der dadurch erwuchs. Wir hatten er- 
wogen, ob es nicht besser sei, unsern Standort bei den Höhlen aufzuschlagen, 
in einem der wohlgeschützten kleinen VViescnthäler in der Nähe, aber leider 
gab es in weitem Umkreis kein Wasser, während das Thal von Huaxac 
kanal von einem munteren Bergbach durchströmt war, der am tiefsten 
Punkte des Thaies in einem grossen Becken aufgestaut wurde und am 
Ende der kleinen Ebene spurlos im Boden verschwand. So blieb keine Wahl. 

* * 


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TAFEL XL VIII 



Aussicht von der Ventana auf den Cerro Ixbul 



Die Ventana 


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Die dunklen Tiefen der ins Innere der Erde hineinfuhrenden Höhlen 
und Spalten haben stets unheimliche Vorstellungen im Menschen erweckt. 
Und mit dieser Furcht wurde zugleich der Wunsch lebendig, die in solch 
düsteren Wohnungen hausenden Mächte sich geneigt zu machen. So kommt 
es, dass wir nicht selten in Höhlen alte Kultusstätten finden, und oft auch 
haben sic zum Versteck gedient, in dem Kostbarkeiten und Heiligtümer 
den Verfolgern entzogen und gewisserniassen unter den Schutz der die 
Höhlen bewohnenden Götter gestellt wurden. 

Schon mehrfach während unserer Reise waren wir auf Nachrichten 
von Höhlenfunden gestossen. ln Chiapas aber hatten die Erzählungen 
von solchen kein Ende genommen. Doch immer hatte es sich um 
unsichere Angaben gehandelt. Hier nun fanden wir eine solche Stätte 
des Höhlcnkultus in ausgedehntem Masse. Im spaltcnreichen Karst- 
gebirge sind ja weit verzweigte, tief ins Innere dringende Hohlräume keine 
Seltenheit. 

Unser erster flüchtiger Aufenthalt in Chaculä hatte uns schon die 
Gewissheit gebracht, dass hier ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegen 
würde, und doch war das nur ein ganz kurzer Besuch gewesen. Trotz- 
dem seit der ersten Entdeckung der Höhlen manches verschleppt, manches 
zerbrochen war, lohnte die achttägige Arbeit doch vollauf. Und längeres 
Nachspüren würde sicher noch mehreres zu Tage gefördert haben. 

Es waren drei grössere Höhlen am Kusse einer steil aufragenden 
Felswand, die etwa auf eine Entfernung von ein- bis zweihundert Schritt 
entfernt lagen. Dass diese Felswand den Absturz des Plateaus bildete, 
auf dem die ausgedehnten Ueberreste einer alten Stadt, oder wenigstens 
ihrer Tempel und Paläste lagen, wurde uns erst klar, als wir zum ersten 
Male dort oben waren. Die Höhlen waren sowohl ihrer Grösse als ihrem 
Inhalt nach wesentlich von einander verschieden. Die kleinste, die zweite 
in der Reihe — eine flache, nischenartige Vertiefung in der P'elswand — 
enthielt nur einen länglichen Stein, der neben einem andern sockelartigen 
Steine an der Erde lag, von dem er augenscheinlich herabgestürzt war. 
Wir richteten ihn wieder auf, um ihn zu fotografieren. — Weit ausge- 
dehnter waren die beiden andern Höhlen und auch die Funde reicher 
und verschiedenartiger. Die erste enthielt wüst durcheinander geworfene 
Steinbilder, zum Teil von ausgezeichneter Arbeit und ganz eigentümlichem 
Stil. Eins der hervorragenden Stücke war eine Figur von etwas über einem 
Meter Höhe, die ein doppeltes Katzengesicht zeigte. Von einem Halsband 
hingen an Schnüren Menschenköpfe mit langen Haaren auf den als runde 
Säule behandelten Körper herab. — Ausser diesen Steinbildern aber 
fanden sich überall verstreut und unter Erde und Steintrümmern vergraben 
Thonbruchstücke seltsamster Art. Bei weiterem Graben wurde ein Grab 
gefunden, das ein Skelett nebst Beigaben enthielt. 


zt>9 


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TAFEL I 




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Al tarähn 1 ich c r Aufbau in Höhle III Das Idol am Eingang zu Höhle III 



Menschen unbequem genug und wir benutzten gewöhnlich den natürlichen 
Zugang, die einzige Stelle, an der die sanft geneigte Felsplatte mit dem 
umgebenden Gelände verbunden war, wahrend sie sonst an allen Seiten 
tief abstürzende Felswände wie eine Insel aus der üppigen Vegetation 
der Schluchten emporhoben, dass sie wie eine von natürlichen Wallgräben 
umzogene Festung da stand. Es war ein herrlicher Platz. Nach allen 
Seiten Ausblicke in Nahe und Ferne, auf blaue Berge, hell grünende 
Wiesenthäler, dunkel bewaldete Abhänge und Schluchten. Idyllische Ruhe, 
vollkommene Weltabgeschicdenheit! Vogelstimmen waren die einzigen 
Laute, die an unser Ohr drangen, und so weit das Auge reichte, war kein 



Bewaldete Burranca bei Oucn*Sauto 


Haus, keine Hütte, kein Mensch zu entdecken. Aber so weit Auge und 
Ohr reichte, war auch weder das Blinken eines Wasserspiegels zu erspähen, 
noch das Murmeln einer Quelle zu hören. Wieder tauchte die alte Frage 
auf: woher nahmen die Leute hier oben das zum Leben notwendige Wasser? 
Sind die Quellen im Kalkgestcin versickert? Sind sie verschüttet worden, 
als man die Stelle verliess, um sie für spätere Zeiten unbewohnbar zu 
machen? Kannten die alten Bewohner geheime Zugänge zu verborgenen 
Wassern? Aber würde dann nicht einmal die Spur eines Wildes dorthin 
führen? Nichts als ein günstiger Zufall kann die Lösung des Rätsels 
bringen. 


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Eine wahrhaft grossartige Pflanzenwelt bedeckte die ganze Stätte. 
Es war nicht die zu dichter Masse verwebte Ueppigkeit des eigentlich 
tropischen Urwaldes, in der die einzelnen Formen kaum mehr zur Geltung 
kommen; es war auch nicht der lichte, aus Eichen und Erikaccen ge- 
mischte Bergwald, sondern ein Mittelding zwischen beiden. Herrlich ent- 
wickelte Bäume verschiedenster Art bildeten Gruppen, die besonders auf 



/ jrpres# »• 


den kleinen Stufenpyramiden zu künstlerischer Wirkung gelangten. Da 
waren Zypressen mit weit ausladender Krone und satter Färbung, Akazien, 
Kopalbäume mit frischem Grün; hier und da eine Facherpalme, dazwischen 
der sonderbare, Memelita genannte Baum, der Feige verwandt, mit flei- 
schigen, viertelzentimcter dicken Blättern und runden Früchten, die in der 
Reife sternartig aufspringen. Dann ein Chinilti genannter Baum mit 
hartem, rotem Holz, aus dem die alten Bewohner ihre Lanzenschäftc und 


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TAFEL LI 



Steilabsturz des Plateaus der alten Stadt 



Üarranca-Wand bei der alten Stadt 


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Wurfbrettcr schnitten. Und noch viele andere trugen dazu bei, die 
Mannigfaltigkeit von Form und Farbe zu vermehren. Stellenweise aber 
gab es auch dichtes, durch stachelige Agaven und herabhängende Lianen 
schier undurchdringlich verstricktes Gestrüpp, durch das nur das Husch- 
messer einen Weg bahnen konnte. Auf den Häumcn aber machten sich 
Kakteen, Orchideen und andere bliitenrciche Schmarotzer breit. 

Es schnitt mir jedesmal ins Herz, wenn wir mit Axt und Buschmesser 
und Spaten in dieser schönen Wildnis hausten; es schien wie ein Van- 
dalismus, diese Herrlichkeit anzutasten, und mit Kummer ruhte mein Auge 
manchmal auf der Verwüstung, die wir anrichten mussten, um hier ein 
Gemäuer freizulegen, dort einen Hügel auf seine Eingeweide zu prüfen. 
Wie schwer wurde uns nach langen, arbeitsreichen Wochen der Abschied 
von dort oben, von den heiteren Fernsichten, den rötlich leuchtenden 
Felswänden, von allem, worin das Auge so oft geschwelgt, von all den 
schönen, stillen, sonnigen Stunden, die wir dort verbracht! Hier schien 
die Sonne, wenn es in Chaculä regnete. Ich glaube, auch unsern Tieren 
wäre es wehmütig ums Herz geworden, wenn sie gewusst hätten, dass sie 
das fette, duftige Futter, das zwischen den Steinen so reichlich wuchs, 
zum letzten Male rauften. 

* * 

* 

Nunmehr gestaltete sich unser Tagewerk ziemlich regelmässig in 
folgender Weise: Um sechs Uhr oder noch früher wird aufgestanden; 

Pancho macht ein Feuer auf dem Boden unserer Hütte und wir kochen 
Kaffee, zu dem einige Cakes gegessen werden. Gegen sieben Uhr mar- 
schieren unsere Arbeiter ab und etwa eine halbe Stunde später folgen 
wir mit Don Antonio nach. Wir haben drei Leguas, d. h. etwas mehr 
als zwei deutsche Meilen zu reiten, ehe wir an unsere Arbeitsstelle kommen. 
Erst muss das Thal von Huaxac kanal seiner ganzen Länge nach durch- 
messen werden — eine mit Gras und Akazien bestandene Fläche, auf der 
Rinder und Pferde weiden. Neugierig bleiben die Tiere stehen und eilen 
dann furchtsam zur Seite. Manchmal jagen Aventaderos über den Plan, 
um die Herden zusammenzutreiben, wahrhaft klassische Gestalten, in braunem 
Wollkittel, Strohhut und weissbaumwollenen Hosen, Unterschenkel und 
Knie durch lederne Beinschienen antiker, römischer Form geschützt, der 
nackte Fuss im Steigbügel. Hin und wieder umhegt eine Steinmauer ein 
Maisfeld, eine kleine Anpflanzung von Zuckerrohr. Dazwischen ragen die 
mit schönen Baumgruppen bewachsenen künstlichen Hügel auf — die 
Zeichen der alten Besiedelung. 

Am Ende des Llano geht es den steinigen Hang in die Höhe, und 
wer Karstgebiete kennt, weiss, was das für Wege sind, namentlich, wo es 
einmal steil hinauf und hinunter geht. Zu Anfang stiegen wir auf solchen 

Seler, Alte Wege, l8 

273 


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Wegen ab, um unsere Tiere zu schonen. Wir lernten bald, dass es 
wichtiger war, die eigenen Kräfte zu Rate zu halten und blieben unbekümmert 
im Sattel, selbst wenn es steil hinunter ging. Man bekommt allmählich 
unbegrenztes Vertrauen zur Klugheit und Sicherheit der Reittiere. Freilich 
muss man auf den Weg, auf herabhängende Zweige, auf Steinblöcke, 
Dornen und alle Hindernisse scharf achten. Ueber einen steilen, steinigen 
Hang, von einigen Dohnen in verschiedener Höhe terrassenartig unter- 
brochen, geht es etwa ioo Meter aufwärts. Auf der Höhe treffen wir den 
Camino real, der von Comitan über Canquintic nach Nenton führt. Sehr 



Terrassierung zwischen liuuxnc kanal un<! Quen - Santo 


belebt war er nicht, nur manchmal trafen wir reisende Indianer, die in 
ihrer Rückenkraxe, dem »cacaxtli«, Handelswaren trugen, und vor denen 
die braune Mula jedesmal einen scheuen Seitensprung machte. 

Scharen von grünen Papageien flogen von rechts her aut. Sie hatten 
ihre Ansiedlung in der »Cueva de los Pajaros«, der Vogelhöhle. Das ist 
einer jener tiefen Einbrüche, deren ich früher bereits erwähnt habe; mehrere 
hundert Kuss tief und fast kreisrund. Wo die senkrechten Wände der Tiefen 
dem geschickten Kuss des Menschen einen Zugang bieten, wird ihr Grund 
gern zur Anlage von Aeckern benutzt, da hier eine natürliche Mauer die 
Feldfrucht vor dem Ungeschick und der Begehrlichkeit weidender Tiere 

2/4 


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schützt. Hier aber war der Kessel völlig unzugänglich, und so hatte sich 
auf dem Grunde dieses Riesenschachtes eine üppige Vegetation angesiedelt 
und ebenso ungestört wie diese hauste hier eine blühende Papageien- 
Kolonie. Aber an dieser Stelle wurde uns wieder einmal eines jener 
unlösbaren Rätsel aufgegeben, an denen die Vergangenheit dieser Länder 
so reich ist. An einer Wand waren Spuren menschlicher Thätigkeit zu 
sehen, an einer Stelle, die ganz unzugänglich erschien: es sah aus wie 
eine Wasserleitung und daneben war eine Figur gemalt. Leider gab es 
keinen Standpunkt, der es gestattete, eine Fotografie von dieser Merk- 
würdigkeit zu nehmen. Man müsste, falls man Untersuchungen machen 
wollte, sich an sehr langen und starken Tauen hinunterlassen, und das 
wäre der brüchigen Ränder wegen nicht ohne Gefahr. Also bleibt die 
F rage offen: Was bedeutet die Vorrichtung? Wie kam ein Mensch dort 
hinunter, um sie anzubringen? Ist der tiefe Einsturz erst später erfolgt? 
Und was der Fragezeichen mehr sind. 

Der Weg stieg ganz allmählich eine lange thalartige Senke hinab, 
durch prächtigen Eichwald, anfangs steinig, dann über schönen, fruchtbaren, 
grasbewachsenen Boden. Freilich geht es auch hier nicht gleichmässig 
vorwärts, denn in Abständen von 50 — IOO Schritt folgen unausgesetzt 
quer über den Weg laufende Steinsetzungen. Durch diese niedrigen 
Steinreihen dämmten die Alten die Erde auf, schufen eine lange Reihe 
kleiner, ebener Terrassen und machten so jeden Fussbreit fruchtbarer 
Erde dem Feldbau nutzbar. Diese kleinen Hindernisse unterbrechen 
fortwährend den munteren Trab der Tiere. Aber es ist wunderschön in 
diesem Walde. Die prächtigen Bäume weit ausladend nach allen Seiten, 
die dichte grüne Bodenbedeckung, auf der die durch das Geäst fallenden 
Sonnenlichter spielen, graue Felsblöcke wie absichtlich von ordnender 
Hand hineingesetzt, und nach vorn durch die lange, schmale Senke ein 
Ausblick auf ferne, verblauende Bergrücken und Höhenzüge. Und von 
Tag zu Tag wurde es schöner, denn der Regen lockte Blüten und 
Blumen hervor. 

Endlich kommen wir auf eine kleine, grasbedeckte, von lichtem 
Wald umgebene Ebene, die links von einer niedrigen Hügelreihe begrenzt 
wird, schwenken rechts vom Wege ab und erreichen bald den Rand einer 
schönen Senke, über der ein langer Hügelrücken und mehrere Kuppen 
aufragen. Die herrlichen Baumgruppen auf den überall verstreuten 
künstlichen Hügeln und kleinen Pyramiden geben dem Platz das Ansehen 
eines mit künstlerischem Feingefühl angelegten Parkes. Die Büsche dunkler 
Lebensbäume heben sich kräftig von dem vielfach schattierten Grün und 
dem saftigen hellen Wiesengrund ab. und unter dem blauen, leicht bewölkten 
Himmel gab es eine prächtige Farbenstimmung. In dem kleinen Thal 
stand ein altes Gemäuer, das mit einer merkwürdig scharfen Ficke in den 

iS* 


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lichtgrünen Wiesenplan hineinschnitt. Es sah so aus, als sei es einmal 
etwas besonderes gewesen, und ein Steinkreis gerade davor liess uns eine 
Ausgrabung lohnend erscheinen, bei der auch wirklich die Bruchstücke 
einer grossen Gesichtsurnc und einige zerfallene Knochen zu Tage kamen. 
Bei dieser scharfen Ecke ging es geradeaus zu den Höhlen, rechts hinaui 
mussten wir uns mühsam über Steine und zwischen Gebüsch hindurch 
unsern Weg zur alten Stadt suchen, von der man hier unten freilich nichts 
wahrnahm, ebensowenig wie von den tiefen, mit Urwald erfüllten Schluchten, 
die das Plateau, auf dem sie liegt, aus dem übrigen Gelände hcraus- 
schneiden. 



Yegetationsbilri bei Ouen- Santo 


Nach wenigen Minuten sind wir an die Arbeitsstätte gelangt, sei es 
zu den »Heiligen Höhlen, Quen-Santo«, die im Grunde der schattigen 
Barranca in die Felswand hineinführen, sei es auf die luftige, windgefegte 
Höhe der »Casa dcl Sol«, des Sonnentempels, oder zu der alten Stadt. 
Die Tiere werden abgesattelt und weiden frei in dem hohen süssen Grase. 
Nur |Don Antonios altem, zähem Knochengaul werden die Vordcrfüsse 
gefesselt, denn er weiss zu gut Bescheid, weiss, wo die saftigste, schmack- 
hafteste Weide ist und würde sie ohne Gewissensbisse aufsuchen. Ja, er 
verführte einmal nachts auch unsere Tiere, ihm auf die fette Weide bei 


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der Piedra parada zu folgen, wo die nach allen Richtungen ausgeschickten 
Vaqucros endlich nach langem Suchen die ganze Gesellschaft ruhig und 
friedlich grasend bei einander fanden. 

Wir begeben uns an die Arbeit, die mannigfacher Art ist. Zwischen 
II und 12 Uhr wird ein Feuer angemacht, ein Kessel mit Wasser — mit 
dem aber sparsam umgegangen wird, denn die Indios haben es von 
Huaxac kanal mitgcschleppt — ans Feuer gerückt, um eine Tasse Tliec 
oder Kaffee zu kochen. Die Tortillas werden in der heissen Asche geröstet; 
ein wenig Käse, ein Rest schwarzer Bohnen vom gestrigen Mittagsmahl, 



Ländliche Terrasse in der Mitte des Tempelhofcs der alten Stadt 


oder ein paar Sardinen bilden den einfachen Imbiss. Auch unsere Arbeiter 
machen eine Frühstückspause, rösten ihre Tortillas und rühren ihren Pozol 
mit Wasser an. Während dann alles wieder an die Arbeit ging, lag ich 
ein halbes Stündchen im Grase, im Schatten eines Steines, umduftet von 
würzigen Kräutern, umweht von sommerlichen Lüften, umschmeichelt von 
den mannigfachen Vogclstimmen, um mich rätselvolle Trümmer, über mir 
herrliche, rauschende Baumwipfel und einen unendlich hohen Himmel. 
Und was auch für Gedanken kamen und gingen, der eine behielt 
doch immer die Herrschaft: wie schön ist es hier, könnt' ich hier Hütten 
bauen! 


2 77 


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Um drei, vier Uhr vernahmen wir das erste ferne Donnergrollen. 
Das war das Zeichen zum Aufbruch. Im Anfänge kamen wir noch trocken 
ins Quartier, bei prächtiger, goldiger Abendbeleuchtung; mit vorschreitender 
Regenzeit mussten wir darauf gefasst sein, nass zu werden, ja allmählich 
wurden wir gewohnt, an einer ganz bestimmten Stelle die Regenmäntel 
umzunehmen. Oft auch ritten wir den ganzen Weg im Nebelgeriesel. 
Auch der Rückweg bot hübsche Bilder, besonders von der Höhe, von der 
man zuerst das Thal von Huaxac kanal überblickt. Dahinter ragt die hohe 
dunkle Sierra auf, die das Gebiet von Chaculä von den Thalern von 



Hügel 23 in der alten Stadt 


Iztatan und Solomä trennt, ein breiter waldbcdecktcr Rücken, wie der 
Taunus, nur weit höher. An ihrem Fusse breitet sich eine scheinbar ebene, 
felsige und bewaldete Platte aus, in der aber viele Thäler und Thälchen 
eingebettet sind, und in die auch, wie ein tiefer Kessel, die lange fruchtbare 
Doline von Huaxac kanal eingesenkt ist. Vor uns lag das ganze Thal 
ausgebreitet, und darüber spannte sich oftmals ein prächtiger Regenbogen 
Schnell klettern unsere Tiere den letzten steilen Hang hinab und eilen 
zum Staubecken inmitten des Thals, wo wir sie tränken, und wenige 
Minuten später sind wir daheim, wo uns die wirtschaftlichen Sorgen erwarten. 
Panclio macht heuer, holt aus der Nachbarhütte, was man für uns im 


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Laufe des Tages bereitet hat. Unsere eigene und Panchos Kochkunst 
hilft noch mit dem oder jenem nach. Und während es durchs Dach 
regnet und der Wind durch die Wände fährt, erlaben wir uns an dem 
wohlverdienten, je nach der Gunst des Tages mehr oder weniger üppigen 
Mahl, für das die kleine, wackelige, mit einem weissen Handtuch bedeckte 
Bank als Tisch dient, während uns der Rauch des offenen Feuers daneben, 
an dem unser Kaffeewasser kocht, ins Gesicht weht 

An Ruhe war aber noch nicht zu denken. Zuerst mussten die Pflanzen 
eingelegt und umgelegt, die Scherben geordnet und mit Zetteln versehen 
werden. Oft gab es auch höchst wichtige Flickarbeit an Kleidern und an Papier- 
abklatschen, und schliesslich wollten die Niguas — Sandflöhe — sachgemäss 



Hinterseite »I e r C a s a «lei Sol 


behandelt sein. Die Nigua ist das angenehme Geschöpf der amerikanischen 
Tropen, von dem Humboldt sagt: »wenn der Sandfloh springen könnte, so 
wäre der grösste Teil der Tropen unbewohnbar.« Nun, ganz so schlimm ist es 
nicht, aber freilich muss man auf der Hut sein und sowie man das sonderbare 
Stechen und Brennen spürt, unverzüglich die Ursache, d. h. den Eiersack, 
entfernen. Meist legt die Nigua ihre Eier unter den Fussnagel, aber auch 
andere Stellen verschmäht sie nicht. Wird der Eiersack nicht sofort und 
gründlich beseitigt, so entstehen abscheuliche Geschwüre. So ist es wohl 
denkbar, dass bei ungenügender Achtsamkeit an Orten, wo sie häufig 
vorkommt, die Nigua in der That verheerend wirken kann. Wir gebrauchten 
die Vorsicht, die operierte Stelle sofort zu desinfizieren. War dann wirklich 
noch ein Restchen zurückgeblieben, so starb es ab und wir hatten in 


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keinem Falle über üble Folgen zu klagen. Ganz besonders berüchtigt 
wegen dieser Plage ist die ganze Gegend von Comitan. 

Erst wenn alle diese wichtigen Obliegenheiten erledigt waren, war 
Feierabend, und wir konnten schreiben, lesen oder schlafen gehen. Da 
Herr Kanter eine Menge Bücher besass, hatte ich ihn gebeten, mir einige 
zu borgen. Leider war das meiste in Kisten verpackt und er gab mir 



Steinkopf aus Quen-Sauto 
(V« «1er uat. CIrösse) 


einige Bande der theosophischen Zeitschrift »Die Sphinx« und einige 
Schriften Du Preis und Hellenbachs. Nun sass ich abends bei der spär- 
lichen Beleuchtung, während der Wind um und durch die Wände fuhr, 
und sog theosophische Weisheit ein, liess mich in die Geheimnisse des 
Spiritismus einweihen und folgte den verschlungenen Pfaden der Telepathie. 
Es war in dieser Umgebung eine unheimliche Lektüre, von der ich bald 
genug hatte. Mit wirklichem Vergnügen aber folgte ich Hellenbach in 


2X0 


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TAFEL UI 



Tc^l <ler Casa dcl Sol 



Mauer im l’atio der alten Stadt 


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die Utopie seiner Insel Mclonta, die mir freilich ohne den Schluss der 
buddhistischen Weisheit noch besser gefallen hätte. 

Zum Schreiben benutzte ich am liebsten die Tage, wenn ich nach 
der Hacienda hinauf geritten war, wo mir der Wind nicht das Briefblatt 
unter der Hand fortwehte und ein normaler Tisch zur Verfügung stand. 
Wenn nämlich Gefässe und Scherben, Steine und Schädel sich in unserer 
Hütte derart angehauft hatten, dass kaum noch Platz für uns darin blieb, 
so zogen mein Mann, Antonio und Pancho mit drei Arbeitern aus, zwei 
mussten etliche Male die mit der Ausbeute gefüllten Netze nach Chaculä 
hinauftragen, und ich ritt dorthin, um die Sachen in Empfang zu nehmen. 
Auf dem sicheren Grauschimmel konnte ich unbesorgt allein reiten; er 
liess mich ruhig von jedem Steine aus aufsteigen und kannte jeden Schritt. 

Einmal aber, gerade da, wo der Aufstieg begann, und zu beiden 
Seiten Gebüsch den Weg umsäumte, blieb er steif stehen und rührte sich 
auch nicht, als ich ihn die Reitgerte fühlen liess. Schon wollte ich ab- 
steigen, um zu sehen, was die Ursache sei, als es zu meiner Rechten 
im abgefallenen Laube raschelte, und eine grosse Schlange über den Weg 
kroch. Als die Schlange vorüber war, ging das Pferd ruhig, ohne auf 
einen Antrieb zu warten, weiter. 

Ausser diesem hatte ich nur noch ein einziges Mal während der 
ganzen Zeit eine Begegnung mit einer Schlange. Diesmal war es ein 
ziemlich kleines Tier, das dicht vor meinen Füssen durch das Gras 
schlüpfte, aber sein unheimlicher dreieckiger Kopf jagte mir doch einen 
Schrecken ein. Das war auf dem Wege zu der grossen Einhegung, die 
wenige hundert Schritte vom Rancho entfernt lag, zu der ich gern meine 
Schritte lenkte. — Nicht nur in Chaculä, sondern auch auf allen be- 
nachbarten Hacienden diesseits und jenseits der Grenze, in weitem Um- 
kreis, liegt der Schwerpunkt in der Weidewirtschaft. Sowohl die Rinder, 
als auch die Pferde von Chaculä und der Trinidad sind sehr geschätzt 
und finden auf den grossen Märkten von Chiantla, Huehuetcnango und 
andern Orten stets ihre Käufer. Besonders die auf dem rauhen, steinigen 
Gelände erzogenen Pferde sind zähe und ausdauernde Tiere, die mit 
grosser Sicherheit treten, und für die nicht leicht ein Weg zu schlecht ist. 

In den grossen Hürden wurden die verschiedenen Herden von Zeit zu 
Zeit zusammengetrieben, um Salz zu bekommen und um auf ihren Gesundheits- 
zustand untersucht zu werden. Die Kraft und Geschicklichkeit, mit der 
die Pferdehirten bei dieser Arbeit verfuhren, erfreute mich immer aufs 
neue. Ich habe alle möglichen Krankheiten mit einfachen Hilfsmitteln 
behandeln sehen und mich nur stets gewundert, dass sie zur Heilung 
kamen. Aber das Klima sowohl, wie die natürliche und einfache Lebens- 
weise scheinen Heilungen von Wunden bei Mensch und Tier besonders 
zu begünstigen. Eitrige Wunden habe ich überhaupt niemals gesehen. 


281 


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Eins unserer Tiere litt an einer Verhärtung im Gaumen, die ihm das Fressen 
erschwerte, so dass es mager und elend wurde. Die Stelle wurde aus- 
geschnitten, es bekam einige Tage keinen Mais zu fressen und wurde, da 
es sehr viel Blut verloren hatte, geschont; war aber nach kurzer Zeit 
wieder munter, frass und gedieh. Die Hauptgefahr für das Vieh liegt in 
den Geschwülsten, durch den Stich einer Bremse verursacht, die ihre Eier 
unter die Haut legt. Eis entwickelt sich bald ein ungeheurer Madensack, 
an dem das Tier zu Grunde geht, wenn er nicht rechtzeitig entfernt wird. 

Eines Tages kam ein Soldat aus Nenton des Weges, der eine Be- 
stellung für einen Rancho, zwei Tagereisen weit, hinten im Walde, aus- 
zurichten hatte. Unterwegs waren ihm Pascher begegnet, die ihn für einen 
Grenzer hielten und ihm, ehe er sichs versah, mit dem Buschmesser einen 
Hieb über die rechte Hand gezogen hatten, die das Gewehr gefasst hielt. 
Die Verwundung war gräulich; wir verbanden ihn und schickten ihn nach 
Nenton zurück. Es war kurz vor unserer Abreise, und als wir nach 
wenigen Tagen hinunter kamen, fragten wir nach ihm. Man hatte ihm 
ein paar Tage Arrest gegeben, weil er seinen Auftrag nicht ausgefuhrt 
hatte! Die Strafe war nicht schwer zu tragen, denn er durfte einfach 
das Haus nicht verlassen. Im übrigen ging es ihm gut. Ich untersuchte 
die Wunde und fand, dass sie bereits ganz schön zu heilen begann; liess 
ihm noch einiges Verbandszeug da und bin sicher, dass bald vollständige 
Heilung eingetreten ist. Wer bei uns mit solcher Wunde sieben Meilen 
in der Tageshitze laufen würde, hätte das vermutlich mit Wundfieber zu 
büssen. Aber auch gegen Schmerz sind die Leute merkwürdig unempfindlich. 
Ich habe einmal gesehen, wie man einem Indio, der sich mit einem Beil- 
hieb schwer an der Hand verletzt hatte, in Ermangelung anderer Des- 
infektionsmittel Spiritus auf die Wunde goss: und der Mann zuckte mit 
keinem Muskel. 

* * 

* 

Bisher hatten wir unter der Regenzeit kaum zu leiden gehabt, nur 
dass wir am Abend vorsichtig die Stellen meiden mussten, wo es durchs 
Dach regnete. Unsere beiden Maultiere hatten die nächtlichen Regen 
unangenehmer empfunden. Diese Bastarde sind gegen Kälte und Nässe viel 
empfindlicher als Pferde, und in der näheren Umgebung der Hütte war 
kein schützender Baum. So suchten sie meist an der dem Winde abge- 
kehrten Seite der Maisscheune Schutz, und oft hörten wir sie jammernd um 
unsere Hütte streichen. Wenn sie aber morgens ihren Mais bekamen, so 
waren alle nächtlichen Nöte vergessen. L’nd schon früh stellten sich Mäuler 
und Pferde ein, ihr leckeres Frühstück heischend. Ihr verlangendes 
Wiehern weckte uns aus dem Schlummer. — So war cs vier Wochen 
lang gegangen. Da trat Nordwind ein, der erst Nebelgeriesel brachte, das 

2Ü2 


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TAFEL l.lll 




Aufgegrabener Hügel mit Grabkainmer in der alten Stadt 


Die Piedra Mcsa in der alten Stadt 


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sich allmählich zu feinem Regen immer mehr und mehr verdichtete. Er 
wurde so anhaltend, dass wir die Arbeit im Freien unterbrechen mussten. 
Das wäre nun so schlimm nicht gewesen, denn es gab auch zu Hause 
genug zu thun, und unsere Indios konnten wir mit dem Transport der 
Sachen nach Chaculä wohl einige Tage beschäftigen. Nachdem es aber 
zwei Tage und zwei Nächte um und um geregnet hatte, konnten die 
flachen, rings um die Hütte laufenden Gräben, die bestimmt waren, das 
vom Dache tropfende Wasser aufzunehmen, damit es das Innere der 
Hütte nicht überschwemme, die Menge nicht mehr fassen und begannen 
überzulaufen, und in der dritten Nacht lagen wir im Wasser, es blieb 
nichts anderes übrig, als unsern Standort nach der Hacienda hinauf zu 
verlegen, wo wir denselben Raum bezogen, der uns früher schon beher- 
bergt hatte. Hier waren wir vor den Unbilden des Wetters geschützt und 
hatten auch einen Tisch und zwei der landesüblichen, aus gespanntem 
Segeltuch bestehenden Lagerstätten zu unserer Verfügung. Die Nachteile, 
die mit dieser Uebersiedelung verknüpft waren, bestanden erstens in dem 
um eine Stunde längeren Weg — und zwar war cs ein recht steiles und 
steiniges Stück — und ferner in der Sorge ums tägliche Brot, da nun 
Don Antonios Frau nicht mehr unsere Tortillas machte und unsere 
Bohnen kochte. 

Dagegen gab es hier, wo die Arbeiter der Hacienda angesiedelt 
waren, mancherlei zu sehen und zu beobachten. Wie schon früher er- 
wähnt, befand sich neben dem geschlossenen Raume ein anderer, vorn 
offener, in dem ein Muttergottesbild stand. Hier hauste Pancho, hier 
brannte unser Küchenfeuer, aber hier kamen auch die Arbeiter der I'inca 
allabendlich zusammen, um ein frommes Abendlied zu singen. Wort 
und Weise dieses Gesanges schienen mir altspanischen Charakter zu 
haben. Es war vielleicht dies Lied schon von den ersten Mönchen den 
getauften Indianern gelehrt worden. Hier hatte der Cura von S 18 - Eulalia, 
dem die Seelsorge fiir die verstreuten Ranchos der Gegend oblag, den Leuten 
die Gesänge beigebracht. Aber ihr Herz schien weniger an der Madonna 
zu hängen, als an einem alten Holzkreuz, das in einer kleinen begrasten 
Mulde unterhalb des Hügels stand, auf dem die Haciendagebäude lagen. 
Dorthin sah ich oft die Frauen wandern mit Räuchergefässen, mit denen 
sie vor dem Kreuze allerlei geheimnisvollen Hokuspokus machten. So 
denken sie alles Leid und alle Not zu bannen. Man nennt das Räuchern 
und Beten an solchen Stellen, die nichts mit der Kirche gemein haben, 
»hacer costumbres«, was sich vielleicht am besten durch »zaubern« ver- 
deutschen lässt. 

Nach der Abendandacht gingen die Caporales, das sind diejenigen 
unter den Hirten und Arbeitern, denen die Leitung und Aufsicht der 
Arbeiten obliegt, zu I lerrn Kanter hinein, um ihm Bericht über die Ge- 




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schehnisse des Tages zu erstatten und zugleich die Arbeiten für den 
nächsten Tag zu besprechen. Auch von den entfernten, weit hinten im 
Walde gelegenen Ranchos kamen hin und wieder Leute. Das Verhältnis 
des Grundherrn zu den Leuten im Waide ist eigentlich nur dem uralten 
Verhältnis von Schutzherr und Hintersassen zu vergleichen. I lerr Kanter 
ist Besitzer, unumschränkter Herr und Gebieter des Grundes. Er gestattet 
natürlich gern den Indianern die Ansiedelung in dem menschenarmen 
Lande. Sie sind freie Leute, müssen ihm aber für die Benutzung des 
Bodens eine Art Pacht entrichten, die nicht in Geld, sondern in Arbeit 
besteht, d. h. sie müssen eine bestimmte Anzahl Tage im Monat für ihn 
Mais bauen und ernten. Auf diese Art siedeln sich allmählich Menschen 
an, und das Land wird langsam in Kultur genommen. Freilich sehr langsam. 

Da kamen auch oft genug Leute, die des Spanischen nicht genügend 
mächtig waren, um ihre Berichte, Wünsche, Anliegen vollständig aus- 
drucken zu können. Zwei kleine Söhne Kanters dienten dann als 
Dolmetscher, von denen der älteste etwa 5 Jahre alt war. Sic gingen in 
die landesübliche weisse Baumwollhose gekleidet, mit dem braunen, aus- 
gefransten, groben Wollkittel darüber. Zwei muntere, weisse, blonde 
Jungen, die Chuh, Spanisch und Deutsch sprachen; am besten natürlich 
Chuh. 

Ein auffallender Unterschied zwischen diesen freien Waldleuten und 
den Arbeitern der Hacienda, die in dem überall im Lande üblichen Schuld- 
verhaltnis lebten, das vom Sklaventum nicht weit entfernt ist, machte sich 
in der Kleidung der Frauen bemerkbar. Während die Reinlichkeit bei 
den Frauen der Hörigen alles zu wünschen übrig Iiess, waren die Hemden 
der Weiber aus dem Walde stets blütenrein, manchmal mit schmaler, 
bunter Borte verziert, und die jungen Mädchen trugen ihr Haar mit einem 
roten Bande umwunden. 

Bei den Waldleuten sind auch noch Blasrohre im Gebrauch zur Jagd 
auf kleine Tiere. Das aus Holz sehr sorgfältig gefertigte Rohr trägt als Korn 
einen kleinen Bergkristall oder eine rote Bohne von Corallodendron, die 
sogenannte Paternoster-Bohne. Zum Schiessen werden kleine Thonkugeln 
benutzt. — Und auch die sanft tönende Rohrflöte, die »Chirimiya«, wird 
von ihnen geblasen. 

• * 

* 

Etwa fünf oder sechs Leguas von Chacula entfernt, in dem Wald- 
gebiet im Norden, liegt Yalombohoch; einer der Indianer- Ranchos, die 
ich vorher erwähnte, deren Grundbesitzer Herr Kanter ist. Schon öfter 
hatte er von einer Pyramide erzählt, die dort in der Nähe sei, die er 
selber aber nicht gesehen, von der ihm die Indios erzählt hatten und die 
nur wenige unter ihnen zu finden wussten. Als es sich nun so traf, dass 


2S4 


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Herr Kanter über Yalombohoch reiten musste, um weiter waldeinwärts gegen 
Norden mit einem gerade anwesenden Regicrungsfeldmesser Rücksprache 
wegen der Feststellung der dortigen Grenze zu nehmen, forderte er meinen 
Mann auf, mit ihm zu reiten. Meine Begleitung hingegen lehnte er ab, 
da er nicht mit Damen ritte, auch wäre der Weg zu schlecht. Da ich nun 
meinem Manne helfen konnte, das Bauwerk im Walde auch zu meiner 
eigenen Belehrung sehen wollte und übrigens der Meinung bin, dass es 
bei schlechten Wegen hauptsächlich auf ein gutes Pferd ankommt, so blieb 
mir nichts übrig, als meinen Mann mit Herrn Kanter vorausreiten zu lassen 
und eine Stunde später mit Pancho nachzureiten. 

Der Weg geht zuerst über schöne Weidegründc bei der Garita 
vorbei, dann durch lockeren Wald und weiter durch eine Art Hohlweg, 
der an beiden Seiten von allerlei blühendem Gesträuch umsäumt ist, unter 
dem eine ganz kleinblütige Fuchsie (wenigstens hielt ich sie dafür, doch 
ist sie noch nicht bestimmt) zusammenhängende Hecken bildete, nach 
dem grossen, stattlichen Indianer-Rancho Aguacatan. Bis hierher war 
der Weg gut und auch ein Stück weiter ging es noch durch Maisfelder 
und Rodungen, bis wir in den Wald einritten. Kurz vorher hat man 
durch eine Schlucht einen Blick auf einen See, der schon zum Quell- 
gebiet des Lacantun-Flusses gehört. Aber im Walde wurde der Weg 
ganz schrecklich. Es war jener herrliche, üppige Tropenwald, der mir 
von unserer früheren Reise durch die Huaxteca noch unvergesslich war. 
Alles trieft in diesen Wildnissen von Feuchtigkeit. Selbst in den heissen 
Monaten wird es dort nicht trocken, denn das Blätterdach ist so dicht, 
dass die Sonnenstrahlen nicht mit voller Kraft hindurchzudringen ver- 
mögen, und der Blick des Wanderers reicht nicht weiter, als der Raum 
gestattet, den das Buschmesser in dem Gewirr von Stämmen, Büschen, 
Ranken geschaffen hat. Bald vergisst man den schlechten Weg über der 
Schönheit ringsum; aber nicht lange, denn das verflochtene Wurzelwerk, 
der im zähen Waldboden einsinkende Fuss, ein hervorstehender Ast oder 
eine würgende Ranke beanspruchen die volle Aufmerksamkeit. Hier war 
nun zwar ein schmaler Pfad durch den Wald gehauen, aber zwischen 
Wurzeln und tiefem Schmutz wussten die Tiere kaum, wohin sie die Hufe 
setzen sollten. Und als wir schliesslich an eine Stelle kamen, wo deutliche 
Spuren im aufgeweichten Boden zeigten, dass die beiden Herren vor uns 
abgestiegen waren, entschlossen wir uns auch dazu, obgleich das Vorwärts- 
stolpern auch kein Vergnügen war; aber das pflegen Wanderungen zur 
Regenzeit im Tropenwalde überhaupt nicht zu sein. 

Yalombohoch liegt auf einer Lichtung, rings von Wald umschlossen, 
seine Hütten zum Teil auf den Fundamenten eines alten Bauwerks, das 
seinen Abmessungen nach recht stattlich gewesen sein muss. Auf dem 
höchsten Punkt steht Herrn Kanters Maisscheune und daneben eine ziemlich 


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geräumige Rohrhütte mit Tisch und Bettgestell, die ihm bei seinen Be- 
suchen als Wohnung dient, und die auch unser Quartier war. Die An- 
siedler — auch Leute von S. Mateo Iztatan — bauen Mais und haben 
ziemlich stattliche Rinderherden. Hief sollen häufig Tapire Vorkommen, 
von denen uns erzählt wurde, dass sie abends aus dem Walde träten, um 
friedlich mit den Rindern zu weiden; ja die Leute behaupten steif und 
fest, dass sie sich mit den Kühen vermischen, und hin und wieder Blendlinge 
von den Kühen geworfen würden. 



Lunds c halt bei Yalombohoch 


Die Pyramide, um derentwillen wir gekommen waren, lag etwa eine 
Legua waldeinwärts, und am nächsten Morgen zogen wir aus, sie zu suchen. 
Ein älterer Mann wusste den Weg. Ausser ihm gingen noch fünf Leute 
mit. Der feine Nebelregen vom Tage vorher hatte glücklicherweise auf- 
gehört, denn der Weg war auch ohne diese Zugabe schlecht genug. 
Es war derselbe Wald wie am Tage zuvor, nur noch feuchter und das Erd- 
reich so aufgeweicht, dass ich bei jedem Schritt bis weit über den Knöchel 
einsank, dazwischen waren Bäche auf darüber gelegten Baumstämmen zu 
überschreiten, lauter Quellflüsschen des Rio Lacantun. Aber wenn man 
um sich blickte - — welche Pracht! Märchenhafte Blattformen, schlank 


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aufragende Stämme, Ranken und ein Unterholz von kleinen, zierlichen 
Palmen. Jeder Baum und jeder Zweig mit Farren und Selaginellen über- 
polstert, von Schlingern und Schmarotzern überwachsen. — Nun standen 
wir an der gesuchten Stelle. Vör uns ragte ein mit üppiger Vegetation 
bedeckter Hügel empor, an dem trotz des grünen Teppichs von Moosen und 
Gräsern und Farren, trotz Baum und Strauch nicht nur die regelmässige 
Form, sondern auch der treppenartige Aufbau zu erkennen war. Nunmehr 
ging es ans Abholzen und Reinigen, um ein genaueres Bild des Baues zu 
ermöglichen, und als nach langer Arbeit das notwendigste heruntergehauen 
war, da Hessen sich sogar unsere schweigsamen Indios zu dem Ausrut 



Die Pyramide von Yalornhohoch 


hinreissen: »que galan!« Und wirklich, einen eleganten Eindruck machte 
die steil und schlank in drei Absätzen aufsteigende Pyramide. Sie war 
nicht sehr gross, hatte etwa acht Meter in der Höhe und ebensoviel in der 
Breite. Die Treppe an ihrer Vorderseite war gut erhalten und auf der Spitze 
stand eine Nische, die an die Cella des griechischen Tempels erinnerte, 
und der nur das Dach fehlte. Leider war es ganz unmöglich, eine ordent- 
liche fotografische Aufnahme zu machen. Denn um den nötigen Abstand 
zu gewinnen, hätte es einer Abholzung von ein bis zwei Tagen bedurft. 
Es blieb nichts übrig, als das Gebäude in drei Abteilungen aufzunehmen; 
die Spuren der dadurch notwendig gewordenen Zusammensetzung sind 


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nicht gut ganz zu beseitigen. Zudem war die Lichtüberspülung gegen den 
Himmel eine grosse, bei dem starken Gegensatz zwischen der grünen 
Dämmerung im Walde und dem hellen Sonnenschein draussen. — Von 
Skulpturwerken fanden wir nichts, aber wer kann ahnen, was die dichte 
Wildnis noch bergen mag. 

* * 

* 

Mitte August war allmählich herangekommen, die Canicula hatte 
schöne Tage gebracht. Die Nachte hindurch wetterleuchtete es stark, 
oft war der Himmel im Süden ganz Licht und Feuer. Es war Zeit, an 
die Abreise zu denken, wollten wir nicht von der schlimmsten Regenzeit 
gerade unterwegs getroffen werden. Aber vorher mussten wir noch einmal 
nach Comitan reiten, uin unsere Tiere frisch beschlagen zu lassen und 
Kisten zu kaufen zur Verpackung unserer Scherben, Steine, Schädel. Auch 
hatten wir vor, die Rückreise auf einem andern Wege anzutreten, nämlich 
über S. Matco Iztatan, S ,a - Eulalia, Soloma und S. Juan Ixcoy, 
da wir natürlich den Wunsch hegten, die Leute und ihre Dörfer in der 
Nähe zu sehen, die sich als die alten Herren des Gebietes betrachteten, 
auf dem wir jetzt monatelang gearbeitet hatten. Für diesen Weg, der 
durch eine abgelegene Gebirgsgegend führte, war es notwendig, uns mit 
Vorräten zu versehen. — An der Lagune von Tepancuapam aber, in einem 
Winkel, den wir im Frühjahr nicht berührt hatten, weil er abseits vom 
Wege liegt, sollten auch alte Bauten und skulpierte Steine zu sehen sein, 
und so wollten wir auch dorthin noch einen Abstecher machen. 

Aber dem kurzen Ausflug ging ein kleines Vorspiel voran. Unser 
Bursche I’ancho hatte sich bisher recht gut betragen, war uns bei jeder 
Arbeit zur Hand gegangen und hatte immer Mittel gefunden, um die 
schwierige Magenfrage zu lösen, ja uns durch seine Kochkünste sogar ab 
und zu einen Leckerbissen verschafft. Als von dem Ritt nach Comitan die 
Rede war, schlug er auf einmal um, wurde mürrisch, unwillig, blieb eine 
Nacht fort, kam sehr angetrunken zurück und erklärte, er habe keine Lust 
mehr, bei uns zu bleiben, und forderte seinen Lohn, weil er morgen fortgehen 
wolle. Uns war dies Benehmen zuerst ganz unbegreiflich, weil wir gar nichts 
mit einander gehabt hatten, wodurch sein Wunsch begründet werden 
konnte. Aber schliesslich ging uns ein Licht auf; was wir bisher nur 
vermutet hatten, wurde zur Gewissheit: Pancho hatte irgend etwas auf dem 
Kerbholz, was ihm die Rückkehr über die mexikanische Grenze nicht 
gerade wünschenswert erscheinen liess. Da er mit der Sprache nicht heraus 
wollte — er war überhaupt kein eifriger Bekenner der Wahrheit — hatte 
er sich einen ordentlichen Rausch angetrunken, in dem er den Mut fand, 
uns ohne weiteres seine ferneren Dienste zu verweigern, was er nüchtern 
niemals gethan haben würde, da er gern bei uns war. So Hessen wir ihn 


2 SS 


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TAFEL UV 



Stein auf d c r 


Pyramide von 


C h i n c o 1 1 i c 


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vorerst ausschlafen, erklärten ihm dann, dass wir ihm natürlich vor 
Quezaltenango kein Geld geben würden, dass wir aber für den Ritt nach 
Comitan auf seine Begleitung verzichteten. Nun war der Friede wieder 
hcrgestellt und wir warben Don Antonios Sohn, den jungen Romero, für 
diese Tage zum Begleiter an. Das war für uns sogar ganz angenehm, 
da er Weg und Steg genau kannte und uns den etwas näheren Weg nach 
Comitan führte, der Zacchanä und Gräcias a Dios links liegen lässt und 
von der Trinidad aus in etwas nördlicherer Richtung direkt auf die Lagune 
von Tepancuapam zu führt. Etwa eine Legua geht es durch prachtvollen 
Wald, jenen dichten Wald, in dem es acht zu geben gilt auf überhängende 
Aeste und umgestürzte Stämme. Und vielleicht habe ich deshalb ver- 
säumt, nach den Affen auszuspähen, deren viele hier hausen sollen. 
Wenigstens bekam ich keinen zu Gesicht. — Nachdem die kurze Wald- 
strecke zurückgelegt ist, folgen Rodungen und Maisfelder, und bald kommt 
man auf schöne, ebene, mit Grasnarbe bedeckte Flächen, die in schlankem 
Trabe schnell durchmessen werden. 

Wie anders erschien uns die ziemlich einförmige Gegend jetzt, als 
vor einem halben Jahre. Damals Staub, Qualm, Hitze, Dürre, müde Pferde, 
müde Reiter — heute waren wir gutes Muts in dem Gefühl, eine erfolg- 
reiche Arbeitszeit abgeschlossen zu haben, die Pferde waren munter, die 
Regenzeit hatte neues Grün hervorgelockt und die Luft war rein und frisch. 

Auf einem sanften Hügelrücken, am Rande dieses weiten, von Wiesen- 
flächen bedeckten Beckens, an dessen tiefstem Punkte der See von 
Tepancuapam liegt, erreichten wir die stattliche Hacienda von Campumä, 
bei deren Besitzer, Don Jos6 Domingo Culebro, wir gastliche Aufnahme 
fanden. 

Der wohlbekannte Föhrenwald, der die weitere Umgegend um 
Comitan nach allen Richtungen hin meilenweit bedeckt, nahm uns am 
nächsten Morgen auf, und auf seinem trockenen, festen Boden ging es 
flott vorwärts, so dass wir schon bei guter Zeit in Comitan waren und 
noch am Nachmittage einen Teil unserer Geschäfte erledigen konnten. 
Mit Don Lisandro Dominguez wurde verabredet, dass er die Kisten und 
wessen wir sonst bedurften, in den allernächsten Tagen mit einem Arriero 
nach Chacula schicke. — Unser Aufenthalt in Comitan erhielt noch einen 
angenehmen Abschluss dadurch, dass wir einen schönen alten Krug für das 
Museum geschenkt erhielten von Don Cristoforo Alborz, dem Besitzer 
von Chincoltic, wohin wir nun unsere Schritte lenkten. 

Chincoltic, mit neuem Namen Los Rincones (Die Winkel) genannt, 
liegt wirklich in einem Winkel der zipfelreichen Lagune. Wir trafen zwei 
Söhne des Besitzers dort an, zwei gebildete junge Leute, von denen der 
ältere sogar schon eine Reise durch Nordamerika gemacht hatte und 
englisch sprach, so dass wir den Abend lebhaft verplauderten. 

Sei er, Alle Wege. <9 

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Da wir am Nachmittag ankamen, war natürlich unser erster 
Wunsch, als wir von den Pferden stiegen, die versprochenen Herrlich- 
keiten zu sehen, und der eine Bruder machte freundlich den Führer. 
Auf dem Wege fanden wir in eine Mauer das Bruchstück eines schönen 
alten Reliefs eingefügt. Am Ufer des Sees stand eine Stufenpyramide 
von so bedeutender Ausdehnung, wie wir sie in dieser Gegend bisher 
noch nicht gesehen hatten. Aber leider war der ganze Bau mit Busch- 
werk so dicht überwachsen, dass von Einzelheiten wenig zu erkennen war. 
Nur die schön behauenen Ecksteine waren hier und da zu sehen und auf 
der Höhe standen zwei flache, mit Skulpturen bedeckte Steine aufrecht, 
zu denen schmale, steile Treppen hinauf führten. Das Bildwerk auf dem 
einen war stark zerstört und abgerieben, den andern versuchte ich von 
der Treppe aus zu fotografieren, was insofern schwierig war, als er stark 
vomübergeneigt stand. Infolgedessen ist auch die Figur, die den Palenque- 
Stil zeigte und sehr gut gearbeitet war, nicht klar genug zu erkennen. 
Der Stein müsste aufgerichtet, dann abgebildet und abgeformt werden, 
das Buschwerk müsste in trockener Zeit abgebrannt und dann eingehende 
Untersuchungen angestellt werden. Wir mussten uns genügen lassen, die 
Stätte gesehen zu haben. Von der Höhe der Pyramide genossen wir 
beim sinkenden Abend noch einen schönen Blick über die mit grünem 
Buschwerk umkränzten Buchten des Sees. 

* * 

• 

Geduld, Geduld verlass uns nicht, ward von nun an unser tägliches 
Stossgebet, denn es schien fast, als ob ein böser Zauber unsern Aufbruch 
verhinderte. Wir hatten mit Bestimmtheit darauf gerechnet, am i. September 
in Quezaltenango zu sein. Statt dessen sassen wir noch immer in Chaculä, 
denn alles schien sich gegen uns verschworen zu haben. Freilich gab es 
immer noch zu thun, aber wir konnten ja doch nicht daran denken, die 
hier begonnenen Arbeiten zu Ende zu führen, und es giebt kaum einen 
unbehaglicheren Zustand, als wenn man von Tag zu Tag denkt: morgen 
werden wir fortkommen, und sich dem immer wieder etwas entgegen stellt 

IJsandro Dominguez hatte wohl Schwierigkeiten gehabt, einen Arriero 
zu finden, oder er hatte, wie es landesüblich ist, gedacht: morgen, morgen, 
nur nicht heute. Kurz und gut, wir warteten und warteten, und es kamen 
keine Kisten. Einige hatten ivir in Chaculä selbst bekommen, aber die 
reichten bei weitem nicht aus. Leute nach Comitan schicken, um die 
Kisten zu holen, ging aber nicht an, denn seit einigen Tagen konnten 
wir gar keine Arbeiter mehr bekommen. Es ist nämlich am 7. September 
Mariä Geburt und das ist der grosse F'esttag für Chiantla, und am 
15. September wird in Quezaltenango der Jahrestag der Unabhängigkeits- 
erklärung gefeiert. Das kirchliche Fest aber ebenso wie das politische 


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sind mit grossen Jahrmärkten verbunden, zu denen die Leute von weit 
her zusammenströmen. Alle abkömmlichen Männer aber und Maultiere 
aus den umliegenden Indianer-Ranchos zogen mit Matten beladen den 
Märkten zu, zum Verkauf und Einkauf. Was solche grossen Messen be- 
deuten, lernt man ja erst in Ländern mit mangelhaften Verkehrswegen 
begreifen. 

Was konnte uns also in unserer Not wünschenswerter sein, äls 
das Anerbieten Don Antonios, für uns nach Comitan zu reiten und die 
Sache dort so schnell wie möglich in Gang zu bringen. Er w f ar von dort 
gebürtig, kannte da alle Leute, und wir glaubten gar keinen geeigneteren 
Boten finden zu können. Kaum war er einen Tag weg, so kommen uns 
die beunruhigendsten Gerüchte von allen Seiten zu Ohren. Man fragt 
uns: Wie konnten Sie den nach Comitan schicken (ich muss hier noch 
einmal daran erinnern, dass Comitan seines vorzüglichen Zuckerbrannt- 
weins wegen berühmt ist)? Wissen Sie nicht, dass er zu trinken anfangt, 
sowie der über die mexikanische Grenze kommt, und trinkt, bis er alles ver- 
trunken hat? Wir hielten das zuerst für Uebertreibung, denn wir hatten ihn 
monatelang als zuverlässigen Mann kennen gelernt; als er aber drei Tage 
über die festgesetzte Frist noch nicht zurück war, blieb uns nichts übrig, 
als an die bittere Wahrheit zu glauben. Da sassen wir nun — keine Kisten, 
kein Proviant, kein Don Antonio, keine Träger, kein Arriero! Kein Licht, 
keine Seife! 

Inzwischen hatten wir mit Eduard Kanter ein Abkommen getroffen, 
dass er die grosse Carga mit seinen Maultieren nach Quezaltenango 
schaffen sollte; zwei Tiere sollten mit uns gehen, um unser persönliches 
Gepäck zu befördern, und die wichtigsten Stücke von den Altertümern 
wollten wir überhaupt, da eine genügende Verpackung hier nicht zu be- 
schaffen war, auf Indianerrücken mit uns nehmen. Kaum war beschlossen 
worden, die erwähnten beiden Maultiere vorerst einmal nach Comitan 
zu schicken, als der ersehnte Arriero eintraf. Don Antonio war trotz 
allem ein braver Mann : er hatte erst unsere Sachen besorgt, ehe er zu 
trinken anfing. Wann er nach Chaculä zurückgekehrt ist, weiss ich nicht. 

Jetzt folgten noch ein paar arbeitsreiche Tage. Während mein 
Mann die Vormittage benutzte, um noch einige Vermessungen vorzunehmen, 
thaten Pancho und ich Zimmermannsarbeit, denn die Kisten waren teils 
deckellos, teils zerbrochen und mussten doch fähig sein, den langen 
Transport auszuhalten. Am Nachmittag wurde gepackt. Als Packmaterial 
diente Pastle, die graue Tillandsie, die von den Bäumen herabhängt wie 
ein Bart und sie oft derart überwuchert, dass von den Kronen kaum noch 
etwas zu sehen ist. Die Amerikaner nennen sie sehr bezeichnend >spanish 
beard». Trocken ist sie ein sehr beliebtes Material für Matratzen und 
Kopfkissen, auch zum Verpacken sehr brauchbar. Die wir aber aus dem 


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Walde holen Hessen, war natürlich frisch und infolgedessen nicht sehr 
zweckentsprechend. Aber wir waren zufrieden, dass wir überhaupt etwas 
hatten. Auch Moos wurde benutzt, und in einigen Kisten fanden wir 
richtiges Stroh. 

Ich hatte von Don Eduardo einen jener prächtigen Quetzal-Vögel 
zum Geschenk erhalten, deren goldgrünes Gefieder die alten Mexikaner 
als Schmuck so hoch schätzten, dass der Name des Vogels von ihnen 
als Kosewort gebraucht wurde. Das Bild dieses Vogels ist auf dem 
Wappen von Guatemala zu sehen, und die Jagd auf das schöne Tier ist 
verboten, um es vor Ausrottung zu bewahren. Es sind scheue Vögel, 
die im Walde leben, und deren man nicht leicht habhaft wird. Infolge 
des Verbotes und der Schwierigkeit, sie zu erlangen, werden die Vogel- 
bälge in Guatemala teuer bezahlt. Es war ein prächtiges Exemplar, das 
mir Don Eduardo brachte, und mass bis zu der Spitze der langen Schwanz- 
federn über einen Meter. Um ihn heil bis nach Quezaltenango zu bringen, 
zimmerten wir eine Kiste aus dem leichten, korkartigen Holze eines 
Baumes, das auch als Baumaterial für die Wände der Hütte in Yalombohoch 
gedient hatte. Aus demselben Holze wurde die Kiste für die Papier- 
abdrücke hergestellt. Denn Bretter gab es natürlich nicht und wir konnten 
nun auch diese Dinge, die vor der Seereise erst sorgsamer verpackt 
werden mussten, auf Indianerrücken mit uns führen. Einige kostbarere 
Stücke, die wir nicht gern den Zufälligkeiten des Maultiertransportes aus- 
setzen wollten, wurden in grosse, runde Körbe verpackt, und konnten auf 
diese Art ebenfalls von uns mitgenommen werden. 

* * 

* 

Die ROckreise. 

Am Freitag, den 4. September waren wir zum letzten Male nach der 
alten Stadt geritten, um wehmütigen Abschied von der lieb gewordenen 
Stätte zu nehmen, und am 6. waren wir reisefertig. Die vier Träger aus 
Subajazon, die glücklich beschafft worden waren — wenn ich mich recht 
entsinne, so hatte der Mayordomo von Chaculä das Kunststück zuwege ge- 
bracht — kamen aber erst am Abend: sie hätten sich neue Sandalen 
machen müssen, und die Frauen wären nicht eher mit dem Proviant fertig 
geworden. Auch wollten sie durchaus nur den halben Weg bis Huehuetenango 
mitgehen. Wir machten ihnen klar, dass davon keine Rede sein könne, 
da wir unterwegs nirgends andere Träger bekommen würden, dass wir 
ihnen aber etwas mehr bezahlen wollten, wenn sie die Sachen gut nach 
Huehuetenango brächten. Damit waren sie einverstanden und zogen am 
Montag, den 7. früh, ganz zufrieden mit uns und den beiden Maultieren 
von der Trinidad ab. 


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In zwölfter Stunde mussten wir noch unsern Plan aufgeben, den Weg 
über S. Mateo Iztatan und S'* Eulalia zu nehmen. Die Nachrichten 
lauteten gar zu bedenklich. Die Wege sollten in trostlosem Zustande sein, da 
es oben sehr stark geregnet habe; Beinverletzungen für die Tiere wurden 
als unvermeidlich vorausgesagt. 

Wir hätten zweimal unser Nacht- 
lager unter Schutzdächern auf- 
schlagen müssen, was in Regen- 
nächten recht misslich ist. Was' 
aber das schlimmste war: Pferde- 
futter wäre in der Nähe dieser Halte 
durchaus nicht zu beschaffen ge- 
wesen. Es blieb unter diesen 
Umständen nichts übrig, als zu 
verzichten. Vielleicht kommen 
wir noch einmal in trockener 
Jahreszeit dorthin. Die Reise 
ging gut von statten, das Wetter 
hatte ein Einsehen mit uns und 
es begann immer erst zu regnen, 
wenn wir schon unter Dach waren. 

Die Wege waren zwar im Laufe 
des Sommers noch schlechter ge- 
worden, aber es herrschte ein 
fröhliches Treiben; Reiter, Indios, 

Lasttiere kehrten von der grossen 
Fiesta in Chiantla zurück. Manche 
Bekanntschaft wurde erneuert, so- 
gar Leute, die wir auf unserer 
Reise durch Chiapas kennen ge- 
lernt hatten, trafen wir wieder; 
manch fröhlicher Gruss wurde ge- 
tauscht. Ueberall wusste man, wer 
wir waren, woher wir kamen, dass 
wir schon zweimal des Weges 
gezogen waren. Wird doch in 

solchen von der Aussenwelt so weit entfernten Gegenden alles zum Ereignis. 

Auf dem Abstiege nach Chiantla hatten wir auch eine hohe Begeg- 
nung zu verzeichnen. Der Jefe politico, d. h. der Regierungspräsident, 
von Huehuetenango, den irgend welche Geschäfte nach den Dörfern 
jenseit der Sierra führten, kam uns zu Pferde entgegen. Da er vermutlich 
auch über unsern Aufenthalt in Chaculä und unsere Arbeiten dort unter- 



Myrcia Seleriana J. Dono. Smith n. sp. 
Chaculä, am Bachrand 


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richtet war, fragte er, als er unsere Indios mit den grossen Körben sah: 
— »Para la Exposicion?« — Wir hatten bei dem schnellen Vorbeireiten 
keine Zeit, uns auf lange Erörterungen mit ihm einzulassen, konnten ihm 
auch nicht auf die Nase binden, dass wir die Dinge auf kürzestem Wege 
ausser Landes zu bringen gedachten — in Guatemala ist ja leider, ebenso 



Alcalde eines ludiunrrdorfcs aus der Gebend von Ouczaltenungo 
Nach einer in Quczaltonango erworbenen Fotografie 


wie in der Republik Mexico, die Ausfuhr von Altertümern untersagt — , 
und so antworteten wir einfach: »Jac. Er wird vermutlich auch an der 
Richtigkeit der Antwort keinen Augenblick gezweifelt haben, denn die 
offizielle und nichtoffizielle Welt in Guatemala hatte damals in der That 
nichts anderes als die Ausstellung im Kopfe. 


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In Huehuetenango mussten wir einen Tag bleiben, um statt unserer 
Träger einen Arriero anzuwerben. Derselbe Ruperto aus Chiantla, der 
im Frühjahr mit uns nach Chaculä gegangen war, ging nun mit nach 
Quezaltenango. Er war ein flinker und anstelliger Bursche, den man 
gern leiden mochte. Der Ruhetag in Huehuetenango kam vor allem 



Alcaldc eines Indianerdorfes aus der Gegend von Quezaltenango 
Nach einer in Quezaltenango erworbenen Fotografie 

unsern Pflanzen zu gute. Mit leeren Pressen waren wir von Chaculä 
weggeritten, und sie waren in diesen paar Tagen mächtig angeschwollen: 
»ya se volvieron zapos« — sie sind schon zu Kröten geworden — wie 
unser lustiger Cornelio immer zu sagen pflegte. Und was das bei feuchter 
Witterung besagen will, wird jeder verstehen, der selber gesammelt hat. 

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Dafür konnten wir von dort auch eine stattliche, sechste Pflanzenkiste an 
das botanische Museum in Berlin absenden. 

Nach Quezaltenango zu musste es sehr stark geregnet haben; die 
Wege waren abscheulich. Besonders in der Nähe von Zija waren einige 
Abhänge zu überwinden, über die die Pferde wie auf Glatteis gingen, was 
ihnen keine geringe Anstrengung verursachte. Wir waren auf dieser 
Strecke eine stattliche Karawane: mein Mann, ich, Pancho hoch zu Ross; 
die zwei Mulas aus der Trinidad mit ihren zwei indianischen Begleitern; 
Rupcrto aus Chiantla, der seinen jüngeren Bruder zu seiner Hilfe mitge- 
nommen hatte, mit vier Lasttieren. Ausserdem lief noch ein Freund Panchos 
mit seiner Frau mit, ein Mexikaner, der vermutlich ebenso wie Pancho vom 
Militär fortgelaufen war und nun irgendwo in Guatemala Arbeit suchte. 

Als wir in Quezaltenango einritten, war die Fiesta gerade auf ihrer 
Höhe: Viehmarkt, Jahrmarkt, Pferderennen, Hazard-Spiele; elegante Reiter 
von diesseits und jenseits der Grenze, geputzte Damen, Musik auf der 
Plaza — kurz, es war der Teufel los. Die Mexikaner mit goldbetressten, 
spitzen Hüten, engen Hosen, auf prächtigen, reich aufgezäumten Pferden 
mit silberbeschlagenem Sattelzeug; die Guatemalteken und Europäer 
atif elegantem englischem Sattel, so europäisch wie möglich; die Damen 
in buntesten Seidenkleidern, vermutlich nach der neuesten Mode, mit 
ungeheuren Hutgebäuden von Federn und Blumen, aber darunter bei weitem 
nicht so viele hübsche Gesichter als in Mexiko; die Frauen aus dem 
Volk mit seidenen, schreiend bunten Rebozos; die Indianerinnen mit reich 
bestickten Hemden — wahrlich, an Farbe fehlte es nicht. 

* * 

* 

Aus verschiedenen Gründen zogen wir es diesmal vor, auf der Post- 
strasse zurück zu reiten. Einer davon war der Wunsch, die alten Orte 
Totonicapan und Tecpam zu sehen, ein anderer, Herrn Wilhelm 
Thom zu besuchen, dessen Sägemühle unweit von der grossen Strasse 
im Walde liegt. 

Während sonst die indianischen Träger mit ihrer Last so schnell 
zu laufen pflegen, dass sie häufig mit dem Reiter zugleich oder nur wenig 
später am Ziele eintrefien, begegnete cs uns auf diesem Wege zweimal, 
dass die Leute das verabredete Nachtlager nicht erreichten, weil sie auf 
den aufgeweichten Wegen langsamer vorwärts kamen. Da wir meist 
ziemlich verregnet eintrafen, war das recht unangenehm. Denn im Ver- 
trauen auf die Leistungsfähigkeit indianischer Beine und Rücken hatten 
wir diesmal kein Packtier mit den für kühle Nachtlager und Regenwetter 
notwendigen Dingen bei uns und sahen uns ausserdem genötigt, den Weg 
in zahlreiche kurze Tagemärsche zu zerlegen. 


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Von Quezaltenango weg führt der Weg in breiter Mulde zuerst am 
Fluss von Olintepec hinab, dann an dem von Salcajä aufwärts, bis 
dieser bei dem Orte gleichen Namens überschritten wird. Beide Flüsse ver- 
einigen sich in ihrem späteren Laufe zum Rio Samalä. Jenseits des Sal- 
cajä steigt man an einem kahlen Hügelrücken in die Höhe, der das 
Thal von Quezaltenango vom Thal von Totonicapan trennt, das enger, 
tiefer von Wasserläufen durchfurcht und von bewaldeten Hängen um- 
schlossen ist. 

Totonicapan — im Quich6: Chi me'ken ya — liegt malerisch am 
Rande einer Schlucht und am Fusse eines hohen Waldgebirges, das die 
Hochthäler von Quezaltenango und Totonicapan von der Quiche-Ebene 
und den zum Atitlan-See führenden Thälern scheidet. — L’nsere Hoffnung 
auf Altertümer war vergeblich gewesen. Die grosse Sammlung eines 
Privatmannes, von der wir gehört hatten, war nicht mehr da, ihr Eigen- 
tümer abwesend. Auch ein Besuch beim Pfarrer war ergebnislos: er war 
erst kurze Zeit am Ort, von Geburt Franzose, sprach noch nicht Indianisch, 
konnte uns also beim besten Willen nicht behilflich sein. 

Wir hatten am nächsten Tage das hohe Waldgebirge zu über- 
schreiten. Da es auf der Fahrstrasse geschah, so war der Anstieg nicht 
steil, aber lang und andauernd. Der Morgen war empfindlich kühl und 
neblig. Zur Seite wuchsen Eichen und Kiefern. Rinnende Wasser, 
Felsen; wenn der Nebel sich teilte, Blicke auf grünende Weizenfelder, 
während von nah und fern das Geläut der Schafherden herübertönte — 
wer hätte da nicht eher gemeint, in der Schweiz zu sein, als jenseits des 
grossen Wassers und nur 15 0 vom Acquator entfernt! Der Ritt war lang 
und ermüdend, meist durch Wald, immer in ansehnlicher Höhe, und bot ab 
und an schöne Blicke in frisch grüne Thäler, auf wellige Hochflächen oder 
auf den entfernten Spiegel des buchtenreichen Atitlan-Sees. Es regnete 
nicht, die Luft war kühl und die Sonne warm und überall blühte es: auf 
den Matten gelber Hahnenfuss, hellblaues Geranium und eine zierliche 
kleine blaue Verbene; in Wald und Busch eine schöne grosse Dahlia, ein 
Baldrian und eine Liliacee, dem Asphodelos ähnlich. Erst als wir den 
östlichen Abhang erreichten, mischte sich unter die Kiefern und Edel- 
tannen eine Erle in grösseren Beständen, während zur Seite des Weges 
dichte grüne Büsche eines Solanums und einer Euphorbie wuchsen. 

Los Encuentros, wo wir übernachteten, ist kein Ort, sondern nur 
ein grosses, gutes Unterkunftshaus, das seinen Namen mit vollem Rechte 
führt, denn von der Schneide, auf der es liegt, zieht sich nach Süden ein 
direkter Weg durch schmale, gewundene Thäler nach Sololä am Atitlan- 
See hinunter, während nach Norden zu, längs der dem Rio Motagua zu- 
strömenden Wasserläufe eine bequeme Strasse nach Quiche führt, so dass 
dieser Punkt eine wichtige Strassenkreuzung ist. Für Menschen und Tiere 


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war gut gesorgt und viele Indianer und Reisende übernachteten dort. Wir 
aber erwarteten zum ersten Male unsere Träger vergeblich. 

Stundenlang ritten wir am nächsten Morgen durch eintönige Land- 
schaft, über Abhänge, die mit dicken Graskaupcn und vereinzelten Bäumen 
bestanden waren, an munteren Bächen entlang, um abermals die Höhe 
einer Gebirgskette zu ersteigen. Aber unmittelbar jenseits des Kammes 
harrte unser eine Ueberraschung: wie mit einem Zauberschlage sahen wir 
uns in eine dichte Waldvegetation versetzt. Schmale Thälchen führten 
links steil in die Höhe, senkten sich rechts dem Atitlan-See zu und waren 
rechts sowohl als links von einer schier undurchdringlichen Wildnis erfüllt, 

in der wir zu unserm Er- 
staunen alle Räume zwischen 
den prachtvollen, hochstäm- 
migen Kiefern und Zypressen 
von zierlichem Bambusrohr in 
dichten Massen erfüllt sahen, 
eine Vereinigung von ganz 
eigentümlichem Reiz. Es war 
der Anfang des grossen Wald- 
gebiets, das die bis zu 3400 
Metern aufsteigenden Höhen 
zwischen Los Encuentros und 
Tecpam überzieht. Dass die 
Hochstämme in ihrer Haupt- 
masse Zypressen sind, die ein 

kostbares Nutzholz liefern, 
wurde Veranlassung für Herrn 
Thom, dies Gebiet zu erwerben 
und mitten darin die Dampf- 
Mjnui Friedrichithalü. Bcrc. Schneidemühle S ,a - Elena 

Sierra Santa lilcna anzulegen. — Hier herum 

musste der Weg zur Mühle 
links abbiegen. Wir hatten aufzumerken und es regnete und die schlüpfrige 
Strasse führte bergab. So ritten wir achtlos an einem Reiter mit seinem 
Mozo vorüber, als mir plötzlich der Gedanke kam, das könnte wohl Herr 
Thom sein, der von unserer Ankunft unterrichtet war. Aufs Geratewohl 
rief ich ein lautes: Guten Tag! Und wirklich, er war uns entgegen ge- 
ritten und um ein Haar hätten wir uns nicht gefunden. Herr Thom 
hatte in uns ein paar junge Menschen vermutet und war daher ruhig an uns 
vorbeigeritten ; er war höchlichst erstaunt, ein ziemlich angejahrtes, grau- 
haariges Ehepaar kennen zu lernen. Auf einem schmalen, nassen Wald- 
pfad erreichten wir in zwanzig Minuten das gastliche Dach von S la - Elena. 

29S 



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Wie ein echter Hinterwäldler hat Herr Thom jahrelang in einer 
Hretterhutte gewohnt, sich dann ein hölzernes Haus gebaut, das ihm 
niederbrannte, und jetzt steht neben der Säge ein geräumiges, massives 
Gebäude mit offenen Veranden für die Hitze und einem mit Ofen 
versehenen Zimmer für die Kälte. Ja, wirklich Kälte. Als wir am 
nächsten Morgen um 6 Uhr nach dem Thermometer am Hausthor 
sahen, zeigte es 3* C., und in klaren Winternächten, wenn Wald und 
Erdboden ihren Wärmevorrat in den Weltenraum ausstrahlen, fallt es 
manchmal bis auf — 4°C., wahrlich keine tropische Temperatur. Da- 



Aussicht bei Sta. Klena 


gegen steigt die Wärme an sonnigen Mittagen bis auf 20°, 30° C. 
und noch höher. Dabei trieft alles von Feuchtigkeit, nicht nur zur 
Regenzeit, denn Nebel und Wolken sind in dieser Höhe häufig. Der 
Waldbodcn und die Stämme sind mit dicken Moospolstern überkleidet, 
auf denen die Sonnenlichter goldig funkeln. Und auf den Bäumen wächst 
nicht nur, was man dort zu sehen gewohnt ist: Orchideen, Tillandsien 
und Farren, sondern Pflanzen der verschiedensten Klassen haben sich 
angesiedelt, da das Moos einen humusreichen Boden liefert. Trotzdem 
soll das Klima gesund sein, ganz fieberfrei; und Herr Thom und seine 
Leute sahen alle frisch und blühend aus. Aber gegen Erkältungen muss 


299 


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man freilich auf der Hut sein. Und da wir gründlich nass geworden waren 
und die Träger wieder einmal nicht das Ziel erreichten, empfanden wir 
die Behaglichkeit des Hauses und die gute Bewirtung doppelt angenehm. 

Der regenfeuchte Abend wurde verplaudert und der sonnige Sonntag- 
morgen zu einem Spaziergange benutzt, dessen Ziel ein Fleckchen Erde 
war, wie es nicht viele auf der Welt von gleicher Schönheit geben mag, ein 
Punkt, von dem aus das Auge eine Rundsicht von unvergleichlicher Herr- 
lichkeit gcniesst. Der Fclskegcl, auf dem wir stehen, ist von mancherlei 
Busch und Kraut bewachsen, nicht weit davon der schöne Mooswald, und 
vor uns scheint eine Landkarte ausgebreitet, deren Mittelpunkt der Atitlan- 
See in seinem bestrickenden Reiz einnimmt. Während der Blick nach 
links hin die Ebene von Chimaltenango, Tecpam, die von Barrancas um- 
zogene Platte, auf der die alte Cakchiquel-Hauptstadt Iximche lag, und 
auf der andern Seite der Barranca das Plateau von Patzun umfasst, 
schliessen sich zur Rechten an den See und seine Weiler die Schluchten 
und Waldgebirge, über die die Wege nach Quezaltenango führen. All 
das wird überragt von der Reihe mächtiger Vulkane: dem Pacaya am 
Amatitlan-See, dem Riesenkegel des Agua, dem Doppelgipfel des Fuego 
und Acatenango; gerade uns gegenüber steigen die Feuerberge an der 
Westseite des Atitlan-Sces empor, der S. Pedro und der Atitlan; 
weiterhin der Cerro Quemado und die regelmässige Pyramide des 
S la - Maria bei Quezaltenango. Dort, wo die P'erne von Wolken verhüllt 
war, sollen bei klarem Wetter auch noch der Tacanä und Taxomulco, an 
der mexikanischen Grenze bei Tapachula, sichtbar werden. Der fesselndste 
Reiz des Bildes aber liegt darin, dass überall zwischen den Lücken, zwischen 
den Gliedern dieser Riesenkette das Meer herüberschaut, der Stille Ozean, 
duftig und blau, mit scharfer Horizontlinie vom hellen Himmel sich tren- 
nend, und darüber weisse Wölkchen. 

ln der Sägemühle hatten wir einen schönen, stillen Sonntag verlebt. 
Am Montag früh ritten wir in Begleitung unseres Gastfreundes nach 
Tecpam Guatemala. Niemand, der dies Ladino-Dorf betritt, das gar 
nichts vor andern Dörfern voraus hat, würde ahnen, dass sein stolzer Name 
«Hauptstadt Guatemalas bedeutet. P'reilich bezieht sich der Name auch 
nicht auf das moderne Dorf, sondern auf die wenig entfernte alte Stadt 
der Cakchiquel, die diese Iximche, die Mexikaner aber Quauhtemallan 
nannten, woraus der heutige Name Guatemala entstanden ist. Vom Wege 
aus werden einige Tumuli sichtbar, die Uebcrreste des alten Ortes. In dem 
kleinen Häuschen, das Herr Thom im Dorfe besass, zeigte er uns eine 
kleine, aber ausgewähltc Sammlung von Altertümern, die er im Laufe der 
Jahre zusammengebracht hatte, und die hauptsächlich aus Stücken von 
Tecpam und von Amatitlan bestand. Es befand sich einer der sonder- 
baren dreibeinigen Steinsessel darunter, wie wir sie von der Kaffeeregion 


300 


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am Fusse des Fuego und aus der Sammlung des Manuel Alvarado in 
Antigua kannten, einige hervorragend schöne Zackengefässe vom Amatitlan 
see und andere interessante Stücke. Herr Thom hat diese ganze Sammlung 
dem Berliner Museum geschenkt. 

Klares Bergwasser fliesst durch die Strassen von Tecpam dem Stillen 
Ozean zu, während die Wasser von S ,a - Elena zum Motagua und mit ihm 
der atlantischen Seite Zuströmen. Und an jenem Wässerlein ritten wir ent- 
lang. Hatten wir vor wenigen Tagen uns in die Voralpen versetzt geglaubt, 
so sollte uns nunmehr ein Stückchen deutsches Mittelgebirge überraschen, 
als wir die Mühle Helvetia besuchten, die einer Hamburger Firma gehört 
und von deutschen Angestellten geleitet wird. Wie wir dort standen, auf 
dem mit Obstbäumen bepflanzten Wiesenhang, der sich an der Berglehne 
sanft in die Höhe zieht, auf die Mühle sahen, auf den von Weiden ein- 
gefassten Bach, auf die bewaldeten Hänge, die das Thal einschliessen, 
während die beiden deutschen Herren reife Aepfel von den Bäumen 
pflückten, war es schwer, die Vorstellung festzuhalten, dass uns das Welt- 
meer von der Heimat trennte. Ein paar Stunden flössen rasch dahin, und 
es war beim guten Frühstück und lebhaften Gespräch fast I Uhr geworden, 
als wir uns verabschiedeten. Meine Satteltaschen waren vollgestopft von 
herrlichen, Reifen Aepfeln, deren Geruch noch tagelang nachher die heimat- 
lichsten Gefühle in mir wach hielt. 

Bald versank die deutsche Idylle hinter uns und andere Bilder 
entrollten sich, Barrancas, Hochflächen, eine mit Gestrüpp bewachsene 
Gruppe künstlicher Hügel, in deren Nähe früher viel Sachen gefunden 
worden sind. Der Boden umher ist mit Scherben übersät. Hier verab- 
schiedete sich Herr Thom von uns, und wir mussten eilen, um noch 
Chimaltenango zu erreichen. Das Wegstück zwischen Patzizia und Chimal- 
tenango hatten wir auch auf dem Hinwege nach Chaculä zurückgelegt, aber 
inzwischen war der lehmige Abhang hinter Villa de Zaragoza vom Regen 
vollständig aufgeweicht worden, und als wir endlich bei einbrechender 
Dunkelheit die Ebene erreichten, fanden wir dort die Strasse in tief ein- 
gewühltc Bächlein verwandelt. Zwar gingen unsere Tiere sicher, aber wir 
atmeten doch erleichtert auf, als wir im Stockdunkeln endlich die Stadt 
und das von einem Deutschen gehaltene »Gran Hotel Chimaltenango« er- 
reichten, wo Menschen und Tiere wohl aufgehoben waren. 

Bald hinter Chimaltenango trafen wir den deutschen Müller, Herrn Hans 
Schmidt aus Los Pastores, und noch einen andern I.andsmann, die uns auf 
ihrem leichten Wägelchen ein Stück begleiteten, bis sich unsere Wege trenn- 
ten. Deutsche überall: beim Kafleebau, im Mühlengewerbe, bei den elektri- 
schen Anlagen, als Aerzte, aber nur vereinzelte Handwerker und keine Bauern. 

Guatemala wäre wohl in einem Tage zu erreichen gewesen, aber 
unsere Träger erklärten den Marsch für zu lang, und da wir nicht wieder 


301 


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nass werden wollten, machten wir noch einen letzten Halt in Mixco. Das 
bescheidene Gasthaus liegt gerade auf der Kante des schroffen Abfalls 
nach Guatemala zu, und von dem Fenster des Gastzimmers aus sahen 
wir am Abend die zahlreichen Lichter der Stadt aufblinken. Den Reiz 
eines solchen Bildes wird jeder kennen, aber uns erschien er zugleich als 
ein Gruss, der uns eine kurze Zeit der geistigen und körperlichen Ruhe 
nach anstrengender Zeit vcrhiess. 



Thonbruchstück von Chaculd 


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Organ os. Säulenkaktus 


ELFTER ABSCHNITT, 

Im Norden und Osten von Guatemala. 

2. Dezember 1896 bis 2. Februar 1897. 

Erwartungen. — Chinautla. — Töpferei. — El Sol y la Luna. — Im Motagua-Thal. — IJano 
Grande. — Das Thal von Salatna. — Der Weg in die Alta Verapaz. — Tactic. — Nach Coban. 

— Die Stadt. — Zur Unlhätigkeit gezwungen. — Klima. — Landsleute von allerlei Art. — 
Kekcbi. — Unterkunft. — Wege. — Tracht. — Petet und Zamac. — Weihnachtszeit — Aufbruch. 

— Punchos Kausch. — Des Archäologen Sehnsucht. — Heiligabend in Salamä. — Tocoy- 
Morazan. — Acazaguastan. — Wieder im Motagua-Thal. — Ferrocarril del Norte. — Zucapa. 

— Plötzlicher Vegetationswechsel. — Los Amates. — Quirigua. — Der Winkel bei den 
Grenzen. — Revolutionsgerüchte. — Nach Copan. — Erfüllter Wunsch. — Esquiptilas. — Die 
grosse Fiesta. — Quczaltepcque. — Ipala. — Vom Schicksal ereilt — Krankentransport. — 

Chiquimuln. — Zurück nach Guatemala. 

Bis vor wenigen Jahren waren die waldreichen Gebiete der Alta Verapaz 
in archäologischer Beziehung fast eine Terra incognita. Erst die eifrigen 
und erfolgreichen Arbeiten der Herren Dr. Karl Sapper und Erwin Diesel- 
dorff haben begonnen, Licht in das Dunkel zu bringen. Und durch diese 
beiden Herren haben auch eine Reihe seltsamer Stücke ihren Weg in das 
Berliner Museum für Völkerkunde gefunden. Auch die ethnographische 
und sprachliche Erforschung reicht nicht weit zurück. Um die alten Quellen 

3°3 


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aus früher spanischer Zeit ist es spärlich bestellt. Kurz und gut, dem 
Sprach- und Altertumsforscher, dem Ethnologen und Naturwissenschaftler 
öffneten sich dort manche verlockenden Aussichten, besonders da er auf 
die wohlwollende Hilfe und Unterstützung seiner Pläne bei den vielen in 
und um Coban angesiedelten Landsleuten rechnen durfte. 

So brachen wir denn mit frohen Hoffnungen nach Norden auf, aber 
der gute Stern, der uns bisher geleuchtet und durch alle Fährnisse hindurch 
geholfen hatte, schien im Erlöschen. Kein Teil unserer Reise verlief so 
ergebnislos durch die Ungunst des Wetters, durch Krankheit, als der 



Thonrelief aus Chajcar, Alta Vernpaz 
(*/* der nat. Grösse) 


Aufenthalt in Coban, und doch waren gerade hier die günstigsten Vor- 
bedingungen für Arbeit und Erfolg gegeben. 

In der Gegend zwischen Antigua und S“- Lucia, wo wir uns vor 
kurzem vierzehn Tage lang aufgehalten hatten, war die Regenzeit so gut 
wie vorüber, obgleich es immer noch ab und zu einen tüchtigen Schauer 
gab. In Guatemala regnete cs schon seit einigen Wochen nicht mehr; 
auch die Wege waren dort herum schon fest und trocken und gut. Bis 
Chinautla und noch ein Stückchen darüber hinaus ist die Strasse sogar 
fahrbar. 


3°4 


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Man verlässt Guatemala im Nordosten über die schmale Landbrücke, 
die das von Harrancas umgebene Plateau, auf dem die Stadt gebaut ist, 
mit dem übrigen Gelände verbindet. Aus vulkanischen Sanden und Aschen, 
die in vorgeschichtlicher Zeit aus einem der mächtigen Krater im Süden 
ausgeschleudert wurden, setzt sich die Hochfläche zusammen. Lehm und 
Sand, mit Lavastückchen und Bimssteinbrocken untermischt, bilden in der 
trockenen Zeit eine Strasse, die unter den Hufschlägen der Pferde tönt. 
In dem weichen Erdreich hat man an einer Stelle Nischen ausgegraben, 
die dem Wanderer bei plötzlichem Regen Schutz, bei brennender Sonne 
einen willkommenen Platz zum Rasten bieten. Wir erfreuten uns an den 
anmutigen Bildern, die die Umgebung der Hauptsadt überall zeigt: be- 
waldete Schluchten, aus deren Grunde hier und da ein heller Wasser- 
faden aufblitzt, von niedrigem Wald bestandene Hügel und höhere Ketten 
darüber. Im Süden, jenseits der Vulkane, war der Himmel noch bewölkt, 
dort schien es zu regnen. 

Am Ufer des Wässerleins, das den Namen Rio de las Vacas führt, 
liegen die Häuschen und Hütten des Dorfes Chinautla, zwischen grünem 
Buschwerk, Bananen, und Fruchtbäumen, überragt von der auf einem 
Felsvorsprunge gebauten, weiss getünchten Kirche. Chinautla ist ein 
Töpferdorf; seine weibliche Einwohnerschaft verfertigt alle Arten gröberer 
Thon waren: Töpfe und Comales, das sind die flachen Tiegel, auf denen 
die Tortillas gebacken werden. In einfacher Technik, durch Auflagen, 
Einritzungen, Bemalung, wird das Geschirr mannigfach verziert. Da die 
Töpferei unter den ältesten Kunsthandwerken ihre Stelle hat und unter 
den ansässigen, ackerbautreibenden Völkern Amerikas zu hoher Blüte 
gediehen war, ist es nicht ohne Interesse, die heutige Form und Mache 
mit der der alten Gefässe zu vergleichen, was leider meist zu Gunsten 
dieser ausfällt. Nur an wenigen Orten hat sich die Kunst auf der 
alten Höhe erhalten oder gar sich in modernem Sinne weiter entwickelt. 
— Ueberall aber ist die Töpferei noch heute eine meist von Frauen geübte 
Fertigkeit, auf die sie auch ein gewisses Recht haben, da nicht ohne Grund 
vermutet wird, dass sie ihre Erfinderinnen sind. 

Die Thonwaren von Chinautla werden von den indianischen Hausierern 
im ganzen Lande umhergetragen. Es ist schier unbegreiflich, dass der 
bescheidene Erlös für solche gering bezahlten Dinge die Mühe des Weges 
lohnt. Es wird nur verständlich, wenn man bedenkt, dass Zeit für den 
Indianer wertlos ist. Und für die Beschwerden der Reise fühlt er sich 
vielleicht dadurch belohnt, dass er andere Gegenden und Dörfer und Städte 
zu sehen bekommt. «Reisen« und »sehen« sind in den Sprachen des 
Landes synonym. 

Auch weiterhin ist der Weg vorzüglich angelegt; jede starke Steigung 
vermeidend, zieht er sich, freilich recht schmal, immer in halber Höhe 

Seler. Alle Weit«. 20 

3°5 


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am Berghang hin mit lieblichen Ausblicken auf waldige Höhen und tief 
eingesenkte Thaler. Wo es quelliger ist, wachsen hohe, buntblättrige 
Graser und eine Pflanze, der Sonnenblume ähnlich, überragt fast die Köpfe 
unserer Tiere. Als mein Mann eine davon pflücken wollte, flog plötzlich 
ein Schwarm wilder Bienen auf und unsern Tieren um die Ohren; sie 



scheuten und wurden wild, und auf dem schmalen Wege, dicht über dem 
Abhange, verflossen einige bange Augenblicke bis sie wieder zur Ruhe 
gebracht waren. 

Ein Trupp Reisender, der in geringer Entfernung hinter uns ritt und 
wegkundiger war als wir, war plötzlich aus unserm Gesichtskreis ver- 
schwunden. Die Herren hatten einen Richtweg eingcschlagen und waren 

306 


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so lange vor uns in Chiquin eingetroffen, dass sie uns das gute Quartier 
und Essen der Dona Guillerma, das eines gewissen Rufes sich erfreut, vor 
der Nase weggeschnappt hatten. Wir mussten auf der Erde nächtigen 
und uns mit den Brosamen begnügen, die von dem wohlbesetzten 
Tische fielen. 

Wer den üblichen, sehr langen Ritt von Chiquin bis Salamä in einem 
Tage bewältigen will, muss um 5 Uhr morgens aufbrechen, um sein Ziel 
bei guter Zeit zu erreichen. Trotz der weiten Entfernung wird die Strecke 
meist in einem Tage zurückgelegt, da das mittwegs gelegene Canoa seines 
Klimas und seines Wassers wegen in so üblem Rufe steht, dass man gern 
vermeidet, dort zu übernachten. Wir aber verzichteten von vorn herein 
darauf, Salamä zu erreichen, da man uns von zwei grossen, bemalten 
Steinen bei Trapiche grande — etwas mehr als eine deutsche Meile von 
Chiquin entfernt — erzählt hatte, die als »Sonne* und »Mond« bezeichnet 
wurden. Die wollten wir aufsuchen und ihnen den Tag widmen. Näheres 
aber wusste kein Mensch, erst in Trapiche sollten wir das wie und wo 
erfahren. Wir machten zwar ohne allzu grosse Mühe das Haus ausfindig, 
wo uns Belehrung werden sollte, aber der Mann, der sie geben sollte, war 
völlig berauscht — wie ich in Anbetracht der frühen Morgenstunde an- 
nehme, noch und nicht schon. Was wir von ihm erfahren konnten, lautete 
wenig ermunternd und ziemlich verwirrt: es wäre nichts an den Steinen zu 
sehen, es führe kein Weg hin, der Fluss versperre ihn in jetziger Jahreszeit. 
Da überdies niemand anders uns führen konnte, so verzichteten wir auf 
den Anblick der beiden himmlischen Steine, el Sol y la Luna, und zogen 
unseres Weges. 

Nicht lange, so kamen wir in das Thal des Rio Grande, des Motagua, 
den wir als allen Bekannten grüssten. Wir hatten ihn vor Monaten viel 
weiter oben zwischen Quiche und Guatemala bei La Garruche überschritten, 
wo er brausend und wirbelnd über Steine dahinschoss mit ansehnlicher 
Wassermenge trotz der trockenen Zeit. Hier floss er in tief eingesenktem 
Felsenbett, doch war seine Breite stattlicher geworden. Späterhin sollten 
wir ihn noch weiter unten kennen lernen, wo er zum breiten, mächtigen, 
ruhigen Strome geworden. Soweit er Feuchtigkeit an das Erdreich abgab, 
umsäumte grünes Gehölz seine Ufer, aber die oberen Hange waren trostlos 
dürr, denn es ist heiss und trocken in diesem Thal. Der Weg war gut 
angelegt, zum Teil in den Felsen eingesprengt, doch darf man nicht 
gerade schwindlig sein, wenn man auf der schmalen Strasse, hart am 
Rande des steil zum Flusse abstürzenden Ufers entlang reitet. Einige 
Hütten — auf der Karte als Buena Vista bezeichnet — liegen am Wege, 
und etwas weiter hin wird unser Auge durch eine auffallende Bildung an 
der gegenüberliegenden Felswand gefesselt: prächtig in Säulen abge- 
sondertes, vulkanisches Gestein. 


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Bei dem Oertchen El Puente wird der Fluss auf hübscher neuer 
Hängebrücke überschritten; die alte war vor Jahren eingestürzt. Der 
Punkt ist sehr malerisch: das tiefe Flussbett von der Brücke überspannt, 
die eng an die F'elswand gedrückten Hütten des Dorfes, die waldigen 
Höhen und die satten Farben geben ein hübsches Bild. 

Nachdem man ein halbes Stündchen am linken Ufer hinunter geritten, 
erreicht man ein von Norden her einmündendes Seitenthal, in dem der 
Weg nach Coban hinauffuhrt. Hier, in vollster Tierra caliente, liegt eine 
Gruppe Hütten, die den Namen La Canoa führt, in denen es von Weibern, 
nackten Kindern, Schweinen und Hunden wimmelt. Ausserdem giebt es 

ein Schulhaus, ein Gemeindehaus 
und eine Branntweinschenke. — 
Hunger und Hitze zwangen uns 
zu kurzer Rast. 

Wir überschritten den Bach, 
kehrten dem Motagua den Rücken, 
stiegen über Geröll in die Höhe 
und erreichten die Nadelholz- 
Region. Der erfolglose Aufent- 
halt in Trapiche grande hatte 
uns jeder Möglichkeit beraubt, 
heute noch Salamä zu erreichen. 
Aber am Wege lag eine grosse 
Hacienda — Llano grande — 
und dort wollten wir versuchen zu 
nächtigen. Wir ritten bei den 
ziemlich verwahrlosten Gebäuden 
vor, mussten aber den Verwalter 
erst aus einem Rancho holen. 
Dieser gab uns zwar gnädig die 
Erlaubnis, da zu bleiben, eröflhete 
uns aber zugleich, dass es kein 
Essen gäbe, kein Viehfutter und auch keinen andern Raum als die offene 
Vorhalle. Das war natürlich nur Ungefälligkeit, und wir liessen uns deshalb 
auf keinerlei Verhandlungen ein, sondern sassen wieder auf: ein Nacht- 
lager im Freien ohne Essen konnten wir überall finden und brauchten 
uns nicht noch dafür zu bedanken. Ich will übrigens nicht unterlassen 
zu betonen, dass es das einzige Mal während unserer langen Reise war, 
dass wir so schnöde abgewiesen wurden. 

Der Llano Grande ist ein flaches, längliches Thal mit Baumgruppen, 
vereinzelten Ranchos und Zuckerrohrfeldern, von einem Bache durchströmt, 
und an dessen anderm Ufer fanden wir in einem Hause freundliche Auf- 



Eugenia Salamensis J. Dona Smith, n. bj>. 
Llano Grantle, Dpt. Salami 


30S 


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nähme. Da es noch früh am Tage war, konnte noch alles beschafft 
werden, was der Mayordomo kurz und bündig als nicht vorhanden erklärt 
hatte. Und obgleich sich eine grosse Familie in dem kleinen Hause 
befand, räumte man uns gern eine Catre und einen Tisch zum Schlafen 
in einer geschützten Ecke ein. 

Die Nacht war frisch und nebelig, und der Nebel wich auch am 
Tage nicht, ja als wir nach langem Anstieg in schönen Laubwald 
kamen, wurde es ein feiner, dichter Regen. Der Weg ist hübsch und gut, 
neu angelegt; wo Klippen und Biegungen seine Fortführung hinderten, 
ist er in den Fels gesprengt. Aehnlich der Strecke zwischen Chinautla 

und Chiquin zieht er sich am Abhang allmählich in die Höhe, inmitten 

einer prächtigen Vegetation. In den Tropen sind die höher gelegenen 
Gebiete in der Regel durch Blütenfülle ausgezeichnet, während an der 
Küste meist ein gleichartiges einförmiges Grün herrscht. In den 

Schluchten dagegen und an den Berglehnen mit ihren mächtigen, 
ganz mit parasitischen Gewächsen bedeckten Stämmen, den zierlichen 
Wedeln der Baumfarne, den herabhängenden Schlingern, entzückt die 
Mannigfaltigkeit der Form. Nur wenn die Sonne den Nebel durch- 
drang, konnten wir uns der farbigen Blüten freuen, unter denen eine 

gelb blühende Composite — Taxixcö, Parymenium Türkheimii, Vatke — 
und verschiedene rot blühende Stauden auffielen. Der Abstieg ins Thal 
von Salami war weniger rühmenswert, über Geröll und loses Gestein 
geht es ziemlich steil bergab. Ein auffallend plötzlicher Wechsel des 
Wetters tritt ein: kaum hatten wir die Höhe überschritten, so hörte 

der Nebel auf, das Vegetationsbild ändert sich mit einem Schlage: es wird 
trocken und heiss. In der Thalebene tritt Kaktus auf, den wir seit 

vielen Monaten nicht gesehen hatten. Wie in Mexiko hatte man die 

hohen Säulen zur Einfriedigung von Gehöften benutzt. 

Das Thal von Salamä liegt tief eingesenkt zwischen der Massen- 
erhebung der Altos im Süden und den zu ansehnlicher Höhe empor- 
steigenden Bergketten der Alta Verapaz im Norden. Daher haben so- 
wohl die vom Atlantischen, als auch die vom Stillen Ozean wehenden 
Winde ihre Feuchtigkeit längst abgegeben, wenn sie bis hierher kommen. 
So hat das Thal nur eine kurze, scharf begrenzte Regenzeit. Aber es 
fehlt nicht an Wasser, denn von den Bergen, auf deren Kämmen die 
Feuchtigkeit sich absetzt, rinnen Bäche herab, die sorgsam eingefangen 
und, über den fruchtbaren Boden verbreitet, ein reichliches Wachstum von 
allerlei Nutz- und Weidepflanzen ermöglichen. 

Der stattliche und freundliche Ort Salamä liegt in seinem Hauptteil 
auf dem linken Ufer eines Flusses, der dem Rio Ncgro oder Chixoy zu- 
strömt. Die Plaza und die Strassen der Stadt sind von Orange-Bäumen 
und Kokospalmen eingefasst, die auf Befehl des einstigen Tyrannen von 


3°9 


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Guatemala, des ehemaligen Präsidenten Rufino Barrios, gepflanzt worden 
sind, der manchmal gute Ideen hatte, die er nicht immer auf gute Art 
zur Ausführung brachte. 

Während Salamä am westlichen linde des ziemlich weiten Thal- 
beckens liegt, sieht man am östlichen Ausgange die weisse Kirche von 
S. Gerönimo ragen. Hier war früher ein Dominikanerkloster, das die 
Mönche mit einer weithin über die Felder sich ziehenden, auf gemauerten 
Bogen ruhenden Wasserleitung versehen hatten. Heute ist es Dorf und 
Hacienda, wo viel Zuckerrohr gebaut und ein Zuckerschnaps verfertigt 
wird, dessen Ruf dem des vielberühmten Comiteco gleichkommt. 



Salatnii 

Nach einer Aufnahme von Herrn A. Hclmcrich in Coban 


Aus älteren Nachrichten wussten wir, dass Salamä eine Sprachinsel 
sein sollte, wo ein mexikanisches Idiom gesprochen wurde, das Pipil. 
Noch Stoll erzählt*) in seinem interessanten Buche, dass er ein altes 
Mütterchen dort traf, die Nahuatl sprach, und dass er mit Hilfe eines 
Indianers ein Wörterverzeichnis aufnehmen konnte. Er erzählt aber zu- 
gleich, wie die Leute durch einen unverständigen Regierungsbeamten 
gezwungen wurden, sich zu hispanisicrcn und Tracht und Sprache zu ver- 

•) Stoll, Guatemala, Kap. 18. 


3io 


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leugnen. So wussten damals nur noch wenige etwas von der alten Sprache. 
Das seit jener Zeit verflossene Dezennium scheint auch diese letzten Spuren 
verwischt zu haben, denn all unser Fragen und Forschen war vergeblich, 
wir konnten keinen Menschen auftreiben, der noch Kenntnis vom Pipil hatte. 

Eine schmale, auf gemauerten Pfeilern ruhende Brücke führt über den 
Fluss. Dann folgen dörfliche Quartiere, deren Höfe wieder von Kaktushecken 
umgeben waren und dadurch ganz das Ansehen eines mexikanischen Hoch- 
landdorfes erhielten, und nun ging’s über den weiten, trockenen Thalbodcn da- 
hin und am kahlen Nordrand in die Höhe. Oben empfing uns der gleiche 
Wetter- und Vegetationswechsel, wie auf der andern Seite: Wald und Nebel 
trat an Stelle der Trockenheit. Wenn auch zeitweise die Sonne durch- 
brach, ritten wir doch fast die ganze 
Strecke bis Tactic in feinem Nebel- 
geriesel. Und entsprechend der Feuch- 
tigkeit war der Weg, zwar breit und 
mit Ausnahme einiger Höhenrücken, 
die überstiegen werden mussten, 
ziemlich eben, aber zerfahren und 
schmutzig, und stellenweis vom Vieh 
zu einem zähen Brei zerstampft. Die 
Wege der Alta Verapaz sind denen 
der Huaxteca ebenbürtig. — Aber als 
Ersatz erfreuten uns die wechselvollen 
Landschaftsbilder, die verschieden- 
artige, zum Teil neue Pflanzenwelt, 
rinnende Bäche und rauschende 
Wasserfälle. Bei den ärmlichen 
Hütten des Rancho Santa Rosa 
trennen sich die Wege, rechts geht es 
nach Purulä, geradeaus nach Tactic. 

Aus dem schmalen Wiesenthal mussten wir noch einmal in die Höhe und 
erreichten ein weites Längsthal, von grünen Hügeln umgeben, um die die 
Wolken zogen und die Nebel brauten. Ueppiger Graswuchs und dichtes 
Buschwerk überall: es ist das Quellgebiet des Polochic, des Stromes, der 
die Alta Verapaz entwässert und sich in die Lagune von Izabal ergiesst. 
Zerstreute Hütten ziehen sich am Fusse des Abhanges hin; viel Vieh 
weidet auf den feuchten Wiesen, die die ganze Breite des Thaies aus- 
fullen. Die breitblätterige Bumskaule mit den dicken, dunkelbraunen 
Kolben, die auch in unsern heimischen Sümpfen wächst, trat in ganzen 
Wäldern auf. Den zerstreuten Hütten eines Dorfes gegenüber stürzt ein 
hübscher Wasserfall den Hang herunter. Der Fluss aber, dessen Lauf 
wir folgen, rauscht unter Bäumen dahin und führt uns in eine waldige 



Aphelandrst acutifolia. Nee* 
Aha Verapaz 


3 " 


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Schlucht, in der die schönen, grossen Liquidambar-Bäume charakteristisch 
sind. Sie sind unserm Ahorn ähnlich durch Form und rötliche Farbe der 
Blätter und erinnern an Platanen durch die kleinen, runden, stachligen 
Früchte. Dazwischen allerlei Laubgehölz, teils blühend, teils mit roten Frucht- 
trauben schwer beladen, teils durch ihr dunkles und schön geformtes Laub 
das Auge erfreuend. Aber je herrlicher die Pflanzenwelt, um so schlechter 
der Weg. Die von den Hängen rinnenden Quellen und Rinnsale hatten 
auf dem Lehmboden Wasserlachen gebildet und die breiten Räder der 
Karren, die Hufe der Zugochsen und Reittiere hatten alles in zähen Brei 
verwandelt. Jenseits der Schlucht verbreitert sich das Thal, von rechts 
her kommt eine Fahrstrasse von Purulä, die den Fluss auf überdachter 
Brücke überschreitet. Der Weg wird breiter und noch schlechter, und 
führt nach kurzer Zeit in das grosse Indianerdorf Tactic. 

Der Dezember ist die Zeit der Marienfeste und in Tactic wurde 
ein solches gefeiert. Die Kirche war bekränzt und abends aussen und 
innen hell erleuchtet, Kanonenschläge und Raketen knatterten und knallten. 
Ueberall wurde getanzt und getrunken. Auf etlichen Höfen waren grüne 
Lauben errichtet, die als Kapellen dienten. Aus allen Kneipen (Estancos) 
tönte die ganze Nacht hindurch die Musik der Marimba, jenes bei den 
Indianern Guatemalas weit verbreiteten Instrumentes, das ohne Zweifel 
afrikanischen Ursprungs und vermutlich von den Antillen herüber gekommen 
ist; dazu die heiseren Stimmen betrunkener Indianer. 

Wir hatten uns Quartier bestellt bei Pantaleon Molino, einem lustigen 
Salvadoreno, der sich einer sehr gewählten Sprache bediente. Er hat ein 
sogenanntes Hotel, d. h. in Zimmern mit löcherigen, feuchten Lehmwänden 
stehen Bettgestelle mit Matratzen, und auf dem furchtbar schmutzigen Hofe 
war ein Schutzdach fiir die Tiere. Aber Don Pantaleons Küche erfreute 
sich nicht umsonst eines guten Rufes bei allen Hacendados und Kauf- 
leuten, die von Coban nach Guatemala oder zurück reiten. Er kannte 
sie auch alle, ihre Namen nicht nur, sondern auch ihre sämtlichen Ver- 
hältnisse. Mais für unsere armen, müden Reittiere konnten wir nicht 
bekommen. 

Leute, die öfter des Weges kommen, wissen allerlei von Tactic und 
den Gebräuchen seiner Einwohner zu berichten, und Stoll hielt sich hier 
mehrere Tage auf, um Sprachstudien zu machen. — Die Einwohner von 
Tactic sind Pokonchi. Mir fielen die reich gestickten Tücher der Frauen 
auf, die die Stelle des Rebozo einnehmen. Sie zeigen spanische Muster 
und Mache, wirken aber — durchweg schwarz auf weissem Grunde — 
sehr eigentümlich. Auch habe ich ähnliche sonst nirgend gesehen. 

Wir ritten wieder im Nebel ab durch die ganze Länge des sehr 
stattlichen Ortes. Aber die Sonne brach durch und der Tag wurde heiter. 
Auf gemauerter Brücke gings über den Polochic und an seinem rechten 


3>z 


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Ufer weiter. Aus dem Grün der Hügel leuchteten überall die gelben 
Blütenbüsche des Taxixcö, die hier ein ebenso hervorstechender Zug der 
Landschaft sind, wie am See von Pätzcuaro die weissen der Paräcua. 
Wo der Fluss eine Windung macht, folgten wir dem alten Reitweg, der 
diese abschneidet, und wo wir in dem sich verengenden Thal die Fahr- 
strasse wieder erreichten, lag die erste Kafieepflanzung. Ein Stück weiterhin 
zweigt nach links, den Fluss überschreitend, ein Weg nach S. Cristobal 
ab, während wir geradeaus weiter ritten und bald S'»- Cruz erreichten. 
Alles ist feucht und grün. Auf einem Hang schossen die saftstrotzenden 
Stämmchen eines Baumes mächtig empor, der grosse, gefingerte Blätter 
und grüne Blütenkolben trägt. 

Es wird behauptet, dass ein vorzüglicher Karrenweg nach Coban 
führe, aber das kann keiner sagen, der ihn am Ende der Regenzeit ent- 
lang geritten ist. Hinter S ,a - Cruz geht von dieser grossen Fahrstrasse 
der sogenannte Camino chiquito (der kleine Weg) ab, und wir folgten ihm 
gern, obgleich auch er schlimm war; der grosse war in dieser Jahreszeit 
einfach unbenutzbar. Durch ein unendliches, regelloses Gewirr von Hügeln 
windet sich der Weg, ähnlich dem Gelände, das wir seinerzeit zwischen 
Oaxaca und Tehuantepec durchritten hatten, nachdem der Fluss von 
Totolapam überschritten war. Aber dort war alles grau, kahl, trocken 
und dürr gewesen, und hier war alles grün und frisch und die kleinen 
Kesselthäler mit Milpas bestellt, und überall blühte es. Doch war das 
ewige auf und ab in seiner Gleichmässigkeit ermüdend und auch den 
Tieren schien das Kneten im zähen Schmutz langweilig zu werden. Da 
— an einer Stelle, wo die Wege sich teilten — trafen wir Dr. Sapper, der 
uns entgegengeritten war, und den wir hier zum ersten Male persönlich 
kennen lernten. Unter fröhlichem Geplauder verging der Rest des Weges 
schneller als wir gedacht. 


* • 

• 

Coban ist eine reizende Ausnahme von der Regel. Das Gelände 
hat die schachbrettartige Anlage zur Unmöglichkeit gemacht, und die 
niedrigen Häuser verstecken sich im Grün der Kaffeegarten. Die Stadt 
zieht sich über einen Hügelrücken hin, der am linken Ufer des Flusses 
ansteigt. Den höchsten Punkt nimmt die Plaza ein und die sie umgebenden 
Gebäude, unter denen die alte Kirche und der neue Regicrungspalast 
stattlich emporragen. Das Regierungsgebäude steht am Abhang und von 
seiner dem Platze abgewendeten Galerie hat man einen umfassenden Blick 
über das Flussthal und die grünen Hügel, die in weitem Umkreise die 
Stadt umgeben. Zu beiden Seiten des Platzes fallen die Strassen steil 
und unregelmässig ab. 


3*3 


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Ueber Coban, seine Kaffee-Verhältnisse, seine Indianer und seine 
Einwohner ist schon viel geschrieben worden und von Leuten, die durch 
längeren Aufenthalt im Lande, durch Kenntnis der Sprache, durch Ver- 
trautheit mit den Sitten der Indios besser dazu berufen waren als ich. 
Zwar waren wir fast vierzehn Tage in Coban, aber es ging uns wenig 
nach Wunsch, und wir haben nur ungenügende Einsicht in all das erhalten, 
was zu kennen nötig ist, wenn man darüber schreiben soll. Wir wurden 
zum ersten Male auf dieser Reise krank, zwar nicht gefährlich, aber wir 
waren leistungsunfähig; bei meinem Manne war eine Gürtelrose zum Aus- 



Coban 

bruch gekommen, und ich hatte einen heftigen Husten. Der Arzt — auch 
hier war deutsche Heilkunst vertreten — verbot zuerst das Reiten, und 
wir sassen fest. Aber jede Arbeit, wie wir sie gedacht hatten, verbot 
sich von selbst, des Wetters wegen. Zwar schien auch hin und wieder 
die Sonne, aber meistens regnete es. Als ich fragte, wann denn hier 
Regenzeit sei, erhielt ich die Antwort: oh, in der Alta Verapaz regnet 
es dreizehn Monat im Jahr! Und als ich ernsthafte Auskunft heischte, 
hiess es: zwei Monate regnet es etwas weniger! Trotzdem soll das Klima 
recht gesund sein, da Coban hoch liegt; und noch vor wenigen Jahren — 


3>4 


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TAFKL I.V 



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Strasse in Coban. Richtung nach Chimax 


wurde uns versichert — sei Fieber ganz 
unbekannt gewesen, was man heute leider 
nicht mehr behaupten kann. 

So war denn an »ficld-work«, das 
heisst an Ausgrabungen nicht zu denken, 
und alle Erlaubnis unserer freundlichen 
Landsleute, alle Empfehlungen an Ein- 
heimische konnten uns nichts nützen. 

Also hätten wir gleich wieder fort reiten 
können, wenn die Gürtelrose nicht ge- 
wesen wäre. 

Da waren es nun verschiedene Menschen und Dinge, die uns über 
die unthätige Zeit hinweghalfen. Herrn Dieseldorffs Sammlung hielt uns 
manche Stunde fest, und sie wurde nicht nur angeschaut, sondern auch 
gezeichnet, fotografiert und besprochen. Auch im Hause seines Bruders 
wurden wir freundlich aufgenommen. Bei Herrn von Türckheim, der 
seit Jahren hier ansässig ist, und der mit meinem Manne gemeinsam zu 
den Füssen des Botanikers Braun gesessen hatte, galt es, das Herbar zu 
besichtigen, das leider arg von Würmern zerfressen war. Dr. Sapper, 
der beste Kenner Guatemalas, wurde uns während dieser Zeit ein 
ebenso lieber Freund als wertvoller Ratgeber. Er kennt die Kekchf- 
Indianer, ihre Sprache, ihre Sitten, ihre Denkungsart, wie kaum einer im 
Lande. Freilich, in keiner Gegend ist es so notwendig, mit der Sprache 
ein wenig vertraut zu sein, als in der Alta Verapaz, wo die Indianer- 
bevölkerung noch vergleichsweise unberührt von äusseren Einflüssen lebt, 
und die Plantagenarbeiter nicht aus anderer Gegend herangezogen werden. 
Daher sprechen auch alle Pflanzer wenigstens so viel Kekchf, dass sie 
sich mit den Leuten verständigen können. Dr. Sapper jedoch, der seine 
langen Reisen, die ganz Mittelamerika und einen grossen Teil von Mexico 
umfassten, stets zu Fuss und in Begleitung dreier 
Indianer zurückgelegt hat, beherrscht die Sprache 
wie kein anderer und geniesst das Vertrauen der 
Leute in hohem Grade. Daher verdanken wir ihm 
auch Veröffentlichungen und Uebersetzungen , die 
helle Streiflichter auf die indianische Weltanschauung 
werfen. Im Sapperschen Hause, auf der dicht bei 
der Stadt gelegenen Finca Chimax, wurde uns viel 
Freundlichkeit zu Teil und wir haben dort manche 
angenehme Stunde in warmer Gemütlichkeit verlebt. 

In der Alta Verapaz ist eine grosse Zahl 
Deutscher begütert, die zum Teil in Coban selbst, 
oder in unmittelbarer Nähe wohnen. Sogar deutsche 

3*5 



Thongefäss im 
Besitz des Herrn 
Erwin Dieseldorff 



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Handwerker sind dort. So ein Schlosser, der uns für einen ver- 
lorenen geologischen Hammer einen recht guten Ersatz anfertigte; und 
ein deutscher Schuster, der mit der deutschen Köchin verheiratet war, 
die sich eine Familie bei ihrer letzten Anwesenheit in der Heimat von 
dort mitgebracht hatte. Im Hause dieses braven Ehepaares wohnten 



Indianer-Frauen aus Coban 
Aufnahme des Herrn Schilling in Coban 


wir und schliefen in Betten, wie wir so gute seit zu Hause nicht mehr 
gewöhnt waren. Die Frau hielt einen Mittagstisch, an dem etwa zehn 
bis zwölf Personen, Deutsche und Einheimische, regelmässig teilnahmen. 
Aber trotzdem in Coban täglich grosser Markt war und vielerlei Früchte 
und Gemüse zum Verkauf kamen, hatte doch Frau N. N. ihre liebe Not 


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TAFEL LV1 




Coban 


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mit der Wirtschaft. Was ihr jedoch am meisten Plage bereitete, waren die 
Dienstboten, da sie sich nicht in die Eigenart der Leute zu finden wusste. 
Und freilich ist das nicht ganz einfach für deutsche Hausfrauen. Im selben 
Hause wohnte ein junges deutsches Ehepaar, das auf seine Einrichtung 
wartete. Ich weiss nicht, wie lange sie gewartet haben, wahrscheinlich bis 
zum Eintritt trockenerer Zeit, denn die Verbindungswege von Coban zur 
Küste herunter müssen unbeschreiblich schlecht sein. Auch wir hatten ge- 
hofft, einen Vorstoss in jener Richtung machen zu können, um die ge- 
priesenen Schönheiten des unteren Polochic-Thales zu sehen. Doch 
leider Hess sich dies nicht ermöglichen. Die Beschreibungen, die uns 
von den Wegen gemacht wurden, waren unglaublich. Es soll nicht 
selten Vorkommen, dass die Pferde im Schmutz stecken bleiben oder 
stürzen. Die deutsche Köchin, die mit dem erwähnten Ehepaar herüber- 
gekommen war, hatte schlimme Erfahrungen gemacht; ihr Pferd war 
gestolpert, dabei war sie über seinen Hals hinweggeschlcudcrt worden 
und köpflings im Schmutz stecken geblieben, und nur den vereinten An- 
strengungen der mitreisendön Männer war es gelungen, sie herauszuziehen. 
Unter diesen schlechten Verkehrswegen hat Coban natürlich zu leiden und 
es sind schon verschiedene Eisenbahnpläne aufgetaucht, die aber alle an 
den Geländeschwierigkeiten und dem Kostenpunkt bisher gescheitert sind. 

Was auf dem Markt von Coban zuerst ins Auge fällt, ist die eigentüm- 
liche Haartracht der Weiber, unter denen es viele recht hübsche giebt. Das 
sehr lange, schwere Haar wird — dicht am Hinterkopf beginnend — eng 
mit roten Wollschnüren, den Tupuys, umwickelt und hängt als lange Wulst 
über den Rücken herab. Sonst ist keine Abweichung von der einfachsten 
Form der üblichen Tracht bemerkbar, nur die Hemden einiger Dorf- 
schaften bestehen aus einem dünnen, weissen Stoff, in den mit weissem 
Baumwollfaden verschiedene Verzierungen eingestickt sind, unter denen 
Enten sehr beliebt sind. Aul einem Handtuch waren Vierfussler und 
Vögel mit bunten Fäden eingearbeitet. Leider sind meine Marktbilder 
und Typenaufnahmen alle unbrauchbar, da die Platten gelitten hatten. 
Das Bild mit der Frauengruppe verdanke ich der Güte eines deutschen 
Herrn, ebenso wie die Ansicht von Salamä. 

Die Blüte und der Wohlstand von Coban beruhten durchaus auf dem 
Kaffee, der hier in der Stadt überall wie ein Garten die Häuser umgiebt. 
Er soll von guter Beschaffenheit sein, obgleich er in freier Lage manchmal 
von Frost zu leiden hat. Das sahen wir z. B. auf der F'inca Petet, die 
nur wenige Leguas von der Stadt entfernt ist, und wohin wir einen Ausflug 
unternahmen, als mein Mann sich wohler zu fühlen begann. Ihr Besitzer, 
Herr Ernst l’fetzer, kam uns sehr liebenswürdig entgegen, führte uns auch 
an eine Stelle inmitten der Pflanzung, wo der Boden mit Scherben wie 
besät war, es waren aber grösstenteils grobe und bedeutungslose Bruch- 


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stücke. Vielleicht, dass ein glücklicher Zufall bei Erdarbeiten einmal 
köstlichere Dinge zu Tage fördert. 

Schliesslich statteten wir noch der ebenfalls nahe gelegenen Finca 
Zamac einen Besuch ab, wo wir von der Familie Helmerich freundlich will- 
kommen geheissen wurden. Dort sind alte Fundamente, eine ansehnliche 
Pyramide, aber auch hier würden Grabungen notwendig sein, um nähere Auf- 
schlüsse zu gewinnen oder Altertümer zu finden. Die Finca besitzt ausser 
den Pflanzungen noch eine Holzschncidemühle, und das Wässerlein, das sie 
treibt, versinkt bald, nachdem es diese Arbeit gethan, spurlos in der Erde; 



Strasse in (Joban 


eine Erscheinung, die im Kalkboden nichts seltenes ist, aber immer wieder 
sonderbar berührt, ebenso wie das plötzliche Emporquellen ansehnlicher 
Flüsse. 

Inzwischen war wieder einmal die Weihnachtszeit herangenaht, zu 
deren Feier allerwärts Vorbereitungen getroffen wurden. Die Indianer 
hielten Tänze mit altertümlichen Zeremonien, bei denen Umzüge mit Masken, 
von der Musik uralter Instrumente begleitet, veranstaltet wurden. Die 
Deutschen hielten Proben zu Theaterauffuhrungen im Klub ab; die Haus- 
frauen backten Weihnachtskuchen aller Art, zu dem sie die notwendigen 
Bestandteile schon vor Monaten in Europa bestellt hatten. Natürlich 


31S 


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suchte man uns zum Hieiben zu überreden, aber trotzdem Coban ein 
hübscher Ort ist und wir von allen Seiten nur Freundlichkeit erfahren 
hatten, trieb es uns fort. Wir sehnten uns nach Thätigkeit, nach Wärme 
und Trockenheit. Krankheit und eine Trauernachricht aus der Heimat 
waren auch keine rechte Vorbereitung zur Weihnachtsstimmung. 

Aber es war nicht ganz leicht, fortzukommen, denn wieder war es 
schwierig, Träger zu werben, da alle Leute in den Pflanzungen arbeiteten. 
Da wurde Herr Erwin Diescldorff der Helfer in der Not: er stellte uns 
einige seiner Leute zur Verfügung, die uns getreulich bis Zacapa begleiteten, 
und wir glaubten nun zum Abmarsch fertig zu sein, als uns Pancho einen Strich 
durch die Rechnung machte. Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt 
habe, war er ganz brav und brauchbar, aber er musste Arbeit haben, und 
die fehlte ihm hier noch mehr als uns. Wenn er morgens die Tiere auf 
die Weide geführt hatte, so war sein Tagewerk gethan, höchstens, dass er 
noch beim Trocknen des Pflanzenpapiers ein wenig half. Und aus Lange- 
weile begann er zu trinken. Am Tage ehe wir fort wollten, hatte ihn die 
hohe Obrigkeit wegen Trunkenheit aufgegriffen und ins Loch gesteckt. Mein 
Mann erwirkte seine Freilassung, aber kaum war er dem düsteren Gefängnis 
entstiegen, als er das Bedürfnis fühlte, seinen Brand zu löschen und sich 
von neuem sinnlos betrank. Da half sich mein Mann, indem er ihn 
polizeilich festnehmen und zu uns ins Haus bringen Hess. Darob war er 
ungeberdig, wurde aber bald weinerlich und schlief schliesslich seinen Rausch 
aus. Als er am nächsten Morgen erwachte, war er der willige und treue 
Diener wie bisher. So konnten wir endlich am 23. Dezember aufbrechen, 
ziemlich bekümmert, dass die zwei Wochen so wenig nutzbringend für 
uns verlaufen waren. 

* * 

* 

Wie es für den klassischen Archäologen keinen grösseren Wunsch 
giebt, als eine Ferienreise nach Italien und Griechenland zu machen, um 
die Stätten mit leiblichen Augen zu sehen, von denen er immer nur Bilder 
zu Gesicht bekommen, Schilderungen gelesen hat; die Stätten, die allein 
heut noch Zeugnis ablegen von dem, was einst war; wie es ihn dorthin 
zieht, wenn er auch keine näheren Untersuchungen zu machen gedenkt 

— so zog es uns nach Quiriguä und Copan. 

Dort zu arbeiten war für uns von vorn herein ausgeschlossen. Es 
gehört eine gross angelegte Expedition dazu und — wenigstens für Quiriguä 

— eine andere Jahreszeit. Ausserdem ist vieles dort gethan durch die 
umfassenden Arbeiten des Engländers Maudsley und durch das Peabody 
Museum in Boston, dessen Vertreter jahrelang während der trockenen 
Monate in Copan gearbeitet haben. Aber mit eigenen Augen sehen 
wollten wir, was uns bisher nur durch die Vermittlung fremder Augen 

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bekannt geworden; wollten einen frischen Trunk aus dem Bronnen thun, 
wollten den Zauber des versunkenen Glanzes unmittelbar auf uns wirken 
lassen. 

Wir kennen ja alle, ohne je unsere heimischen Mauern verlassen zu 
haben, die Schöpfungen des klassischen Altertums: in Bildern und Abgüssen 
sehen wir sie von Kindheit an in den Museen, in Schaufenstern, in unsern 
vier Wänden. Und doch, wenn uns ein freundliches Geschick vor die Originale 
führt, staunen wir sie an wie eine Offenbarung. Und das gilt noch weit 
mehr von Bauwerken und grossen Denkmälern, die ganz anders zu uns 
reden in ihrer Umgebung, als ihre Abbilder in den Galerien, wo sie keinen 



Zusammenhang haben mit all den fremden Dingen um sie herum; wo sie 
stehen wie ein herausgerissener Satz aus zusammenhängender Rede. Was 
wir von ihnen lernen können, das sagen uns auch die Abgüsse in den 
Museen, die Bilder in den Büchereien. Aber an der Stelle, wo sie vor 
Jahrhunderten hingestellt worden sind, da reden sie noch eine andere, 
neue Sprache zu uns. 

* * 

* 

Bis nach Salamä mussten wir zurück. In Tactic hatte sich nichts 
verändert; es wurde getanzt, gesungen, Marimba gespielt und Raketen 
losgelassen, genau wie vor vierzehn Tagen. Ich weiss nicht, ob noch 
immer oder schon wieder. Im Gasthof trafen wir einen deutschen Schlosser, 


3J° 


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TAFEI. I.VI1 



Blick auf Acazaguastan 



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der nach den Hacienden ging, um durch Ausbesserungen an den Maschinen 
Geld zu verdienen. Ich teilte ihm von den schönen, selbst gebackenen 
Weihnachtskuchen mit, die uns Frau Sapper zum Abschied geschenkt 
hatte, und er wurde ganz gerührt bei dem Gedanken an Weihnachten. Er 
meinte, das vergässe man hier draussen ganz und gar. 

Die Wege waren noch schlechter geworden, es gab Aufenthalte, und 
der Weihnachtsabend war schon herabgesunken, als wir müde in Salamä 
einritten. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Unserm Zimmer gegen- 
über lag die Kirche, und als es zwölf schlug, begannen die Glocken zu 
läuten, oder vielmehr zu klappern, Ra- 
keten und Böllerschüsse knallten, Musik 
und Lärm auf der Gasse verkündeten der 
Menschheit das Heil. — Der Lärm dauerte 
die halbe Nacht hindurch, aber damit 
schien die Weihnachtsfeier erschöpft; der 
nächste Tag zeigte gar kein besonderes 
Gesicht, das ihn von irgend einem ge- 
wöhnlichen Sonntag unterschieden hätte. 

Wir freuten uns der Trockenheit und 
heissen Sonne. 

Von Salamä aus schlugen wir eine 
östliche Wegrichtung ein, die uns zuerst 
das Thal in seiner ganzen Längenaus- 
dehnung durchmessen liess. Mitten darin 
liegen einige Hügel, die vielleicht in 
alter Zeit Befestigungen getragen haben. 

Kurz hinter S. Gerönimo beginnt ein nicht 
eben langer, aber ziemlich steiler An- 
stieg, von dessen Höhe sich ein hüb- 
scher Blick nach rückwärts bietet über 
das weite Thal mit seinen schön ge- 
formten Bergrändem und den beiden weiss schimmernden Ortschaften. 
Der Hang war roter Sandsteinschiefer und mit Kiefern bestanden. Die 
feuchtere Luft der Höhe aber brachte uns auch hier — ebenso wie im 
Süden und Norden des Thalbeckens — nahe der Schneide, eine plötz- 
liche Vegetationsänderung. Mit einem Schlage waren wir in schönem 
Laubwald von Eichen, Liquidambar-Bäumen und allerhand immergrünem 
Gesträuch mit lederartigen Blättern. 

Diesen Charakter behielt die Pflanzenwelt fast auf dem ganzen langen 
Abstieg, der sich in einer Schlucht herunterzog, in der das Wasser über 
Felsen rauschte und riesige Schachtelhalme im Schatten der Bäume wuchsen. 
Erst weiter unten, in der Nähe des Rancho Guacamaya waren die Kiefern 

Seler, Ahe Wege. 21 

321 



Scutellaria lutea J. Donnell 
Smith 

S. Thomas, oberhalb Salamä 


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wieder da. Hier überraschte uns an etwas feuchteren Stellen, wo Laub- 
hölzer unter den Nadelwald gemischt waren, das Auftreten des rankenden 
Farnkrautes, Lygodium, das wir bisher nur in den Wäldern der Küsten- 
ebene von Tehuantepec getroffen hatten. Aber allmählich änderte sich 
auch der Wald und bekam das Ansehen des trockenen, buschartigen, 
winterlich blattlosen Waldes von Tehuantepec. Bis hierher reicht die 
dürre Zone des Motagua-Thales, das noch tiefer eingesenkt als das Thal 
von Salama, den feuchten Winden noch unzugänglicher ist. Nirgends 
bisher war uns der plötzliche Wechsel zwischen Trockenheit und Feuchte 



Bewässertes Gelände bei S. Agostin Acazaguastan 


so deutlich entgegen getreten, wie in dieser Gegend. Aber freilich ist er 
auch in solcher Schärfe nur während der Winterzcit wahrnehmbar, denn im 
Sommer lockt der Regen auch in den dürrsten Landstrichen Grün und 
Bluten heraus und täuscht eine gewisse Gleichartigkeit vor, die in Wahrheit 
nicht vorhanden ist. 

Bald erreichten wir das freundlich im Thalgrund gebettete, aber 
rings von dürren Hügeln umgebene Tocoy, mit seinem neuen Namen 
Morazan genannt. Da man eine Weihnachtsfeier wie bei uns, die ihren 
heidnischen Festestaumel über die zwölf heiligen Nächte ausdehnt, nicht 
kennt, so waren wir doppelt erstaunt, hier wieder in den Tumult einer 


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Fiesta hineinzugeraten. Ich weiss nicht mehr, wie der Ortsheilige hiess, dem 
zu F.hrcn wir wieder einmal um unsere wohlverdiente Ruhe geprellt wurden. 
Ein Betrunkener machte sich das Vergnügen, unsern Tieren ein paar 
Raketen um die Ohren sausen zu lassen, was sie übel nahmen, scheuten 
und Miene machten, geradeswegs in die neugierig umherstehende Menge 
hineinzurennen. Mit Mühe brachten wir sie zur Ruhe. Zu allem Unglück 
trug auch der Brief, den wir von Salamä aus an einen Einwohner von 
Tocoy abgeben sollten, um in seinem Hause gastliche Aufnahme zu finden, 
eine ungenügende Aufschrift. Endlich fanden wir ein Unterkommen in 



Kl M a n z u n a 1 i in M o t a £ u a - T h a 1 


der luftigen, nach dem Patio zu gelegenen Halle eines Hauses. Ja sogar 
Mais für die Pferde, ein paar Eier und Tortillas für uns konnten wir noch 
erbeuten, und das ist so einfach nicht am Abend eines Festtages. Eine 
festliche, glanzende Prozession, von zahlreichen Lichtern und Fackeln 
erleuchtet, durchzog nach Sonnenuntergang den Ort. Vor etlichen Häusern 
waren Bühnen gebaut; dort hielt der Zug, geputzte Mädchen kamen heraus 
und sagten lange Lobgedichte vor dem Heiligenbilde her. Dann knatterten 
die Raketen und der Zug bewegte sich weiter. Bis tief in die Nacht 
hinein dauerte der Lärm. 


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Bis nach S. Agostin Acazaguastan ist nicht mehr weit. Wir 
trafen schon um die Mittagszeit dort ein und machten diesen und den ganzen 
nächsten Tag dort Halt, um die in der Nähe gelegenen Ruinen zu be- 
sichtigen. Es sind ziemlich kunstlos aufgerichtete Hügel, von deren An- 
ordnung kein rechtes Bild zu gewinnen war, die sich aber in ziemlicher 
Ausdehnung hinzogen. Bei Nachgrabungen, die man vor einiger Zeit 
vorgenommen hatte, war nicht viel zu Tage gekommen und jedenfalls 
war nichts mehr vorhanden. Aber die dreieckige Eingangsöffnung, die 
man dabei freigelegt hatte, zeigte sich gut erhalten. Das untere Bild auf 
Tafel VI zeigt den Hügel mit der Oeffnung und giebt zugleich eine Vor- 
stellung von der Dürre der Vegetation, die der auf dem Quie-ngola glich. 
Das obere Bild auf derselben Tafel und das Bild auf Seite 322 dagegen zeigt, 
dass es auch hier vegetationsreiche, grüne Strecken giebt; überall da, wo 
natürliche oder künstliche Wasseradern das durstige Land tränken. Mit 
Freude tauchte der Blick in das üppige Grün dunkellaubiger Fruchtbäume, 
aus denen die weissen Häuser von S. Agostin freundlich hervorleuchteten. 

Als es auch noch gelungen war, einige Aufnahmen von dem hier 
gesprochenen Pipil zu machen, verliessen wir befriedigt S. Agostin. Wir 
kamen noch durch zwei kleinere Dörfer, die ebenfalls den Namen Acaza- 
guastan fuhren, S“ Magdalena und S. Cristobal, so dass die Gemeinde, 
der in alter Zeit dieser Name zukam, sich über ein weites Gebiet aus- 
gedehnt haben mag. Aehnliche Verhältnisse finden sich auch anderwärts, 
z. B. im Thal von Oaxaca, wo drei benachbarte Dörfer den Namen 
Huitzo führen. In der trostlosen Rancheria El Manzanal machten wir 
einige Stunden Halt, denn auf dieses schattenlose Tiefland brennt die Sonne 
glühend herab und man thut gut, nur die Morgen- und Abendstunden zum 
Reisen zu benutzen. Ein Versuch, auch hier Aufnahmen des Nahuatl-Dialekts 
zu machen, scheiterte vollkommen. Alle Bemühungen, einen Menschen 
aufzutreiben, der ihn kannte, waren vergeblich. Der älteste Mann des 
Dorfes erinnerte sich zwar, in seiner Jugend eine andere Sprache ge- 
sprochen zu haben, hatte sie aber so vollständig vergessen, dass er nicht 
einmal angeben konnte, ob es die gleiche wie von Acazaguastan gewesen 
sei. Nachdem wir uns in den klaren Fluten des Motagua erquickt hatten, 
musste an den Aufbruch gedacht werden. Unser freundlicher Gastfreund 
geleitete uns durch die Furt, denn hier muss man den Fluss übersetzen, um 
auf seinem andern Ufer die Strasse zu gewinnen, die von Guatemala 
kommt. Das Wasser ging den Gäulen nur bis an den Bauch und war 
nicht allzu reissend. Aber in der Regenzeit müssen natürlich Boote be- 
nutzt werden. 

Die Eisenbahn, die von Puerto Barrios bis zur Hauptstadt gebaut 
werden soll, endete zur Zeit in Zacapa, die Arbeiten aber reichten schon 
bis hierher. Heute werden sie wohl noch ein Stück weiter gediehen sein; 


324 


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ob die Bahn aber in absehbarer Zeit vollendet werden wird, ist zweifelhaft, 
da ihr letztes Stück auf ziemlich kurzer Strecke eine starke Steigung zu 
erklimmen hat. Und es scheint, dass die Mittel zur Ueberwindung dieser 
Schwierigkeit nicht aufzubringen sind. — Wir mussten eine Zeit lang auf 
dem frisch aufgeschütteten Bahndamm reiten und erreichten bald die grosse 
Strasse. Noch vor Einbruch der Nacht waren wir in Chimalapa, wo 
es in einem sogenannten Hotel ein unbehagliches Quartier gab. 

Von hier aus führte der Weg durch verschiedene grössere und kleinere 
Rancherias, die sich ihrer alten indianischen Namen schämen und dafür 
ganz unmotivierte moderne angenommen haben. Allmählich biegt man 
vom grossen Flusse ab, hinüber in das weite Thal eines stattlichen Neben- 
flusses, der von Honduras her kommt, dort Rio Copan, hier Rio Zacapa 
heisst. Kurz vor Zacapa mussten wir hindurch. Wäscherinnen zeigten 



Thongelässe au# «1er Sammlung Castaiieda in Zacapa 


uns, wo es hineinging, und wiesen auf die Stelle, wo wir das andere Ufer 
ereichen sollten. Die Mulas waren nicht zu bewegen, hineinzugehen, so 
musste mein braver Schimmel die Führung übernehmen, dem sie dann 
willig folgten. Es ist immerhin ein wenig unbehaglich, ohne Führer einen 
breiten, ziemlich tiefen Fluss zu durchreiten. 

♦ * 

* 

Wo Eisenbahnen gebaut werden, ist es unordentlich und wüst, flüchtig 
errichtete Arbeiterhütten, Zelte für die Ingenieure, umherliegcnde Schwellen 
und Schienen, fliegende FNsbuden, kurz all die Unbehaglichkeit eines vor- 
übergehenden Zustandes. So sieht es bei Zacapa nach der Westseite zu 
aus. Aber bald gelangt man an den grossen, von einer Mauer umfriedigten 
Kirchhof und dann in die Stadt. Sie ist freundlich und ansehnlich, aber durch 
nichts von andern Städtchen ausgezeichnet: um die grosse, viereckige, mit 


3*5 


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hübschen Gartenanlagen geschmückte, von Lauben umgebene I’laza 
gruppieren sich Kirche und andere öffentliche Gebäude. Von hier aus 
gehen die wenigen Strassen im rechten Winkel, um an den äusseren 
Rändern sich unregelmässig zu verlaufen. Ein reichlich Wasser führender 
Bach fliesst an einer Seite der Stadt durch anmutige Busch- und Baum- 
partien und eingehegte Weideplätze. 

An der Plaza, unter den Lauben, lag auch das Hotel, das zwar zwei 
Deutschen gehörte, aber völlig nach amerikanischem Muster eingerichtet 
war, denn die Eisenbahn wird von Amerikanern gebaut, und so hörte man 

viel englisch sprechen, ln der ganzen Ge- 
gend traf man amerikanische Ingenieure, 
denn es wurde auch die Bahn vermessen, 
die von Zacapa aus nach S. Salvador ab- 
zweigen sollte. Freilich hicss es schon 
damals, das Geld wäre zu Ende. In- 
zwischen sind, soviel mir bekannt, aus 
diesem zwingenden Grunde alle weiteren 
Arbeiten eingestellt worden. 

Hier trafen wir auch die einzigen 
Vergnügungsreisenden, denen wir jemals 
in Guatemala begegnet sind, und zwar 
war es ein in Samoa ansässiges und wie 
cs schien erheblich begütertes, ameri- 
kanisches Ehepaar, das einige Monate 
des Jahres zum Reisen benutzte. Sie 
waren von New-Orleans mit dem Dampfer 
nach Puerto Barrios, von dort mit der 
Eisenbahn hierher gekommen und wollten 
nun nach der Hauptstadt. 

Im Hause des Herrn Brigido Ca- 
staheda fanden wir eine sehr hübsche 
kleine Sammlung von Altertümern aus 
der Umgegend, die wir erwerben konnten ; nur von einem kleinen Relief 
wollte sich der Besitzer nicht trennen. Es zeigte eine sitzende Figur 
und war am unteren Ende mit dem unbearbeiteten Ansatzstück versehen, 
das die aufrecht in die Erde gestellten Steine alle zeigen. Wir mussten 
uns an einem Abklatsch genügen lassen. 

Es war der letzte Tag des Jahres und zugleich der letzte Tag der 
Amtsführung des Alcalden von Zacapa. Der neue wird in der ersten 
Stunde des- neuen Jahres mit grosser Feierlichkeit eingesetzt. So erlebten 
wir denn auch eine Sylvesterfeier mit Illumination, Musik, Raketen und 
allem Lärm einer dort üblichen Festesfreude. 



Steinrelief aus der Sammlung 
Castaneda in Zacapa 
, / J der nat. Grösse 


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TAFEL LVIII 



Sumpfiger Waldrand bei Los Amates 


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Am I. Januar 1897 sassen wir aul der Eisenbahn, die uns ein Stück 
abwärts bringen sollte bis zum Rancho Los Amatcs, von wo aus der 
Besuch der Ruinen von Quiriguä unschwer zu unternehmen ist. Bis 
Gualan bietet sich dem Auge nichts als immer die gleiche, trockene 
Wüstenlandschaft, aber dann ändert sich ziemlich schnell das Bild, ohne 
dass ich begreifen kann, woher dieser plötzliche Umschwung, da hier 



Stela K von QuiriguA 


keinerlei Gcbirgswälle vorgelagert sind, sondern die Bahn ohne Hindernisse, 
ruhig im breiten Motagua-Thale dahin rollt. Bambus, Pacaya und andere 
Tropenbaume drängen sich dicht an den Fluss, neben dem die Bahn sich 
hinschlängelt, und plötzlich sieht man sich inmitten der herrlichsten 
Wildnis. 

Los Amates ist eine ärmliche Rancheria; es herrscht trotzdem einiges 
Leben bei der Ankunft und Abfahrt der beiden Züge, die täglich hier 

( 

327 


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vorbei kommen: der eine aufwärts, der andere nach abwärts, da es in 
der Nähe grössere Plantagen giebt oder solche im Entstehen sind. 
Jedenfalls hat man bei dem Bahnbau mit einem grossen Warenverkehr 
gerechnet, denn den meisten Platz im Stationsgebäude beanspruchte ein 
grosser Stapelraum mit Wellblech gedeckt, aber hoch und luftig. Der 
Bahnbeamte stellte uns diesen Raum bereitwillig zur Verfügung, wofür 
wir ihm dankbar waren, denn der Ort und seine Umgebung liegt im 
Sumpf und da war der auf Pfählen ruhende Bau doppelt willkommen. 
Es ist eine der Gegenden, wo der üppigen Schönheit der Natur das 
tückische Fieber gesellt ist. 

Ein Boot und zwei Ruderer waren leicht zu beschaffen, und so fuhren 
wir am 2. Januar früh morgens im leichten Einbaum den Fluss hinunter. 
Er ist auf beiden Seiten von prächtigen Wäldern umsäumt, aus deren 
Laubmassen die langen, graziösen Wedel der Coroz-l’almen hervornicken. 
Nach etwa zweistündiger Fahrt legten wir bei einer einsamen Rohrhütte 
an. Einige hundert Schritte weiter fanden wir einen einsamen Rancho, 
von wo aus ein Mann als Führer mit uns ging. Er hatte unter Maudsley 
mitgearbeitet und wusste gut Bescheid. Etwa dreiviertel Stunden folgten 
wir einem schmalen Waldwege, der zunächst zu einem grossen, aber völlig 
überwachsenen Hügel führte, und wenige Schritte weiter standen wir vor 
dem ersten, mächtigsten jener herrlichen Monolithe, die zu staunender 
Bewunderung zwingen: es ist die schräg stehende Stele, die Maudsley mit 
E bezeichnet. 

Erst vor wenigen Wochen war das letzte Stück der Eisenbahn bis 
Zacapa fertig geworden. Der Präsident, Reina Barrios, hatte es feierlich 
eingeweiht und bei dieser Gelegenheit auch diesen Zeugen vergangener 
Zeiten einen Besuch abgestattet. Das war günstig für uns, denn so schnell 
waren die Lichtungen, die man für den hohen Besuch in der Nähe der 
Steine hergestcllt hatte, nicht wieder zugewachsen. Und selbst der aus 
Brettern zusammengeschlagenc Tisch und die Bänke, an denen man das 
Frühstück eingenommen hatte, konnten von uns noch zum gleichen Zwecke 
benutzt werden. 

Wie ich oben schon sagte, dachten wir nicht daran, hier zu arbeiten, 
konnten gar nicht daran denken. Aber auch mit Schauen wurden wir 
bei einem Besuche nicht fertig, sondern wiederholten Kahnfahrt und 
Wanderung am nächsten Tage. Was in Quiriguä von eigentllichcn 
Ruinen, d. h. alten Bauwerken vorhanden ist, kommt für den flüchtigen 
Besucher gar nicht in Betracht, da sie von dichter Waldvegetation über- 
wachsen sind. Es sind die herrlichen, mit Skulpturen reich bedeckten 
Steine, die den Ruhm von Quiriguä ausmachen und den Reisenden 
locken und fesseln. Einige stehen gut gereinigt da, andere haben sich, 
seit Maudsley Abdrücke davon genommen, wieder mit einer dichten, 


32S 


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sammetnen Moosdecke überzogen, die es schwer macht, ihre Formen 
genau zu erkennen. Durch die unendliche Fülle von Figuren, Zierraten, 
seltsamen Ausladungen und Verschnörkelungen auf diesen mächtigen Steinen 
rufen diese Maya-Bildwerke einen Eindruck hervor wie Barock-Skulpturen, 
während mexikanische Bildhauerarbeitcn oft an die Renaissance erinnern, 
so zum Beispiel die Reliefs von S<»- Lucia durch das reichlich verwendete 
Rankenornament. Immer wieder aber stehen wir staunend vor den 



Stela I) von Quirigud. Xordseite 


Leistungen einer Kultur, die solche Dinge schaffen konnte, obgleich ihr 
das Eisen fremd war. 

Der Anblick dieser schönen, steinernen Rätsel in diesem Zauber- 
walde mit seiner berückenden und bedrückenden Formenfüllc hat etwas 
Märchenhaftes. Nirgends habe ich so lebhaft den bestrickenden Reiz des 
Geheimnisvollen gefühlt, als vor diesen stummen Zeugen versunkener 
Welten, inmitten dieser üppigen Pflanzenwelt. Natur und Menschenwerk 
fügen sich hier einheitlich zusammen: man könnte für diese Denkmäler 

329 


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keine passendere Umgebung, für diese Tropenwildnis keinen bessern Schmuck 
sich erdenken. Eines hebt das andere und lässt es erst in seiner ganzen 
Schönheit und Pracht erscheinen. Ich wähnte mich von einem Traum 
umfangen und jedesmal wurde mir das Scheiden schwer. Leider lauert 
auch hier das Fieber, das haben alle erfahren müssen, die ihrer Arbeiten 
wegen zu längerem Aufenthalte gezwungen waren. 



Stcla A in (^uirigud 


Wir hatten eigentlich die Absicht gehabt, mit der Bahn die paar 
Stunden nach Puerto Barrios zu fahren, um die vielgepriesenen Natur- 
schönheiten des Golfo Dulce in Augenschein zu nehmen. Aber in der 
dritten Nacht regnete es heftig und danach war der Himmel noch so mit 
dunklen Wolken umzogen, dass wir sowohl diesen Plan, als auch einen 
dritten Besuch der Ruinen aufgaben und nach Zacapa zurück fuhren. 

33 ° 


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TAFEL MX 



Quiriguä — Sicla D -s- Ostscjtc 


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l'AI'KI. I.X 



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Quirijjuä — Kröte B 



TAFEL LXX 




Quiriguä — Reptilkopf mit Hieroglyphen M 


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Unser nächstes Ziel war Copan, das schon in Honduras, aber nur 
zwei und eine halbe Tagereise von Zacapa entfernt ist. Aber ungeahnte 
Hindernisse schienen unsern Wunsch vereiteln zu wollen. Es ist hier, wo 
die drei Republiken Guatemala, Honduras und San Salvador zusammen- 
stossen, ein politischer Wettenvinkel, aus 
dem fortwährend dunkles, drohendes Ge- 
wölk aufsteigt. Der Uebertritt von einem 
Land ins andere ist für politische und 
andere Uebelthäter gar zu verlockend leicht. 

Nun hatte es kürzlich in Guatemala, ge- 
legentlich der Wahlen, ge wetterleuchtet; 
dem wiedergewählten Reina Barrios war 
in Gonzales ein Gegner erwachsen. Der 
kleine Aufstand aber war unterdrückt wor- 
den. und der Präsidentschafts-Pratendent 
hatte sich nach S. Salvador zurückgezogen. 

So herrschte wieder einmal Unruhe im 
Wetterwinkel, ob mit oder ohne ernst- 
haften Hintergrund, das weiss ich nicht. 

Jedenfalls ging in Zacapa das Gerücht um. 
in Honduras oder Salvador sei Revolution, 
und kein Arriero wollte mit uns gehen. 

Endlich erklärte sich einer bereit, mit- 
zukommen, und natürlich erwiesen sich alle 
Gerüchte als »mentiras«, wie der sonst 
so höfliche Spanier mit anerkennenswerter 
Offenheit zu sagen pflegt. PN war infolge 
der Verhandlungen spät geworden, ehe wir 
aufbrachen. Aber die Strecke nach Chi- 
quimula ist nur kurz, der Weg breit und 
gut. Zum Glück war der Himmel bedeckt, 
sonst ist in diesen trockenen, staubigen 
Regionen die Hitze arg und die Blendung 
des grauen und gelben Bodens im flimmern- 
den Sonnenlicht sehr unangenehm. Mit 
uns ritt ein junger Deutscher, Herr Robert 
Licnau, der sich in diesem entlegenen 

Winke! aufhielt, um die Interessen eines deutschen Geschäftshauses wahr- 
zunehmen, dem der oben erwähnte Gonzales stark verschuldet war. Gon- 
zales' Pronunciamento misslang, er floh über die Grenze und seine 
Gläubiger legten Hand auf seine Häuser und Besitzungen. Um diese zu 
verwalten und zu verwerten, befand sich Don Roberto hier und wohnte 



Heloperon**, eine krautartiRe 
Acanthacee. von den Ruinen 
von Copan 


33 * 


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in einem Gonzales'schcn Hause in Esquipulas, wovon ich noch zu er- 
zählen haben werde. 

Hinter Chiquimula muss wieder einmal ein Fluss durchritten werden, 
dann steigt man zum Kamm einer kleinen Bergkette hinan und reitet eine 
ganze Weile auf der Höhe weiter. Wo der Weg wieder ins Thal hinab- 
steigt, liegt, inmitten von Bäumen und Büschen, der Ort S. Juan Hcr- 
niita; und im Thale weiter reitend, erreicht man Jocotan und Camotan. 
All diese Ortschaften, von denen nur Jocotan etwas ansehnlicher, aber 
ziemlich verwahrlost ist, haben grosse, halb verfallene Kirchen, die in 
einem auffallenden Missverhältnis zur Einwohnerzahl stehen; ein Beweis 
dafür, dass diese Landstriche zur Zeit der spanischen Eroberung viel 
bevölkerter gewesen sein Bussen als heutzutage. Es ist schönes, fruchtbares 
Land; die Trockenheit des mittleren Motagua-Thales war jenseits der 
kleinen Bergkette geblieben. Auch von der Hitze hatten wir nicht mehr 
zu leiden. Der Nordwind, der den Himmel fortwährend mit dicken Wolken 
bedeckte, liess es uns fast kalt erscheinen, als wir in Camotan unter dem 
Vordach des einzigen grösseren Hauses unser Nachtlager aufschlagen 
mussten. Erwähnen möchte ich noch, dass es in diesem Orte nur eine 
einzige Tienda gab, aber niemals haben wir in einer dörflichen Tienda 
eine so reiche Auswahl aller europäischen Getränke gefunden. Da war 
Wein, bayerisch Bier und neben andern Schnäpsen sogar Gilka. 

Von hier blieb uns noch ein langer Tagemarsch von zwölf Leguas 
bis Copan. Der leidlich gute Weg bietet landschaftlich nicht viel Ab- 
wechslung; er führt durch hübsche, aber völlig einsame Gegend. Nach 
einigen Stunden wird der Rio Copan überschritten und der Weg führt 
am rechten Ufer weiter. Wieder nach einigen Stunden merkt man an 
dem plötzlich sehr schlechten Weg, dass man die Grenze überschritten 
hat, denn Honduras geniesst den Ruf, die schlechtesten Wege in Mittel- 
amerika zu besitzen. Am Nachmittage erreichten wir Copan, und damit 
ging uns wieder einmal ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. 

* * 

* 

Die Erfüllung eines Wunsches sieht bekanntlich oft ganz anders aus, 
als man sich vorstcllt. Und so wurden auch unserer Freude ein paar 
kleine Dämpfer aufgesetzt. Copan ist ein grosses, aber ziemlich verwahr- 
lostes, meist von Ladinos bewohntes Dorf. Das Cabildo bot die einzige 
Möglichkeit zum Uebernachten. Aber in dem grossen Raum, dessen 
Fussboden die nackte Erde bildete, schliefen noch fünf andere Leute, 
darunter die beiden Indianer, die die nächtliche Wache hatten. Und auf 
der erhöhten Bühne des Raumes, wo vermutlich die hohe Obrigkeit ihren 
Platz hat, spielte der Schreiber mit einem andern Manne die halbe Nacht 
hindurch Karten. Dabei war die Nacht kalt, denn der Nordwind fegte 


33 * 


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Nebelschauer über das Thal. Aber dieses grosse, unfreundliche Nacht- 
quartier besass einen Schmuck, der uns mahnte, wo wir uns befanden: 
es diente als Stufe zu der erwähnten Erhöhung ein zierlicher, wohlerhaltener 
Hieroglyphenstein. 

Nachdem wir einen Mann gefunden, der uns zwischen den unendlich 
weit ausgedehnten Ruinen umherführen sollte, machten wir uns dorthin 
auf den Weg. Aber nun kam eine wirkliche Enttäuschung. Wir wussten, 
dass hier die Amerikaner jahrelang emsig gearbeitet hatten, wozu ihnen 
von der Regierung des Staates Honduras die alleinige Erlaubnis gegeben 
worden war. Wir kannten Abgüsse und Abbildungen und hatten uns 
deshalb der angenehmen Hoffnung hingegeben, wenigstens die Hauptstücke 



Der Stein im Cabildo 


leicht zugänglich zu finden, aber weit gefehlt! Die wenigen Jahre, seit 
die Arbeiten aus verschiedenen Gründen ins Stocken geraten waren, hatten 
genügt, um auf dem von Hochwald gereinigten weiten Flächen dichten 
Buschwald aufspricssen zu lassen, der das Aufsuchen unendlich erschwerte. 
Stundenlang krochen wir in dieser unordentlichen Wildnis umher, mühsam 
mit dem Waldmesser einen Weg bahnend. Zum Glück hatte mein Mann 
den Plan aus dem Maudsleyschen Werke mit, an dessen Hand es uns 
gelang, die bedeutendsten Stücke aufzufinden. Es ist fast unglaublich, 
welch eine Fülle von Stelen, flachen Steinen, skulpierten Blöcken sich 
hier zusammenfinden, aber leider ist die ganze Anlage infolge der allzu 
üppigen Vegetation nicht zu übersehen. Am herrlichsten war es auf dem hohen 
Ufer des Flusses, auf dem die Ruinen eines mächtigen Bauwerks stehen. 


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Das mit machtvollen Skulpturen geschmückte Eingangsthor ist wahrhaft 
imposant, und die Lage, hoch über dem hier noch jungen und stark 
strömenden Flusse, stolz. Auch stand hier noch ein Teil des schönen hoch- 
stämmigen Waldes, und der Blick schweifte über grünes Land. Auch in 
diesem Gebiet ist nicht ungestraft gearbeitet worden: von den Männern, 
die hier im Dienste der Wissenschaft thätig waren, haben alle an ihrer 
Gesundheit Schaden gelitten. Ich habe oft an das denken müssen, was 
mir ein alter Mann auf unserer ersten Reise sagte, als wir tagelang im 



Stein aut dem Dortplatze von Co pan 


dichten Walde verirrt waren: Die Alten lieben nicht, dass man ihnen 
nachspürt. 

Auch im Dorfe selbst lagen überall die stummen Steine umher, die 
doch so gerne reden möchten, denn sie sind nicht nur mit Figuren, sondern 
auch mit Hieroglyphen verziert. Zwei herrliche, mächtige Steinwürfel 
lagen mitten auf dem Dorfplatz unter einer Ceiba; an verschiedenen Stellen 
fanden wir Bruchstücke eingemauert, und auf der Wiese hinter dem Ca- 
bildo lagen sie verstreut umher. Wie gesagt, war für uns hier nichts 


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TAFKI, I.XIl 




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Falastthor in den Ruinen von Copan 



weiter zu thun, als zu schauen, aber die Katze lasst das Mausen nicht, 
und so konnte ich mir's weder in Quiriguä noch hier versagen, einige 
fotografische Aufnahmen zu machen, die hier leider unter dem Nebel- 
geriesel nicht alle nach Wunsch gerieten. 

* * 

Nach einer zweiten Nacht brachen wir auf, und zwar hatten wir 
uns nunmehr entschlossen, den kleinen Umweg iiber Esquipulas zu 
machen. 



Liegender, flacher Stein. Cop au 


Esquipulas ist das grösste Heiligtum von Mittelamcrika, und die grosse 
Messe, die Mitte Januar dort abgehalten wird, zieht Pilger nicht nur aus 
allen Gegenden Zentralamerikas an, sondern auch aus Chiapas und Yucatan, 
ja von Tehuantepec und dem Thal von Oaxaca strömen die Leute herbei. 
Schon in Zacapa hatte Pancho uns in den Ohren gelegen mit seinen 
Fragen und Bitten, ob wir denn nicht den grossen Gnadenort besuchen 
wollten, da doch dort gerade Festzeit wäre. Nun hatten wir eine gerecht- 
fertigte Abneigung, solche Orte zu besuchen, wo für unsere Zwecke wenig 
zu erreichen war, wo dagegen bei dem ungeheuren Zusammenfluss von 
Menschen die Reisenden und ihre Tiere nicht besonders gut aufgehoben 

335 


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zu sein pflegen. Wir hatten ja wiederholt solche Erfahrungen mit geringer 
Freude gemacht. Da uns aber Herr Robert Lienau Unterkunft für 
Menschen und Pferde in dem von ihm verwalteten Gonzales'schen Hause 
versprach, hatten wir keinen triftigen Grund mehr, Panchos Bitten un- 
erhört zu lassen. Und auch der Arriero schien durch die Aussicht, nach 
Esquipulas zu kommen, sich leichter zum Mitgehen bestimmen zu lassen. 
Auch für uns war es nicht ohne Reiz, diese berühmte Bethätigung religiöser 
Suggestion in der Nähe zu betrachten. 

Bald unterhalb Copan wurde der ziemlich schnell strömende Fluss 
durchritten und es ging durch anmutige Gegend, über leicht gewelltes Ge- 
lände weiter, ähnlich der Landschaft, die wir vor einigen Tagen auf dem 
andern Flussufer durchmessen hatten. Das Land müsste eine grosse Be- 



völkerung ernähren können, aber alles ist Weideland, von Rinder- und 
Pferdeherden belebt. Der Weg wurde steil und schlecht; es war kalt und 
der Nebel verdichtete sich zu leichtem Regen. So waren wir froh, als wir 
endlich eine weite Wiesenebene erreichten, auf der hier und da die Häuser 
grosser und kleiner Ranchos sichtbar waren. Denn unter diesen befand 
sich auch die kleine Vieh- und Zucker-Hacienda El Rodeo, die ebenfalls 
zur Gonzales'schen Masse gehörte und für heute unser Ziel sein sollte. 
Es war zwar alles ziemlich vernachlässigt, aber wir fanden, was wir 
brauchten, vor allem ein festes Dach, was bei dem kühlen, feuchten Wetter 
wahrlich nicht zu verachten war. 

Schon am vorigen Tage, auf dem sonst einsamen Wege, waren wir 
Pilgern begegnet, die aus Esquipulas kamen, ganze Familien zu Pferde, 


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TAFEL LXIII 




Weg nach Ksquipulas 


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mit Kind und Kegel, Knecht und Magd, die gar lebhaft an die Dar- 
stellungen von Pilgerfahrten auf alten Schildercicn erinnerten. Je näher 
wir Esquipulas kamen, um so mehr trafen wir auf ankommende und ab- 
ziehendc Scharen; teils hoch zu Ross, teils demütig im Staube wandelnd. 
Mit Kerzen in den Händen und fromme Gesänge psalmodierend, zog ein 
Trupp Indianer ein. Auf stattlichen Pferden kam uns eine behäbige 
Ladino-Familie entgegen; der Mozo trug das jüngste Kind im Arm, für 
die grösseren waren Sitze mit Schutzdächern auf den Rücken sicherer 
Tiere hergestellt, an den Sätteln der Frauen hingen die Bündel mit den 
auf dem Markte erworbenen Herrlichkeiten. Auf einem Esel ritt eine 



Die Fest Strasse in Ksquipulas 


Frau mit ihrem Kinde vor sich auf dem Hals des Tieres, das der neben- 
her laufende Mann am Zügel führte. 

Die schöne, stattliche, weiss getünchte Kirche hob sich, weithin 
sichtbar, von dem dunklen Hintergründe schön bewaldeter Berge ab. 
Von dem Platze des kleinen, zu andern Zeiten vermutlich recht stillen 
Ortes aus zieht sich eine lange Budenstrasse bis an die Stufen der Kirche 
hin, wo sie von einer zweiten im rechten Winkel geschnitten wurde, und 
eine dichte Menge von Menschen drängt sich in beiden. Je mehr man 
sich der Kirche nähert, um so dichter wird das Gewühl; auf ihren Stufen 
drängen sich die Frommen und rutschen auf den Knien zum Heiligtum. 

Seler, Alte Wege. 22 

337 


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Tief ergreifende Scenen, aber auch heitere und widerwärtige, ziehen in 
buntem Wechsel vorüber. 

Ein fesselndes Hild entrollt sich abends ain Rande der Hudenstadt, 
am Fusse der Kirche, wo die Leute mit Kind und Kegel, mit Sack und 
l’ack, mit ihren Pferden und Maultieren umherliegen und ihre Feuerchen 
anzünden, dazu die Lichter auf den Schenktischen und die P'euer in den 
unzähligen Garküchen. Natürlich spielen auch Karten und Branntwein 
keine geringe Rolle beim Fest. Wir nahmen alles in Augenschein, aber viel 
Bemerkenswertes gab es nicht, sondern nur, was auf den andern Jahrmärkten 
auch zu finden war. Die Mexikaner hatten allerhand von den hübschen, 
kleinen Erzeugnissen ihrer Hausindustrie gebracht, auch Lederwaren und 
Geflechte. Hübsche Korbwaren aus Honduras waren da; grosse Zierkämme 

aus Schildpatt mit Gold und Silber ein- 
gelegt aus S. Miguel in Salvador; aus- 
gezeichnete Dulces, das heisst Fruchtpasten 
in kleinen Schachteln, aus S u Ana in 
Salvador, die sich mit den berühmten 
aus Comitan dreist messen durften; Sattel- 
zeug aus Salvador; einheimische und im- 
portierte Waren aller Art, zweiter und 
dritter Güte. Lebhaft blühte der Handel 
mit Rosenkränzen, Hciligenbildchen und 
ähnlichen Dingen, die ja auch in Europa 
bei Kirchenfesten nicht zu fehlen pflegen. 
In den letzten Jahren soll die Anziehungs- 
kraft des Festes nicht mehr die alte sein; 
der Richter von Chiquimula erzählte mir, 
dass im Jahre 1854 noch 7 1 000 Menschen 
während der vierzehn Tage der Fiesta 
nach Esquipulas geströmt seien. Diese 
Zahl wird jetzt lange nicht mehr erreicht, aber doch kommen noch 
Scharen von Gläubigen und Kaufleuten, um der Gnade des Wunder- 
bildes teilhaftig zu werden und ihre Waren an den Mann zu bringen. 
Und cs scheint, dass sowohl die einen wie die andern ihre Rechnung 
finden. 

Das Bild ist ein lebensgrosses Kruzifix. Es heisst, das Kreuz sei 
aus reinem Golde, was jedoch undenkbar ist. Die Christusfigur, aus einem 
dunklen Holze vorzüglich geschnitzt, ist mit einem Stirnreif und Strahlen- 
kränze aus Gold geschmückt, der reich mit Diamanten besetzt ist. Das 
weisse Lendentuch ist mit Gold gestickt. Die Schnitzerei wurde im Jahre 
1 594 am 9. August vom Provisor D. Cristobal Morales bei Quirio Castano 
in Guatemala bestellt und am 9. März 1595 vom Künstler abgeliefert. 

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Der Hombrc Tiure auf der 
Brücke von Ksnuipulas 


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Unzählig sind die Wunder, die von diesem Bilde berichtet werden.*) Das 
Holz soll erst im Laufe der Zeit seine dunkle Farbe und den schönen 
Glanz erlangt haben, die jetzt einen so wirkungsvollen Gegensatz zu dem 
Golde bilden. Es gelang uns, mit dem ununterbrochen flutenden Menschen- 
strom in die Kirche zu dringen und mit ihm am Bilde vorüber zu ziehen. 
Man war tolerant genug, uns nicht fortzuweisen, obgleich wir uns nur ehr- 
furchtsvoll verneigten und uns weder bekreuzten, noch niederknieten; da- 
gegen wurde eine Amerikanerin zurückgewiesen, weil sie einen Hut auf 
hatte, sie durfte erst herantreten, als sie ihn abgenommen und sich mit 
einem Shawl bedeckt hatte. Das ist spanische Sitte; auch in Spanien 
giebt es Kirchen, in denen die Frauen nur mit der Mantilla Zutritt erhalten. 
Beim Küster erwarben wir dann einige der kleinen silbernen Votivfigürchen, 
die den Kreislauf vom Küster in die Hände der Gläubigen, von dort an 
die Wände der Kirche und von da wieder zum Küster zurück sicher 
schon etliche Male durchgemacht hatten. Ein kleines silbernes Maultier, 
das ich gern haben wollte, gab er nicht her: danach wäre zuviel Nachfrage 
von den Hacendados. 

Wie alt die Verehrung an dieser Stelle, ob hier in heidnischer Zeit 
ein Heiligtum gestanden, das konnte ich nicht in Erfahrung bringen. — 
Von Altertümern fanden wir nichts, es ist uns auch nichts aus dieser 
Gegend bekannt. Auf einem Pfeiler der Brücke, die im Zuge der Fest- 
strasse das P'lüsschen überspannte, steht eine alte Steinfigur, einen auf- 
rechten Jaguar darstellend, den »Hombrc Tigre«, wie wir ihn in alten 
mexikanischen Bilderschriften finden; er soll angeblich aus Copan hierher 
gebracht worden sein. 

In dem verwahrlosten Gonzaies'schcn Hause standen zwischen dem 
geringen Hausrat zwei sehr gute Lonas, die Don Roberto und einem 
F'ranzosen, mit dem er gemeinsam dort hauste, als Lagerstatte dienten. 
Der Franzose war verreist, unser liebenswürdiger Landsmann hing seine 
Hangmatte in der Küche auf und überliess uns das Zimmer, in dessen 
ungestörtem Besitze wir eine ganze Nacht schwelgten. Die unerwartete 
Ankunft eines amerikanischen Eisenbahn-Ingenieurs mit seiner Frau, lange 
nachdem wir uns zur Ruhe niedergelegt, scheuchte uns in der zweiten 
Nacht aus unserm Behagen auf. Mr. und Mrs. Shaw waren sehr nette 
Leute, wir hätten sie noch viel netter gefunden, wenn wir sie unter andern 
Umständen getroffen hatten. Mein Mann, der sich nicht recht wohl fühlte, 
musste nebst Herrn Shaw nun auch in die Küche übersiedeln und der 
Dame sein Lager überlassen. Wir hatten gedacht, nach anderthalbtägigem 
Aufenthalt weiter zu ziehen, aber plötzlich erklärte unser Arriero, er wolle 


*) Compendio de la Historia de la Ciudad de Guatemala von Domingo Juarros. 
Guatemala 1809. 


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sein Geld haben und nach Zacapa zurück, er hätte keine Lust, weiter 
mit zu gehen. Vergeblich suchten wir ihm die Gründe für dies Verlangen 
zu entlocken, um sie entkräften zu können: es war nichts mit ihm anzufangen. 
Wir gingen natürlich nicht auf seine Wünsche ein, da er sich verpflichtet 
hatte, bis Guatemala mitzukommen. Da Hess er einfach sein Geld im 
Stich und zog ab, um nie wieder etwas von sich hören zu lassen. Wir 
aber waren in eine sehr unangenehme Lage versetzt. Leute zum Tragen 
waren hier durchaus nicht zu haben und Packtiere ebensowenig. Endlich 
gelang es dem alten Faktotum Don Robertos, dem braven Pablo Vasquez, 



Die Ceiba von Ipala 


einen Indianer aus Mixco aufzustöbern, der mit Weib und Kind und 
zwei Eseln das Fest besucht hatte. Dieser übernahm einen Teil unseres 
Gepäcks, für den übrigen mussten wir zu ziemlich hohem Preise ein 
Maultier kaufen. 

* * 

* 

Wir gedachten in wenigen Tagen wieder in der Haupttsadt zu sein, 
aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Den ersten kurzen Marsch bis 
Quezaltepeque legten wir vorschriftsmässig zurück. Es ist ein grosses 
freundliches Dorf in fruchtbarer Gegend mit manchem stattlichen Hause, 
in deren einem uns ein Brief Don Robertos behagliches Unterkommen 
verschaffte. Die Familie Don Jose Marias nahm uns als willkommene 


340 


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Gastfreunde auf, bewirtete uns aufs beste und wies uns ein luftiges, ab- 
geschlossenes Zimmer zur Nachtruhe an. Der Hausherr hatte sogar schon 
einmal eine Reise nach den Vereinigten Staaten gemacht, wie ja die wohl- 
habenden Guatemalteken überhaupt reiselustig und bildunglüstern sind. 

Der Weg nach Ipala fuhrt zuerst durch eine hübsche, von einem 
Bach durchflossene Schlucht, dann trocken, heiss und steinig weiter nach 
dem grossen, aber ärmlichen Dorfe am Kusse des schön geformten, gleich- 
namigen Vulkans. Auf dem weiten, wüsten Dorfplatz stand eine pracht- 


•i •' 



In Jilotepec 


volle Ceiba. In dem einzigen aus Mauerwerk bestehenden Hause des 
Dorfes fanden wir bei einer Witib freundliche Aufnahme. Und das 
war ein Glück, denn hier ereilte uns das böse Geschick, das wohl schon 
seit Quiriguä unsern Spuren gefolgt war. Schon unterwegs hatte ich mich 
über meines Mannes Teilnahmlosigkeit gewundert, weder hatte er Pflanzen 
gesammelt, noch sich an dem Gespräch mit der munteren Familie beteiligt, 
die — Mann und Frau, Magd und Kind — aus Esquipulas kam und 
ein Stück Wegs mit uns zusammenritt. Jetzt klagte er über Kopfschmerz. 


34i 


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Magenverstimmung, Erkältung, der Ritt im glühenden Sonnenbrand — all 
das wäre ja Veranlassung genug zu körperlichem Unbehagen gewesen, 
aber am Abend konnte ich es mir doch nicht mehr verhehlen, dass wir 
es mit einem ungewöhnlich heftigen Fieberanfall zu thun hatten. Da das 
Fieber auch am nächsten Tage durchaus nicht nachliess, so war meine 
nächste Sorge, von Ipala fortzukommen, wo es kaum für einen Gesunden 
zu essen gab, wieviel weniger für einen Kranken. Und unsere Wirtin war 
wohl freundlich, aber ob sie es auch geblieben wäre, wenn wir ihr tagelang 
zur Last gefallen wären, muss ich doch billig bezweifeln. Unser Wunsch 
war, die freundliche Kreisstadt Chiquimula zu erreichen. So richtete ich 
meine Schritte nach dem gegenüberliegenden Gemeindehaus, holte unsern 
Regierungsbrief hervor, der den Behörden anempfahl, uns in jeder Beziehung 
behilflich zu sein, und trug dem Alcalden unsern Fall vor. Was ich von 
ihm verlangte, waren zwei Leute, die meinen Mann nach Chiquimula tragen 
sollten. Am nächsten Morgen kamen dann auch zwei Indianer, der Kranke 
wurde auf einen Stuhl gesetzt, und die Männer trugen ihn abwechselnd 
auf dem Rücken über Berg und Thal; fürwahr eine Leistung! Als wir 
halbwegs waren, wurde das F'ieber wieder heftiger, wir mussten uns 
entschliessen, in dem Dorfe S. Jose Unterkunft zu suchen, die wir auch 
nach vieler Mühe in einem Hause fanden, das von Menschen jeglichen 
Alters wimmelte — ein angenehmer Aufenthalt für einen Kranken! Wir 
waren herzlich froh, als wir am nächsten Tage das heisse, aber freundliche 
und saubere Chiquimula erreichten. 

Ein französisches Ehepaar hält dort einen Mittagstisch, an dem 
einheimische Junggesellen und zufällig anwesende reisende Kaufleutc und 
Ingenieure sich zusammenfanden. Ausserdem vermieten sie ein freundliches 
Zimmerchen. So waren wir gut aufgehoben während der Zeit, die wir 
notgedrungen hier zubringen mussten. Herr Lienau und die deutsche 
F'rau eines amerikanischen Ingenieurs nahmen sich unser freundlich in 
diesen Tagen an. 

Zwar führten wir unsere eigene Apotheke mit und wussten, dass es 
im Augenblick nur galt, abzuwarten und Rückfälle dann durch Chinin 
möglichst zu verhindern; trotzdem wandten wir uns an den Arzt, der auch 
wirklich gegen die heftigen Kopfschmerzen ein Linderungsmittel verschrieb. 
Der Herr verschrieb überhaupt sehr gern Rezepte, je länger, um so lieber, 
von denen wir jedoch nur sparsamen Gebrauch machten, da wir gegen 
die Zuverlässigkeit der Apotheke einiges Misstrauen hegten. Er war mit 
einer reichen Grundbesitzertochter verheiratet und augenscheinlich mit dem 
Herzen mehr bei der Landwirtschaft als bei der Heilkunde. Uebrigens 
ein ganz unterhaltender Mann, der uns viel erzählte und sich gern er- 
zählen liess. Natürlich war eine seiner ersten Fragen: »Haben Sie Kinder?« 
Als wir verneinten, sagte er zu meinem Manne: »Nun, Ihre Frau hat 


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keine Kinder, aber Sie doch!« und auf meines Mannes Antwort, dass 
dergleichen Dinge bei uns nicht üblich seien, meinte er naiv: «Kommen 
Sie nur zu uns, da werden Sie schon unsere Sitten annehmen.« Nun, 
die Aufrichtigkeit, mit der solche Verhältnisse behandelt werden, ist mir 
immer noch lieber als die zivilisierte Heuchelei, und sie kommt auch den 
unehelichen Kindern zu gute, die oft im Hause des Vaters erzogen werden. 

• • 

• 

Endlich, nachdem mehr denn eine Woche verflossen war, konnte 
mein Mann wieder sein Maultier besteigen, und wir traten unsere Reise 
nach Guatemala an. Die fünf Reisetage wurden auch glücklich zurück- 
gelegt, waren aber doch für einen kaum Genesenen ziemlich anstrengend, und 
gleich nach unserer Ankunft stellte sich wieder Fieber ein. Doch hier 
war unser Freund, der deutsche Arzt, und seine Schwester und ihre brave 
Magd, die Trinidad, die mir treulich in der Pflege beistanden. 

Es wird mir niemand verübeln, dass ich über diesen Abschnitt unserer 
Reise keine ausführliche Rechenschaft zu geben vermag. Der Weg führt durch 
eine etw-as abgelegene Ecke der Republik und erreicht erst bei Palencia, 
wenige Leguas vor der Hauptstadt, die grosse Strasse, die direkt nach 
Zacapa führt und die in ihrem ersten Teile fahrbar ist. Bis dorthin war 
die Beschaffenheit des Weges sehr ungleichmässig; teils neu gemacht 
und gut, teils recht schlecht. Landschaftlich bot er nichts neues; es war 
eine Folge anmutiger Landschaftsbilder, wie wir sie schon vielfach gesehen. 

Nach zweimonatlicher Abwesenheit kehrten wir zurück, um viele 
Eindrücke und Erfahrungen reicher, aber leider war allen weiteren Unter- 
nehmungen ein Ziel gesetzt, alle ferneren Pläne vereitelt. Unsere Irrfahrten 
näherten sich ihrem Ende. 



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Der Colima von der Stadtseite 


ZWÖLFTER ABSCHNITT. 

Zurück nach Mexiko. 

Vom 19. März bis April 1897. 

Wühl des Rückweges. — S. Jose. — Die Einschiffung. — An Boril der jNew-Portc. — Manznnillo. 
— Colima. — El Perro Michoacano. — Ritt nach Zapotlan. — Krank! — Wagenfahrt nach 
Guadalajara. — - Eisenbahn. — Wieder in Mexiko. — Der neu entdeckte Stein. 


Unsere Zeit war abgelaufcn und wir mussten ernsthaft erwägen, 
welcher Rückweg zu nehmen sei. Alle Pläne, die wir nach dieser Richtung 
bisher gemacht hatten, waren hinfällig geworden, da die Krankheit meines 
Mannes uns erst unterwegs und dann in der Stadt Guatemala wochenlang 
aufgehalten hatte. Ehe er wieder reisefähig war, kam der März heran, 
und ehe die Sammlung Alvarado in Antigua gekauft und verpackt war, 
vergingen abermals acht Tage. Eine längere Landreise war wegen der 
sich immer noch wiederholenden Fieberanfälle nicht ratsam und wegen 
der vorgerückten Zeit auch kaum mehr möglich. Wir mussten Mitte Mai 
in Berlin zurück sein, weil der Urlaub ablief, und wollten noch einmal 
nach Mexiko und Oaxaca, weil wir an beiden Orten uneingepackte Samm- 
lungen stehen hatten und auch noch einige persönliche Angelegenheiten 
zu erledigen waren. — Eine Seereise wurde auch als bestes Heilmittel 
gegen das P'ieber gepriesen. So beschlossen wir, das erste Schiff zu be- 
nutzen, das von S. Josö aus nach Norden fahren würde. Wir hatten 


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eigentlich gedacht, auf dem üblichen Wege über Tehuantepec und 
Coatzacoalcos zurück zu reisen, aber da die Dampfer, die Tehuantepec 
anlaufen, nur einmal im Monat kommen, hätten wir noch gar zu lange 
warten müssen. Und mit der direkten Linie bis S. Francisco und von 
da mit der Kahn nach Mexiko zu fahren, hätte einen grossen Umweg 
bedeutet. So entschieden wir uns für den Dampfer der Pacific Mail, der ver- 
schiedene kleinere Häfen anläuft und uns nach Manzanillo bringen konnte. 

Am 15. sollte er fahrplanmässig von S. Jose auslaufen, kam aber 
natürlich erst am 19. an. Da die Küstengegend für Fieberkranke kein 
ratsamer Aufenthalt ist, fuhren wir auch nicht vorher hinunter. S. Jose 



Badende in S. Jose 


liegt zwischen Strandsümpfen und ist ein aus amerikanischen Holzhäusern, 
Kneipen, Tiendas und Reisighütten bestehender, unordentlicher und 
schmutziger Ort. Auf der Düne aber steht neben dem Bahnhof, der Kom- 
mandantur, der Zollabfertigung, ein grosses amerikanisches Hotel: ein 
luftiger Holzbau mit rund umlaufenden Galerien und freundlich und sauber 
eingerichteten Zimmern. Es giebt auch noch kleinere Posadas und Gast- 
hauser und alle zusammen werden viel benutzt, nicht nur von den an- 
kommenden und abfahrenden überseeischen Reisenden, sondern auch von 
Einheimischen, die zur Temporada herunterfahren, um in S. Jose See- 
bäder zu nehmen. Vergeblich aber schaut man sich nach Badccinrichtungen 


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um: man zieht sich auf dem schönen, weissen, sandigen Strande aus und 
geht ins Wasser. Keiner kümmert sich um den andern, und Meer und 
Himmel sind so weit und gross, dass man die paar kleinen Menschen 
dazwischen gar nicht sieht. 

Die Einschiffung, die am 20. stattfand, verdient ein Wort der Er- 
wähnung. S. Jose besitzt keinen Hafen, nur eine Reede. Wie weit die 
ungebrochene Küstenlinic des Stillen Ozeans nach Süden reicht, ist mir 
nicht bekannt; nach Norden zu ist Acapulco der erste wirkliche Hafen, 
allerdings ein herrlicher Hafen. Puerto Escondido kommt für grosse 
Dampfer nicht in Betracht, sondern nur für Fischerbarken. — Auf der 



Step iu S. Jos e 


Reede von S. Jose nun ist zwar ein Steg hinausgebaut, aber nur so weit, 
dass die sogenannten Lanchas — grosse, bauchige, flache Boote — her- 
ankommen können. Diese befördern Reisende und Gepäck zum Dampfer. 
Die Lancha liegt tief unten und schaukelt in der Brandung; der Krahn 
befördert ein Gepäckstück nach dem andern hinunter; der Reisende aber, 
der als Neuling dabei steht, überlegt, wie er wohl den Weg hinab- 
flnden wird, denn eine Leiter oder Treppe ist nicht vorhanden. Nun, 
wozu wäre denn der Krahn da? Sobald das letzte Gepäckstück hinunter- 
gelassen ist, wird statt seiner eine Art riesigen Hühnerkorbes am Krahn 
befestigt; vier Personen, die sich so eng als möglich an einander drängen, 


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steigen hinein und treten die luftige Reise nach unten an. Aus dem 
Käfig heraus, stolpert man über Koffer, Kisten, Kasten, Körbe, Ballen, 
und kann froh sein, wenn man bei dem heftigen Auf- und Nieder- 
schwanken der Lancha auf einen leidlich weichen Platz geworfen wird 
und nicht gerade auf eine eisenbeschlagene Kofferkantc; denn wo man 
hinfällt, bleibt man meist auch liegen. Ist der letzte Passagier eingeladen, 
so wird die Lancha von einem kleinen Remorqueur zum Dampfer hinaus- 
geschleppt — eine wacklige Fahrt, bei der das schwer beladene, ungeschickte 
Fahrzeug unbarmherzig hin- und hergeworfen wird und seine Insassen 
natürlich auch. Am Dampfer angelangt, beginnt die Ausschiffung auf ganz 
die gleiche Art, nur glücklicherweise in umgekehrter Reihenfolge: zuerst 
die Menschen und dann das Gepäck. 



A c a p u 1 c o 


Die »New-Port« war ein ganz hübsches und gut gehaltenes Schiff; da 
sie nicht viele Gäste an Bord hatte, bekamen wir eine luftige Deck-Kabine, 
und trotzdem haben wir die Hitze niemals und nirgends so unangenehm 
empfunden, als während der Nächte auf dem Wasser. Unter den Rei- 
senden, die meist aus jungen Amerikanern bestanden, trafen wir auch einen 
Landsmann, Herrn Ibach aus Barmen, den Sohn und Vertreter der welt- 
bekannten Klavierfabrik, der, aus Südamerika kommend, auf der Heim- 
reise begriffen war und uns ein angenehmer Reisegenosse wurde. Dann 
waren da noch einige an der Küste begüterte Pflanzer, unter anderm ein 
Spanier, der sich wohlwollend meiner Sprachkünste annahm. Ausser mir 
waren noch drei weibliche Wesen an Bord, eine kranke, bildschöne Dame 
aus Costarica, eine fesche, lustige, junge Witwe aus Frisco und die 

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Stewardess, die, wenn sie ihre Obliegenheiten erfüllt hatte, ebenfalls zur 
Dante wurde, sich sehr gut zu unterhalten wusste und ausserdem ihren 
jungen Landsleuten die Strümpfe stopfte. 

Da wir ruhige Fahrt hatten, das Schiff auch ziemlich langsam fuhr, 
war ich zum ersten Male in meinem Leben nicht seekrank. Und so ver- 
lief die Reise, mit Ausnahme eines kleinen Fieberanfalles, der meinen 
Mann noch einmal heimsuchte, angenehm. Aui der Reede von Cham- 
perico freilich, wo wir einen ganzen Sonntag unthätig vor Anker liegen 
mussten und erst am Montag Kaffee einladen konnten, wackelte es heftig. 



M anzanillo 


Noch wurde in S. Benito, dem Ankerplatz für Tapachula, angelegt. 
Dann glitt die bewaldete Küste ruhig an uns vorüber, in den Duft und 
Dunst der heissesten Jahreszeit gehüllt, so dass die Umrisse der hohen 
Berge, die hinter ihr ansteigen, nur undeutlich sichtbar wurden. Mit 
freudiger Erinnerung griissten wir hinüber nach der Stelle, wo wir vor 
länger als Jahresfrist einen herrlichen Tag auf dem Cerro de Tonalä ver- 
lebt hatten, und suchten eifrig, aber vergeblich, die Gegend von Tehuantepec 
festzustellen. 

Der nächste Hafen, der angelaufen wurde, war Acapulco. Eine 
schmale Einfahrt öffnet sich in eine Bucht, die wie ein geschlossenes See- 

34 « 


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becken vor uns liegt, und in ihr ankerte ein mexikanisches Kriegsschift. Man 
liess uns nicht an Land, nur wer hier am Ziel war oder geschäftlich zu 
thun hatte, erhielt — nach ärztlicher Untersuchung und gründlicher Durch- 
räucherung auf einer besonders dazu eingerichteten Insel — Erlaubnis, zieh 
auszuschiffen. Seit man vor Jahren einen am gelben Fieber Gestorbenen 
landete, um ihn zu begraben und danach eine Epidemie ausbrach, ist man 
vorsichtig geworden und sperrt sich ängstlich gegen die Provenienzen aus 
dem Süden ab. Und freilich giebt es ja dort genug Orte, in denen das 
unheimliche Gespenst des Vomito fast immer umgeht. Zur Zeit sollte es 
sich in S. Salvador sogar recht bemerkbar machen. 





Bucht von Manzanillo 


Nach neuntägiger Fahrt landeten wir in Manzanillo und setzten mit 
unverhohlenem Vergnügen den Fuss wieder auf mexikanischen Boden. 
Die Bucht von Manzanillo ist ausserst malerisch und erinnert mit ihren 
Vorgebirgen, den kleinen, der Küste vorgelagerten Klippen, dem blauen 
Wasser und dem Saum der weiss schäumenden Brandung an die reizenden 
Buchten der Riviera. Der Ort selbst ist von einer so peinlichen Sauberkeit, 
wie ich sie sonst in warmen Ländern nie gesehen. Aber er hat einen 
schlechten Ruf in gesundheitlicher Beziehung. Nicht die Hitze veranlasst 
das, sondern vielmehr die hinter dem Orte sich hinziehende Lagune, der 
zu Ende der Regenzeit unzählige Schwärme von Mosquitos entsteigen. 
Man zündet dann auf der Strasse grosse Feuer an, um sie zu vertreiben, 
aber ihre Menge soll so gross sein, dass sie oft die Feuer löschen. Und 


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da es bewiesen scheint, dass die Mücken die Träger und Verbreiter des 
Fiebergiftes sind, so versteht sich's von selbst, dass hier ein rechter 
Malariaherd ist. Zur jetzigen Jahreszeit war natürlich von diesen Schrecken 
nichts zu merken. In dem Geschäftshause des deutschen Konsuls in 
Colima, des Herrn Arnold Vogel, waren wir gut aufgehoben, schliefen im 
luftigen Zimmer unter Mosquiteros und speisten mit dem mexikanischen 
Vertreter des Hauses an wohlbesetzter Tafel. Nach Colima hinauf geht 
eine schmalspurige Eisenbahn, aber nur dreimal die Woche, und so mussten 
wir zwei Tage unthätig in Manzanillo verweilen. Wir stiegen auf die Signal- 
station und freuten uns der Aussicht; wir gingen am Strande weithin 



Thonfigürchen. Colima 

spazieren, wurden fast von der Flut abgeschnitten und wunderten uns 
wieder einmal über die Muschelarmut der Küste. 

Von Manzanillo aus führt die Bahn erst durch die Lagune, dann auf 
der sandigen, mit Dorn und Busch bewachsenen Nehrung zwischen dem 
Meere und dem Hinterwasser entlang bis zum Dorfe Cuyutlan. Ein 
Stückchen w r eiter w'ird der Fluss übersetzt, der Rio Tuscacuesco 
oder Rio de la Armeria heisst. Wir folgen seinem Laufe auf- 

wärts in die Berge hinein und gelangen endlich in die weite Ebene 
von Colima, über der die beiden bis zu fast 4000 m aufstei- 
genden Gipfel des Volcan und des Nevado de Colima empor- 

35 ° 


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TAFEL 1.X1V 




Im Halen von Acapulco 


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ragen. Während der etwas höhere Nevado vermutlich ein erloschener 
Krater ist, ist der andere ununterbrochen thätig. In kurzen Pausen von 
höchstens zwei Stunden, steigt über seinen Gipfel eine weisse Rauchwolke 
empor. Aus einem weiten, ebenen, wahrscheinlich aus alten Lavaströmen 
gebildeten Gelände fast unvermittelt aufragend, giebt er, mit der kleinen 
schirmartigen Wolke, ganz das typische Bild des feuerspeienden Berges, 
wie es in geographischen Handbüchern und populären illustrierten Werken 
zu sehen ist. Da wir dem Ende der trockenen Zeit entgegen gingen, 
hob sich das bewässerte und von den vom Berge herabrinnenden 
Wasseradern durchzogene Land frisch und grün aus der trockenen 
Umgebung heraus: hier wuchs Mais und Zuckerrohr, Bäume und Büsche 
und Haine von Kokospalmen. An den Hängen des Vulkans gedeiht 
Kaffee und höher hinauf soll ihn ein Gürtel herrlichsten Pflanzcnwuchses 
umziehen. 

Colima ist ein hübsches und freundliches Städtchen, heiss, aber 
nicht ungesund. Mehrere mit Baumen und bunten Blumenbeeten bepflanzte 
grosse Plätze tragen wesentlich zu seiner Verschönerung bei. Ein von 
Bäumen beschattetes Flüsschen fliesst nahe vorbei, und ein wenig ausserhalb 
der Stadt hat man ein herrliches, erquickendes Bad angelegt. Das einfache 
Gasthaus bot alles Nötige, ausserdem aber wurde uns der Aufenthalt durch 
die liebenswürdige Aufnahme verschönt, die wir in der heiteren und hoch- 
gebildeten Familie des deutschen Konsuls, Herrn Arnold Vogel, fanden, 
der seit dreissig Jahren hier ansässig ist. In seinem Hause sahen wir auch 
seltsame Altertümer von schönem, festem roten Thon: grosse Schalen, 
die so sehr Renaissance-Stil zeigen, dass ich annehmen möchte, sie seien 
erst zur Zeit gefertigt, als die Spanier schon im Lande waren, und die 
Hunde, von denen die beigefügten Bilder einige zeigen. Auch diese, die, 
wie jeder zugeben muss, lebhaft an unsere klugen und drolligen Dachs- 
hunde erinnern, ist man eigentlich geneigt, spanischen Einflüssen zuzu- 
schreiben. Aber da findet sich eine merkwürdige Stelle in dem lateinisch 
geschriebenen Buche des gelehrten Arztes Hemandcz, der >esta Nueva 
Espaiia« aufsuchte, um die Heilkunde der Eingeborenen kennen zu lernen; 
es heisst da in dem Abschnitt, der sich mit den Vierfusslern des neuen 
Landes beschäftigt*): >Ausser den von den Spaniern eingeführten Hunden 
trifft man drei andere Arten, von denen ich einen früher zu Hause gesehen 
habe, die andern aber weder gesehen habe, noch glaube, dass sie jemals 
dorthin gebracht worden sind. In ihrer Natur und ihren Lebensgewohnheiten 
sind sie unsern Hunden ähnlich, unterscheiden sich auch nicht sehr von 
diesen in der Gestalt. 


*) Francisci Herauiiilez, Hisioria Qnailnipcduin Novae lüspaniac. Rom 1651. 


35 » 


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Der erste, xoloitzcuintli, ist grösser als die übrigen. Seine Be- 
sonderheit ist, dass er vollkommen haarlos ist, eine weiche Haut hat, von 
rötlichgelber Farbe mit blauen Flecken. 

Der zweite ist den Melitcnsischen Hunden ähnlich, in 
weisser, schwarzer und rotgelber Farbe wechselnd, aber 
buckelig, und gefällt durch eine lustige M issgestalt, durch einen 
unmittelbar auf den Schultern sitzenden Kopf. Man pflegt ihn 
heute Michoacan-Hund zu nennen, weil er von dort stammt.« 



Hund von rotem Thon. Colima 


Nun weiss ich freilich nicht, was ich mir unter einem Melitensi- 
schen Hunde vorzustellen habe, aber seine Beschreibung sieht doch einem 
Teckel merkwürdig ähnlich. Und somit scheint wohl auch das vorspanische 
Alter der thönernen Hunde von Colima erwiesen zu sein ; es waren eben 
Darstellungen des Perro Michoacano. 

Uebcrhaupt scheinen die alten Töpfer von Colima grosse Realisten 
gewesen zu sein, dafür zeugt auch die prachtvoll gearbeitete Figur des 
Mannes in der Haltung eines Akrobaten, der eine runde Schale auf der 
Mitte seines Leibes trägt. Dieses Bildwerk befand sich im Besitze des 


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Jesuiten-Patcrs Aruela, eines Sammlers und Forschers. Er hatte die grosse 
Liebenswürdigkeit, das kostbare Stück in das Vogelsche Haus zu schicken, 
damit ich es fotografieren könne. Ich betrachte es als ein Glück, dass diese 
Aufnahme gelungen ist, denn die Figur zerbrach, bald nachdem sie ihrem 
Eigentümer zurückgebracht worden war. 

Ganz unverhofft und unerwartet gelang es uns, eine ganze Reihe 
von Altertümern in wenigen Tagen zusammenzubringen, denen 1 lerr Vogel 
aus seiner eigenen Sammlung noch ein paar schöne Stücke als Geschenk 
für das Herliner Museum hinzufügte. 

• * 

* 



Hunde von Thon. Coli tun 


Wir waren wieder einmal an einem Endpunkt der modernen Dampf- 
Kultur angelangt und mussten noch einmal für zwei kurze Tagemärsche 
zu Pferde steigen. Konsul Vogel hatte uns einen braven Arriero empfohlen, 
der uns auch gute Reittiere stellte. Da war ja wieder der mexikanische 
Spitzhut mit breiter Borte, der uns ganz heimatlich berührte, und den 
mein Mann auch in guatemaltekischen Landen zum grössten Erstaunen 
aller Leute nicht abgelegt hatte! 

Der Weg fuhrt am Ostfuss der Vulkane von Colima entlang; über 
weite, mit Lavabrocken überstreute Flächen, durch Schluchten mit fast 
senkrechten Wänden, die von den zu Thal stürzenden Wässern tief in die 
Flache gerissen sind, und über die mit Kiefern bestandenen Rippen, die 
von dem grossen Berge ausstrahlen. Wo bewässert werden kann, grünen 

Sclcr, Alte Wege. 2j 

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A krobaten-Fiffur aus rotem Thoo. Colhna 


Mais- und Zuckerrohrfelder. Wenige Ortschaften liegen am Wege: das 
DorfS. Gcrönimo, die Hacienda Queseria, und schon zu früher Stunde 
waren wir in dem ansehnlichen und malerischen Ort Tonila, wo grosser 
Abendmarkt auf dem hübschen Platze abgehalten wurde. 

Ziemlich einförmig geht der Weg weiter über die Ranchos Platanar 
und Atenquique; aber ein Stückchen weiterhin erwartete uns ein Wagen, 
den wir uns telegrafisch hierher bestellt hatten, und der uns in rascher 
Fahrt über eine ebene Fläche nach Zapotlan brachte, nachdem wir noch 
unter entsetzlichen Stössen einen breiten, buschbewachsenen I.avastrom 
gequert hatten. 



Der Coliina und der Nevado vom Wege nach Zapotlan 


Es ist ein ansehnliches, weitläufig gebautes Städtchen, in breitem 
Thal gelegen, an dessen tiefstem Punkt ein nicht kleiner See sich breitet, 
und umgeben von Gärten mit Fruchtbäumen. Von hier aus ist Post- 
Verbindung nach Guadalajara. Obgleich nun die Diligencia nur zwei Tage 
für diesen Weg gebraucht und ein Privatfuhrwerk drei, da es ohne Relais 
fährt, so entschieden wir uns doch für ein solches. Unter den mancherlei 
Gründen dafür war nicht der kleinste, dass ich krank geworden war. 
In Zapotlan herrschte eine starke Influenza-Epidemie, und für diese Krank- 
heit habe ich leider Talent. Wir mussten sogar einen ganzen Tag im 
Orte bleiben, da mich heftige Gliederschmerzen auf dem Lager fest- 


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bannten. Die Fahrt bis Guadalajara war daher kein Vergnügen für mich, 
denn die abscheulichen Stösse des Wagens auf dem stellenweise in recht 
schlechtem Zustande befindlichen Wege waren gerade kein Balsam für 
meine Rückenschmerzen. So habe ich von den drei im Wagen ver- 
brachten Tagen nur unsichere und verschwommene Bilder im Gedächtnis 



behalten, unter denen die heissen Flächen der ausgetrockneten Salzseen 
und die furchtbaren Unebenheiten der alten Lavaströme, die der Weg 
kreuzt, leider die eindrucksvollsten waren. Deshalb lasse ich eine Be- 
schreibung folgen, die ich einem aus Guadalajara datierten Briefe meines 
Mannes entnehme: 

Die drei Tage Wagenfahrt hierher waren in mancher Beziehung 
interessant Man passiert abflusslose, daher im Grunde mit Salzseen er- 


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füllte Becken. Der Weg führt geradeaus über den ausgetrockneten See- 
grund, und der Gegensatz zwischen der Dürre unmittelbar am Wege, den 
mit Mezquitebüschen , Feigenbäumen und Säulenkaktussen bewachsenen, 
sandigen Strecken, die die Seenbecken umsäumen, den kahlen Bergen, 
die das Thal umwallen, und den wenigen, aber mit üppiger Vegetation 
erfüllten Strichen, wo einige von den Bergen herabkommende Wasser- 
adern eine Bewässerung ermöglichen, ist überraschend. Es giebt ganze 
Dorfschaften, wie S. Marquito, die ausschliesslich davon leben, die mit 
Alkali und Salz geschwängerte Erde des ausgetrockneten Seegrundes zu- 
sammenzukratzen und durch Auslaugung und Abdampfung eine Art un- 
reiner Soda, die sogenannte Tequizquite, herzustellen, die als geschätztes 
Handelsprodukt weit ins Land geht. 

Andere Dörfer, wie Amacueco ziehen in bewässerten Gärtchen 
Obst, Orangen, saure Limas, süsse Limonen und kindskopfgrosse, soge- 
nannte Limas chinchones, die die Weiber am Wege feilhalten und in 
den benachbarten Ortschaften auf den Markt bringen. Wieder andere 
Dörfer, die reich an Wasser sind, kultivieren Zuckerrohr in bedeutenden 
Mengen, Mais, Futtergras u. s. w. Die Lavafelder aber, die als schwarze, 
trümmerübersäte Massen zwischen den aus geschichtetem kristallinischem 
Gestein bestehenden Höhenzügen und unter den aus vulkanischen Sanden 
und Aschen aufgeschütteten Flächen hervorbrechen, sind vielfach mit der 
schmalblättrigen, blaugrünen Agave bestanden, die die weisse, feste Bast- 
faser liefert, aus der Seile, Stricke, Netze u. a. m. gefertigt werden. Hinter 
dem Dorfe S. Sebastian steigt man auf sehr zerfahrenem, löcherigem, mit 
feinem, weissemStaube fusshoch bedecktem Wege hinab nach Amatitlan, 
das schon in dem von drei Salzseen erfüllten, abflusslosen Becken von 
Zayula liegt. Zavula ist ein ansehnlicher, aber sehr heisser Ort in trost- 
loser Umgebung. Von hier geht es zuerst über sandiges, mit Mezquite 
bestandenes Gelände und dann über die »Playa«, d. h. über den aus- 
getrockneten Sccgrund, der eine intensiv gelbrote Farbe hat. Es giebt 
eine merkwürdige Farbenstimmung: der breite, gelbrote, vollkommen kahle 
Vordergrund, mit dem schmalen Streilcn blauen Wassers dahinter, der 
wieder durch einen schmalen Streifen von Baumgrün von den kahlen 
Bergen des Hintergrundes sich abgrenzt. 

Unser erstes Nachtquartier war Techaluta, ein kümmerlicher Ort in 
dürrer, sandiger Umgebung. Es ist eine regenarme Gegend und die wenigen 
Regen sind wolkenbruchartig, so dass verheerende Ueberschwemmungen 
entstehen. In dem grössten Teil des Jahres ist es unerträglich heiss, im 
Winter — infolge der heftigen Winde — empfindlich kalt. 

Wieder begann der Tag mit sandigem Land, dann kam eine zweite 
Playa und wieder Sand und Mezquitebüsche. Es weidet hier viel Vieh, 
aber es ist jetzt so trocken, dass das Vieh in Trögen, die mit Rinnen 

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aus Brunnen gespeist werden, getränkt werden muss. In langen Zügen 
sieht man am Morgen die Herden auf ausgetretenen Pfaden langsam diesen 
Tränkeplätzen zuziehen. — Aus dem Becken von Zayula steigt der Weg 
auf einen Sattel und geht dann auf einer Hochfläche nach Zacualco. Hier 
erreicht er ein zweites abflussloses Becken mit einigen Salzseen. Ueber 
den Boden des einen, zur Zeit vollständig ausgetrockneten Beckens fuhrt 



der Weg bis zu einem Rancho, wo das Flüsschen, das den See in der 
Regenzeit füllt, im Sande versickert. Hier bildet ein von der nahen Berg- 
kette herüberziehender Lavastrom die Grenze des Beckens und zugleich 
eine Sperre, die selbst unser leicht gebautes Wägelchen nur unter fürchter- 
lichen Stössen und Schwankungen überwindet. 

Es folgt eine weite, grüne Ebene, von kahlen Bergen umwallt, an 
deren rechter Seite der Weg sich hinzieht. Zwischen der Kaktus- und 


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Gestrüpp -Vegetation dieses Abhanges sieht man ab und zu die Stoppeln 
abgeernteter Maisfelder. Hier und da sickert süsses, klares Wasser am 
Fuss der Höhe »hervor, nimmt seinen Weg zur Ebene, wo es der Be- 
wässerung dient oder wiesenartige, grüne Flächen und Rohrdickichte 
hervorruft. Aus den von der Höhe herabgerollten Blöcken und den 
Steinen, aus denen die Mauer links am Wege aufgeführt ist, wird die 
kristallinische Schichtung des Gesteins ersichtlich. An dieser Mauer, den 
Weg überschattend, stehen mächtige Feigenbäume, daher wird die Stelle 
»Las Higueras« genannt. 

In der noch nicht so gar weit zurückliegenden Zeit, als die Strassen- 
räuber überall im Lande ihr Handwerk trieben, wurde hier bei einem 
L'eberfall auf die Diligcncia ein Deutscher erschossen, der so unklug war, 
sich mit dem Revolver zu verteidigen. Seine Frau aber, die zwei Räuber 
niederstreckte und selber unverletzt blieb, schonte man aus Hochachtung 
vor ihrem Mute. Heute sieht man vor den vereinzelten Rohrhütten das 
übliche Idyll: Kinder, Hunde, Schweine; jenseits der Mauer grasen friedlich 
l’ferde und Rinder, und die Zeit »en que robavan« ist fast vergessen. — 
Während zur Rechten wieder ein schwarzer, starrer, trümmerübersäter 
Lavastrom auftritt, fahren wir in die Ebene hinein, in schnellem 
Trabe zwischen Zuckerrohrfeldern und Wasserkanälen hin, auf das 
freundliche und betriebsame Städtchen S ta - Ana zu, unser zweites Nacht- 
quartier. 

Das erste, was der nächste Morgen brachte, war wieder ein ent- 
setzlicher Weg über den Lavahöhenzug, der die Ebene begrenzt. Es war 
eine mühevolle Arbeit für Tiere und Menschen. Zwar hat man sich längst 
bemüht, die Strasse durch eine Art Pflasterung zu bessern, aber die jähr- 
lichen Regengüsse, die mit den Blöcken des Pflasters ihr Spiel treiben, 
und die Räder der Karren, die die Steine zur Seite drücken und tief in 
das weiche Erdreich dazwischen einschneiden, machen den Zustand zu 
einem jammervollen. Beinahe eine Stunde lang holpert der Wagen langsam 
über Steinblöcke und durch Erdlöcher, am Fusse des interessant ge- 
formten Berges »La Coronilla« hin, der zu unserer Rechten insclartig 
zu ansehnlicher Höhe emporragt. Er ist mit Eichen bewachsen, von denen 
ein Teil jetzt blattlose dürre Aeste zeigt, während andere im bunten 
Schmuck der Herbstfarben prangen und wieder einige schon das junge, 
frische, maiengrüne Laub voll entwickelt haben. Am jenseitigen Fusse 
des Berges wird das Gelände besser. Sandige, flache Hügelrücken bieten 
nicht mehr so viel Hindernisse, und von der Ortschaft S Ia - Cruz an ist 
der Weg bis Guadalajara ziemlich gleichmässig: eine Hochebene aus 
weichem, weissem Erdreich, in seiner Hauptmasse wahrscheinlich vul- 
kanischen Ursprungs, in das Karrenräder und rinnende Wasser vielfach 
enge Schluchten gerissen haben. 


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Fusshoher Staub bedeckt die Strasse, und da reger Verkehr von 
Karren und Packtieren herrscht, ist das Gefährt fast beständig in dichte 
Staubwolken gehüllt. Es ist wahrhaft beängstigend, wenn man auf dem 
schmalen Wege einem Karrenzuge oder einer Packtier- Karawane be- 
gegnet. Acht Ochsen, neun oder mehr Maultiere, manchmal zu fünf 
nebeneinander gespannt, ziehen einen Karren durch den tiefen Sand. 
Beladene Lasttiere befördern alle möglichen Kaufmannsgüter weit ins 
Land von dem grossen Zentrum Guadalajara aus; die Karren bringen 



Hotel J.-irdin 


Pferdefutter, jetzt meist Zacate oder Rastrojo, in die Stadt hinein. Ganz 
besonders ängstlich wird die Sache, wenn die Tiere mit Thonwaren be- 
laden sind, die in Mengen diese berühmte Töpferstadt verlassen, da man 
bei einem Zusammenstoss eine Zertrümmerung des ganzen Gutes befürchten 
muss. Es war ganz aufregend: bald wurden die engen Strecken durch- 
jagt, und der Junge den Gefährten entgegengeschickt, um sic zu warnen, 
bald mussten wir uns hart an den Schluchtrand drücken, um sie vorüber 
zu lassen; ja einmal mussten wir unsere Pferde ausspannen und zur Seite 
führen, um einem Karrenzuge Platz zu machen. 


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Entsetzliche Stössc auf einem Teil des Weges; Wolken und Staub 
auf andern; Hitze und Dürre überall — das waren die wenig angenehmen 
Seiten dieser dreitägigen Wagenfahrt, die uns aber wieder mitten in die 
europäische Kultur brachte. Mit welcher Wonne ich meine schmerzenden 
Glieder in dem wirklich guten Bette des Hotel Frances, das übrigens 
einem Deutschen gehört, niederlegte, wird jeder nachfühlen können, der 
einmal Influenza gehabt hat und dieser Wegschilderung einige Auf- 
merksamkeit geschenkt hat. 

Ich weiss über Guadalajara nicht viel zu sagen, denn so wie ich 
mich ein wenig erholt hatte, reisten wir ab. Aber ich habe den Eindruck 
einer freundlichen, lebhaften, betriebsamen Stadt gehabt, mit vielen grossen, 
schönen Läden und sehr stattlichen Gebäuden. Abends unter den Arkaden 
flutete ein ganz italienisches, heiteres Leben, bei dem Gefrorenes eine grosse 
Rolle spielte. Uebrigens ist Guadalajara so oft geschildert, über seine 
Töpferei, seinen Handel und seine sonstigen Verhältnisse so viel geschrieben 
worden — ist es doch mit der Eisenbahn leicht zu erreichen — , dass 
mein Gewissen ruhig bleibt, wenn ich nichts darüber sage. 

* * 

* 

Nun hatten wir dem Reiseleben zu Pferde endgiltig Valet gesagt, 
dem Leben mit seinen Mühen und Anstrengungen, aber seinen unver- 
gleichlichen Schönheiten und Freuden, mit seiner herrlichen Ungebundenheit 
— wie man ein solches nur fuhren kann in Ländern, wo die Maschen des 
Eisenbahnnetzes noch nicht so eng geknüpft sind, dass sie alles das, was 
wirklich .Reiseleben bedeutet, langsam erwürgen. 

So fühlten wir uns schon halb auf der Heimreise, zumal uns von 
jetzt ab lauter bekannte und vertraute Bilder umgaben. Neu war nur 
noch die Eisenbahnstrecke bis Irapuato, wo man den Anschluss an die 
Zentral-Mexikanische Linie erreicht. Und erwähnenswert scheint mir noch, 
dass um Irapuato Erdbeeren in Massen gezogen und mit der Eisenbahn 
bis nach der Hauptstadt verschickt werden; grosse, saftige Gartenfrüchte, 
denen freilich das köstliche Aroma der europäischen fehlt. 

Eine Nachtfahrt brachte uns von hier aus nach Mexiko, und als 
wir im Hotel Jardin unser altes Zimmer erhielten und als bekannte Gäste 
begrüsst wurden, überkam uns ein heimatliches Gefühl. Vertraut grüsste 
die schöne Kuppel der alten Klosterkirche S. Francisco über die Garten- 
mauer herein, lieb und vertraut war uns die ganze Stadt und mancher 
gute Freund in ihr. 

Auch in Oaxaca fühlten wir uns zu Hause und verbrachten dort noch 
einige Tage, ehe alles geordnet war und wir von deutschen und mexikanischen 
Freunden Abschied nehmen mussten. 


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Mit einem hübschen kleinen archäologischen Nachspiel aber sollte 
unsere Reise schliessen, und das kam so: Im Mittelpunkt der Stadt Mexiko 
entstehen viele Neubauten, fast möchte man sagen leider, da sie dadurch 
immer moderner wird. Ein altes Haus an der Ecke des grossen Platzes 
war während unserer Abwesenheit niedergelcgt worden, um einem Neu- 
bau Platz zu machen. Hei Ausschachtung der Fundamente war man auf 
einen alten Stein gestossen, der reich mit Skulpturen geziert war. Hat 
man doch seinerzeit auch den berühmten sogenannten Kalenderstein und 
den Stein des Tizoc unter dem Pflaster der Plaza Mayor gefunden. Der 



Kuppel von S. Francisco in Mexico 


Besitzer, ein ganz besonderer Verehrer des Präsidenten, wollte diesem 
den Stein schenken und liess ihn sorgsam bedeckt und bewacht halten, 
damit ihn niemand eher erblicke, als Don Porfirio. Der aber war gerade 
verreist, niemand wusste, wann er wiederkommen würde, und die Stunden 
bis zu unserer Abreise waren gezählt. Und wir brannten doch natürlich 
darauf, das neue alte Kunstwerk zu sehen. Der Besitzer war nicht auf- 
zufinden. Nachdem wir ihn stundenlang an allen möglichen Orten ge- 
sucht hatten, wo er eben gewesen war, oder noch hinkommen sollte, 
gaben wir’s auf und verliessen uns auf unser gutes Glück. Wir passten 


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einen Augenblick ab, da der Wächter sich entfernt hatte, zogen die Hülle 
herab und erblickten ein reizvolles Werk, das sich mit den schönsten bekannten 
Stücken des mexikanischen Altertums messen konnte. Es war ein fast würfel- 
förmiger Stein, auf dessen vier Seiten lebensvolle Figuren in Hochrelief 
herausgearbeitet waren. Aber kaum hatten wir auf alle vier Seiten einen 
kurzen Blick geworfen, als der entrüstete Wächter herzulief und uns fort- 
wics. Und so blieb uns nur noch übrig, unsern lieben Freund, den 
Dr. Fenafiel, zu bitten, sobald als möglich einen Abguss des schönen 
Denkmals an das Berliner Museum zu schicken, was auch nach kurzer 
Zeit geschah. 

Die Abschiedsstunde schlug, aber mein Abschied hiess: Auf Wieder- 
sehen! — 



Der neu entdeckte Stein von der Plaza in Mexiko 


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