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Full text of "Die Universität Bologna im Mittelalter"

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DIE 



UNIVERSITÄT 



BOLOGNA IM 



MITTELALTER 



Rudolf Leonharc 





FROM THE ESI- ATE OF 

CHARLES GROSS 

GURNEY Professor of History and Political 
Science 

Receivkd July 25, 1910 



Dltü 



UNIVERSITÄT BOLOGNA 



IM MITTELALTEB, 



• VOKTÄAö 
vo» 

1 

RUDOLF LEONHARD, 

J>B0FB8B0B'I»SR BSCBTSWIBSklTSCn'ArP JSL IfABBOBO. 




LKlPZiU, 
VEBLAG VON VEIT k COMP. 
1888. 



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4 



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DIE 



raiVEßSITÄT BOLOGM 



IM MITTELALTER. 



VORTBAG 



RUDOLF LEONHARD, 




LEIPZIG, 
YTiHT.Afi YftN YTITT <& COMP. 
1888. 



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J 



July 25, 1010. 
From the tatt* of 
PfOf . -Ciiarles Qroe«. 



Druck Ton M«tsgttT A WUtSg in Leipsig. 



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VomoH. 



er ncbchstekende Vortrag^ welcher für das mcht» 
juriatüche Fublikum die Bed&atuTig des miMelcUter" 
liehen Bologna darzustellen sucht, wurde, ah der 
Verfa^er in Oöttingen Professor war, daseUhst im 
' Jahre 1883 gehalten und im folgenden Jahre in der 
Zeitschrift „NardvmdSiid", XXX. Bamd, Ä 211 u. flg. 



abgedruckt. Die bevorstehende Jubelfei&r der Uni- 
Verität zu Bologna gab Veranlasmng, ihn in un- 
veränderter OestaM selbständig zu veröffentlichen, 

Marburg, Ende Jprü 1888, 

cCeottAard. 



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DEM ZEITIGEN KECTOR 

DER 

UNIVERSITÄT ZU MAKBÜEti 

DR FERDINAND JUSTI 

IN AUFRICHTIGER VEREHRUNG 
GEWIDMET. 



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US Sage und Dichtung ist der Schiiier wohlbekannt, 
der träumend auf das Wasser hinstarrt und zwischen 
den schwankenden Schaumwellen in der blauen Tiefe das Bild 
einer einstmals in das Meer versunkenen Stadt erblickt. 
Allein schwerlich mögen Alle, welche eine derartige Vision 
als ein Gebilde ihrer Phantasie nachzuempfinden im Stande 
sind, die wunderbare Krscheinung in derselben Gestalt er- 
blicken, sondern das Bild wird ge^sslich bei einem Jeden 
mehr oder weniger die Züge derjenigen Umgebungen tragen, 
mit welchen gerade er die angenehmsten Erinnerungen zu 
Terknfipfen pflegt. Greift doch der Mensch in dem scheinbar 
selbstlosen Spiele der Phantasie in der Kegel zunächst 
nach denjenigen Gestalten, welche seinen persönlichen Em- 
pfindungen und Erlebnissen am nächsten stehen. Und bw zu 
einem gewissen Masse thut er es auch bei dem Rückblicke in 
frfihere Zeiten. Sobald wir in das Meer der Vergangenheit 
hinal)])li{ ken, werden wir am liebsten nach denjenigen Bil- 
dern Umschau halten, welche als der Hintergrund rühmlicher 
Grossthaten einstmals unser eigenes Herz erwärmt haben. 




8 



Die Universitüt Bologna im Mittelalter, 



Das mittelalterliche Bologna wird in dieser Hinsicht wohl 
gegen manchen andern Ort zurückstehen. Der Jnriet aber, 
der, um zu einem grösseren Kreise zu reden, aus der 
Geschichte seiner Wissenschaft eine Yeimittelung zwischen 
seinem Bemfe tmd den allgemein menschlichen Interessen 
sucht, wird in der mittelalterlichen berühmten Juristenschule 
jenes Ortes in erster Linie eine solche zu finden glanben. 
Freilich sind uns zur Wiederherstellung äres Bildes nur 
sehr mangelhafte und zum Theile recht unglaabwürdige 
Quellen überliefert. Wir werden uns deshalb damit be- 
gnügen müssen, über das minder Zweifelhafte einen Gesammt- 
überblidc zu suchen, der uns die Frage beantworten soll, 
was die mittelalterliche Universität Bologna der E-echts- 
wissenschafb und was sie uns Allen gewesen ist. 

Eine geschäftige Sagenbildnng hat auch hinsichtlicb 
der Entstehung dieser Hochschule die Unterlassungssünden 
der Geschichtschreibung auszugleichen gesucht. So galt es 
durch Jahrhunderte für eine ausgemachte Sache, dass der 
byzantinische Kaiser Theodosius II. diese Unterrichtsanstalt 
gegründet haben soll. Obwohl Theodos überhaupt nicht in 
Italien herrschte, so ist die erwähnte Tradition doch erst 
in neuerer Zeit der Geschichtskritik zum Opfer geftllen. 
So wie nun die Entstehung der Universität Bologna in das 
unerfbrschliche Dunkel des Alterthums hineinragt, so ist die 
Geschichte ihrer Grösse ein treffendes Abbild der Yermitteln- 
den Natur des geistigen Lebens innerhalb des Zeitraumes, 



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Die üniv^sitäi Bologna im MUtelalter. 9 

welchen sie ausfüllt und dessen Eigenthiunlichkeit in seiner 
Benennung als „Mittelalter^' einen wohl nicht beabsichtigten, 
aber darum nicht minder zuti-effenden Ausdruck gefunden 
hat. Eben durch diese YermitUerrolle unterscheidet sich 
die üniyersitöt Bologna in jener Zeit von den ünterrichts- 
stätten des klassischen Alterthums wie von denjenigen, welche 
wir Yor unseren Augen sehen, und hat auch andererseits 
mit beiden gewisse Eigenthümlichkeiten gemein. Der antiken 
Wissenschaft war es vergönnt, nur wenig beschwert durch 
den Ballast unverständlicher ÜeberHeferungen, mit dem 
herrlichen Vorrechte der Unbefangenheit geradewegs auf ihr 
Ziel loszugehen, frei von der Leitung einer obrigkeitlichen 
Macht, fi'eilich auch ohne die Pflege des Unterrichtes, welche 
wir heutzutage als die Vorbedingung eines befriedigenden 
Culturzustandes betrachten. Es ist nun zwar das Verdienst 
der Theologie des Mittelalters^ diesen Gedanken einer Für- 
sorge für die Wahrung und Vermehrung der Geistesschatze 
m ihren Klosterschulen und in den vorwiegend theologischen 
ünterrichtsstätten, namentlich in der Universität von Paris, 
wenigstens für kirchliche Zwecke verwirklicht zu haben. 
Allein dies geschah in einer einseitigen und übertriebenen 
Weise. Die Macht der Autorität wurde dort so sehr über- 
spannt, dass die Sorbonne späterhin nicht mehr als eine 
Quelle, sondern nur noch als ein Hemnwiss der geistigen 
Fortentwickelung galt. Dieser Kiclitung entspracli ein grau- 
sames Disciplinarverfahren, das nicht ohne Vorbilder im 



10 Die ümvmim Bologna im MiUdaUer. 

rdmisch-byzantiiiiBchen Rechte wftr — sowohl in Paris als 
auch schon früher in den kaiserlichen Schulen zu Rom 
wurden Stndirende zur Strafe aasgepeitscht. Diesem Geiste 
entsprach ferner in Paris die Beförderung klosterartigen 
ZusammenlebenSy aus welcher sieh die sog. burgaef gemein- 
same Studentenwohnungeii . von deren Namen das Wort' 
yyBursche'^ herrührt, entwickelt haben. 
I Allen diesen Tendenzen gegenüber stellte sich Bologna 

[ von vornherein in den denkbar schärfsten Gegensatz. Gleich 

¥ 

den Bhetorenschulen der Antike nur zusammengehalten 

durch die Lust am Lehren und Lernen, verfolgte diese 
Hochschule ursprünglich den Grundsatz unbedingter Lehr- 
und Lemfreiheit. Der Papst Alexander III. Tertheidigte 
dieses ihr eigentliclies Hauptziel gegen die Anmassung von 
Prälaten, weil die Gabe zu lehren ein Geschenk Gottes sei, 
welches Niemandem yerktimmert werden dürfe. Allein nicht 
nur dadurch, dass dieser Grundsatz nicht allzulange in seiner 
ToUen Reinheit erhalten werden konnte, sondern auch noch 
durch einen andern entscheidenden Punkt, wichen die Auf- 
gaben Bolognas von denjenigen der antiken Schulen ab. 
Die griechischen Akademien waren zur Zeit ilner höchsten 
Blüthe den Barbaren grundsätzlich verschlossen; Bologna 
dagegen hatte wie das römische Kaiserreich und das Christen- 
thum einen durchaus internationalen Charakter. In charak- 
teristischer Weise zeigte sich dies 'durch die Thatsache, 
dass man sogleich nach der Entdeckung von Amerika für 



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DU ünAfemiät Bologna im MUUlaUer* 



11 



das neue Land, welches damals aticli dort Indien hiess, eine 

besondere Abtheilung in der Studeiiteiiscbat't einräumte. 
Andererseits war aber damals der Fremdling in seiiiem 
Aufenthaltsorte mit dem Einheimischen nicht gleichberechtigt; 
diesen Grundsatz konnte man auch in Bologna nicht fallen 
lassen, sonst wttrde die Stadt in der Stüdentenschaft, welche . 
bisweilen über ^zehntausend Mitglieder gezählt haben soll, 
leicht angegangen sein. Dabei konnte man aber den Gästen, 
welche Reichthum und Blüthe der Stadt mit sich brachten 
und zum Theüe in ihrer Heimath Bang und Würden ho- 
sassen, die gedrückte Stellung blosser SchutzTerwandter 
nicht zumuthen. Allein noch ein anderer Umstand trieb 
dam, der Studentenschaft eine Selbständigkeit zu verleihen, 
wie sie weder die früheren noch die späteren 2ieiten ge- 
kannt haben. 

Die althellenischen Schulen lagen meist in geordneten 

Gemeinwesen und konnten sich in denselben ruhiger Ent- 
wickelung erfreuen. Bologna aber befand sich mitten in 
dem Tammelplatze der nachbarlichen Eifersucht kleiner 
Gemeinden. Der ganz Italien erschütternde Gegensatz von 
Gnelfen und GrhibeUinen &nd in dieser Stadt in doppelter 
Hinsicht einen Anhaltspunkt, zunächst in dem Antagonismus 
zwischen den päpstiich*canonischen und den römisch-kaiser- 
lichen Juristen, sodann in einer scharfen Bildung zweier 
Parteien, die sich, wie in dem bekannten Parteikampfe von 
Verona, an je eine Adels&milie anschlössen. Bologna stand 



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I 



12 Die ümmrmtäi Bologna im IßUMier. 

ausserdem als Site eines Arcbidiakonns mit Bom in stSadigen 

Beziehungen sehr verschiedenartigen Charakters; bald be- 
stätigte der Papst dieüniTersitatsstataten oder pries Bologna 
als ein zweites Bethlehem, die geringste unter den Städten, 
Ton welcher aber der Herzog, nämlich die weltbeberrschende 
Jürispradenz, ausgehe, bald schlenderte er seinen Bannstrahl 
gegen Stadt und Universität. 

ZngehOTig zu den lombardischen Städten, den hart- 
näckigen Feinden des Kaisers Barbarossa, und zu wieder- 
holten Malen eine Station auf den Bömerzägen, lag Bologna 
an einer Stelle, an welcher die gewaltigsten Weltmächte voU 
Ingrimm auf einander zu platzen püegten. In solcher Lage 
war es nur eine Achtung gebietende Gewalt, welche die 
Studien und die Person der Scholaren vor Unterjochungen 
nnd politischen Bacheacten zu schützen, „die Tyrannen zu 
schrecken nnd den Pöbel im Zaume zu halten'* yermoehte. 
Wir dürfen uns daher nicht wundern, dass auch hier die 
Güttin der Weisheit vom Kopfe bis zum Fusse bewaffiiet 
aus dem Haupte des Zeus entsprang. Es bildete sich 
nämlich in Bologna inmitten der Gebundenheit des Lehns- 
staates und der fast despotischen Kirchenyeriassnng des 
Mittelalters die höchst eigenartige Erscheinung einer be- 
waffiieten, wohlgegliederten, internationalen und republi- 
kanischen Eidgenossenschaft. So dürfen wii- wohl die Uni- 
versität Yon Bologna nennen; denn der Eid hielt ihre 
Mitglieder zu Schutz und Trutz zusammen. 



X 



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Die ümversUM Bologna im 2ßttelalter. 13 

Richtiger freilich sprechen wir von zwei Universitäten 
in Bologna, welche sich im Hinblicke auf die Scheidemauer 
der Alpen bildete, derjenigen der Citramontani, d. h. der 
Studenten, welche diesseits der Alpen heimisch waren, und 
der andern der Ultramontanii das sind, vom Standpunkte 
der Italiener aus, die nicht italischen Völkerschaften. Beide 
Univeraitäten spalteten sich in Nationen, welche ihre eigeneA 
Vorstönde hatten, jede von beiden besass als Spitze des 
Ganzen einen eigenen Rector. Die Macht dieser Republik 
mag durch ihre Zweitheilung gemindert worden sein, sie 
erscheint aber dann als doppelt gewaltig, wenn man bedenkt, 
daas ihrer Körperschaft sehr mächtige und angesehene 
Hitglieder aus allen Weltgegenden angehörten, Fürsten, 
Grafen, Cardinäle und Prälaten, deren Eintluss in ihrer 
Heimat ihnen nicht verloren ging und ihren Feinden «im 
Nothfalle gewissermassen in den Bttcken zu fallen yermochte. 
Diese weltumspannende Studentengemeinde hiess universitas 
oder unweraUas sMarkm; auf die Gesammtheit der Wiss^- 
schaften deutete das Wort Umversität damals noch nicht 
hin. Papst Honorius HL spricht in derselben Bulle von 
der umversiüu der Scholaren, d. i. der Studentengemeinde, 
und der universitas von Bologna, der Gemeinde dieses Ortes. 
Eine imivermtaa dfetonm, also eine organisirte Genossenschaft 
von Professoren, wie wir sie von unseren Hochschulen kennen 
und schon damals in Paris vorhnden, kam erst in späterer 
Zeit auf. 



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14 Die ümvemtm Bologna im MüMaUer. 

Um dies zn begreifen, bedenke man. dass die wichtigsten 

Aufgaben der gegenwärtigen Universitäts Verwaltung jener 
Zeit noch fremd waren. DaTon, dass die Lehrkräfte durch 
Sachverständige in planvoller Weise berufen werden sollten, 
war noch nicht die Bede. Staajbsprüfiingen gab es noch 
nicht; ebenso wenig wie die Verwaltung werthToller Lehr- 
institute. Es wird uns als etwas Besonderes berichtet, dass 
man in Bologna Experimente über Magnetismus mit kleinen 
Schwänen aus Metall angestellt habe. Hieraus bemesse 
mau den Werth der damaligen Apparate. Ueberhaupt war 
Ton einem irgendwie bedeutenden Stiftungsfbnds , der ver- 
waltet werden musste, nicht die Rede. Aus der Nothweii- 
digkeit einer Machtentfiaitung und aus den durchaus anderen 
Bedürfhissen des üniversitätswesens in unserer Zeit im Ver- 
gleiche zum Mittelalter ist es also zu erklären, dass in der 
Universität von Bologna die Studenten herrschten und nicht 
die Lehrer. 

Zur Erläuterung dieses Zustaudes dürfte der Umstand^ 
dass die Studenten damals durchschnittlich älter waren, als 
heutzutage, wohl für sich allein nicht genügen. Wir er- 
£fthren allerdings von Studenten, welche deer^nia aetatef also, 
wie die neuere Studentensprache dies übersetzen würde, als 
stark bemooste Häupter, mit Weib und Kind ihr Leben in 
der ihr liehgewordenen Universitätsstadt besohliessen, an- 
dererseits durften sich Manche, z. B. der grosse Dichter 
Petrarca und die späteren Hauptsäulen der Jurisprudenz, 



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Die ünivearsität Bologna im MiUelaUer, 15 

Bartolus oud Baldus, rtthmen, schon in denn Alter Ton yier- 
zehn Jahren der Studentenschaft angehört zn hahen. Ent- 
scheidend war yielmehr, dass es zur Leitung der bewatüie- 
ten Studentenmyriade weit weniger der Weisheit und der 

Milde des Alters, als jugendlicher Tliatkraft und Wehr- 
haftigkeit bedurfte. Ein junger Edelmann, welcher Ton Ju- 
gend auf die Kunst zu gebieten beobachtet und geübt hatte, 
mochte daher damals als das Musterbild eines Eectors er- . 
scheinen. Die uns erhaltenen UniTersitätsstatuten yerlangen 
demnach, dass der Rector ein Scholar der Universität sein 
soll, ehrenhaft, tactvoU, besonnen und gerecht. Er sollte 
wenigstens fünfundzwanzig Jahre alt sein und sich durch 
ein mindestens filn^ähriges Studium mit den Verhältnissen 
des Ortes vertraut gemacht haben. Als eine Goncession an 
die Macht des Papstes müssen wir die Vorschrift ansehen, 
dass der Eector ein Kleriker sein sollte. Mit Unrecht sträubt 
man sich dagegen, diese Mittheilung wörtlich zu verstehen, 
da ein streitbarer Gottesmann im eigentlichen Sinne des 
Wortes in der Zeit des Mittelalters nichts Unerhörtes war. 
Ausserdem sollte der Bector Vermögen haben, um den 
grossen Kosten des Amtes genügen zu können; denn die 
Kectorvvürdc veriaugto gleich den riimi.schen Khreiiäniteiii 
einen grossen Aufwand j hier, wie vielfach sonst, wurde die 
republikanische Institution zur plutokratischen. Dass der 
Bector späterhin das üecht hatte, umsonst zum Doctor 
promovirt zu werden, mochte ihm schwerlich für die 



16 IHe Uhiversitäl Bologna im Mittelalter, 

Kosten seiner Herrschaft einen ausreichenden Ersatz ge- 
wäliren. 

Der Bector hatte in jedem Augenblicke einen ungehin- 
derten Zutritt zu den beiden Hauptbeamten der Stadt, dem 
podestd mid dem etg^üaneo, welche anch ihrerseits Bectoren, 
nämlich redores civitatis ^ liiossen; auch konnte er jederzeit 
eine YoUESTersammlong berufen lassen. Dem Bector zur 
Seite stehen ausser einigen anderen Beamten namentlich die 
sog. consiliarii der verschiedenen Nationen und die minde- 
stens drei Mal jährlich berufene GeneralTersammlung der 
universitas, welche mit schwarzen und weissen Bohnen ab- 
stimmte. 

Die Studentengemeinde gab sich selbst ihre Gesetze 
und, wie sie selber einer häutigen inneren Umwandlung un* 
terlag, so Hess sie anch ihre Statuten alle zwanzig Jahre 
neu revidiren. Ihre Gesetze enthalten Bestimmungen über 
ihre Organe, über die Kleiderordnnngy über die Sorge für 
den Verkauf unverfälschter Bücherabschriften und für das 
BUcherleihwesen, welches vor der Erhndung der Buch- 
diuckerkunst von ungleich grösserer Bedeutung war, als es 
heutzutage ist. Aber sogar die Ordnung der Examina, 
welche freilich ursprünglich nicht zu Staatsämtem, sondern 
nur zu akademischen Ehren den Weg bahnten, unterlag dem 
Beschlüsse der Studentenschaft, also der Examinanden. 
Man kann diesen einen gewissen Tact in der Ausübung der 
genannten Befugniss nicht absprechen und es ihnen gewiss 



DU ühkfersm Bologna im MUelaUer, 17 



nicht verargen, dass sie zu ihren Gunsten den 8atz auf- 
steUteUi ein jeder Examinator solle den Oandidaten so be- 
handehi, als wenn dieser sein eigener Sohn w&re. 

lu dieser gewaltigen Studenteugemeiude besass die Stadt 
Bologna einen Gast, den sie mit gemischten Gefiihlen be- 
trachtete. Einerseits sachte sie ihn an sich zu fessehn, und 
zwar nicht nur durch Privilegien, sondern oft auch durch 
recht kleinliche Massregeln, z. B. durch Bestrafung eines 
Jeden, welcher Sciiolareii nach anderen Üniversitäteii lockte, 
sogar durch Einschränkung der Bacherausfuhr. Anderer- 
eeits wurde ihr die bewaffnete Jugend in mehrüsicher Hin- 
sicht recht unbequem. Nicht bloss von unerquicklichen Rang- 
streitigkeiten zwischen den anxiam, den Vorstehern der 
städtischen Zünfte, und den Vertretern der Universität wird 
uns berichtet, auch ernstliche Reibereien wiederholten sich* 
Einmal, im dreizehnten Jahrhundert, kam es so weit, dass 
auswandernde Studenten die Universität Padua giiindeten, 
das quartier latin von Venedig, wie Emst E6nan es nennt, 
eine Hochschule, welche hiernach in ähnlicher Weise Ton 
Bologna her entstanden ist, wie späterhin die Leipziger 
Universität Ton Prag aus. Ein anderes Mal schworen die 
Studenten, dass sie auf fünf Jahre auswandern wollten, 
wenn die Stadt nicht ihren Willen thäte; als aber die Stadt 
nicht nachgab, Hessen sie sich auf Befehl des Papstes von 
ihrem Eide entbinden und blieben. . 

Am deutlichsten aber zeigte sich die Macht der Uni- 

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18 



DU ümvemiät Bologm im MtfelaUer. 



versit&t von Bologna in ihrem Verhältnisse zu den beiden 

Mächtigsten unter den Hohenstaufen; Friedrich Bar])arossa 
bewarb sich um ihre Gunst und Friedrichs des Zweiten 
WiHe scheiterte an ihrer Macht. Auf den Roncalischen Fel- 
dern erliess Barbarossa im Jahre 1158 ein berühmtes Ge* 
setz,, die sog. auffmtioa ^jkabUaf' zu Gunsten der Scholaren; 
er sicherte ihnen eine privilegirte Gerichtsbarkeit und ein 
freies Geleit zu. Letzteres war besonders in einer Zeit 
wichtig, in welcher, wie richtig bemerkt worden ist, den 
Beiseuden die Obrigkeiten gefährlicher waren, als die Stras- 
senrftuber. Darum wiirde auch zu Bologna der Jalurestag 
des roncalischen Eeiclistages durch Auslall der Vorlesungen 
gefeiert Friedrich II. dagegen hob im dritten Jahrzehnte 
des dreizehnten Jahrhunderts die der päpstlichen Gesinnung 
verdächtige Universität auf und befahl ihr. nach Neapel 
überzusiedeln, woselbst er eine neue Hochschule gestiftet 
hatte. Die Bologneser Studentenschaft achtete dessen so 
wenig, dass sie zum Trotze ausnahmsweise auch während 
der Ferien in dem Sitze ihrer Hochschule verblieb. Der 
mächtige Kaiser, dessen Arm sich von der Nordsee bis in 
das heilige Land hinein Achtung zu verschaffen wusste, 
musste gute Miene zum b^sen Spiele machen und die Uni- 
versität bald darauf wieder zu Gnaden annehmen. 

Wenn so selbst der Kaiser mit der Macht der Studen» 
tenschaft rechnete, so darf es iius nicht verwundern, dass 
auch die Professoren den Schutz, welchen die Corporation 



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Di» ümversüiU Bologna im MittelaUer, 19 

der Scholaren ihnen gewShrte, durch eine gewisse Abhängig- 
keit bezahlen mussten. Sie bedurften z. B., wenn sie ver- 
reisen wollten, des Urlaubs bald seitens des Bectors, bald 
seitens der Studentenschaft; sogar Geldstrafen mnssten sie 
unter Umständen an letztere zahlen. In der Universität von 
Padua, deren Elinrichtungen denjenigen von Bologna nach- 
gebildet waren, wurden sogar die Lehrer von den Studen- 
ten jährlich neu gewählt und auch in Bologna wurden zwei 
Lehrstellen, welche man am Ende des dreizehnten Jahr- 
hunderts schuf, von den Studenten besetzt. Diese eigen- 
thOmliche Unterordnung der Lehrer unter die Studenten 
mag es, wenn auch nicht verzeihlich, so doch erklärlich er- 
scheinen lassen, dass die Professoren von Bologna den 
Scholaren gegenüber ihre Würde nicht immer genügend 
gewahrt zu haben scheinen. Nach Mittheilungen itaheuischer 
Novellendicfater bewegte sich der Verkehr zwischen Lehrern 
und Zuhörern bisweilen in einer Vertraulichkeit, deren 
Schilderung komisch wirken soll, sehr leicht aber den ent- 
gegen gesetzten Eindruck machen kann. Dahin gehört auch, 
dass ein Sohn des Eechtslehrers Accursius, selbst Professor 
der Jurisprudenz, dem Papste um Ablass bittend beichtet, 
dass sein Vater und er für Examina Geld von Studirenden 
angenommen, auch ihnen Summen als Darlehen vorgestreckt 
haben, um sie dadurch als Zuhdrer zu gewinnen. Auch 
sonst soll es vorgekommen sein, dass Lehrer sich auf diese 

Art ihre Zuhörer, wie es in treffender Weise bezeidinet 

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20 Die ümvermtät Bologna im JlßüMkr, 

worden ist, „mietheten". Ancli die Gerichtsbarkeit, welche 
der Kaiser den Profesboreu über die Studenten verlieh, 
vielleicht, um ein Gegengewicht gegen ihre Abhängigkeit 
zu schaffen I soll, insoweit sie sich überhaupt erhalten hat, 
was recht zweifelhaft ist, in sehr laxer Weise ausgeübt 
worden sein. ,,Gott gebe.'' so klagt unser Gewährsmann, 
„dass die Studenten nichts Böses thun; denn die Straf justiz 
der Professoren taugt nicht viel,'' 

Trotz aller dieser Thatsachen, weiche wir zu den 
Schattenseiten der Universitätsverhältnisse rechnen mQssen, 
dürfen wir dock nicht annehmen, dass die Lehrer von Bo- 
logna sich in einer gedrückten Stellung befunden haben. 
Das directe Gegentheil wird uns bezeugt. Wer eine 
bewaffnete Macht lediglich durch die Macht seines Gei- 
stes zu beeinflussen versteht, ist oft mächtiger, als 
wer selbst Schwert uder Scepter schwingt und damit 
Verantwortung und Missgunst auf sich nimmt. So schei- 
nen in der That die Professoren von Bologna nach 
aussen hin, wie in der Stadt, einen wahrhaft königUchen 
Einfluss genossen zu haben. Von der Entscheidung der 
sog. qnatuor doctores, der damals berühmtesten vier Rechts- 
lehrer Bolognas, machte der Kaiser Barbarossa seikie An- 
sprüche auf Italien, von dem Schiedssprüche Bolognesischer 
Gelehrten machten Jb'ürsten und Erzbischöfe die Schlichtung 
ihrer Händel abhängig. Der berühmte Jurist Azo soll 
sich in der Stadt nicht anders gezeigt haben, als von Elienten 



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Die ühwenüät Bologna im MiUMter* 21 

begleitet imd unter dem Vortritte seines Pedellen. Anch 

für die Aul'btelluug von Bildern und Statuen angesehener 
Lehrer sorgte die Stadentenschaft; es herrschte sogar die 
eigenthümliche Sitte, dass das zu diesen Klirenbezeugungeu 
erforderliche Geld jährlich am Tage des ersten SchneefEkUes 
von den Scholaren in der Stadt durch Erbittung von Bei- 
trägen gesammelt wurde. Ein engerer Kreis der Professoren, 
die sog. doctores coUeffiaH, erhielt in späterer Zeit Bitter- und 
Pfalzgrafenwürde. In dem engeren Gemeinderathe der 
Stadt, welchem sie ohne Weiteres augehörten , spielten sie 
die erste Rolle, und wenn der Jurist Odofredus im drei- 
zehnten Jahrhunderte ein Mal voll Unmuth den Ausspruch 
thaty dass die Plebejer der Stadt auf ihre Gelehrten nicht 
mehr hörten, als auf Esel, so mttssen wir doch nach an- 
deren Zeugnissen annehmen, dass ihn nur der Unmuth Uber 
irgend einen besonders ärgerlichen Vorfall zu diesem nicht 
eben geschmackvollen Vergleiche hingerissen haben kann. 

Andererseits gab die Angehörigkeit zu der Studenten- 
gemeinde den Professoren einen starken Rückhalt gegen die 
Anforderungen der Gemeinde von Bologna, welche ihre be- 
rflhmten Bechtslehrer in ungebührlicher Weise zu Gesandt- 
schaften ausnützte und sie sogar unter Umständen zwang, 
den Lehrstuhl mit dem Schlachtrosse zu vertauschen. Darum 
liess sich die Studentenschaft durch ein besonderes Gesetz 
Freiheit vom Kriegsdienste liii- sich und für ihi'e Lehrer 
zusichern. 



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22 Die ümverMU BoUtgna im MitielaUer, 

So lebten die Professoren von Bologna, befreit von allen 

Verwaltuiigssorgeii , keinem MeiiscLeu l'ür ilire LeliitliäLig- 
keit und ihre Geistesschöpfungen verantwortlich, lediglich 
ihrem mssenschafUichen Berufe, nicht gestützt auf irgend 
welches Privileg, soüderu lediglich auf den Euhm und Erfolg 
ihrer Leistungen, und bildeten hierdurch eine Aristokratie 
nicht der Geburt noch des Ranges, wohl aber eine solche 
der Tüchtigkeit, vor welcher selbst die Grossen jener nn- 
gelehrten Zeit ihr Knie beugten. Später freilich entstand 
unter berühmten Eechtslehrern eine ünzuü-iedeuheit über 
ihren geringen unmittelbaren Emfluss. Sie lehrten, dass 
von Rechtswegen die Studenten den Lehrern gegenüber 
genau so stehen müssten, wie der Lehrling zum Zunftmeister. 
Der Papst war diesem Streben nicht freundlich gesinnt^ 
aber die Stadt Bologna unterstützte es und, da es mit der 
Aenderung der politischen Lage immer mehr gerechtfertigt 
erschien, die Universitätsmacht aus der Hand der bewaff- 
neten Studentenschaft in diejenige ihrer Lehrer zu legen, 
so wurde das eine Hauptquelle der Annäherung an die- 
jenigen Zustände, welche in unserem heutigen Universitats- 
leben bestehen. Eine zweite Hauptquelle dieser Umwandlung 
ging dagegen geradezu vom Papste aus. Honorius III. be- 
klagte sich im Anfänge des dreizehnten Jahrhunderts darüber, 
dass die Studirenden Lehrer annehmen, denen es an der 
nöthigen Gelehrsamkeit fehle, und beauftragte den Archi- 
diakonus, die Zulassung der Lehrer prüfend zu beaufsichtigen. 



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Die IMmsm Bologna im MiUdaUer. 



23 



Hier tindeii wir die ersten Anfange einer obrigkeitlichen 
Besetzung der Lehrstellen, der Bestellung eines Kanzlers 
oder Gurators, eines Amtes, welches später, als Bologna 
päpstlich wurde und die geistliche Regierung der Stadt die 
Unterhaltung der Hochschule abnahm, dem Legaten des 
Papstes zufiel. 

Sehr yiel älter als diese Oberaufsichtsbehörde war das 
Unterpersonal der Universitöt, welches schon damals m 
ähnlicher Weise thätig war, wie heutzutage, und den Namen 
bedälli oder biddH führt; das P als Anfiafigsbuchstaben unseres 
Pedellen ist deutschen Ursprunges. Räthselhaft ist die Ent- 
stehung des Namens heddlm. Manche wollen in demselben 
die Bezeichnung des Fnsssoldaten, Andere diejenige des 
Stabträgers sehen. Leider können wir uns in diese inter- 
essante etymologische Controverse nicht vertiefen; wir wollen 
jedoch unseren Blick von diesen werthvollen Gehilfen der 
akademischen Thätigkeit nicht abwenden, ohne- hervorzu- 
heben , dass auch Bologna einen im wahrhaften Sinne 
klassischen Bed^ besass, nämlich denjenigen des Azo, 
Namens Gallopressus. Dieser zeichnete sich theils durch 
seinen wunderlichen Namen, theils durch seine Missgestalt 
so aus, dass berühmte Bechtslehrer es für angezeigt hielten, 
in ihren Gesetzescommentarien sein Andenken der Nachwelt 
aufzubewahren und sogar die nicht unbedeutende Summe 
anzugeben, welche er in seinem Berufe erworben hat. 

Unter den Lehrgegeuständen, welche die Lernbeiüsseneu 



24 Die ünwersitäi Bohffna im MiUeUüier, 

bewogen, mit Mühen ußd OteSahiea, wie Barbarossa in dem 

erwähnten Gesetze hervorhob, den Musensitz aufzusuchen, 
stand in Bologna die Juiispmdenz obenan. Wie die hohe 
Sehlde von Salemo vorwiegend dem medicinischen, diejenige 
von Pahs dem theologischen Studium diente, so war Bologna 
die eigentliche JnristennniTersit&t Neben der Bechtswissen- 
schaft kamen andere Lehrgegenstände erst später in grösserem 
Umfange anf; so die Medicin, unter deren liehrem Thad- 
däus mehrfach hervorgehoben wird, so auf päpstlichen Antrieb 
die Theologie; auch die Philosophie hndet in späterer Zeit 
Berüdcsichtigung. Auch emen approbirten Astrologen, Cecoo 
d'Ascoli, finden wir im vierzehnten Jahrhunderte unter den 
Universitätslehrern; freilich schützte ihn seine Approbation 
nicht davor, wegen seiner Lehrthätigkeit von der Inquisition 
verbrannt zu werden. Die nichtjuristischen Studenten traten 
schliesslich zu einer besonderen dritten Universität zusammen, 
indem sie die Gemeinden der Citra- und ültramontani ledig- 
lich den Bechtsbeflissenen überliessen. 

< Die mit besonderen Schwierigkeiten verknüpfte Aus- 
legung der römischen Quellen war damals die populärste 
aller Wissenschaften, so dass der Papst die Geistlichen durch 
Verbot von ihr zurückhielt, damit sie nicht dem theologi- 
schen Studium verloren gingen. Namentlich ist es f&r alle 
Erklärer unseres corpus juris civilis erfreulich , dass an der 
Geschichte seiner Wissenschaft auch das weibliche Element 
nicht unbetheiligt ist. Nach einer, später wohl mit Unrecht 



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DU JMveräm Bologna kn MUtdaUer. 25 

angezweifelten Nachricht soll eine Frauenhand zuerst auf 

die Pandekten, den wichtigsten Theil der Eechtssammlung 
' JiistimanSy als die reichste Fundgrahe juristischen Denkens 
und Wissens hingewiesen haben; denn dex' Grätin Matliilde, 
• der berUiunten Feindin Heinrichs lY., wird die erste An- 
regung zur Auslegung dieses Bechtsbuches zugeschrieben.^ 
Höciist ehrenvoll ist es ferner für jeden Pandekten-Exegeten, 
in der Tochter des bertthmten Professors Accnrsius» der 
Accursia, eine Vorgüngerin gehabt zu haben. Schon frühe 
sciilug sie durch die Kunst der Quellenauslegung ihre Br&der 
aus dem Felde. Später soll sie als Stellyertreterin ihres 
Vaters Vorlesungen gehalten haben. Das Loos des Schönen 
aui der £rde ereüte auch sie in ihrer Blüthe, sie wurde 
von der Pest dahingerafft. Mit Unrecht hat man ihre mehr- 
fach bezeugte Existenz bestritten. 

Der Vater dieses hochbegabten M&dchens bildet den 
Abschluss der ersten beiden hinter einander in Bologna 
bltthenden Schulen von Bechtsgelehrten, der sog. Glossa- 
toren, welche des gewaltigen römischen Rechtsstoffes durch 
erläuternde Anmerkungen (Glossen) Herr zu werden suchten« 
Ihre Au%abe war eine sehr schwierige. Die Werke der 
klassischen römischen Juristen hatte man in Byzanz zer- 
sttlckelt und in einer ungeschickten Weise durch einander 

• 

^ Die inhaltreiche Festschrift Fittlug':?: Die Anfänge der Becbts- 
■ehole m Bologna (Berlin nnd Leipag, Verlag von J. Gnttentag; 1888) | 
gewllnt auch Uber diesen Pnnkt nihere AnfichlflaBe. (8. 96 n. flg.) > 

■ 

a 

I 



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26 Die Umvenim Bologna im MiUelaUer. 

geworfen. Sie enthalten ausserdem zumeist Entscheidungen^ 
welche die allgemeineu Sätze, auf die sie sich gründen, 
nicht mittheilen, sondern* Toraussetzen, so dass sie uns die 

schwer lösbare Aufgabe zumutbeu , verloren gegangene 
Gedankenreihen wiederherzustellen. Indem sich nun die 
Glossatoren hemtthten, diesen Stoff in seinen einzelnen 
Theüeu mit Fleiss uud Unbefangenheit zu verstehen und 
der übrigens wahrhaft beUi^enswerthen Sprache ihrer 
geistesarmen Zeit anzupassen, machten sie es durch ihre 
rntthevoUe Arbeit überhaupt erst möglich, später aus den 
Trümmern der* römischen Werke wieder ein Ganzes auf- 
zubauen. Schon die folgende Schule der Postglossatoren, 
welche auch in Bologna blühte, bemühte sich, auf den 
Resultaten der Glossatoren weiterbauend, die vielen Einzel- 
heiten zu allgemeinen Sätzen zusammenzufassen, ohne welche 
sie in der Praxis nicht zu brauchen sind. 

Wie aber ein jeder Systematiker von der philosophi- 
schen Grundanschauung abhängig ist, welche er bewusst oder 
unbewusst in sich aufgenommen hat, so geschah es auch 
damals. Die Jurisprudenz gerieth in den Bann der in jener 
Zeit herrschenden scholastischen Philosophie. Nicht ohne 
Grund sind wir gewohnt, diese mit einer gewissen Scheu 
zu betrachten; es erscheint uns jenes unheimliche, aber 
doch grossartige Gemisch chi'istlicher, orientalischer, antiker 
und germanischer Ideen, welche man ohne geschichtliche 
Kritik durch subtile Kunstgrifie zu einem einheitlichen Ge- 



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Die Unwersiiäi Bologna im MiUekdier. 27 

sammtbau zusammenfügte, oft wie ein gewaltiger Sarkophag 
des gesunden Menschenverstandes, So erklärt es sich auch, 
'warum die Jurisprudenz sich damals in ihren Grundzügen 
▼on der nücliternen römischen Weltauffassung entfernte und 
eine starke Beimischung von Schwerfälligkeit und Spitzfin« 
digkeit erhielt, Fehler, deren letzte Nachwirkungen man hier 
und da noch heutzutage spüren kann. Darin lag aber auch 
^er Keim des Verfalles der Jurisprudenz von Bologna, dass 
sie, festhaltend an der überlieferten Lehre, sich am Ende 
des Mittelalters zwei dringenden Anforderungen entzog^ der 
Rücksicht auf die inzwischen aufgeblühte humanistische Phi- 
lologie und auf die Verdrängung der scholastischen Methode 
durch eine ein£Eichere und natürlichere Systematik. So 
lenkte denn im sechszehnten Jahrhunderte das glänzende 
Doppelgestim des klassischen Philologen Ci^acius und des 
Systematikers Donellus den Strom wissenscliaftiicher juri- 
stischer Fortentwickelung von Italien nach Frankreich hin- 
über, von wo er sich später nach Holland und Deutschland 
ergossen hat. 

Im Mittelalter wurde freilich, wie uns mitgetheilt wird, 

ein deutscher Meister in Bologna nicht viel mehr geschätzt, 
als ein beanus, dies bedeutet etwa so viel, wie das Wort 
yjFuchs" in unserer Studentensprache. Damals sassen die 
Juristen aller Länder zu den Füssen der Glossatoren und 
Postglossatoren in Bologna, interpretirten mit äusserster 
Gründlichkeit die Quellen, später leider vorwiegend nui* 



28 



Dk ümi/eniiiii Bohgna im MiüMter. 



deren Commentare und schrieben sog. mnwiae nach , d. h. 

Ueberblicke über die verschiedenen Eechtsgebiete. Da die 
Bachdrodrerkmist noch nicht erfunden war, so ging mit 

überflüssigem Naciischreiben viel Zeit verloren. Nachge- 
schriebene Vorlesungen sind uns mehrfach erhalten. Die Pro- 
fessoren scheinen ursprünglich in ihren Häusern gelesen zu 
haben; im NothÜEÜle wurde der Gemeindepaiast zu Hilfe ge*- 
nommen. Schon in jener Zeit findet sich die Eintheilung 
der Professoren in ordentliche und ausserordentliche; doch 
ist die damalige Bedeutung derselben sehr zweifelhaft und 
entspricht der jetzigen jedenfalls nicht. 

Neben den Professoren durften, jedoch nur unter Auf- 
sicht ihrer Hagistri und nur zu anderen Stunden als diese, 
die Baccalaureen lesen. Das Wort hiess ursprünglich 6a- 
dudanuaf im Altfiranzösischen baehdier und bedeutet so riel 
wie „Gehilfe-^; mit dem Lorbeer [laureu) soll es, so wird 
behauptet, nichts zu thun haben, doch dürfte es nicht an- 
möglich sein, dass seine Verstümmelung durch eine sogen. 
Volksetymologie im Hinblick auf das Wort laurea geschehen 
ist, weü man die Erreichung der Baccalaureatswfirde als des- 
jenigen akademischen Grades, der zuerst erstrebt wurde, unter 
Bezugnahme auf den Lorbeer des Dichters mit dem Namen: 
kmreapnma (in der Sprache der Prosa: ,,das erste Elzamen* 
verherrlichte. Die Baccalaureen werden auch Lizentianden 
genannt, d. h. solche, welche die volle Lehrerlaubniss, Li- 
cenz, erst bekommen sollen, im Gegensätze zu den Licen- 



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Die Universität Bologna im MittelaUer. 29 

tiaten, welche sie schuii besitzen. Diese letzteren hiessen 
abwechselnd dootorea und magiatri, also Lehrer und Meister. 
Beide Ausdrucke waren auch in den Klosterschulen gleich- 
bedeutend. Am Ende des Mittelalters tauchte übrigens die 
Ansicht auf, dass ein blosser Uebermittler fremder Ideen 
sich mit dem Titel des Doctors begnügen müsse, Meister 
solle sich nur Deijenige nennen, welcher eigene Geistes- 
schöpfungen aufweisen könne. Der bekannte Ausruf des 
i^'aust: „Heisse Magister, heisse Doctor gar'^ steht damit 
nicht im Einklänge. 

Wer in Bologna lesen durfte, dem gestattete ein päpst- 
liches Privileg dies auch an anderen Orten. Allein diese 
Lehrbefhgniss hörte auf, das alleinige Ziel der Promotionen 
zu sein, vielmehr kamen neben den lesenden Doctoren 
(doäoreg legeniea) blosse Titeldoctoren auf. Dabei erleich- 
terte man die ursprünglichen strengen Antorderungen, 
welche sich auf ein iün^ähriges Eechtsstudium, ein examm 
rigoromm und die öffentliche Vertheidigung einer Vorlesung 
in der Kirche des heiligen Petrus gerichtet hatten. Statt 
der Prüfung nahm man mit einer Sicherheit von 37 Gold- 
stücken vorlieb, was wir als ein Vorbild des späteren Doc- 
tors M» abaenHa ansehen können. Allen Widerspruch hier- 
gegen sollte ein Gnadenbrief Theodosius II. aus dem Felde 
schlagen, eine zweifellos unechte Urkunde, deren innere 
UnWahrscheinlichkeit man vermuthlich dadurch zu heben 
suchte, dass man sie in der Kirche des heiligen Dominicus 



30 DU UmversUät Bologna im MUteiaiUr, 

zn Bologna in Marmor eingiaben Hess. Schliesslich erhiel- 
ten gewisse FamiiieD^ z. B. die Siorza, vom Kaiser das 
Becht, Doctoren zu creiren. Mit dieser Yerweltlichiing einer 
gelehrten Würde, einem Seitenstiicke der in der Kirche ein- 
gerissenen Missbrättche, ging es Hand in Hand, dass die 
Privilegien der DoctorwQrde und der Aufwand der Promo- 
tion sich mehr und mehr steigerten. Der Doctor der Rechte 
besasB das Privileg, Kleider mit Gk)ld und Pelzwerk .zu 
tragen, die Vorrechte des Adels, Freiheit von Steuern und 
Kriegsdienst; auch durfte er, was damals nicht wenig werth 
war, auf keinen Fall gefoltert werden. Bei der Promotion 
musste der Candidat den Decan und die Frieren mit goldenen 
Bingen, Biretten und Handschuhen ausstatten. Der promovi- 
rende Professor erhielt Tuch zu einem Kleide von derselben 
Farbe, welche der Candidat trug, offenbar um das Auge des 
Zuschauers nicht zu verletzen, wie man etwa heutzutage die 
Farbe des Blumenstrausses mit derjenigen des Kleides in 
Einklang bringt Petrarca schildert es als echter Dichter, 
wie ein thörichter Jüngling bei Glocken- und Trompeten- 
schall unter dem Jauchzen der Menge mit dem Doctorhute 
gekrönt als ein Weiser von dem Meisterstuhle herabsteige, 
auf welchen er als Thor hinaufgestiegen sei, eine grösbere 
Metamorphose, als Ovid sie kenne. Selbst das Concil von 
Vienne fühlte sich veranlasst, eine Beschränkung der Fro- 
motionskosten anzuempfehlen. 

Bildete hiemach die Doctorpiomotion ein. reich mit 



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Die Universität Bologm im Mittelalter. 31 

Prunk ausgcbtiittetes Eingaiigsportal zu der Professoren- 
würde, so wurde anch das Leben der Lehrer von Bologna 
in späterer Zeit ein immer glänzenderes. Von den sehr 
bedeutenden Honoraren füi* ihre Unterrichtsthätigkeit und 
für die Ertheüimg Ton Gkitachten, sowie yon den später 
aufkommenden Gehältern erwarben sich die Professoren 
prächtige Häuser und Landgüter. Odofredus nahm Ton 
zwei Znhörem eine Summe , von welcher ein junger Mann 
damals ein ganzes Jahr hätte leben können, und doch be- 
schloss derselbe Gelehrte eine Vorlesung mit der Bemerkung, 
dass er keine ausserordentlichen Vorlesungen mehr halten 
werde, weil die Studenten zwar gern etwas lernten, aber 
ungern bezahlten. Wegen rOckslftndiger Honorare durften 
die Professoren sogar die Bücher der Studirenden abpfän- 
den. Gtehaltszusicherungen erhielten die Professoren erst 
im dreizehnten Jahrhundert von der Gemeinde. Da sie 
nicht eigentlich staatlich approbirte Beamte waren, sondern 
nur als ein Mittel, die Studentenschaft zu fesseln, angesehen 
wurden, so ist es nicht ^wimderbar, dass man bei ihrer Be- 
soldung in Italien vielfach, wie es heutzutage bei den 
dramatischen Künstlern geschieht, auf die Gunst des 
Publikums Rücksicht nahm* und nur für eine gewisse Zeit 
und auf sehr verschiedene Summen mit ihnen contrabirte. 
Bisweilen war die Verlängerung des Vertrages sogar da- 
von abhängig, dass der berufene Gelehrte etwas Neues 
entdeckte; selbst ein Galilei vermochte seine Stellung 



32 DU ürmerntät Bologna hu mttdaU&r. 

in Padua nur durch immer neue Entdefskungen zu be- 
haupten. 

Die Einnahmen der Professoren erscheinen dann als 
doppelt bedeutend; wenn man sie mit den ausserordentlich 
geringen Preisen der Lebensmittel vergleicht; hundert Mer 
kosteten z. B. damals ftinf Bolognien, das sind etwa sieben 
Pfennige, waren somit ungefähr hundertmal billiger, als sie es 
zur Zeit (1883) in Göttingen sind. Jeder Antrag auf Herab- 
setzung der Promotionsgebühren war bei Strafe verpönt. 
Nur ein Caudidat, und zwar der würdigste, sollte jährlich 
,,um Ootteswillen'' umsonst promavirt werden. 

Da man von den Professoren durchaus eine selbststäu- 
dige wissenschaftliche Production verlangte, so bedurften sie 
auch der Möglichkeit einer ununterbrochenen, zusammen- 
hängenden Arbeit und einer umfangreichen Erholungszeit; 
beides sicherten sie sich durch lange Sommerferien. An- 
dererseits scheint man es schon damals empfunden zu haben, 
dass in der Lehrthätigkeit Unterbrechungen nur im ausser- 
sten Nothfalle zulässig sein können; wenigstens gehört dahin 
die etwas eigenthümliche Bemerkung des Odofredus, der 
grosse Jurist Azo sei so gewissenhaft gewesen, dass er immer 
nur in den Ferien krank war und, wie es heisst, demgem&ss 
auch in den Ferien gestorben ist. 

Auch fOr das leibliche Wohl der Studenten war in 
mehrfächer Weise gesorgt. Der Ertrag einer besonderen 
Steuer wurde dazu verwendet, den Studirenden jährlich eine 



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Die ünktersmt Bologna im Mitielaiter. 33 

allgemeine Lustbarkeit zu j^e-währen; die Miethapreise wurden 
alle Jahre von vier vereideten Taxatoren revidirt, damit 
nicht die reicheren Studenten sie in ungebührlicher Weise 
in die Höhe trieben. Braiiute ein Haus ab, so wurde der 
Student von der Stadt aus einquartirt Auch durfte er, 
falls er einen Ersatzmann stellte, ausziehen, sobald er mit 
seinem Wirthe in Streitigkeiten gerieth. Für den Credit 
der Studenten sorgte ein der Universität gehöriges Leihhaus 
und eine Anzahl von Pfandleihern, welche auffallender 
Weise magni rmrUUj d. h. grosse Boten, hiessen; die sog. 
kleinen Boten waren die Personen, welche den Verkehr der 
Studirenden mit der Heimat vermittelten und durch Zu- 
sicherung des Kaisers und der Stadt freies Geleit genossen. 
Zu den Hauptunkosteu der Studien mochte wohl die An- 
Schaffung der Bücher gehören, deren Preise zwar gleichfalls 
in Bologna gesetzlichen Taxen unterlagen, aber im Mittel- 
alter sehr hoch gewesen sein müssen. Als Beweis hierfür 
bat man Öfters das Testament einer Wittwe citirt, welche 
gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts ihrer Tochter als 
hauptsächliches Erbtheil ein Exemplar des oorpüs juris hinter- 
liess und ihi" anrieth, einen Doctor der Rechte zu heirathen, 
damit ihr werthToUes Erbgut eine angemessene Verwen- 
dung finde. 

Wenn wir auf das Bild zurückblicken, das bisher zu 

entrollen versucht wurde, so werden wir nicht bestreiten 

können, dass es viele Züge trägt, welche sich zwar aus 

8 



34 Die ünmrsm Bologna im MUtdatUr, 

geschichtlichen Gründen erklären, uns aber trotzdem einen 

wenig befriedigeuden Eiiidiuck hinterlassen. Wir dürfen 
es sicherlich als einen Fortschritt bezeichnen , dass die 
deutschen üniyersit&ten von vornherein sich nicht bloss Bo- 
logna, sondeni auch Paris zum Vorbilde genommen haben. 
Wir würden nns jedoch sehr tilnsehm, wenn wir nicht ein- 
sehen wollten, dass trotzdem aus den zunächst befremd- 
lichen und aus gutem Grunde wohl für immer beseitigten 
Eigenthümlichkeiten der erstgenannten Universität und den 
ihr nachgebildeten italienischen Unterrichtsstätten zum gi'ossen 

• 

Theile die Ekitstehung unserer heutigen Oultnrzustände und 

der wesentlichsten Grundlagen unseres höheren Unterrichts- 
wesens erklärt werden muss. Diese völlige Unabhängigkeit 
der Studentenschaft von Bologna, welche nur eine Folge 
der UnvoUkommenheit der mittelalterlichen Zustände war, 
erwies sich als ein Hauptausgangspunkt ihrer Beseitigung; 
sie hat den Humanismus, die Renaissance und die Befor- 
mation vorbereitet. Auch wo die Wissenschaft von Un- 
bildung und Ijgnoranz erstickt ist, zeigen sich trotzdem stets 
und überall die Keime zu ihrer Wiederbelebung; denn un- 
vertilgbar ist das Bedürfhiss nach Erhaltung des Lebens, 
welches die Medicin, und dasjenige nach einer menschen- 
würdigen Gestaltung der Existenz, welches Theologie und 
Jurisprudenz nach sich zieht; das letztere wurde sogar im 
Mittelalter — und dies können wir sicherlich nicht tadeln 
— dem ersteren weit vorangestellt. Jene praktischen Doc- 



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DU ümventüät Bologna im MülehÜer, 



35 



trinen bedürfen jedoch eines hohen Standes der anderen 

Wissenschaften, um daraus ihre Lebensluft zu schöpfen. 
Glücklicher Weise läßt sich bei ihnen nicht die Theorie 
von der Praxis, noch das Besondere von dem Allgemeinen 
trennen. So trieb das Elend der mittelalterlichen Wirren 
zur Wiederbelebnng des römischen JCaiserrechts, bei dessen 
Geltung Ordnung im Laude geherrscht hatte. Als Kaiser 
fiothbart anf dem Boncalischen Reichstage Gericht hielt, 
nahten sich ihm unzählige Schaaren, welche ihm ein Kreuz 
als das Zeichen der Hilfesuchenden entgegenstreckten. y^Wie 
kommt es,'' sagte der Kaiser, „dass hier in dem Lande des ' 
Bechtes so Viele nach der Gerechtigkeit huugeru und 
dürsten?" Allen diesen durch Wiederbelebung des römischen 
Reilites zu helfen, war das Gebot der Menschenlie])e wie 
der Herrschsucht. Betrat man aber erst einmal hier die Bahn 
freier wissenschaftlicher Forschung, so war kein Halten 
mehr. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht eine Fabel 
über die Entstehung der Rechtsschnle yon Bologna. 'Der 
Philologe Irnerius soll nach der Bedeutung des Wortes a*-, 
der Bezeichnung einer bekannten römischen Münze, geforscht 
haben;' zu diesem Zwecke habe er, so heisst es, die sämmt- 
lichen Bechtsquelleu durchstudirt und dadurch die Glossa^ 
torenschule begründet. Dies ist sicherlich unglaubwürdig 
und enthält doch einen tiefereu Sinn, nämlich die Wahr- 

' Dies soll im Hinblicke auf das Kvang. Matth. X, 29 geschehen 
sein; vgl. Fitting a. a. O. S. 95. 

3» 



uii^u i-L-j cy Google 



36 Die üimersiUU Bologna im MüteiaUer» 

heity dass Philologie und Jurisprudenz sich schlechterdings 

nicht von ciiKuider trennen lassen. Weit mehr noch zeigte 
sich dies in der Forteutwickeluug der Bechtslehre, als in ihrer 
Entstehung. Die Auslegung der juristischen Quellen trieb 
zur römischen Philologie und indirect zur römischen und 
griechischen Dichtung und Philosophie hin. Was man am 
Rechte gelernt hatte, verwertliete man aut anderen Gebieten. 
Zu den Füssen der Bechtsgelehrten Bolognas sassen in 
älterer Zeit Abälard, gegen Ende des Mittelalters Petrarca 
und Ulrich von Hutten , letzterer freilich nicht ohue aus 
dem „Accursianischen Absynthe", wie er das schlechte 
Glüssatorenlatein nannte, eine heilsame Erbitterung gegen 
die mangelhafte Latinität der Dunkelmänner in sich ein- 
zusaugen. Durch die Förderung der Auslegungskunst wurden 
Tauseude von Laien iii den Stand gesetzt, später durch 
Kritik der heiligen Schrift di^ Lehren der Reformation selbst 
zu prüfen. Das kirchliche Monopol der Alleinherrschaft 
auf dem Geistesgebiete wurde durchbrochen; neben den 
E^lerikem breitete sich eine gewaltige Schicht tod gelehrten 
Juristen und Aerzteu aus, weiche ihuen geistig ebenbürtig 
war und der Reformation als feste Grundlage diente. Aus 
ihr und vornehmlich mit Hilfe der Doctoreu beider liechte 
ist auch der moderne Staat herausgewachsen, eine Ver- 
einigung des praktisch -politischen Sinnes der Römer und 
der wohlwollenden Fürsorge für die Armen und Schwachen, 
deren sich das canonische Recht rühmen darf. Wir können 



Die ümversüäi Bphgm im MiitelaUer, 37 

daher geradezu behaupten, das« in Bologna antike nnd 
christliche Ausichteu zu eiuer neuen Weltanschauung ver- 
schmolzen worden sind. Alles dies geschah nicht als das 
Ergebniss irgend welcher absichtlichen Berechnung, aber 
es war die nnabwendüche Folge davon, dass die Autori- 
lllten jener Zeit eine große Gemeinde dulden mnssten^ welche 
sich inmitten der Finsternis» des Mittelalters in dem Lichte 
wissenschaftlicher Freiheit sonnte. 

Ebenso unbeabsichtigt und doch segensvoll waren die 
Folgen der anscheinend so verkehrten und längst glücklich 
überwundenen Unterordnung der Lehrer unter die Scholaren. 
Ihr verdanken wir es, dass im Widerspruche zu dem Geiste 
der Klosterschulen sich Grundsätze entwickelten, welche 
noch heutzutage unser höheres Unterrichtswesen beherrschen. 
Zunächst der Satz, dass auf der höchsten Stufe des Wissens 
das Bild des Ueberlieferten ohne stete Erneuerung ver- 
blasst uud folgeweise hier nicht die blosse Eeproduction, 
sondern die Originalschöpfung herrschen muss. Hier ist ein 
steter Fluss der Fortentwickelung; es giebt keinen inihigen 
Besitz, sondern nur Vervollkommnung oder Bückschhtt 
Femer stammt aus Bologna der Grundsatz, dass der Werth 
der . akademischen Leistungen in erster Linie nicht nach 
obrigkeitlichen Approbationen geschätzt wird, sondern nach 
den offen zu Tage liegenden Erfolgen der wissenschaftlichen 
Production uud des ünterhchts. In dieser Hinsicht sind 
die Lembeflissenen bis zu einem gewissen Grade noch heute 



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38 Die Umversität Bologna im MiUehlier. 

die Herrschenden. Femer stammt ans jener 2eit die Er- 

kenntniss, dasK eine discipliuarische Cuiitrole des Studiums 
mit der ?ollen Unbefangenheit eines wahrhaft wissenschaft- 
iiclien Unterrichts uiivertiäglieh ibt. Endlich aber wurde 
in Bologna im Gegensatze zu der nationalen Beschränktheit 
des antiken Geisteslebens der herrliche Grandsatz Ter- 
wirkliclit. dass die Wissenschaft zu allen Nationen reden soll. 

Auii'allend und erfreulich ist es aber, dass in Bologna 
gerade die Deutschen vor allen anderen Nationen durch 
viele Privilegien bevorzugt waren und nicht bloss eine gast- 
liche, sondern geradezu eine heimatliche Stätte fanden. 
Nicht bloss lllkksicht auf den Stifter der Glossatorenschule 
IrneriuSy auch Wemerius oder Wamerius genannt, welcher 
ein Deutscher gewesen sein soll, nicht bloss Kespect vor 
dem Kaiser können die Ursache hiervon gewesen sein. Diese 
lag vielmehr in der Anerkennung eines besonderen Eifers 
und einer hervorragenden Veranlagung für das unbefangene 
Verständniss des Fremden und Vergangenen, welche man 
unseren Landsleuten zusprach. 

Nun ist es eine merkwürdige Erscheinung, dass gerade 
in der letzten Zeit die italienische Wissenschaft des römischen 
Rechtes aufmerksam nach der deutschen herübei blickt, wie 
einst diese im Mittelalter nach Italien hinüber sah. Fast 
alle Erzeugnisse auf dem Gebiete der deutschen romanisti- 
schen Rechts-Wissenschaft huden jenseits der Alpen eine 
eingehende Berücksichtigung. Kann somit Deutschland hier« 



* 

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Die Universität Bologna im Mittelalter. 



39 



• durch vielleicht für die einst empfangene Gastfreundschaft 
eine Gegengabe darbieten, so müssten wir doch undankbar 
sein, wenn wir die Annäherung der benachbarten Nation, 
welche sich neuerdings in dieser Jb^orm, wie in vielen anderen, 
vollzieht, nur aus dem genannten Gesichtspunkte betrachten 
Tiiid nicht vielmehr mit der ganzen und vollen Herzlichkeit 
begrüssen wollten, welche als Nachklang des einstigen eifrigen 
Zusammenarbeitens an der Bologneser Hochschule uns geziemt. 

Der Boden aber, auf welchem uns das Jiecht wieder- 
gewonnen wurde, welches uns jetzt schützt und schirmt^ 
soll uns heilig sein und bleiben als eine Stätte, mit deren 
Wirken das Edelste und Beste, was wir besitzen, in er- 
kennbarem Zusammenhange steht. 





Bei uns erschien: 

^um ucrQlcid)cnben <3tubiiini 

8. 1887. geh. 1 60 ^. 

Leipzig. 

Yelt & Comp. 



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Yerlaji von VKIT & 00 MR in Leipzig. 

R ED EN 

von 

Emil du Bois-ReynoDt. 

Erste und zweite Folge. 
2 Bände (erbte und zweite Folge), geh. 17 eleg. geb. 21 My^^^i 

Erste Folge. 





Litteratur, IMiilusuphie, Zeitgeschichte. ' ■.■;^.^^c 

gr. 8. 1886. -reh. 8 Jt; eleg. gel». 10 Jl. ^*^-^^:Mf^') 

Inhalt: Voltaire als Niiturforscher. — lycibniziselie Liedanken in 4*ar-$'^ 
neaeren Naturwissenschaft. — Aus den Tagen des norddeutschen Bundes. 
Der deutsche Krieff. — Dfts Kaiserreich und der Friede. — Über die Greiiis-'^f^- 
zen de.s Naturerkeniiens. — Über eiiK» kais<^rliche Akademie der deutsch€fli^Ji| 
Sprache. — La Mettrie. — Darwin versus (Jaliani. — Culturgeschicbte uadf^ t 
NaturwissenBehafb. — Ober das Nationalgefabl. Friedrich II. und BÜf^ 
seau. — Die sieben Welträtsel. — Friedrieh IT. in englischen Urteileil.s^ 
Die Humboldtdenkmäler vor der Berliner Universität — Diderot 




Zweite Folge. 
, Biographie, Wissenschaft, Ansprachen. 

gr. 8. 18S7. gdt. V) Jt; eleg. geb. 11 JL 

Inhalt: Über «Ii»' T,( be)i.sl<ral"t. — T'Im t thierisebe Bewegung. — Ge- 
däehtnissrede auf l^nuuii. — lOduard 1 i tlluuiun's Leben. — Über lebend a '«' 
nach Berlin gebrachte Ziiterwdsc aus Wrstafrika. — Gedäeh 1 u issrede ätif ,'^,f 
Jiiliannes Müller. — Über l.'iiiversit:its» inricbtiiTigon. — Über Geschichte ' ^J" 
der Wissenschalt — Der physiologische Unterricht soust und jetzt. — *A«8 ^. "1 
den Tilanos*. — Über die Obung. — Ober die visseuBcbaftlii^lieii Skistända v - 
der Gegenwart. — Die Britische Ffaturforscherversamnilunsj zu Southainpto»' 
im Jahre 1882. — Darwin und Kopcrnieus. — Die berliner Franzosiaoho. 
Colonie in der Akademie der Wissenschaften. — Akademische Ansprache^V^^ 

Die Reden von Emil dtt Bois-Beymond eignen aiofa auch ifl v>j 
hervorragender Weise zu Fest- und Gelegenbeitsgesehen^ci^a. 

, . : ; 5^'"*.^ 

.Biese, Alfred, Die Entwickelims des MaturgefuMs im Mitl4% 

alter ond in der Neuzeit. gi\ 8. 18^8. ' 

geh. 8 c4f, in Halbfranz geb. 10 oCl^äf " 

Das Yrrliiilttiis des Menschen /.irr Xatur. wie es sieh im Liuife def-'*^rr, 
Jahrhunderte entwickelt und verändert hat. ist eines der kuiturgcschichV 
lich Vttd , litberar-historiseh interessantesten Probleme. Das moderne Nattti 
empfinden ist uns Allen geläufig, verständlich aber wird es erst aus de 
Vergangenheit, aus den geschii htlirhen Wandlungen, die der V< 
in fesselnder Weise zur Darstellung bringt. 

^ ■ %i 

Dmok Tou Hctsr«r k Wittlg In Leipslf^ 




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